Didaktik der Physik Frühjahrstagung - virtuell 2021 - Didaktik der ...
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Didaktik der Physik Frühjahrstagung – virtuell 2021 Modellierung naturwissenschaftlicher Leistungs- und Begabungspotenziale im Kita- und Grundschulalter Tobias Mehrtens, Freya Müller, Daniel Rehfeldt, Hilde Köster Freie Universität Berlin, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin t.mehrtens@fu-berlin.de, freya.mueller@fu-berlin.de, daniel.rehfeldt@fu-berlin.de, hilde.koester@fu-berlin.de Kurzfassung In den Teilprojekten 3 und 9 des durch das BMBF geförderten Verbundprojekts ‚Leistung macht Schule’ (LemaS) am Standort Freie Universität Berlin werden Lernsettings und damit verbundene Diagnoseformate zur Erfassung und Beschreibung naturwissenschaftsbezogener (Leistungs-) Poten- ziale bei Kindern in der Kita und im Übergang von der Kita in die Grundschule (Teilprojekt 3) sowie im naturwissenschaftlichen Sachunterricht in der Grundschule (Teilprojekt 9) entwickelt. Mit den kooperierenden Kitas und Grundschulen werden die entwickelten Instrumente erprobt, evaluiert und entsprechend des Design-Based-Research Ansatzes (Reinmann, 2005) weiterentwickelt. Aufgrund fehlender konkreter Hinweise dazu, wie naturwissenschaftsbezogene (Leistungs-) Potenziale in Kita und Grundschule systematisch und theorie- sowie evidenzbasiert identifiziert werden können (Hö- ner, 2015, 59), wurde u.a. in Anlehnung an das Modell zur mathematischen Begabung im Grund- schulalter nach Käpnick (2014) sowie unter Berücksichtigung von Annahmen zu naturwissen- schaftsbezogenen Begabungen (Wegner, 2014; Labudde, 2014; Kirchner, 2006) im Rahmen des Teilprojektes 9 bereits ein erstes theoriebasiertes Modell naturwissenschaftsbezogener (Leistungs-) Potenziale für die Grundschule entwickelt (Mehrtens et al., 2021). Dieses Modell wurde nun unter Einbeziehung aktueller fachdidaktischer Debatten im Kontext der inklusiven und potenzialorientier- ten Begabungsförderung (Benölken & Veber, 2021, S. 56) weiterentwickelt und um Merkmale na- turwissenschaftsbezogene (Leistungs-) Potenziale von Kindern im Kitaalter (Fuchs, 2015; Anders et al., 2013; Fthenakis et al., 2009; Steffensky, 2017) ergänzt. Dieses Modell wird im weiteren Pro- jektverlauf empirisch geprüft und weiterentwickelt. 1. Von der (Hoch-) Begabungsförderung zur in- Jahrzehnten sowohl in der Wissenschaft, als auch in klusiven Potenzialorientierung der Schulpraxis (Ziegler, 2018, S. 68) um Verfahren, 1.1 Theoretische Grundlagen der inklusiven Bega- die entweder die Schulleistung als Grundlage für die bungsförderung Identifikation von Begabungen heranziehen oder die Verfahren von Leistungs- und IQ-Messungen kombi- In der Literatur zur (Hoch-)Begabungsforschung und nieren. Einige Verfahren beziehen auch weitere als -förderung fehlt es derzeit noch an Einheitlichkeit bedeutsam charakterisierte Merkmale, wie z.B. die hinsichtlich der Definition der Begriffe ‚(Hoch-)Be- Kreativität, in das Feststellungsverfahren mit ein gabung‘ und ‚Leistungspotenziale‘ (Schrittesser (ebd., S. 68). Zusätzlich wird (Hoch-)Begabung in 2019, S. 56). Während in der älteren Literatur zumeist den meisten aktuellen Beiträgen nicht mehr als allge- auf (Hoch-)Begabungen fokussiert wurde, werden in meine Begabung, sondern als domänenspezifische jüngeren Arbeiten und Publikationen zunehmend Begabung oder domänenspezifisches Leistungspo- auch schulische Rahmenbedingungen wie z.B. die In- tenzial verstanden (Benölken & Veber, 2021, S. 47). klusion berücksichtigt und fachspezifische Potenzi- Aufbauend auf Erkenntnissen der jüngeren Bega- ale, Diagnosemöglichkeiten und Förderung domä- bungsforschung und unter Berücksichtigung der nenspezifischer Begabungen in der Schule diskutiert (Weiter-)Entwicklung des Schulsystems, finden sich (Abels & Brauns, 2021; Benölken & Veber, 2021; zudem vermehrt inklusivere Perspektiven auf (Hoch- Weigand, 2020). Korrespondierend mit der Vielfäl- )Begabung, die dieses Konstrukt offener fassen. Al- tigkeit der Beschreibung des Phänomens der Bega- lerdings ist auch in diesen Ansätzen das Verständnis bung in der Literatur, sind auch die Verfahren zur des Verhältnisses zwischen Potenzial, Begabung und Feststellung von Begabung bzw. von (Leistungs-)Po- Leistung divers. tenzialen je nach theoretischem Rahmen z.T. sehr un- terschiedlich. Wurden in der Vergangenheit vor- Wir folgen dem Ansatz, der ‚Begabung‘ als Zuschrei- nehmlich Intelligenzmessverfahren zur Identifikation bung aufgrund der gezeigten Leistung (Performanz) von ‚Hochbegabten‘ eingesetzt, erweiterte sich das auffasst, die ihren Ursprung in latenten (Leistungs-) Spektrum der Feststellungsverfahren in den letzten Potenzialen hat (Abels & Brauns, 2021, S. 113; 65
Mehrtens et al. Fränkel, 2019, S. 48). Fränkel fasst diese Ansicht wie und Fuchs fassen in dem von ihnen entwickelten Mo- folgt zusammen: „Begabung wird sichtbar, wenn die dell mathematischer Begabung im Grundschulalter individuellen Begabungspotenziale gefördert werden (überdurchschnittliche) Kompetenzen als Potenziale konnten und sich in den Leistungsbereichen nieder- auf, die sich unter günstigen Bedingungen in Leistun- schlagen.“ (Fränkel, 2019, S. 48) Die in diesem Bei- gen umsetzen lassen (Käpnick, 2014, S. 106). Hierbei trag vorgeschlagene, bis zur empirischen Validierung werden Kompetenzen von Käpnick und Fuchs als Be- zunächst nur hypothetische Modellierung naturwis- gabungspotenzial gefasst (ebd., S. 104). So bilden sie senschaftlicher Begabung im Sachunterricht, schließt den Diskurs in der Kompetenzforschung ab, in der sich dieser Auffassung an, da sie erstens dem rekon- zwischen den vorhandenen latenten Kompetenzen struktiven Charakter der Ermittlung von Potenzialen und der tatsächlich gezeigten Leistung unterschieden und Begabungen entspricht und wir davon ausgehen, wird (Asbrand & Martens, 2018, S. 17; Fuchs, 2006, dass im schulischen Rahmen – wie auch auf Kompe- S. 68). Diese Annahme fließt auch in das hier vorge- tenzen – nur dann auf ein vorhandenes Potenzial ge- stellte Modell ein. schlossen werden kann, wenn dieses in Leistung um- Zur möglichen Identifikation dieser (hohen) Leis- gesetzt und so beobachtbar wird (Käpnick, 2014, S. tungspotenziale entwickelte Käpnick (1998) ein zu- 106). Die Annahme über das Vorhandensein einer be- nächst hypothetisches Merkmalsystem für mathema- sonderen Begabung erfolgt somit aufgrund erbrachter tisch begabte Grundschüler*innen der dritten und Leistungsexzellenz oder Hochleistung in einer Do- vierten Klasse, welches in Studien überprüft, verifi- mäne. Zum Zweiten ermöglicht diese Definition ei- ziert und für weitere Klassenstufen (Sjuts, 2017) oder nen stärker entwicklungsorientierten Blick auf vor- spezielle Fragestellungen (Fuchs, 2006) adaptiert handene Potenziale (Abels & Brauns, 2021, S. 113; wurde. Dieses unterteilt sich einerseits in für die Ma- Benölken & Veber, 2021, S. 55) und ermöglicht auch thematik relevante Fähigkeiten und andererseits auf eine Dekategorisierung und Relativierung von Labeln die jeweiligen Aktivitäten bezogene begabungsstüt- wie ‚begabt‘, ‚normalbegabt‘ und ‚minderbegabt‘,die zende Persönlichkeitseigenschaften (Selbstständig- Lernenden zu einer bestimmten Zeit unter be- keit, Konzentrationsfähigkeit etc.). Höner (2015) ver- stimmten Voraussetzungen zugeschrieben werden mutet auf Käpnick bezugnehmend ähnliche bega- (Fraundorfer, 2019, S. 36). bungsstützende Persönlichkeitseigenschaften für na- 1.2 Allgemeine Grundlagen des Modells naturwis- turwissenschaftliche Begabungen (Höner, 2015). In senschaftlicher Begabung im Kita- und Grund- der Erstellung des hier vorgestellten Modells sind schulalter diese Merkmale daher ebenfalls eingeflossen. Das entwickelte Modell naturwissenschaftlicher Be- Benölken und Veber (2021) ergänzen die Debatte der gabung im Kita- und Grundschulalter orientiert sich potenzialorientierten Begabungsförderung um ein an aktuellen Modellen der Entwicklung und Be- diversitätsorientiertes Modell zur Entwicklung ma- schreibung von Begabungen und Potenzialen aus der thematischer Begabung, in dem neben dem Einfluss Erziehungswissenschaft und verschiedener Fachdi- von Diversitätsfacetten auf die Entwicklung von Be- daktiken, die eine fachliche Nähe zum Sachunterricht gabung insbesondere das Fördern der Potenzialent- aufweisen. Allen Modellen ist die Annahme einer dy- wicklung durch eine Fokussierung dieser herausgear- namischen, durch persönliche und umweltbezogene beitet wird (Benölken & Veber, 2021). Durch die For- Einflüsse geprägten und domänenspezifischen Ent- mulierung der Notwenigkeit einer „Potenzialfokus- wicklung von (Leistungs-)Potenzialen bzw. Bega- sierung“ (ebd., S. 54f) wird die Problematik hervor- bungen immanent (Fischer, 2015; Fuchs, 2006; gehoben, dass Potenziale nicht zwangsläufig auch in Käpnick, 2014; Wegner, 2014). Käpnick unterschei- Leistung umgesetzt werden und dass diese sich nicht det beispielsweise für die Entwicklung mathemati- immer zu Begabungen entwickeln können. Erst durch scher Begabung zwischen fördernden bzw. hemmen- die bewusste oder auch unbewusste Fokussierung den und typprägenden intrapersonalen Katalysatoren, dieser Potenziale im Wechselspiel mit förderlichen wie allgemeine physische, psychische, kognitive und inter- und intrapersonalen Katalysatoren können persönlichkeitsprägende Grundkompetenzen, sowie diese in Leistung umgesetzt werden und sich im fördernden bzw. hemmenden und typenprägenden in- Laufe der Bildungsbiographie zu einer Begabung ent- terpersonalen Katalysatoren, unter denen etwa insti- wickeln (ebd., S. 55). tutionalisierte Lerngelegenheiten, wie Kita und Aufgrund der hier dargelegten, wenn auch verkürz- Schule, aber auch den Einfluss von einzelnen Perso- ten, Argumentation verstehen wir (Leistungs-)Poten- nen und Ereignissen auf die Entwicklung der Lernen- ziale (zusammengefasst) als besondere domänenspe- den gefasst werden (Käpnick, 2014, S. 104). Die For- zifischen Kompetenzen eines Kindes zu einem be- mulierung ‚typenprägend‘ bezieht sich auf Bega- stimmten Zeitpunkt. Jede Kompetenz bildet dabei ih- bungstypen, die sich nicht nur durch besondere Leis- rerseits das Potenzial zur (Weiter-)Entwicklung. Die tungen in inhaltlichen Subdomänen auszeichnen, son- Kompetenzen eines Kindes zeigen sich in der Perfor- dern auch unterschiedliche Arbeits- und Denkstile, manz, sodass ausgehend von der gezeigten Leistung etwa im Bereich der Problemlösefähigkeit und dem Vorgehen beim Lösen von Problemen aufweisen (Fuchs, 2006; Sjuts, 2017; Sumida, 2010). Käpnick 66
Modellierung naturwissenschaftlicher Leistungs- und Begabungspotenziale im Kita- und Grundschulalter Abb. 1: Theoriebasiertes Modell naturwissenschaftsbezogener (Leistungs-) Potenziale für die Grundschule. die vorhandenen (Leistungs-)Potenziale bzw. Kom- begriffs, und es fehlt deshalb auch an klaren Orientie- petenzen rekonstruiert werden können. Die Entwick- rungslinien dazu, wie Begabungen bzw. (Leistungs-) lung der (Leistungs-)Potenziale wird durch intraper- Potenziale in pädagogischen Kontexten zu sind sonale (etwa kognitive und persönlichkeits-prägende (Rohrmann & Rohrmann, 2017). Für eine Sensibili- Grundkompetenzen) und interpersonale Katalysato- sierung der Fachkräfte für frühe naturwissenschafts- ren (beispielweise Interventionen in Schule und Kita bezogene Potenziale bei Kita-Kindern könnten u.E. oder besondere Bezugspersonen) gefördert oder ge- insbesondere prozessorientierte Indikatoren hilfreich hemmt. Bei optimaler Entwicklung dieser (Leistungs- sein. Mit der hier vorgestellten Modellierung zum Er- )Potenziale können diese in überdurchschnittliche fassen früher naturwissenschaftsbezogener Potenzi- Leistung umgesetzt werden, welche dann als domä- ale werden Merkmale beschrieben, die sich auch nenspezifische Begabung wahrgenommen werden durch pädagogische Fachkräfte in der Kita beobach- kann. ten lassen (siehe Abbildung 1). Dazu gehört u.a. ins- Nachfolgend werden theoriebasiert hypothetisch an- besondere das gezeigte Interesse an einem Gegen- genommene Merkmale naturwissenschaftlicher stand oder Phänomen. (Leistungs-)Potenziale für Lernende im Kita- und In Modellen zur Beschreibung domänenspezifischer Grundschulalter formuliert. Begabungen wird das Interesse als Teilindikator von Kompetenz auch als mögliches Merkmal zur Erfas- 2. Merkmale naturwissenschaftlicher Leistungs- sung von (Leistungs-)Potenzialen betrachtet (z.B. potenziale im Kitaalter Fuchs, 2015; Wegner & Schmiedebach, 2017). Inte- Das frühe Erkennen und Fördern kindlicher Potenzi- resse zeigt sich insbesondere in der intensiven, aus- ale bzw. Begabungen im Elementarbereich kann dauernden und gegenstandsbezogenen Auseinander- heute als bedeutsames bildungspolitisches Ziel ange- setzung, in selbstintentionalen Handlungen (Prenzel sehen werden (JMK & KMK, 2004; Rohrmann & et al., 1986, S. 168) sowie auch in emotionalen und Rohrmann, 2017; Behörde für Arbeit, Soziales, Fami- kognitiven Äußerungen (Schiefele, 2008). Nölke et lie & Integration (BASFI)(2012); Fthenakis, 2012). al. (2013) gehen davon aus, dass sich naturwissen- Die Analyse von Bildungsplänen für den Elementar- schaftliches Interesse bereits im frühen Kindesalter bereich zeigt jedoch eine Unschärfe des Begabungs- zeigt. Als Hinweis auf ein frühes Potenzial deutet 67
Mehrtens et al. Fuchs (2015) im Bereich der Mathematik auch ein Frühe naturwissenschaftsbezogene Potenziale im ausgeprägtes Explorationsverhalten. Dieses Merkmal Elementarbereich können demzufolge über ausge- scheint uns auf den Bereich der Naturwissenschaften prägte Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie über affek- gut übertragbar (Köster, 2018; Fthenakis et al., 2009; tive Aspekte wie beispielweise ein vertieftes Inte- Mehrtens et al., 2020) und zeigt sich insbesondere bei resse, beschrieben werden. Eine zentrale Annahme, intensiver Beschäftigung mit naturwissenschaftsbe- die sich theoretisch stützen lässt, ist somit das Heran- zogenen Phänomenen (vgl. Köster, 2018; Fthenakis ziehen eines mehrdimensionalen Kompetenzver- et al., 2009). ständnisses, welches neben kognitiven Dimensionen Geht man von frühen Potenzialen in Form von ge- auch persönlichkeitsbezogene Facetten miteinbezieht zeigten Leistungen im Elementarbereich aus, kann (Käpnick, 2014; Weinert, 1999). hier zur Beschreibung dieser auf das Scientific Lite- 2.1 Naturwissenschaftsbezogene (Leistungs-) Po- racy Bildungskonzept zurückgegriffen werden (z.B. tenziale im Übergang von der Kita in die Grund- (Fthenakis et al., 2009; Gelman & Brenneman, 2004; schule Steffensky, 2017). Nach diesem Bildungskonzept In Hinblick auf die bildungspolitischen Zielvorgaben wird naturwissenschaftliche Kompetenz in Teilberei- der JMK & KMK (2004) soll es zwischen dem Ele- che untergliedert, die einerseits naturwissenschaftli- mentar- und Primarbereich zu einer institutionsüber- ches Wissen über Konzepte, Theorien und Wissen greifenden Zusammenarbeit kommen. Die Gründe und andererseits Wissen über Naturwissenschaften, dafür liegen zum einen in der Gewährleistung von also Denk- und Arbeitsweisen sowie deren Fähigkeit Anschlussfähigkeit, um individuelle Lern- und Ent- zur Anwendung in Alltagssituationen beinhalten. Zu- wicklungsprozesse zu unterstützen und zu fördern dem schließt es affektive Aspekte mit ein, wie bei- und andererseits, um einen ko-konstruktiven Transi- spielsweise das Interesse, Einstellungen und Begeis- tionsprozess zu gestalten (Griebel & Niesel 2004; terung für Naturwissenschaften (Anders, 2013a; Nor- 2011). ris & Phillips, 2003; Weinert, 1999). Ausgehend von Um eine Anschlussfähigkeit schulischer Angebote an dem Scientific Literacy Konzept wurde durch Cars- die frühkindliche Bildungsbiographie sicherstellen zu tensen et al. (2011) ein theoretisch begründetes Mo- können, kann unter anderem die Weitergabe von Bil- dell zur Erfassung naturwissenschaftlicher Kompe- dungsdokumentationen als elementare Schlüssel- tenz empirisch überprüft. Naturwissenschaftliche komponente angesehen werden (Knauf, 2019). Im na- Kompetenzen werden nach diesem Modell als Fähig- turwissenschaftlichen Bereich fehlt es aber für den keit, Wissen in alltagsnahen Kontexten anzuwenden, Übergang von der Kita in die Grundschule an geeig- verstanden, das über den Einsatz von Arbeits- und neten Dokumentationsinstrumenten (Voigt & Köster, Denkweisen wie dem Beobachten, Vergleichen, Mes- 2019). Aus einer Studie von Röbe et al. (2010) geht sen oder Dokumentieren erfasst werden kann (Cars- zudem hervor, dass etwa 50 Prozent der befragten Er- tensen et al., 2011, S. 655–656; Steffensky, 2017). zieher*innen für die Umsetzung von gezielten Be- Ausgehend von diesem Modell und in Anknüpfung obachtungen und damit verbundenen Bildungsdoku- an das Scientific Literacy Konzept können z.B. das mentationen konkretere Umsetzungshinweise benöti- Anwenden von basalen naturwissenschaftlichen gen. Unterstützt wird diese Einschätzung durch Fried Denk- und Arbeitsweisen als auch das Erkennen ers- (2013, S. 840), der darauf aufmerksam macht, dass es ter Ursache- und Wirkungszusammenhänge als mög- „[…] die Wissenschaft versäumt […]“ hat, „[…] ihr liche Indikatoren zur Beschreibung und Erfassung generiertes Wissen zur domänenspezifischen Ent- früher naturwissenschaftsbezogener Potenziale ge- wicklung junger Kinder für die Entwicklung hoch- nutzt werden. qualitativer frühpädagogischer Diagnoseverfahren zu Ein weiteres Merkmal, welches zum prozessorientier- nutzen. Alles in allem wird es also Erzieher*innen ten Erkennen von früher mathematischer Begabung nicht leichtgemacht, die domänenspezifische Ent- beschrieben wird, sind Anzeichen auf reflexives Den- wicklung junger Kinder angemessen zu diagnostizie- ken und auffällige Begriffs-, Abstraktions- und Über- ren.“ Im Teilprojekt 3 des Projekts LemaS (s.o.) wer- tragungsleistungen (Fuchs, 2015). Nach Dewey den daher in enger Kooperation mit den teilnehmen- (1997) meint reflexives Denken das Nachdenken über den Kitas Dokumentationsinstrumente und Leitfäden Inhalte, Konzepte, Vorstellungen und Überzeugun- entwickelt, die den Bedarfen in der Praxis gerecht gen. Wird das oben genannte naturwissenschaftliche werden können. Kompetenzverständnis für die Potenzialerfassung herangezogen, können demnach auch für frühe natur- 3. Modell naturwissenschaftlicher Leistungspo- wissenschaftsbezogene Potenziale Merkmale, wie tenziale im Kita- und Grundschulalter Hinweise auf das Reflektieren sowie die Übertragung In der nationalen und internationalen Literatur finden und Verknüpfung von naturwissenschaftlichen Be- sich verschiedene Vorschläge zur Identifikation von griffen und Konzepten auf alltagsnahe Phänomene ‚begabten‘ oder ‚gifted‘ Schüler*innen im Bereich zur möglichen Potenzialbestimmung herangezogen der Naturwissenschaften, insbesondere auf die wei- werden (Carstensen et al., 2011; Lück, 2015, 2018; terführenden Schulstufen bezogen. Diese Vorschläge Steffensky, 2017). weisen wiederkehrende Elemente auf, die bezogen auf den Sachunterricht in ein erstes Modell (Mehrtens 68
Modellierung naturwissenschaftlicher Leistungs- und Begabungspotenziale im Kita- und Grundschulalter et al., 2021) eingeflossen sind, welches die Grundlage Entwicklung naturwissenschaftsbezogener (Leis- für das hier vorgestellte Modell darstellt. Als zentra- tungs-)Potenziale bis hin zur Begabung darstellen. les Element eines hohen naturwissenschaftlichen Auch die Verkürzung komplexer Vorgänge, wie die (Leistungs-)Potenzials wird hierbei das gezeigte Inte- Anwendung des naturwissenschaftlichen Erkenntnis- resse an naturwissenschaftlichen Inhalten angenom- weges, ist der Übersichtlichkeit geschuldet. Auf men (Abels & Brauns, 2021; Kircher, 2006; Taber, Grundlage dieses Modells werden im Projekt diffe- 2007; Wegner, 2014; Adamina, 2018, S. 312, Krapp, renzierte diagnostische Formate entwickelt, die einer- 2010, 20f). Auch in der internationalen Literatur fin- seits die Komplexität der hier aufgezeigten Merkmale den sich Hinweise auf die Bedeutsamkeit des indivi- detaillierter widerspiegeln und gleichzeitig die indi- duellen Interesses für die Entwicklung und Entfaltung viduellen Ausprägungen für jede*n Lernende*n er- von (Leistungs-Potenzialen (Heilbronner & Renzulli, fassen sollen. Das hier vorgeschlagene Modell erhebt 2016; Taber, 2007). Ähnlich lässt ich auch die Neu- zudem keinen Anspruch auf eine vollständige Reprä- gier an neuen Erkenntnissen in diesem Themenberei- sentation des Forschungsstandes naturwissenschaftli- chen fassen, die die Lernenden in eine produktive Un- cher Begabung bzw. (Leistungs-)Potenziale, kann ruhe versetzt, mehr über bestimmte Themenfelder zu u.E. jedoch eine Orientierungshilfe in einem weiten erfahren (Taber, 2007, S. 10). und diversen Forschungsfeld sein. Während des Erkundens naturwissenschaftlicher Das Projekt LemaS-DiaMINT Sachunterricht ist Teil Phänomene stoßen Wissenschaftler*innen wie auch der LemaS-Initiative und wird mit Mitteln des BMBF Lernende häufig auf Herausforderungen und der na- finanziert (Förderkennzeichen 01JW1801B). turwissenschaftliche Erkenntnisweg weist viele Ähn- lichkeiten mit dem Prozess des Problemlösens auf 5. Literatur (Höner et al., 2017, S. 10). Bei Kindern mit hohen Abels, S., & Brauns, S. (2021). Inklusive Begabungs- Leistungs-)Potenzialen geht man davon aus, dass sie förderung im Chemieunterricht. In C. J. Kiso & S. diesen Prozess kreativ, selbstständig und teilweise Fränkel (Hrsg.), Inklusive Begabungsförderung in unter zu Hilfenahme (für die Lehrkraft) unerwarteter den Fachdidaktiken Diskurse, Forschungslinien Lösungsansätze verfolgen (Sumida, 2010; Taber, und Praxisbeispiele. Julius Klinkhardt. 2007). Die Nutzung eines naturwissenschaftlichen Adamina, M. (2018). Interessen von Schülerinnen Erkenntnisweges und die Anwendung bereichsspezi- und Schülernam Fach und an Themen des Sach- fischer Methoden der Erkenntnisgewinnung stellen unterrichts bzw. Des Fachbereichs Natur, weitere wesentliche Merkmale bzw. möglichen Indi- Mensch, Gesellschaft (NMG). In M. Adamina, M. katoren für das Vorliegen naturwissenschaftlicher Kübler, K. Kalcsics, S. Bietenhard, & E. Engeli Begabung bzw. eines naturwissenschaftlichen Leis- (Hrsg.), „Wie ich mir das denke und vorstelle...“: tungspotenzials dar (Wegner, 2014, S. 223). Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern zu Kinder mit hohen (Leistungs-)Potenzialen weisen zu- Lerngegenständen des Sachunterrichts und des dem häufig ein spezialisiertes Fachwissen in einem Fachbereichs Natur, Mensch, Gesellschaft. Ver- oder mehreren naturwissenschaftlichen Bereichen lag Julius Klinkhardt. auf, das sie oft mit bereits erlernter Fachsprache zum Anders, Y. (2013a). Theoretische Vorannahmen. In Ausdruck bringen (Taber, 2007, S. 11). Y. Anders, I. Hardy, S. Pauen, J. Ramseger, B. An letzter, allerdings nicht abschließender Stelle ist Sodian & M. Steffensky (Hg.), Wissenschaftliche noch die Fähigkeit, vernetzend und abstrakt zu den- Untersuchungen zur Arbeit der Stiftung "Haus der ken als angenommenes Merkmal naturwissenschaft- Kleinen Forscher": Band 5. Wissenschaftliche licher (Leistungs-) Potenziale zu benennen, welches Untersuchungen zur Arbeit der Stiftung "Haus der für die Naturwissenschaften von großer Bedeutung ist kleinen Forscher" (1. Aufl., S. 20–28). SCHUBI (Abels & Brauns, 2021, S. 115). Aufgrund des Alters Lernmedien AG. und des Entwicklungsstandes der Grundschulkinder Anders, Y. (2013b). Zieldimensionen Kinder. In Y. kann aber davon ausgegangen werden, dass sich die- Anders, I. Hardy, S. Pauen, J. Ramseger, B. ses Denken eventuell nur in Ansätzen zeigt, da der Sodian & M. Steffensky (Hg.), Wissenschaftliche Wechsel zwischen der konkreten und der abstrakten Untersuchungen zur Arbeit der Stiftung "Haus der Ebene sehr herausfordernd sein kann (ebd., S.116). Kleinen Forscher": Band 5. Wissenschaftliche Im Projekt LemaS zeigen allerdings auch einige Kin- Untersuchungen zur Arbeit der Stiftung "Haus der der genau dieses Verhalten auf einem für ihre Alters- kleinen Forscher" (1. Aufl., S. 89–116). SCHUBI gruppe überdurchschnittlichen Niveau. Lernmedien AG. 4. Diskussion und Limitation Asbrand, B., & Martens, M. (2018). Dokumentari- sche Unterrichtsforschung. Springer VS. Die hier vorgestellte Modellierung und Beschreibung naturwissenschaftlicher (Leistungs-)Potenziale für Behörde für Arbeit, Soziales, Familie & Integration Kinder im Kita- und Grundschulalter kann - wie an- (BASFI) (2012):. Hamburger Bildungsempfeh- dere Begabungsmodelle auch (Benölken & Veber, lungen für die Bildung und Erziehung von Kin- 2021, S. 49) - nur einen Ausschnitt und eine Verein- dern in Tageseinrichtungen. Hamburg: Freie und fachung des vielschichtigen Phänomens der Hansestadt Hamburg. 69
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