Die Höhenburg ob der Stadt wirkt wieder - Giuliani AG

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Die Höhenburg ob der Stadt wirkt wieder - Giuliani AG
Die Höhenburg ob der
Stadt wirkt wieder

                               Text Raphael Briner    Kalk oder Reinsilikat: Bei Renovationen in der Denkmalpflege stellt sich
                               Bilder Daniel Ritter   die Frag e, welche Beschichtung auf Putzfassaden aufgetragen wird. Dabei
                                                      spielen neben dem Wunsch nach historisch korrekter Materialwahl die Kosten
                                                      eine Rolle. Das Malergeschäft Giuliani AG hat bei der Renovation des Schloss
                                                      Lenzburg beide Beschichtungsstoffe in unterschiedlicher Technik angewandt.

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Die Höhenburg ob der Stadt wirkt wieder - Giuliani AG
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Wer zur Südfassade des im 14. Jahr-          gen, war klimatisch gesehen günstig.       nass aufbürsten. Für einen Anstrich der
hundert erbauten Ritterhauses hinauf-        Im unteren Bereich sei die Fassade al-     400 Quadratmeter messenden Fassade
schaut, kann erahnen, wie mühsam das         lerdings fast zu feucht gewesen, erzählt   brauchten sie 4 bis 5 Stunden.
Gerüsten hier sein muss. Das Gebäude         Leuzinger. Das war nicht ideal, denn es
steht wie das ganze Schloss Lenzburg,        bestand die Gefahr, dass die Bürste        500 Jahre alter Verputz
zu dem es gehört, auf herausgewölbtem        beim Farbauftrag den Putz beschädigt.      Wechseln wir zur im Innenhof gelege-
Muschelsandstein.                                                                       nen Nordfassade des Ritterhauses. Sie
    Weniger zeitraubend, aber mit eini-      Langlebigkeit versus Kosten                weist im oberen Bereich einen Verputz
gen anderen Herausforderungen verbun-      Da sich der zuletzt 1983/84 sanier-          aus der Bauphase um 1509 auf. Das
den war die Renovation der mit Kalk ver-   te Verputz in sehr schlechtem Zustand        ist eine der ältesten erhaltenen Putzflä-
putzten Fassade. «Das ist kein norma-      befand, entschieden die Denkmalpfle-         chen dieser Grösse im ganzen Kanton
ler Deckputz, der aufgezogen wird und      ge und das Architekturbüro Tschudin +        Aargau und deshalb besonders erhal-
nach einem halben Tag geht der Maler       Urech AG, ihn zu entfernen, so original-     tenswert. Aus diesem Grund entschied
a fresco darüber», sagt Daniel Ritter, der getreu wie möglich neu aufzuziehen und       sich die Denkmalpflege, an dieser Fas-
die Arbeiten als Vertreter des Material-   a fresco (nass in nass) zu kalken. Eigent-   sade lediglich die Verputzschäden mit
lieferanten Thymos begleitet hat. Der      lich möchte die Denkmalpflege alte Ver-      einer dem Bestand nachempfundenen
Verputz sei dickschichtig, also mehrere    putze erhalten. Dann muss der Anstrich       Handmischung partiell in Stand stellen
Zentimeter stark, und gleiche von der      allerdings in Seccotechnik, also trocken,    und mit Kalkfarbe a secco beschichten
Struktur her einem Kellenwurf.             aufgebracht werden.                          zu lassen. Solche wertvollen Materiali-
                                               Bei der Frescotechnik läuft der che-     en dürfen selbstverständlich nicht mit
Feuchtigkeit nötig, aber nicht zu viel     mische Prozess der Karbonatisierung ab       dem Hochdruckreiniger gereinigt wer-
Marcel Leuzinger, der Geschäftsführer (siehe auch Artikel ab Seite 16), der die
des ausführenden Malerunternehmens Beschichtung dauerhaft macht. Sie hält
Giuliani AG im aargauischen Wettingen, 40 bis 50 Jahre, während a secco auf
ergänzt: «Bei Kalkputz muss man viel bestehenden Putz aufgetragene Kalk-
wässern, damit es funktioniert.» Des- farbe wegen schwächerer Haftung «sich
halb musste der Baumeister, der den al- nach rund 10 Jahren verabschiedet»,
ten Putz entfernt und einen neuen aufge- wie Ritter sagt. Dies spielte hier inso-
bracht hatte, das Gerüst mit Jute verklei- fern eine Rolle, als es eben an der Süd-
den. Der Stoff wurde bewässert, womit fassade mit ihrem auskragenden «Fel-
an der Fassade das technisch geforder- sensockel» sehr teuer ist, ein Gerüst zu
te feuchte Klima entstand. Dass die Ar- stellen. Deshalb ist ein längerer Reno-
beiten in den nebligen Herbst hineingin- vationsintervall sinnvoll.
                                               Die Fachleute der Giuliani AG trugen
                                           drei Schichten Mytholit Kalkfarbe spezi-
                                           al weiss auf, ein rein mineralisches, lö-
                                           semittelfreies und atmungsaktives Pro-
                                           dukt, das eine matte Oberfläche ergibt.
                                           Die dritte Schicht müsste eigentlich nach
                                           einer Trocknungszeit von 24 Stunden
                                           a secco auf die zwei anderen, a fresco
                                           gestrichenen Schichten appliziert wer-
                                           den. Wegen der grossen Feuchtigkeit
                                           mussten sie die Maler ebenfalls nass in

Oben: Die Landvogtei mit                                                                                      Daniel Ritter (links) und
dem Adler der Habsburger,                                                                                    Marcel Leuzinger vor der
der früheren Besitzer des                                                                               imposante n Südfassade des
Schlosse s.                                                                                                              Ritterhauses.
Grosses Bild auf der linken                                                                                     (Bild: Raphael Briner)
Seite: Der Schlosshof mit
dem Bernerhaus (links) und
dem Ritterhaus (rechts).

                                                                                                      A P P L I C A   3 / 2 0 2 1   25
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                                     Lageplan Schloss Lenzburg

                                    den, denn das würde sie zerstören. «Wir     ren.» Marcel Leuzinger hat den Eindruck,
                                    gingen sehr vorsichtig vor mit Wasser       dass die Denkmalpflege seit einiger Zeit
                                    und Bürste», berichtet Leuzinger, teil-     wieder mehr auf Kalk setzt. «Vielleicht
                                    weise hätten sie den Verputz mit einem      will sie wieder näher an den Originalzu-
                                    Fixativ gefestigt.                          stand, denn vor 500 Jahren gab es noch
                                       Die Herausforderung bei der Be-          keine Mineralfarbe.»
                                    schichtung war die Verbindung von Putz          Eine solche ist die trotzdem oft für
                                    und Kalkfarbe, weil mit der Seccotech-      historische Renovationen eingesetz-
                                    nik keine Karbonatisierung stattfindet.     te Reinsilikat- oder Wasserglasfarbe.
                                    Es droht ein Abblättern wegen zu schwa-     Beeck Reinkristallin, eine 2K-Silikatfar-
                                    cher Haftung. Wie Daniel Ritter erklärt,    be, kam denn auch am Bernerhaus ge-
                                    sei das vor allem bei Überschichtstär-      nannten Gebäude des Schlosses auf
                                    ke der Fall. «Es geht darum, gleichzeitig   dem 1982 renovierten und grossteils
Typisches Bild eines                die Schicht zu reduzieren, die Substanz     noch intakten Kalkputz zum Einsatz.
Kalkputzes nach Ver-                zu erhalten und das Risiko zu minimie-      Reinsilikat wird a secco auf trockenen
witterung. Die Sandkörner                                                       Verputz appliziert.
treten hervor.
                                      Die Renovation                            Sichtbarer Unterschied
                                      Historisch wertvolle Bauwerke werden      Solche a secco gestrichene Silikatpro-
                                      periodisch einer Baukontrolle unter-      dukte sind langlebiger als in der glei-
                                      zogen. Beim Schloss Lenzburg zeigte       chen Technik applizierte, historisch ge-
                                      sich, dass namentlich die Fassaden im     sehen korrekte Kalkfarben. Hier spielte
                                      Bereich der nördlichen Toranlage, am      wie bei der Südfassade des Ritterhau-
                                      Bernerhaus und am Ritterhaus sanie-       ses die Überlegung eine Rolle, dass an
                                      rungsbedürftig waren. Die Renovation      der Nordfassade des Bernerhauses Ge-
                                      erfolgte in vier Etappen (siehe Plan      rüstläufe nur sehr schwierig anzubringen
                                      oben): 2017 Nordtrakt: Nordfassade /      und deshalb teuer sind – was für eine
                                      Nordmauer: nördlicher Bergfried /         Langlebigkeit der Beschichtung spricht.
                                      Landvogtei: Fassaden Nord und Ost.           Eine Ausnahme sind diejenigen
                                      2018 Ritterhaus gesamt und Berner-        Stellen an der Nordfassade des Ber-
                                      haus gesamt, 2019 mittleres Torhaus       nerhauses, die einen historischen Putz
                                      gesamt / Teile von Südturm und Palas.     aus der Zeit um 1700 aufweisen. Hier
                                      Solche Arbeiten erfolgen nach einer       kam, um möglichst nah am Original zu
                                      Voruntersuchung und orientieren sich      bleiben, Kalkfarbe anstatt Reinsilikat
                                      so weit wie möglich am historischen       in Seccotechnik zum Einsatz. Der Un-
                                      Bestand und an traditionellen Hand-       terschied ist sichtbar. Der Kalkanstrich
                                      werkstechniken sowie Materialien.         weist die historisch gesehen typische
                                                                                Fleckigkeit auf, während die Reinsilikat-

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                                                                             an den Fassaden haben ihre Ursache
                                                                             jedoch nicht nur in der Beschaffenheit
                                                                             und Feuchtigkeit der Mauern sowie in
                                                                             den beiden Anstrichsarten. Sie beruhen
                                                                             auch auf der Arbeit von Ina Link, dipl. Kir-
                                                                             chenmalermeisterin, Restauratorin und
                                                                             Farbgestalterin. «Ich lege bei der Farbbe-
                                                                             ratung nicht nur Wert auf eine stimmige
                                                                             Farbgestaltung. Der Schwerpunkt liegt
                                                                             auf der historisch korrekten Farbwahl
                                                                             und den richtigen Farbmaterialien», sagt
                                                                             sie. Auf Schloss Lenzburg entwickelte
                                                                             sie mit der Denkmalpflege, dem Kanton
                                                                             Aargau als Bauherr und dem Architektur-
                                                                             büro ein stimmiges Farbkonzept.
                                                                                 Sie restaurierte zudem die Fassaden-
                                                                             malereien: Adler und Bär an der weit-
                                                                             hin sichtbaren Landvogteifassade, das
                                                                             Berner Wappen stadtseitig wie auch die
An der secco mit Kalk               flächen gleichmässiger und damit «mo- beiden in Stein gehauenen Wappenkar-
beschichteten Nordfassade           derner» anmuten. Hier an Toranlage, tuschen über den Eingängen und das
zeigen sich die feuchten            nördlichem Bergfried, mittlerem Torhaus grosse Zifferblatt im Innenhof.
Stellen deutlich.                   und der Nordfassade des Bernerhauses
                                    ist es windrichtungsbedingt schattig und Früher nur Putz ohne Anstrich
                                    besonders feucht. Beim Kalk hat die Häufig waren solche Burgen ursprünglich
                                    Verwitterung bereits nach einem halben lediglich mit einer Putzfassade ohne zu-
                                    Jahr wieder begonnen. An vorstehenden sätzlichen Anstrich versehen. Die Farbig-
                                    Stellen der Mauer blättert die Farbe ab. keit ergab sich lediglich durch Bindemit-
                                    Diese beiden Phänomene sind wegen tel, weissen Sumpfkalk und Beigabe des
                                    der besonderen Verhältnisse auch beim jeweils regionalen Sandes in rötlichen,
                                    Reinsilikat festzustellen.               gelben oder grauen Farbstufen.
                                        Es fällt auf, dass die Kalkstellen       Die im Laufe der Zeit ausgeführ-
                                    in der Regel dunkler sind als die mit ten Renovationen an den Lenzburger
                                    Reinsilikat gestrichenen, obwohl beide Schlossfassaden zeigten unterschied-
                                    Materialien eine ähnliche Dampfdiffu- liche Putz- und Anstrichuntergründe so-
                                    sionsoffenheit aufweisen und Feuch- wie eine unterschiedliche Farbigkeit von
                                    tigkeit ungefähr im gleichen Mass ab- natürlichen Ockertönen bis zu neuzeit-
                                    sorbieren. Die Farbtonunterschiede lichen, synthetischen Gelbtönen. «Wir

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BEECK·sche
                                             Silikatfarben

                                             Original seit
                                             125 Jahren.
wollten dem Schloss seine ursprüngli-
che Gesamtwirkung zurückgeben, jedoch
die einzelnen Bau- und Umbauphasen
in Farbgebung und Materialwahl berück-
                                             Q   garantiert verkieselungsfähig
sichtigen», erklärt Link. So wurden zwei
                                             Q   hoch atmungsaktiv
Farbtöne festgelegt: Auf die komplett er-
                                             Q   ökologisch – nachhaltig
neuerten und wieder mit Kalkputz verse-
                                             Q   leuchtende Farbtöne
henen Fassaden kam zur Homogenisie-
                                             Q   absolut lichtecht
rung und zum Schutz eine gebrochen-
                                             Q   langlebig und wirtschaftlich
weisse Kalkung a fresco mit Sumpfkalk.

Imposante Wirkung verstärken
Auf die Fassaden, die nur ausgebessert
und gestrichen wurden, erfolgte ein hel-
ler, leicht mit Ocker eingefärbter mine-
ralischer Anstrich. «Ein geschultes Auge
erkennt die leichten farblichen Differen-
zierungen. Die geschlossene und impo-
sante Wirkung der Höhenburg über der
Stadt wurde so wieder wahrnehmbar»,
erklärt Ina Link das Konzept.          ■

                                                      Bezugsquellen:
                                                      Thymos AG
  Die Giuliani AG                                     Niederlenzer Kirchweg 2
  Marcel Leuzinger, eidg. dipl. Malermeis-            CH-5600 Lenzburg
  ter mit Jahrgang 1971, ist Inhaber und              Thymos AG
  Geschäftsführer der Giuliani AG im                  Militärstrasse 34a
                                                      CH-3014 Bern
  aargauischen Wettingen. Das 1978
                                                      Thymos AG
  gegründete Unternehmen gestaltet und
                                                      Zeughausstrasse 52
  bearbeitet Oberflächen in den                       CH-8400 Winterthur
  Bereichen Renovation, Sanierung,
                                                      Thymos AG
  Neubau und Denkmalschutz. Zu den                    Dattenmattstrasse 14
  von Giuliani renovierten Objekten                   CH-6010 Kriens
  gehören unter anderen die Schlösser                 Tel. 062 892 44 44
  Wildegg, Liebegg und Hallwil im Kanton              www.thymos.ch
                                                      info@thymos.ch
  Aargau. Das Unternehmen hat 25 Mitar-
  beitende, wovon 3 Lernende sind.
Die Höhenburg ob der Stadt wirkt wieder - Giuliani AG
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