DOKU 01|11 - Das Kind beteiligen - aber wie? Subjektstellung, Kindeswohl und Elternverantwortung
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Fachtagung des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter, Bundesverband e.V., 3.–5. Juni 2011 in Mainz Dokumentation Das Kind beteiligen – aber wie? Subjektstellung, Kindeswohl und Elternverantwortung DOKU 01|11 Verband alleinerziehender Mütter und Väter Bundesverband e. V.
Dokumentation Das Kind beteiligen – aber wie? Subjektstellung, Kindeswohl und Elternverantwortung
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3 Impressum Herausgeber: Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Bundesverband e. V. (VAMV) Hasenheide 70 10967 Berlin Telefon: (030) 69 59 78-6 Fax: (030) 69 59 78-77 E-Mail: kontakt@vamv.de Internet: www.vamv.de www.die-alleinerziehenden.de Redaktion: Sigrid Andersen Miriam Hoheisel VAMV-Bundesverband Konzept und Gestaltung: Frank Rothe, Büro für Grafische Gestaltung, Berlin Fotos: Titel: Sigrid Andersen Innenteil: Angela Jagenow, privat Druck: Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach © 2012. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung auch auszugsweise, nur mit Genehmigung und Quellennachweis. Die Veranstaltung wurde mit Mitteln des BMFSFJ gefördert.
4 Inhaltsverzeichnis 5 Vorwort der Bundesvorsitzenden Edith Schwab 6 Programm Grußworte 8 Staatsministerin Irene Alt, Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen, Land Rheinland-Pfalz 11 Regine Schuster, stellvertretende Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Landesverbandes Rheinland-Pfalz/Saarland Vor träge 13 Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren Dr. Barbara Schwarz, Erziehungswissenschaftlerin und Juristin, Bremen 28 Zur Anhörung des Kindes. Rechtliche, rechtspolitische und empirische Aspekte sowie rechtspsychologische Betrachtungen Dr. Dipl. Psych. Josef A. Rohmann, Universität Tübingen World Café 52 Wie beteiligen wir Kinder? Impulse und Diskussionen 53 Raum I Kritischer Blick aus Sicht der Richterschaft Heidi Fendler, Familienrichterin, Frankfurt Kritischer Blick aus Sicht der Mediation Dorothea Lochmann, Diplom-Pädagogin, Mediatorin und Ausbilderin (BM/BAFM), Bad Vilbel 55 Raum II Kritischer Blick aus Sicht der Verfahrensbeistandschaft Dr. Andrea Brebeck, Verfahrensbeiständin, Hamburg Kritischer Blick aus Sicht des Jugendamtes Hiltrud Göbel, Sachgebietsleiterin des ASD, Jugendamt Mainz 58 Raum III Kritischer Blick aus Sicht der Sachverständigen Wiebke Wagner, Gutachterin, Berlin Kritischer Blick aus Sicht der Anwaltschaft Angelika Grebner-Eck, Fachanwältin für Familienrecht, Mainz 61 Fazit Das Kind beteiligen – aber wie? Subjektstellung, Kindeswohl und Elternverantwortung 63 Adressen VAMV Landesverbände
Vorwort 5 Liebe VAMV-Mitglieder, Dennoch ist die Sicht des Rechts auf das liebe Alleinerziehende, liebe Leser/innen, Kind immer noch so, dass die Rechte am Kind im Vordergrund stehen und nicht die vor Ihnen liegt die Dokumentation der Rechte des Kindes. Man denke nur an das jährlichen Fachtagung des Verbands Umgangsrecht: Das Instrumentarium zur alleinerziehender Mütter und Väter Durchsetzung des Umgangsrechts für den (VAMV), die dieses Mal vom 3. bis 5. Juni umgangsberechtigten Elternteil ist gerade 2011 in Mainz stattfand. Unter dem auch mit dem FamFG immer ausgefeilter Tagungsthema „Das Kind beteiligen – aber geworden, Ordnungsmittel mit Sanktions- wie? Subjektstellung, Kindeswohl und El- charakter wurden eingeführt. Demgegen- ternverantwortung“ beschäftigte sich un- über steht nur ein ganz allgemeines Anhö- ser Verband mit der Beteiligung von Kin- rungsrecht des Kindes. Und die Rechtspre- dern bei der Neugestaltung der familiären chung hat entschieden, dass das Kind Situation – im Rahmen eines gerichtlichen seinen Anspruch auf Umgang gegenüber Verfahrens – nach der Trennung der Eltern. einem umgangsunwilligen Elternteil im Regelfall nicht durchsetzen kann. Kinder sind von der Trennung ihrer Eltern und den damit einhergehenden Verände- Was dem Wohl des Kindes entspricht, wird rungen in ihrem Leben stark betroffen: durch Erwachsene festgelegt. Dabei Sie müssen mit dem Konflikt ihrer Eltern spielen Leitbilder eine große Rolle. Selbst fertig werden. wenn der Wille des Kindes vermeintlich Sie müssen mit der finanziellen Situation ermittelt wird, etwa durch Anhörung im des Elternteils, bei dem sie leben, zurecht- Verfahren, wird er doch durch Erwachsene kommen. beurteilt. Sie müssen sich mit den Umgangsrege- lungen, die getroffen werden, arrangieren. Auf unserer Fachtagung beschäftigten sich Vielleicht müssen sie auch umziehen. die zwei Hauptvorträge mit den Rechten Vielleicht müssen sie einen oder beide des Kindes im Verfahren und der Praxis Elternteile mit einem neuen Partner oder der Kindesanhörung in Deutschland. Im einer neuen Partnerin teilen. Rahmen dreier World Café Gruppen hatten Kurz, ihre familiäre Situation und oft wir Gelegenheit, im Anschluss an den auch ihre soziale Situation ändern sich kritischen Input erfahrener Praktikerinnen einschneidend. aus Richterschaft, Mediation, Verfahrens- Werden sie aber bei diesen Neugestal- beistandschaft, Jugendamt, Sachverstän- tungen der familiären Situation und der digenwesen und Anwaltschaft die Frage Veränderung ihrer Lebensumstände ange- „Wie beteiligen wir Kinder?“ zu diskutie- messen beteiligt? Dieser Frage sind wir auf ren. unserer Fachtagung nachgegangen. Ich wünsche Ihnen, liebe Leser/innen, eine Die Bedeutung des Kindeswohls als zen- anregende und erkenntnisreiche Lektüre, traler Rechtsfigur ist in den letzten zwei Jahren nochmals gestärkt worden: Durch das Inkrafttreten des neuen Familienver- fahrensgesetzes (FamFG) 2009 und die Rücknahme des deutschen Vorbehalts zur Ihre Bundesvorsitzende UN-Kinderrechtskonvention 2010. Edith Schwab
6 Programm: Das Kind beteiligen – aber wie? Subjektstellung, Kindeswohl und Elternverantwortung Kinder und Jugendliche von Alleinerziehen- nehmlich angenommen und im Alltag den haben größtenteils die Trennung ihrer gelebt werden können? Eltern erlebt. Je nach Alter sind sie vorher, • Welche Beteiligungsformen Dritter während und danach in die unterschied- (Jugendamt, Sachverständige, Verfahrens- lichsten Auseinandersetzungen involviert beistände usw.) sind bekannt und haben – die der Eltern, die mit dem Jugendamt, die sich bewährt? vor Gericht. Nicht nur die Trennung selbst • Gibt es Vorbilder in anderen Ländern, schafft Handlungsbedarf und nicht selten deren nähere Betrachtung einen Erkennt- auch Konflikte, die neue Familienkonstel- nisgewinn für die deutsche Praxis geben lation zu gestalten. Umgangsregelungen, kann? Unterhaltszahlungen, Sorgerechtsentschei- dungen betreffen immer auch die Kinder, Diese Fragen, deren Erörterung und Beant- deren Wohlbefinden ganz erheblich von wortung stehen im Mittelpunkt der VAMV- den Folgen dieser Entscheidungen beein- Fachtagung. Vorträge aus den einschlägigen Miriam Hoheisel flusst werden kann. Professionen, Erfahrungen von Eltern und VAMV-Bundesgeschäftsführerin die kritische Auseinandersetzung damit • Wie kann es Eltern gelingen, unter – oder sollen im Ergebnis dazu führen, Kinder und bewusst ohne – Beteiligung der Kinder Jugendliche angemessen zu beteiligen und und Jugendlichen Regelungen zu finden, evtl. gesetzliche Standards daraus abzulei- die von allen Familienmitgliedern einver- ten. Frei t ag, 3 . Ju n i 2011 16:00-18:00 Begrüßung der Delegierten und Einführung in die Tagung Edith Schwab, VAMV-Bundesvorsitzende 18:00 Grillabend S a m s t a g , 4 . J u n i 2 011 0 9.00 Begrüßung Edith Schwab, VAMV Bundesvorsitzende 9:15 Grußworte: Irene Alt, Ministerin für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Kurt Merkator, Sozialdezernent der Stadt Mainz Regine Schuster, stellvertretende Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Landesverbandes RLP/Saarland
7 Fachvorträge: 9:30 Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familienrechtlichen Verfahren D r. Barbara Schwarz, Erziehungswissenschaftlerin und Juristin, Bremen 10:45 Zur Praxis der Kindesanhörung in Deutschland Dr. Dipl. Psych. Josef A. Rohmann, Universität Tübingen 11:45-12:15 Vorstellung der Referentinnen für das World Café im Plenum 12:15-13:00 World Café: Wie beteiligen wir Kinder? Impulse und Diskussionen 13:00 Mittagspause 14:30-15:15 World Café 15:15-16:00 World Café 16:00-16:30 Präsentation der Ergebnisse aus dem World Café im Plenum 16:30 Kaffeepause 17:00-18:30 Inputs für die VAMV-Politik aus den Workshops, Diskussion 18:30 Abendessen 20:00 Stadtführung Sonntag, 5. Juni 2011 9:00-11:00 Welche Standards können entwickelt werden? Offenes Forum unter Mitwirkung und Leitung der an den Workshops Beteiligten. Moderation: Edith Schwab, VAMV-Bundesvorsitzende 11:00-12:00 Ergebnispräsentation und abschließende Diskussion 12:00 Zusammenfassung der Tagung, Verabschiedung Edith Schwab, VAMV-Bundesvorsitzende
8 Grußwort Staatsministerin Irene Alt, Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen, Land Rheinland-Pfalz Sehr geehrte Frau Schwab, Bedeutung des VAMV für die sehr geehrte Frau Wilwerding, rheinland-pfälzische Familienpolitik sehr geehrte Bundesdelegierte des VAMV, Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Damen und Herren Referentinnen die Zahl der alleinerziehenden Väter und und Referenten, Mütter ist eine bedeutsame Gruppe. Ich will sehr geehrte Damen und Herren, Ihnen nur zwei Zahlen nennen, um dies zu verdeutlichen. In Rheinland-Pfalz lebten ich freue mich, Sie alle heute hier in Mainz 2009 knapp 77.000 Alleinerziehende mit begrüßen zu können und danke Ihnen minderjährigen Kindern. Der Anteil allein- für die Einladung und die Möglichkeit, ein erziehender Mütter an allen Müttern lag in kurzes Grußwort zu sprechen. Rheinland-Pfalz im gleichen Zeitraum bei Irene Alt, Staatsminsterin Ich möchte Ihnen die herzlichsten Grü- rund 23 Prozent. ße unseres Ministerpräsidenten Kurt Beck überbringen. Er hätte Sie sehr gerne emp- Die besondere Situation von Alleinerzie- fangen. Bis Anfang der letzten Woche hat henden erfordert Hilfe und Unterstützung es gut ausgesehen, dass das auch klappen sowie Rücksichtnahme gegenüber ihren würde. Aber da die Bundeskanzlerin die spezifischen Bedürfnissen. Dabei geht es für Ministerpräsidenten kurzfristig zu einem mich insbesondere um die Gestaltung von sogenannten Energiegipfel eingeladen hat, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. war es ihm leider nicht möglich, den Emp- Dies betrifft natürlich zuvorderst die Be- fang auszurichten. reiche, die ich als Ministerin auch zu ver- antworten habe – angefangen von der Kin- Es ist mir eine ganz besondere Freude, als der- und Jugendpolitik über die Frauen- bis neue Familienministerin in Rheinland- hin zur Integrationspolitik. Aber Politik mit Pfalz, die Fachtagung heute mit eröffnen zu und für Alleinerziehende geht weiter darü- dürfen. Ich bin zwar erst seit gut zwei Wo- ber hinaus. Auch bei der Schulpolitik, der chen rheinland-pfälzische Jugend- und Fa- Arbeitsmarktpolitik, der Steuerpolitik und milienministerin, doch ist mir die Jugend- der Sozialpolitik muss es stärker als bisher und Familienpolitik nicht fremd. Viele darum gehen, alleinerziehende Mütter und Jahre lang habe ich als Kreisbeigeordnete Väter in den Fokus zu nehmen. im benachbarten Landkreis Mainz-Bingen Jugend- und Familienpolitik gestaltet und Meine sehr geehrten Damen und Herren, dies aus Überzeugung und mit Herzblut. wenn wir in Rheinland-Pfalz die Politik stärker an dem ausrichten wollen, was al- Aus dieser Zeit kenne ich auch gut die Ar- leinerziehende Mütter und Väter brauchen, beit des VAMV. Und ich schätze die Arbeit dann braucht es dafür eine gute Lobby- des Landesverbandes mit seinen Mitglieds arbeit und wer könnte das besser als der einrichtungen. Der Verband der alleinerzie- VAMV? Der Landesverband vertritt hier in henden Mütter und Väter war schon auf der Rheinland-Pfalz die verbandlichen Interes- kommunalen Ebene für mich ein wichtiger sen von Alleinerziehenden. Er ist für mich Partner, wenn es darum ging, Strukturen Partner und Unterstützer und manchmal für alleinerziehende Mütter und Väter auch Kritiker und Antreiber der Politik. Da- aufzubauen und Hilfe und Förderung ver- mit er dies auch weiterhin tun kann, erhält lässlich zu organisieren. In einem Spektrum der Landesverband seit vielen Jahren eine ganz unterschiedlicher Träger und Anbieter institutionelle Förderung. Und daran soll nimmt der VAMV eine wichtige Rolle ein. sich auch nichts ändern. Von daher freue ich mich, auch weiterhin für diesen Bereich zuständig zu sein.
Grußwort Staatsministerin Irene Alt 9 Neben der verbandlichen Arbeit hat für des familiengerichtlichen Verfahrens neu mich aber auch die direkte Arbeit mit den geregelt und in einer Verfahrensordnung Familien eine besondere Bedeutung. Der zusammengeführt. VAMV berät hier in Mainz seit vielen Jahren Frauen und Männer. Er ist – kurz gesagt – Die 2. Bundestagung zur interdisziplinären ein Servicezentrum für Alleinerziehende. Zusammenarbeit im Familienkonflikt, die Und seit mehr als einem Jahr hat der VAMV im Dezember in Mainz stattfand, hatte sich auch eine eigene Beratungsstelle gemein- vor diesem Hintergrund mit den Facetten sam mit dem Deutschen Kinderschutzbund der Kooperation zum Wohl der Kinder bei und zwar in „meinem alten“ Landkreis. Ich Trennung und Scheidung befasst. kann Ihnen versichern, dass die Arbeit des VAMV gut angenommen wurde und wir sie Die Beteiligung von Kindern und Jugend- brauchen. lichen hat in den vielen regionalen und interdisziplinären Arbeitskreisen Trennung Beteiligung und Kinderrechte und Scheidung in Rheinland-Pfalz eine ho- Meine sehr geehrten Damen und Herren, he Bedeutung. Es geht dabei im Kern immer Sie haben sich ein nicht nur fachlich inte- um die Beantwortung der Frage, wie eine ressantes, sondern auch politisch aktuelles Beteiligung von jungen Menschen aussehen Thema für die Fachtagung gestellt: Die kann, die ihren Wünschen, ihren inneren Perspektive von Kindern bei Trennung und Konfliktlagen und tatsächlichen Belas Scheidung. tungen gerecht wird und sie auch nicht überfordert. Ich möchte zwei Aspekte herausgreifen, die für mich von Bedeutung sind, nämlich die Mein Ziel ist, die Beteiligung von Kindern Themen Beteiligung und Kinderrechte. Bei- und Jugendlichen bei allen Belangen, die de Themen haben im Übrigen auch Eingang ihre Lebenswirklichkeit betreffen, zu stär- in die Koalitionsvereinbarung gefunden ken und strukturell zu sichern. Dies gilt ins- und werden Leitidee der Landespolitik in besondere für die kommunale Ebene, aber Rheinland-Pfalz in den nächsten fünf Jah- auch für die Schulen. Hier geht es darum, ren sein. dass junge Menschen an Entscheidungen, die die Schule betreffen, stärker als bisher Trennung und Scheidung sind immer et- beteiligt werden. Wir sind dabei auf einem was Besonderes, weil sie häufig von hoher guten Weg, aber – und das kann ich aus Emotionalität geprägt sind und Lebensum- meiner kommunalen Erfahrung bestätigen brüche bedeuten. Sie sind auch oft nicht – gerade mit Blick auf den Schulalltag gibt justiziabel; das heißt, sie können auf dem es doch noch einiges zu tun. reinen Gerichtsweg nicht zufriedenstellend und nachhaltig gelöst werden. Dabei ist eine Partizipation von jungen Menschen in allen möglichst einvernehmliche, dauerhafte Lö- gesellschaftlichen Bereichen wird in den sung gerade für die Kinder so wichtig. kommenden Jahren ein wichtiges jugend- und familienpolitisches Anliegen sein. Vor nunmehr knapp zwei Jahren ist das Ge- setz über das Verfahren in Familiensachen Meine sehr geehrten Damen und Herren, und in den Angelegenheiten der freiwilli- Sie werden sich auch ausgiebig mit dem gen Gerichtsbarkeit – kurz das FamFG – in Thema Kinderrechte beschäftigen. Ich stehe Kraft getreten. Dieses Gesetz, in das auch für ein klares Bekenntnis zu den Kinder- Erfahrungen und Anregungen aus Rhein- rechten, wie sie die UN-Kinderrechtskon- land-Pfalz eingeflossen sind, hat weite Teile vention formuliert – so ist es auch im Koa-
10 Grußwort Staatsministerin Irene Alt litionsvertrag formuliert. Die Kinderrechte Die Kosten dafür trägt das Land. Das ist eine sind in Rheinland-Pfalz bereits seit vielen kinder- und familienpolitische richtige und Jahren in der Landesverfassung verankert. notwendige Entscheidung, die gerade auch Das ist der richtige Weg. mit Blick auf Alleinerziehende eine beson- dere Bedeutung hat. Wir werden uns daher mit aller Kraft weiter dafür einsetzen, dass dies auch im Meine sehr geehrten Damen und Herren, Grundgesetz erfolgt. Bremen und Rhein- Sie haben sich ein interessantes Tagungsthe- land-Pfalz hatten bereits 2008 mit einem ma gewählt. Entschließungsantrag die Bundesregierung Ich wünsche Ihnen zwei interessante aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Än- Tage mit Zeit zum Zuhören, Nachdenken derung des Grundgesetzes vorzulegen, in- und Diskutieren und hoffe, dass Sie dann dem die Grundreche der Kinder ausdrück- morgen Abend mit vielen neuen Eindrü- lich normiert werden. Dazu gehören: das cken und Erkenntnissen wieder nach Hause Recht auf Entwicklung und Entfaltung der fahren. Und ich hoffe, dass Sie auch unsere Persönlichkeit, auf eine wachsende Selbst- schöne Landeshauptstadt ein wenig genie- ständigkeit im Rahmen des elterlichen Er- ßen können. ziehungsrechts sowie das Recht auf Schutz im Rahmen gewaltfreier Erziehung. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich werde mich als zuständige Jugend- und Familienministerin dafür einsetzen, dass sich hier auf der Bundesebene endlich etwas bewegt. Und ich würde mich freuen, wenn der VAMV mit seinen Strukturen mich da- bei unterstützen würde. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kinderrechte realisieren sich für mich ins- besondere darin, ob es uns gemeinsam mit den Kommunen und den freien Trägern dauerhaft gelingt, eine bedarfsgerechte Infrastruktur für Kinder, Jugendliche und ihre Familien zur Verfügung zu stellen. Eine bedarfsgerechte Infrastruktur fängt bei der Betreuung der Kleinsten in Krip- pen und Kindertagesstätten an und setzt sich über die allgemeine Förderung der Familien, die Jugendarbeit bis hin zu den Hilfen zur Erziehung und den Kinderschutz fort. Bedarfsgerecht heißt auch, dass wir den unterschiedlichen Lebenslagen und -formen von Familien gerecht werden müssen. Ein wichtiger Schritt in Richtung bedarfsgerechte Infrastruktur haben wir in Rheinland-Pfalz mit der Ausweitung der Beitragsfreiheit auf die gesamte Kindergar- tenzeit seit dem vergangenen Jahr gemacht.
Grußwort Regine Schuster, stellvertretende 11 Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Landesverbandes Rheinland-Pfalz/Saarland Liebe Frau Bundesvorsitzende Schwab, Forderungen als Verband unterstützen und Frau Ministerin Alt, liebe Irene, werden dies auch in Zukunft gerne tun. liebe Frau Landesvorsitzende Orantek, Frau Wilwerding, liebe Monika, Auch heute rücken Sie wiederum mit liebe Delegierte der Landesverbände des Ihrem Thema die Auswirkungen der aktu- Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter, ellen Gesetzgebung in den Mittelpunkt. verehrte Gäste, Ich freue mich, dass es Ihnen als Landes- verband des VAMV gelungen ist, diese sehr lassen Sie mich als stellvertretende Landes- hochkarätige Veranstaltung zu einem sehr geschäftsführerin Ihres Spitzenverbandes anspruchsvollen Thema nach Mainz zu hier in Rheinland-Pfalz/Saarland Sie hier holen. Regine Schuster in Mainz zunächst herzlich begrüßen und Sie in der hiesigen Jugendherberge herzlich Hintergrund sind ja zum einen die UN- willkommen heißen. Kinderrechtskonvention und das noch recht neue Gesetz über das Verfahren in Fami- Ich freue mich, dass diese Veranstaltung liensachen und in Angelegenheiten der hier stattfinden kann, da auch das Jugend- freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) vom herbergswerk zu unseren großen Mitglieds 1. September 2009, das nun seit knapp zwei organisationen im Verband gehört und Jahren in Kraft ist. praktisch Sie hier als Partnerorganisation partnerschaftlich empfängt und bewirtet. Das gerichtliche Verfahren, insbesondere in Familiensachen aber auch in Betreuungs- Bevor ich kurz auf die heutige Veranstal- und Unterbringungssachen, ist nun in einer tung eingehe, möchte ich zunächst deutlich einzigen Verfahrensordnung zusammenge- machen, dass der Verband alleinerziehender fasst worden. Gleichzeitig erfolgten Ände- Mütter und Väter vielleicht nicht zu den rungen in familiengerichtlichen Verfahren. großen umsatz-starken dafür aber sicher zu den laut-starken Organisationen in unserem Unter vielen anderen Regelungen ist eine in Verband zählt, der sich mit deutlicher diesem Kontext m. E. besonders wichtig: die Stimme für die vielen Alleinerziehenden Regelung der sog. Kindschaftssachen (§ 151 in unserem Land (und wir wissen, dass di- FamFG) im Zusammenhang mit Trennung es längst keine Minderheitengruppierung und Scheidung sowie wegen Gefährdung mehr ist) stark macht und die Politik an vie- des Kindeswohls (§§ 1666, 1666a BGB). len Stellen zu mehr sozialer Gerechtigkeit für (Eineltern-)Familien und Geschlechter- Das Gesetzesverfahren bedeutet vielerorts gerechtigkeit anmahnt. einen grundlegenden Wandel der bishe- rigen Praxis und eine Neuausrichtung der Wir danken Ihnen an dieser Stelle für die- Rollen der Familiengerichte, Jugendämter se Stimme, Ihre wertvollen Hinweise und und Beratungsstellen. Impulse, auch im Rahmen von eindrucks- vollen Kampagnen – so auch wieder die nun Das Familiengericht ist verpflichtet, im startende Kampagne zur Mehrwertsteuer- Zusammenhang mit Trennung/Scheidung reduzierung auf Produkte und Dienstleis und Kindeswohlgefährdung einen mög- tungen für Kinder – mit denen Sie auf die lichst „frühen Termin“ in dieser Angele- Schieflage verschiedener gesetzlicher und genheit herbeizuführen. Hier steht im Vor- politischer Entscheidungen aufmerksam dergrund, so früh wie möglich ein solides machen und auf Nachbesserungen hin- Verfahren kooperativ zu gestalten und alle wirken. In vielen Fällen konnten wir Ihre Akteure, insbesondere die Eltern, zu befä-
12 Grußwort Regine Schuster higen, die Eigenverantwortung möglichst früh wieder herzustellen. Alle Akteure, wie Jugendamt, Familiengericht, die Eltern und die Beratungsstellen sollen eine „Verantwor- tungsgemeinschaft“ bilden. Ziel es ist, unter Zusammenführung der jeweiligen Kompetenzen, tragfähige Lö- sungen und nachhaltige Perspektiven zum Wohl des Kindes zu finden. Das ist die Theorie und auch aus Sicht un- seres Verbandes eine durchaus ambitionierte Herangehensweise, zumal es die Prozesse be- schleunigen soll und Kinder stärker in den Mittelpunkt stellen sollte. Hier haben Kinder zwar nun ein Anhörungsrecht, aber immer noch keine eigenen Antragsrechte. Ob dies nun gelungen ist oder wie es ge- lingen kann, Kinder in diesen Prozessen stärker zu beteiligen, soll auf der heutigen Tagung „kritisch“ in den Blick genommen und fachlich intensiv erörtert werden. Heute Nachmittag gibt es viele kritische Bli- cke in World Cafés dazu. Ich wünsche uns allen dazu heute im Sinne der Betroffenen neue Erkenntnisse und inte- ressante Diskussionen. Vielen Dank!
Vortrag Die Idee der Partizipation und die Rechte des 13 Kindes im familiengerichtlichen Verfahren Dr. Barbara Schwarz, Erziehungswissenschaftlerin und Juristin, Bremen Die Idee der Partizipation im Zusammen- Kindeswohls hieße das, sie soweit zu öffnen, hang mit Kindern ist noch relativ neu. Es ist dass sie Artikulationsmöglichkeiten der historisch keineswegs selbstverständlich, Interessen von Kindern durch diese selbst Kinder als „Personen aus eigenem Recht“ zu beinhalten. akzeptieren und wie Michael Honig (Honig 1999) es formuliert „als Subjekte in Entwick- Ausdrücklich hat erst das Bundesverfas- lung“ zu sehen. sungsgericht am 29. 07. 1968 festgestellt, dass Kinder als Grundrechtsträger über eigene Das Verhältnis zwischen Kindern und Er- Menschenwürde und eigenes Recht auf Ent- wachsenen ist ein sich veränderndes, ein faltung ihrer Persönlichkeit gemäß Artikel historisches, kein wie immer verstanden 1 und 2 des Grundgesetzes (GG) verfügen. Dr. Barbara Schwarz „natürliches“. Wann Kindheit und Jugend Schutzgut des Artikel 6 GG (Ehe, Familie, aufhört, wird festgelegt, gegenwärtig mit Kinder) ist die Familie, sind nicht die Kinder. Erziehungswissenschaftlerin und Volljuristin. Tätigkeiten Vollendung des 18. Lebensjahres, mit der Eine allgemeine Verankerung von Kinder- in der Rechtsberatung, als Volljährigkeit. Ab diesem Alter gilt mit der rechten im Grundgesetz, z. B. gefordert von Referatsleiterin im Frauen Ausweisung von Rechten die Konstruktion Renate Künast und Johannes Münder (Kün- ministerium in Niedersachsen, als Beigeordnete in Nordrhein- eines unabhängigen, freien Willens über ast 2008), (Münder 2008) böte u. a. dann eine Westfalen und als Lehrbeauf- den jeder Mensch verfügt, unabhängig Chance, wenn Kinderrechte im Einzelnen tragte im Bereich der Sozialen von der Frage, wie er damit umgeht und soweit gestärkt werden als ihnen z. B. in Arbeit. Wissenschaftliche Schwerpunkte: Interdisziplinäre unabhängig davon, ob oder inwieweit konkreten familienrechtlichen Auseinan- Bezüge in den Bereichen dieser freie Wille beeinflusst ist. Alters- dersetzungen gegenüber dem Elternrecht Recht, Pädagogik, Soziales und grenzen sind nicht nur aus Gründen der ein deutlicheres Gewicht zu käme, sowohl Politik unter Fragestellungen konkreter Lebensbedingungen Praktikabilität erforderlich, sie zeigen, dass im Verfahren (z. B. durch Gewährung ei- in Familie und Kommune. die Zugehörigkeit zu Kindheit und Jugend gener Antragsrechte) als auch hinsichtlich formal durch Erwachsene, durch den Staat materiell rechtlicher Bestimmungen (z. B. bestimmt wird. Kinder und Jugendliche be- ein Verweigerungsrecht von Umgang ab nötigen unstreitig aufgrund der „Entwick- einem bestimmten Lebensalter). lungstatsache“ (Honig 1999) Schutz und den Modus der Fürsorge. Es geht nicht darum, Ein Elternrecht, das stets beide Elternteile Kinder über Partizipationsmöglichkeiten gemeinsam meint, wird dann problema- mit Entscheidungen zu überfordern, son- tisch, wenn diese Eltern nicht oder nicht dern darum, sie unter Beachtung der Modi mehr gemeinsam im Alltag für das Kind von Fürsorge und Verantwortung derer, unmittelbar verantwortlich sind, sondern die für sie zuständig sind, angemessen zu sich zu den einzelnen Elternteilen eigen- beteiligen. ständige Beziehungen unterschiedlicher Form und Intensität herausbilden, die ins- Kinder zu beteiligen bedeutet, sie als Ak- besondere in Konfliktfällen auch rechtlich teure wahrzunehmen und ihren Akteurs- gefasst werden müssen. Unterschiedliche status zu akzeptieren. Die Anerkennung Rechtsbeziehungen zu einzelnen Eltern hat von Kindern als Akteure soll nach Leena es bis zur Gleichstellung zwischen eheli- Alanen nicht nur dazu führen, Kinder als chen und nichtehelichen Kindern gegeben, maßgebende Informationspartner anzu- wobei die Diskriminierung von Nichtehe sehen, vielmehr soll sie eine Konzeptuali- lichkeit zum Schutz der Ehe rechtlich sierung von Kindheit ermöglichen, die die gewollt war. Unter Gleichberechtigungsan- „massive Erwachsenenzentriertheit unseres forderungen unterschiedliche Rechtsbezie- Wissens von Kindheit“ (Alanen 1997) in hungen zu einzelnen Eltern zu entwickeln, Frage stellt und überwindet. Für die Bestim- bedarf einer Anknüpfung an die realen, all- mung von zentralen Begriffen wie die des täglich gelebten Beziehungen zu den einzel-
14 Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren nen Eltern sowie die Berücksichtigung der zu anderen Lebensbereichen, die Kinder mit Selbstpositionierung der Kinder. Die rechtli- den Mitbestimmungsmöglichkeiten in der chen Beziehungen des Kindes als „Subjekt in Familie einverstanden sind, soweit es die so- der Entwicklung“ zu den einzelnen Eltern ziale Familie des alltäglichen Lebens betrifft könnten ausgehend von seiner konkreten (Bundesjugendkuratorium 2009). Lebenslage und eines explizit grundrecht- Fragen von Partizipation in der Familie lich geschützten Persönlichkeitsrechts, werden dann schwieriger, wenn Kinder und dem eigene Artikulationsmöglichkeiten Jugendliche in der gelebten Familie nicht inhärent sind, konkret entwickelt anstatt beiden Eltern gemeinsam gegenübertreten, mit Verweis auf ein allgemeines und ab sondern wenn sich zu dem Elternteil mit straktes Elternrechts bestimmt werden. Bei dem sie gemeinsam den Alltag gestalten einer grundrechtlichen Verankerung von und zu dem familienfernen Elternteil von Kinderrechten im Grundgesetz könnten bei einander unabhängige Beziehungen unter- einer Rechtsgüterabwägung im Konfliktfall schiedlicher Intensität ergeben. Kinderrechte gegenüber den Rechten der einzelnen Eltern gestärkt werden. Familie als gelebte Vielfalt – familiäre Auseinandersetzungen Partizipationsanspruch und konkrete und Krisenbewältigung Beteiligungsmöglichkeiten von Wir wissen, dass Familie zunehmend nicht Kinder- und Jugendlichen mehr als so genannte Normalfamilie gelebt In einer Stellungnahme des Bundesminis wird, dass vielmehr Vielfalt zur familialen teriums für Frauen, Senioren, Frauen und Normalität wird. Nach den neuesten Zahlen Jugend zum Aktionsplan für die Beteiligung lebten 2010 rund 13,1 Millionen minderjäh- von Kindern und Jugendlichen aus dem rige Kinder in Deutschlands Haushalten. Jahr 2008 heißt es: „Kinder und Jugendli- In Westdeutschland lebten 79 Prozent der che haben ein Recht auf Beteiligung. Sie minderjährigen Kinder bei ihren verheira- müssen die Möglichkeit haben, ihre Inte- teten Eltern, der entsprechende Anteil in ressen, Wünsche, Hoffnungen, Ängste und Ostdeutschland beträgt nur 58 Prozent. Hier Probleme überall dort einzubringen, wo war der Anteil der Kinder in Lebensgemein- es um ihre Belange geht. Das gilt für den schaften mit 17 Prozent fast drei Mal so Alltag in der Familie, für die Gestaltung hoch wie im Westen (6 Prozent). des Wohnumfelds, im Kindergarten und in 24 Prozent der ostdeutschen Kinder der Schule. Aber auch in der gesellschaft- wohnten bei einem alleinerziehenden lichen Debatte um die Zukunft unseres Elternteil, im früheren Bundesgebiet waren Gemeinwesens braucht die Stimme von es 15 Prozent (Destatis 2011). Kindern und Jugendlichen einen festen Platz“ (BMFSFJ 2008). In einer Untersuchung des Bundesjugendkuratorium aus dem Jahr 2009 zu „Partizipation von Kindern und Jugendlichen – zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ wird ausdrücklich bedau- ert, dass die Mehrzahl von Kindern und Jugendlichen nicht über ausreichende Be- teiligungsmöglichkeiten in Entscheidungs- prozessen des Alltagslebens im Sinne von Alltagsdemokratie verfügt. Mit Verweis auf eine Studie der Bertelsmannstiftung wird allerdings festgehalten, dass im Unterschied
Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren 15 Teilnehmer/innen der Fachtagung Aus unterschiedlichen Studien wissen wir, über 50 Prozent der so genannten unvoll- dass die gelebte Vielfalt keineswegs mit ständigen Familien einen niedrigen sozialen erhöhten Risiken für die psychische Ent- Status – ist das Gefährdungsrisiko für die wicklung von Kindern verbunden ist. Ein psychische Gesundheit von Kindern aus al- wichtiges Ergebnis einer Studie des Robert- leinerziehenden Familien nicht signifikant Koch-Instituts (RKI) z. B. zur psychischen höher. Das zeigt eindrucksvoll die familiäre Entwicklung von Kindern und Jugend- Leistungsfähigkeit dieser Familienform. Der lichen aus dem Jahr 2007, in der Kinder und Skandal der Armut wird dadurch allerdings Jugendliche erstmalig im großen Umfang nicht abgeschwächt. Eine finanzielle Grund- selbst befragt worden sind, ist, das Kinder absicherung ist zentrale Voraussetzung für und Jugendliche aus „unvollständigen Fa- Partizipation. Sie kann allerdings erst mit milien“ – so heißt es tatsächlich in der sonst Hilfe weiterer partizipatorischer Praktiken, beispielhaften Studie – keinen höheren rechtlicher, formaler, kultureller und insbe- Risiken für ihre psychische Entwicklung sondere kinder- und bildungspolitischer Art ausgesetzt als Kinder und Jugendliche aus so gesellschaftlich real werden. genannten vollständigen Familien (Erhart et al. 2007). Als Hauptrisiko für Gefährdung Auch wenn die Scheidungsforschung und wird in der RKI Studie wie auch in anderen Studien zur psychischen Entwicklung von Studien Armut identifiziert. Das wird auch Kindern und Jugendlichen zeigen, dass durch zahlreiche und vielfältige Untersu- Trennungen langfristig kein generalisier- chungsergebnisse der bundesdeutschen bares Gefährdungspotenzial darstellen, so und internationalen Scheidungsforschung wird auffallend übereinstimmend in den bestätigt (Kostka 2004). Obwohl insbeson- Studien hervorgehoben, dass sich Kinder dere allein erziehende Familien deutlich und Jugendliche in Trennungssituationen ärmer sind als Paare mit Kindern – im Jahre allein gelassen vorkommen und die Situa- 2006 hatten einschließlich öffentlicher tion häufig als „ohnmächtig“ erleben. Hier und nichtöffentlicher Transferleistungen stellt sich die Frage, wie rechtlich kodifi- Paarfamilien 3.897 Euro zur Verfügung, zierte partizipative Praktiken Kinder und Alleinerziehende dagegen nur 1.944 Euro Jugendliche in dieser Krisensituation zu (destatis 2008a), nach der RKI-Studie haben stabilisieren in der Lage sind und wie sie
16 Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren dazu beitragen können, derartige Krisen, vielen Fällen geht es sowohl um das Sorge- die immer mehr zu einem „Normfall“ von recht wie um das Umgangsrecht, es handelt Kindheit werden, in einer Weise zu bewäl- sich in der Regel um hochstreitige Fälle, bei tigen, die ihrer Subjektstellung nicht entge- denen eine außergerichtliche Lösung auch gensteht. trotz öffentlicher Hilfen wie Beratung und Mediation nicht erreicht werden konnte. Wie häufig Fragen der Übertragung der Beschwerde wird gegen die Entscheidungen elterlichen Sorge im Rahmen von Ausei- des Familiengerichts nur selten eingelegt. nandersetzungen über die gemeinsame Bei Fragen des Sorgerechts in 3,8 Prozent der oder alleinige Sorge Gegenstand von fami- Fälle, bei Fragen des Umgangs in 3,5 Prozent liengerichtlicher Entscheidungen sind, ist der Fälle (destatis 2008b). statistisch insofern schwer zu beantworten, als Fragen der Übertragung der elterlichen Das Leitbild der gemeinsamen elter- Sorge auf einen Elternteil oder auf Dritte lichen Sorge und das Hinwirken auf Ein- außerhalb von Scheidungsverfahren nicht vernehmen als Bedingungen setzende differenziert nach Fragen von Sorgerechts Bestandteile des Verfahrensrechts entzug wegen Kindeswohlgefährdung Seitdem nicht mehr die Ehe im Mittelpunkt nach den §§ 1666/1666a BGB und Fragen familienrechtlichen Schutzes steht, weil von Sorgerechtsentscheidungen wegen Familienformen sich ausdifferenziert haben Getrenntleben der Eltern nach § 1671 BGB und unter Gleichstellungsgesichtspunkten unterschieden werden. Statistisch nehmen die Ausgrenzung nichtehelicher Kinder und die Zahlen über Sorgerechts- und Umgangs- deren Mütter nicht aufrecht zu erhalten entscheidungen zu. Richtig ist, dass 2008 im war, ist mit dem Leitbild der gemeinsamen Rahmen von 69.438 Scheidungsverfahren elterlichen Sorge diese zum neuen Schutz- in 88,86 Prozent der Fälle kein Antrag auf gut geworden. Mit Hilfe des im Verfahrens- Übertragung der elterlichen Sorge auf einen recht festgelegten Verfahrensziels – das Hin- Elternteil gestellt worden ist, also nur in wirken auf Einvernehmen – soll sie durch- 7.733 Fällen zu entscheiden war. Zugleich gesetzt werden. Leitbild und Verfahrensziel gab es darüber hinaus insgesamt 32.704 wei- drücken sich nicht nur in den einzelnen tere Verfahren zur Übertragung der elter- Vorschriften aus, sie bestimmen auch deren lichen Sorge, hier allerdings einschließlich Anwendung. der Verfahren nach § 1666 BGB. Festzustel- len ist, dass die Zahl der familiengericht- lich zu entscheidenden Konflikte über die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil oder auf beide Eltern erheblich höher liegt, als die Aussage vermuten lässt, dass bei Scheidungen lediglich in ca. 10 Pro- zent der Fälle ein Antrag auf Übertragung der alleinigen Sorge gestellt wird. Die Datenlage zu Entscheidungen zum Umgang ist deutlich klarer, im Jahre 2008 waren es 44.780 Fälle, einschließlich der Fälle, in denen es um Umgangsfragen im Zusammenhang mit Sorgerechtsentzug wegen Kindeswohlgefährdung ging, wobei diese Fallzahlen allerdings gering sind. In
Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren 17 Auffällig ist, dass die Auswertung der empi- Die Übertragung der elterlichen Sorge auf rischen Forschungsergebnisse zu Scheidung einen Elternteil soll eine Ausnahme bleiben, und Umgang gleichermaßen und im Prin- nur dann möglich, wenn das Kindeswohl zip übereinstimmend zeigen, dass bei Kon- gefährdet ist oder wenn die einzelnen El- flikten zwischen den Eltern gemeinsame tern soweit miteinander zerstritten sind, Sorgewahrnehmung und häufiger Umgang, dass eine Kooperations- Kommunikationsfä- was vielfältige Absprachen verlangt, die higkeit nicht mehr vorhanden ist. Kinder eher belastet, als dass das geeignete Instrumente wären, entspannte Situationen Ohne Beachtung empirischer Befunde und des Aufwachsens zu ermöglichen. Zu diesen erst Recht ohne die Wahrnehmung von Ergebnissen kommen auch Wissenschaftler Kindern und Jugendlichen als Mitakteuren wie z. B. Fthenakis, der sich von Beginn der des Geschehens wird eine Idealform prokla- Diskussion an als Befürworter der gemein- miert, die ohnehin nicht im Alltag gegen samen elterlichen Sorge und umfassender den Willen der Akteure gelebt werden Umgangsregelungen profiliert hat (Fthena- kann, was auch im Recht durch die Tren- kis 2008). In der Rechtsliteratur werden nung von alltäglicher Sorge und Sorge in diese evidenten Forschungsergebnisse Angelegenheiten, die für das Kind von er- überwiegend nicht bestritten. Die Schlüs- heblicher Bedeutung sind (§ 1687 BGB Aus- se, die daraus gezogen werden, berühren übung der elterlichen Sorge bei Getrennt jedoch nicht das Konstrukt der „Idealform“ leben), anerkannt wird. gemeinsamer elterlicher Verantwortungs übernahme. Die gemeinsame elterliche Sor- Unter pädagogischen und psychologischen ge setzt keinen übereinstimmenden Eltern- Aspekten ist es nicht vorstellbar, dass willen voraus, ihr Bestand (oder neu nach Entscheidungen ohne mehrmalige, aus- der BVerfG Entscheidung vom 21.07.2010 führliche diskursive Aussprachen und Ab- ihr Gewähr) unterliegt der gerichtlichen wägungen getroffen werden können. Recht- Entscheidung. Selbst wenn die wesentlichen lich ist dagegen eine Antwort gefunden Aussagen der Risiko- und Scheidungsfor- worden. Die Eltern untereinander und nur schung nicht ignoriert werden, wenn es, die Eltern werden zum Einvernehmen ver- wie von Michael Coester in einem maßgeb- pflichtet. Diese Verpflichtung soll über die lichen Kommentar zum Bürgerlichen Ge- Ausgestaltung von Beratungshilfen und Me- setzbuch (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB diationen sowie durch verfahrensrechtliche 2009 Rn 115) konzediert wird , es „noch“ kei- Vorschriften durchgesetzt werden. Dass ne empirischen Belege dafür gibt, dass das dieser Anspruch nicht zu partizipatorischen Kindeswohl am besten in der Sorgerechts- Praktiken von Kindern und Jugendlichen form der gemeinsamen elterlichen Sorge führt, ist evident, er führt vielmehr zu Ent- zur Geltung kommt, heißt es, dass „verant- scheidungen über die Köpfe der Kinder und wortliches Zusammenwirken der Eltern Jugendlichen hinweg und zu den in em- zum Wohle ihres Kindes auch nach ihrer pirischen Untersuchungen beschriebenen persönlichen Trennung verfassungsrecht- Ohnmachtsgefühlen lich wie auch rechtsethisch als Idealform elterlichen Verhaltens betrachtet werden In der Broschüre „Eltern bleiben Eltern“, die (muss), der generell-abstrakt der Vorrang unterstützt vom BMFSFJ in 16. Auflage in 2,5 vor anderen Sorgegestaltungen zukommt.“ Millionen Exemplaren erschienen ist, heißt Mit dieser Überzeugung wird legitimiert, es: „Fest steht, dass Kinder dann am ehesten dass allgemein eine gemeinsame elterliche eine Trennung verkraften können, wenn Sorge auch ohne übereinstimmenden El- diese Zusammenarbeit (der Eltern) gelingt“ ternwillen dem rechtsethischen Ideal dient. (S. 5) und „Für Ihr Kind ist es wichtig, Sie
18 Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren beide als Eltern zu behalten“ (Lederle von zwischen Paar- und Elternebene sei mög- Eckardstein et al. 2010). Aus dem Bereich der lich, verleugne die Realität schreibt Barone, Erziehung- und Sozialwissenschaften gibt es „die unvermeidbaren, komplexen und sehr zwar für derartig generalisierende Aussagen mächtigen Zusammenhänge zwischen keine empirisch abgesicherten Belege, recht- zwei angeblich ungleichartigen Welten von lich entspricht diese Vorstellung jedoch dem „Paar-Ebene“ und „Eltern-Ebene“ (Barone Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge. 2008). Im Gesetz über das Verfahren in Fami- Doris Bühler-Niederberger weist darauf hin, liensachen und in Angelegenheiten der dass die „naive Ideologie des im Regelfall freiwilligen Gerichtsbarkeit in Kraft seit möglichen Einvernehmens die Tragweite dem 01.09. 2009 ist dieser Grundsatz des von Scheidungen unterschätzt. Hier dürfe Hinwirkens auf Einvernehmen in § 156 es sich um ein Zerrbild der Familienwirk- FamFG festgelegt. Das Gericht soll in jeder lichkeit handeln. Dass sich Eltern nicht nur Lage des Verfahrens auf Einvernehmen hin- trotz, sondern auch gerade wegen ihrer wirken, wenn das dem Kindeswohl nicht Elternschaft zerstreiten können, weil der widerspricht, was in der Regel nur bei Kin- Partner oder die Partnerin sich ihrer An- deswohlgefährdungen angenommen wird. sicht nach dem Kind gegenüber ungünstig Einvernehmen soll mit unterschiedlichen verhält, unzuverlässig oder ungeduldig ist, Maßnahmen, z. B. nach dem Cochemer Mo- weil man sie oder ihn dem Kind nicht zu- dell durchgesetzt werden. muten möchte, weil die Eltern fundamen- tal anderer Ansicht darüber sind, worauf Mit der verfahrensrechtlichen Zielsetzung Kinder denn durch Erziehung in welcher Einvernehmen herzustellen, ist eine gute Weise vorzubereiten seien – all solche Streit Trennung oder Scheidung eine einver- ursachen werden damit negiert resp. als nehmliche. Die Behauptung, eine Trennung Ausnahmefälle zugelassen“ (Bühler 2011).
Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren 19 Von Joseph Salzgeber, dem psychologischen Im neuen FamFG (in Kraft seit dem Experten in Gutachterfragen, stammt im 01.09.2009) ist die Verfahrensfähigkeit von Zusammenhang mit der Einvernehmens- Kindern und Jugendlichen ab Vollendung verpflichtung folgende lebenserfahrene des 14. Lebensjahres neu geregelt (§ 9 Abs. 1 Aussage: Die Auffassung, zum Streit gehö- Nr. 3 FamFG), aber mit der Einschränkung, ren immer zwei, sei trügerisch, zum Vertra- dass sie nur dann über eine volle Verfah- gen gehören zwei, zum Streiten reicht einer. rensfähigkeit verfügen, wenn sie nach bürgerlichem Recht ein ihnen zustehendes Die Konstruktion der gemeinsamen elter- Recht geltend machen können. lichen Sorge als rechtsethische Norm Und im materiellen Familienrecht verfü- und die damit verbundene Verpflichtung gen Kinder und Jugendliche ebenso wie im zum Einvernehmen verfolgt offenbar mehr Jugendhilferecht weitgehend über keine als eine mögliche rechtliche Regelung eigenen Rechte, die sie selbst wahrnehmen anz ubieten. Vielmehr soll mit dieser Kon- können. Eine Ausnahme bildet lediglich struktion eine Ordnungsvorstellung durch- der § 1671 Abs. 2 Ziffer 1 BGB nach dem ein gesetzt werden, die eher an traditionelle Jugendlicher ab dem 14. Lebensjahr dem An- „unlösbare“ Vorstellungen von Ehe an- trag eines Elternteils auf Übertragung der knüpft als Regelungsvielfalt entsprechend alleinigen Sorge widersprechen kann, auch der unterschiedlich gelebten Lebensformen wenn der andere Elternteil dem Antrag zu- zu ermöglichen. Ein Kindeswohlbegriff, der stimmt. Das Kind oder der Jugendliche kann in den Dienst dieses Leitbildes gestellt ist, ist weder einem Antrag auf Übertragung der erwachsenen-, d. h. elternorientiert, er abs gemeinsamen Sorge auf beide Elternteile trahiert von den Interessen der Kinder und zustimmen oder ihm widersprechen noch Jugendlichen und nimmt den Gedanken einem Antrag auf Übertragung der allei- der Partizipation nicht auf. nigen elterlichen Sorge ohne Zustimmung des anderen Elternteils. Das Kind oder der Die Rechte des Kindes bzw. Jugendlichen Jugendliche hat auch nicht die Möglichkeit, im familiengerichtlichen Verfahren aus eigenem Recht Anträge hinsichtlich sei- Materielles Recht und Verfahrensrecht nes gewünschten Aufenthalts zu stellen. Generell sind die einzelnen Rechtsansprü- che im materiellen Recht festgelegt. Die Noch deutlicher wird das Fehlen materiel- verfahrensrechtlichen Bestimmungen, die ler Rechte im Umgangsbereich. In den sehr in Verfahrensgesetzen normiert sind, regeln differenzierten Regelungen zum Umgang, die Grundsätze, nach denen die Verfahren in denen die Rechte des umgangsberech- durchzuführen sind. Wobei gerade die Art tigten Elternteils angegeben werden, ge- und Weise des Verfahrens Auswirkungen gebenenfalls unter Inanspruchnahme von darauf hat, wie und inwieweit die Verfah- begleitetem Umgang oder eines Umgangs- rensbeteiligten ihre Rechte wahrnehmen pflegers den Umgang durchzusetzen, mit können. Darüber hinaus sind selbstständige dem für diesen Bereich das Sorgerechts des Verfahrensrechte möglich, die z. B. die Elternteisl eingeschränkt wird, bei dem das Rechtsstellung von Beteiligten oder Ande- Kind lebt, werden die Rechte des Kindes nur ren, z. B. Zeugen, ausweisen. Das Gesetz über insoweit erwähnt, als Umgang ausgeschlos- die freiwillige Gerichtsbarkeit gilt als betei- sen oder eingeschränkt werden kann, wenn ligtenfreundlich, es gibt keine Parteien, son- das Kindeswohl durch den Umgang gefähr- dern Beteiligte, denen in besonderer Weise det werden würde. Kinder und Jugendliche rechtliches Gehör gewährt wird. Es gilt der haben nicht das Recht, Umgang zu verwei- Grundsatz, dass der Richter Herr des Verfah- gern oder auf dessen Gestaltung Einfluss rens ist und die Untersuchungen leitet. zu nehmen. Es gibt z. B. nicht die Regelung,
20 Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren dass gegen den Willen eines Kindes ab dem einen Vertreter oder eine geeignete Stelle 12. oder 14. Lebensjahr kein Umgang mit im Einklang mit den innerstaatlichen Ver- dem familienfernen Elternteil angeordnet fahrensvorschriften gehört zu werden.“ Die werden darf oder dass eine Umgangsrege- Ausgestaltung des Mitwirkungsgedankens lung ab dem 10. oder 12. oder 14. Lebens- als Einräumung von rechtlichem Gehör gilt jahr der Zustimmung des Kindes bedarf. allerdings als Mindestanforderung. Das Umgangsrecht ist materiellrechtlich ausschließlich als Elternrecht ausgestaltet. Ein Kind oder Jugendlicher ist erst ab Das Recht des Kindes auf Umgang bleibt Vollendung des 14. Lebensjahres verpflich- insofern abstrakt als nach der – wirklich- tend anzuhören. Allerdings hat das BVerfG keitsnahen – Entscheidung des BVerfG vom in seiner Entscheidung vom 20.09.06 inso- 01.04. 2008 der Vollzug des Umgangs nicht weit Maßstäbe gesetzt, als eine fehlende durchgesetzt werden kann. Anhörung auch eines jüngeren Kindes rechtsfehlerhaft ist. Unterhalb des Anhö- Angesicht praktisch nicht vorhandener ma- rungsrechts haben Kinder und Jugendliche terieller Rechte wird Kindern und Jugend- ohne Altersbegrenzung ein Informations- lichen eben nicht eine volle Verfahrensfä- recht, soweit für sie keine Nachteile zu higkeit für alle ihre Person betreffenden befürchten sind. Wie dieses Recht prak- Verfahren zugestanden, die es ihnen er- tiziert wird, obliegt dem Gericht. Ziel der möglichen würde, selbstständig Anträge zu Anhörung ist, den Willen des Kindes zu stellen. Eigenständige Antragsrechte hätten erkunden. auch ohne korrespondierende materielle Rechte in das FamFG aufgenommen werden Das Konzept des Kindeswillens können. In Psychologie und Pädagogik hat sich ein Konzept des Kindeswillens etabliert, das Im Ergebnis hat die Verfahrensrechtsreform dem Autonomiegedanken verpflichtet ist. nicht zu einer deutlichen Verbesserung der Für Maud Zitelmann wird der Wille des Rechtsstellung von Kindern und Jugend- Kindes als „Manifest der kindlichen Selbst- lichen im Verfahren geführt, obwohl die bestimmung“ ebenso gesehen wie als „Indi- „Verstärkung der Beteiligungs- und Mitwir- kator“ von Bindungen an andere Menschen kungsrechte betroffener Kinder“ (BT-Drs. und Beziehungen zu ihnen (Zitelmann 16/6308 07.09. 2007) erklärtes Ziel der Reform 2001). Für Harry Dettenborn ist der Wille war. Das sollte insbesondere über eine Kon- des Kindes „ein Baustein zur Selbstwerdung kretisierung der Regelungen über die persön- des Kindes, Bestätigung des Subjektseins liche Anhörung des Kindes erfolgen, denn und Beweis für Selbstwirksamkeitsbezeu- die Rechte des Kindes im Verfahren sind gungen“. Nach diesem Autonomiekonzept lediglich als Anhörungsrechte konzipiert. wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass Fremdeinflüsse an der Formierung des Wil- Die Ausgestaltung des Rechts des Kindes lens beteiligt sind (Dettenborn 2007). Grund- im Verfahren als Anhörungsrecht sätzlich könnten auch kleine Kinder ihren Die Ausgestaltung des Beteiligungsrechts Willen zum Ausdruck bringen. Dettenborn als Anhörungsrecht entspricht auch dem kritisiert die in der Rechtsprechung übliche Anspruch der UN-Kinderrechtskonvention Differenzierung der Beachtung des Kindes- (UN-KRK). Wörtlich heißt es in Art. 12 Abs. willens nach Alterstufen. 2 UN-KRK „dem Kind (wird) insbesondere In der Literatur werden folgende mög- Gelegenheit gegeben, in allen das Kind be- liche Beeinträchtigungen des Kindeswillen rührenden Gerichts- oder Verwaltungsver- beschrieben, die dazu führen, ihn rechtlich fahren entweder unmittelbar oder durch nicht oder nur eingeschränkt zu beachten.
Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren 21 Der selbstgefährdende Kindeswille stehenden Kindeswillen zu entscheiden, Für Dettenborn sind interne Faktoren kann für das Kind zu „Hilflosigkeit, Ohn- (erhöhte Vulnerabilität, Traumatisierungs- machtsgefühlen und Selbstwertlabilität“ erlebnisse, Angst-Bindungen, Überforde- führen. Dettenborn spricht von einem rung im Erwachsenenstreit) und externe Dilemma und hält eine differenzierte Risi- Faktoren (dauerhafte Belastung des Kindes koabwägung für notwendig, wobei es bei und mangelnde Befriedigung angemessener fehlerhafter Risikoabwägung zu „sekundär- Bedürfnisse) dafür ursächlich, dass es zu er Kindeswohlgefährdung“ kommen könne, einem Kindeswillen kommen kann, dessen deren Folgen zu Lasten der Kinder und der Befolgen „Lebensverhältnisse herstellen betroffenen Erwachsenen gingen (Detten- würde, die im Missverhältnis zur objektiven born 2007). Bedürfnislage des Kindes stehen“. Unbestrit- ten ist, dass an die Bewertung des Kindes- Es scheint nicht mehr notwendig zu sein, willens in Kinderschutzverfahren wegen sich ausdrücklich mit dem PAS-Konzept eines möglicherweise selbstgefährdenden befassen, das über ein Jahrzehnt nicht nur Kindeswillens andere Anforderungen zu in der Literatur diskutiert wurde, sondern stellen sind als in Verfahren, in denen keine auch in der Rechtsprechung in großen Kindeswohlgefährdung vorliegt. In Kinder- Umfang angewandt worden ist – in der schutzsachen, also wenn ein Schutzbedarf Datenbank juris habe ich noch im Januar für das Kind indiziert ist, „kann sich die 2010 1.873 Eintragungen in der Rechtspre- Bedeutung des Kindeswillens zugunsten der chung gefunden, in dieser Woche nur noch objektiven Interessen reduzieren“. Aber das 413. Nach ihm sollten bei Trennungs- und kann meiner Ansicht nach ausschließlich Umgangskonflikten vor allem Mütter ihre für Kinderschutzsachen, also bei Kindes- Kinder soweit systematisch beeinflusst wohlgefährdung im Sinne des § 1666 BGB haben, als Kindern keine eigenen Willenäu- der Fall sein. Ein selbstgefährdender Kin- ßerungen mehr möglich waren, sie Kontakt deswille setzt eine Kindeswohlgefährdung zum Vater quasi ablehnen „mussten“. Die voraus, wenn das Konzept des Kindeswillens wissenschaftliche Kritik an diesem Konzept den Gedanken der Autonomie ernst nimmt. war und ist überzeugend. Die Protagonisten Es ist daher nicht nur psychologisch, son- des Konzepts, vor allem die Väterverbände, dern auch rechtlich problematisch, wenn haben den Namen inzwischen selbst auf- in Umgangs- oder Sorgerechtssachen mit gegeben. Stattdessen werden die Begriffe einem selbstgefährdenden Kindeswillen „induzierter“ Kindeswillen und mangelnde argumentiert wird (Saarländisches Oberlan- Bindungstoleranz des betreuenden Eltern- desgericht 13.01. 2009). teils, in der Regel der Mutter, verwendet. Begriffe, denen mit gleicher Vorsicht zu be- Der induzierte Kindeswille gegnen sind, da sich hinter ihnen inhaltlich Die Beeinflussung von Kindern bzw. ihres das PAS-Konzept verbirgt. Willens und ihrer Einstellungen stellt für Den Kindeswillen zu erkunden ist im Harry Dettenborn eine „Begleiterscheinung familiengerichtlichen Verfahren vor allem familienrechtlicher Konflikte“ dar. Er Aufgabe des Verfahrensbeistands. diskutiert die streitige Frage, ob es gerecht- fertigt ist, die so entstandenen Willensbe- Der Verfahrensbeistand kundungen als weniger bedeutsam einzu- Das Rechtsinstitut des Verfahrenspflegers, schätzen. Wenn infolge einer Induzierung auch Anwalt des Kindes genannt, wurde neue psychische Realitäten entstanden sind, im neuen Verfahrensrecht zum Verfah- sind sie nicht „als bloße Spiegelung fremder rensbeistand ausgebaut. Zur Verfahrens- Einflüsse abzuwerten“. Gegen den dahinter pflegschaft gibt es umfangreiche Literatur,
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