DOKU 01|11 - Das Kind beteiligen - aber wie? Subjektstellung, Kindeswohl und Elternverantwortung

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Fachtagung des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter,
Bundesverband e.V., 3.–5. Juni 2011 in Mainz

              Dokumentation

Das Kind beteiligen – aber wie?
    Subjektstellung, Kindeswohl
und Elternverantwortung

                                             DOKU 01|11
Verband alleinerziehender Mütter und Väter
Bundesverband e. V.
Dokumentation

Das Kind beteiligen – aber wie?
Subjektstellung, Kindeswohl und Elternverantwortung
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Impressum

Herausgeber:
Verband alleinerziehender Mütter und Väter,
Bundesverband e. V. (VAMV)
Hasenheide 70
10967 Berlin
Telefon: (030) 69 59 78-6
Fax: (030) 69 59 78-77
E-Mail: kontakt@vamv.de
Internet: www.vamv.de
                www.die-alleinerziehenden.de

Redaktion:
Sigrid Andersen
Miriam Hoheisel
VAMV-Bundesverband

Konzept und Gestaltung:
Frank Rothe, Büro für Grafische Gestaltung, Berlin

Fotos:
Titel: Sigrid Andersen
Innenteil: Angela Jagenow, privat

Druck:
Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach

© 2012. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck
und Vervielfältigung auch auszugsweise, nur
mit Genehmigung und Quellennachweis.

Die Veranstaltung wurde mit Mitteln des
BMFSFJ gefördert.
4        Inhaltsverzeichnis

     5   Vorwort der Bundesvorsitzenden Edith Schwab

    6    Programm

         Grußworte
    8    			                Staatsministerin Irene Alt, Ministerium für Integration,
         			                Familie, Kinder, Jugend und Frauen, Land Rheinland-Pfalz

    11   			                Regine Schuster, stellvertretende Landesgeschäftsführerin
         			                des Paritätischen Landesverbandes Rheinland-Pfalz/Saarland

         Vor träge
    13   		                 Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im
         			                familiengerichtlichen Verfahren
         			                Dr. Barbara Schwarz, Erziehungswissenschaftlerin und Juristin, Bremen

    28   			                Zur Anhörung des Kindes.
         			                Rechtliche, rechtspolitische und empirische Aspekte sowie
         			                rechtspsychologische Betrachtungen
         			                Dr. Dipl. Psych. Josef A. Rohmann, Universität Tübingen

         World Café
    52    			               Wie beteiligen wir Kinder?
         			                Impulse und Diskussionen

    53   Raum I 			         Kritischer Blick aus Sicht der Richterschaft
         			                Heidi Fendler, Familienrichterin, Frankfurt
         			                Kritischer Blick aus Sicht der Mediation
         			                Dorothea Lochmann, Diplom-Pädagogin, Mediatorin und
         			                Ausbilderin (BM/BAFM), Bad Vilbel

    55   Raum II			         Kritischer Blick aus Sicht der Verfahrensbeistandschaft
         			                Dr. Andrea Brebeck, Verfahrensbeiständin, Hamburg
         			                Kritischer Blick aus Sicht des Jugendamtes
         			                Hiltrud Göbel, Sachgebietsleiterin des ASD, Jugendamt Mainz

    58   Raum III			        Kritischer Blick aus Sicht der Sachverständigen
         			                Wiebke Wagner, Gutachterin, Berlin
         			                Kritischer Blick aus Sicht der Anwaltschaft
         			                Angelika Grebner-Eck, Fachanwältin für Familienrecht, Mainz

    61   Fazit			           Das Kind beteiligen – aber wie?
         			                Subjektstellung, Kindeswohl und Elternverantwortung

    63   Adressen			        VAMV Landesverbände
Vorwort                                                                                      5

Liebe VAMV-Mitglieder,                         Dennoch ist die Sicht des Rechts auf das
liebe Alleinerziehende, liebe Leser/innen,     Kind immer noch so, dass die Rechte am
                                               Kind im Vordergrund stehen und nicht die
vor Ihnen liegt die Dokumentation der          Rechte des Kindes. Man denke nur an das
jährlichen Fachtagung des Verbands             Umgangsrecht: Das Instrumentarium zur
alleinerziehender Mütter und Väter             Durchsetzung des Umgangsrechts für den
(VAMV), die dieses Mal vom 3. bis 5. Juni      umgangsberechtigten Elternteil ist gerade
2011 in Mainz stattfand. Unter dem             auch mit dem FamFG immer ausgefeilter
Tagungsthema „Das Kind beteiligen – aber       geworden, Ordnungsmittel mit Sanktions-
wie? Subjektstellung, Kindeswohl und El-       charakter wurden eingeführt. Demgegen-
ternverantwortung“ beschäftigte sich un-       über steht nur ein ganz allgemeines Anhö-
ser Verband mit der Beteiligung von Kin-       rungsrecht des Kindes. Und die Rechtspre-
dern bei der Neugestaltung der familiären      chung hat entschieden, dass das Kind
Situation – im Rahmen eines gerichtlichen      seinen Anspruch auf Umgang gegenüber
Verfahrens – nach der Trennung der Eltern.     einem umgangsunwilligen Elternteil im
                                               Regelfall nicht durchsetzen kann.
Kinder sind von der Trennung ihrer Eltern
und den damit einhergehenden Verände-          Was dem Wohl des Kindes entspricht, wird
rungen in ihrem Leben stark betroffen:         durch Erwachsene festgelegt. Dabei
Sie müssen mit dem Konflikt ihrer Eltern       spielen Leitbilder eine große Rolle. Selbst
fertig werden.                                 wenn der Wille des Kindes vermeintlich
Sie müssen mit der finanziellen Situation      ermittelt wird, etwa durch Anhörung im
des Elternteils, bei dem sie leben, zurecht-   Verfahren, wird er doch durch Erwachsene
kommen.                                        beurteilt.
Sie müssen sich mit den Umgangsrege-
lungen, die getroffen werden, arrangieren.     Auf unserer Fachtagung beschäftigten sich
Vielleicht müssen sie auch umziehen.           die zwei Hauptvorträge mit den Rechten
Vielleicht müssen sie einen oder beide         des Kindes im Verfahren und der Praxis
Elternteile mit einem neuen Partner oder       der Kindesanhörung in Deutschland. Im
einer neuen Partnerin teilen.                  Rahmen dreier World Café Gruppen hatten
Kurz, ihre familiäre Situation und oft         wir Gelegenheit, im Anschluss an den
auch ihre soziale Situation ändern sich        kritischen Input erfahrener Praktikerinnen
einschneidend.                                 aus Richterschaft, Mediation, Verfahrens-
Werden sie aber bei diesen Neugestal-          beistandschaft, Jugendamt, Sachverstän-
tungen der familiären Situation und der        digenwesen und Anwaltschaft die Frage
Veränderung ihrer Lebensumstände ange-         „Wie beteiligen wir Kinder?“ zu diskutie-
messen beteiligt? Dieser Frage sind wir auf    ren.
unserer Fachtagung nachgegangen.
                                               Ich wünsche Ihnen, liebe Leser/innen, eine
Die Bedeutung des Kindeswohls als zen-         anregende und erkenntnisreiche Lektüre,
traler Rechtsfigur ist in den letzten zwei
Jahren nochmals gestärkt worden: Durch
das Inkrafttreten des neuen Familienver-
fahrensgesetzes (FamFG) 2009 und die
Rücknahme des deutschen Vorbehalts zur         Ihre Bundesvorsitzende
UN-Kinderrechtskonvention 2010.                Edith Schwab
6          Programm: Das Kind beteiligen – aber wie?
                     Subjektstellung, Kindeswohl und
                     Elternverantwortung

                                   Kinder und Jugendliche von Alleinerziehen-         nehmlich angenommen und im Alltag
                                   den haben größtenteils die Trennung ihrer          gelebt werden können?
                                   Eltern erlebt. Je nach Alter sind sie vorher,   • Welche Beteiligungsformen Dritter
                                   während und danach in die unterschied-             (Jugendamt, Sachverständige, Verfahrens-
                                   lichsten Auseinandersetzungen involviert           beistände usw.) sind bekannt und haben
                                   – die der Eltern, die mit dem Jugendamt, die       sich bewährt?
                                   vor Gericht. Nicht nur die Trennung selbst      • Gibt es Vorbilder in anderen Ländern,
                                   schafft Handlungsbedarf und nicht selten           deren nähere Betrachtung einen Erkennt-
                                   auch Konflikte, die neue Familienkonstel-          nisgewinn für die deutsche Praxis geben
                                   lation zu gestalten. Umgangsregelungen,            kann?
                                   Unterhaltszahlungen, Sorgerechtsentschei-
                                   dungen betreffen immer auch die Kinder,         Diese Fragen, deren Erörterung und Beant-
                                   deren Wohlbefinden ganz erheblich von           wortung stehen im Mittelpunkt der VAMV-
                                   den Folgen dieser Entscheidungen beein-         Fachtagung. Vorträge aus den einschlägigen
    Miriam Hoheisel                flusst werden kann.                             Professionen, Erfahrungen von Eltern und
    VAMV-Bundesgeschäftsführerin                                                   die kritische Auseinandersetzung damit
                                   • Wie kann es Eltern gelingen, unter – oder    sollen im Ergebnis dazu führen, Kinder und
                                      bewusst ohne – Beteiligung der Kinder        Jugendliche angemessen zu beteiligen und
                                      und Jugendlichen Regelungen zu finden,       evtl. gesetzliche Standards daraus abzulei-
                                      die von allen Familienmitgliedern einver-    ten.

                                   Frei t ag, 3 . Ju n i 2011

                                   16:00-18:00		Begrüßung der Delegierten und Einführung in die Tagung
                                                  Edith Schwab, VAMV-Bundesvorsitzende

                                           18:00	Grillabend

                                   S a m s t a g , 4 . J u n i 2 011

                                   0 9.00 		Begrüßung
                                   			Edith Schwab, VAMV Bundesvorsitzende

                                    9:15   Grußworte:
                                   		Irene Alt, Ministerin für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen
                                           Kurt Merkator, Sozialdezernent der Stadt Mainz
                                         	Regine Schuster, stellvertretende Landesgeschäftsführerin des
                                           Paritätischen Landesverbandes RLP/Saarland
7

Fachvorträge:

         9:30	Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes
               im familienrechtlichen Verfahren
             	D r. Barbara Schwarz, Erziehungswissenschaftlerin und Juristin,
               Bremen

 10:45		Zur Praxis der Kindesanhörung in Deutschland
		      Dr. Dipl. Psych. Josef A. Rohmann, Universität Tübingen

11:45-12:15		Vorstellung der Referentinnen für das World Café im Plenum

12:15-13:00		          World Café: Wie beteiligen wir Kinder?
                          Impulse und Diskussionen

        13:00             Mittagspause

14:30-15:15               World Café

15:15-16:00               World Café

16:00-16:30	Präsentation der Ergebnisse
              aus dem World Café im Plenum

        16:30 		Kaffeepause

17:00-18:30	Inputs für die VAMV-Politik aus den Workshops, Diskussion

        18:30		Abendessen

        20:00		Stadtführung

Sonntag, 5. Juni 2011

9:00-11:00 Welche Standards können entwickelt werden?
		Offenes Forum unter Mitwirkung und Leitung der an den Workshops
           Beteiligten. Moderation: Edith Schwab, VAMV-Bundesvorsitzende

11:00-12:00               Ergebnispräsentation und abschließende Diskussion

 12:00 Zusammenfassung der Tagung, Verabschiedung
		 Edith Schwab, VAMV-Bundesvorsitzende
8              Grußwort Staatsministerin Irene Alt, Ministerium für
                        Integration, Familie, Kinder, Jugend und
                        Frauen, Land Rheinland-Pfalz

                                 Sehr geehrte Frau Schwab,                      Bedeutung des VAMV für die
                                 sehr geehrte Frau Wilwerding,                  rheinland-pfälzische Familienpolitik
                                 sehr geehrte Bundesdelegierte des VAMV,        Meine sehr geehrten Damen und Herren,
                                 sehr geehrte Damen und Herren Referentinnen    die Zahl der alleinerziehenden Väter und
                                 und Referenten,                                Mütter ist eine bedeutsame Gruppe. Ich will
                                 sehr geehrte Damen und Herren,                 Ihnen nur zwei Zahlen nennen, um dies zu
                                                                                verdeutlichen. In Rheinland-Pfalz lebten
                                 ich freue mich, Sie alle heute hier in Mainz   2009 knapp 77.000 Alleinerziehende mit
                                 begrüßen zu können und danke Ihnen             minderjährigen Kindern. Der Anteil allein-
                                 für die Einladung und die Möglichkeit, ein     erziehender Mütter an allen Müttern lag in
                                 kurzes Grußwort zu sprechen.                   Rheinland-Pfalz im gleichen Zeitraum bei
    Irene Alt, Staatsminsterin       Ich möchte Ihnen die herzlichsten Grü-     rund 23 Prozent.
                                 ße unseres Ministerpräsidenten Kurt Beck
                                 überbringen. Er hätte Sie sehr gerne emp-      Die besondere Situation von Alleinerzie-
                                 fangen. Bis Anfang der letzten Woche hat       henden erfordert Hilfe und Unterstützung
                                 es gut ausgesehen, dass das auch klappen       sowie Rücksichtnahme gegenüber ihren
                                 würde. Aber da die Bundeskanzlerin die         spezifischen Bedürfnissen. Dabei geht es für
                                 Ministerpräsidenten kurzfristig zu einem       mich insbesondere um die Gestaltung von
                                 sogenannten Energiegipfel eingeladen hat,      gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
                                 war es ihm leider nicht möglich, den Emp-      Dies betrifft natürlich zuvorderst die Be-
                                 fang auszurichten.                             reiche, die ich als Ministerin auch zu ver-
                                                                                antworten habe – angefangen von der Kin-
                                 Es ist mir eine ganz besondere Freude, als     der- und Jugendpolitik über die Frauen- bis
                                 neue Familienministerin in Rheinland-          hin zur Integrationspolitik. Aber Politik mit
                                 Pfalz, die Fachtagung heute mit eröffnen zu    und für Alleinerziehende geht weiter darü-
                                 dürfen. Ich bin zwar erst seit gut zwei Wo-    ber hinaus. Auch bei der Schulpolitik, der
                                 chen rheinland-pfälzische Jugend- und Fa-      Arbeitsmarktpolitik, der Steuerpolitik und
                                 milienministerin, doch ist mir die Jugend-     der Sozialpolitik muss es stärker als bisher
                                 und Familienpolitik nicht fremd. Viele         darum gehen, alleinerziehende Mütter und
                                 Jahre lang habe ich als Kreisbeigeordnete      Väter in den Fokus zu nehmen.
                                 im benachbarten Landkreis Mainz-Bingen
                                 Jugend- und Familienpolitik gestaltet und      Meine sehr geehrten Damen und Herren,
                                 dies aus Überzeugung und mit Herzblut.         wenn wir in Rheinland-Pfalz die Politik
                                                                                stärker an dem ausrichten wollen, was al-
                                 Aus dieser Zeit kenne ich auch gut die Ar-     leinerziehende Mütter und Väter brauchen,
                                 beit des VAMV. Und ich schätze die Arbeit      dann braucht es dafür eine gute Lobby-
                                 des Landesverbandes mit seinen Mitglieds­      arbeit und wer könnte das besser als der
                                 einrichtungen. Der Verband der alleinerzie-    VAMV? Der Landesverband vertritt hier in
                                 henden Mütter und Väter war schon auf der      Rheinland-Pfalz die verbandlichen Interes-
                                 kommunalen Ebene für mich ein wichtiger        sen von Alleinerziehenden. Er ist für mich
                                 Partner, wenn es darum ging, Strukturen        Partner und Unterstützer und manchmal
                                 für alleinerziehende Mütter und Väter          auch Kritiker und Antreiber der Politik. Da-
                                 aufzubauen und Hilfe und Förderung ver-        mit er dies auch weiterhin tun kann, erhält
                                 lässlich zu organisieren. In einem Spektrum    der Landesverband seit vielen Jahren eine
                                 ganz unterschiedlicher Träger und Anbieter     institutionelle Förderung. Und daran soll
                                 nimmt der VAMV eine wichtige Rolle ein.        sich auch nichts ändern.
                                 Von daher freue ich mich, auch weiterhin
                                 für diesen Bereich zuständig zu sein.
Grußwort Staatsministerin Irene Alt                                                              9

Neben der verbandlichen Arbeit hat für          des familiengerichtlichen Verfahrens neu
mich aber auch die direkte Arbeit mit den       geregelt und in einer Verfahrensordnung
Familien eine besondere Bedeutung. Der          zusammengeführt.
VAMV berät hier in Mainz seit vielen Jahren
Frauen und Männer. Er ist – kurz gesagt –       Die 2. Bundestagung zur interdisziplinären
ein Servicezentrum für Alleinerziehende.        Zusammenarbeit im Familienkonflikt, die
Und seit mehr als einem Jahr hat der VAMV       im Dezember in Mainz stattfand, hatte sich
auch eine eigene Beratungsstelle gemein-        vor diesem Hintergrund mit den Facetten
sam mit dem Deutschen Kinderschutzbund          der Kooperation zum Wohl der Kinder bei
und zwar in „meinem alten“ Landkreis. Ich       Trennung und Scheidung befasst.
kann Ihnen versichern, dass die Arbeit des
VAMV gut angenommen wurde und wir sie           Die Beteiligung von Kindern und Jugend-
brauchen.                                       lichen hat in den vielen regionalen und
                                                interdisziplinären Arbeitskreisen Trennung
Beteiligung und Kinderrechte                    und Scheidung in Rheinland-Pfalz eine ho-
Meine sehr geehrten Damen und Herren,           he Bedeutung. Es geht dabei im Kern immer
Sie haben sich ein nicht nur fachlich inte-     um die Beantwortung der Frage, wie eine
ressantes, sondern auch politisch aktuelles     Beteiligung von jungen Menschen aussehen
Thema für die Fachtagung gestellt: Die          kann, die ihren Wünschen, ihren inneren
Perspektive von Kindern bei Trennung und        Konfliktlagen und tatsächlichen Belas­
Scheidung.                                      tungen gerecht wird und sie auch nicht
                                                überfordert.
Ich möchte zwei Aspekte herausgreifen, die
für mich von Bedeutung sind, nämlich die        Mein Ziel ist, die Beteiligung von Kindern
Themen Beteiligung und Kinderrechte. Bei-       und Jugendlichen bei allen Belangen, die
de Themen haben im Übrigen auch Eingang         ihre Lebenswirklichkeit betreffen, zu stär-
in die Koalitionsvereinbarung gefunden          ken und strukturell zu sichern. Dies gilt ins-
und werden Leitidee der Landespolitik in        besondere für die kommunale Ebene, aber
Rheinland-Pfalz in den nächsten fünf Jah-       auch für die Schulen. Hier geht es darum,
ren sein.                                       dass junge Menschen an Entscheidungen,
                                                die die Schule betreffen, stärker als bisher
Trennung und Scheidung sind immer et-           beteiligt werden. Wir sind dabei auf einem
was Besonderes, weil sie häufig von hoher       guten Weg, aber – und das kann ich aus
Emotionalität geprägt sind und Lebensum-        meiner kommunalen Erfahrung bestätigen
brüche bedeuten. Sie sind auch oft nicht        – gerade mit Blick auf den Schulalltag gibt
justiziabel; das heißt, sie können auf dem      es doch noch einiges zu tun.
reinen Gerichtsweg nicht zufriedenstellend
und nachhaltig gelöst werden. Dabei ist eine    Partizipation von jungen Menschen in allen
möglichst einvernehmliche, dauerhafte Lö-       gesellschaftlichen Bereichen wird in den
sung gerade für die Kinder so wichtig.          kommenden Jahren ein wichtiges jugend-
                                                und familienpolitisches Anliegen sein.
Vor nunmehr knapp zwei Jahren ist das Ge-
setz über das Verfahren in Familiensachen       Meine sehr geehrten Damen und Herren,
und in den Angelegenheiten der freiwilli-       Sie werden sich auch ausgiebig mit dem
gen Gerichtsbarkeit – kurz das FamFG – in       Thema Kinderrechte beschäftigen. Ich stehe
Kraft getreten. Dieses Gesetz, in das auch      für ein klares Bekenntnis zu den Kinder-
Erfahrungen und Anregungen aus Rhein-           rechten, wie sie die UN-Kinderrechtskon-
land-Pfalz eingeflossen sind, hat weite Teile   vention formuliert – so ist es auch im Koa-
10   Grußwort Staatsministerin Irene Alt

     litionsvertrag formuliert. Die Kinderrechte   Die Kosten dafür trägt das Land. Das ist eine
     sind in Rheinland-Pfalz bereits seit vielen   kinder- und familienpolitische richtige und
     Jahren in der Landesverfassung verankert.     notwendige Entscheidung, die gerade auch
     Das ist der richtige Weg.                     mit Blick auf Alleinerziehende eine beson-
                                                   dere Bedeutung hat.
     Wir werden uns daher mit aller Kraft
     weiter dafür einsetzen, dass dies auch im     Meine sehr geehrten Damen und Herren,
     Grundgesetz erfolgt. Bremen und Rhein-        Sie haben sich ein interessantes Tagungsthe-
     land-Pfalz hatten bereits 2008 mit einem      ma gewählt.
     Entschließungsantrag die Bundesregierung          Ich wünsche Ihnen zwei interessante
     aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Än-     Tage mit Zeit zum Zuhören, Nachdenken
     derung des Grundgesetzes vorzulegen, in-      und Diskutieren und hoffe, dass Sie dann
     dem die Grundreche der Kinder ausdrück-       morgen Abend mit vielen neuen Eindrü-
     lich normiert werden. Dazu gehören: das       cken und Erkenntnissen wieder nach Hause
     Recht auf Entwicklung und Entfaltung der      fahren. Und ich hoffe, dass Sie auch unsere
     Persönlichkeit, auf eine wachsende Selbst-    schöne Landeshauptstadt ein wenig genie-
     ständigkeit im Rahmen des elterlichen Er-     ßen können.
     ziehungsrechts sowie das Recht auf Schutz
     im Rahmen gewaltfreier Erziehung.             Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

     Ich werde mich als zuständige Jugend- und
     Familienministerin dafür einsetzen, dass
     sich hier auf der Bundesebene endlich etwas
     bewegt. Und ich würde mich freuen, wenn
     der VAMV mit seinen Strukturen mich da-
     bei unterstützen würde.

     Meine sehr geehrten Damen und Herren,
     Kinderrechte realisieren sich für mich ins-
     besondere darin, ob es uns gemeinsam mit
     den Kommunen und den freien Trägern
     dauerhaft gelingt, eine bedarfsgerechte
     Infrastruktur für Kinder, Jugendliche und
     ihre Familien zur Verfügung zu stellen.
     Eine bedarfsgerechte Infrastruktur fängt
     bei der Betreuung der Kleinsten in Krip-
     pen und Kindertagesstätten an und setzt
     sich über die allgemeine Förderung der
     Familien, die Jugendarbeit bis hin zu den
     Hilfen zur Erziehung und den Kinderschutz
     fort. Bedarfsgerecht heißt auch, dass wir
     den unterschiedlichen Lebenslagen und
     -formen von Familien gerecht werden
     müssen. Ein wichtiger Schritt in Richtung
     bedarfsgerechte Infrastruktur haben wir
     in Rheinland-Pfalz mit der Ausweitung der
     Beitragsfreiheit auf die gesamte Kindergar-
     tenzeit seit dem vergangenen Jahr gemacht.
Grußwort Regine Schuster, stellvertretende                                                              11

                   Landesgeschäftsführerin des
                   Paritätischen Landesverbandes
                   Rheinland-Pfalz/Saarland

                    Liebe Frau Bundesvorsitzende Schwab,            Forderungen als Verband unterstützen und
                    Frau Ministerin Alt, liebe Irene,               werden dies auch in Zukunft gerne tun.
                    liebe Frau Landesvorsitzende Orantek,
                    Frau Wilwerding, liebe Monika,                  Auch heute rücken Sie wiederum mit
                    liebe Delegierte der Landesverbände des         Ihrem Thema die Auswirkungen der aktu-
                    Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter,   ellen Gesetzgebung in den Mittelpunkt.
                    verehrte Gäste,                                 Ich freue mich, dass es Ihnen als Landes-
                                                                    verband des VAMV gelungen ist, diese sehr
                    lassen Sie mich als stellvertretende Landes-    hochkarätige Veranstaltung zu einem sehr
                    geschäftsführerin Ihres Spitzenverbandes        anspruchsvollen Thema nach Mainz zu
                    hier in Rheinland-Pfalz/Saarland Sie hier       holen.
Regine Schuster     in Mainz zunächst herzlich begrüßen und
                    Sie in der hiesigen Jugendherberge herzlich     Hintergrund sind ja zum einen die UN-
                    willkommen heißen.                              Kinderrechtskonvention und das noch recht
                                                                    neue Gesetz über das Verfahren in Fami-
                    Ich freue mich, dass diese Veranstaltung        liensachen und in Angelegenheiten der
                    hier stattfinden kann, da auch das Jugend-      freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) vom
                    herbergswerk zu unseren großen Mitglieds­       1. September 2009, das nun seit knapp zwei
                    organisationen im Verband gehört und            Jahren in Kraft ist.
                    praktisch Sie hier als Partnerorganisation
                    partnerschaftlich empfängt und bewirtet.        Das gerichtliche Verfahren, insbesondere in
                                                                    Familiensachen aber auch in Betreuungs-
                    Bevor ich kurz auf die heutige Veranstal-       und Unterbringungssachen, ist nun in einer
                    tung eingehe, möchte ich zunächst deutlich      einzigen Verfahrensordnung zusammenge-
                    machen, dass der Verband alleinerziehender      fasst worden. Gleichzeitig erfolgten Ände-
                    Mütter und Väter vielleicht nicht zu den        rungen in familiengerichtlichen Verfahren.
                    großen umsatz-starken dafür aber sicher zu
                    den laut-starken Organisationen in unserem      Unter vielen anderen Regelungen ist eine in
                    Verband zählt, der sich mit deutlicher          diesem Kontext m. E. besonders wichtig: die
                    Stimme für die vielen Alleinerziehenden         Regelung der sog. Kindschaftssachen (§ 151
                    in unserem Land (und wir wissen, dass di-       FamFG) im Zusammenhang mit Trennung
                    es längst keine Minderheitengruppierung         und Scheidung sowie wegen Gefährdung
                    mehr ist) stark macht und die Politik an vie-   des Kindeswohls (§§ 1666, 1666a BGB).
                    len Stellen zu mehr sozialer Gerechtigkeit
                    für (Eineltern-)Familien und Geschlechter-      Das Gesetzesverfahren bedeutet vielerorts
                    gerechtigkeit anmahnt.                          einen grundlegenden Wandel der bishe-
                                                                    rigen Praxis und eine Neuausrichtung der
                    Wir danken Ihnen an dieser Stelle für die-      Rollen der Familiengerichte, Jugendämter
                    se Stimme, Ihre wertvollen Hinweise und         und Beratungsstellen.
                    Impulse, auch im Rahmen von eindrucks-
                    vollen Kampagnen – so auch wieder die nun       Das Familiengericht ist verpflichtet, im
                    startende Kampagne zur Mehrwertsteuer-          Zusammenhang mit Trennung/Scheidung
                    reduzierung auf Produkte und Dienstleis­        und Kindeswohlgefährdung einen mög-
                    tungen für Kinder – mit denen Sie auf die       lichst „frühen Termin“ in dieser Angele-
                    Schieflage verschiedener gesetzlicher und       genheit herbeizuführen. Hier steht im Vor-
                    politischer Entscheidungen aufmerksam           dergrund, so früh wie möglich ein solides
                    machen und auf Nachbesserungen hin-             Verfahren kooperativ zu gestalten und alle
                    wirken. In vielen Fällen konnten wir Ihre       Akteure, insbesondere die Eltern, zu befä-
12   Grußwort Regine Schuster

     higen, die Eigenverantwortung möglichst
     früh wieder herzustellen. Alle Akteure, wie
     Jugendamt, Familiengericht, die Eltern und
     die Beratungsstellen sollen eine „Verantwor-
     tungsgemeinschaft“ bilden.

     Ziel es ist, unter Zusammenführung der
     jeweiligen Kompetenzen, tragfähige Lö-
     sungen und nachhaltige Perspektiven zum
     Wohl des Kindes zu finden.
        Das ist die Theorie und auch aus Sicht un-
     seres Verbandes eine durchaus ambitionierte
     Herangehensweise, zumal es die Prozesse be-
     schleunigen soll und Kinder stärker in den
     Mittelpunkt stellen sollte. Hier haben Kinder
     zwar nun ein Anhörungsrecht, aber immer
     noch keine eigenen Antragsrechte.

     Ob dies nun gelungen ist oder wie es ge-
     lingen kann, Kinder in diesen Prozessen
     stärker zu beteiligen, soll auf der heutigen
     Tagung „kritisch“ in den Blick genommen
     und fachlich intensiv erörtert werden.

     Heute Nachmittag gibt es viele kritische Bli-
     cke in World Cafés dazu.
        Ich wünsche uns allen dazu heute im Sinne
     der Betroffenen neue Erkenntnisse und inte-
     ressante Diskussionen.

     Vielen Dank!
Vortrag Die Idee der Partizipation und die Rechte des                                                                 13

                       Kindes im familiengerichtlichen Verfahren
                                  Dr. Barbara Schwarz, Erziehungswissenschaftlerin und Juristin, Bremen

                                  Die Idee der Partizipation im Zusammen-          Kindeswohls hieße das, sie soweit zu öffnen,
                                  hang mit Kindern ist noch relativ neu. Es ist    dass sie Artikulationsmöglichkeiten der
                                  historisch keineswegs selbstverständlich,        Interessen von Kindern durch diese selbst
                                  Kinder als „Personen aus eigenem Recht“ zu       beinhalten.
                                  akzeptieren und wie Michael Honig (Honig
                                  1999) es formuliert „als Subjekte in Entwick-    Ausdrücklich hat erst das Bundesverfas-
                                  lung“ zu sehen.                                  sungsgericht am 29. 07. 1968 festgestellt, dass
                                                                                   Kinder als Grundrechtsträger über eigene
                                  Das Verhältnis zwischen Kindern und Er-          Menschenwürde und eigenes Recht auf Ent-
                                  wachsenen ist ein sich veränderndes, ein         faltung ihrer Persönlichkeit gemäß Artikel
                                  historisches, kein wie immer verstanden          1 und 2 des Grundgesetzes (GG) verfügen.
Dr. Barbara Schwarz               „natürliches“. Wann Kindheit und Jugend          Schutzgut des Artikel 6 GG (Ehe, Familie,
                                  aufhört, wird festgelegt, gegenwärtig mit        Kinder) ist die Familie, sind nicht die Kinder.
Erziehungswissenschaftlerin
und Volljuristin. Tätigkeiten     Vollendung des 18. Lebensjahres, mit der         Eine allgemeine Verankerung von Kinder-
in der Rechtsberatung, als        Volljährigkeit. Ab diesem Alter gilt mit der     rechten im Grundgesetz, z. B. gefordert von
Referatsleiterin im Frauen­       Ausweisung von Rechten die Konstruktion          Renate Künast und Johannes Münder (Kün-
ministerium in Niedersachsen,
als Beigeordnete in Nordrhein-    eines unabhängigen, freien Willens über          ast 2008), (Münder 2008) böte u. a. dann eine
Westfalen und als Lehrbeauf-      den jeder Mensch verfügt, unabhängig             Chance, wenn Kinderrechte im Einzelnen
tragte im Bereich der Sozialen    von der Frage, wie er damit umgeht und           soweit gestärkt werden als ihnen z. B. in
Arbeit. Wissenschaftliche
Schwerpunkte: Interdisziplinäre   unabhängig davon, ob oder inwieweit              konkreten familienrechtlichen Auseinan-
Bezüge in den Bereichen           dieser freie Wille beeinflusst ist. Alters-      dersetzungen gegenüber dem Elternrecht
Recht, Pädagogik, Soziales und    grenzen sind nicht nur aus Gründen der           ein deutlicheres Gewicht zu käme, sowohl
Politik unter Fragestellungen
konkreter Lebensbedingungen       Praktikabilität erforderlich, sie zeigen, dass   im Verfahren (z. B. durch Gewährung ei-
in Familie und Kommune.           die Zugehörigkeit zu Kindheit und Jugend         gener Antragsrechte) als auch hinsichtlich
                                  formal durch Erwachsene, durch den Staat         materiell rechtlicher Bestimmungen (z. B.
                                  bestimmt wird. Kinder und Jugendliche be-        ein Verweigerungsrecht von Umgang ab
                                  nötigen unstreitig aufgrund der „Entwick-        einem bestimmten Lebensalter).
                                  lungstatsache“ (Honig 1999) Schutz und den
                                  Modus der Fürsorge. Es geht nicht darum,         Ein Elternrecht, das stets beide Elternteile
                                  Kinder über Partizipationsmöglichkeiten          gemeinsam meint, wird dann problema-
                                  mit Entscheidungen zu überfordern, son-          tisch, wenn diese Eltern nicht oder nicht
                                  dern darum, sie unter Beachtung der Modi         mehr gemeinsam im Alltag für das Kind
                                  von Fürsorge und Verantwortung derer,            unmittelbar verantwortlich sind, sondern
                                  die für sie zuständig sind, angemessen zu        sich zu den einzelnen Elternteilen eigen-
                                  beteiligen.                                      ständige Beziehungen unterschiedlicher
                                                                                   Form und Intensität herausbilden, die ins-
                                  Kinder zu beteiligen bedeutet, sie als Ak-       besondere in Konfliktfällen auch rechtlich
                                  teure wahrzunehmen und ihren Akteurs-            gefasst werden müssen. Unterschiedliche
                                  status zu akzeptieren. Die Anerkennung           Rechtsbeziehungen zu einzelnen Eltern hat
                                  von Kindern als Akteure soll nach Leena          es bis zur Gleichstellung zwischen eheli-
                                  Alanen nicht nur dazu führen, Kinder als         chen und nichtehelichen Kindern gegeben,
                                  maßgebende Informationspartner anzu-             wobei die Diskriminierung von Nichtehe­
                                  sehen, vielmehr soll sie eine Konzeptuali-       lichkeit zum Schutz der Ehe rechtlich
                                  sierung von Kindheit ermöglichen, die die        gewollt war. Unter Gleichberechtigungsan-
                                  „massive Erwachsenenzentriertheit unseres        forderungen unterschiedliche Rechtsbezie-
                                  Wissens von Kindheit“ (Alanen 1997) in           hungen zu einzelnen Eltern zu entwickeln,
                                  Frage stellt und überwindet. Für die Bestim-     bedarf einer Anknüpfung an die realen, all-
                                  mung von zentralen Begriffen wie die des         täglich gelebten Beziehungen zu den einzel-
14   Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren

     nen Eltern sowie die Berücksichtigung der              zu anderen Lebensbereichen, die Kinder mit
     Selbstpositionierung der Kinder. Die rechtli-          den Mitbestimmungsmöglichkeiten in der
     chen Beziehungen des Kindes als „Subjekt in            Familie einverstanden sind, soweit es die so-
     der Entwicklung“ zu den einzelnen Eltern               ziale Familie des alltäglichen Lebens betrifft
     könnten ausgehend von seiner konkreten                 (Bundesjugendkuratorium 2009).
     Lebenslage und eines explizit grundrecht-                  Fragen von Partizipation in der Familie
     lich geschützten Persönlichkeitsrechts,                werden dann schwieriger, wenn Kinder und
     dem eigene Artikulationsmöglichkeiten                  Jugendliche in der gelebten Familie nicht
     inhärent sind, konkret entwickelt anstatt              beiden Eltern gemeinsam gegenübertreten,
     mit Verweis auf ein allgemeines und ab­                sondern wenn sich zu dem Elternteil mit
     straktes Elternrechts bestimmt werden. Bei             dem sie gemeinsam den Alltag gestalten
     einer grundrechtlichen Verankerung von                 und zu dem familienfernen Elternteil von
     Kinderrechten im Grundgesetz könnten bei               einander unabhängige Beziehungen unter-
     einer Rechtsgüterabwägung im Konfliktfall              schiedlicher Intensität ergeben.
     Kinderrechte gegenüber den Rechten der
     einzelnen Eltern gestärkt werden.                      Familie als gelebte Vielfalt –
                                                            familiäre Auseinandersetzungen
     Partizipationsanspruch und konkrete                    und Krisenbewältigung
     Beteiligungsmöglichkeiten von                          Wir wissen, dass Familie zunehmend nicht
     Kinder- und Jugendlichen                               mehr als so genannte Normalfamilie gelebt
     In einer Stellungnahme des Bundesminis­                wird, dass vielmehr Vielfalt zur familialen
     teriums für Frauen, Senioren, Frauen und               Normalität wird. Nach den neuesten Zahlen
     Jugend zum Aktionsplan für die Beteiligung             lebten 2010 rund 13,1 Millionen minderjäh-
     von Kindern und Jugendlichen aus dem                   rige Kinder in Deutschlands Haushalten.
     Jahr 2008 heißt es: „Kinder und Jugendli-              In Westdeutschland lebten 79 Prozent der
     che haben ein Recht auf Beteiligung. Sie               minderjährigen Kinder bei ihren verheira-
     müssen die Möglichkeit haben, ihre Inte-               teten Eltern, der entsprechende Anteil in
     ressen, Wünsche, Hoffnungen, Ängste und                Ostdeutschland beträgt nur 58 Prozent. Hier
     Probleme überall dort einzubringen, wo                 war der Anteil der Kinder in Lebensgemein-
     es um ihre Belange geht. Das gilt für den              schaften mit 17 Prozent fast drei Mal so
     Alltag in der Familie, für die Gestaltung              hoch wie im Westen (6 Prozent).
     des Wohnumfelds, im Kindergarten und in                24 Prozent der ostdeutschen Kinder
     der Schule. Aber auch in der gesellschaft-             wohnten bei einem alleinerziehenden
     lichen Debatte um die Zukunft unseres                  Elternteil, im früheren Bundesgebiet waren
     Gemeinwesens braucht die Stimme von                    es 15 Prozent (Destatis 2011).
     Kindern und Jugendlichen einen festen
     Platz“ (BMFSFJ 2008). In einer Untersuchung
     des Bundesjugendkuratorium aus dem Jahr
     2009 zu „Partizipation von Kindern und
     Jugendlichen – zwischen Anspruch und
     Wirklichkeit“ wird ausdrücklich bedau-
     ert, dass die Mehrzahl von Kindern und
     Jugendlichen nicht über ausreichende Be-
     teiligungsmöglichkeiten in Entscheidungs-
     prozessen des Alltagslebens im Sinne von
     Alltagsdemokratie verfügt. Mit Verweis auf
     eine Studie der Bertelsmannstiftung wird
     allerdings festgehalten, dass im Unterschied
Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren                15

Teilnehmer/innen der
        Fachtagung

                       Aus unterschiedlichen Studien wissen wir,              über 50 Prozent der so genannten unvoll-
                       dass die gelebte Vielfalt keineswegs mit               ständigen Familien einen niedrigen sozialen
                       erhöhten Risiken für die psychische Ent-               Status – ist das Gefährdungsrisiko für die
                       wicklung von Kindern verbunden ist. Ein                psychische Gesundheit von Kindern aus al-
                       wichtiges Ergebnis einer Studie des Robert-            leinerziehenden Familien nicht signifikant
                       Koch-Instituts (RKI) z. B. zur psychischen             höher. Das zeigt eindrucksvoll die familiäre
                       Entwicklung von Kindern und Jugend-                    Leistungsfähigkeit dieser Familienform. Der
                       lichen aus dem Jahr 2007, in der Kinder und            Skandal der Armut wird dadurch allerdings
                       Jugendliche erstmalig im großen Umfang                 nicht abgeschwächt. Eine finanzielle Grund-
                       selbst befragt worden sind, ist, das Kinder            absicherung ist zentrale Voraussetzung für
                       und Jugendliche aus „unvollständigen Fa-               Partizipation. Sie kann allerdings erst mit
                       milien“ – so heißt es tatsächlich in der sonst         Hilfe weiterer partizipatorischer Praktiken,
                       beispielhaften Studie – keinen höheren                 rechtlicher, formaler, kultureller und insbe-
                       Risiken für ihre psychische Entwicklung                sondere kinder- und bildungspolitischer Art
                       ausgesetzt als Kinder und Jugendliche aus so           gesellschaftlich real werden.
                       genannten vollständigen Familien (Erhart
                       et al. 2007). Als Hauptrisiko für Gefährdung           Auch wenn die Scheidungsforschung und
                       wird in der RKI Studie wie auch in anderen             Studien zur psychischen Entwicklung von
                       Studien Armut identifiziert. Das wird auch             Kindern und Jugendlichen zeigen, dass
                       durch zahlreiche und vielfältige Untersu-              Trennungen langfristig kein generalisier-
                       chungsergebnisse der bundesdeutschen                   bares Gefährdungspotenzial darstellen, so
                       und internationalen Scheidungsforschung                wird auffallend übereinstimmend in den
                       bestätigt (Kostka 2004). Obwohl insbeson-              Studien hervorgehoben, dass sich Kinder
                       dere allein erziehende Familien deutlich               und Jugendliche in Trennungssituationen
                       ärmer sind als Paare mit Kindern – im Jahre            allein gelassen vorkommen und die Situa-
                       2006 hatten einschließlich öffentlicher                tion häufig als „ohnmächtig“ erleben. Hier
                       und nichtöffentlicher Transferleistungen               stellt sich die Frage, wie rechtlich kodifi-
                       Paarfamilien 3.897 Euro zur Verfügung,                 zierte partizipative Praktiken Kinder und
                       Alleinerziehende dagegen nur 1.944 Euro                Jugendliche in dieser Krisensituation zu
                       (destatis 2008a), nach der RKI-Studie haben            stabilisieren in der Lage sind und wie sie
16   Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren

     dazu beitragen können, derartige Krisen,               vielen Fällen geht es sowohl um das Sorge-
     die immer mehr zu einem „Normfall“ von                 recht wie um das Umgangsrecht, es handelt
     Kindheit werden, in einer Weise zu bewäl-              sich in der Regel um hochstreitige Fälle, bei
     tigen, die ihrer Subjektstellung nicht entge-          denen eine außergerichtliche Lösung auch
     gensteht.                                              trotz öffentlicher Hilfen wie Beratung und
                                                            Mediation nicht erreicht werden konnte.
     Wie häufig Fragen der Übertragung der                  Beschwerde wird gegen die Entscheidungen
     elterlichen Sorge im Rahmen von Ausei-                 des Familiengerichts nur selten eingelegt.
     nandersetzungen über die gemeinsame                    Bei Fragen des Sorgerechts in 3,8 Prozent der
     oder alleinige Sorge Gegenstand von fami-              Fälle, bei Fragen des Umgangs in 3,5 Prozent
     liengerichtlicher Entscheidungen sind, ist             der Fälle (destatis 2008b).
     statistisch insofern schwer zu beantworten,
     als Fragen der Übertragung der elterlichen             Das Leitbild der gemeinsamen elter-
     Sorge auf einen Elternteil oder auf Dritte             lichen Sorge und das Hinwirken auf Ein-
     außerhalb von Scheidungsverfahren nicht                vernehmen als Bedingungen setzende
     differenziert nach Fragen von Sorgerechts­             Bestandteile des Verfahrensrechts
     entzug wegen Kindeswohlgefährdung                      Seitdem nicht mehr die Ehe im Mittelpunkt
     nach den §§ 1666/1666a BGB und Fragen                  familienrechtlichen Schutzes steht, weil
     von Sorgerechtsentscheidungen wegen                    Familienformen sich ausdifferenziert haben
     Getrenntleben der Eltern nach § 1671 BGB               und unter Gleichstellungsgesichtspunkten
     unterschieden werden. Statistisch nehmen               die Ausgrenzung nichtehelicher Kinder und
     die Zahlen über Sorgerechts- und Umgangs-              deren Mütter nicht aufrecht zu erhalten
     entscheidungen zu. Richtig ist, dass 2008 im           war, ist mit dem Leitbild der gemeinsamen
     Rahmen von 69.438 Scheidungsverfahren                  elterlichen Sorge diese zum neuen Schutz-
     in 88,86 Prozent der Fälle kein Antrag auf             gut geworden. Mit Hilfe des im Verfahrens-
     Übertragung der elterlichen Sorge auf einen            recht festgelegten Verfahrensziels – das Hin-
     Elternteil gestellt worden ist, also nur in            wirken auf Einvernehmen – soll sie durch-
     7.733 Fällen zu entscheiden war. Zugleich              gesetzt werden. Leitbild und Verfahrensziel
     gab es darüber hinaus insgesamt 32.704 wei-            drücken sich nicht nur in den einzelnen
     tere Verfahren zur Übertragung der elter-              Vorschriften aus, sie bestimmen auch deren
     lichen Sorge, hier allerdings einschließlich           Anwendung.
     der Verfahren nach § 1666 BGB. Festzustel-
     len ist, dass die Zahl der familiengericht-
     lich zu entscheidenden Konflikte über die
     Übertragung der elterlichen Sorge auf einen
     Elternteil oder auf beide Eltern erheblich
     höher liegt, als die Aussage vermuten lässt,
     dass bei Scheidungen lediglich in ca. 10 Pro-
     zent der Fälle ein Antrag auf Übertragung
     der alleinigen Sorge gestellt wird.

     Die Datenlage zu Entscheidungen zum
     Umgang ist deutlich klarer, im Jahre 2008
     waren es 44.780 Fälle, einschließlich der
     Fälle, in denen es um Umgangsfragen im
     Zusammenhang mit Sorgerechtsentzug
     wegen Kindeswohlgefährdung ging, wobei
     diese Fallzahlen allerdings gering sind. In
Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren                17

Auffällig ist, dass die Auswertung der empi-           Die Übertragung der elterlichen Sorge auf
rischen Forschungsergebnisse zu Scheidung              einen Elternteil soll eine Ausnahme bleiben,
und Umgang gleichermaßen und im Prin-                  nur dann möglich, wenn das Kindeswohl
zip übereinstimmend zeigen, dass bei Kon-              gefährdet ist oder wenn die einzelnen El-
flikten zwischen den Eltern gemeinsame                 tern soweit miteinander zerstritten sind,
Sorgewahrnehmung und häufiger Umgang,                  dass eine Kooperations- Kommunikationsfä-
was vielfältige Absprachen verlangt, die               higkeit nicht mehr vorhanden ist.
Kinder eher belastet, als dass das geeignete
Instrumente wären, entspannte Situationen              Ohne Beachtung empirischer Befunde und
des Aufwachsens zu ermöglichen. Zu diesen              erst Recht ohne die Wahrnehmung von
Ergebnissen kommen auch Wissenschaftler                Kindern und Jugendlichen als Mitakteuren
wie z. B. Fthenakis, der sich von Beginn der           des Geschehens wird eine Idealform prokla-
Diskussion an als Befürworter der gemein-              miert, die ohnehin nicht im Alltag gegen
samen elterlichen Sorge und umfassender                den Willen der Akteure gelebt werden
Umgangsregelungen profiliert hat (Fthena-              kann, was auch im Recht durch die Tren-
kis 2008). In der Rechtsliteratur werden               nung von alltäglicher Sorge und Sorge in
diese evidenten Forschungsergebnisse                   Angelegenheiten, die für das Kind von er-
überwiegend nicht bestritten. Die Schlüs-              heblicher Bedeutung sind (§ 1687 BGB Aus-
se, die daraus gezogen werden, berühren                übung der elterlichen Sorge bei Getrennt­
jedoch nicht das Konstrukt der „Idealform“             leben), anerkannt wird.
gemeinsamer elterlicher Verantwortungs­
übernahme. Die gemeinsame elterliche Sor-              Unter pädagogischen und psychologischen
ge setzt keinen übereinstimmenden Eltern-              Aspekten ist es nicht vorstellbar, dass
willen voraus, ihr Bestand (oder neu nach              Entscheidungen ohne mehrmalige, aus-
der BVerfG Entscheidung vom 21.07.2010                 führliche diskursive Aussprachen und Ab-
ihr Gewähr) unterliegt der gerichtlichen               wägungen getroffen werden können. Recht-
Entscheidung. Selbst wenn die wesentlichen             lich ist dagegen eine Antwort gefunden
Aussagen der Risiko- und Scheidungsfor-                worden. Die Eltern untereinander und nur
schung nicht ignoriert werden, wenn es,                die Eltern werden zum Einvernehmen ver-
wie von Michael Coester in einem maßgeb-               pflichtet. Diese Verpflichtung soll über die
lichen Kommentar zum Bürgerlichen Ge-                  Ausgestaltung von Beratungshilfen und Me-
setzbuch (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB             diationen sowie durch verfahrensrechtliche
2009 Rn 115) konzediert wird , es „noch“ kei-          Vorschriften durchgesetzt werden. Dass
ne empirischen Belege dafür gibt, dass das             dieser Anspruch nicht zu partizipatorischen
Kindeswohl am besten in der Sorgerechts-               Praktiken von Kindern und Jugendlichen
form der gemeinsamen elterlichen Sorge                 führt, ist evident, er führt vielmehr zu Ent-
zur Geltung kommt, heißt es, dass „verant-             scheidungen über die Köpfe der Kinder und
wortliches Zusammenwirken der Eltern                   Jugendlichen hinweg und zu den in em-
zum Wohle ihres Kindes auch nach ihrer                 pirischen Untersuchungen beschriebenen
persönlichen Trennung verfassungsrecht-                Ohnmachtsgefühlen
lich wie auch rechtsethisch als Idealform
elterlichen Verhaltens betrachtet werden               In der Broschüre „Eltern bleiben Eltern“, die
(muss), der generell-abstrakt der Vorrang              unterstützt vom BMFSFJ in 16. Auflage in 2,5
vor anderen Sorgegestaltungen zukommt.“                Millionen Exemplaren erschienen ist, heißt
Mit dieser Überzeugung wird legitimiert,               es: „Fest steht, dass Kinder dann am ehesten
dass allgemein eine gemeinsame elterliche              eine Trennung verkraften können, wenn
Sorge auch ohne übereinstimmenden El-                  diese Zusammenarbeit (der Eltern) gelingt“
ternwillen dem rechtsethischen Ideal dient.            (S. 5) und „Für Ihr Kind ist es wichtig, Sie
18   Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren

     beide als Eltern zu behalten“ (Lederle von             zwischen Paar- und Elternebene sei mög-
     Eckardstein et al. 2010). Aus dem Bereich der          lich, verleugne die Realität schreibt Barone,
     Erziehung- und Sozialwissenschaften gibt es            „die unvermeidbaren, komplexen und sehr
     zwar für derartig generalisierende Aussagen            mächtigen Zusammenhänge zwischen
     keine empirisch abgesicherten Belege, recht-           zwei angeblich ungleichartigen Welten von
     lich entspricht diese Vorstellung jedoch dem           „Paar-Ebene“ und „Eltern-Ebene“ (Barone
     Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge.            2008).

     Im Gesetz über das Verfahren in Fami-                  Doris Bühler-Niederberger weist darauf hin,
     liensachen und in Angelegenheiten der                  dass die „naive Ideologie des im Regelfall
     freiwilligen Gerichtsbarkeit in Kraft seit             möglichen Einvernehmens die Tragweite
     dem 01.09. 2009 ist dieser Grundsatz des               von Scheidungen unterschätzt. Hier dürfe
     Hinwirkens auf Einvernehmen in § 156                   es sich um ein Zerrbild der Familienwirk-
     FamFG festgelegt. Das Gericht soll in jeder            lichkeit handeln. Dass sich Eltern nicht nur
     Lage des Verfahrens auf Einvernehmen hin-              trotz, sondern auch gerade wegen ihrer
     wirken, wenn das dem Kindeswohl nicht                  Elternschaft zerstreiten können, weil der
     widerspricht, was in der Regel nur bei Kin-            Partner oder die Partnerin sich ihrer An-
     deswohlgefährdungen angenommen wird.                   sicht nach dem Kind gegenüber ungünstig
     Einvernehmen soll mit unterschiedlichen                verhält, unzuverlässig oder ungeduldig ist,
     Maßnahmen, z. B. nach dem Cochemer Mo-                 weil man sie oder ihn dem Kind nicht zu-
     dell durchgesetzt werden.                              muten möchte, weil die Eltern fundamen-
                                                            tal anderer Ansicht darüber sind, worauf
     Mit der verfahrensrechtlichen Zielsetzung              Kinder denn durch Erziehung in welcher
     Einvernehmen herzustellen, ist eine gute               Weise vorzubereiten seien – all solche Streit­
     Trennung oder Scheidung eine einver-                   ursachen werden damit negiert resp. als
     nehmliche. Die Behauptung, eine Trennung               Ausnahmefälle zugelassen“ (Bühler 2011).
Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren                19

Von Joseph Salzgeber, dem psychologischen              Im neuen FamFG (in Kraft seit dem
Experten in Gutachterfragen, stammt im                 01.09.2009) ist die Verfahrensfähigkeit von
Zusammenhang mit der Einvernehmens-                    Kindern und Jugendlichen ab Vollendung
verpflichtung folgende lebenserfahrene                 des 14. Lebensjahres neu geregelt (§ 9 Abs. 1
Aussage: Die Auffassung, zum Streit gehö-              Nr. 3 FamFG), aber mit der Einschränkung,
ren immer zwei, sei trügerisch, zum Vertra-            dass sie nur dann über eine volle Verfah-
gen gehören zwei, zum Streiten reicht einer.           rensfähigkeit verfügen, wenn sie nach
                                                       bürgerlichem Recht ein ihnen zustehendes
Die Konstruktion der gemeinsamen elter-                Recht geltend machen können.
lichen Sorge als rechtsethische Norm                   Und im materiellen Familienrecht verfü-
und die damit verbundene Verpflichtung                 gen Kinder und Jugendliche ebenso wie im
zum Einvernehmen verfolgt offenbar mehr                Jugendhilferecht weitgehend über keine
als eine mögliche rechtliche Regelung                  eigenen Rechte, die sie selbst wahrnehmen
an­z ubieten. Vielmehr soll mit dieser Kon-            können. Eine Ausnahme bildet lediglich
struktion eine Ordnungsvorstellung durch-              der § 1671 Abs. 2 Ziffer 1 BGB nach dem ein
gesetzt werden, die eher an traditionelle              Jugendlicher ab dem 14. Lebensjahr dem An-
„unlösbare“ Vorstellungen von Ehe an-                  trag eines Elternteils auf Übertragung der
knüpft als Regelungsvielfalt entsprechend              alleinigen Sorge widersprechen kann, auch
der unterschiedlich gelebten Lebensformen              wenn der andere Elternteil dem Antrag zu-
zu ermöglichen. Ein Kindeswohlbegriff, der             stimmt. Das Kind oder der Jugendliche kann
in den Dienst dieses Leitbildes gestellt ist, ist      weder einem Antrag auf Übertragung der
erwachsenen-, d. h. elternorientiert, er abs­          gemeinsamen Sorge auf beide Elternteile
trahiert von den Interessen der Kinder und             zustimmen oder ihm widersprechen noch
Jugendlichen und nimmt den Gedanken                    einem Antrag auf Übertragung der allei-
der Partizipation nicht auf.                           nigen elterlichen Sorge ohne Zustimmung
                                                       des anderen Elternteils. Das Kind oder der
Die Rechte des Kindes bzw. Jugendlichen                Jugendliche hat auch nicht die Möglichkeit,
im familiengerichtlichen Verfahren                     aus eigenem Recht Anträge hinsichtlich sei-
Materielles Recht und Verfahrensrecht                  nes gewünschten Aufenthalts zu stellen.
Generell sind die einzelnen Rechtsansprü-
che im materiellen Recht festgelegt. Die               Noch deutlicher wird das Fehlen materiel-
verfahrensrechtlichen Bestimmungen, die                ler Rechte im Umgangsbereich. In den sehr
in Verfahrensgesetzen normiert sind, regeln            differenzierten Regelungen zum Umgang,
die Grundsätze, nach denen die Verfahren               in denen die Rechte des umgangsberech-
durchzuführen sind. Wobei gerade die Art               tigten Elternteils angegeben werden, ge-
und Weise des Verfahrens Auswirkungen                  gebenenfalls unter Inanspruchnahme von
darauf hat, wie und inwieweit die Verfah-              begleitetem Umgang oder eines Umgangs-
rensbeteiligten ihre Rechte wahrnehmen                 pflegers den Umgang durchzusetzen, mit
können. Darüber hinaus sind selbstständige             dem für diesen Bereich das Sorgerechts des
Verfahrensrechte möglich, die z. B. die                Elternteisl eingeschränkt wird, bei dem das
Rechtsstellung von Beteiligten oder Ande-              Kind lebt, werden die Rechte des Kindes nur
ren, z. B. Zeugen, ausweisen. Das Gesetz über          insoweit erwähnt, als Umgang ausgeschlos-
die freiwillige Gerichtsbarkeit gilt als betei-        sen oder eingeschränkt werden kann, wenn
ligtenfreundlich, es gibt keine Parteien, son-         das Kindeswohl durch den Umgang gefähr-
dern Beteiligte, denen in besonderer Weise             det werden würde. Kinder und Jugendliche
rechtliches Gehör gewährt wird. Es gilt der            haben nicht das Recht, Umgang zu verwei-
Grundsatz, dass der Richter Herr des Verfah-           gern oder auf dessen Gestaltung Einfluss
rens ist und die Untersuchungen leitet.                zu nehmen. Es gibt z. B. nicht die Regelung,
20   Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren

     dass gegen den Willen eines Kindes ab dem              einen Vertreter oder eine geeignete Stelle
     12. oder 14. Lebensjahr kein Umgang mit                im Einklang mit den innerstaatlichen Ver-
     dem familienfernen Elternteil angeordnet               fahrensvorschriften gehört zu werden.“ Die
     werden darf oder dass eine Umgangsrege-                Ausgestaltung des Mitwirkungsgedankens
     lung ab dem 10. oder 12. oder 14. Lebens-              als Einräumung von rechtlichem Gehör gilt
     jahr der Zustimmung des Kindes bedarf.                 allerdings als Mindestanforderung.
     Das Umgangsrecht ist materiellrechtlich
     ausschließlich als Elternrecht ausgestaltet.           Ein Kind oder Jugendlicher ist erst ab
     Das Recht des Kindes auf Umgang bleibt                 Vollendung des 14. Lebensjahres verpflich-
     insofern abstrakt als nach der – wirklich-             tend anzuhören. Allerdings hat das BVerfG
     keitsnahen – Entscheidung des BVerfG vom               in seiner Entscheidung vom 20.09.06 inso-
     01.04. 2008 der Vollzug des Umgangs nicht              weit Maßstäbe gesetzt, als eine fehlende
     durchgesetzt werden kann.                              Anhörung auch eines jüngeren Kindes
                                                            rechtsfehlerhaft ist. Unterhalb des Anhö-
     Angesicht praktisch nicht vorhandener ma-              rungsrechts haben Kinder und Jugendliche
     terieller Rechte wird Kindern und Jugend-              ohne Altersbegrenzung ein Informations-
     lichen eben nicht eine volle Verfahrensfä-             recht, soweit für sie keine Nachteile zu
     higkeit für alle ihre Person betreffenden              befürchten sind. Wie dieses Recht prak-
     Verfahren zugestanden, die es ihnen er-                tiziert wird, obliegt dem Gericht. Ziel der
     möglichen würde, selbstständig Anträge zu              Anhörung ist, den Willen des Kindes zu
     stellen. Eigenständige Antragsrechte hätten            erkunden.
     auch ohne korrespondierende materielle
     Rechte in das FamFG aufgenommen werden                 Das Konzept des Kindeswillens
     können.                                                In Psychologie und Pädagogik hat sich ein
                                                            Konzept des Kindeswillens etabliert, das
     Im Ergebnis hat die Verfahrensrechtsreform             dem Autonomiegedanken verpflichtet ist.
     nicht zu einer deutlichen Verbesserung der             Für Maud Zitelmann wird der Wille des
     Rechtsstellung von Kindern und Jugend-                 Kindes als „Manifest der kindlichen Selbst-
     lichen im Verfahren geführt, obwohl die                bestimmung“ ebenso gesehen wie als „Indi-
     „Verstärkung der Beteiligungs- und Mitwir-             kator“ von Bindungen an andere Menschen
     kungsrechte betroffener Kinder“ (BT-Drs.               und Beziehungen zu ihnen (Zitelmann
     16/6308 07.09. 2007) erklärtes Ziel der Reform         2001). Für Harry Dettenborn ist der Wille
     war. Das sollte insbesondere über eine Kon-            des Kindes „ein Baustein zur Selbstwerdung
     kretisierung der Regelungen über die persön-           des Kindes, Bestätigung des Subjektseins
     liche Anhörung des Kindes erfolgen, denn               und Beweis für Selbstwirksamkeitsbezeu-
     die Rechte des Kindes im Verfahren sind                gungen“. Nach diesem Autonomiekonzept
     lediglich als Anhörungsrechte konzipiert.              wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass
                                                            Fremdeinflüsse an der Formierung des Wil-
     Die Ausgestaltung des Rechts des Kindes                lens beteiligt sind (Dettenborn 2007). Grund-
     im Verfahren als Anhörungsrecht                        sätzlich könnten auch kleine Kinder ihren
     Die Ausgestaltung des Beteiligungsrechts               Willen zum Ausdruck bringen. Dettenborn
     als Anhörungsrecht entspricht auch dem                 kritisiert die in der Rechtsprechung übliche
     Anspruch der UN-Kinderrechtskonvention                 Differenzierung der Beachtung des Kindes-
     (UN-KRK). Wörtlich heißt es in Art. 12 Abs.            willens nach Alterstufen.
     2 UN-KRK „dem Kind (wird) insbesondere                     In der Literatur werden folgende mög-
     Gelegenheit gegeben, in allen das Kind be-             liche Beeinträchtigungen des Kindeswillen
     rührenden Gerichts- oder Verwaltungsver-               beschrieben, die dazu führen, ihn rechtlich
     fahren entweder unmittelbar oder durch                 nicht oder nur eingeschränkt zu beachten.
Die Idee der Partizipation und die Rechte des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren               21

Der selbstgefährdende Kindeswille                      stehenden Kindeswillen zu entscheiden,
Für Dettenborn sind interne Faktoren                   kann für das Kind zu „Hilflosigkeit, Ohn-
(erhöhte Vulnerabilität, Traumatisierungs-             machtsgefühlen und Selbstwertlabilität“
erlebnisse, Angst-Bindungen, Überforde-                führen. Dettenborn spricht von einem
rung im Erwachsenenstreit) und externe                 Dilemma und hält eine differenzierte Risi-
Faktoren (dauerhafte Belastung des Kindes              koabwägung für notwendig, wobei es bei
und mangelnde Befriedigung angemessener                fehlerhafter Risikoabwägung zu „sekundär-
Bedürfnisse) dafür ursächlich, dass es zu              er Kindeswohlgefährdung“ kommen könne,
einem Kindeswillen kommen kann, dessen                 deren Folgen zu Lasten der Kinder und der
Befolgen „Lebensverhältnisse herstellen                betroffenen Erwachsenen gingen (Detten-
würde, die im Missverhältnis zur objektiven            born 2007).
Bedürfnislage des Kindes stehen“. Unbestrit-
ten ist, dass an die Bewertung des Kindes-             Es scheint nicht mehr notwendig zu sein,
willens in Kinderschutzverfahren wegen                 sich ausdrücklich mit dem PAS-Konzept
eines möglicherweise selbstgefährdenden                befassen, das über ein Jahrzehnt nicht nur
Kindeswillens andere Anforderungen zu                  in der Literatur diskutiert wurde, sondern
stellen sind als in Verfahren, in denen keine          auch in der Rechtsprechung in großen
Kindeswohlgefährdung vorliegt. In Kinder-              Umfang angewandt worden ist – in der
schutzsachen, also wenn ein Schutzbedarf               Datenbank juris habe ich noch im Januar
für das Kind indiziert ist, „kann sich die             2010 1.873 Eintragungen in der Rechtspre-
Bedeutung des Kindeswillens zugunsten der              chung gefunden, in dieser Woche nur noch
objektiven Interessen reduzieren“. Aber das            413. Nach ihm sollten bei Trennungs- und
kann meiner Ansicht nach ausschließlich                Umgangskonflikten vor allem Mütter ihre
für Kinderschutzsachen, also bei Kindes-               Kinder soweit systematisch beeinflusst
wohlgefährdung im Sinne des § 1666 BGB                 haben, als Kindern keine eigenen Willenäu-
der Fall sein. Ein selbstgefährdender Kin-             ßerungen mehr möglich waren, sie Kontakt
deswille setzt eine Kindeswohlgefährdung               zum Vater quasi ablehnen „mussten“. Die
voraus, wenn das Konzept des Kindeswillens             wissenschaftliche Kritik an diesem Konzept
den Gedanken der Autonomie ernst nimmt.                war und ist überzeugend. Die Protagonisten
Es ist daher nicht nur psychologisch, son-             des Konzepts, vor allem die Väterverbände,
dern auch rechtlich problematisch, wenn                haben den Namen inzwischen selbst auf-
in Umgangs- oder Sorgerechtssachen mit                 gegeben. Stattdessen werden die Begriffe
einem selbstgefährdenden Kindeswillen                  „induzierter“ Kindeswillen und mangelnde
argumentiert wird (Saarländisches Oberlan-             Bindungstoleranz des betreuenden Eltern-
desgericht 13.01. 2009).                               teils, in der Regel der Mutter, verwendet.
                                                       Begriffe, denen mit gleicher Vorsicht zu be-
Der induzierte Kindeswille                             gegnen sind, da sich hinter ihnen inhaltlich
Die Beeinflussung von Kindern bzw. ihres               das PAS-Konzept verbirgt.
Willens und ihrer Einstellungen stellt für                 Den Kindeswillen zu erkunden ist im
Harry Dettenborn eine „Begleiterscheinung              familiengerichtlichen Verfahren vor allem
familienrechtlicher Konflikte“ dar. Er                 Aufgabe des Verfahrensbeistands.
diskutiert die streitige Frage, ob es gerecht-
fertigt ist, die so entstandenen Willensbe-            Der Verfahrensbeistand
kundungen als weniger bedeutsam einzu-                 Das Rechtsinstitut des Verfahrenspflegers,
schätzen. Wenn infolge einer Induzierung               auch Anwalt des Kindes genannt, wurde
neue psychische Realitäten entstanden sind,            im neuen Verfahrensrecht zum Verfah-
sind sie nicht „als bloße Spiegelung fremder           rensbeistand ausgebaut. Zur Verfahrens-
Einflüsse abzuwerten“. Gegen den dahinter              pflegschaft gibt es umfangreiche Literatur,
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