"Du kannst nicht tot sein, weil ich dich liebe!" - Mythisierung
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MARKE Mythisierung E-Journal „Du kannst nicht tot sein, weil ich dich liebe!“ Die Filmszene, aus der das Zitat stammt, markiert den emotionalen Höhepunkt eines der erfolgreichsten Filme aller Zeiten. Die mit vier Oscars ausgezeichnete und weltweit über 1,7 Mrd. $ einspielende Matrix-Trilogie gilt als einer der bedeutendsten Kultfilme der jüngeren Filmgeschichte. Worin liegt der Erfolg begründet? Warum berührt der Film emotional so tief? Und was kann ein Markenmanager daraus lernen? I n der Ausgabe 5/6 2009 dieses Journals traf der Verfasser in seinem Beitrag Markenbionik die Aussage: „Mit der Nutzung einer in Jahrtausen- Der Film „Matrix“ schildert ein apokalyptisches Zukunfts- den der Menschheitsentwicklung gebildeten szenario, in dem intelligente Maschinen die Welt vollständig kollektiv handlungsleitenden Kraft, der Mytho- beherrschen. Menschen existieren nur noch als Energie- motorik, steht dem Markenmanager ein Wettbe- lieferanten in einer Nährlösung. Sie sind realiter nichts weiter werbsinstrument zur Verfügung, das ihm ungleich als Gehirne in einem vernetzten Körper, denen ein komplexes Computerprogramm – die Matrix – ein virtuelles Alltagsleben mehr Wettbewerbsmacht verleiht als jede aus be- suggeriert. Nur wenige Individuen durchschauen die Virtu- grenzten Investitionen aufgebaute Markenkraft.“ alität dieser Welt und kämpfen gegen die Maschinen um ihre Die Aussicht auf größere Wettbewerbsmacht stieß Freiheit. In Thomas Anderson, einem am Sinn seiner Existenz damals unter den Lesern auf großes Interesse aber zweifelnden Bürger der Matrix, der sich unter dem Pseudo- nym Neo als Hacker betätigt, glauben die Menschen ihren auch auf ebenso großes Unverständnis: Was ist Erlöser gefunden zu haben. Neo wächst im Laufe der Ge- Mythomotorik? Wie setzt man sie ein? Und wo schichte in seine messianische Rolle hinein, Als sein Mentor kann man sie kaufen? Die Antwort auf die letzte schließlich durch Verrat in die Hände der Maschinen gerät, Frage vorweg: Man kann sie nicht kaufen, denn sie und die Mission der Befreiung zu scheitern droht, nimmt Neo seine Bestimmung an stellt sich seinen übermächtigen ist frei verfügbar. Ein immaterielles Vermögen un- Gegnern und opfert sich am Ende für die Menschheit. seres kulturellen Gedächtnisses; ein kollektives geistiges Erbe der Menschheit. Die beiden offenen Fragen soll ein anschauliches Beispiel beantwor- ten: Schauen wir den Meistern der Mythomotorik „erscheinen“, weil man den Sinn nicht benennen, auf die Finger. Nein, nicht den Kirchen, sie haben nicht bewusst reflektieren kann, aber man fühlt diesen Rang längst verloren. Wir schauen nach Hol- ihn, man ist sich seiner gewiss. Matrix ist ein Meis- lywood, auf eine neue Generation sehr erfolgreicher terwerk der symbolischen Überhöhung von Inhalt. Regisseure und Filmemacher: Der Inhalt von Matrix – seine Markenstory – ist eine abgestandene alte Idee: Technik und Wissen- schaft als böser Geist, den törichte Menschen aus Wenn die Form den Inhalt überhöht ... der Flasche gelassen haben. Die Markenbotschaft ist einfach: Fürchtet euch vor den Computern, weil ... dann entsteht Spannung, dann fließen Bedeutun- sie eines Tages die ultimativen Butzemänner sein gen von der Form zum Inhalt und lassen diesen werden. Wir selbst schaufeln uns unser Grab, weil merkwürdig Sinn-voll erscheinen. Ich sage bewusst wir ihnen beibringen, uns zu überflügeln und zu 66 1 : 2013 marke 41
DR. OLIVER BÖRSCH, Markenstratege; Experte für Mythomotorik und Sprecher bei MYTHOMOTION. raum bis hin zu Blade Runner und Terminator. Das ewig gleiche Story-Telling. Und doch hat der Film an der Schwelle zur Jahrtausendwende das Publi- kum hingerissen, die Kritiker begeistert und die Feuilletonisten in einen nicht enden wollenden Deutungswahn getrieben, dem sich sogar ernst zu nehmende Philosophen wie Peter Sloterdijk nicht entziehen konnten. Und ganz nebenbei hat Matrix seinen Machern sehr viel Geld beschert, wobei die heutigen Einnahmen aus dem ungebrochenen Boom an Folgeprodukten des Films resultieren wie Computerspiele, DVD, Merchandising-Artikel etc. Wenn die Emotionen den Verstand überfluten ... ... dann haben sie einen Grund dafür, das Verhalten des Menschen, seine Denk- und Handlungsmuster, unmittelbar zu steuern. Dann wird im Hirn etwas verdrängen. Das Markenversprechen ist bekannt: Ein furchtbar Wichtiges verhandelt, was keine Zeit für Held wird kommen, der die bösen Maschinen ordent- eine bewusste Analyse und Bewertung verschwen- lich verhaut und die Menschen aus ihrer Knechtschaft det. Dann ist die wahrgenommene Information ent- befreit – und er wird dabei auch noch gut aussehen. weder äußerst lebenswichtig oder äußerst vertraut Die Markenwerte finden sich in jedem ordentlichen – oder beides. Und sie liegt in einer Kommunikati- Brand-Manual: Mut, Freiheit, Individualität, Eigenin- onsform vor, die eine schnellst mögliche Decodie- itiative und natürlich der Respekt vor der Persönlich- rung zulässt, also nicht in sprachlicher Form. Mat- keit des anderen. rix hat all diese Anforderungen umgesetzt und auf Fotos: Unternehmen Die Story ist nichts Neues, nichts Differenzieren- die Spitze getrieben: Matrix ist purer Stil, ein hoch des, nichts Relevantes. Der Film steht in einer langen verdichtetes System aus Symbolen, eine buchstäb- Tradition ähnlicher Film-Storys. Sie reicht von Metro- liche „Matrix“ aus bedeutungsschwangeren Zei- polis und Frankenstein über 2001 – Odyssee im Welt- chen, die mitunter auf Tausende Jahre alte Erfah- 1 : 2013 marke 41 67
MARKE Mythisierung nen My thologeme eck t den zuvor erschosse die Kommunikation der ABBILDUNG 1: Trinity erw s sowie die Offenbarung ihrer ABBILDUNG 2: Apple hat n We rbe spo t ein geleitet, der Kus nam ige Helden Neo durch einen 198 4 mit seinem gleich rten Welt Leben. von Maschinen dominie Liebe zu ihm wieder zum die Befreiung aus einer pro phe zeite. eine Erlöserfigur (einer IBM-Welt) durch rungen des Menschen verweisen. Jede Handlung, jeder von Neuem gestillt werden will. Diese Sehnsucht stil- Dialog, jede Szene, jede Rolle wurzelt in uralten mythi- lenden Emotionen, die von einem Mythos ausgelöst schen Bezügen. Matrix ist ein kunstvolles Gewebe neu werden, nennen wir Mythomotionen. inszenierter Mythologeme. Darin liegt seine Faszina- tion begründet: In der Spannung aus Jahrtausende alten Symbolen einerseits und ihrer Transformation in neue, Wenn Mythomotionen die Menschen bewegen ... differenzierende (Sinn-)Bilder andererseits. Die sym- bolische Kommunikation relevanter Mythologeme ... dann nehmen diese einen Überschuss symbolischer überwindet die Story des Films radikal. Bedeutungen wahr: Der so genannte „Auferstehungs- Mythologeme sind Kernaussagen eines Mythos, ein mythos“, dem das genannte Mythologem zu Grunde verdichteter Wertekomplex. Ein Mythologem eines liegt und der durch die berühmte Kuss-Szene insze- spezifischen Erlösermythos lautet beispielsweise: „Die niert wird, ist essenziell für die Rolle der Erlöserfigur Liebe überwindet den Tod.“ In Matrix wird dieses My- Neo. Ihr folgt die komplette Inszenierung des mythi- thologem symbolisch inszeniert, indem Trinity den schen Erlöserweges einschließlich der Opferung Neos zuvor erschossenen Helden Neo durch einen Kuss so- zur Errettung der Menschheit, wozu auch zahlreiche wie die Offenbarung ihrer Liebe zu ihm wieder zum religiöse Symbole aus christlicher, gnostischer und Leben erweckt (Abb. 1). Dasselbe Mythologem findet buddhistischer Tradition aufgegriffen werden. Doch sich jedoch schon in gleicher Symbolik 2500 Jahre vor damit nicht genug: Die Erlöserfigur Neo verweist mit Christi Geburt im alten Ägypten. Dort erweckt die gött- ihren übermenschlichen Fähigkeiten auf Symbole ei- liche Königin Isis ihren ebenfalls umgebrachten Göt- nes spezifischen theogonischen Mythos, in dem der tergatten Osiris durch liebevolle Zuwendung wieder Mensch mit göttlichen Attributen ausgestattet über zum Leben. Von diesem Datum an lässt sich das My- sich hinauswächst. Diese Symbolik wird gekreuzt mit thologem der den Tod überwindenden Liebe in zahl- Symbolen eines kosmogonischen Mythos, in dem der reichen Kulturen, zu unterschiedlichen Zeiten und in Computer den Schöpfergott ersetzt und eine eigene unterschiedlichen Formaten, als Ritual, Gedicht, Ka- virtuelle Welt erschafft – die „Matrix“. Die Befreiung non, Gebet, Märchen, Sage, Legende sowie in Malerei, der Menschheit aus dieser Scheinwelt rekurriert wie- Bildhauerei, Foto- und Filmkunst bis in unsere Gegen- derum auf Symbole des anthropogonischen Mythos wart decodieren. Offenbar ist dieses Mythologem von der Vertreibung aus dem Paradies durch die Erlangung großer Bedeutung für die Menschheit, offenbar fokus- von Erkenntnis und Leben in Mündigkeit und Aufklä- siert es eine unsterbliche Sehnsucht des Menschen, rung. All diese Mythen spiegeln sich in der Symbolik die durch die jeweilige symbolische Inszenierung stets des Urstandsmythos vom goldenen Zeitalter, der von 68 1 : 2013 marke 41
der heilen Welt vor der Machtergreifung durch die Ma- Die Mythenanalyse des Films ließe sich noch weit schinen kündet und gleichzeitig im apokalyptischen fortsetzen, würde jedoch den Rahmen des Beitrags Mythos vom Ende der Menschheit. Um den Zustand sprengen. Wichtig für den Markenmanager ist festzu- heiler Welt wieder herzustellen, fordert die Apokalyp- halten, dass eine solche Verschmelzung von Bedeutun- se schließlich den Neuanfang, die Wiedergeburt der gen auf sprachlicher Ebene wegen der enormen Kom- Menschheit, wie sie in der unterirdischen Stadt Zion plexität nicht möglich ist, während die symbolische bereits im Keim angelegt ist. Hier schließt sich der Kommunikation es ermöglicht, einen Bedeutungsüber- Kreis zur Symbolik des messianischen Erlösermythos, schuss zu erzielen, der das Kinopublikum geradezu dessen Held Neo die Menschheit durch Selbstopferung berauscht. Das Instrument dazu ist die selbstähnliche errettet und den Neuanfang erst ermöglicht. Transformation der mythischen Symbole in zeitgemä- Für B2B-Profis Ihre Termine 2013 Digital- und Live-Kommunikation 1. Juli 2013 in Stuttgart 20./21. März 2013 in München 3. Juli 2013 in Düsseldorf 15./16. Oktober 2013 in Würzburg www.leadmanagementsummit.com www.marconomy-ontour.de www.b2bmarketingkongress.de marconomy ist die neue Plattform für Marketing und Kommunikation in der Wirtschaft. SAVE TH E DATE www.marconomy.de 08983 www.vogel.de
MARKE Mythisierung ße attraktive Sinn-Bilder. Das markentechnische Prin- Welt) durch eine Erlöserfigur prophezeite (Abb. 2). In zip der Selbstähnlichkeit wird in Matrix auf die Spitze diesem Spot ist die bekannte Story ebenfalls durch getrieben: Eine Überdosis mythischer Symbolik aus eine verdichtete Symbolik mit zahlreichen Bedeu- zahlreichen Kulturen der Erde wird einem stringenten tungsverweisen mythisch überhöht worden. Von da an Visualisierungs-Code unterworfen und zu einem hoch- hat die Marke Apple in ihrer Kommunikation konti- attraktiven Cyber-Stil verdichtet. Die Stildichte des nuierlich ein Mythenmuster stimuliert, das sich mit Films setzt Maßstäbe für alle Markenmanager. Illus- dem Muster des Films Matrix verschiedene Schnitt- tres Ergebnis dieser stringenten Markierungsstrategie mengen teilt – bis hin zur Inszenierung seiner messi- ist auch der Vorspann: Matrix ist der erste und bis heu- anischen Symbolfigur Steve Jobs (Abb. 3). Die Wirkung te einzige Film, der das Logo der Produktionsfirma formuliert Professor Norbert Bolz so: „... Apple lässt Warner Bros. in seinem eigenen Colour-Code präsen- uns vergessen, dass wir es mit einem Rechner zu tun tieren durfte. haben; sein Interface-Design schirmt uns ab gegen die posthumane Technologie des Digitalen und ihre nega- tiven Begleiterscheinungen ... .“ Wenn Matrix für Apple „Werbung“ macht ... Die mediastrategische Konsequenz aus Apple’s My- thisierungsstrategie ist enorm: Immer dann, wenn ein ... dann liegt das daran, dass beide Marken auf ein Set Medium wie beispielsweise Matrix selbiges Mythen- gemeinsamer Mythologeme verweisen. Apple hat die muster kommuniziert, werden diejenigen Mythologe- Kommunikation dieser Mythologeme 1984 mit seinem me im kulturellen Gedächtnis der Menschheit aktua- gleichnamigen Werbespot eingeleitet, der die Befreiung lisiert und stimuliert, die auch die handlungsleitenden aus einer von Maschinen dominierten Welt (einer IBM- Emotionen – die Mythomotionen – in Bezug auf die Kommunika- Marke Apple steuern. Eine vergleichbare Kommunika tionswirkung durch gekaufte Werbung oder PR könn könn- 4 hat die Marke Apple ABBILDUNG 3: Seit 198 te Apple aus eigenem Mediabudget sich auch nicht Kom mu nik atio n kontinuierlich in ihrer er stim ulie rt, das Kommunikationswir- annähernd leisten. Hier wird Kommunikationswir ein My thenmust Films sich mit dem Muster des kung von ganz anderer Stelle auf das Markenkonto Schnitt- „Matrix “ verschiedene eingezahlt – quasi gebührenfrei. Die heute andauernde teil t – bis hin zur Insze- mengen schen Erfolgsgeschichte von Apple beginnt 1999 mit der nierung seiner messiani s. Symbolfigur Steve Job Rückkehr von Steve Jobs in das Unternehmen. Im glei glei- chen Jahr erscheint der erste Teil der Matrix-Trilogie. Welchen Anteil sie am Erfolg der Marke Apple hat, ist Bedeutungszusammenhän- ungewiss. Die kulturellen Bedeutungszusammenhän ge zwischen Marken und Medien ließen sich durch eine semantische Markenforschung analysieren, die auch emergente Wirkungseffekte aus der alltäglichen Wechselwirkung beider Phänomene ermitteln kann. Manager sollten sich ihre Marken daraufhin einmal näher anschauen. Es lohnt sich. von Dr. Oliver Börsch 70 1 : 2013 marke 41
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