Duell, Triell oder offener Schlagabtausch? Die Vereinbarkeit des TV-Kanzler*innentriells mit dem Recht der politischen Parteien auf Chancen...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Duell, Triell oder offener Schlagabtausch? Die Vereinbarkeit des TV-Kanzler*innentriells mit dem Recht der politischen Parteien auf Chancen- gleichheit Von Stud. iur. Maximilian Scheu, LL.B., Mannheim* I. Einleitung lerkandidat*innen aus? Hätten die Grünen einen Anspruch Am 26.9.2021 ist es wieder so weit: Deutschland geht wählen. auf Zulassung ihrer Kandidatin zum TV-Duell? Und ist es Die gegenwärtigen Umfragen zeichnen dabei ein uneinheitli- unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit rechtlich zu- ches Bild hinsichtlich der möglichen Regierungskoalitionen. lässig, zwar zusätzlich den Spitzenkandidaten der SPD, nicht Es wird in jedem Fall spannend. Als mögliche*r zukünftige*r aber die Kandidat*innen der Linken, der FDP und der AfD an Bundeskanzler*in werden aktuell Annalena Baerbock von dem TV-Format teilnehmen zu lassen? Diesen und weiteren Bündnis 90/Die Grünen und der Spitzenkandidat von CDU/ Fragen widmet sich der folgende Beitrag. CSU, Armin Laschet, gehandelt. Traut man den jüngsten Um- fragen, so spielt Olaf Scholz (SPD) im Rennen um die Kanz- II. Die Stellung der Fernsehmedien ler*innenschaft ebenso wenig eine Rolle wie die Kandi- In einem ersten Schritt soll der Fokus auf den Fernsehmedien dat*innen der weiteren im Bundestag vertretenen Parteien. liegen. Welche Spielräume und Verpflichtungen bestehen im Dass sich das Feld der praktisch in Frage kommenden Kanz- Hinblick auf deren Programmzusammenstellung? Lassen sich lerkandidat*innen nicht mehr nur auf die Kandidat*innen von konkrete Vorgaben in Bezug auf die Besetzung eines TV- Union und SPD beschränkt, stellt bekanntermaßen ein No- Formats der Kanzlerkandidat*innen identifizieren? Diesem vum dar. ersten Aspekt wird im folgenden Abschnitt nachgegangen, Vorausgesetzt dieser Zustand bleibt erhalten, stellen sich wobei es zwischen privaten Rundfunkunternehmen und öf- bestimmte Rechtsfragen betreffend das Vorfeld der im Herbst fentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu differenzieren gilt. anstehenden Bundestagswahl. Seit 2002 genießt das sog. „Kanzler*innenduell“ im Fernsehen hohe Aufmerksamkeit 1. Private Rundfunkunternehmen bei vielen Wähler*innen. In seiner fast zwanzigjährigen Ge- Private Rundfunkunternehmen genießen als juristische Per- schichte war das Format durchgängig auf die aussichtsreichen sonen des Privatrechts in personeller Hinsicht den Schutz der Kandidat*innen von Union und SPD beschränkt. In einer in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG garantierten Rundfunk- Zeit, in der praktisch schon vorab feststand, dass entweder freiheit. Als Rundfunk, der seinerseits einem steten Wandel die Union oder die SPD die/den nächste*n Bundeskanzler*in unterliegt und entwicklungsoffen bleibt3, versteht man nach stellen würde, war dies rechtlich nicht zu beanstanden. So sah herkömmlicher Definition die an einen unbestimmten Adres- es jedenfalls das BVerfG im Jahr 20021, als es eine entspre- satenkreis gerichtete drahtlose oder drahtgebundene Über- chende Verfassungsbeschwerde der FDP ablehnte. Ehedem mittlung von Gedankeninhalten durch Funktechnik, d.h. mit sei nicht ernsthaft damit zu rechnen gewesen, dass der dama- Hilfe elektrischer Schwingungen bzw. mittels elektromagne- lige Spitzenkandidat der FDP, Dr. Guido Westerwelle, tat- tischer Wellen.4 Um dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 sächlich zum Kanzler gewählt werden würde. Und in der Tat GG zu unterfallen, muss der Rundfunk ferner dargeboten zog schließlich nicht Dr. Guido Westerwelle, sondern werden. Dies setzt eine Vermittlungsweise von Informationen Gerhard Schröder, Spitzenkandidat der SPD, in das Bundes- und Meinungen voraus, die sich durch Breitenwirkung, Ak- kanzleramt ein. tualität und Suggestivkraft auszeichnet.5 Ist dies gegeben, so Allerdings unterscheidet sich die Ausgangslage im Jahr erstreckt sich die „Freiheit“ des Rundfunks insbesondere auf 2021, wie oben dargetan, signifikant. Die Demoskopen rech- die Programmfreiheit, welche die inhaltliche Ausgestaltung nen den Grünen ernsthafte Chancen ein, die nächste Bundes- und Formung des Programms umfasst.6 Das Interesse an der kanzlerin in Person von Annalena Baerbock zu stellen. Die- Ausstrahlung eines TV-Formats durch ein privates Rundfunk- sem Umstand tragen ARD und ZDF (politisch) Rechnung, unternehmen, bei dem eine limitierte Anzahl von Spitzen- indem am 12.9.2021 erstmals ein Triell der Kanzlerkandi- politiker*innen mitwirkt, ist somit grundrechtlich geschützt. dat*innen von CDU/CSU, SPD und Grünen stattfinden soll.2 Da private Rundfunkunternehmen nicht unmittelbar an Grund- Doch wie wirkt sich die veränderte Ausgangslage in rechtli- rechte gebunden sind, ist der Spielraum groß. Das BVerfG cher Hinsicht auf das einstige TV-Duell zwischen den Kanz- schreibt privaten Rundfunkunternehmen lediglich eine sach- gemäße, umfassende und wahrheitsgemäße Information sowie ein Mindestmaß an gegenseitiger Achtung vor. Der Gesetz- * Der Autor ist Wiss. Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht sowie Verfassungstheorie (Prof. Dr. Benjamin Straßburger) an der Universität Mann- 3 heim. BVerfGE 74, 297 (350 f.). 1 4 BVerfG NJW 2002, 2939 ff. Vgl. Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kom- 2 Triell der Kanzlerkandidatin und der Kanzlerkandidaten, mentar, 92. Lfg., Stand: August 2020, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 abrufbar unter Rn. 603. 5 https://www.daserste.de/specials/ueber-uns/triell-wahl-2021- BVerfGE 57, 295 (319); 119, 181 (214 f.). 6 100.html (28.7.2021). BVerfGE 119, 181 (219). _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für das Juristische Studium – www.zjs-online.com 452
Duell, Triell oder offener Schlagabtausch? ÖFFENTLICHES RECHT geber hat diesbezüglich verbindliche Leitgrundsätze statuiert.7 abstrakte Beschreibung des Programmauftrages hinauszuge- Derartige Leitgrundsätze enthält namentlich der am 7.11. hen. Andernfalls wäre die grundrechtliche Programmauto- 2020 in Kraft getretene Medienstaatsvertrag (MStV), welcher nomie in einer nicht zu rechtfertigenden Weise beschnitten.11 den Rundfunkstaatsvertrag (RStV) ablöst. Jedoch ergeben Festzuhalten ist somit, dass auch die öffentlich-rechtli- sich weder aus den von § 51 MStV statuierten Programm- chen Rundfunkanstalten keinen konkreten Maßgaben unter- grundsätzen für privaten Rundfunk noch aus § 52 Abs. 1 worfen sind, was die genaue Zusammensetzung eines TV- MStV, wonach die Vielfalt der Meinungen im Wesentlichen Formats der Spitzenkandidat*innen im Vorfeld der Bundes- zum Ausdruck zu bringen ist und die bedeutsamen politi- tagswahl anbetrifft. Die Ausgestaltung ist dem Ermessen der schen Kräfte angemessen zu Wort kommen sollen, konkrete Anstalten im Rahmen ihrer Programmfreiheit überantwortet. Vorgaben in Bezug auf TV-Formate nach Art des Kanz- Doch schließt die Programmfreiheit der Rundfunkanstalten ler*innenduells.8 Insoweit genießen die privaten Rundfunk- nicht von vornherein aus, dass einzelne Parteien die Zulas- unternehmen hinsichtlich der personellen Besetzung des TV- sung zu den hier in Rede stehenden TV-Formaten beanspru- Formats mit Spitzenkandidat*innen der politischen Parteien chen können. weitgehend Handlungsfreiheit. III. Zulassungsansprüche 2. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten Zur Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen von Zulas- Anders liegen die Dinge mit Blick auf öffentlich-rechtliche sungsansprüchen hinsichtlich eines bereits feststehenden Rundfunkanstalten. Diese sind zwar genau wie private Rund- Rahmenformats wird im Folgenden nach Lösungsansätzen funkunternehmen vom persönlichen Schutzbereich der Rund- gesucht. Hierbei werden drei verschiedene Konstellationen funkfreiheit erfasst. Somit kommt auch dem öffentlich-recht- unterschieden und näher untersucht. Zum einen stellt sich die lichen Rundfunk die grundrechtlich verbürgte Programm- Frage, ob die Grünen als „neuer Spieler“ aufgrund ihrer Er- freiheit zu, die ihnen das Recht gewährt, die Teilnehmer*- folgsprognose eine Zulassung zu dem bisher herkömmlichen innen an einer wahlbezogenen Diskussion nach ihrem Ermes- Duell der beiden „Platzhirsche“ (Union und SPD) verlangen sen selbst zu bestimmen.9 Andererseits sind die öffentlich- können (1.). Anschließend wird der Frage nachgegangen, ob rechtlichen Rundfunkanstalten als juristische Personen des und – bejahendenfalls – wann eine Verdrängung der in den öffentlichen Rechts, insbesondere infolge ihrer unmittelbaren Umfragen schwächelnden SPD durch den neuen Spieler mög- Grundrechtsbindung, deutlich strengeren Maßgaben unter- lich ist bzw. ob die SPD eine Erweiterung des Duells zu ei- worfen als der private Rundfunk. So misst das BVerfG den nem Triell verlangen kann (2.). Zuletzt stellt sich die Frage öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine herausragende nach der Rolle und etwaigen Zulassungsansprüchen der übri- Rolle bei, wenn es bekundet, dass diese wegen ihrer inhaltli- gen im Bundestag vertretenen Parteien (3.). chen Standards und der allgemeinen Empfangbarkeit die mediale Grundversorgung der Bevölkerung sichern.10 Dem 1. Anspruch auf Erstzulassung des „neuen Spielers“ verleiht § 26 Abs. 1 S. 1 MStV Ausdruck, der den öffentlich- Im Folgenden sind die in Betracht kommenden Anspruchs- rechtlichen Rundfunkanstalten aufträgt, „durch die Herstel- grundlagen zu untersuchen. Anspruchsgrundlagen für einen lung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor Zulassungsanspruch der Spitzenkandidatin der Grünen könnten des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungs- sich namentlich aus dem Medienstaatsvertrag, dem Parteien- bildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen gesetz oder unmittelbar aus dem Grundgesetz ergeben. und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen“. Nach § 26 Abs. 2 MStV haben die öffentlich-rechtlichen a) § 68 Abs. 2 MStV Rundfunkanstalten „bei der Erfüllung ihres Auftrags die Aus § 68 Abs. 2 MStV ergibt sich ein Anspruch auf Einräu- Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Bericht- mung angemessener Sendezeit zu Selbstdarstellungszwecken erstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit für Wahlwerbespots zu Wahlen zum Deutschen Bundestag.12 ihrer Angebote zu berücksichtigen“. Redaktionelle Sendungen wie ein TV-Duell oder TV-Triell Diese Programmsätze sind unpräzise und tragen daher werden aber nach Form und Ablauf von der Rundfunkanstalt nicht unmittelbar zur Lösung der oben aufgeworfenen Frage selbst verantwortet und sind daher kein Instrument der Selbst- bei. Doch ist diese Unbestimmtheit einem strukturellen Prob- darstellung.13 § 68 Abs. 2 MStV ist daher schon tatbestand- lem geschuldet: Wiewohl es dem Gesetzgeber einerseits lich nicht einschlägig. Da – wie oben aufgezeigt – die Pro- aufgetragen ist, den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rund- grammsätze des Medienstaatsvertrags bewusst vage formu- funks zu konkretisieren, ist es ihm andererseits wegen des liert sind, können auch diese nicht als Anspruchsgrundlage Grundsatzes der Staatsferne verwehrt, über eine lediglich für einen konkreten Zulassungsanspruch herangezogen wer- den. Ein Anspruch aus dem Medienstaatsvertrag scheidet da- 7 BVerfGE 57, 295 (326); 73, 118 (199). her in Gänze aus. 8 Müller-Terpitz, in: Gersdorf/Paal (Hrsg.), Beck’scher Online- Kommentar zum Informations- und Medienrecht, 32. Ed., Stand: 1.5.2021, MStV § 59 Rn. 8. 9 11 Vgl. BVerfGE 82, 54; OVG Münster NJW 2002, 3417 Gersdorf, in: Gersdorf/Paal (Fn. 8), RStV § 11 Rn. 4. 12 (3419). Cornils, in: Gersdorf/Paal (Fn. 8), MStV § 68 Rn. 2, 10. 10 13 BVerfGE 73, 118 (157 f.). Hoefer, NVwZ 2002, 695 ff. _____________________________________________________________________________________ ZJS 4/2021 453
AUFSÄTZE Maximilian Scheu b) § 5 Abs. 1 S. 1 PartG wie er in § 5 Abs. 1 S. 2 PartG zum Ausdruck gekommen In Bezug auf § 5 Abs. 1 S. 1 PartG gestaltet sich die Lage ist“), wird es nicht verwehrt, den Grundsatz aus einer anderen weniger eindeutig. Wenn ein Träger öffentlicher Gewalt den Rechtsgrundlage herzuleiten. Schließlich begründet § 5 Parteien Einrichtungen zur Verfügung stellt oder andere Abs. 1 S. 2 PartG diesen Grundsatz nicht, sondern gibt ihn öffentliche Leistungen gewährt, sollen demnach alle Parteien nur ausschnittsweise wieder. gleichbehandelt werden. Ob sich hieraus ein originärer Zulas- Grundlage für einen Zulassungsanspruch zu einem TV- sungsanspruch oder nur ein derivativer Teilhabeanspruch er- Format der Kanzlerkandidat*innen kann daher lediglich das gibt14, kann dahinstehen, da in der behandelten Konstellation sich aus Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG abzulei- bereits feststünde, dass ein entsprechendes TV-Format veran- tende20 Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit staltet wird. sein.21 Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich bei einem der- artigen TV-Format überhaupt um eine öffentlich bereitge- c) Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG stellte Einrichtung oder Leistung handelt. Nach einer Ansicht Ein Zulassungsanspruch könnte sich aus dem Recht der poli- ist dies für redaktionell gestaltete Sendungen in Zusammen- tischen Parteien auf Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 hang mit Wahlen oder allgemein-politischen Themen strikt GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG ergeben. Chancengleichheit in abzulehnen.15 Nach einer anderen Ansicht sei jedenfalls der diesem Sinne meint Wettbewerbsfreiheit der Parteien.22 Die Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit, wie er in § 5 Bürger*innen sollen sich frei von staatlichem Einfluss ein Abs. 1 S. 2 PartG zum Ausdruck kommt, auch auf redaktio- eigenes Bild über die Programme und Ideen der zu den Wah- nell gestaltete Wahlsendungen übertragbar.16 len antretenden politischen Parteien machen. Die Anstalten Auch wenn ein TV-Format der Kanzlerkandidat*innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen daher in ange- für die Willensbildung der Bürger*innen im Vorfeld von messener Weise über alle politischen Parteien ausgewogen, Wahlen von ungleich größerer Bedeutung als Wahlwerbe- inhaltlich zutreffend und sachlich informieren und von jedem spots der Parteien sein dürfte17, so kann man hierin keine Versuch einer eigenen Beeinflussung der Meinungsbildung „öffentliche Leistung“ i.S.v. § 5 Abs. 1 PartG sehen. Denn der Wähler*innen Abstand nehmen.23 Eine „Vorabselektion“ unter einer „öffentlichen Leistung“ im Sinne der Vorschrift der zugelassenen Parteien durch öffentliche Stellen steht da- versteht man die bewusste und zweckgerichtete Vorteils- her nicht nur in einem krassen Gegensatz zur Leitidee des*r gewährung an Parteien.18 Im Kontext der Fernsehanstalten mündigen Bürgers*in, sondern konfligiert auch mit dem für kann von „öffentlicher Leistung“ daher nur insoweit die Rede die demokratische Willensbildung elementaren Grundsatz der sein, als die Programmgestaltung der Einwirkung des Senders Gleichbehandlung der Parteien. Die Chancengleichheit wird entzogen ist, wie dies exemplarisch bei Wahlwerbespots der daher vom BVerfG weit verstanden und umfasst das gesamte Fall ist. Hier kann der Sender während des Ausstrahlungs- Vorfeld der Wahlen, also auch den Wahlkampf.24 Auch die prozesses nicht eingreifen. Seine Mitwirkung erschöpft sich Nichtzulassung zu einem TV-Format der Kanzlerkandidat*- in der Bereitstellung der Plattform und des Termin-Slots. innen kann daher potenziell als Grundrechtseingriff zu quali- Grundlegend anders verhält es sich aber bei TV-Formaten, fizieren sein.25 Denn wie das OVG Hamburg26 schon 1988 bei denen der Moderator durch das Stellen von Fragen aktiv treffend bemerkte, ist ein TV-Format, bei dem die Spitzen- auf das Geschehen einwirkt und es entscheidend prägt. Ein kandidat*innen um die Kanzler*innenschaft antreten, von bloßes „zur Verfügung stellen“ oder „Gewähren“ ist darin ungleich größerer Bedeutung für die politische Willensbil- nicht zu erblicken. Mangels Erfüllung des Tatbestandes dung der Bevölkerung als es etwa die Wahlwerbespots der scheidet daher ein Anspruch aus § 5 Abs. 1 S. 1 PartG aus. Parteien sind. So wurde das letzte Kanzler*innenduell zwi- Die Validität des Gebots der abgestuften Chancengleich- schen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und ihrem Heraus- heit auch im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden forderer von der SPD, Martin Schulz, von 16,11 Millionen Maßnahmen der öffentlichen Rundfunkanstalten ergibt sich Zuschauern verfolgt.27 Die Kernaussage ist dabei seit 2002 somit nicht aus § 5 Abs. 1 S. 2 PartG, wohl aber aus seiner verfassungsgesetzlichen Verankerung in Art. 21 Abs. 1 GG 20 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 16. Aufl. i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG. Indem das OVG Hamburg19 zum 2020, Art. 21 Rn. 23; zum Streit um die richtige verfassungs- Ausdruck bringt, dass dieser Grundsatz § 5 Abs. 1 S. 2 PartG rechtliche Verortung auch Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grund- immanent ist („Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit, gesetz, Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 21 Rn. 78. 21 So auch Hoefer, NVwZ 2002, 695 ff. 14 22 Vgl. Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Kommentar zum ParteienG, Morlok (Fn. 20), Art. 21 Rn. 77. 23 2. Aufl. 2018, § 5 Rn. 17 f. So ausdrücklich VerfGH Saarland, Beschl. v. 13.3.2017 – 15 Ipsen (Fn. 14), § 5 Rn. 22; Hoefer, NVwZ 2002, 695 (696); Lv 3/17 = BeckRS 2017, 104567 Rn. 15. 24 OVG Münster NJW 2002, 3417 (3418); im Ergebnis auch BVerfGE 8, 51 (64 f.); 14, 121 (132). 25 BVerfG NJW 2002, 2939 ff. Gleiches gilt auf kommunaler Ebene für ein TV-Format der 16 OVG Hamburg NJW 1988, 928; OVG Hamburg NJW Oberbürgermeisterkandidaten, vgl. VGH Mannheim NVwZ- 1994, 70 ff. RR 1997, 629 (630). 17 26 OVG Hamburg NJW 1988, 928 ff. OVG Hamburg NJW 1988, 928 ff. 18 27 OVG Münster NJW 2002, 3417 (3418). Einschaltquoten. 16,11 Millionen Zuschauer verfolgen TV- 19 OVG Hamburg NJW 1988, 928 ff. Duell, abrufbar unter _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für das Juristische Studium – www.zjs-online.com 454
Duell, Triell oder offener Schlagabtausch? ÖFFENTLICHES RECHT stets dieselbe: Eine*r der beiden Kandidat*innen wird Bun- Auch frühere Wahlen zum Deutschen Bundestag brachten deskanzler*in. Jede*r Bewerber*in um das Kanzler*innen- keine Ergebnisse, die für ein besonderes Gewicht der Partei amt, die*der dem TV-Duell nicht beiwohnt, erleidet somit streiten. So ist festzustellen, dass die Grünen in ihrer Ge- einen starken Wettbewerbsnachteil. Würden nur Armin La- schichte erst einmal – im Jahr 2009 – ein zweistelliges Er- schet (CDU/CSU) und Olaf Scholz (SPD) eingeladen, so gebnis auf Bundesebene erringen konnten.35 Scheitert eine würde dem/der Wähler*in suggeriert, dass vor allem diese Zulassung daher schon aufgrund der vorangegangenen Wahl- beiden Kandidaten und nicht Annalena Baerbock (Grüne) ergebnisse? gute Chancen haben, der*die nächste Bundeskanzler*in zu Die Antwort lautet: Nein. Das alleinige Abstellen auf werden. Die Auswahl der faktisch in Betracht kommenden frühere Wahlergebnisse würde einer Aufrechterhaltung des Kanzlerkandidat*innen würde so staatlicherseits schon vor status quo Vorschub leisten und letztlich auf eine Vorab- der eigentlichen Wahl beeinflusst.28 festlegung im Wahlwettbewerb hinauslaufen, was mit dem Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Grundsatz der gleichen Wettbewerbschancen nicht zu verein- Chancengleichheit nicht absolut gilt. Anders als etwa bei den baren ist.36 Es bedarf daher weiterer Abstufungskriterien. Wahlen zum Europaparlament, wo auch Kleinstparteien etwa In Bezug auf die Zulassung von Parteien zu TV-Formaten beim Wahl-O-Mat zu berücksichtigen sind29, ist die Frage, der Spitzenkandidat*innen sind als weitere Faktoren etwa die wer Kanzler*in wird, naturgemäß auf nur wenige, ernsthaft in Dauer des Bestehens einer Partei, ihre Mitgliederzahl, der Betracht kommende Aspirant*innen beschränkt. Ein starres Umfang ihrer Organisation, ihre Vertretung in Parlamenten, Festhalten an einem formalen Gleichheitsverständnis, wonach ihre Beteiligung an Regierungen in Bund und Ländern und allen Bewerber*innen der zugelassenen Parteien ein gleicher ihre sonstige politische Wirksamkeit zu berücksichtigen.37 Rahmen beim Kampf um die Wählergunst bereitgestellt wür- Diese Kriterien sprechen indes ebenfalls nicht für eine Zulas- de, wäre nicht mit den gegenläufigen Grundrechten der Rund- sung der Grünen. So Bestehen SPD (1863) und CDU/CSU funkanstalten aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG vereinbar.30 (beide 1945) schon deutlich länger als die Grünen (1993) und Auch würde so die besondere Bedeutung des Amtes des*der haben deutlich mehr Mitglieder (Stand 2019: SPD 419.340 Bundeskanzlers*in, die sich nicht nur aus dessen verfas- Mitglieder, CDU/CSU gemeinsam 544.946 Mitglieder, Grü- sungsrechtlicher Stellung nach Art. 65 S. 1 GG ergibt, son- ne 96.487 Mitglieder)38. Zwar ist die Zahl der Regierungs- dern sich insbesondere in der politischen Praxis dokumen- beteiligungen in Bund und Ländern bei allen Parteien ähnlich tiert, unterlaufen.31 Die Chancengleichheit der Parteien ist (SPD zwölf, Union elf, Grüne elf).39 Anders als SPD (sieben) daher abgestuft und lässt es bei der Zulassung zu einem TV- und Union (sieben), stellen die Grünen gegenwärtig aber nur Format der Spitzendkandidat*innen zu, den Parteien unter- in einem Bundesland (Baden-Württemberg) den Ministerprä- schiedlichen Raum zu gewähren.32 Die öffentlich-rechtlichen sidenten. Gleiches gilt für die Linken, die mit Bodo Ramelow Rundfunkanstalten können daher die Parteien in redaktionel- (Thüringen) ebenfalls einen Ministerpräsidenten stellen. len Sendungen vor Wahlen entsprechend ihrer Bedeutung Das gewichtigste Unterscheidungskriterium muss aber stets abgestuft berücksichtigen.33 die ernsthafte Aussicht sein, eine Kanzler*innenmehrheit Doch nach welchen Kriterien bemisst sich die Bedeutung hinter sich zu vereinigen. Wie das BVerfG schon 2002 klar- einer Partei und damit die Abstufung der Chancengleichheit? stellte, sind die bestehenden politischen Kräfteverhältnisse Auch wenn man die unmittelbare Anwendung des § 5 Abs. 1 hinzunehmen und dürfen nicht unberücksichtigt bleiben, PartG ablehnt, so ist in einem ersten Schritt die dem § 5 wenn es darum geht, abgestufte Chancengleichheit herzustel- Abs. 1 S. 3 PartG enthaltene Wertung ohne Weiteres über- len.40 In der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte tragbar. Danach sind die Ergebnisse vorausgegangener Wah- werden dabei ganz ausdrücklich auch die Umfrageergebnisse len zu Volksvertretungen ein Kriterium, um das Gewicht der als Maßstab angelegt.41 Entscheidend ist hierbei, dass es sich Parteien zu berücksichtigen.34 Legt man dies zugrunde, so ist das Gewicht der Grünen eher als gering einzuschätzen. 35 Deutscher Bundestag: Bundestagswahlergebnisse seit 1949 Schließlich haben Bündnis 90/Die Grünen mit 8,9 % bei der – Zweitstimmen, abrufbar unter vorangegangenen Bundestagswahl das schlechteste Wahler- https://www.bundestag.de/parlament/wahlen/ergebnisse_seit1 gebnis aller im 19. Bundestag vertretenen Parteien erzielt. 949-244692 (28.7.2021). 36 OVG Hamburg NJW 1988, 928 ff. 37 https://www.spiegel.de/kultur/tv/tv-duell-mit-merkel-und- BVerfGE 14, 121 (137 f.); OVG Hamburg NJW 1988, 928 ff. 38 schulz-hat-16-11-millionen-zuschauer-a-1165996.html Bundestagswahl 2021: Etablierte Parteien und Kleinparteien. (28.7.2021). Bundestagswahl 2021: alle teilnehmenden Parteien; unter 28 Vgl. hierzu auch OVG Münster NJW 2002, 3417 (3419). https://www.bundestagswahl-2021.de/parteien/ (28.7.2021). 29 39 VG Köln, Beschl. v. 20.5.2019 – 6 L 1056/19. Landesparlamente und Landesregierungen in Deutschland, 30 So auch Benda, NVwZ 1994, 521 (526). unter http://www.election.de/ltw_reg.html (28.7.2021). 31 40 OVG Münster NVwZ 1992, 68; OVG Münster NJW 2002, BVerfGE 14, 121 (137 f.); 24, 300 (354); BVerfG NJW 3417 (3420). 2002, 2939 ff.; so auch OVG Münster NJW 2002, 3417 32 BVerfG NJW 2002, 2939 ff. (3420). 33 41 OVG Münster NJW 2002, 3417 (3419). Vgl. VerfGH Saarland, Beschl. v. 13.3.2017 – Lv 3/17 = 34 Vgl. OVG Münster, Beschl. v. 30.4.2012 – 13 B 528/12 = BeckRS 2017, 104567, Rn. 18 ff.; OVG Münster, Beschl. v. BeckRS 2012, 50558. 30.4.2012 – 13 B 528/12 = BeckRS 2012, 50558. _____________________________________________________________________________________ ZJS 4/2021 455
AUFSÄTZE Maximilian Scheu um Wahlprognosen seriöser Meinungsforschungsinstitute Chancengleichheit der politischen Parteien erforderlich ist46, handelt und die Ableitung aus diesen Prognosen auch im faktisch darin bestand, die beiden Kanzlerkandidat*innen, Hinblick auf den gegenwärtigen „Wahltrend“ schlüssig er- deren Wahlsieg am wahrscheinlichsten ist, einzuladen. Dieses scheint.42 Ist dies gegeben, so greift im Ergebnis eine kaum Konzept müsste aber seinerseits mit der Chancengleichheit zu widerlegende Vermutung dahingehend, dass die Umfrage- vereinbar sein47, was abzulehnen wäre, wenn sich nach den prognose tatsächlich eintreten kann und der Partei eine ent- oben dargestellten Kriterien ein Zulassungsanspruch der SPD sprechende Bedeutung beizumessen ist.43 Dabei spielt auch ergäbe. die zeitliche Komponente eine wichtige Rolle. Je enger in Wie bereits erörtert, sprechen insbesondere die vorherigen zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht die Beziehung des betref- starken Wahlergebnisse der SPD bei den zurückliegenden fenden TV-Formats zu der bevorstehenden Wahl steht und je Bundestagswahlen, entsprechend dem Rechtsgedanken des größer deren publizistisches Gewicht ist, umso mehr gebietet § 5 Abs. 1 S. 3 PartG, und ihre hohe Mitgliederzahl, ihr lan- der Grundsatz der (abgestuften) Chancengleichheit eine Ein- ges Bestehen sowie die hohe Zahl der Regierungsbeteiligun- schränkung des Ermessens der öffentlich-rechtlichen Rund- gen in Bund und Ländern gegen einen Ausschluss der SPD funkanstalten bei der Gestaltung der konkreten Sendung und vom Kanzlerduell und damit für einen Zulassungsanspruch. der Auswahl des Teilnehmer*innenkreises.44 Das Prinzip der abgestuften Chancengleichheit stellt dabei aber Wenn angesehene Meinungsforschungsinstitute die Er- keineswegs eine „Prämie auf die Macht“48 durch Berücksich- folgsaussichten der Grünen durchgängig in einer Größen- tigung der bisherigen Stärkeverhältnisse der politischen Par- ordnung einordnen, die eine Kanzler*innenschaft von An- teien und ihrer Repräsentanz in einem Parlament dar. Aus- nalena Baerbock als eine reale Möglichkeit erscheinen lässt, schlaggebend ist vielmehr, dass die betreffende Partei die und diese Prognose auch im unmittelbaren zeitlichen Vorfeld ernsthafte Aussicht darauf hat, den*die Kanzler*in tatsäch- der Wahl noch Bestand hat, so ergibt sich hieraus ein Zulas- lich zu stellen. Andernfalls würde eine Verfestigung erreicht, sungs- die dem Grundsatz des Wahlwettbewerbs der Parteien wider- anspruch für das publizistisch bedeutsame Kanzlerduell. Soll- spräche. Welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit ten die Grünen weiterhin in den Umfragen konstant mindes- eine ernsthafte Chance auf das Kanzler*innenamt bejaht tens zweitstärkste Kraft sein, so ist dies anzunehmen. werden kann, ist nicht leicht zu bestimmen. So muss aber konstatiert werden, dass dies bei einem Umfrageergebnis von 2. Die Stellung des bisherigen „Duellanten“ 15 %, wie es für die SPD in Umfragen von INSA/YouGov im Wie eingangs dargestellt war das Kanzlerduell im Fernsehen Mai 202149 prognostiziert wurde, höchst fraglich erscheint. seit seiner Einführung im Jahr 2002 stets ein Duell zwischen Einem*r Kanzlerkandidaten*in, der in den Umfragen kon- Union und SPD. Vorausgesetzt die öffentlich-rechtlichen stant näher an einem einstelligen Ergebnis als an einem Wert Rundfunkanstalten binden die Grünen, in Ansehung ihrer von 20 % der Zweitstimmen liegt, kann wohl kaum noch die Stellung als zweitstärkste Kraft in den Umfragen, bei dem tatsächliche Erfolgsaussicht bezüglich seiner Kanzlerschaft nächsten TV-Format der Kanzlerkandidat*innen ein, so kann attestiert werden. Hieran vermag auch die Beliebtheit des dies grundsätzlich auf zwei unterschiedlichen Wegen gesche- Kanzlerkandidaten Olaf Scholz in den gegenwärtigen Umfra- hen. Die erste Möglichkeit besteht darin, das Duell zu einem gen50 nichts ändern. Entscheidend für die Erfolgsaussicht der Triell zu erweitern. In dieser Konstellation würde der öffent- SPD ist auch der Wahltrend bei den anderen „ernsthaften“ lich-rechtliche Rundfunk eine Sendung mit den Spitzenkan- Kanzlerkandidat*innen von Union und Grünen. Seit dem didat*innen von CDU/CSU, Grünen und SPD veranstalten.45 20.3.2021 erhalten beide Parteien bei den Umfragen von Wie eingangs erwähnt, haben sich ARD und ZDF für diesen INSA/YouGov Umfragewerte von konstant über 20 %51; Weg entschieden. Allerdings ist diese Entscheidung nicht einen Wert, den die SPD bei Umfragen von INSA/YouGov alternativlos. Die zweite Möglichkeit bestünde nämlich darin, seit dem 23.12.2017 nicht mehr erreicht hat.52 Der Abstand dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die SPD gleichsam durch die Grünen „austauscht“. Dieses Szenario erscheint 46 Vgl. zu den Voraussetzungen OVG Münster NJW 2002, insofern durchaus naheliegend, als das bisherige redaktionelle 3417 (3420). Konzept, das für die Rechtfertigung des Eingriffs in die 47 OVG Münster NJW 2002, 3417 (3419). 48 So wörtlich VerfGH Saarland, Beschl. v. 13.3.2017 – Lv 3/17 = BeckRS 2017, 104567 Rn. 17. 42 49 VerfGH Saarland, Beschl. v. 13.3.2017 – Lv 3/17 = Beck- INSA/YouGov: Wenn am nächsten Sonntag Bundestags- RS 2017, 104567, Rn. 19 f. wahl wäre..., abrufbar unter 43 OVG Münster, Beschl. v. 30.4.2012 – 13 B 528/12 = https://www.wahlrecht.de/umfragen/insa.htm (28.7.2021). 50 BeckRS 2012, 50558. ZDF heute: ZDF-Politbarometer. Annalena Baerbock ver- 44 OVG Münster NJW 2002, 3417 (3419). liert an Ansehen, abrufbar unter 45 Ein solches, vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk initiiertes https://www.zdf.de/nachrichten/politik/20210521-baerbock- Triell, erfordert es nicht, einen Zulassungsanspruch der SPD verliert-deutlich-an-ansehen-100.html (28.7.2021). 51 zu diskutieren. Lediglich die Frage nach der Vereinbarkeit Am 14.6.2021 ist der Umfragewert der Grünen erstmals einer solchen Zulassung im Hinblick auf die Chancengleich- seit dem 20.3.2021 auf unter 20 % (19,5 %) gesunken, vgl. heit der sonstigen Parteien wirft Fragen auf, die unter III. 3. https://www.wahlrecht.de/umfragen/insa.htm (28.7.2021). 52 näher untersucht werden. INSA/YouGov (Fn. 49). _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für das Juristische Studium – www.zjs-online.com 456
Duell, Triell oder offener Schlagabtausch? ÖFFENTLICHES RECHT zwischen CDU/CSU bzw. Grünen (jeweils 24 %) und SPD stand verfestigen, so wäre es unter dem Gesichtspunkt der (15 %) betrug am 3.5.2021 satte neun Prozentpunkte.53 Sollte Gleichbehandlung nicht zu rechtfertigen, dass CDU/CSU, sich ein solcher Zustand in den Umfragen verfestigen, so Grüne und SPD trotz erheblichen Abweichungen im Umfra- spricht mangels ernstlicher Chancen auf eine SPD- geergebnis gleichbehandelt würden, während SPD, FDP und Kanzlerschaft mehr gegen die Zulassung der SPD als für AfD hinsichtlich ihrer Zulassung als ernstzunehmende Kanz- deren Zulassung. Entsprechend wird man einen Zulassungs- lerkandidat*innen ungleich behandelt würden, obwohl die anspruch eher annehmen können, wenn die SPD in den Um- SPD mit Blick auf ihre Umfragewerte der letztgenannten fragen „Punkte gutmacht“ und den Abstand zu den Werten Gruppe deutlich nähersteht als der ersten. Ein solches Fern- der Konkurrenz von Union und Grünen verkürzen kann. Der sehformat würde mithin erheblichen verfassungsrechtlichen Entwicklung der Umfrageergebnisse in den kommenden Bedenken begegnen. Wochen und Monaten kommt demzufolge besondere Rele- vanz zu. 4. TV-Format mit allen Spitzenkandidaten als Lösung? Die obigen Ausführungen zeigen, wie verzwickt sich die 3. Die Stellung der sonstigen im Bundestag vertretenen Par- Lage kurz vor der Wahl im September 2021 darstellen könnte, teien wenn sich an den Umfragewerten bis dahin wenig verändert. Sollte das TV-Duell entsprechend den Plänen von ARD und Um die gleichheitsrechtlichen Risiken, die ein TV-Duell bzw. ZDF zu einem TV-Triell zwischen Union, SPD und Grünen TV-Triell birgt, zu meiden, könnte der öffentlich-rechtliche ausgeweitet werden, so ist bezüglich der sonstigen Parteien Rundfunk auch einen anderen Weg gehen. Denkbar erscheint erörterungsbedürftig, ob deren Anspruch auf (abgestufte) es, in Ansehung der komplizierten Ausgangslage im Wahl- Chancengleichheit gewahrt wäre. Die Rechtsprechung ver- jahr 2021, gänzlich auf ein TV-Format, das sich nur auf weist einerseits darauf, dass ein Eingriff in die Chancen- Kanzlerkandidat*innen beschränkt, zu verzichten. So gibt es gleichheit der Parteien durch Beschränkung des Teilneh- 2021 nach aktuellem Stand der Dinge nicht nur – je nach mer*innenkreises beim bisherigen Kanzlerduell durch ein Umfrageergebnis und Betrachtungsweise – erstmals mehr als journalistisches „Gesamtkonzept“ gerechtfertigt werden kön- zwei ernsthaft in Betracht kommende Kanzlerkandidat*- ne. Demnach ist die Beschränkung des Teilnehmerkreises innen, sondern auch erstmals seit 1983 einen Bundestags- insbesondere dann zu rechtfertigen, wenn die Gesamtheit der wahlkampf, bei dem der/die Amtsinhaber*in nicht zur Wie- übrigen wahlbezogenen Sendungen im öffentlich-rechtlichen derwahl steht. Rundfunk den sonstigen Parteien ein ausreichendes Maß an Bisweilen finden neben dem Kanzlerduell TV-Formate Berücksichtigung bietet.54 Eine solche Berücksichtigung statt, zu denen alle Spitzenkandidat*innen der „etablierten“ könnte insbesondere durch die von ARD und ZDF geplante Parteien eingeladen werden und nicht nur die Kanzlerkandi- Schlussrunde der Spitzenkandidat*innen der im Bundestag dat*innen. Ein solches Format stellt bspw. die bereits be- vertretenen Parteien am 23.9.2021 erreicht werden.55 Doch nannte Schlussrunde der Spitzenkandidat*innen der im Bun- muss dieses kohärente Gesamtkonzept seinerseits erneut den destag vertretenen Parteien dar, die für den 23.9.2021 geplant Erfordernissen der Chancengleichheit genügen. Das erscheint ist. Hierzu gibt es – anders als bei der Frage, wann einer fraglich, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk am Ge- Partei noch ernstliche Chancen einzuräumen sind, den/die samtkonzept einer Zweiteilung zwischen Wahlsendungen mit Kanzler*in zu stellen – eine recht klare Judikatur. So kommt Vertreter*innen aller im Bundestag vertretenen Parteien und es maßgeblich auf die bisherigen Wahlerfolge bei vergange- solchen Sendungen, an denen nur die Spitzenkandidat*innen nen Wahlen57, die politisch wirksame Tätigkeit (u.a. Zahl der von Union, Grünen und SPD als „realistische Kanzlerkandi- Mitglieder)58 sowie die Aussicht, in Fraktionsstärke in den dat*innen“ teilnehmen, festhält, wenngleich die Erfolgsaus- Bundestag einzuziehen59, an. sicht des SPD-Kandidaten Scholz als äußerst gering einzu- Gegenwärtig würde eine Anwendung dieser Kriterien zu schätzen ist. Denn in diesem Fall würde der öffentlich- einem eindeutigen Ergebnis führen. Danach wäre ein TV- rechtliche Rundfunk das an sich geeignete Differenzierungs- Format mit Vertreter*innen von CDU, CSU, Grünen, SPD, kriterium der „echten Erfolgsaussicht“ preisgeben und den FDP, AfD und Linken rechtlich nicht zu beanstanden. Kreis der Teilnehmer*innen willkürlich erweitern. Um dies an einem konkreten Beispiel festzumachen, ist nochmals die IV. Fazit Umfrage von INSA/YouGov vom 3.5.202156 zu betrachten: Konkrete Vorgaben hinsichtlich der Zusammensetzung eines Während CDU/CSU und Grüne einen Wert von 24 % auf- TV-Formats der politischen Spitzenkandidat*innen können weisen, liegt die SPD mit 15 % nur drei Prozentpunkte über aufgrund der grundrechtlich geschützten Programmautono- FDP und AfD mit jeweils 12 %. Würde sich ein solcher Zu- mie weder für private Rundfunkunternehmen noch für die 53 INSA/YouGov (Fn. 49). 54 BVerfG NJW 2002, 2939 (2940). 55 57 Triell der Kanzlerkandidatin und der Kanzlerkandidaten, OVG Münster, Beschl. v. 30.4.2012 – 13 B 528/12 = Beck- abrufbar unter RS 2012, 50558. 58 https://www.daserste.de/specials/ueber-uns/triell-wahl-2021- OVG Hamburg NJW 1988, 928. 59 100.html (28.7.2021). VerfGH Saarland, Beschl. v. 13.3.2017 – Lv 3/17 = Beck- 56 INSA/YouGov (Fn. 49). RS 2017, 104567, Rn. 18. _____________________________________________________________________________________ ZJS 4/2021 457
AUFSÄTZE Maximilian Scheu öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vorab aufgestellt werden. Ein Anspruch auf Zulassung zu einem feststehenden TV-Format der Kanzlerkandidat*innen kann sich allein aus Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG ergeben, und zwar nach Maßgabe des Prinzips der abgestuften Chancen- gleichheit. Wichtigstes Abstufungskriterium ist dabei die ernsthafte Aussicht, vom nächsten Deutschen Bundestag zur Bundeskanzler*in gewählt zu werden. Diese Aussicht kann vor allem durch Umfrageprognosen angesehener Meinungs- forschungsinstitute ermittelt werden. Die Erweiterung des Kanzler*innenduells zu einem Kanz- ler*innentriell muss die Chancengleichheit der sonstigen Parteien wahren. Vorbehaltlich signifikanter Veränderungen der Umfragewerte begegnet die Beschränkung eines TV- Formats auf die Spitzenkandidat*innen von Union, Grünen und SPD unter Ausschluss der sonstigen im Bundestag ver- tretenen Parteien nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für das Juristische Studium – www.zjs-online.com 458
Sie können auch lesen