"Ein Schwarm von Schmetterlingen" - Musikschule bietet Begleitung am Sterbebett

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"Ein Schwarm von Schmetterlingen" - Musikschule bietet Begleitung am Sterbebett
„Ein Schwarm von
 Schmetterlingen“
Musikschule bietet Begleitung am Sterbebett

                                                       oder wie der französische Schriftsteller      ger atmen konnte. Die Tochter weinte.
                                                       Victor Hugo es formulierte: „Die Musik        Ich hatte also nicht nur die Mutter in
                                                       drückt das aus, was nicht gesagt wer­         ihrem Sterbeprozess erreicht, sondern
                                                       den kann und worüber zu schweigen             auch die Tochter, die in ihrer Trauer jetzt
                                                       unmöglich ist.“                               nicht mehr allein war“, erinnert sich Sku-
                                                                                                     plik. „Angehörige müssen nicht betreten
                                                       Ursula Skuplik ist Musiktherapeutin für       beim Sterbenden sitzen, sondern kön-
                                                       Kinder, Jugendliche und Erwachsene so-        nen etwas tun.“ Die Gewissheit, dass die
                                                       wie Musikschullehrerin im Elementarbe-        Menschen nicht allein sind, weder die
                                                       reich und im Fach Blockflöte an der Mu-       Sterbenden noch die Trauernden, gibt
                                                       sikschule des Kreises Warendorf. Seit         ihr selbst Kraft in ihrer Arbeit.
                                                       Januar besucht sie nun einmal wöchent-           Auf welche Art und Weise und mit
                                                       lich für ca. 90 Minuten die Palliativstati-   welcher Intensität sich Menschen, die
                                                       on des Joseph-Hospitals in der münster-       im Sterben liegen, an dem Angebot
                                                       ländischen Kreisstadt. Nach Rückspra-         beteiligen können oder wollen, sei un-
                                                       che mit dem Pflegepersonal bietet sie         terschiedlich, so die Musiktherapeutin.
                                                       Menschen in ihrer letzten Lebensphase         Wenn Instrumente zum Einsatz kommen,
                                                       an, gemeinsam zu musizieren, ihnen            dann etwa solche, die leicht und gut zu
                                                       etwas vorzusingen, vorzuspielen oder          beherrschen sind. „Eine Rassel zum Bei-
                                                       sich einfach zu unterhalten. „Ich weiß        spiel eignet sich bestens und animiert
                                      Foto: © privat

                                                       nie, wer mich im Patientenzimmer er-          zum Mitmachen“, erklärt Ursula Skuplik.
                                                       wartet oder wer von den Patientinnen             Gemeinsam mit ihr ist der Leiter der
Ursula Skuplik                                         noch da ist“, erklärt Ursula Skuplik. So      Musikschule Holger Blüder für das An-
                                                       richtig darauf vorbereiten kann sie sich      gebot verantwortlich. Mit dem Antritt als

D
                                                       deshalb nicht. Die Musik, so sagt sie,        Musikschulleiter initiierte er mit jedem
        ie letzte Lebensphase ist wahr­                könne ein „Öffner“ sein. Manche Men-          Lehrer und jeder Lehrerin ein Gespräch,
        scheinlich die schwerste über­                 schen seien zunächst gehemmt, ließen          um die Persönlichkeiten, Qualifikationen
haupt im Leben. Wie geht man mit der                   sich dann aber doch von der engagier-         und Erfahrungen kennenzulernen. Der
Gewissheit über den nahenden Tod                       ten Musikerin abholen. Andere nähmen          Anfrage des Josephs-Hospitals nach ei-
um? Was nimmt Sterbenden die Angst –                   das Angebot gern gemeinsam mit ihren          ner musikalischen Sterbebegleitung ist
was hilft ihnen beim Loslassen? Ursula                 Angehörigen an.                               er gern nachgegangen. „Musik erreicht
Skuplik ist Musiktherapeutin und bietet                                                              die Herzen der Menschen in jeder Situ-
seit Januar dieses Jahres ihr musikthe­ Die Menschen sind nicht allein                               ation und in jeder Phase des Daseins –
rapeutisches Können den Menschen in                                                                  unabhängig davon, ob man am Anfang
der letzten Lebensphase auf der Pallia­ „Einmal bat mich eine Frau, für ihre Mut-                    oder am Ende des Lebens steht“, betont
tivstation im Josephs-Hospital in Waren­ ter zu singen. Die Sterbende bekam sehr                     Blüder. 6 Prozent der Musikschulen in
dorf/Westfalen an. Sie ist sicher, dass  schlecht Luft. Während ich für sie sang,                    Deutschland bieten nach seinen Anga-
Musik helfen kann, wenn Worte fehlen – merkte ich, dass sie wieder etwas ruhi-                       ben Musiktherapie an.

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BESTATTUNGSBRANCHE

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BESTATTUNGSBRANCHE

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Holger Blüder

Musik am Sterbebett                        Musik lässt Gefühle und                    begleitet mit ihrer Musik die Menschen,
kann beruhigen                             Gedanken zu                                denen nicht mehr viel Zeit vergönnt ist.
                                                                                      Sie transportiert das Thema in einen
Die Musiktherapie hat im klassischen       In diesem Zusammenhang erzählt sie         bildlich-emotionalen, musikalischen
Sinne das Ziel, die Klientinnen und        von einer Patientin, die schon seit vie-   Raum, aus dem jede und jeder Ster-
Klienten auf ihrem Weg zurück in ein       len Jahren an Krebs erkrankt war und       bende für sich mitnimmt, was sich gut
leichteres Leben zu begleiten. Die Mu-     sich in der letzten Lebensphase befand,    und richtig anfühlt. „Der Tod wird in un-
sik kann dabei das Selbstbewusstsein       als sie im Rahmen des musikalischen        serer Gesellschaft oft tabuisiert. Doch
stärken, gesunde Entwicklungsprozes-       Angebotes aufeinandertrafen. „Wir          wenn ein Mensch, der sein Leben ge-
se und auch die Wahrnehmung auf sich       hörten ‚Morgenstimmung’ von Edward         lebt hat und dessen Kraft zu Ende geht,
selbst und sein Umfeld fördern. All das    Grieg. Wer mochte, konnte einfach die      mit einer inneren Ruhe sterben kann,
sind selbstredend nicht die Aufgaben,      Augen schließen und Bilder aufkommen       verliert er seinen Schrecken“, so Holger
die am Sterbebett eine Rolle spielen.      lassen.“ Die Patientin, die nur habe zu-   Blüder. „Und wenn er auf dem letzten
Musik kann aber helfen, den Tod an-        hören wollen, schloss die Augen. „Im       Weg betreut und begleitet wird, dann hat
zunehmen, die Angst zu verlieren und       Anschluss bedankte sie sich und sagte,     der Gedanke an den Tod sogar etwas
ruhiger zu werden. „Gerade bei jungen      sie habe gesehen, wie sie einen Weg        Tröstendes.“
Menschen erlebt man in der letzten Pha-    mit einer schweren Last gegangen sei,                                                   Verena Hohmann
se noch mehr den Kampf, den sie mit        bis ein Schwarm von Schmetterlingen
dem Sterben führen. Da ist noch eine       kam, der sie an ihren Ort getragen habe.
Menge Kraft und Wut“, bemerkt Ursula       Nachdem die Patientin die ganze Zeit
Skuplik. Mit ihrer Begleitung möchte sie   so angestrengt und angespannt war,
diese Wut nicht unterdrücken, sondern      wirkte sie schließlich entspannt und
die Sterbenden in ihrem Prozess so an-     vorbereitet.“
nehmen und begleiten, wie sie sind.           Nicht zu heilen, sondern den Tod
                                           anzunehmen, zu begreifen und sich be-
                                           wusst zu machen, dass das Leben end-
                                           lich ist – das kann Musik am Sterbe-
                                           bett leisten. Ursula Skuplik tröstet und

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