Eine bescheidene Profession mit hohen Ansprüchen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
36 · THEMA · DOI: HTTPS://DOI.ORG/10.11576/ZHWB-3869 Eine bescheidene Profession mit hohen Ansprüchen Grundüberlegungen und Prinzipien einer Relationierung wissenschaftlichen und (beruf-)praktischen Wissens für die Qualifizierung von Bildungs- und Berufsberater*innen in Österreich PETER SCHLÖGL THOMAS STANGL BIRGIT SCHMIDTKE Abstract legungen bilden gegenwärtige Entwicklungsarbeiten für die Neukonzeption eines Lehrgangsangebots für Bildungs- und Ausgehend von gegenwärtigen Überlegungen zur hochschu- Berufsberater*innen in Österreich.1 lischen Weiterentwicklung eines Lehrgangsangebots für Bil- dungs- und Berufsberater*innen in Österreich, werden die Für entsprechende curriculare Konzeptionen der Qualifi- Entstehungsbedingungen von Professionswissen im Sinne zierung von Berater*innen im Feld von Bildung und Beruf einer Relationierung von wissenschaftlichen und (berufs-) ließe sich auf eine Vielzahl unterschiedlicher, teilweise sehr praktischen Wissens sowie die Bedeutung des reflexiven ausdifferenzierter und feldspezifischer Kompetenzmodel- Umgangs mit Ambivalenzen des professionellen Handels le zurückgreifen, welche Kompetenzkategorien und -felder beschrieben. Darauf aufbauend werden handlungsleitende systematisch inventarisieren und beschreiben (u.a. Schiers- Prinzipien für eine hochschuldidaktische Implementierung mann et al., 2014; Cedefop, 2010). Diese Kompetenzkataloge herausgearbeitet. stellen ohne Zweifel eine wichtige Grundlage der curricula- ren Arbeiten dar. Offen bleibt dabei jedoch, wie eine konzep- tionelle Verschränkung unterschiedlicher Wissenssysteme 1 Einleitung und -bestände hin zu professionellem Handlungswissen Der Beitrag expliziert die Konstitution von Professionswis- unterstützt und didaktisiert werden kann. Denn nur verein- sen im Sinne einer Relationierung von wissenschaftlichem zelt finden sich in diesen Kompetenzmodellen Konkretisie- und (berufs-)praktischem Wissen durch kooperativ ange- rungen hinsichtlich von Professionalität als ein spezifischer, legte wissenschaftliche Weiterbildung. Ausgehend von der hinzutretender Kompetenzbereich, der sich zwar primär Entstehung professionellen Wissens nach dem Modell einer auf ethische Werte und die reflexive Selbstentwicklung von „interaktiven“ (Jütte & Walber, 2012) oder „interaktionalen Einzelpersonen bezieht (Schiersmann et al., 2014), aber kein Professionalisierung“ (Meyer, Walber & Jütte, 2019), wird der konstitutives Moment für die Verbindung unterschiedlicher Stellenwert wissenschaftlichen Wissens für die Entwicklung Wissensbestände darstellt. professionellen Handelns in ambivalenten Handlungsfel- dern nach Schütze (1992) beschrieben. Beide Zugänge verbin- Der Annahme, durch die Konzeption einer wissenschaftli- det, bei durchaus disparaten theoretischen Hintergründen, chen Weiterbildung, den hohen Ansprüchen der Schaffung die Perspektive auf die Entstehung von Professionswissen von Professionswissen zuzuarbeiten, stehen in Österreich (i.S.v. professionellem Handlungswissen) durch wechselsei- einige Herausforderungen gegenüber. So liegt zum einen tige Bezugnahme von wissenschaftlichem und berufsprak- zur wissenschaftlichen Weiterbildung in Trägerschaft von tischem Wissen. Eine entsprechende Konzeption und didak- österreichischen Hochschulen nur eine unzureichende Da- tische Umsetzung vorausgesetzt, kann – so die Annahme tenbasis vor (Gornik, 2020; Kulhanek et al., 2019; Gornik, – wissenschaftliche Weiterbildung den Möglichkeitsraum 2018). Weiterhin zeigen sich Forschungsdefizite hinsichtlich für die Entstehung von neuem bzw. anderem Wissen, wie deren Funktion in der strategischen Hochschulentwicklung Professionswissen öffnen. Konkreten Anlass für diese Über- und gesellschaftlichen Positionierung von hochschulischem 1 Diese Neukonzeption erfolgt in kooperativer Form zwischen dem Österreichischen Bundesinstitut für Erwachsenenbildung und dem Institut für Erzie- hungswissenschaft und Bildungsforschung an der Universität Klagenfurt. ZHWB · Zeitschrift Hochschule und Weiterbildung · 2021 (1)
PETER SCHLÖGL, THOMAS STANGL, BIRGIT SCHMIDTKE · 37 Lernen. Insofern ist von dieser Seite wenig für entsprechende dige Studien können in der Regel die geforderte Transdis- Entwicklungsarbeiten zu gewinnen. Debatten zur Bestim- ziplinarität (Bildung, Psychologie, Arbeitsmarkt, …) bei der mung wissenschaftlicher Weiterbildung in der deutschspra- Klärung und Bearbeitung von Anliegen der Ratsuchenden chigen Weiterbildungsforschung geben wiederum Anhalts- oder Beratungskund*innen nicht einlösen. Zudem bedarf punkte, die sich auch den Professionsdiskursen und damit Beratung spezifischer Handlungskompetenzen sowie spezifischem Domänenwissen gegenüber öffnen. Dement- domänen- und regionalspezifischer Kenntnisse (Arbeits- sprechend wird der Blick auf differenztheoretische Zugänge welterfahrung, Förderkulisse, regionale Arbeitsmärkte zu professionellem Handeln gerichtet, welche in Erweiterung usw.), die (zumeist) erst durch Situierung und Tätigkeit im zu kompetenztheoretischen Ansätzen „die interaktive Aus- Feld erworben werden. gestaltung und deren bedingende Elemente“ (Maier-Gutheil, 2013, S.179) der beruflichen Praxis mit ihren Widersprüchen Die österreichische Bildungs- und Berufsberatung und ihre und Spannungsfeldern betonen. Professionalisierungsbestrebungen sind traditionell in der Erwachsenenbildung verankert. Weitere Handlungsfelder Vor diesem Hintergrund werden abschließend grundlegende haben sich in der Schule, im tertiären Bildungsbereich und Prinzipien für die Konzeption und didaktische Gestaltung dem Arbeitsmarktservice entwickelt (OECD, 2003). Insge- eines entsprechenden Angebots wissenschaftlicher Weiter- samt wird für Österreich, sieht man von psychologischer bildung abgeleitet, die auf einer Relationierung von Wissens- Beratung ab, jedoch festgestellt, dass eine „breit akzeptierte formen basieren. fachlich-professionelle oder beratungswissenschaftliche Perspektive“ (Gugitscher et al., 2020, S. 207) auch aufgrund einer fehlenden wissenschaftlichen Anbindung nicht vor- 2 Hintergrund liegt. Dies drückt sich nicht zuletzt in nicht standardisier- Gesellschaftliche Entwicklungsdynamiken, insbesondere ten Qualifikationen des Beratungspersonals aus. Dem steht die Pluralisierung von Lebensformen, bilden den Hinter- ein fragmentiertes und wechselndes Ausbildungsangebot grund einer Normalisierung von Beratung und begleiten- gegenüber. den Diensten in einem wiederkehrend von Berufs- und Bil- dungswegentscheidungen gekennzeichneten Lebensverlauf. Seit den 1970er Jahren wurde am Bundesinstitut für Erwachse- Wenngleich die Verwendung des Begriffs ‚Beratung‘ gegen- nenbildung (bifeb)2 das Thema Beratung in Tagungen und Se- wärtig ein beinahe inflationäres Ausmaß angenommen hat minaren bearbeitet, seit 1999 ist ein eigenständiger Lehrgang und zwischenzeitlich als ein „sozial aufdringliches Phäno- für Bildungs- und Berufsberatung etabliert (Gugitscher et men“ (Fuchs, 2010, S. 97) galt, wurde Beratung seit der Ver- al., 2020). Erste Lehrgänge zur Berater*innenqualifizierung selbständigung der bildungswissenschaftlichen Teildisziplin waren einjährige praxisbegleitende Fortbildungen, die spä- Erwachsenenbildung in den 1970er Jahren, als erwachsenen- ter (2004) zu einem zweijährigen Lehrgang universitären pädagogisches Handlungsfeld und Grundform erwachsenen- Charakters (LuC) ausgebaut wurden3. Im Jahr 2012 erfuhr bildnerischer Praxis gefasst (Gieseke, 1997; Nittel, 2009). das Konzept eine Weiterentwicklung und wird seitdem als dreisemestriger Diplomlehrgang geführt (Hammer & Mel- Hinzu kommt, dass vor dem Hintergrund der Kompensation ter, 2007). Wenngleich durch wissenschaftlich qualifizierte von manifester Bildungsungleichheit sowie dem Anspruch Lehrgangsleitungen und Referent*innen von jeher der An- der Ermöglichung von Zugängen zu Weiterbildung, Nach- spruch an wissenschaftsbasierter Weiterbildung ablesbar ist, qualifizierung, Umschulung oder Höherqualifizierung, so stellt das bifeb selbst eine Einrichtung des Erwachsenen- insbesondere auch von strukturell benachteiligten Perso- bildungsfeldes dar und ist damit berufspraktischem und do- nengruppen und dem damit intendierten Ausbau gesell- mänenspezifischem Handlungswissen verpflichtet. schaftlicher Teilhabe (Maier-Gutheil & Nierobisch, 2015), das Beratungsangebot für Erwachsene bildungspolitisch forciert Erste einschlägige universitäre Weiterbildungsangebote für wird. Berater*innen entstanden in Österreich ab Mitte der 2000er Jahre an der Universität Klagenfurt4, haben sich jedoch nicht Diesen hohen gesellschaftlichen und qualifikatorischen nachhaltig verankert. Im Jahr 2011 wurde an der Universität Ansprüchen steht eine wechselhafte und fragmentierte für Weiterbildung Krems ein Zertifizierungslehrgang und Ausgangslage für die Professionalisierung von Fachkräften ein aufbauender Master-Abschluss angeboten, die sich in dieses, in Österreich nur partiell verberuflichten Tätig- hohem Maß auf Anerkennung von Berufspraxis und Vorbil- keitsfelds gegenüber (Gugitscher et al., 2020). Grundstän- dung stützen. 2 Das bifeb ist eine nachgeordnete Dienststelle des österreichischen Bundesministeriums für Bildung Wissenschaft und Forschung mit dem gesetzlichen Auftrag der Entwicklung und Professionalisierung in der Erwachsenenbildung. 3 Diese Lehrgänge stellten eine mittlerweile nicht mehr existente Sonderform wissenschaftlicher Weiterbildung dar, die in Trägerschaft einer außeruniver- sitären Einrichtung in Zusammenarbeit mit Universitätsproponenten erfolgte. 4 Diese wurden als Universitätslehrgang „Berufs- und Laufbahnberatung“ und darauffolgend als „Career Management–Laufbahnberatung MAS“ imple- mententiert. ZHWB · Zeitschrift Hochschule und Weiterbildung · 2021 (1)
38 · THEMA Die folgenden Überlegungen entstanden im Zusammenhang Bei der Frage, wie wissenschaftliches Wissen mit (berufs-) mit der Weiterentwicklung des bestehenden Lehrgangsange- praktischem Wissen in Beziehung gesetzt werden kann, rü- bots, hin zu einer kooperativen wissenschaftlichen Weiter- cken Jütte und Walber (2015) von einer einfachen Vorstellung bildung. Dabei zeigt sich eine weitreichende Verschiebung eines Transfers oder einer Transformation zwischen Theorie des Charakters von Wissenschaftsbezügen und zwar weg und Praxis ab. Sie unterscheiden in Anlehnung an Dewe et von der Einbindung wissenschaftlicher Expertise durch al. (1992) zwischen drei eigenständigen und gleichwertigen wissenschaftlich qualifizierte Referent*innen, quasi einem Wissensarten: Während sich die Strukturlogik wissenschaft- Transfer „via Köpfe“ (Hamm & Koschatzky, 2020, S. 35), als lichen Wissens am Kriterium der Wahrheit bzw. Wahrheits- der bisher erkennbaren Praxis im Diplomlehrgang, hin zur annäherung orientiert, auf Erkenntnisgewinn abzielt, ori- Rahmung als universitäre Weiterbildung. Das sich dies nicht entiert sich (berufs-)praktisches Wissen am Kriterium der allein in einer Anreicherung der Akteurskonstellation einer Angemessenheit und zielt auf Handlungsfähigkeit ab. Pro- Anbieterkooperation erschöpft, will der Beitrag in der Folge fessionswissen als ‚dritte Wissensart‘ und Voraussetzung für aufzeigen. professionelles Handeln, konstituiert sich wiederum durch die Kontrastierung und Relationierung der beiden zuvor genannten Wissensarten (Meyer et al., 2019) und „steht auf 3 Theoretische Rahmung der Seite der Praxis, die einerseits zu Entscheidungen zwingt Für die Entwicklung eines Weiterbildungsangebots zwischen und andererseits erst durch die Reflexion zu richtigen Maß- einer Universität und einem dynamischen und zunächst nahmen verhilft“ (Dewe et al., 1992, S. 57). nicht korporativ gefassten Berufsfeld, wie es die Beratung zu Bildung und Beruf in Österreich darstellt, sind Fragen einer In einem solchen Modell interaktionaler Professionalisierung „didaktisch fundierten Verzahnung von Berufsbezug und wird die Rekonstruktion des Professionswissen aus systemthe- Wissenschaftsorientierung im Kontext der Hochschulweiter- oretischer Perspektive beleuchtet und dessen Entstehungsbe- bildung“ (Baumhauer, 2017, S. 185), die dem Anspruch gerecht dingungen untersucht (Walber et al., 2017). Interaktionsräume werden will, berufliche und wissenschaftliche Wissens- und werden dabei als eigenständige Professionalisierungssysteme Handlungslogiken (ebd.) in Beziehung zu setzen, von Gewicht. definiert, welche die Begegnung wissenschaftlichen und (be- Damit wird der Versuch unternommen, über ein schematisch rufs-)praktischen Wissens ermöglichen und die Entstehung bleibendes Wissenschafts- und Praxisverhältnis hinauszuge- professionellen Wissens fördern (Jütte & Walber, 2015). Dabei hen, das sich als „produktförmig zugeschnittene[r] Wissen- wird davon ausgegangen, dass sich die beiden Systeme gegen- stransfer“ (Schäffter, 2017, S. 223), wissenschaftliche Weiter- seitig beobachten und die jeweils blinden Flecken der anderen bildung als „Dienstleisterin“ (Schäfer, 1988, S. 27), oder einer aufdecken (Dewe et al., 1992). So soll ein beidseitiger Nutzen Veredelung von Praxiswissen durch symbolisches Kapital entstehen, da das Wissenschaftssystem praxisrelevante For- eines akademischen Grades zeigen kann. schungsfragen und das Praxissystem wissenschaftlich fun- dierte Anregungen für sein Handlungsrepertoire gewinnt 3.1 Wissenschaftliche Weiterbildung als didaktisch (Jütte & Walber, 2015). „Anschließend an diese Annahme, lässt inszenierter Interaktionsraum sich Professionalisierung weder allein in der Wissenschaft Ein solches Verhältnis unterschiedlicher Wissens- und noch allein in der Praxis verorten, sondern in der Begegnung Handlungsformen wurde und wird in der deutschsprachigen beider Logiken“ (Walber et al., 2017, S. 5). Weiterbildungsforschung bereits in mehrfacher Weise kon- figuriert. Entsprechend einer rezenten Zusammenstellung Damit wird dieses Modell anschlussfähig für Professionali- von Alexander (2020, S. 63) „als „Kooperationsmodell“ (Schä- sierungsdiskurse, welche die Möglichkeiten oder Erforder- fer, 1988), als „Dialog zwischen Theorie und Praxis“ (Dick, nisse zur Begegnung unterschiedlicher Wissensarten (und 2010), als Öffentliche Wissenschaft (Faulstich, 2006), als Handlungslogiken) betonen, wie es zentral bei Schütze (u.a., „reflexive Verschränkung und wechselseitige Bezogenheit“ 1992) der Fall ist. Wenngleich dort über die Rekonstrukti- (Baumhauer, 2017), als „nicht hierarchisierte Relationierung“ on von Strukturmerkmalen von Professionswissen, wie bei (Dewe, 2017) oder als „‚Interaktionale Professionalisierung“ Dewe et al. (1992) beschrieben, hinausgegangen wird und ein (Jütte & Walber, 2015)“. In einer relationalen topologischen am pragmatistischen Konzept des symbolischen Interakti- Perspektive ließen sich die „Kontaktstellen“ (Alexander, onismus orientierten Modell expliziert wird (Schütze, 2012), 2020, S. 65) unterschiedlicher Wissensformen als ein „Zwi- kommt dies der systemisch modellierten interaktionalen schen“ beschreiben (Günzel, 2017, S. 115). So wird die Relati- Professionalisierung (Walber et al., 2017) nahe. So wird bei onalität (auf Augenhöhe) von lebens- bzw. arbeitsweltorien- Schütze herausgearbeitet, welche Paradoxien der Relationie- tiertem Erfahrungswissen und wissenschaftlichem Wissen rung von (berufs-)praktischem und wissenschaftlichem Wis- zum Betrachtungsgegenstand gemacht. Darüber hinaus ist sen immanent sind. die Frage von Relevanz, welche Rolle der wissenschaftlichen Weiterbildung im Kontext gesellschaftsstruktureller Trans- 3.2 Interaktionistische Handlungsregulation mit formation (Schäffter, 2001; Schäffter, 2014) zugeschrieben Reflexionserfordernis wird, unter welchen Bedingungen dies erfolgt und wie dies Professionswissen wird bei Schütze als ein relativ abgegrenz- die Bedingungen selbst verändert. ter Orientierungs- und Handlungsbereich verstanden, der auf ZHWB · Zeitschrift Hochschule und Weiterbildung · 2021 (1)
PETER SCHLÖGL, THOMAS STANGL, BIRGIT SCHMIDTKE · 39 einen Verbund von höhersymbolischen Teil-Sinnwelten ausge- senes Handeln als auch dessen Reflexion aus wissenschaft- richtet ist, die zumeist durch verschiedene Wissenschaftsdis- licher Distanz (Meyer et al. 2019). Den zuvor beschriebenen ziplinen begründet sind. Durch die Anwendung von Analyse- theoretischen Ansätzen ist gemein, dass sie Professionalität und Handlungsverfahren auf wissenschaftlicher Grundlage, als interaktiven Prozess zwischen unterschiedlichen, jedoch werden die Wissensbestände eines Orientierungs- und Hand- gleichwertigen Wissensqualitäten (Jütte & Walber 2015) lungsbereichs, in konkreten Einzelfällen nutzbar gemacht bzw. Orientierungs- und Handlungsbereichen (Schütze 1992) und realisiert. Gleichzeitig führen gerade diese Übersetzungs- beschreiben. Während bei Jütte & Walber (2015) der Schwer- oder Transferprozesse zu paradoxen Anforderungen im pro- punkt auf der didaktischen Gestaltung von Interaktionsräu- fessionellen Handeln, da die allgemeinen, wissenschaftlich men liegt, welche die Begegnung von wissenschaftlichem begründeten Wissensbestände nicht ohne Schwierigkeiten und (berufs-)praktischem Wissen ermöglichen, befasst sich (auftretende Zielkonflikte, Ressourcenknappheiten usw.) auf Schütze (1992) mit den Paradoxien, die durch die Bearbeitung das konkrete fallbezogene Handeln zu übertragen sind. von lebensweltlichen Problemen mit wissenschaftlichen Be- griffen und Verfahren in der konkreten Praxis entstehen. Er Aus Perspektive einer solchen interaktionistischen Model- führt dies anhand der Sozialen Arbeit aus, weist aber darauf lierung von Professionalität, die den Kern professionellen hin, dass sie sich auch im beruflichen Handeln anderer Pro- Handels in der Bearbeitung von Widersprüchlichkeiten und fessionen empirisch nachweisen lassen. Hinzu treten weitere Zielkonflikten sieht, die erst durch die Verwissenschaftli- Paradoxien, an denen sich helfende Berufe abarbeiten, wie chung der Grundlagen professioneller Sinnorientierungen das „doppelte Mandat“ mit dem Gegensatz von „Hilfe und und Handlungsverfahren entstehen, wird die Entwicklung Kontrolle“ (Böhnisch & Lösch 1998). Zwar ist der gesellschaft- eines entsprechend gestalteten wissenschaftlichen Weiter- liche oder institutionelle Auftrag der Bildungs- und Berufs- bildungsangebots von besonderem Interesse. Nach Schütze beratung für Erwachsene nicht mit einem „Kontrollauftrag“ entstehen Paradoxien professionellen Handelns nur dort, in diesem Sinn gleichzusetzen, so sind jedoch in Hinblick auf „wo ein Berufsbereich tatsächlich an den Werten und Regeln die zugrundeliegenden Politiken unterschiedliche Funkti- professionellen Handelns und seiner wissenschaftlichen onen oder Zuschreibungen kritisch zu hinterfragen. So gilt Fundierung orientiert sei“ (Schütze, 1992, S. 142). Die von ihm es zu prüfen, inwiefern Bildungs- und Berufsberatung nicht beispielhaft herangezogene Soziale Arbeit kann, wie auch nur eine Supportfunktion im System des lebenslangen Ler- die Beratung zu Bildung und Beruf, gerade nicht auf einen nens (im Sinne der Steigerung der Weiterbildungsbeteiligung, „völlig eigenständigen, maßgeblich eigenproduzierten und Abbau von Informationsasymmetrien) übernimmt, sondern eigenkontrollierten abgegrenzten höhersymbolischen Sinn- auch einer Berufslenkung oder Optimierung des Matchings bezirk zur Selbststeuerung und Reflexion ihrer Berufsarbeit“ von Angebot und Nachfrage am (Weiter-)Bildungsmarkt (ebd., S. 146) zurückgreifen. Diese Konstellation führt zu ei- zuarbeitet. Weiterhin ließe sich kritisch hinterfragen, ob ner verstärkten Wirksamkeit der Paradoxien professionellen vor dem Hintergrund systemisch-strukturell erzwunge- Handelns. Intensiviert wird dies zusätzlich durch die „Hand- ner Übergänge (u.a. in eine weiterführende Bildung oder in lungsrestriktionen der organisatorischen (verwaltungsmä- das Beschäftigungssystem), mehr oder weniger gut gelöste ßigen, rechtlich-kontrollierenden, ökonomischen) Zwänge“ individuelle Übergangsprobleme figuriert werden, die mit (ebd., S. 147), welche die professionelle Entwicklung und Au- Beratung bearbeitet werden und damit aber selbst wiederum tonomie entsprechend behindern können. Vorstellungen von gesellschaftlich anerkannten Bildungsver- läufen bzw. „problematischen“ Abweichungen reproduzieren Aufgrund der verstärkt notwendigen Auseinandersetzung (Schmidtke & Gugitscher, 2021). Darüber hinaus besteht in mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Wissensbestän- helfenden Berufen das Dilemma, dass diese im Grunde so den und deren jeweiligen paradigmatischen Grenzen, die zu „helfen müsste(n), um nicht mehr helfen zu müssen“ und sich fortlaufenden Erkennungs- und Entscheidungsschwierigkei- damit überflüssig machen würden (Kleve, 2007, S. 25). Bezo- ten führen können, besteht ein besonders intensives Bedürf- gen auf Beratung bedeutet das, so zu beraten, dass die Person nis nach Selbstreflexions- und Selbstvergewisserungsverfah- zukünftig auch ohne Beratung handlungs- und entschei- ren, um die „eigenen Handlungsbeiträge und Verstrickungen dungsfähig ist oder bleibt. Dieser Widerspruch konkretisiert zu durchschauen“ (Schütze, 1992, S. 145). Wird Bildungs- und sich in der Bildungs- und Berufsberatung in dem professio- Berufsberatung in Anlehnung an Schütze (1992) als eine nellen Anspruch, nicht nur kurzfristige situationsspezifische solche „bescheidene Profession“ verstanden, die sich an ver- Lösungsoptionen aufzuzeigen, sondern auch längerfristig die schiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und weiteren Weiterentwicklung der eigenverantwortlichen Handlungsfä- außerwissenschaftlichen Wissensbeständen orientiert, ist higkeit der beratenen Personen in Bezug auf ihre individuelle damit gleichzeitig ein hoher Anspruch an die individuelle Bildungs- und Berufsbiografie zu stärken (berufsbiografische Qualifizierung von Berater*innen verbunden. Gestaltungskompetenz, Chaostheorie der Laufbahnentwick- lung usw.). Dieser Anspruch steht jedoch im Zusammenhang 3.3 Der fachliche Kontext von Bildungs- und und zuweilen im Widerspruch mit organisatorisch-institu- Berufsberatung tionellen Rahmenbedingungen, der Finanzierung von Be- So gedachtes Professionswissen ermöglicht im Kontext von ratungsleistungen (Abrechnungs- und Förderlogiken) sowie Bildungs- und Berufsberatung sowohl ein situationsangemes- Verwaltungs- und Dokumentationsanforderungen. ZHWB · Zeitschrift Hochschule und Weiterbildung · 2021 (1)
40 · THEMA Im Feld der Bildungs- und Berufsberatung sind es folglich 4 Prinzipien für eine didaktisch angeleitete insbesondere die Spannungsfelder zwischen unterschiedli- Relationierung chen politischen und gesellschaftlichen Anforderungen, so- Im Zuge von Entwicklungsarbeiten an einer wissenschaftli- wie den individuellen Anliegen und Erwartungen, welche zu chen Weiterbildung für Berater*innen zu Bildung und Beruf, widersprüchlichen Anforderungen und Paradoxien führen ist entsprechend die Relationierung von wissenschaftlichem können (u.a. Schlögl & Schröder, 2016; Maier-Gutheil, 2016; und (berufs-)praktischem Wissen aktiv zu befördern und so Schmidtke, 2020). Auch im Feld der Bildungs- und Berufs- zur situativen Bearbeitung (berufs-)praktischer Fragestellun- beratung lassen sich zudem unterschiedliche bzw. transdis- gen und Problemen im Modus von Wissenschaft zu befähigen. ziplinäre wissenschaftliche Grundlagen feststellen, die sich Die soziale Aufgabe der Konzeption und Umsetzung von pro- beispielsweise auf die Bildungswissenschaft, Psychologie fessionell gestalteten und begleiteten Bildungs- und Berufs- und Soziologie beziehen und dabei immer wieder an Grenzen wahlprozessen ist allerdings nicht mit disziplinär gefassten disziplinärer Paradigmen stoßen. Das Fehlen eindeutiger Wissensbeständen oder alleinig mit Kenntnissen über lebens- Normvorgaben an professionellem Handeln, bei gleichzeitig weltlich vorgefundene, sozial hervorgebrachte Bedingungen zunehmend erhöhtem Druck, das eigene Handeln gegenüber zu bewältigen. Damit wird zugleich auf ein unidirektionales der Gesellschaft, den politischen Auftraggeber*innen, den Verständnis von Transfer von Wissenschaft hin zu Gesell- Trägerorganisationen, den zu Beratenden, aber auch gegen- schaft verzichtet und anerkannt, dass dies als „Chance zur über sich selbst zu begründen, scheint ein gangbarer Weg wissenschaftlichen Aneignung von gesellschaftlicher Praxis“ professionell-überdachtes Handeln im Sinne reflektierter (Schäfer, 1988, S. 248) genutzt werden kann. Beruflichkeit (Walber et al., 2017) zu figurieren, will man nicht allein externen Qualitätssicherungsmechanismen und Damit ist die Erwartung verbunden, die Entwicklung „von -kriterien unterworfen werden. professionellem Wissen unter Einbeziehung der blinden Fle- cken der jeweils anderen Perspektive“ (Walber & Jütte, 2015, Insofern steht auch die bildungs- und berufsbezogene Be- S. 50) zur verbesserten Lösung einer grundlegenden sozialen ratung verstärkt vor der Aufgabe, für die reflexive und Aufgabenstellung zu befördern, eine „bisherige Dichotomie selbstkritische Auseinandersetzung mit den Paradoxien im Theorie-Praxis-Verhältnis“ (Schäffter, 2017, S. 263) zu professionellen Handelns mittels der Aus- und Weiterbil- überwinden und ein Wissenschaftsverständnis zu befördern, dung von Berater*innen zu ermächtigen. Denn Schwierig- das sich als „aufgabenorientierte Wissenschaft“ (ebd., S. 267) keiten ergeben sich insbesondere, wenn diese immanenten beschreiben lässt. Paradoxien in verschiedenen Formen verschleiert werden. Wissenschaftliches Wissen kann beratende Praxis für le- Im Zuge der Lehrgangskonzeption (und späteren Umsetzung) bensweltliche Probleme aufgrund ihrer unterschiedlichen sollten daher alle didaktischen Entscheidungen im Hinblick Strukturlogiken niemals determinieren. Wissenschaftlich auf ihr Relationierungspotenzial zwischen Wissenschaft und angeleitete Reflexion kann die Paradoxien im Beratungspro- Praxis geprüft werden (Walber et al., 2017). Hier bietet sich zess jedoch sichtbar und bearbeitbar machen. Qualifizierung zunächst weiterhin die Integration von strukturierten Super- muss entsprechend dahingehend befähigen (Kleve, 2007). visions- und Intervisionsformaten an, welche die Möglichkeit Ein Weiterbildungsangebot für das Praxisfeld der Bildungs- eröffnen, praktische Fragestellungen auf Grundlage systema- und Berufsberatung soll Raum für das Aufeinandertreffen tisch-wissenschaftlicher Reflexions- und Analyseverfahren und die Bearbeitung der unterschiedlichen Sinnwelten er- zu bearbeiten und damit zur Erweiterung der Handlungs- öffnen. Zu entsprechenden curricularen Überlegungen wird kompetenz beizutragen. im folgenden Abschnitt eine Übersicht erstellt. Es soll damit nicht der Eindruck entstehen, dass entsprechende Ansät- Darüber hinaus bieten die folgenden Prinzipien eine Ori- ze in der bisherigen Lehrgangsumsetzung gänzlich gefehlt entierung für die anstehende Curriculumrevision an. Diese hätten. Schon im bisherigen Curriculum wurde dies etwa bedingen sich zum Teil gegenseitig oder stellen Perspektivie- dahingehend berücksichtigt, dass die Zielsetzungen von Bil- rungen des Gesamtzieles der Relationierung dar. dungs- und Berufsberatung anhand konkreter Beratungsfäl- - Authentische Situationen einbeziehen: Um Pro- le aus unterschiedlichen Perspektiven (u.a. Erwartungen der fessionalisierungsprozesse in wissenschaftlicher beratenen Personen, institutioneller Auftrag, professioneller Weiterbildung zu ermöglichen, braucht es nach Anspruch, Beratungsansatz) reflektiert und Auswirkungen Walber et al. (2017) eine Didaktik, die ihre Lehr- möglicher (impliziter) Zielkonflikte auf die eigene Tätigkeit Lern-Interaktion auf authentische oder reale Si- in der Gruppe diskutiert wurden. Durch die Form wissen- tuationen der Praxis bezieht und den Lernenden schaftlicher Weiterbildung soll hier die Fähigkeit zum Per- ermöglicht, konkrete Anwendungskontexte zu spektivwechsel jedoch systematisch bearbeitet und erhöht explorieren und zu erproben. Im Gegensatz zu bil- werden, um die eigene Praxis unabhängig vom konkreten dungs- oder lerntheoretischen Ansätzen werden Zeit- und Handlungsdruck zu reflektieren sowie darüber hi- nach Walber et al. die Lernenden als sinnverste- naus Bedingungen beraterischen Handelns in den Blick zu hende und interaktiv-handelnde Akteur*innen in nehmen (z.B. Organisationen, Bildungspolitik, Beratungs- den Mittelpunkt der didaktischen Inszenierung forschung). ZHWB · Zeitschrift Hochschule und Weiterbildung · 2021 (1)
PETER SCHLÖGL, THOMAS STANGL, BIRGIT SCHMIDTKE · 41 gerückt. Wesentlich für die didaktische Gestaltung Gewinnung entsprechender Vertreter*innen aus ist demnach, dass die Praxis von den Lernenden dem Akteursnetz. wissenschaftlich bearbeitet und zum Reflexions- - Gewinnung von Vertreter*innen der Praxis: gegenstand gemacht wird. Dies ist beispielsweise Die Ergebnisse der reflexiven Betrachtungen von über die Reflexion und Bearbeitung von Fallbei- realen Fallstricken können durch die Einbindung spielen in den Beratungsmodulen, von Praxiser- von Lehrenden aus der Praxis wieder in die Praxis fahrungen in Projekt- und Abschlussarbeiten ex einfließen und das Feld bereichern (Jütte & Walber, post (reflection on action) möglich, oder durch Sen- 2012). Dies setzt nach Jütte und Walber (2012) jedoch sibilisierung und Anleitung für zeitnahe Reflexion voraus, dass Lehrende aus dem Feld (hier der Bil- in Praktikums- oder Tätigkeitsphasen (etwa bei dungs- und Berufsberatung für Erwachsene) vertre- bereits im Feld Tätigen). Sowohl Lehrende als auch ten sind und eine „professionelle Lerngemeinschaft“ Teilnehmende fungieren somit als Träger*innen mit der Community of Practice (Lave & Wenger, komplementärer Wissensarten (Meyer et al., 2019). 1991) besteht. Zudem könnten „durch Praktikerin- - Reale Handlungssituationen intentional zu nen und Praktiker in der hochschulische Lehre Lernsituationen machen: Wesentlich für die Theorien auf die Berufspraxis der Studierenden didaktische Konzeption entsprechender wissen- bezogen, deren Chancen und Grenzen gemeinsam schaftlicher Weiterbildung ist es, persönliche und ab- und hergeleitet werden“ (Cendon & Flacke, 2013, Akteursnetzwerke im Feld der Bildungs- und Be- S.37). Alle Akteur*innen (akademische Lehrende, rufsberatung zu nutzen, um Lernenden die Teil- Praktiker*innen, Lernende) werden als Teil eines habe am relationalen Professionswissen zu ermög- Netzwerkes in einem professionsorientierten Ent- lichen, indem sie die Komplexität professionellen wicklungsfeld betrachtet, die einen Beitrag zur an- Handelns erfahren können (Jütte & Walber, 2012) haltenden Relationierung zwischen Wissenschaft und die Bearbeitung praktischer Aufgabenstel- und Praxis leisten (Jütte & Walber, 2015) und auch lungen ermöglicht wird: „Die Elemente der Hand- bei Beratungsleistungen in öffentlicher Träger- lungssituation werden zu Elementen einer Lernsi- schaft oder in Förderzusammenhängen die konti- tuation. […] Ausgangspunkt des Lernprozesses ist nuierliche Qualitätsentwicklung vorantreiben. eine tatsächlich vorgefundene Situation, die inten- - Die Konfrontation von wissenschaftlichem tional zu einer Lernsituation gemacht wird“ (ebd., und berufspraktischem Wissen nicht allein S. 47f.). Dies erfordert entsprechende Vorbereitung, den Lernenden auflasten: „Das Herstellen von Begleitung und Nachbereitung. Der Lehrgang wäre Begegnungen wissenschaftlichen und berufsprak- der entsprechende Rahmen dafür und trägt da- tischen Wissens kann als eigenständige Leistung durch zu einem lernförderlichen Kontext für den von Individuen gelten, die durch die Interaktion kollektiven Aufbau des Professionswissens bei und mit anderen Teilnehmenden, Dozent_innen so- zwar bei gleichzeitiger Entwicklung der entspre- wie didaktischem Material unterstützt wird. Die chenden Handlungskompetenz. heterogenen Wissensressourcen anderer Teilneh- - Kooperative Arbeits- und Entwicklungszu- mender werden einerseits als Perspektiverwei- sammenhänge gestalten: Eine zielgruppenspezi- terung erlebt, andererseits als Herausforderung. fische und bedarfsorientierte Angebotsentwick- Dozent_innen wird in dem Wissenskonstruktions- lung setzt voraus, dass die Wissensakteur*innen prozess sowohl die Rolle zugeschrieben, Zugang zur im Feld der Professionsentwicklung angemessen Wissenschaft zu ermöglichen als auch Begegnun- vertreten sind und Kommunikationsstrukturen gen der Wissensarten zu unterstützen“ (Walber aufgebaut haben. So ist ein Angebot mehr als eine et al., 2017, S. 51). Hinsichtlich der Akteur*innen bloße Lehre schulbuchmäßig oder kanonisch im Wissenskonstruktionsprozess wird aber auch gefassten Wissens. Vielmehr kann und muss es konstatiert, dass sowohl die Teilnehmenden als als Form eines längerfristigen wechselseitigen auch die Dozent*innen selbst über heterogene Transferprozesses betrachtet werden. Die Ent- Wissensressourcen aus dem Wissenschafts- und wickelnden, die Lehrenden und die Lernenden Praxissystem verfügen und diese einbringen. Dass sind Teil eines Netzwerkes im Entwicklungsfeld an diese Konfrontation von heterogenen Wissens- (dazu auch Schiersmann & Weber, 2007) und beständen sowie die Bearbeitung von Paradoxien bilden eine Praxisgemeinschaft. Somit ist das auch herangeführt werden kann - und nicht zwin- Zusammenführen von Akteur*innen des Feldes gend in einem Praxisschock münden muss -, zeigen (als Referent*innen und Praktikumsgeber*innen neben den Ausbildungstraditionen etwa der syste- aber auch darüber hinaus) mit den Lehrgangs- mischen Beratung (beispielhaft Kleve, 2007) auch teilnehmenden ein Knotenpunkt der Netzwer- spezifische Modelle des Umgangs mit Kontingenz kentwicklung und der Arena der Teilhabe am (Positive Uncertainty bei Gelatt, 1992) oder Vielfalt Professionswissens. Voraussetzung dafür ist die (Erwägungsdidaktik bei Blank, 2002). ZHWB · Zeitschrift Hochschule und Weiterbildung · 2021 (1)
42 · THEMA - Umgang mit Vielfalt und Entscheidung ein- sprechende Beratung zu Bildung und Beruf stattfindet, selbst üben: Ein zunehmend präzisierender Umgang zum Thema machen kann und damit auch einen Beitrag zum mit verschiedenen Möglichkeiten (Alternativen) Aufbau von entsprechendem Professionswissens darstellt. unter Berücksichtigung von hilfreichem, wissen- schaftlich begründetem Entscheidungswissen bei zugleich zeitnah gefordertem Beratungshandeln, Literatur legt eine Forschungs- und Übungsagenda nahe, die begründete Entscheidungen unter Bedingungen Alexander, C. (2020). Wissenschaftliche Weiterbildung aus von Vielfalt und Paradoxien oder zumindest wider- einer relationslogischen Perspektive. In W. Jütte, M. Kon- sprüchlichen Zielen befördert. Eine entsprechend dratjuk & M. Schulze (Hrsg.), Hochschulweiterbildung als ausgestaltete „Erwägungsdidaktik“ (Blank, 2002, Forschungsfeld. Kritische Bestandsaufnahmen und Perspekti- 275ff.) sollte erwägungsorientierte Lehr- und Lern- ven (S. 63-78). Bielefeld: wbv. zusammenhänge stimulieren, um damit Begrün- dungs- und Verantwortungskompetenzen sowie Baumhauer, M. (2017). Berufsbezug und Wissenschaftsorientie- Selbstreflexivität zu befördern (ebd.). rung. Grundzüge einer Didaktik wissenschaftlich reflektierter (Berufs-)Praxis im Kontext der Hochschulweiterbildung. Det- mold: Eusl. 5 Fazit Vor dem Hintergrund der rezenten Verhandlungen von re- Blank. B. (2002). Erwägungsorientierung, Entscheidung und Di- lationalen Professionalitätsvorstellungen im Zusammen- daktik. Stuttgart: Lucius und Lucius. hang mit wissenschaftlicher Weiterbildung, bieten sich für entsprechende didaktische Konzeptionen Handlungsfelder Böhnisch, L. & Lösch, H. (1998). Das Handlungsverständnis an, die mit der Bearbeitung von Paradoxien und Zielkon- des Sozialarbeiters und seine institutionelle Determinati- flikten betraut sind. Am konkreten Beispiel der Bildungs- on. In W. Thole, M. Galuske & H. Gängler (Hrsg.), Klassike- und Berufsberatung kann gezeigt werden, dass fallbezogen rInnen der Sozialen Arbeit. Sozialpädagogische Texte aus zwei jeweils eine einmalige, komplexe Integration von (interdis- Jahrhunderten – ein Lesebuch (S. 367-379). Neuwied/Kriftel: ziplinären) wissenschaftlichen Wissensbeständen, struktu- Luchterhand. rellen Gegebenheiten (bspw. politisch oder organisational) und lebensweltlich ausgeprägten Klient*innenanliegen zu Cedefop (Europäisches Zentrum für die Förderung der Be- bewältigen ist, die zuweilen auch manifeste Zielkonflikte rufsbildung) (Hrsg.) (2010). Professionalisierung der Lauf- zu bearbeiten haben. Entsprechend bleibt eine jeweils wis- bahnberatung. Praxiskompetenz und Qualifikationswege senschafts- und erfahrungsbezogene Expertise durch die in Europa. Cedefop panorama series 174. Luxemburg: Amt sozialen Gegebenheiten, die beraterischen Haltungen oder für Veröffentlichungen der Europäischen Union. Fertigkeiten qualifizierter Beratungspraxis, hinter den An- forderungen an relationales Professionswissen zurück. Cendon, E. & Flacke, L. B. (2013). Praktikerinnen und Prak- tiker als hochschulexterne Lehrende in der wissenschaft- Entsprechende Didaktisierung und Curriculumentwicklung ist lichen Weiterbildung. Eine notwendige Erweiterung des fordernd, weil sie über wissenssystematische Kompilation und Lehrkörpers. Hochschule und Weiterbildung, 1, S. 36-40. entsprechenden Wissenserwerb hinausreichen muss, um „der- artige Identitätsveränderungen zur Erzeugung eines verlässli- Dewe, B. (2017). Wissensformen nicht hierarchisieren, son- chen beruflichen Habitus systematisch zu erreichen, zugleich dern wechselseitig anerkennen. Zur Relationierung von aber auch sicherzustellen, dass der Professionelle auf dem beruf- Praxis- bzw. Alltagswissen und wissenschaftlichem Wis- lichen Karriereweg den roten Faden seiner biographischen Iden- sen. In G. Taube, M. Fuchs & T. Braun (Hrsg.), Handbuch tität vor dem Zerreißen bewahren kann“ (Schütze, 1992, S. 139). das starke Subjekt. Schlüsselbegriffe in Theorie und Praxis. Schriftenreihe: kulturelle Bildung, Bd. 50 (S. 19–33). Mün- Das Feld der österreichischen Bildungs- und Berufsbera- chen: kopaed. tung zeichnet sich durch bescheidene professionsbezogene Parameter (keine eindisziplinäre Bezugswissenschaft, keine Dewe, B., Ferchhoff, W. & Radtke, F.-O. (1992). Das „Profes- normativen Regulative usw.) aus oder positiv gedeutet, durch sionswissen“ von Pädagogen. In B. Dewe, W. Ferchhoff Transdisziplinarität, Methodenpluralismus, vorfindbares & F.-O. Radtke (Hrsg.), Erziehen als Profession. Zur Logik antiautoritäres, partizipatives und dialogorientiertes Zu- professionellen Handelns in pädagogischen Feldern (S. 70-91). sammenwirken. Dem steht jedoch ein sehr hoher qualifi- Wiesbaden: Springer VS. katorischer Anspruch gegenüber. Das Konzept relationaler Professionalität bietet hierzu einen produktiven theoreti- Dick, M. (2010). Ungenutzte Potenziale: Weiterbildung an schen Rahmen für eine hochschuldidaktische Konzeption, Hochschulen als Transformation zwischen Wissenschaft die neben der Entwicklung von entsprechender Handlungs- und Praxis. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozi- kompetenz letztlich auch die Bedingungen, unter denen ent- alisation, 30(1),13–27. ZHWB · Zeitschrift Hochschule und Weiterbildung · 2021 (1)
PETER SCHLÖGL, THOMAS STANGL, BIRGIT SCHMIDTKE · 43 Faulstich, P. (2006). Öffentliche Wissenschaft. In P. Faulstich Jütte, W., & Walber, M. (2012). Interaktive Professionalisie- (Hrsg.). Öffentliche Wissenschaft. Neue Perspektiven der Ver- rungsszenarien in der Weiterbildung. In E. Gruber, & mittlung in der wissenschaftlichen Weiterbildung. Bielefeld: G. Wiesner (Hrsg.), Erwachsenenpädagogische Kompetenzen transcript. stärken: Kompetenzbilanzierung für Weiterbildner/-innen (S. 43-54). Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Fuchs, P. (2010). Diabolische Perspektiven. Vorlesungen zu Ethik und Beratung. Berlin: LIT. Kleve, H. (2007). Postmoderne Sozialarbeit. Ein systemtheore- tisch-konstruktivistischer Beitrag zur Sozialarbeitswissen- Gelatt, H. B. (1992). Positive Uncertainty: A Paradoxical schaft. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer VS. Philosophy of Counseling Whose Time Has Come. ERIC Digest. Online abgerufen am 26.4.2021 unter https://files. Kulhanek, A., Binder, D., Unger, M. & Schwarz, A. (2019). eric.ed.gov/fulltext/ED347486.pdf. Stand und Entwicklung wissenschaftlicher Weiterbildung in Österreich. Wien: Institut für Höhere Studien. Gieseke, W. (1997). Weiterbildungsberatung als Scharnier- stelle zwischen Angebot und Teilnahmeentscheidung. In Lave, J. & Wenger, E. (1991). Situated Learning: Legitimate Pe- C. Schiersmann, E. Nuissl & H. Siebert, Horst (Hrsg.), Plu- ripheral Participation. Cambridge: Cambridge University ralisierung des Lehrens und Lernens. Festschrift für Johannes Press. Weinberg (S. 92−103). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Maier-Gutheil, C. (2013). Professionalität in der Beratung – er- Gornik, E. (2020) Wissenschaftliche Weiterbildung in Ös- wachsenenbildnerische Analysen und Reflexionen. In terreich. In W. Jütte & M. Rohs (Hrsg.), Handbuch Wissen- B. Käpplinger; S. Robak & S. Schmidt-Lauff (Hrsg.), Engage- schaftliche Weiterbildung (S. 589-608) Wiesbaden: Springer ment für die Erwachsenenbildung. Ethische Bezugnahmen und VS. demokratische Verantwortung (S. 179-186). Wiesbaden: Springer. Gornik, E. (2018). Wissenschaftliche Weiterbildung – ein un- Maier-Gutheil, C. (2016). Beraten. Stuttgart: Kohlhammer. terschätztes Element zur Profilbildung österreichischer Universitäten?! Zeitschrift für Hochschulentwicklung, (13)3, Maier-Gutheil, C. & Nierobisch, K. (2015). Beratungswissen für S. 71-87. die Erwachsenenbildung. Bielefeld: wbv. Gugitscher, K., Schmidtke, B. & Schlögl, P. (2020). 100 Jahre Meyer, K., Walber, M. & Jütte, W. (2019). Weiterbildungsstudi- Bildungs- und Berufsberatung in Österreich – Profes- engänge als Formate der interaktionalen Professionalisie- sionelles Beratungshandeln im Kontext historischer, rung. Zeitschrift Hochschule und Weiterbildung, 1, S. 30-39. handlungsstruktureller und selbstdeutungsbezogener Aspekte. In O. Dörner, A. Grotlüschen, B. Käpplinger, Nittel, D. (2009). Beratung – eine (erwachsenen-)pädagogische G. Molzberger & J. Dinkelaker (Hrsg.). Vergangene Zukünf- Handlungsform. Eine definitorische Verständigung und te – neue Vergangenheiten. Geschichte und Geschichtlichkeit Abgrenzung. Hessische Blätter für Volksbildung, 1, S. 5–18. der Erwachsenenbildung (S. 199-211). Opladen/Berlin/To- ronto: Budrich. OECD. (2003). OECD-Studie über Maßnahmen der Informa- tion, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf: Günzel, S. (2017). Raum. Eine kulturwissenschaftliche Einfüh- Ländergutachten Österreich. Paris: OECD. rung. Bielefeld: transcript. Schäfer, E. (1988). Wissenschaftliche Weiterbildung als Transfor- Hamm, R. & Koschatzky, K. (2020). Kanäle, Determinanten mationsgesellschaft. Theoretische, konzeptionelle und empiri- und Hemmnisse des regionalen Transfers aus Hochschu- sche Aspekte. Opladen: Leske+Budrich. len. In R.-D. Postlep, L. Blume & M. Hülz (Hrsg.), Hochschu- len und ihr Beitrag für eine nachhaltige Regionalentwicklung. Schäffter, O. (2014). Relationstheoretische Forschung in der Forschungsberichte der ARL (Akademie für Raumfor- Transformationsgesellschaft: Zur Differenz zwischen schung und Landesplanung) S. 24-75. Einzelwissenschaften und Philosophie. In DRUCKFREI FEST-GESCHRIEBEN. Für Georg Rückriem zum 80. Ab- Hammerer, M. & Melter, I. (2007). Professionalisierung von gerufen am 13. Dezember 2018 von https://gr80.wordpress. Bildungs- und Berufsberatung. Berufliche Identität bil- com/2014/09/09/das-gesellschaftlich. den. Zeitschrift Weiterbildung, 4, S. 36-39. Schäffter, O. (2017). Wissenschaftliche Weiterbildung im Jütte, W. & Walber, M. (2015). Wie finden Wissenschaft und Medium von Praxisforschung - eine relationstheoretische Praxis der Weiterbildung zusammen? Kooperative Profes- Deutung. In B. Hörr & W. Jütte (Hrsg.), Weiterbildung an sionalisierungsprozesse aus relationaler Perspektive. Hes- Hochschulen. Der Beitrag der DGWF zur Förderung wissen- sische Blätter für Volksbildung, S. 67-75. schaftlicher Weiterbildung (S. 221–240). Bielefeld: wbv. ZHWB · Zeitschrift Hochschule und Weiterbildung · 2021 (1)
44 · THEMA Schäffter, O. (2001). Weiterbildung in der Transformationsge- sellschaft. Zur Grundlegung einer Theorie der Institutionali- sierung. Baltmannsweiler: Schneider. Schiersmann, C. & Weber, P. (2007). Forschungsnahe wissen- schaftliche Weiterbildung – von der Angebotsorientie- rung zur Nachfrage- und Prozessorientierung. In F. Gütz- kow & G. Quaißer (Hrsg.), Denkanstöße zum Lebenslangen Lernen. (S. 163-179). Bielefeld: UVW. Schiersmann, C., Ertelt, B.-J., Katsarov, J., Mulvey, R., Reid, H. & Weber, P. (2014). NICE Handbuch für die wissenschaftliche Aus- und Weiterbildung von Beratern in Bildung, Beruf und Beschäftigung. Mannheim: Mannheim University Press. Schlögl, P. & Schröder, F. (2016). Professionalität in der Bil- dungsberatung. Alles ganz einfach oder doch chaotisch. erwachsenenbildung.at., S. 1-9. Abgerufen am 25.09.2020 von http://www.erwachsenenbildung.at/magazin/16-29/ meb16-29.pdf Schmidtke, B. & Gugitscher, K. (2021). Bildungsberatung in der Erwachsenenbildung und ihre Wirkungen für das le- benslange Lernen. In R. Egger & P. Härtel (Hrsg.), Bildung für alle? Für ein offenes und chancengerechtes, effizientes und kooperatives System des lebenslangen Lernens in Österreich (S. 111-130). Wiesbaden: Springer VS. Schmidtke, B. (2020). Bildungs- und Berufsberatung in der Mi- grationsgesellschaft. Pädagogische Perspektiven auf Beratung zur Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen. Bielefeld: transcript. Schütze, F. (1992). Sozialarbeit als "bescheidene" Profession. In B. Dewe, W. Ferchhoff & F.-O. Radtke (Hrsg.), Erziehen als Profession. Zur Logik professionellen Handelns in pädagogi- schen Feldern (S. 132-170). Wiesbaden: Springer VS. Walber M., Jütte W., Meyer K. (2017). Gelegenheitsstrukturen zur Professionalisierung in Interaktionsräumen in der wissen- schaftlichen Weiterbildung. Forschungsbericht: Interaktionale Professionalisierung. Wissenschaftliche Weiterbildung als in- termediäres System zwischen Wissenschaft und Praxis. Biele- feld: Universität Bielefeld. Walber, M. & Jütte, W. (2015). Entwicklung professionel- ler Kompetenzen durch didaktische Relationierung in der wissenschaftlichen Weiterbildung. In O. Hartung & Autor*innen M. Rumpf (Hrsg.), Lehrkompetenzen in der wissenschaftli- chen Weiterbildung: Konzepte, Forschungsansätze und An- Prof. Dr. Peter Schlögl wendungen (S. 49-64). Wiesbaden: Springer VS. peter.schloegl@aau.at PhD. Thomas Stangl thomas.stangl@sos-kinderdorf.at Dr. Birgit Schmidtke birgit@schmidtke.info ZHWB · Zeitschrift Hochschule und Weiterbildung · 2021 (1)
Sie können auch lesen