Energie Wirtschaftliche Tagung 2022 Die Kerze brennt von beiden Seiten - Liquiditätssicherung entlang der Lieferkette
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RA Dr. Henrik Bremer Wirtschaftsprüfer, Steuerberater Energie Wirtschaftliche Tagung 2022 Die Kerze brennt von Liquiditätssicherung beiden Seiten entlang der Lieferkette © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Stand: 29.09.2022 1
Energie Wirtschaftliche Tagung 2022 Vortragsstruktur Die Kerze brennt von beiden Seiten: Liquiditätssicherung entlang der Lieferkette Teil 1: Absatzseite Teil 2: Beschaffungsseite © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 2
RA Dr. Henrik Bremer Wirtschaftsprüfer, Steuerberater Teil 1: Absatzseite Die Kerze brennt von Liquiditätssicherung beiden Seiten entlang der Lieferkette © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Stand: 29.09.2022 3
Absatzseite Gliederung I. Aktuelle Lage II. Herausforderungen Stadtwerke 1. Versorgungsunterbrechung nach § 19 StromGVV 2. Anfechtbarkeit von Endkundenverträgen 3. Insolvenzanfechtung 4. Verdeckte Gewinnausschüttung bei Energielieferungen an zahlungsunfähige Kunden? III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze 1. Lösungsansatz 1 2. Lösungsansatz 2 3. Lösungsansatz 3 IV. Conclusio © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 4
Absatzseite I. Aktuelle Lage I. Aktuelle Lage © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 5
Absatzseite I. Aktuelle Lage ▪ Durch die extrem hohen Energiepreise kommt es zu einem großen Kontrahentenrisiko auf allen Seiten. ▪ Auf der Beschaffungsseite entstehen hohe Zusatzkosten für die Ersatzbeschaffung insbesondere von Gas → Grund: Russischer Lieferstopp • Stadtwerke müssen im OTC Geschäft immer höhere Sicherheiten leisten um Strom- und Gasmengen zu handeln. ▪ Auf der Verbraucherseite wird damit gerechnet, dass es in den kommenden Monaten in 5 bis 15% der Verträge zu einem Zahlungsausfall kommen wird, weil die Kunden die hohen Abschlagszahlungen nicht mehr leisten können oder wollen. ➢ Es steigen somit auf der einen Seite die Kosten für die Beschaffung von Energie, gleichzeitig drohen massive Zahlungsausfälle auf der Seite der Endverbraucher. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 6
Absatzseite I. Aktuelle Lage ▪ Im Ergebnis droht in vielen Fällen die Zahlungsunfähigkeit der Stadtwerke. ▪ Jedenfalls wird sich die Finanzlage der Stadtwerke insgesamt drastisch verschlechtern. ▪ Erste Stadtwerke befinden sich bereits in finanzieller Schieflage. ▪ Gas ist ohnehin schwierig → siehe Konsultation BMWK / IDW (Marge / Wert). ▪ Wir sind erst am Beginn der Krise, schwierig wird vor allem auch der Weg heraus (Warmer kurzer Winter, nachhaltig nachgebende Energiepreise). © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 7
Absatzseite II. Herausforderungen II. Herausforderungen Stadtwerk/Endkunde 1. Versorgungsunterbrechung nach § 19 StromGVV 2. Anfechtbarkeit von Endkundenverträgen 3. Insolvenzanfechtung 4. Verdeckte Gewinnausschüttung bei Energielieferungen an zahlungsunfähige Kunden? © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 8
Absatzseite II. Herausforderungen ▪ Aus der Energiekriese ergeben sich gleich mehrere rechtliche Fragestellungen, die es hinsichtlich der finanziellen Lage der Stadtwerke zu klären gilt: 1. Versorgungsunterbrechung nach § 19 StromGVV ▪ Bietet sich nicht als nachhaltige Lösung für die Energiekrise und die Krise der Stadtwerke an. ▪ An rechtlich engen Voraussetzungen geknüpft. ▪ Insbesondere muss vor einer Versorgungsunterbrechung ein Angebot für eine Abwendungsvereinbarung gemacht werden, § 19 Abs. 5 StromGVV → Dabei handelt es sich um eine zinsfreie Ratenzahlungsvereinbarung über die Zahlungsrückstände und eine Weiterversorgung auf Vorauszahlungsbasis nach § 14 Abs. 1 u. 2 StromGVV. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 9
Absatzseite II. Herausforderungen ▪ Nimmt der Kunde das Angebot an, darf die Versorgung nicht unterbrochen werden → Angesichts der weitersteigenden Energiepreise bietet dies weder eine schnelle noch langfristige Lösung. ▪ Darüber hinaus muss eine Versorgungsunterbrechung verhältnismäßig sein. ▪ Es ist nicht höchstrichterlich geklärt, wann eine Versorgungsunterbrechung im Winter verhältnismäßig ist. Vielmehr hat sich eine Kasuistik herausgebildet, die z. B. im Falle einer Familie mit fünf minderjährigen Kindern eine Stromsperre im Winter für unverhältnismäßig hält. Auch in anderen Fällen wurde aufgrund der persönlichen Lebensverhältnisse eine Unterbrechung für unverhältnismäßig gehalten (Rathmer, EWeRK 2019, 229 (230)). ➢ Erhebliche Rechtsunsicherheit. ➢ Eine massenhafte Unterbrechung der Versorgung ist politisch nicht gewollt und könnte über dies zu erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen führen. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 10
Absatzseite II. Herausforderungen 2. Anfechtbarkeit von Endkundenverträgen ▪ Anfechtung von Endkundenverträgen nach Zahlungsausfall in Einzelfällen denkbar. ▪ In Betracht kommt eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 BGB • Eine arglistige Täuschung gem. § 123 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn jemand bei einer anderen Person vorsätzlich einen Irrtum hervorruft, um ihn zur Abgabe einer Willenserklärung zu veranlassen. ▪ Die Täuschung kann durch Vorspiegelung falscher Tatsachen, aber auch durch einfaches Verschweigen einer Tatsache hervorgerufen werden. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 11
Absatzseite II. Herausforderungen ▪ In diesem Zusammenhang liegt eine arglistige Täuschung vor, wenn Kunden bei Vertragsschluss über die eigene finanzielle Leistungsfähigkeit in dem Wissen täuschen, die auflaufenden Kosten nicht tragen zu können (sog. Eingehungsbetrug). ▪ Alternativ kann sich die Täuschung auf den Willen richten, die entstehenden Kosten bezahlen und den Vertrag erfüllen zu wollen. ▪ Freilich kommt die Anfechtung wegen Arglist nur für einen Teil der Vertragsverhältnisse in Betracht, in denen es zu einem Zahlungsausfall kommt. Es scheiden jedenfalls die Vertragsverhältnisse aus, bei denen die Preiserhöhungen nach Vertragsschluss erfolgt sind. Auch bei Neuverträgen kann die Anfechtung von vornherein ausscheiden, wenn die Kunden ihre Abschlagszahlungen zunächst leisten und es erst später zu einem Zahlungsausfall kommt. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 12
Absatzseite II. Herausforderungen ▪ Hinzu kommen praktische Probleme: • Beweislast des Versorgers für die arglistige Täuschung • Keine Lösung des Finanzierungsproblems • Anfechtung einer Vielzahl von Verträgen, für Stadtwerke als öffentliche Unternehmen politisch zweifelhaft © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 13
Absatzseite II. Herausforderungen 3. Insolvenzanfechtung ▪ Im Rahmen von Ratenzahlungsvereinbarungen der Stadtwerke mit ihren Endkunden stellt sich die Frage, ob sie im Falle der Insolvenz dieser Endkunden eine Insolvenzanfechtung gem. §§ 129 ff. InsO riskieren. ▪ Grundsatz: Der Insolvenzverwalter kann Zahlungen eines Schuldners an einen Gläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückverlangen, wenn beide Seiten zum Zeitpunkt der Zahlungen wussten, dass der Schuldner nicht alle seine Gläubiger bezahlen kann, also Zahlungsunfähig ist. • Hier relevant: §§ 130, 132 InsO o Anfechtbar ist nach § 130 InsO eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte. o Im Falle des § 132 InsO sind Geschäfte anfechtbar, die Gläubiger unmittelbar benachteiligen. Auch hier kommt es aber auf die Kenntnis des begünstigten Gläubigers im Zeitpunkt der Vornahme des Geschäfts an. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 14
Absatzseite II. Herausforderungen 3. Insolvenzanfechtung ▪ Seit der Reform im Jahr 2017 darf jedoch aus dem Abschluss von Ratenzahlungsvereinbarungen oder der Gewährung von Zahlungserleichterungen nicht mehr hergeleitet werden, dass der Gläubiger Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit hatte (Ehmann, GWR 2018, 81). ▪ Es gilt umgekehrt die Vermutung, dass der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit nicht kannte. ▪ Das Risiko einer Insolvenzanfechtung ist somit überschaubar, aber nicht ausgeschlossen. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 15
Absatzseite II. Herausforderungen 4. Verdeckte Gewinnausschüttung bei Energielieferungen an zahlungsunfähige Kunden? ▪ Eine weitere Frage ist, ob ein Forderungsverzicht von Stadtwerken gegenüber ihren Kunden eine verdeckte Gewinnausschüttung im Verhältnis zu ihrer Trägerkörperschaft darstellen kann, einerseits für den Fall, dass die Stadtwerke a) aufgrund politischen Drucks und andererseits für den Fall, dass sie b) aufgrund gesetzlicher Anordnung auf die Beitreibung der Forderungen verzichten. ▪ Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine verdeckte Gewinnausschüttung i. S. v. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist , sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht. Außerdem muss der zu beurteilende Vorgang geeignet sein, beim Gesellschafter einen Beteiligungsertrag i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 16
Absatzseite II. Herausforderungen a) Vermögensminderung /Verhinderte Vermögensmehrung ▪ Der Forderungsverzicht stellt unstreitig eine verhinderte Vermögensmehrung dar. Sie liegt vor, wenn sich das Vermögen (=Eigenkapital) der Körperschaft – obwohl dies bei „normaler“ Behandlung hätte der Fall sein müssen, nicht erhöht hat; die Vermögensminderung ist mit Hilfe der Steuerbilanz zu ermitteln, wie sie ohne Berücksichtigung der Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 unter Anwendung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes aufzustellen ist. ▪ BFH Urteile vom 14.09.1994, BStBl. 1997 II S. 89, vom 18.12.1996, BFH/NV 1997 S. 237, und vom 24.03.1998, BFH/NV 1998, S. 1374. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 17
Absatzseite II. Herausforderungen b) Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis und Vorliegen eines Beteiligungsertrages ▪ Die verhinderte Vermögensmehrung ist auch durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst. ▪ Eine verhinderte Vermögensmehrung kann nur dann zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führen, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Entscheidend für die Veranlassung ist, ob sie auch bei einem Geschäft mit einem Nichtgesellschafter eingetreten wäre. Eine verdeckte Gewinnausschüttung liegt demnach immer nur dann vor, wenn ein Gesellschafter einen Vermögensvorteil erhält, den ein Nichtgesellschafter nicht erhalten hätte. Dieser Zusammenhang wird i. d. R. durch den sog. „Fremdvergleich“ ermittelt; dabei dient als Vergleichsmaßstab die Beziehung zwischen einem (gedachten) ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter und einem fremden Dritten. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 18
Absatzseite II. Herausforderungen ▪ Die staatliche Einflussnahme der Trägerkörperschaft auf die Stadtwerke ist Ursache für den Forderungsverzicht gegenüber den Kunden. Nicht staatlich gelenkte Unternehmen hätten aufgrund fehlender Einflussnahme des Staates nicht auf Abschlagsforderungen verzichtet. Die verhinderte Vermögensmehrung hält einem Fremdvergleich nicht stand. ▪ BFH Urteil vom 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131; BFH Urteil vom 28.6.2006 – I R 108/05, BFH/NV 2007, 107; BFH Urteil vom 22.12.2010 – I R 47/10, BeckRS 2011, 95131; BFH Urteil vom 24.8.2011 – I R 5/10, BeckRS 2012, 94019. ▪ BFH Urteil vom 10.07.1996, BStBl. 1997 II S. 2330 m. w. N. ▪ BFH Urteil vom 13.7.1994 – I R 112/93, BStBl. II 1995, 198. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 19
Absatzseite II. Herausforderungen c) Auswirkung auf den Unterschiedsbetrag gem. § 4 Abs. 1 S. 1 EStG ▪ Die Ausbuchung der Abschlagsforderungen führt auch zu einer steuerrechtlich relevanten Gewinnminderung der Gesellschaft. ▪ Eine Hinzurechnung nach § 8 Abs. 3 KStG kann nur dann erfolgen, wenn sich der Vorgang gewinnmindernd ausgewirkt hat; es ist nur das zu korrigieren, was vorher zu einer bilanziellen Gewinnminderung geführt hat oder hätte führen können. ▪ Der Ausbuchung der Abschlagsforderungen gegenüber den Kunden der Stadtwerke führt zu einer direkten Forderungsabschreibung für das jeweilige Wirtschaftsjahr. Die direkte Abschreibung hat zur Folge, dass in der Steuerbilanz auf der Aktivseite nicht der Nennwert, der Forderungen ausgewiesen wird, sondern der niedrigere Teilwert. Der Unterschiedsbetrag wird außerhalb der Steuerbilanz gem. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG hinzugerechnet. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 20
Absatzseite II. Herausforderungen d) Abgrenzung zur offenen Gewinnausschüttung ▪ Die verhinderte Vermögensmehrung steht auch in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung, sondern erfolgt außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 21
Absatzseite II. Herausforderungen e) Zusatzvoraussetzungen bei beherrschenden Gesellschaftern ▪ An Verträge mit beherrschenden Gesellschaftern werden erhöhte Anforderungen gestellt. Verlangt wird, dass klare und eindeutige, zivilrechtlich wirksame im Voraus abgeschlossene Vereinbarungen mit dem beherrschenden Gesellschafter vorliegen und auch entsprechend dieser Vereinbarungen verfahren wird. ▪ Eine verdeckte Gewinnausschüttung ist insbesondere nur dann anzunehmen, wenn eine an sich klare und von Vornherein mit dem beherrschenden Gesellschafter abgeschlossene Vereinbarung tatsächlich nicht durchgeführt wird. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 22
Absatzseite II. Herausforderungen ▪ Gemessen hieran wird der Forderungsverzicht aufgrund politischen Drucks eine verdeckte Gewinnausschüttung begründen kann. ➢ Der Forderungsverzicht eines beherrschenden Gesellschafters rechtfertigt die Annahme eines nicht durchgeführten Vertrages, wenn die äußeren Umstände des Verzichts den Rückschluss auf das Fehlen einer von Anfang an ernstlich gewollten Verbindlichkeit der Gesellschaft erlauben. ➢ Nicht durchgeführte Gewinnausschüttungen an die Trägerkörperschaft sind lediglich dann unschädlich, wenn sie sich zwangsläufig aus der Situation der Gesellschaft ergeben. Nicht erfasst werden hingegen externe Faktoren, welche die Gesellschaft zum Forderungsverzicht gegenüber ihren Kunden bewegen. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 23
Absatzseite II. Herausforderungen f) Zusammenfassung und Ergebnis ▪ Ein Forderungsverzicht von Stadtwerken gegenüber ihren Kunden stellt eine verdeckte Gewinnausschüttung im Verhältnis zu ihrer Trägerkörperschaft dar, sowohl für den Fall, dass die Stadtwerke aufgrund politischen Drucks und auch für den Fall, dass sie auf die Beitreibung der Forderungen verzichten. ▪ Der Forderungsverzicht stellt eine verhinderte Vermögensmehrung dar, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist und sich gem. § 4 Abs. 1 S. 1 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und nicht im Zusammenhang mit einer offenen Gewinnausschüttung steht. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 24
Absatzseite II. Herausforderungen ▪ Auch die Zusatzanforderungen bei beherrschenden Gesellschaftern liegen vor, insbesondere wird bei einem Forderungsverzicht aufgrund politischen Drucks oder gesetzlicher Anordnung eine mit dem beherrschenden Gesellschafter abgeschlossene Vereinbarung nicht durchgeführt, denn: ➢ Der Forderungsverzicht lässt den Rückschluss auf eine von vornherein nicht ernstlich gewollte Verbindlichkeit der Gesellschaft zu. ➢ Unschädlich ist ein Forderungsverzicht nur, wenn er sich aus der Situation der Gesellschaft und nicht aufgrund externer Faktoren wie politischer Einflussnahmen oder qua Gesetz ergibt. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 25
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze 1. Lösungsansatz 1 2. Lösungsansatz 2 3. Lösungsansatz 3 © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 26
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze 1. Lösungsansatz 1 © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 27
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze a) Rechtliche Einordnung ▪ Beim ersten Lösungsansatz handelt es sich rechtlich betrachtet um echtes Factoring → Die rechtliche Einordnung des Factoring ist nicht einheitlich, wird jedoch regelmäßig als Forderungskauf gem. §§ 433, 453 BGB klassifiziert. ▪ Beim Factoring handelt es sich um eine Finanzdienstleistung im Sinne des § 1 Abs. 1a Nr. 9 Kreditwesengesetz (KWG) → Der Factor muss daher ein von der BaFin zugelassenes Finanzdienstleistungsunternehmen sein. ▪ Der Factor kauft somit die Forderungen der Stadtwerke. Die Stadtwerke treten auf Grundlage eines Rahmenvertrags im Wege der Globalzession alle bestehenden und künftigen Forderungen gem. §§ 398 ff. BGB an den Factor ab. Dieser zahlt den Stadtwerken einen entsprechenden Kaufpreis, der sich an der Höhe der Forderungen, der eigenen Marge und dem Ausfallrisiko des Forderungsportfolios richtet. ▪ Der Factor übernimmmt beim echten Factoring auch das Delkredere-Risiko von den Stadtwerken. Ihm wiederum würde die KFW das Delkredere-Risiko abnehmen, damit der Factor sich am Kapitalmarkt refinanzieren kann. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 28
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze b) Praktische Schwierigkeiten ▪ Dass die KFW das Haftungsrisiko für den Factor übernimmt, setzt den notwendigen politischen Willen voraus. ▪ Die Stadtwerke werden zwar auf der Einnahmen-Seite entlastet. Auf der Seite der Endkunden ändert sich an der Zahlungsfähigkeit jedoch nichts → Am Ende dürfte die KFW für einen erheblichen Teil der ausgefallenen Forderungen einzustehen haben. ▪ In diesem Lösungsansatz ist vorgesehen, das Forderungsmanagement bei den Stadtwerken zu belassen. Im Gegensatz zum bisherigen Marktumfeld bedarf es bei einer hohen Anzahl notleidender Verträge und dem fortgesetzten Factoring einer Vielzahl von Forderungen eines wesentlich umfangreicheren Forderungsmanagements. ▪ Es ist nicht davon auszugehen, dass kleinere und mittlere Stadtwerke diese Herausforderung werden bewältigen können. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 29
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze c) Umstrukturierung des Forderungsmanagements ▪ Es wäre zu empfehlen, das Forderungsmanagement entweder ebenfalls auf den Factor zu übertragen, oder diesen Teil des Rechnungswesens an einen externen Dienstleister abzugeben. ▪ Zu denken wäre entweder daran, dass mehrere Stadtwerke ein eigenes Unternehmen hierzu gründen, oder das Rechnungswesen an einen bestehenden Dienstleister wie z.B. EEG Energie- Einkaufs- und Service GmbH abzugeben. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 30
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze 2. Lösungsansatz 2 © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 31
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze a) Rechtliche Einordnung ▪ Der Lösungsansatz 2 beinhaltet rechtlich zwei Rechtsgeschäfte → Eine Bank oder Zweckgesellschaft gewährt den Endkunden ein Darlehen in Höhe von bspw. 2.000 Euro zu einem niedrigen Zinssatz und löst dafür die Verbindlichkeiten der Endkunden bei den Stadtwerken in gleicher Höhe ab. ▪ Es handelt sich also einerseits um eine Leistung auf fremde Schuld und andererseits um die Gewährung eines Darlehens. Im Falle von Verbrauchern handelt es sich im Grundsatz um ein Verbraucherdarlehen im Sinne von § 491 BGB. Da es sich bei dem Kreditgeschäft um ein klassisches Bankgeschäft handelt, ist hierfür eine Banklizenz nötig, sofern eine Zweckgesellschaft hierfür gegründet werden soll, § 1 Abs. 1 Nr. 2 KWG. ▪ Auch hier übernimmt die KFW das Haftungsrisiko für die Zweckgesellschaft oder Bank, damit diese sich am Markt günstig refinanzieren kann. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 32
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze b) Praktische Schwierigkeiten ▪ Auch hier setzt es wieder politischen Willen voraus, dass die KFW das Haftungsrisiko übernimmt. ▪ Größer ist das bankaufsichtsrechtliche Problem: • Geplant ist insbesondere eine Ablöse von Verbindlichkeiten von Endkunden, die selbige nicht mehr bedienen können. • § 18a Abs. 1 KWG verlangt aber, dass die Kreditinstitute vor Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags die Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers prüfen. • Gem. § 18a Abs. 1 S. 2 KWG darf das Kreditinstitut den Verbraucherdarlehensvertrag nur dann abschließen, wenn aus der Kreditwürdigkeitsprüfung hervorgeht, dass keine erheblichen Zweifel an der Kreditwürdigkeit bestehen. • Umkehrschluss: Bestehen erhebliche Zweifel, darf das Kreditinstitut den Verbraucherdarlehensvertrag nicht abschließen. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 33
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze ▪ Sollen aber gerade Forderungen abgelöst werden, die seitens der Endkunden nicht mehr bedient werden können, ist der Default bereits eingetreten. Liegt ein Zahlungsausfall vor, muss die Bonitätsprüfung negativ ausfallen. ▪ § 505a Abs. 1 BGB statuiert die zivilrechtliche Pflicht zur Bonitätsprüfung wortgleich zum § 18a Abs. 1 KWG und auch ein Verbot, bei einem negativen Ergebnis der Kreditwürdigkeitsprüfung einen Kreditvertrag abzuschließen (BeckOK BGB/Möller, 63. Ed. 1.5.2022, BGB § 505a Rn. 5). ▪ Die zivilrechtlichen Folgen des Verstoßes regelt § 505d BGB: • Insbesondere heißt es in § 505d Abs. 2 BGB: Kann der Darlehensnehmer Pflichten im Zusammenhang mit dem Darlehensvertrag nicht vertragsgemäß erfüllen, so kann der Darlehensgeber keine Ansprüche wegen Pflichtverletzung geltend machen, wenn der Vertrag bei ordnungsgemäßer Bonitätsprüfung nicht hätte geschlossen werden dürfen. ▪ Daran ändert auch das Zwischenschalten einer Zweckgesellschaft nichts, da auch dahinter stets ein Kreditinstitut stehen muss, welches gem. KWG zur Kreditvergabe berechtigt ist. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 34
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze c) Gestaltungsmöglichkeit ▪ Alternative wäre, den Rechtsrahmen für ein Förderdarlehen zu schaffen, mit dem man Endkunden, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, „fördert“. Gemäß § 491 Abs. 2 Nr. 5 BGB gilt ein Förderdarlehen nicht als Verbraucherdarlehen. ▪ Abs. 2 S. 2 Nr. 5 nimmt Verbraucherdarlehensverträge aus, die mit einem begrenzten Personenkreis auf Grund von Rechtsvorschriften in öffentlichem Interesse abgeschlossen werden und für den Darlehensnehmer hinsichtlich der Bedingungen günstiger sind als es dem marktüblichen Durchschnitt entspricht bzw. die den marktüblichen Sollzinssatz nicht überschreiten. ▪ Somit können Förderdarlehen vergeben werden, ohne die ansonsten zwingend vorgeschriebene Bonitätsprüfung (so auch BTDrucksache 18/11420, S. 4). © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 35
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze ▪ Der Darlehensvergabe müssten Rechtsvorschriften in öffentlichem Interesse zugrunde liegen. Das sind alle Normen, die der Förderung eines gesamtgesellschaftlichen Anliegens dienen, MüKoBGB/Schürnbrand/Weber, 8. Aufl. 2019, BGB § 491 Rn. 81 → Hierzu müsste der Gesetzgeber den entsprechenden Rechtsrahmen setzen. In diesem Fall wäre eine Kreditvergabe möglich. ▪ Die Stabilisierung der Stadtwerke sowie die Sicherstellung der Energieversorgung der Bevölkerung als Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge ist als im öffentlichen Interesse liegend zu betrachten. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 36
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze ▪ Das Tatbestandsmerkmal des begrenzten Personenkreises iSd Abs. 2 S. 2 Nr. 5 erfordert nicht, dass in der Person des Darlehensnehmers besondere Voraussetzungen vorliegen müssten. Die Begrenzung kann auch durch sachliche Förderkriterien sichergestellt werden (BeckOK BGB/Möller, 63. Ed. 1.8.2022, BGB § 491 Rn. 91). ▪ Vergleich zu KFW Krediten während Corona: Auch hier wurden Förderdarlehen vergeben, um Liquiditätsengpässe zu verhindern. Insofern dürfte eine Finanzierung von Energiekosten als Förderdarlehen rechtlich abzubilden sein. ▪ Voraussetzung: Politischer Handlungswille zur Schaffung entsprechender Förderrichtlinien. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 37
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze 3. Lösungsansatz 3 © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 38
Absatzseite III. Rechtliche Einschätzung der Lösungsansätze a) Einordnung ▪ Gleicher Ansatz wie zuvor, nur dass die Hausbanken der Endkunden die Darlehensvergabe dezentral übernehmen, anstatt einer zentralen Stelle. ▪ Die rechtliche Ordnung bleibt letztlich gleich. Auch die bankaufsichtsrechtliche Problematik ändert sich nicht. • Ein Umschiffen dieser Problematik ist hier ebenfalls durch eine Ausgestaltung als Förderdarlehen möglich. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 39
Absatzseite IV. Conclusio IV. Conclusio © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 40
Absatzseite IV. Conclusio ▪ Lösungsansätze können Beitrag zur Sicherung der Solvenz der Stadtwerke leisten. ▪ Sämtliche Ansätze begegnen jedoch praktischen wie rechtlichen Schwierigkeiten, die zunächst ausgeräumt werden müssen. ▪ Der politische Wille zu deren Umsetzung ist notwendig. Darüber hinaus reduziert sich der zeitliche Spielraum für die Umsetzung zunehmend. ▪ Zur Lösung der Krise insgesamt können die Ansätze allenfalls einen Beitrag leisten. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 41
Absatzseite IV. Conclusio ➢ Dass sich ein immer größerer Berg an notleidenden Forderungen auftürmt und immer mehr Haushalte zahlungsunfähig werden, wird sich nur durch eine aktive staatliche Preispolitik, flankiert durch einen Rettungsschirm für die Stadtwerke verhindern lassen. Erwartete Entwicklung offener Forderungen (kummuliert) Forderungen Zeit © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 42
RA Dr. Henrik Bremer Wirtschaftsprüfer, Steuerberater Teil 2: Beschaffungsseite Die Kerze brennt von Liquiditätssicherung beiden Seiten entlang der Lieferkette © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Stand: 29.09.2022 43
Beschaffungsseite Gliederung I. Erhöhter Investitionsbedarf 1. Felder a) E-Mobilität b) Energiewende c) Erzeugung (PV-Solar) d) Instandhaltung e) Breitband 2. Budgetproblem II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung 1. Beschaffungsstrategie der Stadtwerke 2. Aktuelle Herausforderungen bei der Beschaffung 3. Problem: Besicherung 4. OTC-Verträge in der Insolvenz 5. Ausblick in die Zukunft III. Conclusio © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 44
Beschaffungsseite I. Erhöhter Investitionsbedarf I. Erhöhter Investitionsbedarf 1. Felder a) E-Mobilität b) Energiewende c) Erzeugung (PV-Solar) d) Instandhaltung e) Breitband 2. Budgetproblem © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 45
Beschaffungsseite I. Erhöhter Investitionsbedarf 1. Felder e) Breitband ▪ Jüngst verkündete die Landgemeinde Bleicherode aus Vorsorge für die Energiekrise, dass sich die Bewohner hinsichtlich des Breitbandausbau gedulden müssten ➢ Man versuche damit seine Einrichtungen durch die Krise zu bringen • Nichtsdestotrotz sind weitere Sitzungen beplant, in denen beschlossen werden soll, welcher Anbieter den Ausbau übernehmen wird © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 46
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung 1. Beschaffungsstrategie der Stadtwerke 2. Aktuelle Herausforderungen bei der Beschaffung 3. Problem: Besicherung 4. OTC-Verträge in der Insolvenz 5. Ausblick in die Zukunft © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 47
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung ▪ Stadtwerke haben nicht nur beim Beschaffen von Gas große Schwierigkeiten, sondern auch beim Absichern der entsprechenden Geschäfte. Dies führt zu der paradoxen Situation, dass selbst profitable Unternehmen unter Druck geraten können. 1. Beschaffungsstrategie der Stadtwerke ▪ Stadtwerke beschaffen vorausschauend, frühzeitig und risikoavers. Oberstes Ziel ist die Versorgungssicherheit der Kunden. ▪ Energiemengen werden zwei bis drei Jahre im Voraus (Terminmarkt) zu einem festen Preis eingekauft, um nicht extremen Schwankungen am Spotmarkt ausgesetzt zu sein. • Dafür werden mehrheitlich die OTC-Handelsplätze genutzt. Der zentrale Vorteil beim OTC-Handel ist die große Flexibilität. So können die Handelspartner beim Over the Counter Trading ihr Handelsvolumen, den Zeitraum und ggf. zu hinterlegende Sicherheiten frei aushandeln. Dazu kommen in der Regel geringere Kosten. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 48
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung ➢ Absicherung einer Transaktion im OTC-Handel: • Verkäufer und Käufer vereinbaren, dass 8760 MWh für EUR 700.800 geliefert werden (EUR 80,00 je MWh). Beide Parteien vertrauen sich und verzichten auch Sicherheiten für das Geschäft. Zu dem vereinbarten Zeitpunkt liefert der Verkäufer und der Käufer begleicht monatlich seine Rechnung. • Kennen sich Verkäufer und Käufer nicht oder handelt es sich um große Handelsvolumen, werden Sicherheiten verlangt. Vertragsannahmen wie oben. Wenn der Preis nun bis zum Zeitpunkt der Lieferung auf EUR 110/MWh steigt, ändert sich auch der Wert des Geschäfts für beide Vertragsparteien. Für den Käufer hat der Vertrag damit einen Wert von +30 Euro/MWh. Für den Verkäufer liegt der Wert bei -30 Euro/MWh. Wird der Verkäufer bis zum Liefertermin insolvent, so verliert der Käufer 30 Euro für jede MWh. Der Verkäufer stellt damit für den Käufer ein „Exposure“ von EUR 30,00 pro MWh dar. Unter Exposure werden im Finanzwesen die Verlust- und Gewinnchancen eines Investments bezeichnet. Dasselbe gilt umgekehrt für den Verkäufer, falls der Preis sinkt. Sollte der Käufer zum Lieferzeitpunkt nicht mehr in der Lage sein abzunehmen und zu bezahlte, so müsste er zu einem niedrigeren Preis an einen anderen Abnehmer verkaufen. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 49
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung • Um die Exposures, also das Ausfallrisiko des Geschäftspartners abzusichern, vereinbaren die Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrags, sich gegenseitig Sicherheiten zu stellen. Dies können beispielsweise liquide Mittel oder Bankgarantien sein. Während der Vertragslaufzeit wird die Preisentwicklung beobachtet und entschieden ob zusätzliche Sicherheiten gestellt werden müssen oder geleistete Sicherheiten zurückgegeben werden können. In der Regel werden dazu alle bestehenden Geschäfte gegeneinander aufgerechnet. ▪ Einige Stadtwerke handeln auch an der Börse. Terminhandel an der Börse bedingt laufende Sicherheitszahlungen, die das Erfüllungsrisiko der Handelspartner durch die zeitliche Differenz absichern (z B. Clearing oder Margin). ➢ Absicherung einer Transaktion über die Börse: Die Vertragsparteien müssen bei Geschäftsabschluss liquide Mittel als Sicherheit („Margin“) bei einer Clearingstelle hinterlegen. Bei den meisten Börsen machen dies die Marktteilnehmer nicht direkt. Zwischen ihnen und die Clearingstelle tritt eine Bank, die über ausreichend Liquidität verfügt („Clearing Bank“) und die Sicherheitenstellung organisiert. Hierdurch entsteht beim Abschluss des Börsengeschäfts kein Kreditrisiko, es müssen aber zwei Arten von Sicherheiten bei Abschluss derartiger Verträge bedient werden: © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 50
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung • „Initial Margin“: Wird bei Abschluss des Geschäfts hinterlegt. Deckt das Kreditrisiko ab und kann bei Bedarf während der Laufzeit des Vertrags angepasst werden. Dies ist der Fall, wenn der Marktpreis stark zu schwanken beginnt. Durch die Zahlungen sollen Preisschwankungen abgefedert werden, welche im Falle der Insolvenz eines Marktteilnehmers für die Glattstellung seiner Position benötigt wird. Je stärker die Marktschwankungen, desto höher die Sicherheitsleistungen. ➢ Bsp.: Verkäufer hat vor einem Jahr Energie zu einem Preis von EUR 40/MWh verkauft. Die Börse nimmt eine tägliche Preisänderung von +/- EUR 2/MWh an. Der Verkäufer muss eine Sicherheit von EUR 2/MWh stellen. Die Volatilität der Energiepreise hat in der Zwischenzeit derart zugenommen, dass die Börse mit Preisschwankungen von +/- EUR 40/MWh rechnet. Der Verkäufer muss nun für das gleiche Geschäft eine „Initial Margin“ von EUR 40/MWh leisten. Er muss 20 mal mehr Liquidität aufbringen, um das Geschäft aufrecht erhalten zu können. • „Variation Margin“: Täglicher Ausgleich der Gewinne und Verluste. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 51
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung ▪ Kurzfristiger Mehrbedarf der Stadtwerke wird über Spotmärkte gehandelt. Im Spotmarkt handelt es sich um eine zeitnahe Lieferung, der eine unmittelbare Bezahlung folgt. ➢ Preisbildung: Auf der Erzeugerseite bestimmen die kurzfristigen Erzeugungskosten des letzten Kraftwerks, welches die Nachfrage deckt, den Preis. Alle Erzeuger erhalten diesen Preis und alle Abnehmer müssen diesen Preis zahlen. Die Preiselastizität auf Käuferseite ist sehr gering. Dies bedeutet, dass die Nachfrage nur gering auf Preisveränderungen reagiert. ➢ Stadtwerke müssen auch bei hohen Preisen am Spotmarkt für ihre Kunden kaufen, um diese weiterhin beliefern zu können. Dennoch wirkt sich ein geringerer Bedarf durch Effizienzmaßnahmen in der Industrie oder Einsparungen in Haushalten auf die Nachfrage aus und wirkt preissenkend. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 52
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung 2. Aktuelle Herausforderungen bei der Beschaffung ▪ OTC-Handel/Termingeschäfte: • Bedingt durch die Marktentwicklung drastische Reduzierung der Anzahl der Großhandelsanbieter. Im Extremfall nur noch ein Handelspartner → Kein Wettbewerb. • Forderung nach Sicherheitsleistungen nun auch hier fast immer. • Kein Angebot von langfristigen Verträgen zu annehmbaren Konditionen. ▪ OTC-Handel/Spotmarkt • Auf Grund der aktuellen Marktsituation sind die Preise an den Spotmärkten auf den höchsten Ständen seit Beginn des Börsenhandels. Entsprechend hohe Sicherheitsleistungen. Stark zugenommene Preisvolatilität. ➢ Problem: Durch die Insolvenzen der Billiganbieter rutschen immer mehr Endkunden in die Grundversorgung. Das bedeutet für die Stadtwerke mehr Energieverbrauch als geplant und mehr Einkäufe auf dem Spotmarkt. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 53
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung ▪ Handel an der Börse/Termingeschäft/Spotmarkt: • Hohe Sicherheiten. Steigt der Marktpreis sehr schnell und schwankt dabei stark, muss der Verkäufer gleichzeitig per Variation Margin den Verlust des Marktwertes ausgleichen als auch Zahlungen für eine Anhebung der Initial Margin leisten („Margin Call“). • Preisexplosion auch hier. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 54
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung ▪ Zusammenfassung: • Liquiditätsrisiko im OTC-Handel durch geforderte Sicherheitsleistungen. • Liquiditätsrisiko an Börse durch geforderte Sicherheitsleistungen. • Sicherheiten die eigentlich zum Schutz der Marktteilnehmer gedacht sind, bewirken bei starken Preisschwankungen unter Umständen das Gegenteil, nämlich den Ausfall von Vertragsparteien. • Kontrahentenausfallrisiko bei Geschäften außerhalb der Börse. • Preisänderungsrisiken bei der Beschaffung auf Spotmärkten. • Stadtwerke werden auf Spotmarkt gedrängt. Vorteile einer strukturierten Beschaffung im Sinne von Preissicherheit für die Endkunden gehen verloren. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 55
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung 3. Problem: Besicherung ▪ Was passiert, wenn Stadtwerke die Sicherheiten nicht mehr bedienen können? ➢ Ausschluss aus dem Markt? ▪ Staatliche Hilfen • Für die Unternehmen die an der Börse (z.B. EEX) handeln, besteht bereits ein Rettungsschirm. Auch kommunale Energieversorger sind antragsberechtigt, wenngleich eine für Stadtwerke – als Nettokäufer an der Börse – sehr relevante Einschränkung besteht. • Für den außerbörslichen OTC-Handel existiert bislang kein Rettungsschirm. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 56
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung ▪ Forderungen zur Vermeidung von Insolvenzen: • Bürgschaftsprogramm zur Stabilisierung des OTC-Handels, insbesondre auf Grund Besicherungsforderungen. • Erleichterter Zugang zum Marging-Programm der KfW-Bank. • Hilfsprogramm der KfW muss auch das für die Käuferseite relevante Risiko aus sinkenden Preisen abdecken. • Liquiditätshilfen, evtl. eigenkapitalstärkende Maßnahmen. • Insolvenzmoratorium. © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 57
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung 4. OTC-Verträge in der Insolvenz ▪ Netting-Klausel: Durch Netting wird erreicht, dass im Insolvenzfall alle noch laufenden und unter einem Rahmenvertrag zusammengefassten Geschäfte gemeinsam beendet, bewertet und zu einem Betrag verrechnet („genettet“) werden. Ziel: Verrechneten Geschäfte sollen nicht dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters unterliegen. Der Insolvenzverwalter könnte ansonsten bei Anwendbarkeit von § 103 InsO auf die Erfüllung ihm günstiger, laufender Geschäfte bestehen und hinsichtlich ungünstiger Geschäfte auf die Quote verweisen (so genanntes „Cherry-Picking“). © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 58
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung Ausgangssituation vor B‘s Insolvenz (tagesaktuelle Bewertung der offenen Geschäfte; hypothetische Forderung bei angenommener vorzeitiger Beendigung): A‘s Forderung aus Deal 1: 10 Mio € A B B‘s Forderung aus Deal 2: 13 Mio € © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Quelle: Fried in Schwintowski/Scholz/Schuler, OTC-Verträge in der Insolvenz, Rn. 515 59
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung Situation ohne vertragliches oder gesetzliches Netting nach B‘s Insolvenz (Insolvenzverwalter macht von Wahlrecht Gebrauch): A‘s Forderung aus Deal 1: 1 Mio € (bei Reduzierung der eigentlichen Forderung von 10 Mio € auf Quote von z.B. 10%) A B B‘s Forderung: 13 Mio € Netto-Forderung B‘s: 12 Mio € © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Quelle: Fried in Schwintowski/Scholz/Schuler, OTC-Verträge in der Insolvenz, Rn. 515 60
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung Situation mit Netting nach B‘s Insolvenz: A‘s Forderung: 10 Mio € A B B‘s Forderung: 13 Mio € Netto-Forderung B‘s nach Netting: 3 Mio € © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Quelle: Fried in Schwintowski/Scholz/Schuler, OTC-Verträge in der Insolvenz, Rn. 515 61
Beschaffungsseite II. Herausforderungen der Stadtwerke bei der Beschaffung 5. Ausblick in die Zukunft ▪ Da zu Spitzenzeiten des Strombedarfs oft Gaswerke den Preis am Day-Ahead- Markt bestimmen, ist damit zu rechnen, dass geringe Gasimporte im Winter zu Gas- als auch Strompreisen führen werden, die neue Rekorde brechen. ➢ Folgende Risiken können die Knappheitssituation verstärken: • langer und kalter Winter, • verringertes Angebot von LNG wegen steigender Nachfrage in Asien, • keine Reduktion der Gasnachfrage in Europa, • vollständiger Lieferstopp von russischem Gas, • geringe Verfügbarkeit der französischen Kernkraft. ▪ Was passiert, falls Knappheitssituation nicht eintritt, Stadtwerke sich allerdings mit teurer Energie ausreichend eingedeckt haben? © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 62
Beschaffungsseite III. Conclusio III. Conclusio © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 63
Beschaffungsseite III. Conclusio ▪ Der Anlass für die gefährliche Situation ist nicht der tatsächliche Gasmangel. Stattdessen geht es um große Geldsummen, die Strom- und Gashändler täglich hin- und herüberweisen. Je höher die Energiepreise steigen, desto höher sind diese Summen. Immer mehr Konzernen fehlt schlich das Geld um an dem Handelsgeschehen teilnehmen zu können. Der norwegische Energiekonzern Equinor warnt, dass es im europäischen Energiehandel um eine Summe von 1,5 Billionen Dollar gehen könnte. ▪ Finanzielle Unterstützungsmaßnahmen müssen möglichst weit oben in der Lieferkette ansetzte um die Konsequenzen der Preisweitergabe zumindest zu begrenzen. ▪ Es sollte eine Überprüfung stattfinden, ob die gesellschaftsrechtliche Struktur des Unternehmens krisenfest ist (auch noch „nach der Krise“). © WIRTSCHAFTSRAT Recht – Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 64
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