Entscheid vom 16. September 2021 - Entscheidsuche
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Kantonsgericht von Graubünden Dretgira chantunala dal Grischun Tribunale cantonale dei Grigioni Entscheid vom 16. September 2021 Referenz ZK1 21 131 Instanz I. Zivilkammer Besetzung Cavegn, Vorsitzender Nydegger und Bergamin Brunner, Aktuar ad hoc Parteien A._____ Beschwerdeführer vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Gian Reto Bühler, Fryberg Augustin Schmid, Quaderstrasse 8, 7000 Chur Gegenstand fürsorgerische Unterbringung Anfechtungsobj. ärztliche Einweisung (FU) vom 6. September 2021 Mitteilung 22. September 2021
Sachverhalt A. A._____, geboren am A._____ 1947, wurde mit Verfügung vom 6. September 2021 von Dr. med. B._____ gestützt auf Art. 426 und Art. 429 f. ZGB für maximal sechs Wochen in der C._____ fürsorgerisch untergebracht. Als Grund für die Einweisung wurde eine Agitation und Fremdgefährdung bei bekannter bipolarer Störung und Intelligenzminderung mit Verhaltensstörung sowie Verweigerung der Medikation angeführt. B. Gleichentags erhob A._____ (nachfolgend Beschwerdeführer) frist- und formgerecht Beschwerde beim Kantonsgericht von Graubünden (fortan Kantonsgericht) und beantragte die sofortige Aufhebung der fürsorgerischen Unterbringung. C. Mit Schreiben vom 7. September 2021 ersuchte der Vorsitzende der I. Zivilkammer die Klinik C._____ unter Fristansetzung bis zum 8. September 2021 um einen kurzen Bericht zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, zur Art der Behandlung und insbesondere darüber, inwiefern die Voraussetzungen für eine weitere fürsorgerische Unterbringung aus ärztlicher Sicht gegeben seien. Weiter forderte er die wesentlichen Klinikakten über den Beschwerdeführer an. D. Am 8. September 2021 reichte die Klinik C._____ den angeforderten Bericht ein, worauf mit prozessleitender Verfügung des Vorsitzenden der I. Zivilkammer gleichentags D._____, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, gestützt auf Art. 439 Abs. 3 ZGB in Verbindung mit Art. 450e Abs. 3 ZGB mit der Begutachtung des Beschwerdeführers beauftragt wurde. E. Nach Eingang des Gutachtens von D._____ vom 11. September 2021 fand am 14. Septemeber 2021 die mündliche Hauptverhandlung vor der I. Zivilkammer statt. Diese wurde aber abgebrochen, da der Beschwerdeführer offensichtlich nicht in der Lage war, seine Rechte zu wahren. Daraufhin wurde Rechtsanwalt lic. iur. Gian Reto Bühler als Rechtsvertreter eingesetzt und die Hauptverhandlung am 16. September 2021 fortgesetzt. Auf die Aussagen des Beschwerdeführers anlässlich der richterlichen Befragung sowie auf die Ausführungen im Gutachten und in den beigezogenen Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen. 2 / 11
Erwägungen 1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist eine fürsorgerische Unterbringung gemäss Art. 426 ff. ZGB. Das Kantonsgericht von Graubünden ist hierfür einzige kantonale Beschwerdeinstanz (Art. 439 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB i.V.m. Art. 60 Abs. 1 EGzZGB [BR 210.100]). 2.1. Das Verfahren vor der gerichtlichen Beschwerdeinstanz richtet sich nach Art. 450a ff. ZGB. Zu beachten sind sodann die allgemeinen Verfahrensgrundsätze des erstinstanzlichen Verfahrens (Art. 443 ff. ZGB), die auch im Verfahren vor der gerichtlichen Beschwerdeinstanz anwendbar sind, soweit das Gesetz in den Art. 450 ff. ZGB keine abweichenden Vorschriften enthält (vgl. Lorenz Droese/Daniel Steck, in: Geiser/Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 6. Aufl., Basel 2018, N 13 zu Art. 450 ZGB). Dies gilt namentlich für die in Art. 446 ZGB verankerte uneingeschränkte Untersuchungs- und Offizialmaxime und das an gleicher Stelle festgeschriebene Prinzip der Rechtsanwendung von Amtes wegen. Der Anwendungsbereich dieser zentralen Verfahrensgrundsätze bezieht sich auf sämtliche Verfahren vor der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde und erstreckt sich – wenn auch teilweise in abgeschwächter Form – nach dem Grundsatz der Einheit des Prozesses auch auf die Verfahren vor der gerichtlichen Beschwerdeinstanz (vgl. Luca Maranta/Christoph Auer/Michèle Marti, in: Geiser/Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 6. Aufl., Basel 2018, N 1 f. zu Art. 446 ZGB m.w.H.). Aus Art. 450a ZGB wie auch aus Art. 5 Ziff. 4 EMRK ergibt sich schliesslich, dass das Gericht Tat- und Rechtsfragen wie auch die Angemessenheit frei überprüft und ihm von Bundesrechts wegen volle Kognition zukommt. 2.2. Das Gesetz schreibt ausdrücklich vor, dass das Gericht aufgrund eines Gutachtens entscheiden muss, wenn die betroffene Person an einer psychischen Störung leidet (Art. 439 Abs. 3 ZGB i.V.m. Art. 450e Abs. 3 ZGB). Das Gutachten muss von einer unabhängigen, im laufenden Verfahren noch nicht involvierten sachverständigen Person erstellt werden und in dem Sinne aktuell sein, dass es sich zu den sich im gerichtlichen Verfahren stellenden Fragen äussern muss (BGE 143 III 189 E. 3.2 f.; Thomas Geiser/Mario Etzensberger, in: Geiser/Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 6. Aufl., Basel 2018, N 48 ff. zu Art. 439 ZGB; Thomas Geiser, in: Geiser/Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 6. Aufl., Basel 2018, N 19 zu Art. 450e ZGB). Mit dem Kurzgutachten vom 11. September 2021 von D._____, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, welcher den Beschwerdeführer am 9. September 3 / 11
2021 persönlich in der Klinik C._____ untersucht hat, wurde dieser Vorschrift Genüge getan (vgl. act. 06). 2.3. Gemäss Art. 450e Abs. 4 Satz 1 ZGB muss die gerichtliche Beschwerdeinstanz die betroffene Person in der Regel als Kollegium anhören, was faktisch zwingend zur Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung führt (vgl. Christof Bernhart, Handbuch der fürsorgerischen Unterbringung, Basel 2011, N 848 f.). Die Beschwerdeinstanz ordnet wenn nötig eine Vertretung der betroffenen Person an und bezeichnet als Beistand oder Beiständin eine in fürsorgerischen und rechtlichen Fragen erfahrene Person (Art. 450e Abs. 4 Satz 2 ZGB). Nachdem der Beschwerdeführer an der mündlichen Hauptverhandlung vom 14. September 2021 nicht in der Lage war, seine Rechte adäquat wahrzunehmen, setzte der Vorsitzende Rechtsanwalt lic. iur. Gian Reto Bühler als Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ein und wiederholte die mündliche Hauptverhandlung am 16. September 2021 (vgl. act. 06, 08 und 09). Damit wurden die oben genannten Vorgaben umgesetzt. 3.1. Neben der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde können gemäss Art. 429 Abs. 1 ZGB auch die von den Kantonen bezeichneten Ärztinnen und Ärzte eine fürsorgerische Unterbringung, welche die Höchstdauer von sechs Wochen nicht überschreiten darf, anordnen. Dabei hat der einweisende Arzt die betroffene Person persönlich zu untersuchen, anzuhören (vgl. Art. 430 Abs. 1 ZGB) und ihr anschliessend den Unterbringungsentscheid mit den gesetzlich vorgeschriebenen Angaben auszuhändigen (vgl. Art. 430 Abs. 2 und 4 ZGB). Dies bedeutet, dass die Untersuchung dem Einweisungsentscheid unmittelbar vorauszugehen hat (vgl. Geiser/Etzensberger, a.a.O., N 20 ff. zu Art. 429/430 ZGB). Der einweisende Arzt muss sich gestützt auf eine klinische Untersuchung und soweit möglich nach einem Gespräch mit der betroffenen Person eine Meinung bilden (vgl. Olivier Guillod, in: Büchler et al. [Hrsg.], Erwachsenenschutz, FamKommentar, Bern 2013, N 4 zu Art. 430 ZGB). 3.2. Dr. med. B._____ ist Facharzt für Allgemeine und Innere Medizin FMH in G._____. Damit war er gemäss Art. 51 Abs. 1 lit. a EGzZGB in Verbindung mit Art. 22 KESV (BR 215.010) als im Kanton zur selbstständigen Berufsausübung zugelassener Arzt der Grundversorgung zur Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung legitimiert. Die ärztliche Untersuchung fand am 6. September 2021 statt. Zudem enthält die Verfügung vom 6. September 2021 die gemäss Art. 430 Abs. 2 ZGB vorgeschriebenen Minimalangaben (vgl. act. 03.1). 4 / 11
4.1. Gemäss Art. 426 Abs. 1 ZGB darf eine Person, welche an einer psychischen Störung oder an geistiger Behinderung leidet oder verwahrlost ist, in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann. Die Belastung und der Schutz von Angehörigen und Dritten sind zu berücksichtigen (Abs. 2). Die betroffene Person wird entlassen, sobald die Voraussetzungen der Unterbringung nicht mehr erfüllt sind (Abs. 3). Die Massnahme gelangt zur Anwendung, wenn eine Person der persönlichen Fürsorge oder Pflege bedarf (vgl. Geiser/Etzensberger, a.a.O., N 6 zu Art. 426-439 ZGB). Die fürsorgerische Unterbringung dient dem Schutz der betroffenen Person und nicht der Umgebung (vgl. dazu Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht] vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7001, S. 7062 [zit.: Botschaft]). Eine Fremdgefährdung darf für sich alleine daher nie ausschlaggebend für eine fürsorgerische Unterbringung sein (BGE 145 III 441 E. 8.3 f.). Erste gesetzliche Voraussetzung für eine Anordnung der Massnahme ist einer der drei abschliessend genannten Schwächezustände: psychische Störung, geistige Behinderung oder schwere Verwahrlosung. Erforderlich ist sodann eine sich aus dem Schwächezustand ergebende Notwendigkeit der Behandlung beziehungsweise Betreuung. Weitere Voraussetzung ist, dass der Person die nötige Behandlung oder Betreuung nicht auf andere Weise als durch eine Einweisung beziehungsweise Zurückbehaltung in einer Einrichtung gewährt werden kann. Gesetzlich verlangt ist schliesslich eine geeignete Einrichtung (vgl. BGer 5A_228/2016 v. 11.7.2016 E. 3.1). Die genannten Voraussetzungen bedingen sich gegenseitig und sind nur in ihrem Zusammenhang verständlich. Der Schwächezustand allein vermag eine fürsorgerische Unterbringung nie zu rechtfertigen, sondern immer nur zusammen mit der Notwendigkeit einer Behandlung oder Betreuung. Selbst bei Vorliegen einer solchen ist die freiheitsbeschränkende Unterbringung aber nur gesetzeskonform, wenn der Zweck der Unterbringung nicht mit einer milderen Massnahme erreicht werden kann (Verhältnismässigkeitsprinzip) und die Unterbringung für den angestrebten Zweck auch tauglich ist (vgl. Geiser/Etzensberger, a.a.O., N 7 zu Art. 426 ZGB). 4.2.1. Zunächst ist zu prüfen, ob beim Beschwerdeführer einer der im Gesetz genannten Schwächezustände vorliegt, welcher die persönliche Fürsorge notwendig macht. Die psychische Störung umfasst die anerkannten Krankheitsbilder der Psychiatrie, d.h. Psychosen und Psychopathien, seien sie körperlich begründbar oder nicht (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 7062). Psychische Störung ist ein Begriff des Rechts, der sich aber auf die medizinische Terminologie abstützt. Der Begriff ist aus der modernen Medizin entnommen und entspricht der 5 / 11
Klassifikation der WHO (ICD; International Classification of Disturbances [vgl. Geiser/Etzensberger, a.a.O., N 15 f. zu Art. 426 ZGB]). 4.2.2. D._____ kam in seinem Kurzgutachten vom 11. September 2021 aufgrund der Akten der Klinik C._____, Gesprächen mit der Bezugspflegeperson E._____ und der Stationsärztin Dr. med. F._____ sowie seiner eigenen Beobachtungen anlässlich der psychiatrischen Untersuchung zum Schluss, dass beim Beschwerdeführer eine bipolare affektive Störung mit gegenwärtiger gemischter Episode (ICD-10 F31.6) sowie eine Intelligenzminderung vorliege (act. 07, Ziff. 6). Bei der vorliegenden Diagnose handelt es sich um eine psychische Störung im juristischen Sinne. Damit ist beim Beschwerdeführer der gemäss Art. 426 Abs. 1 ZGB für die fürsorgerische Unterbringung erforderliche Schwächezustand grundsätzlich gegeben. 4.3.1. Eine weitere kumulative Voraussetzung für eine fürsorgerische Unterbringung ist die sich aus diesem Schwächezustand ergebende Notwendigkeit einer Behandlung bzw. Betreuung. 4.3.2. Die Klinik C._____ führt in ihrer Stellungnahme vom 8. September 2021 und in den beiliegenden Unterlagen aus, der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner Agitation bei bekannter bipolarer Störung und Intelligenzminderung mit Verhaltensstörung sowie Verweigerung der Medikation eingewiesen worden. Er habe zudem ein fremdgefährdendes Verhalten gezeigt, als er eine Pflegeperson mit einem Messer bedroht habe. Der Beschwerdeführer weise eine gereizte Grundstimmungslage bei verringerter Schwingungsfähigkeit und psychosomatischer Anspannung auf. Auffällig seien teils schnelle, heftige Bewegungen (plötzliches Aufstehen, Umhergehen, dem Personal sehr nahe kommen/Distanzminderung) und verbale Aggression (Beschimpfungen, Androhung der Verweigerung der Einnahme von Nahrung, Flüssigkeit und Medikamenten). Weiter sei eine Diskrepanz zwischen fremdanamnestischen Angaben sowie den Aussagen des Beschwerdeführers aufgefallen. Eine Einsichtsfähigkeit hinsichtlich der vorgefallenen Fremdaggressionen sei nicht vorhanden gewesen, was auf die Akuität der psychiatrischen Verdachtsdiagnose bipolare affektive Störung, gegenwärtige hypomanische Phase (ICD-10 F31.0) zurückzuführen sei. Ebenso bestehe kein Krankheitsgefühl und keine Krankheitseinsicht bezüglich der psychischen Erkrankung (act. 04, S. 1). 4.3.3. D._____ hält in seinem Kurzgutachten fest, dass beim Beschwerdeführer drei Aspekte vordergründig seien: die deutlich wechselnde Stimmungslage innerhalb der Untersuchungszeit; die aller Wahrscheinlichkeit nach der 6 / 11
Intelligenzminderung geschuldete Auffassungsstörung sowie die sehr einfache Ausdrucksweise des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer sei hin- und hergerissen zwischen Widerstand und sich der Situation ergebend, wobei diese unterschiedlichen Haltungen durch die rasch wechselnden Stimmungslagen moduliert seien. Die aufgrund der Aktenlage gesicherte Diagnose einer bipolar affektiven Störung in Kombination mit einer Intelligenzminderung könne im Falle einer Dekompensation einen derartigen Zustand bewirken. Unklar bleibe zwar der auslösende Faktor der Dekompensation, klar sei jedoch, dass es zur Stabilisierung des Beschwerdeführers noch Zeit brauche. Aufgrund seiner verminderten Intelligenz und der dekompensierten Erkrankung habe der Beschwerdeführer keine Krankheits- und Behandlungseinsicht (act. 0.7, Ziff. 5). 4.3.4. Sowohl im Bericht der Psychiatrischen Klinik C._____ als auch im Kurzgutachten wird eine Notwendigkeit der Behandlung bejaht. Angesichts des Gutachtens, der Stellungnahme der Klinik C._____ und der Akten scheint der Beschwerdeführer auf die Einnahme der Medikamente zur Behandlung seiner Erkrankung angewiesen zu sein. Es stellt sich aber die Frage, ob die fürsorgerische Unterbringung in der Klinik C._____ angesichts des schweren Eingriffs in die persönliche Freiheit des Betroffenen im konkreten Fall und aktuell noch als verhältnismässig erscheint. 4.4.1. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verlangt, dass eine fürsorgerische Unterbringung nur verfügt bzw. nur solange aufrechterhalten werden darf, als mit einer konkreten Selbst- oder Fremdgefährdung von einem gewissen Ausmass zu rechnen ist. So hat das Bundesgericht festgehalten, dass es für die Beurteilung des Behandlungs- bzw. Betreuungsbedarfs wesentlich sei, mit welcher konkreten Gefahr für die Gesundheit oder das Leben der betroffenen Person bzw. von Dritten zu rechnen sei, wenn die Behandlung der gutachterlich festgestellten Krankheit bzw. die Betreuung unterbleibe (vgl. BGE 140 III 101 E. 6.2.2; 140 III 105 E. 2.4 m.H.). Gemäss Art. 426 Abs. 3 ZGB wird eine Person entlassen, sobald die Voraussetzungen für eine Unterbringung nicht mehr erfüllt sind. Mit dieser Umschreibung beabsichtigte der Gesetzgeber eine im Vergleich zum alten Recht restriktivere Regelung der Entlassungsvoraussetzungen (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 7063). Der Entscheid über die Entlassung ist stets anhand des Zustandes der betroffenen Person im aktuellen Zeitpunkt zu bestimmen (vgl. Geiser/Etzensberger, a.a.O., N 44 zu Art. 426 ZGB). Dabei ist eine Interessenabwägung im Hinblick auf den Zweck der fürsorgerischen Unterbringung, nämlich die Wiedererlangung der Selbständigkeit und der Eigenverantwortung im Entlassungszeitpunkt, vorzunehmen. Aus dem Grundsatz 7 / 11
der Verhältnismässigkeit ergibt sich des Weiteren, dass die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann als mit der Einweisung in eine Einrichtung. Mit anderen Worten muss die Unterbringung in einer Einrichtung geeignet sein, den Zweck der beabsichtigten Behandlung zu erfüllen, ohne dass eine weniger einschneidende Massnahme genügen würde (vgl. dazu Geiser/Etzensberger, a.a.O., N 22 ff. zu Art. 426 ZGB; Olivier Guillod, in: Büchler et al. [Hrsg.], Erwachsenenschutz, FamKommentar, Bern 2013, N 64 f. zu Art. 426 ZGB). Eine Unterbringung fällt gemäss der Botschaft zum neuen Erwachsenenschutzrecht deshalb nur als ultima ratio in Betracht (Botschaft, a.a.O., S. 7062). Als leichtere Massnahme kommt den ambulanten Massnahmen und der Nachbetreuung sowie der freiwilligen Sozialhilfe entscheidende Bedeutung zu (Geiser/Etzensberger, a.a.O., N 24 zu Art. 426 ZGB). 4.4.2. Die Klinik C._____ empfiehlt in ihrem Bericht einen weiterführenden stationären Aufenthalt zur medikamentösen Optimierung bis zur Stabilisierung des psychischen Zustands. Bei medikamentöser Einstellung im ambulanten Bereich bestehe aufgrund der Verweigerungstendenz ein erhöhtes Risiko für das Wiederauftreten relevanter fremdaggressiver Verhaltensweisen. Sie erachtet daher die Voraussetzungen der Aufrechterhaltung der fürsorgerischen Unterbringung weiterhin als gegeben (act. 04, S. 2). 4.4.3. Auch der Gutachter erachtet die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik aufgrund der wechselnden Stimmungszustände mit gegebenem Aggressionspotential bis zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes gegenwärtig als gerechtfertigt. Der stationäre Aufenthalt umfasse neben der medikamentösen und pflegerischen Behandlung auch die Möglichkeit einer effektiven Reizabschirmung. Diese notwendige Behandlung könne im ambulanten Rahmen derzeit nicht angeboten werden. Bei fehlender Behandlung könne eine erneute fremdaggressive Eskalation nicht ausgeschlossen werden. Eine Notwendigkeit der Behandlung ohne Zustimmung bestehe nicht, da der Beschwerdeführer bereit sei, die Medikamente in flüssiger Form einzunehmen (act. 07, S. 3 f.). 4.4.4. Die Beschwerdeinstanz hat bei der Entscheidfindung auf den Zustand des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung abzustellen. Anlässlich der Verhandlung vom 16. September 2021 konnte sich die Beschwerdeinstanz ein Bild des Beschwerdeführers machen. Dieser war im Rahmen der Gerichtsverhandlung zwar nicht in der Lage, die Fragen des Gerichts adäquat zu beantworten, machte aber keinen aggressiven Eindruck. Aus seinen Aussagen wurde klar, dass er einen weiteren Aufenthalt in der Klinik ablehnt und wieder in 8 / 11
seine gewohnte Umgebung im Alters- und Pflegeheim G._____ zurückkehren möchte. Zur Klärung von offenen Fragen trugen die Ergänzungen der an der Hauptverhandlung vom 16. September 2021 ebenfalls anwesenden Schwester des Beschwerdeführers bei. Aus diesen ging hervor, dass der Beschwerdeführer Mühe hat, die Medikamente in Tablettenform einzunehmen. Werde er dann bedrängt, könne es kurzzeitig zu einer aggressiven Reaktion kommen. Der Beschwerdeführer könne aber in der Regel leicht wieder beruhigt werden. Die Einnahme der Medikamente sei zur Behandlung der Krankheit des Beschwerdeführers wichtig, die Verweigerung beziehe sich aber nur auf die Einnahme in Tablettenform. Die Medikation in Form von Tröpfchen, so wie sie in der Klinik C._____ erfolge, gehe laut Aussagen des Klinikpersonals ohne Probleme vonstatten. Diese Art der Medikamentenapplikation sei sicher auch im Alters- und Pflegeheim möglich, sodass es nicht mehr zu einer aggressiven Reaktion des Beschwerdeführers kommen sollte. Die Schwester führte weiter aus, dass sie regelmässig mit dem Beschwerdeführer in Kontakt stehe. Sie habe dabei festgestellt, dass sich der Zustand des Beschwerdeführers in der Klinik verschlechtert habe. Im Alters- und Pflegeheim sei der Alltag des Beschwerdeführers strukturiert und er könne regelmässig Spaziergänge unternehmen, was für ihn äusserst wichtig sei. Die vom Gutachter erwähnte Reizabschirmung könne sicherlich auch im Alters- und Pflegeheim erfolgen. So könne er sich in seinem Zimmer aufhalten, wenn ihn die Situation in den Gemeinschaftsräumen überfordere. 4.4.5. Bei dieser Ausgangslage kann die geforderte konkrete, unmittelbare und erhebliche Fremd- bzw. Selbstgefährdung nicht erkannt werden, zumal eine Selbstgefährdung nicht konkret genannt wird und eine Fremdgefährdung alleine nicht ausreicht. Das einmalige aggressive Verhalten des Beschwerdeführers ist in erster Linie auf die Verweigerung der Medikamenteneinnahme in Form von Tabletten zurückzuführen. Wie die Klinik C._____ und der Gutachter bestätigen, besteht aber keine grundsätzliche Verweigerung des Beschwerdeführers, die Medikamente einzunehmen. Vielmehr nimmt der Beschwerdeführer seine Medikamente in Tropfenform ohne Weiteres ein. Es ist nicht ersichtlich, wieso eine solche Form der Medikation nicht auch im Alters- und Pflegeheim G._____ möglich sein sollte. Im Gegenteil, dieser Wechsel der Medikationsform erscheint eine geeignete Lösung zu sein, um zukünftig aggressive Reaktionen des Beschwerdeführers zu vermeiden. Weiter ist nicht ersichtlich, wieso eine laut Gutachten notwendige Reizabschirmung nicht auch im Alters- und Pflegeheim möglich sein sollte. Der Beschwerdeführer hat auch dort die Möglichkeit, sich falls nötig auf sein Zimmer zurückzuziehen. 9 / 11
Auch wenn der Beschwerdeführer sich als behandlungsbedürftig erweist und auf Unterstützung zur Bewältigung seines Alltags angewiesen ist, rechtfertigt dies für sich alleine noch keine fürsorgerische Unterbringung. Eine Unterbringung darf nur gestützt auf ein hinreichend klares Gutachten und nur als ultima ratio in Betracht fallen. Wenngleich dem Kurzgutachten von D._____ zu entnehmen ist, dass der Verbleib des Beschwerdeführers in der Klinik C._____ für die Einstellung der Medikation und der Reizabschirmung unerlässlich sei, ist die zwangsweise stationäre Unterbringung in der Klinik C._____ aufgrund der Möglichkeit zur Ergreifung milderer Massnahmen durch Wechsel der Medikamentenapplikation von Tabletten- zu Tropfenform unverhältnismässig. 5. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der beim Beschwerdeführer bestehende Schwächezustand zwar behandelt werden muss, die Voraussetzungen für eine fürsorgerische Unterbringung gemäss Art. 426 ZGB im Zeitpunkt der Beurteilung jedoch nicht mehr gegeben sind. Daher ist die vorliegende Beschwerde gutzuheissen und die fürsorgerische Unterbringung aufzuheben. 6.1. Bezüglich die Kostenauflage verweist Art. 60 Abs. 2 EGzZGB subsidiär auf die Bestimmungen der ZPO. Demnach sind die Prozesskosten gemäss Art. 106 Abs. 1 ZPO der unterliegenden Partei aufzuerlegen. Vorliegend ist der Beschwerdeführer mit seinem Antrag auf Entlassung aus der Klinik C._____ vollumfänglich durchgedrungen, womit die Kosten des Beschwerdeverfahrens von insgesamt CHF 2'812.00 (CHF 1'500.00 Gerichtsgebühr und CHF 1'312.00 Gutachterkosten) beim Kanton Graubünden verbleiben. 6.2. Die Kosten für die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers gehen ebenfalls zu Lasten des Kantons Graubünden. Der Rechtsvertreter reichte anlässlich der Hauptverhandlung vom 16. September 2021 eine Honorarnote ein. Aus dieser ergibt sich ein Aufwand von 3.5 h zum Tarif der unentgeltlichen Rechtsvertretung von CHF 200.00 zuzüglich 3 % Spesen und 7.7 % MwSt. (vgl. Art. 5 Abs. 1 HV [BR 310.250]). Daraus resultiert ein Honoraranspruch von CHF 776.50. Dieser verrechnete Aufwand scheint für das vorliegende Verfahren angemessen. 10 / 11
Demnach wird erkannt: 1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und die fürsorgerische Unterbringung wird aufgehoben. Die ärztliche Leitung der Klinik C._____ wird angewiesen, A._____ unverzüglich aus der fürsorgerischen Unterbringung zu entlassen. 2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von insgesamt CHF 2'812.00 (CHF 1'500.00 Gerichtsgebühr und CHF 1'312.00 Gutachterkosten) gehen zu Lasten des Kantons Graubünden. 3. Die Kosten der Rechtsvertretung von A._____ von CHF 776.50 (inkl. Spesen und MwSt.) gehen zu Lasten des Kantons Graubünden und werden aus der Gerichtskasse bezahlt. 4. Gegen diese Entscheidung kann gemäss Art. 72 BGG Beschwerde in Zivilsachen an das Schweizerische Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, geführt werden. Die Beschwerde ist dem Bundesgericht schriftlich, innert 30 Tagen seit Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der Entscheidung in der gemäss Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die Zulässigkeit, die Beschwerdelegitimation, die weiteren Voraussetzungen und das Verfahren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff., 72 ff. und Art. 90 ff. BGG. 5. Mitteilung an: 11 / 11
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