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MEDIZIN

Originalarbeit

Epidemiologie des akuten Leberversagens
Ergebnisse einer populationsbasierten Studie mit Daten von 25 Millionen gesetzlich Versicherten

Nina Weiler, Andreas Schlotmann, Andreas Anton Schnitzbauer, Stefan Zeuzem, Martin-Walter Welker

                                                                                         D
                                                                                                as akute Leberversagen (ALV) ist eine potenziell
Zusammenfassung                                                                                 reversible Leberfunktionsstörung, welche durch
                                                                                                Ikterus, Koagulopathie (International Normali-
Hintergrund: Das akute Leberversagen (ALV) tritt plötzlich auf und ist mit einer ho-
                                                                                         zed Ratio [INR] > 1,5) und hepatische Enzephalopathie
hen Mortalität vergesellschaftet. Ziel der Studie war es, die Inzidenz des ALV mithil-
                                                                                         ohne vorbestehende Lebererkrankung charakterisiert
fe der Abrechnungsdaten von 25 Millionen Versicherten der größten gesetzlichen
                                                                                         ist (1). Es wird als selten angesehen und ist durch eine
Krankenversicherung in Deutschland zu ermitteln.
                                                                                         sehr hohe Mortalität gekennzeichnet, wenn keine
Methode: Die Analyse schloss alle Versicherten im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis        Lebertransplantation (LT) durchgeführt wird (2–4). Da-
zum 31. Dezember 2018 ein. Die Kodierung mit den „International Statistical Classi-      her ist die ärztliche Kenntnis des Krankheitsbildes
fication of Diseases and Related Health Problems”-Codes und der Operationen-             wichtig, um Patienten frühzeitig an ein Transplanta-
und Prozedurenschlüssel wurden zur Identifikation von Patienten eingesetzt. Zu-          tionszentrum weiterzuleiten. Da es keine nationalen
sätzlich wurden Alter, Geschlecht, Lebertransplantationen (LT) und Tode gezählt so-      Register gibt, ist die genaue Inzidenz mehr oder weni-
wie auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Als Validitätsprüfung wurden die            ger unbekannt. Bisher gibt es lediglich auf Kohorten-
extrapolierten mit den tatsächlich durchgeführten Lebertransplantationen verglichen.     studien basierende Schätzungen, während populations-
                                                                                         basierte Untersuchungen selten sind (5, 6).
Ergebnisse: Die Inzidenz betrug 1,13/100 000 Personenjahre bei 4 652 Fällen.
                                                                                            Die Ursachen des ALV umfassen toxische, virale,
Frauen waren häufiger betroffen (52 % versus 48 %, p < 0,001). Die Gesamtsterb-
                                                                                         autoimmune und – selten – vererbbare Lebererkrankun-
lichkeit innerhalb von 3 Monaten lag bei 47 %. Weiterhin wurden 203 Transplanta-
                                                                                         gen. In Europa, Nordamerika und Japan sind die häu-
tionen in 176 Patienten erfasst. 41 % der Transplantationen wurden bei Männern
                                                                                         figsten Ursachen des ALV eine medikamentös-toxische
und 59 % bei Frauen vorgenommen (p = 0,137). Die 1-Jahres-Mortalität nach LT lag
                                                                                         Leberschädigung („drug induced liver injury“ [DILI]),
bei 20 %. Die 203 extrapolierten Transplantationen korrespondierten mit 228 durch-
geführten Transplantationen.
                                                                                         akute virale Hepatitiden sowie das kryptogene Leber-
                                                                                         versagen (2–4). Die Bedeutung der viralen Hepatitiden
Schlussfolgerung: Die Inzidenz des ALV war höher als erwartet, mit einer sehr            hat in den letzten Jahren, unter anderem durch Impfpro-
niedrigen Rate an konsekutiv durchgeführten Lebertransplantationen trotz einer           gramme, abgenommen (4). Dennoch, in Entwicklungs-
sehr hohen Mortalität. Bei einer Hochrechnung auf die deutsche Bevölkerung               ländern bleibt die virale Hepatitis die häufigste Ursache
muss beachtet werden, dass die Versicherten der analysierten Krankenkasse kei-           (7). Seltene Ursachen weltweit sind die autoimmune
ne Stichprobe darstellen.                                                                Hepatitis und der Morbus Wilson (8, 9).
                                                                                            Bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK), der
Zitierweise
                                                                                         größten Krankenversicherung in Deutschland, waren
Weiler N, Schlotmann A, Schnitzbauer AA, Zeuzem S, Welker MW:
                                                                                         Mitte 2018 bundesweit etwa 26,5 Millionen Menschen
The epidemiology of acute liver failure—results of a population-based study
                                                                                         versichert, was ungefähr einem Drittel der deutschen
including 25 million state-insured individuals. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 43–50.
                                                                                         Bevölkerung entspricht (10, 11).
DOI: 10.3238/arztebl.2020.0043
                                                                                            Ziel der Studie war es, mithilfe der Abrechnungsda-
                                                                                         ten der AOK die Inzidenz des ALV in Deutschland zu
                                                                                         erfassen. Darüber hinaus wurden Ursachen, Geschlech-
                                                                                         terverteilung, Verschreibung von Medikamenten vor
                                                                                         dem ALV, Mortalität und die konsekutive Durchfüh-
                                                                                         rung von Lebertransplantationen untersucht.

                                                                                         Methode
                                                                                         Studiendesign
                                                                                         Das deutsche Gesundheitssystem basiert auf gesetzli-
                                                                                         cher und privater Krankenversicherung (12). Der größte
Medizinische Klinik 1, Universitätsklinikum Frankfurt: Dr. med. Nina Weiler,             Teil der Bevölkerung ist gesetzlich versichert, wobei
Prof. Dr. med. Stefan Zeuzem, PD Dr. med. Martin-Walter Welker
                                                                                         der gesetzliche Versicherungsschutz durch verschiedene
Wissenschaftliches Institut der Allgemeinen Ortskrankenkasse, Berlin:
Dr. med. Andreas Schlotmann                                                              Krankenversicherungen angeboten wird (13). Wir un-
Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt:             tersuchten die Inzidenz des ALV in Deutschland mithil-
Prof. Dr. med. Andreas Anton Schnitzbauer                                                fe der Abrechnungsdaten der AOK-Versicherten, die in

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 4 | 24. Januar 2020                                                                                      43
MEDIZIN

            KLINISCHER ASPEKT

            Das akute Leberversagen
            ● Definition
              Das akute Leberversagen (ALV) ist eine potenziell reversible, aber lebensbedrohliche Leberfunktionsstörung, welche durch
              Ikterus, Koagulopathie und hepatische Enzephalopathie ohne vorbestehende Lebererkrankung charakterisiert ist.
            ● Ursachen
              Die häufigsten Ursachen in westlichen Ländern sind Einnahme hepatotoxischer Substanzen und akute Virushepatitiden. Zu
              den Medikamenten, die häufig mit einem ALV in Verbindung gebracht werden, gehören unter anderem Paracetamol, Phen-
              procoumon, Ibuprofen, Diclofenac, Amoxicillin, Ciprofloxacin, Levofloxacin, Cotrimoxazol, Nitrofurantoin und Carbamazepin,
              Phytotherapeutika sowie Nahrungsergänzungsmittel. Drogen wie zum Beispiel Ecstasy oder der Knollenblätterpilz können
              auch ein ALV auslösen. Bei einem relevanten Anteil der Patienten bleibt die Ursache unklar (kryptogenes ALV).
            ● Klinisches Erscheinungsbild und Verlauf
              Die Patienten präsentieren sich mit Ikterus, zunehmender Somnolenz und Verwirrung sowie grobschlägigem Händezittern,
              dem sogenannten „flapping tremor“, bis hin zum Koma. Laborchemisch zeigen sich eine Erhöhung der Transaminasen, des
              Bilirubins, des Ammoniaks sowie die International Normalized Ratio > 1,5. Als Komplikationen können andere Organversa-
              gen, ein Hirnödem oder Blutungen auftreten.
            ● Therapie
              Patienten mit ALV sollten stationär überwacht und, soweit möglich, kausal behandelt werden, zum Beispiel mit Acetylcystein
              bei Paracetamol-Intoxikation. Eine Intensivtherapie ist häufig im Verlauf erforderlich. Die sogenannten King´s-College-Kriterien
              definieren das Leberversagen mit Indikation zur Lebertransplantation. Dann stellt die Lebertransplantation eine lebensret-
              tende Maßnahme dar. Patienten sollten daher zeitnah zur Beurteilung in einem Lebertransplantationszentrum vorgestellt
              werden. Extrakorporale Leberunterstützung („Leberdialyse“) verbessert das Überleben nicht.

          der größten gesetzlichen Krankenversicherung in                        Im Detail wurden alle Patienten, welche bei Entlas-
          Deutschland versichert sind. Die Ergebnisse wurden auf              sung mit der Hauptdiagnose K72.0 „akutes und sub-
          die Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Als Validitäts-                akutes Leberversagen“ für eine stationäre Behandlung
          prüfung wurden die extrapolierten LT mit den tatsäch-               kodiert wurden, erfasst. Datensets wurden wieder ge-
          lich in Deutschland durchgeführten LT (nach Abfrage                 löscht, wenn gleichzeitig folgende Diagnosen ambulant
          bei Eurotransplant) verglichen.                                     oder stationär kodiert wurden: K72.1 „chronisches Le-
             Die Studie wurde in Einklang mit der Deklaration                 berversagen“; K74 „Leberzirrhose“; K70.3 „alkoholi-
          von Helsinki durchgeführt und vorab durch die hiesige               sche Leberzirrhose“; K70.4 „alkoholisches Leberversa-
          Ethikkommission geprüft und genehmigt.                              gen“; P78.8 „kongenitale Leberzirrhose“; K76.1 „cirr-
                                                                              hose cardiaque“; K71.7 „toxische Leberkrankheit mit
          Datenanalyse und Epidemiologie                                      Leberzirrhose“; C22 „bösartige Neubildung der Leber
          Die Daten wurden prospektiv von der AOK erhoben                     und der intrahepatischen Gallengänge“; C23 „bösartige
          und in Kooperation mit dem Wissenschaftlichen Insti-                Neubildung der Gallenblase“; C24 „bösartige Neubil-
          tut der AOK (WIdO) anonymisiert untersucht. Die                     dung sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile der
          Analyse schloss alle Patienten ein, welche ununterbro-              Gallenwege“; C78.7 „sekundäre bösartige Neubildung
          chen vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2018                   der Leber und der intrahepatischen Gallengänge“. Um
          bei der AOK versichert waren, aber auch Patienten,                  sicherzustellen, dass nur inzidente Fälle erfasst wurden,
          welche in dem Zeitraum geboren wurden oder verstor-                 wurden alle Patienten die zwei- oder mehrfach inner-
          ben sind. Um Patienten mit ALV zu identifizieren, wur-              halb von 3 Monaten mit K72.0 kodiert wurden, nur ein-
          den die an die AOK übermittelten ICD-10-GM-Codes                    malig aufgenommen. Die auf die Weise identifizierten,
          („International Statistical Classification of Diseases              inzidenten Fälle wurden unter Anpassung von Ge-
          and Related Health Problems, 10th revision, German                  schlecht und Alter auf die Gesamtbevölkerung hochge-
          Modification“) genutzt.                                             rechnet (Grafik 1). Diese Extrapolation wird bei staatli-
             Um fälschlicherweise mit ALV kodierte Patienten mit              chen Statistiken und Analysen des deutschen Gesund-
          chronischer und alkoholischer Lebererkrankung oder                  heitssystems angewandt (11).
          primären und sekundären Karzinomen der Leber auszu-
          schließen, wurden Nebendiagnosen, welche eine bereits               Ursachen und Überleben
          zuvor bestehende Lebererkrankung anzeigen, genutzt,                 Die Datensets der Patienten mit ALV wurden benutzt,
          um die primäre Datenabfrage anzupassen. Der Operatio-               um Geschlecht, Alter zum Zeitpunkt der Diagnose und
          nen- und Prozedurenschlüssel (OPS) wurde genutzt, um                Nebendiagnosen (Ursachen des ALV und chronische
          Patienten mit Evaluation und/oder LT zu identifizieren.             Erkrankungen) zu bestimmen. Verschreibungen von

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MEDIZIN

  GRAFIK 1

                                      ~25 Millionen AOK-Versicherte

                                   Fälle mit der Diagnose K72.0 für eine
                                          stationäre Behandlung
                                                                                        Fälle mit den Diagnosen K70.3, K70.4, K71.7,
                                                                                      K72.1, K74, K76.1, P78.8, C22, C23, C24, C78.7
                                                                                       für eine ambulante oder stationäre Behandlung

                                   alle Fälle mit akutem Leberversagen
                                                                                      Fälle kodiert mit K72.0 für eine ambulante oder
                                                                                      stationäre Behandlung in den letzten 3 Monaten

                                 inzidente Fälle mit akutem Leberversagen

                                Extrapolation*

                                 inzidente Fälle mit akutem Leberversagen
                                 in der Gesamtbevölkerung in Deutschland

                      Untersuchung der Ursachen

     Patienten mit B15, B16, B17.0,        Patienten mit      Patienten mit       Patienten mit K71.1, K71.2, K71.6,      Patienten mit       keine
       B17.1, B17.2, B25.1, B27                E83.0              I82.0            K71.9, T36–T50 mit T39.1, T62             K 75.4       Nebendiagnose

Bestimmung der Inzidenz des akuten Leberversagens in Deutschland 2014–2018
AOK – Allgemeine Ortskrankenkasse
*Die Extrapolation wurde anhand einer Statistik der Gesamtbevölkerung durchgeführt. Alter und Geschlecht wurden angepasst.

Medikamenten innerhalb von drei Monaten vor Kodie-                         transplant wurde analog der Erhebung bei der AOK
rung des Codes K72.0 wurden auf potenziell hepatoto-                       durchgeführt. Patienten mit gleichzeitig kodierten
xische Medikamente, welche als mögliche Ursache des                        chronischen Lebererkrankungen wurden ausgeschlos-
ALV publiziert wurden (2, 14–18), überprüft und mit                        sen.
den Verschreibungen in der Allgemeinbevölkerung
verglichen. Die definierten Tagesdosen („defined daily                     Statistik
doses”) wurden nicht berücksichtigt; Patienten mit                         Inzidenz, Geschlecht, Alter, Nebendiagnosen, Tod und
mindestens einer Verschreibung von potenziell hepato-                      Durchführung einer LT werden als deskriptive Statistik
toxischen Medikamenten wurden einmal für ein 3-Mo-                         präsentiert. Geschlechterverteilung, Mortalität und Ver-
nats-Intervall gezählt.                                                    schreibung von Medikamenten wurden mit einem
   Alle Patienten mit ALV wurden auf Kodierung                             zweiseitigen Binominaltest verglichen (19). Für die Be-
mit den folgenden OPS-Codes überprüft: 1–920.24                            rechnung wurden exakte Zahlen benutzt, in diesem
„vollständige Evaluation, mit Aufnahme eines Patien-                       Beitrag werden gerundete Zahlen dargestellt.
ten auf eine Warteliste zur Lebertransplantation”;
1–920.34 „Re-Evaluation, mit Aufnahme oder Ver-                            Ergebnisse
bleib eines Patienten auf eine(r) Warteliste zur Leber-                    Epidemiologie
transplantation“; 1–920.04 „vollständige Evaluation,                       Insgesamt wurden im untersuchten Zeitraum, vom
ohne Aufnahme eines Patienten auf eine Warteliste zur                      1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2018, 4 652 Fälle mit
Lebertransplantation“; 1–920.14 „teilweise Evaluati-                       ALV identifiziert (Tabelle 1), resultierend in einer mitt-
on, ohne Aufnahme eines Patienten auf eine Warteliste                      leren Inzidenz von 1,13 pro 100 000 Personenjahre.
zur Lebertransplantation“; 1–920.44 „Re-Evaluation,                        Diese 4 652 Fälle traten bei 4 621 Patienten auf;
mit Herausnahme eines Patienten aus einer Warteliste                       von diesen waren 2 188 Männer, welche somit im Ver-
zur Lebertransplantation“; 5–504 „Lebertransplantati-                      gleich zur Gesamtbevölkerung unterrepräsentiert wa-
on“. Mögliche konsekutive Todesfälle wurden als Tod                        ren (47 %; p = 0,009). Das mediane Alter der Patienten
innerhalb von 3 Monaten nach Kodierung der Diagno-                         mit ALV war 60 Jahre (Spannbreite 0–101). Das ALV
se K72.0 oder innerhalb von 12 Monaten nach Kodie-                         trat am häufigsten in der 9. Dekade auf (Grafik 2), aber
rung des OPS 5–504 definiert. Die Abfrage bei Euro-                        64 % der Patienten waren jünger als 70 Jahre (20).

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 4 | 24. Januar 2020                                                                                                 45
MEDIZIN

             TABELLE 1

             Inzidenz des akuten Leberversagens in Deutschland 2014–2018

               Jahr              Frauen         Männer           Alle Fälle      Frauen          Männer              Gesamt-       Inzidenz/100 000
                                                                                                                     bevölkerung
               2014              449            419              867             41 362 080      39 835 457          81 197 537    1,07
               2015              499            394              893             41 661 561      40 514 123          82 175 684    1,09
               2016              437            388              825             41 824 535      40 697 118          82 521 653    1,00
               2017              522            534              1 056           41 948 786      40 843 565          82 792 351    1,28
               2018              532            479              1 011           42 052 522      40 966 691          83 019 213    1,22
               2014–2018                                         4 652                                                             1,13*2

          *1 alle Fälle mit akutem Leberversagen 2014–2018
          *2 mittlere Inzidenz 2014–2018

             GRAFIK 2

             Fälle/100 000 Personenjahre

             3,0
                                                                                                                         2,82
                                   Frauen             Männer                                                                       2,66
             2,5                                                                                              2,35

                                                                                                                                               1,99
             2,0

                                                                                                1,48
             1,5

                                                                                     1,01
             1,0                                 0,86                    0 90
                                                                         0,90
                                                               0,82

             0,5       0,36         0,31

             0,0
                       0–9         10–19        20–29        30–39       40–49      50–59       60–69     70–79          80–89     90–99     100–109

                                                                              Alter in Jahren

          Altersverteilung für die Inzidenz des akuten Leberversagens in Deutschland im Zeitraum 2014 – 2018

          Ursachen und Nebendiagnosen                                                  Überleben
          Für die Mehrheit der Patienten mit ALV (56 %) wurde                          Von 4 621 Patienten starben 2 166 innerhalb von 3 Mo-
          keine Nebendiagnose kodiert, die zur Bestimmung                              naten (47 %), 1 071 Männer (49 % der Männer) und
          der Ursache des Leberversagens herangezogen wer-                             1 095 Frauen (45 % der Frauen; p = 0,055). OPS-Codes
          den konnte (eTabelle). Die bei Patienten mit ALV und                         für eine Evaluation wurden bei 188 von 4 621 Patienten
          in der Allgemeinbevölkerung verschriebenen, poten-                           (4,1 %) kodiert, wobei in diesen 188 Patienten 209
          ziell hepatoxischen Medikamente sind in Tabelle 2                            Evaluationen mit und ohne Listung kodiert wurden.
          dargestellt.                                                                    Weiterhin wurden 203 LT in 176 Patienten identifi-
             Von 4 621 Patienten mit ALV wurden bei 33 % ein                           ziert (176/4 621; 3,8 %). Von den 176 Patienten waren
          Diabetes mellitus, bei 26 % eine koronare Herzer-                            73 Männer (41 % versus 59 %; p = 0,137). Das mittlere
          krankung und bei 25 % bösartige Neubildungen für                             Alter der transplantierten Patienten betrug 33 Jahre
          eine ambulante oder stationäre Behandlung kodiert                            (Spannbreite 0–66). Im ersten Jahr nach Transplanta-
          (eTabelle).                                                                  tion verstarben 34 von den 176 Patienten (19,5 %),

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MEDIZIN

   TABELLE 2

   Verschreibungen hepatotoxischer Medikamente bei Patienten mit akutem Leberversagen (n = 4 621 Patienten) im
   Vergleich zur Allgemeinbevölkerung*1

                                                     Patienten mit ALV*3              Allgemeinbevölkerung*4                      Vergleich mit der
                                                                                                                               Allgemeinbevölkerung
     Hepatotoxische Medikamente                (n)             (% of all)       (n)                (% of all)          (%)               (p)
     Schmerzmittel
     Ibuprofen*2                               310             6,7              7 145 928          8,7                 −1,97             < 0,001
     Diclofenac                                77              1,7              2 177 394          2,6                 −0,98             < 0,001
                      2
     Paracetamol*                              34              0,7              991 534            1,2                 −0,47             0,017
     Antibiotika
     Amoxicillin                               122             2,6              2 035 862          2,5                 0,17              0,481
     Ciprofloxacin                             139             3,0              1 031 971          1,3                 1,76              < 0,001
     Trimethoprim/ Sulfamethoxazol             71              1,5              405 784            0,5                 1,04              < 0,001
     Levofloxacin                              39              0,8              289 716            0,4                 0,48              < 0,001
     Nitrofurantoin                            16              0,3              114 144            0,1                 0,21              0,002
     andere Medikamente
     Phenprocoumon                             67              1,5              829 865            1,0                 0,45              0,006
     Carbamazepin                              7               0,1              207 871            0,3                 −0,11             0,221
     Zytostatika-Zubereitungen                 87              1,9              101 846            0,1                 1,77              < 0,001
     Alle                                      4 621                            82 341 288

ALV – akutes Leberversagen
*1 Für den Vergleich wurde ein zweiseitiger Binominaltest durchgeführt.
*2 Nur Verschreibungen. Freiverkäufliche Medikation ist nicht eingeschlossen.
*3 Zahl der Patienten mit ALV mit mindestens einer Verschreibung innerhalb von 3 Monaten vor der Kodierung des ALV.
*4 Zahl der Patienten mit mindestens einer Verschreibung wurde im untersuchten Zeitraum 2014–2018 für alle Quartale erfasst.
   Die mittlere Zahl der Patienten in den Quartalen wird dargestellt.

7 Männer (10 % der Männer) und 27 Frauen (26 % der                                    Die wesentliche Schlussfolgerung unserer Analyse
Frauen; p = 0,035). Das mittlere Alter der verstorbenen                           ist, dass die Inzidenz in Deutschland höher ist, als zu-
Patienten betrug 38 Jahre (Spannbreite 1–57).                                     vor geschätzt (23), aber vergleichbar mit den Vereinig-
   Zur Validitätsprüfung wurden die tatsächlich                                   ten Staaten von Amerika (24), jedoch niedriger als
vom 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2018 durch-                                   kürzlich für Taiwan und Thailand berichtet (5, 22).
geführten LT bei Eurotransplant erfragt (Arjan van                                Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Taiwa-
Enckevort, Eurotransplant International Foundation                                nesische Inzidenz auch das ALV bei akuter alkoholi-
[request@eurotransplant.org], persönliche Kommu-                                  scher Hepatitis einschloss, welches vom ALV im enge-
nikation via E-Mail, 19. September 2019); 357 Pa-                                 ren Sinne zu unterscheiden ist (25). Eine Übersicht
tienten wurden in Deutschland mit der Diagnose                                    über die aktuelle Datenlage gibt Tabelle 4.
K72.0 gelistet, inklusive der Patienten mit Listung zur                               Außerdem wurden LT trotz einer ausgesprochen ho-
Re-Transplantation (Tabelle 3). Bei diesen Patienten                              hen Mortalität nur selten durchgeführt. Zuvor publi-
wurden 228 Transplantationen durchgeführt, inklusi-                               zierte Daten zur Rate an LT in Patienten mit ALV sind
ve Re-Transplantationen.                                                          selten und spiegeln häufig nur bestimmte Kohorten
                                                                                  wieder (26); die Raten variieren zwischen 0 % und
Diskussion                                                                        23 % (15, 26–29). Im Vergleich zu Kohortenstudien
Das akute Leberversagen ist eine schwerwiegende                                   war das mediane Alter der Patienten höher (17, 18),
Leberfunktionseinschränkung, deren Inzidenz mehr                                  aber ähnlich zu Patienten in Japan (28) und Patienten
oder weniger unbekannt ist (4). In der vorgelegten Stu-                           mit DILI (30, 31) sowie zu der populationsbasierten,
die berichten wir nach Auswertung der dokumentierten                              taiwanesischen Studie (5). Unter Annahme einer Al-
Diagnose- und Behandlungsdaten von ungefähr                                       tersgrenze für LT von 70 Jahren (20) waren die meisten
25 Millionen Versicherten und Hochrechnung auf die                                Patienten potenzielle Kandidaten für eine Transplanta-
Gesamtbevölkerung von 83 Millionen Menschen über                                  tion. Allerdings wurden nur 4,1 % der Patienten evalu-
das ALV in Deutschland (10), was – nach unserer                                   iert und 3,8 % der Patienten wurden transplantiert. Die
Kenntnis – die bisher größte populationsbasierte Studie                           niedrige Zahl der Evaluationen kann durch das übliche
zum ALV darstellt (5, 21, 22).                                                    Abrechnungsverfahren erklärt werden, da Transplanta-

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 4 | 24. Januar 2020                                                                                                  47
MEDIZIN

   TABELLE 3                                                                                               schlossen. Allerdings zeigen die Nebendiagnosen ei-
                                                                                                           ne hohe Rate an anderen Malignomen und auch koro-
   Bei Eurotransplant zur Lebertransplantation gelistete Patienten                                         narer Herzkrankheit bei Patienten mit ALV. Durch die
   aus Deutschland mit der Diagnose K72.0 in den Jahren 2014 – 2018,
   inklusive Patienten mit Re-Listung*                                                                     Datenabfrage wurde auch das akute alkoholische Le-
                                                                                                           berversagen ausgeschlossen. Trotzdem wurden die
     Ergebnis                                                   Patienten                                  Diagnosen F10 „psychische und Verhaltensstörung
     verstorben                                                  82                                        durch Alkohol“ bei 14,4 % und die alkoholische Le-
     abgemeldet                                                  38                                        bererkrankung (ohne alkoholische Leberzirrhose und
                                                                                                           alkoholisches Leberversagen) bei 4,2 % der Patienten
     noch auf der Warteliste                                       9
                                                                                                           kodiert. Weiterhin kann für die niedrige Rate an
     transplantiert                                             228                                        Transplantationen auch ein sehr rasches Fortschreiten
     Alle                                                       357                                        der Erkrankung zum terminalen Leberversagen und
                                                                                                           schließlich Tod verantwortlich sein. Im untersuchten
* persönliche Kommunikation via E-Mail mit Arjan van Enckevort, Eurotransplant International Foundation    Zeitraum verstarben 82 von 357 bei Eurotransplant
  (request@eurotransplant.org), 19. September 2019
                                                                                                           registrierten Patienten mit ALV auf der Warteliste. In-
                                                                                                           wieweit – struktureller oder regionaler – Zugang zur
                                                                                                           Transplantation eine Rolle spielt, ist nicht bekannt.
                           tionen als Hauptprozedur kodiert werden. Die Kodie-                             Für die Behandlung und das Überleben von Patienten
                           rung der Evaluation ist für die Abrechnung nachrangig,                          mit hepatozellulärem Karzinom wurden kürzlich re-
                           so dass sie möglicherweise als weitere Prozedur gar                             gionale Unterschiede beim Zugang zur Therapie pu-
                           nicht übermittelt wurde.                                                        bliziert (32).
                              Bei der hohen Mortalität ist es schwieriger zu verste-                          Die Ursachen des ALV zu erfassen, war ein sekun-
                           hen, warum nur so wenige Transplantationen durchge-                             däres Studienziel. In der Mehrheit der Fälle wurde kei-
                           führt wurden. Kontraindikationen gegen eine Transplan-                          ne Nebendiagnose kodiert, die zur Bestimmung der
                           tation wie Malignome oder Herzkreislauferkrankungen                             Ursache des Leberversagens herangezogen werden
                           haben vielleicht zu der niedrigen Rate an Transplantati-                        kann, und daher war die Rate an kryptogenen Leber-
                           on beigetragen.                                                                 versagen höher als zuvor berichtet (18, 33, 34). Die
                              Patienten mit primärer und sekundärer Neoplasie                              Gründe hierfür sind nicht klar. Die Tatsache, dass die
                           der Leber wurden durch das Studiendesign ausge-                                 Abrechnung der Behandlung im Wesentlichen durch

   TABELLE 4

   Synopsis der publizierten, epidemiologischen Daten für das akute Leberversagen (ALV) in den letzten 10 Jahren

     Autoren                               Land oder          Kohorte oder                 Studiendesign                            Personenzahl            Inzidenz
                                           Region             Population                                                                                    (je 100 000
                                                                                                                                                            Personenjahre)
     alle Gründe für das ALV
     Bretherick et al. 2011 (21)           Schottland         Menschen einer               retrospektive Kohortenstudie,            ~5 064 200              0,62
                                                              definierten Region           Daten von der schottischen
                                                              inklusive Edinburghs         Lebertransplantationseinheit im
                                                                                           „Royal Infirmary of Edinburgh“
     Ho et al. 2014 (5)                    Taiwan             taiwanesische                populationbasierte Studie, Daten         1 000 000               8,02
                                                              Bevölkerung                  stichprobenartig selektiert aus der
                                                                                           longitudinalen Krankenversicherungs-
                                                                                           datenbank
     Thanapirom et al. 2019 (22)           Thailand           thailändische                populationbasierte Studie, Daten von     ~65 400 000             6,29
                                                              Bevölkerung                  der staatlichen Krankenversicherung
                                                                                           „Universal Coverage Scheme“ (76 %
                                                                                           aller stationären Aufnahmen der
                                                                                           primären, sekundären und tertiären
                                                                                           Krankenhäuser aus 77 Provinzen)
     sogenannte „drug induced liver injury“
     Goldberg et al. 2015 (26)             Kalifornien,       Einwohner aus                retrospektive Kohortenstudie,            ~2 400 000              0,19
                                           USA                Nord-Kalifornien             Daten von der Krankenversicherung
                                                                                           „Kaiser Permanente Northern
                                                                                           California health care“
     Shen et al. 2019 (29)                 China              Patienten aus                retrospektive Kohortenstudie mit         ~1 361 000 000*         23,8
                                                              66 Leberzentren vom          Extrapolation zu der Bevölkerung des
                                                              chinesischen Festland        chinesischen Festlands

* Extrapolation zu der angegebenen Personenzahl

48                                                                                                                       Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 4 | 24. Januar 2020
MEDIZIN

die stationäre Hauptdiagnose und Hauptprozedur er-
folgt, hat sicherlich dazu beigetragen. Um dennoch          Kernaussagen
mögliche Ursachen zu ermitteln, wurden Verschrei-
bungen von Medikamenten nach möglichen Wirkstof-            ● In der bisher größten populationsbasierten Studie zum ALV wurden Abrechnungsda-
fen überprüft, welche kürzlich mit dem unklaren ALV           ten von 26,5 Millionen Versicherten ausgewertet und auf die Gesamtbevölkerung
in Zusammenhang gebracht wurden (2, 14–18). Unse-             von 83 Millionen Menschen in Deutschland extrapoliert.
re Daten können vielleicht das hepatotoxische Poten-        ● Die Inzidenz war mit 1,13/100 000 Personenjahre höher als kürzlich für Deutsch-
zial bestimmter Wirkstoffe bestätigen, aber durch die         land geschätzt.
Komplexität der Einflüsse ist die Analyse schwierig.
                                                            ● Das mediane Alter der Patienten mit akutem Leberversagen betrug 60 Jahre
Die Einnahme freiverkäuflicher Medikamente und
                                                              (Spannbreite: 0–101 Jahre).
auch illegaler Drogen konnte durch das Studiendesign
nicht erfasst werden (35, 36). Das muss bei der Inter-      ● Trotz der hohen Mortalität von 47 % wurden nur in 3,8 % der Fälle Lebertransplan-
pretation der Daten berücksichtigt werden.                    tationen durchgeführt.
   Um die Datenabfrage und die Hochrechnung zu              ● Die zur Erfassung des ALV herangezogene Diagnose K72.0 unterscheidet nicht
überprüfen, verglichen wir die extrapolierte Zahl an          zwischen einem akuten und subakuten Leberversagen.
LT mit der bei Eurotransplant registrierten Zahl für
Deutschland. Die Extrapolation zeigte eine niedrigere
Zahl an Transplantationen. Die Differenz könnte
möglicherweise Unterschiede im Hinblick auf Be-
gleiterkrankungen oder den sozioökonomischen Sta-              Die Extrapolation zur Gesamtbevölkerung wurde
tus zwischen den AOK-Versicherten und der Allge-            unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht
meinbevölkerung widerspiegeln (12). Ebenso können           analog zu Analysen des Gesundheitssystems durch
zeitliche Verschiebungen der Kodierung zum Jahres-          staatliche Stellen durchgeführt (11). Bei der Interpre-
wechsel in Unterschieden resultieren. Sechs Patienten       tation der Ergebnisse muss berücksichtigt werden,
wurden bei Eurotransplant in einem anderen Jahr ge-         dass neben Alter und Geschlecht auch weitere sozio-
listet als transplantiert, fünf Patienten im Folgejahr,     demografische Einflussfaktoren die Gesundheit im
ein Patient wurde 2015 gelistet und 2018 transplan-         Allgemeinen und die Inzidenz von bestimmten Er-
tiert. Darüber hinaus wurden 19 Datensets von Patien-       krankungen im Besonderen beeinflussen können (5).
ten, welche mit der Diagnose K72.0 gelistet wurden,         Da sich die AOK-Versicherten möglicherweise in so-
ausgeschlossen, da gleichzeitig eine chronische Le-         ziodemografischen Merkmalen von denen der deut-
bererkrankung kodiert wurde. Dies lässt vermuten,           schen Bevölkerung unterscheiden (39), ist trotz Stan-
dass bei der Kodierung K72.0 bei Eurotransplant             dardisierung der Hochrechnung auf die Gesamtbevöl-
nicht immer das ALV im engeren Sinne zugrunde-              kerung eine Über- oder Unterschätzung denkbar (40).
gelegt wird.                                                Bei der Bewertung ist zu berücksichtigen, dass die
   Die Interpretation der Ergebnisse ist durch das Stu-     Versichertenpopulationen der Kassen durch die freie
diendesign limitiert. Trotz der Bemühungen, Diffe-          Kassenwahl kontinuierlichen Veränderungen unter-
renzialdiagnosen zum ALV auszuschließen, ist eine           worfen ist.
fälschliche Kodierung eines ALV mit K72.0 bei der              Für die Abrechnung der stationären Behandlungen
stationären Abrechnung oder der zur Selektion der           sind die stationäre Hauptdiagnose und der Prozedu-
Patienten herangezogenen weiteren Diagnosen im              renschlüssel ausreichend. Die Analyse der Ursachen
stationären und ambulanten Bereich denkbar – ange-          des ALV sollte deshalb mit Vorsicht interpretiert wer-
deutet durch die hohe Rate an Komorbiditäten oder           den. Trotz dieser Einschränkungen bleibt dies die bis-
Fettlebern genauso wie unklaren Leberversagen. Die          her größte Studie zum akuten Leberversagen, seiner
Kodierung wird in Deutschland durch behandelnde             Inzidenz und den konsekutiv durchgeführten Leber-
Ärzte, aber auch durch Medizin-Controller durchge-          transplantationen.
führt. Das ALV im engeren Sinne ist jedoch eine                Zusammenfassend zeigt die aktuelle Studie, basie-
schwierige Diagnose, selbst Experten können nicht in        rend auf den Gesundheitsdaten von 25 Millionen Ver-
allen Fällen eine Ursache ermitteln (34). Ob die Ko-        sicherten und mit Hochrechnung auf die Gesamtbe-
dierung von K72.0 im Einzelfall auch einen finanziel-       völkerung von 83 Millionen Menschen, eine Inzidenz
len Vorteil bringt, kann nicht beurteilt werden. Im Üb-     des akuten Leberversagens von 1,13 pro 100 000 Per-
rigen werden nur minimale Datensets sowie ICD- und          sonenjahre in Deutschland. Trotz einer ausgesprochen
OPS-Codes an die Krankenkassen weitergeleitet, kli-         hohen Mortalität werden potenziell lebensrettende Le-
nische und laborchemische Daten sind zur Überprü-           bertransplantationen nur selten durchgeführt. Ferner
fung der Diagnosen nicht verfügbar (37). Nichtsdes-         kann mit dem ICD-Code K72.0 nicht zwischen einem
totrotz hat die Nutzung von Abrechnungsdaten einige         akuten und einem subakuten Leberversagen unter-
besondere Vorteile, da ausnahmslos alle stationären         schieden werden. Die präsentierte Inzidenz umfasst
Aufenthalte in die Überprüfung eingeschlossen wer-          daher beide Formen, die sich aber klinisch hinsichtlich
den (38), es gibt keine systematische Verzerrung wie        Prognose und konsekutiver Therapie nicht unterschei-
bei Kohortenanalysen aus spezialisierten Leberzen-          den (1). Die Therapie der Wahl ist die Lebertransplan-
tren.                                                       tation.

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 4 | 24. Januar 2020                                                                                       49
MEDIZIN

          Interessenkonflikt                                                             22. Thanapirom K, Treeprasertsuk S, Soonthornworasiri N, et al.: The inci-
          Dr. Weiler erhielt für Beratertätigkeiten und Vortragshonorare Gelder              dence, etiologies, outcomes, and predictors of mortality of acute liver
          von Astellas und Novartis. Ihr wurden Reisekosten erstattet von AbbVie,            failure in Thailand: a population-base study. BMC Gastroenterol 2019;
          Astellas, Biotest und Novartis.                                                    19: 18.
          Prof. Schnitzbauer erhielt Beraterhonorare von Astellas, Novartis, Integra     23. Canbay A, Tacke F, Hadem J, Trautwein C, Gerken G, Manns MP:
          Life Sciences, TEVA und Chiesi. Von Astellas wurden ihm Reisekosten                Acute liver failure: a life-threatening disease. Dtsch Arztebl Int 2011;
          erstattet.                                                                         108: 714–20.
          Prof. Zeuzem wurde für Beratertätigkeiten honoriert von AbbVie, Gilead,        24. Hoofnagle JH, Carithers RL, Jr., Shapiro C, Ascher N: Fulminant
          Intercept und Janssen. Er erhielt Honorare für Vortragstätigkeiten von             hepatic failure: summary of a workshop. Hepatology 1995; 21: 240–52.
          AbbVie, Gilead und Merck/MSD.                                                  25. Wendon J, Cordoba J, Dhawan A, et al.: EASL Clinical Practical
                                                                                             guidelines on the management of acute (fulminant) liver failure. J
          PD Welker erhielt für Beratertätigkeiten und Vortragshonorare Gelder von           Hepatol 2017; 66: 1047–81.
          AbbVie, Akcea, Amgen, Bayer, BMS, Gilead, Hexal, Novartis und Roche.
          Reisekostenerstattung bekam er von AbbVie, Astellas, Bayer, BMS,               26. Goldberg DS, Forde KA, Carbonari DM, et al.: Population-represen-
          Novartis, Janssen und Roche.                                                       tative incidence of drug-induced acute liver failure based on an
                                                                                             analysis of an integrated health care system. Gastroenterology 2015;
          Dr. Schlotmann erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.                      148: 1353–61 e3.
                                                                                         27. Warrillow S, Bailey M, Pilcher D, et al.: Characteristics and outcomes
          Manuskriptdaten
                                                                                             of patients with acute liver failure admitted to Australian and New
          eingereicht: 30. 1. 2019, revidierte Fassung angenommen: 14. 11. 2019
                                                                                             Zealand intensive care units. Intern Med J 2019; 49: 874–85.
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MEDIZIN

Zusatzmaterial zu:

Epidemiologie des akuten Leberversagens
Ergebnisse einer populationsbasierten Studie mit Daten von 25 Millionen gesetzlich Versicherten
Nina Weiler, Andreas Schlotmann, Andreas Anton Schnitzbauer, Stefan Zeuzem, Martin-Walter Welker
Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 43–50. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0043

   eTABELLE

   Nebendiagnosen der Patienten mit ALV für eine ambulante oder stationäre Behandlung im untersuchten Zeitraum
   nach ICD-10-G

     Nebendiagnosen*1                                                                 Patienten mit ALV               Patienten mit ALV, Diagnose
                                                                                       und Diagnose                             und LT
                                                                            (n)             (% aller Patienten         (n)       (% der Patienten mit
                                                                                                mit ALV)*2                        ALV und Diagnose)
     Lebererkrankungen*3
     B15 Akute Virushepatitis A                                             118                     2,6                  3                  2,8
     B16 Akute Virushepatitis B                                             244                     5,3                  4                  1,6
     B17.0 Akute Virushepatitis D                                                 7                 0,2                  0                   –
     B17.1 Akute Virushepatitis C                                             64                    1,4                  0                   –
     B17.2 Akute Virushepatitis E                                           162                     3,5                 11                  6,5
     B25.1 Hepatitis durch Zytomegalieviren                                   23                    0,5                  4                 17,3
     B27 Infektiöse Mononukleose                                              96                    2,1                 26                 26,5
     E83.0 Störungen des Kupferstoffwechsels                                  26                    0,6                 11                 44,4
     (Wilson-Krankheit)
     I82.0 Budd-Chiari-Syndrom                                                48                    1,0                 11                 22,5
     K70 Alkoholische Leberkrankheit (ohne K70.3, K70.4)                    196                     4,2                  0                   –
     K71 Toxische Leberkrankheit (ohne K71.7)                               946                   20,5                  56                  6,0
     K75.4 Autoimmune Hepatitis                                             352                     7,6                 27                  7,6
     K76.0 Fettleber                                                        843                   18,2                  23                  2,7
     T36-T50 Vergiftung durch Arzneimittel, Drogen,                         277                     6,0                 11                  4,0
     biologisch aktive Substanzen (ohne T39.1)
     T39.1 Vergiftung durch 4-Aminophenol-Derivative*4                      176                     3,8                  4                  2,0
     T62.0 Toxische Wirkung durch verzehrte Pilze                             96                    2,1                  7                  7,5
     Allgemeinerkrankungen
     C00–C99 Bösartige Neubildungen (ohne C22, C23,                       1 143                   24,7                  35                  3,0
     C24, C78.7)
     E10-E14 Diabetes mellitus                                            1 524                   33,0                  42                  2,8
     F10 Psychische Verhaltenstörungen durch Alkohol                        668                   14,5                  15                  2,3
     I25 Chronische ischämische Herzkrankheit                             1 212                   26,2                   7                  0,6
     J44 Chronisch obstruktive Lungenkrankheit                              970                   21,0                  16                  1,6

*1 Mehrfachnennungen möglich
*2 Insgesamt 4 621 Patienten
*3 2 574 Patienten ohne die kodierten Nebendiagnosen B15, B16, B17.0, B17.1, B17.2, B25.1, B27, E83.0, I82.0, K71, K75.4, T36-T50 mit T39.1, T62.0;
   die Diagnosen K70 und K76.0 werden nicht als Diagnosen eines ALV im engeren Sinne angesehen.
*4 inklusive Paracetamol, Phenacetin ist in Deutschland nicht mehr als Arzneimittel zugelassen
ALV, akutes Leberversagen; ICD-10-GM, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision,
German Modification (ICD-10-GM); LT, Lebertransplantation

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 4 | 24. Januar 2020 | Zusatzmaterial                                                                                    I
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