Erfahrungsberichte von Menschen vor Ort - Deutscher ...

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DAAD                    Deutscher Akademischer Austauschdienst
                        German Academic Exchange Service

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Erfahrungsberichte von Menschen vor
Ort

                                                     Goosemountains [flickr.com[ unter CC BY-2.0 via Wikimedia Commons
                                                                     [http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de]

Stand 27.08.2019         Erfahrungsberichte von Menschen vor Ort - DAAD - Deutscher Akademischer Austauschdienst                  1 von 5
Christiane Schlottmann über den Aufbruch in Afghanistan

  Kabul im Juni 2002: Zwei Drittel der Stadt sind zerstört, besonders
  im Norden gleichen ganze Stadtteile einer Ruinen-Wüste. Im
  Zentrum herrscht dagegen reges Handeltreiben, Ströme weiß-
  gelber Taxis drängen sich durch Straßen voller Schlaglöcher,
  dazwischen Fahrräder und die weißen Jeeps der Internationalen;
  Hitze, Staub, Sandstürme und kaum Wasser …

  Auch der Campus der Universität ist schwer getroffen: die meisten Gebäude
  ohne Fenster und Türen, Einschlaglöcher in Decken und Wänden, kein
  Wasser, kein Strom, nur vereinzelt ein paar Tische und Stühle. Allen äußeren
  Widrigkeiten zum Trotz findet Unterricht statt. Ich hospitiere in
  Veranstaltungen und bin zutiefst beeindruckt von der intensiven
  Arbeitsatmosphäre. Vor allem die Studentinnen sind in ihrem Lerneifer kaum
  zu bremsen. Sie sind glücklich, nach Jahren der häuslichen Isolation endlich
  wieder studieren zu dürfen. Wie ihre männlichen Kommilitonen sind sie
  entschlossen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ihre Zukunft selbst
  in die Hand zu nehmen. Die Aufbruchsstimmung ist allgegenwärtig, auf dem
  Campus, in den Schulen, auf den Straßen. Sie steckt uns alle an, die wir vor
  Ort tätig sind, und löst in uns eine Euphorie aus, die – wie wir später
  erkennen – leider auch den Blick für manche politische Fehlentwicklung
  getrübt hat.

  Im Rektorat der Universität Kabul herrscht in jenen Tagen hektisches
  Treiben. Der Rektor Professor Akbar Popal empfängt einen ausländischen
  Besucher nach dem anderen. Mit internationaler Hilfe hofft er, den
  Wiederaufbau seiner Universität schnellstmöglich vorantreiben zu können.
  Nicht alle Besucher lassen ihren Worten auch die versprochenen Taten
  folgen.

  Aber wir Deutschen gelten als verlässlich, und Popal ist überglücklich, als ich
  ihm unser Angebot unterbreite, noch im gleichen Jahr maßgeschneiderte
  Sommer- und Winterakademien für mehr als 150 seiner Dozenten an
  Partnerhochschulen in Deutschland durchzuführen. Nicht im Geringsten
  ahnend, welche logistische Meisterleistung es erfordern wird, im Nachkriegs-
  Kabul des Jahres 2002 Pässe, Visa und Tickets in solcher Zahl zu beschaffen,
  machen wir uns an die Arbeit. Rektorat und Hochschulministerium kümmern
  sich um die Pässe, ich mich um Visa und Flugtickets. Die ersten 90 Visa
  müssen noch über die Botschaft in Islamabad beantragt und die Pässe mit
  den Visa-Anträgen von mir persönlich dorthin gebracht und wieder abgeholt
  werden. Reservierung und Kauf der Flugtickets erfordern viel Zeit, Geduld
  und Überredungskünste. Aber wir schaffen es. Bereits am 3. August
  verlassen die ersten 14 Dozenten Kabul in Richtung Deutschland. Die
  restlichen 140 folgen in den nächsten Monaten.

  Mit den Sommer- und Winterakademien wurde der Grundstein für unsere
  Aufbauarbeit gelegt. Seitdem haben wir viel erreicht, aber der Weg ist noch
  lang und steinig. Unsere Arbeit vor Ort ist durch die verschlechterte
  Sicherheitslage schwieriger geworden. Der von den meisten Afghanen so
  lang ersehnte innere Frieden lässt noch immer auf sich warten. Doch der
  Aufbruchswille der Jugend ist ungebrochen. Er ist das wertvollste Kapital, das
  die Afghanen in den Wiederaufbau ihres Landes einbringen können. Ihn zu
  fördern und zu unterstützen, wird auch weiterhin eine unserer wichtigsten
  Aufgaben sein.

  Christiane Schlottmann war als Vertreterin des DAAD und als Kulturreferentin
  der deutschen Botschaft von 2002 bis 2005 in Kabul tätig. Anschließend war
  sie bis 2008 in der Bonner DAAD-Zentrale für Afghanistan zuständig.

Stand 27.08.2019   Erfahrungsberichte von Menschen vor Ort - DAAD - Deutscher Akademischer Austauschdienst   2 von 5
Khesrau Arsalai Über die Arbeit im DAAD-Koordinierungsbüro in
  Kabul

  „Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis“, beschreibt Khesrau
  Arsalai, Leiter des DAAD-Koordinierungsbüros in Kabul, seine
  Beziehung zum afghanischen Minister für Hochschulbildung
  Mohammad Azam Dadfar. Das Koordinierungsbüro ist im
  Ministerium untergebracht, nahe der Universität. So begegnet man
  sich oft auf dem Flur und trinkt ab und zu Tee miteinander.

  Der Minister fragt dann jedes Mal, warum er so selten bei ihm vorbeikomme,
  erzählt Khesrau Arsalai. „Das ist eine typische Höflichkeitsfloskel. Sie macht
  deutlich, wie die Dinge in Afghanistan laufen.“ Hier muss man sich Zeit
  nehmen, immer wieder die gleichen Leute treffen, mit ihnen über den Alltag
  und die Familie reden. „Wenn das Vertrauensverhältnis erst einmal
  aufgebaut ist, lassen sich Anliegen schnell klären“, sagt der DAAD-Vertreter.
  Der Deutsche mit afghanischen Wurzeln weiß, wie wichtig die Gespräche
  beim Tee sind. Seit März 2009 lebt er in Kabul, wo er neben der Büroleitung
  auch an der Germanistischen Abteilung und der Wirtschaftsfakultät der
  Universität unterrichtet. Er spricht fließend die beiden Landessprachen
  Paschtu und Dari.

  Die ständige Präsenz des DAAD in Kabul besteht bereits seit 2002. Im
  Koordinierungsbüro laufen die Fäden zusammen; es bildet die stabile Brücke
  zwischen den afghanischen und deutschen Partnern des akademischen
  Aufbaus. Rektoren und Dozenten gehören zu Arsalais ständigen
  Gesprächspartnern. Sie informieren sich über das Förderangebot des DAAD
  und die Möglichkeit von Sachspenden oder Hochschulprojekten. Sämtliche
  Anträge werden von Fachkoordinatoren in Deutschland begutachtet. Mit
  ihnen, der deutschen Botschaft in Kabul und der DAAD-Zentrale in Bonn hält
  Arsalai enge Verbindung.

  Eine weitere wichtige Aufgabe des Büros ist die Beratung von Studierenden.
  Junge Afghanen aus allen Landesteilen erkundigen sich nach
  Studienmöglichkeiten in Deutschland – per E-Mail oder persönlich. „Über ein
  Stipendium für ein Masterstudium in Deutschland entscheiden aber weder
  ich noch der DAAD in Bonn, sondern die Professoren in unseren
  Auswahlkommissionen“, erklärt Khesrau Arsalai den Bewerbern immer
  wieder. Er selbst organisiert die Auswahlsitzungen im Kabuler Büro, zu denen
  die Professoren aus Deutschland anreisen, um die besten Kandidaten zu
  interviewen.

  Ein Studium in Deutschland bedeutet viel für den akademischen Nachwuchs.
  „Es macht mich glücklich, eine Zusage auszusprechen“, sagt der DAAD-
  Vertreter. Auch die Lehre an der Universität Kabul motiviert den
  Wirtschaftswissenschaftler. „Die Studierenden sind so wissbegierig und
  engagiert. Sie beschweren sich sogar, wenn sie nicht genug Hausaufgaben
  bekommen.“

  Die Arbeit in Kabul ist gefährlich, aber darauf verzichten möchte Khesrau
  Arsalai nicht. „Mit dem akademischen Aufbau leisten wir einen wichtigen
  Beitrag für die Entwicklung des Landes. Erst Ausbildung auf hohem Niveau
  befähigt die Afghanen, die Geschicke ihres Staates selbst in die Hand zu
  nehmen – dafür engagiere ich mich gern.“

  Khesrau Arsalai war Leiter des Koordinierungsbüro von 2009 bis 2011.

  Fragen an Dr. Dieter Ortmeyer, Leiter des DAAD-
  Koordinierungsbüros

  Welche Schwerpunkte kennzeichnen Ihre Arbeit in Kabul?

  Das DAAD-Koordinierungsbüro ist der Dreh- und Angelpunkt zwischen
  afghanischen und deutschen Einrichtungen, die am akademischen Aufbau
  beteiligt sind. Ich bin vor Ort Ansprechpartner für deutsche Hochschulen,
Stand 27.08.2019   Erfahrungsberichte von Menschen vor Ort - DAAD - Deutscher Akademischer Austauschdienst   3 von 5
Langzeitdozenten, Lektoren und Fachkoordinatoren, die regelmäßig nach
  Afghanistan reisen, um gemeinsam mit afghanischen Partnern Lehre und
  Forschung an den Universitäten zu verbessern. Ich koordiniere die gesamte
  Programmarbeit des DAAD in Afghanistan. Besonders liegt es mir am Herzen,
  junge Afghaninnen und Afghanen, die sich für ein Studium an einer
  deutschen Hochschule interessieren, fachlich zu beraten und zu betreuen. In
  Deutschland stehen fast 13.000 Studiengänge zur Wahl, sodass nahezu jede
  gewünschte Spezialisierung möglich ist. Jährlich bewerben sich einige
  Hundert afghanische Hochschulabsolventen beim DAAD um ein Stipendium
  für ein Master- oder Promotionsstudium. Ob sie es erhalten, entscheiden
  aber weder ich noch der DAAD, sondern die Professoren in unseren
  Auswahlkommissionen.

  Welche Rolle spielt es, dass das DAAD-Koordinierungsbüro im afghanischen
  Ministry of Higher Education angesiedelt ist?

  Seit 2002 ist der DAAD mit einer Vertretung in Kabul präsent, seit 2006 im
  Gebäude des Ministry of Higher Education (MoHE). Dies hat mehr als
  symbolischen Wert: Die Arbeit des DAAD ist kein deutscher Alleingang,
  sondern erfolgt in enger Abstimmung mit der afghanischen Regierung. Die
  langjährige Zusammenarbeit mit dem Ministerium hat gegenseitiges
  Vertrauen geschaffen, es sind Freundschaften entstanden. Persönliche
  Beziehungen sind in Afghanistan ein wichtiger Faktor, wenn man etwas
  erreichen will. Der DAAD ist als die weltweit größte Förderorganisation für
  den internationalen Austausch von Studierenden und Wissenschaftlern ein
  sehr gern gesehener Partner.

  Wo steht die Hochschulbildung in Afghanistan?

  Die Studienbedingungen haben sich kontinuierlich verbessert, es gibt
  wesentlich mehr Studienplätze. Das MoHE hat sich in seinem National Higher
  Education Plan 2010 bis 2014 vorgenommen, die Qualität der Lehre weiter
  zu steigern und die Nachfrage nach Hochschulbildung zu befriedigen – eine
  gewaltige Aufgabe: Gab es Anfang 2002 rund 4.000 Studierende, waren es
  2011 schon mehr als 81.000. Für 2013 hat sich das MoHE als Zielmarke
  115.000 Studienplätze gesetzt, was die Nachfrage immer noch nicht deckt.
  Die afghanische Regierung steht vor der großen Herausforderung,
  ausreichend Seminarräume, Ausstattung und angemessen bezahlte
  Dozenturen bereitzustellen. Das ist auch ein finanzieller Kraftakt.

  Über welchen Abschluss verfügen afghanische Hochschuldozenten heute?

  Dank des DAAD ist die Anzahl der auf höchstem Niveau ausgebildeten
  afghanischen Dozenten stetig gestiegen. Zwischen 2002 und 2011 hat der
  DAAD rund 3.000 afghanische Akademiker weiterqualifiziert. Die Master und
  PhD-Absolventen sind wichtige Multiplikatoren an ihren Heimathochschulen.
  Deshalb werden wir hochqualifizierte Nachwuchswissenschaftler weiterhin
  fördern. Übrigens ist der Frauenanteil unter den Studierenden deutlich
  angestiegen. Landesweit beträgt er rund 20 Prozent, im Fach Informatik
  sogar 35 Prozent.

  Was hat die Förderung der Hochschulen durch den DAAD bisher gebracht?

  Schwerpunktmäßig fördert der DAAD die Fächer Deutsch, Informatik, Good
  Governance sowie Natur-, Geo- und Wirtschaftswissenschaften. Deutsche
  Fachkoordinatoren und ihre afghanischen Kollegen haben unter anderem
  moderne Bachelor-Curricula mit Modellcharakter entwickelt, die schon seit
  Jahren erfolgreich laufen. Vielerorts wird zurzeit an anschließenden Master-
  Curricula gearbeitet. Der DAAD hat deutsche Gastdozenten in Afghanistan
  und Studienaufenthalte afghanischer Dozenten in Deutschland gefördert; es
  gab Fortbildungen vor Ort, Sachspenden sowie Master- und
  Promotionsstipendien. Es sind Vorzeigestudiengänge und -fakultäten
  entstanden, deren Beispiel ausstrahlt, und es wurden ganze Labore
  eingerichtet. Dekane aller Fakultäten aus ganz Afghanistan treffen sich
  regelmäßig im Ministry of Higher Education. Dort tauschen wir Ideen und
  Konzepte aus – das bringt Bewegung in die Strukturen und es entsteht ein
  Dialog auf gleicher Augenhöhe.

  Was reizt Sie an Ihrer Aufgabe in Afghanistan?
Stand 27.08.2019   Erfahrungsberichte von Menschen vor Ort - DAAD - Deutscher Akademischer Austauschdienst   4 von 5
Bildung ist in meinen Augen die Grundlage für eine gerechte und
  zukunftsfähige Entwicklung. Dafür setze ich mich ein. Es macht mich stolz, in
  Afghanistan arbeiten zu dürfen, seit 2004 kenne ich das Land sehr gut. Die
  Vielfalt an Sprachen und Ethnien, die unterschiedliche Landschaft – das
  begeistert mich. Afghanistan ist ein junges und lebendiges Land: 42 Prozent
  der Afghanen sind jünger als 15! Das Land verändert sich äußerst
  dynamisch, die Menschen haben einen unglaublichen Aufbruchswillen. Sie zu
  unterstützen, ist eine sehr große Motivation für mich.

  Wie lange wird der DAAD in Afghanistan bleiben?

  Wenn Sie damit das Koordinierungsbüro in Kabul meinen, lautet die Antwort,
  dass das Ende offen ist. Aber unabhängig von diesem Büro wird sich der
  DAAD dauerhaft – auch nach Übergabe der Sicherheitsverantwortung 2014 –
  in Afghanistan engagieren. Seit den 1960er Jahren fördert der DAAD den
  akademischen Austausch mit Afghanistan und unterstützt die Hochschulen.
  Daran wird sich künftig nichts ändern. Mein Traum ist es, dass in naher
  Zukunft auch deutsche Studierende an afghanischen Hochschulen studieren,
  um dort Auslandserfahrung zu sammeln.

  Dr. Dieter Ortmeyer war Leiter des DAAD-Koordinierungsbüros von 2011-
  2013.

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