Diana Gabaldon im Interview

Die Seite wird erstellt Gunnar Hübner
 
WEITER LESEN
Diana Gabaldon im Interview
September 2005

FRAGE: Ihr Highland-Epos um Claire Randall und James Fraser war von Beginn an ein
Riesenerfolg. Die ersten fünf Bände wurden millionenfach verkauft. Und Nummer sechs
steht kurz nach seinem Erscheinen bereits auf Platz eins der Spiegel-Bestseller-Liste. Haben
Sie sich eigentlich schon an den Erfolg gewöhnt?

DIANA GABALDON: Es ist natürlich immer total aufregend, wenn das Buch wirklich fertig ist.
Diese Spannung lässt nicht nach. Mehr oder weniger gewöhnt man sich allerdings schon an
alles, was mit einem neuen Buch zu tun hat - Lesereisen, Interviews usw. Aber ganz ehrlich:
Manchmal fühle ich mich wie ein Akku, der sich schneller entlädt, als er sich auflädt. Das hat
aber nichts mit dem Bücherschreiben zu tun.

Für mich ist es nämlich das Größte, wenn mir jemand sagt, er habe mein Buch gelesen und
darin etwas Besonderes entdeckt - sei es nun etwas Unterhaltendes oder auch etwas
Tiefergehendes. Der Leser ist einfach eine notwendige Variable in der Gleichung. Natürlich
geht es erst einmal um das Schreiben. Aber erst wenn jemand das Buch liest, schließt sich
der "kosmische Schöpfungskreis". Dafür lebe ich.

FRAGE: Rückblickend betrachtet, was war schwerer: überhaupt mit dem Schreiben zu
beginnen oder heute mit dem Erwartungsdruck umzugehen, der von Band zu Band größer
wird?

DIANA GABALDON: Ich bin gar nicht sicher, ob sich so viel verändert hat für mich. Jeder
Schriftsteller sitzt erst einmal vor einem weißen Blatt Papier, egal in welcher Etappe seiner
Karriere er sich gerade befindet. Die Herausforderung und das Abenteuer, Worte zu finden,
und die Fähigkeit, sie in die richtige Reihenfolge zu bringen - daran arbeite ich ständig.

Was den Erwartungsdruck anbelangt, kann ich sagen, dass mich das nicht wirklich berührt.
Es gibt so viele Leute, die Bücher lesen. Und jeder Leser hat seine eigenen Erwartungen oder
Wünsche. Man kann nicht allen gerecht werden, ausgeschlossen. Ich habe das auch nie
versucht. Ich schreibe für mich, oder vielleicht besser: Ich schreibe um der Geschichte willen.
Dabei folge ich den "Forderungen" und Wegen meiner Story und denen der Leute, die darin
eine Rolle spielen. Es tut mir ja Leid: Aber ich glaube, dass die Leser hier einfach ein bisschen
auf sich selbst aufpassen müssen.
FRAGE: "Ein Hauch von Schnee und Asche" spielt gegen Ende des 18. Jahrhunderts, kurz vor
Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs. Es ist ein Schlüsselmoment der amerikanischen
Geschichte. Wie erleben Claire und James diese Zeit: als großes Chaos, als Beginn von etwas
Neuem oder als etwas ungeheuer Gefährliches?

DIANA GABALDON: Eigentlich spielt die Handlung zu Beginn des Unabhängigkeitskriegs (der
amerikanische Bürgerkrieg war etwa 100 Jahre später). Aber Sie haben nicht ganz Unrecht.
Der Unabhängigkeitskrieg war in verschiedenerlei Hinsicht tatsächlich ein Bürgerkrieg - mit
Königstreuen und Rebellen, die einen blutigen Konflikt austrugen.

Natürlich versteht Claire sehr gut, was da passiert. Auch Jamie weiß, worum es geht - ihm ist
der Krieg vertraut, und er kann die Vorzeichen erkennen. Die beiden leben selbstverständlich
in gefährlichen Zeiten. Das steigert sich noch dadurch, dass Jamie herausfinden muss, wann
der richtige Zeitpunkt ist, sich als Rebell zu bekennen. Tut er es zu früh, wird man ihn wegen
Landesverrats hängen. Wartet er zu lang mit seiner Entscheidung, wird er wahrscheinlich
erschossen werden.

In Zeiten, in denen Konflikte herrschen, ist es oft so, dass sich Leute beweisen müssen. Die
Gefahr fördert Tugenden und Heldentum zu Tage, aber auch Feigheit und Verrätertum. Ich
bin sicher, dass viele Leute Erinnerungen von Soldaten und anderen Menschen im Krieg
gelesen haben, die darin ihre oft schrecklichen Erlebnisse verarbeitet haben. Auf der
anderen Seite ist der Krieg für diese Menschen eine der prägendsten Erfahrungen in ihrem
Leben - nicht nur zum Leidwesen dieser Leute.

FRAGE: Was fasziniert Sie an dieser Umbruchszeit, die ja nicht nur historisch bedeutsam war,
sondern auch voller Schrecken und Gewalt?

DIANA GABALDON: Zeitabschnitte, in denen es große Konflikte gab, sind am besten dazu
geeignet, in ihnen Geschichten anzusiedeln. Denn das Verhalten der Menschen unter Druck
ist so interessant - das bezieht sich gleichermaßen auf Heldentum und Aufopferung wie auf
weniger wünschenswertes Benehmen.

Aber ganz freie Hand habe ich hier auch nicht. Die Bücher folgen den verschlungenen Pfaden
der Geschichte durch die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Diese Periode ist insgesamt
sehr faszinierend. Wir sehen die beginnende Aufklärung mit ihrer Begeisterung für die Ratio,
die Vernunft, und die Entwicklung des wissenschaftlichen und politischen Denkens. Wir
sehen, wie sich Demokratien zu entwickeln beginnen. Gleichzeitig sehen wir Monarchien
alter Ausprägung scheitern. Wir sehen, wie Nationen geboren werden, während gleichzeitig
alte Nationen - wie die der schottischen Clans - sterben.

Das alles ist faszinierend. Aber ein guter Roman ist nicht nur dazu da, den Leser über Politik,
Geografie und Geschichte zu belehren. Oder er tut es nur zufällig. Die Leser mögen Romane,
weil sie ein großes Interesse an Menschen haben. Warum verhalten sich Leute in
bestimmter Weise? Was erfahren wir über uns, unsere Gefühle, unsere Geschichte, wenn
wir Menschen "beobachten", die in anderen Lebensumständen sind?

Der historische Hintergrund ist also sehr wichtig, aber zweitrangig im Hinblick darauf, dass
man sich in der Geschichte, die man erzählt, auf die Personen konzentrieren muss, die sie
bevölkern. Die Themen in einem Buch werden verkörpert durch die Charaktere, sie sind
nicht von ihnen zu trennen.

FRAGE: Claire ist ja als Zeitreisende aus dem 20. Jahrhundert gleichsam "wissend"
unterwegs. Was nützt ihr dieses Wissen? Wie kann sie es einsetzen?

DIANA GABALDON: Ja, das kann sie schon. Aber mit welchem Ergebnis? Das ist die Frage … -
Ich wurde vom Journal of Transfigural Mathematics gebeten, meine Theorie über Zeitreisen
aufzuschreiben. Das zwang mich dazu, formale Grundsätze und Folgerungen darzulegen. Ich
will das nicht allzu sehr vertiefen (wahrscheinlich zur Erleichterung der Leser …). Aber der
wichtigste Grundsatz ist, dass ein Zeitreisender nicht mehr aber auch nicht weniger Macht
hat, Ereignisse zu beeinflussen, als eine Person, die in der Zeit gelebt hat. Ich gehe auch
davon aus, dass jedes wichtige historische Ereignis (eine Schlacht, eine Wahl, eine politische
Bewegung) Ergebnis kollektiven Verhaltens einer großen Gruppe von Menschen ist. Anders
gesagt: Viele Leute drängen in eine Richtung, nur wenige in die entgegengesetzte Richtung.
Das bedeutet in aller Regel, dass die Mehrheit gewinnen wird - es geht also in die Richtung,
in die sich die meisten bewegen.

Wenn zum Beispiel die Frage aufkommt, ob man in den Krieg ziehen soll, wird es immer eine
Menge Leute geben, die dafür sind, und viele, die dagegen sind. In manchen Fällen, zum
Beispiel kurz nach der Bombardierung von Pearl Harbor, hat sich die Frage nicht gestellt, weil
so viele freiwillig in den Krieg wollten. In anderen Fällen - so in der gegenwärtigen Situation
im Irak - ist die Sache nicht so eindeutig.

Was nun individuelle Aktionen angeht, ist es so, dass eine einzelne Person nicht den großen
Einfluss auf wichtige Ereignisse hat. Sie hat aber schon die Macht, kleinere, persönliche
Dinge zu beeinflussen.

Stellen Sie sich vor, Sie fänden sich wieder in den Zeiten der Französischen Revolution. Der
König soll geköpft werden. Können Sie das verhindern? Vermutlich nicht. Es gab viel
Unterstützung dafür, viele Menschen wollten das. Gegen diese Leute müssten Sie sich erst
einmal durchsetzen.
Andererseits könnten Sie vielleicht Ihren Nachbarn daran hindern, auf die Straße zu gehen,
wenn Sie wüssten, dass er dort während eines Aufruhrs ums Leben kommen würde. Also
könnten Sie die Geschichte verändern - wenigstens für Ihren Nachbarn. Beim König von
Frankreich würden Sie es vermutlich leider nicht schaffen.

Claire ist also (bislang) nicht in der Lage, große geschichtliche Tragödien abzuwenden. Aber
sie ist in der Lage, Jamies Familie und deren Eigentum zu schützen - mit den ihr zur
Verfügung stehenden Mitteln. Aber kann sie auch ihre eigene Familie davor schützen, bei
einem Brand umzukommen? Das gilt es abzuwarten …

FRAGE: Könnten Sie sich vorstellen, James in die Zukunft reisen zu lassen? Was glauben Sie,
wie dieser Typ Mann im 20. Jahrhundert zurechtkäme?

DIANA GABALDON: Nein, das kann ich nicht. Er ist ein Mann seiner Zeit. Er würde sicherlich
gut zurechtkommen im heutigen Amerika. Aber das wäre überhaupt nicht interessant. Es
schiene mir sogar ziemlich geschmacklos zu sein, und zum Glück habe ich in der Hand, wo
und wie er lebt.

FRAGE: Es scheint, als seien all Ihre Bücher gesundheitsgefährdend. Ihre Leser berichten von
schlaflosen Nächten und allen Arten von suchtähnlichen Symptomen. Welchen Nerv treffen
Sie bei ihnen?

DIANA GABALDON: Ich bin eine Geschichtenerzählerin, meine Geschichten machen süchtig.
Darauf kann ich mir gar nichts einbilden, ich bin einfach mit dieser Fähigkeit geboren
worden. Das ist ein wahres Geschenk. Die Leser erzählen mir, dass sie sich bei der Lektüre so
fühlen, als seien sie mittendrin in der Story, körperlich anwesend. Sie sind Teil der Ereignisse
und teilen die Gefühle von Jamie, Claire und all den anderen.

FRAGE: Was bedeuten Ihnen Ihre Lesereisen, also die Begegnungen mit den Lesern?

DIANA GABALDON: Es ist das organisierte Chaos. Es ist ermüdend. Manche Fragen muss ich
hunderte Male beantworten. Tausende Male gebe ich ein Autogramm. Oft bin ich nahezu
am Verhungern, weil keine Zeit ist, etwas zu essen. Deshalb habe ich vorsichtshalber immer
etwas zu essen dabei. Außerdem muss ich oft noch vor Tagesanbruch aufstehen und
verbringe die Hälfte meiner Zeit auf Flughäfen.

Aber ich liebe es einfach, mit den Lesern zu sprechen. Ich bin begierig darauf zu hören, mit
welchen Gedanken und Gefühlen sie meine Bücher lesen. Das versöhnt mich mit allem
anderen.

FRAGE: Sie werden überall auf der Welt begeistert gelesen. In Deutschland aber ist Ihre
Fangemeinde besonders groß. Haben Sie eine Erklärung dafür?

DIANA GABALDON: Ich habe einige Erklärungen dafür - aber die sind natürlich Spekulation.
Einmal wurde ich interviewt, und da meinte der Journalist, die Deutschen mögen meine
Bücher vielleicht deshalb so, weil sie selbst einmal eine kriegerische Kultur hatten und sich
daher zu der Highland-Kultur hingezogen fühlen und sich für militärische Tugenden und
Heldentum begeistern können. Ich glaube, das könnte eine Erklärung sein. Eine andere wäre,
dass beide Kulturen voller Mythen und Magie sind oder waren.

Daneben glaube ich (und hoffe, damit niemanden vor den Kopf zu stoßen), dass die
Deutschen vielleicht auch deshalb so sehr an historischen Romanen im Allgemeinen und
meinen Büchern im Besonderen interessiert sind, weil die eigene Geschichte im 20.
Jahrhundert so schmerzhaft und schwierig war, dass sie diese noch nicht mit Distanz
betrachten können. Die Menschen brauchen aber ein Gefühl für die Vergangenheit, einen
historischen Kontext, in dem sie sich wieder finden können. Vielleicht spüren die deutschen
Leser diesen Sog der Vergangenheit. Dem gehen sie nach, in verschiedenen Zeitepochen und
anderen Orten als den eigenen.

Deutsche haben mir auch erzählt, dass den Kindern beigebracht werde, dass Nationalismus
immer etwas Schlechtes sei, etwas, vor dem man sich hüten solle. Und doch ist nationale
Identität ein tief gehendes Gefühl. Ich kann verstehen, warum das moderne Deutschland in
verschiedener Hinsicht Schwierigkeiten hat mit dem Nationalismus. Aber meine Ansichten
liegen ein wenig im Bereich der Spekulationen, weil ich nicht in Ihrem Lande lebe und nur die
Ansichten einiger weniger Leute kenne.

Bestimmt ist ein Grund für die Popularität meiner Bücher in Deutschland, dass sie im 18.
Jahrhundert spielen, einem Jahrhundert, in dem es vielfach um nationale Identität ging - um
deren Verlust, deren Neufindung und darum, was sie für unterschiedliche Menschen
bedeutete. - Aber, wie schon gesagt, das sind alles eher Vermutungen. Vielleicht geht es den
deutschen Lesern ganz einfach so wie anderen auch: Sie mögen gute Geschichten!

                                                                Die Fragen stellte Eva Hepper
                                                                                (Literaturtest)
Sie können auch lesen