Erzählmuster: Fantasy - Boys & Books

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Erzählmuster: Fantasy
Die meisten Klassiker und überragenden Erfolge der letzten Jahrzehnte bei jungen Lesern waren fantastische
Erzählungen. Damit ist Fantasy eines der populärsten Genres der heutigen Jugendliteratur.

1.   Faszination und Reputation des Genres: reaktionäre Realitätsflucht und Befreiung der Fantasie
Der ‚Siegeszug‘ der Fantasy in den letzten Jahrzehnten kann damit erklärt werden, dass die Abkehr von der –
unter Umständen langweiligen und bedrückenden – Realität mit der Reise in fantastische Welten und
Begebenheiten besonders leicht gelingt. Dies kann negativ als Wirklichkeitsflucht gedeutet werden. Es kann
aber auch als „kleine Auszeit[…] und Flucht[…], eine Befreiung der Vorstellungskraft, sowie utopische
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Spielerei[…], die das nüchterne Leben bereicher[t] und erleichter[t]“ , Wertschätzung erfahren. Diese Fluchten
könnten besonders wichtig sein, wenn das Leben der Jugendlichen gekennzeichnet ist durch Rationalität und
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Leistungsdruck.
Daher fallen Bewertungen durch Literaturwissenschaftler und Pädagogen sehr unterschiedlich aus: Einerseits
wird fantastische Literatur häufiger als Literatur anderer Genres anhand einiger weniger populärer aber
qualitativ schlechter Beispiele grundsätzlich abgewertet. Zudem wird das Genre angesichts der meist
mittelalterlichen, feudalistischen und autoritären Welt und ihrer strahlenden, kämpfenden Helden als Rückfall
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in die Barbarei gesehen und Werke des Genres als reaktionär verurteilt. Andererseits kann dem Genre aber
auch die Förderung von Fantasie und das Aufbrechen eingefahrener Denkstrukturen als positive Einflüsse
zugeschrieben werden. Zudem sei darauf hingewiesen, dass gerade in der Fantasy die Möglichkeit besteht,
Grundstrukturen sichtbar zu machen, die nicht auf die Oberfläche der Handlung oder der Figurendarstellung zu
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reduzieren sind.

           „Phantastische Literatur stellt eine Möglichkeit der Befreiung von den Zwängen eines in Rationalität
           erstarrten Bewußtseins dar. In diesem Sinne ist sie Protest und Hilfe bei der Auffindung von
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           Alternativen, weniger im strikt inhaltlichen als vielmehr in einem funktionellen Sinn.“

Darüber hinaus stellt Fantasy immer auch einen Kommentar zu Realität dar und ist damit nicht zwangsläufig als
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von ihr getrennt zu rezipieren. Diese doppelte Funktion von fantasievoller Realitätsflucht einerseits und Bezug
auf die Realität andererseits wird zum Beispiel bei dem Fantasy-Klassiker Der Herr der Ringe deutlich, in dem
J.R.R. Tolkien eine High-Fantasy-Welt entwirft, die mittelalterlich wirkt und von fremden Völkern bewohnt
wird, der aber auch als Kommentar zu den realen, politischen Vorgängen um den Ersten Weltkrieg gelesen
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werden kann.

1
  vgl. Weinreich 2007, S.12.
2
  vgl. Haas, Klingberg und Tabbert 1984, S.281f.
3
  vgl. Haas 1993, S.11ff., vgl. Meißner 1993, S.38. und vgl. Heidtmann 1986, S. 22.
4
  vgl. Haas 1993, S. 15 und S.20 und vgl. Haas 1986, S.31.
5
  Haas, Klingberg und Tabbert 1984, S.281.
6
  vgl. Weinreich 2007, S. 13.
7
  vgl. Rüster 2013, S.285f. und vgl. Garth und Bülles 2014.
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2.   Wirkungs- und Rezeptionsästhetische Aspekte:
Aufwertung des Ichs und Allverbundenheit
Gerade für Jungen können Titel der Fantasy, die zumeist eine Heldenreise beschreiben, wertvolle und
lesemotivierende Lektüren darstellen, indem sie relativ traditionelle Helden als Identifikationsfiguren zur
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Verfügung stellen und in abenteuerlichen Welten spielen. Denn wenn unscheinbare oder machtlose Jungen
bzw. Männer zu einer fantastischen Reise aufbrechen und zu wahren Helden werden, findet eine Aufwertung
des Ichs statt und gleichzeitig wird die Allverbundenheit der Welt deutlich: In der fantastischen Welt gibt es
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keinen Zufall. „Jede Person, jedes Handeln ist eingefügt in eine Welt von Sinnbezügen.“ Auch ein „Bedürfnis
nach Transzendenz und metaphysischer Wirklichkeit“ kann Fantasy so bedienen. Mit dem Lesen von Fantasy
geschieht dies aber - anders als in religiösen Kontexten - „nur als Spiel und Experiment“ innerhalb der fiktiven
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Welt und bleibt damit unverbindlich.

     „Während der Jugendliche in der tatsächlichen Welt nur wenige Möglichkeiten hat, sich von seiner Umwelt
     abzusetzen und eigene Spielräume zu entfalten, kann die phantastische Welt zur Ersatzwelt werden. Hier
     sind die Fronten zwischen Gut und Böse eindeutig, ein schwaches Ich kann sich zum allmächtigen Helden
     entwickeln in einer Welt, die von absoluten Mächten bestimmt wird und Sinnhaftigkeit beansprucht. […]
     Das Ich des Helden – und wohl auch das des Lesers, der sich mit ihm identifiziert – erfährt dadurch eine
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     ungeheure Aufwertung, ihm werden übermenschliche, nahezu göttliche Kräfte verliehen.“

Dies lässt sich gut in der Bestsellerreihe Harry Potter beobachten: Der ungeliebte und schwache Waisenjunge
Harry entdeckt, dass er ein Zauberer ist und in dieser fantastischen Parallelwelt sogar berühmt. Sein Kampf
gegen den bösen Lord Voldemort, der für Harry auch ein ganz persönlicher Kampf gegen den Mörder seiner
Eltern ist, wird innerhalb der sieben Bände zum Krieg um das Wohlergehen seiner Freunde, aller Zauberer und
Hexen und schließlich der ganzen Welt. Der Leser verfolgt dabei die Entwicklung Harrys zu dem zentralen
Helden der Schlacht zwischen Gut und Böse, dem einzigen, der Voldemort aufhalten kann.

3.   Ursprünge des Genres:
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Fantasy als „nicht geglaubter Mythos“
Tatsächlich liegen die Ursprünge des Genres Fantasy im Mythos, aus denen es Motive und Figuren entleiht und
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dessen sinn- und troststiftende Wirkung es zum Teil entfalten kann.        Weinreich bezeichnet den Mythos als
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„Keimzelle aller phantastische[r] Literatur“ und „Fantasy als nicht geglaubten Mythos“ . Wurde der Mythos

8
  vgl. Weißenburger 2009, S.140f.
9
  vgl. Meißner 1993, S.35f..
10
   Vgl. Weinreich 2007, S.41.
11
   Meißner 1993, 36f.
12
   ebd. S.13
13
   ebd. S.12.
14
   ebd. S.39.
15
   ebd. S.13
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nämlich zumindest zu seiner Entstehungszeit als wahr rezipiert, erhebt Fantasy einen solchen Anspruch nur
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innerhalb seiner eigenen, fantastischen Welt.
Eine solche fantastische Literatur erschien erstmals in der Romantik in Form von Märchen und Kunstmärchen,
deren berühmtester Verfasser E.T.A. Hoffmann ist. Nachdem in Deutschland lange Zeit Fantastik kaum rezipiert
wurde, erlebte die moderne Fantasy nach dem Zweiten Weltkrieg schnell wachsende Popularität. Maßgeblich
an diesem Erfolg beteiligt waren J.R.R. Tolkien (mit z.B. Der kleine Hobbit und Der Herr der Ringe) und Michael
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Ende (mit z.B. Momo und Die unendliche Geschichte).
Die Genrebezeichnung selbst wird auf eine erste Nennung in der ‚Pulp-Publikation‘ Magazine of Fantasy and
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Science Fiction von 1949 zurückgeführt.                    Trotz dieser einheitlichen Genrebezeichnung, gibt es keine
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allgemeingültige und unumstrittene Definition von Fantasy.                        Dazu trägt auch die inzwischen übliche
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Vermischung mit anderen Genres bei.

4.   Abgrenzung zu anderen Genres:
Helden – fantastische Orte – tatsächliche Magie
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Weinreich nennt als drei Charakteristika, die Fantasy neben einer bildhaften Sprache                       ausmachen: das
konstitutive Vorhandensein eines Helden oder einer Heldin, einen imaginären Handlungsort und Magie als
selbstverständliches Faktum innerhalb der Geschichte. Damit nimmt er die Definition vor allem über inhaltliche
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Kriterien vor.         Anders als religiöse Texte, auf die diese Beschreibung auch zutreffen könne, solle Fantasy
allerdings nicht als wahr rezipiert werden. Trotzdem müssten die dargestellten Figuren ihre magische Welt als
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ernsthaft wahrnehmen – obgleich die Handlung selbst auch komisch sein könne, so Weinreich.
Die Abgrenzung zu benachbarten Genres ist indes nicht immer leicht. Von der Science Fiction unterscheidet
sich Fantasy vor allem durch seinen Bezug auf metaphysische Aspekte. So weit hergeholt die Ideen der Science
Fiction auch sein mögen, betreffen sie doch immer die physische Realität und beziehen keine unbegründete
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Magie ein.
Vom Genre ‚Horror und Grusel‘ unterscheidet sich Fantasy dadurch, dass sich die agierenden Figuren in der
Horrorliteratur nicht an die magischen, gruseligen Aspekte der Handlung gewöhnen und so „das imaginäre
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Element und der Bruch mit der Realität nicht in völliger Konsequenz vollzogen wird.“
Betrachtet man Fantasy-Titel der Jugendliteratur, folgt der Plot zumeist deutlich dem Handlungsmuster der
Heldenreise. Damit unterscheidet sie sich kaum von Fantasy für Erwachsene, weswegen die meisten solcher
Publikationen auch als All-Age-Literatur bezeichnet werden können. Fantastische Kinderliteratur ist dagegen
meist komisch, thematisiert die Behauptung der Kinder gegenüber der Erwachsenenwelt und die Begegnungen
mit ‚pädagogischen Monstern‘ oder anderen Besuchern aus fremden Welten, um Ängste oder Probleme zu

16
   vgl. Weinreich 2007, S.20.
17
   Haas, Klingberg und Tabbert 1984, S.268. und vgl. Heidtmann 1986, S.20.
18
   vgl. Rüster 2013, S.284.
19
   vgl. Weinreich 2007, S.17.
20
   vgl. Heidtmann 1986, S.18.
21
   vgl. Weinreich 2007, S.11 und S.22.
22
   vgl. ebd. S. 10 und S.20.
23
   vgl. ebd. S.28f.
24
   vgl. ebd. S.27.
25
   vgl. Weinreich 2007, S.30.
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26
bearbeiten.        Wegen dieser stark voneinander abweichenden Erzählmuster bezieht das Genre Fantasy nach
dem vorliegenden Verständnis nur Titel der Jugendliteratur bzw. der All-Age-Literatur ein.

5.   Grundtypen des Genres I, Handlungsmuster:
Heldenreise, um das Böse zu besiegen
In Titeln der Fantasy wird vor allem der Kampf zwischen Gut und Böse in den Mittelpunkt gestellt – obgleich in
modernen Jugendbüchern die Trennung zwischen diesen Sphären auch innerhalb einzelner Figuren oft
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ambivalent gestaltet wird. In diesem Spannungsfeld müssen sich die Helden positionieren und kämpfen.
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Der Held erlebt dabei einen „Bildungs- und Sozialisationsprozess“.        Am Ende der Reise, die oft durch eine
fantastische Welt führt, steht dann die Lösung von Problemen oder die Erfüllung von Sehnsüchten, die er im
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Alltag zu Beginn der Handlung hatte. Dabei durchwandert er typischerweise verschiedene Stadien, die Vogler
wie folgt beschreibt:
Zunächst trifft der Leser den Helden in seiner gewohnten Welt, in die dann der Ruf des Abenteuers dringt. Der
Held kann nicht in seiner Bequemlichkeit ausharren. Er muss Rache nehme, einen Auftrag erfüllen oder einer
Bedrohung begegnen. Zunächst versucht er sich dem Ruf zu entziehen oder kämpft mit dem Drang, doch noch
umzukehren. Doch diese Weigerung bricht zusammen, sobald ihn ein Umstand oder eine Person zum
Abenteuer drängt. Dies stellt die nächste Station der Heldenreise dar: Die Begegnung mit dem Mentor, der den
Helden auf seine Aufgabe vorbereitet – zum Beispiel durch Wissensvermittlung oder das Mitgeben (magischer)
Werkzeuge. Zwar muss der Held das Abenteuer allein bestehen, doch der Mentor weist ihm dabei den Weg.
Nun ist der Held bereit für die eigentliche Heldenreise mit all ihren Konsequenzen.
In Eragon von Christopher Paolini wird der Titelheld als armer und einfacher Bergbewohner eingeführt, den das
Abenteuer ruft, als er ein Ei findet, aus dem eine Drachendame schlüpft. Zunächst versteckt er diesen
unglaublichen Umstand. Weil grausame Gestalten seinen Onkel ermorden und sein Zuhause abbrennen, kann
er sein gewohntes Leben aber schließlich nicht weiterführen. Für seine Reise auf der Suche nach den
Übeltätern und nach seinem eigenen Schicksal ist er dennoch erst bereit, als sich der alte Geschichtenerzähler
Brom als ehemaliger Drachenreiter offenbart und zu Eragons Mentor wird.
Das Abenteuer kann nun beginnen. Der Held wagt das Überschreiten der ersten Schwelle. Es folgen
verschiedene Bewährungsproben, Verbündete und Feinde, die den Helden in seinen Einstellungen und
Verhaltensweisen verändern, bis ihm schließlich das Vordringen zur tiefsten Höhle/zum empfindlichsten Kern
gelingt. Er gelangt bis zum - oft unterirdischen - Hauptquartier des Feindes und stellt sich dort der
entscheidenden Prüfung, die ihn mit dem größten Schrecken konfrontiert. Bei dieser Auseinandersetzung auf
Leben und Tod scheitert der Held oft fast und entkommt einer ausweglosen Situation oder seinem eigenen Tod
nur knapp. Nach dem Gewinnen dieser Schlacht erhält der Held die Belohnung für seine Mühen. Diese
Belohnung kann ein Schatz, eine geliebte Person, ein erweitertes Verständnis für sich oder die Welt, eine

26
   vgl. Haas, Klingberg und Tabbert 1984, S.275ff.
27
   vgl. ebd. S.34f.
28
   Meißner 1993, S.33.
29
   vgl. Tabbert 2000, S.190.
30
   vgl. Patzelt 2001, S.249.
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Versöhnung oder ein Heilmittelt für seine Heimat sein. Mit diesem ‚Elixier‘ macht sich der Held auf den
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Rückweg in seine gewohnte Welt, in die er glücklich zurückkehrt.
Gregor aus der gleichnamigen Buchreihe von Suzanne Collins beispielsweise muss im Unterland gegen Ratten
und andere Gefahren antreten, bevor er zu seinem Mut und seiner Stärke findet. Er erkennt, wer sein Vorbild,
wer sein Freund und wer sein Feind ist. So ist er schließlich in der Lage die richtigen Entscheidungen zu treffen
und seinen jahrelang verschollenen Vater aus einem unterirdischen Verließ in dem gefährlichen Labyrinth der
Ratten zu retten. Als ihnen gemeinsam die Heimkehr gelingt, ist nicht nur Gregors fantastische Reise erfolgreich
beendet, auch die Probleme des vaterlosen Jungen und seiner Familie vor dieser Reise sind gelöst.
Vogler führt aus, dass sich aus diesem Handlungsmuster der Heldenreise eine „universelle Kraft“ ergibt. Es sei
etwas „[…], das alle Menschen empfinden können, weil es dem universellen kollektiven Unbewußten
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entspringt und universelle Befindlichkeiten widerspiegelt.“

6.   Grundtypen des Genres II, Figuren:
Helden und andere Archetypen
Wie bereits ausgeführt, ist der Held als Handlungsträger konstitutiv für eine Fantasy-Erzählung. Oft hat er
übernatürliche Fähigkeiten oder Hilfsmittel wie Harry Potters Tarnmantel oder Percy Jackson Fähigkeit, im
Wasser zu heilen. Manchmal ist er jedoch auch – ganz im Gegenteil – mit Behinderungen konfrontiert wie Hylas
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aus Michelle Pavers Gods and Warriors, der durch seinen Geburtsort stigmatisiert ist.
Neben diesem Helden sieht Vogler in einer Heldenreise typischerweise auch weitere Archetypen nach C.G. Jung
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agieren, die „aus dem kollektiven Unbewußten der Menschheit“ stammen.                Dabei sind diese Archetypen
jedoch nicht zwingend jeweils einer Figur zuzuschreiben, sondern können als vorübergehende oder parallel
existierende Funktionen für den Helden bzw. als Charaktereigenschaften verschiedener Figuren übernommen
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und auch wieder abgelegt werden.
Dabei bleiben die Charaktere zumeist überwiegend flach. Denn angesichts zum Teil überbordender Fantasie
kann der Leser vor einer Überforderung geschützt werden, wenn er viele Figuren, Gestalten und Landschaften
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bereits weitestgehend kennt. Die Archetypen können dabei jeweils aus psychologischer Sicht verstanden („1.
Welche psychologische Funktion oder welchen Teil der Persönlichkeit repräsentiert er?“) oder nach ihrer Rolle
innerhalb der Handlung untersucht werden („Was ist seine dramaturgische Funktion im Rahmen der
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Geschichte?“).
So treffen wir auf Heldenreisen zumeist einen Helden, der bereit ist, sich für andere aufzuopfern und als
sympathisches Identifikationsangebot an den Leser gelten kann. Dazu eignet er sich besonders gut, wenn ihn
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der Leser einerseits mag, ihn verstehen kann und bereit ist, „die Welt durch seine Augen“ zu betrachten.

31
   vgl. Vogler 2010, S.54-75.
32
   ebd. S.52.
33
   Vgl. Weinreich 2007, S.23.
34
   vgl. Vogler 2010, S.51.
35
   vgl. ebd. S.81f.
36
   vgl. Heidtmann 1986, O. S.21.
37
   Vogler 2010, S.34f.
38
   Vogler S.89.
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Andererseits darf er kein Stereotyp darstellen, sollte von Konflikten gequält und durch besondere
Eigenschaften gekennzeichnet sein.

     „In einem Helden der innere Zweifel, Denkfehler, alte Schuldgefühle und seelische Verletzungen oder seine
     Angst vor der Zukunft überwinden muß, werden wir ein Stück von uns selbst wiedererkennen. Schwächen
     und Unvollkommenheit, Schulden und Laster machen einen Helden unbedingt menschlicher und
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     anziehender.“

Ihm wird ein Mentor zur Seite gestellt, der Wissen und/oder Gaben an den Helden weitergibt, oft sein
Gewissen darstellt oder ihn zum Aufbruch motiviert. Ein Held kann einen oder mehrere Mentoren haben, die
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sich auch selbst noch auf einer (gescheiterten) Heldenreise befinden können. Harry Potter beispielsweise wird
in jedem Band eine andere, neue Vaterfigur zur Seite gestellt wie der fähige Lehrer gegen die dunklen Künste
Professor Lupin oder Harrys tapferer Pate Sirius Black, die ihn gemeinsam mit dem Schulleiter Dumbledore
begleiten und ihn je unterschiedliche Fähigkeiten und Einsichten mitgeben, die er für den Sieg über das Böse
braucht.
Schwellenhüter hingegen prüfen den Helden, indem sie ihm auf seiner Reise immer wieder als Hindernis
begegnen. Sie sind zunächst furchterregend, stellen sich dann aber als besiegbar heraus und können sogar zu
Verbündeten werden. Schwellenhüter sind zumeist nicht die Oberschurken. Durch die Auseinandersetzungen
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mit ihnen, kann der Held oft zu neuer Stärke finden. Besucht der Held eine Schule oder etwas ähnliches, sind
Schwellenhüter beispielsweise oft boshafte oder neidische Mitschüler wie in Harry Potter, Charlie Bone oder
Percy Jackson.
Ein weiterer typischer Archetyp, der dem Helden auf seiner Reise begegnet, ist der Gestaltwandler, der sich vor
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allem dadurch auszeichnet, dass er schwer in die Lager ‚gut‘ und ‚böse‘ eingeordnet werden kann.              Ein
prominentes Beispiel für einen Gestaltwandler ist der Lehrer Snape aus Harry Potter, dessen wahre Motive
dem Leser erst am Ende der Heptalogie zugänglich werden, nachdem er sieben Bände lang dem bösen Lord
Voldemort gedient und Harry das Leben schwer gemacht, es aber auch wiederholt gerettet hat.

           „Helden treffen häufig auf Figuren (meist des jeweils anderen Geschlechts), deren augenfälligste
           Eigenschaft darin besteht, daß sie sich vom Blickwinkel des Helden aus gesehen ständig zu verändern
                           43
           scheinen.“

Eindeutig negativ ist dagegen der Schatten, der „für die Kräfte der Nachtseite, für diejenigen Aspekte einer
Sache oder eines Menschen [steht], die unter normalen Umständen keinen Ausdruck finden, unbewußt sind
                                44
oder missbilligt werden.“ Häufig wird der Schatten in Heldenreisen auf die Antagonisten der Helden projiziert,
wobei er gute Anteile besitzen kann, die ihn menschlich erscheinen lassen. Er kann aber auch als

39
   ebd. S.95.
40
   vgl. ebd. S.105-120.
41
   vgl. ebd. S.121-126.
42
   vgl. ebd. 133-142.
43
   ebd. S.133-142.
44
   ebd. S.143f.
                                                          6
45
selbstzerstörerisches Element im Helden selbst angelegt sein.              In Eragon heißt dieser Schatten, den der
Titelheld im finalen Kampf des ersten Bandes besiegen muss, tatsächlich auch „Schatten“. In Artemis Fowl ist
der Titelheld der eigentliche Bösewicht der Geschichte. Sein Schatten ist die eigene Habgier und
Skrupellosigkeit, der jedoch auch eine menschliche Moral entgegensteht.

7.   Handlungsort:
Zwischen Realität und Fantasie
Neben der Handlung und den Figuren werden Titel der Fantasy auch durch ihr Verhältnis von Realität, fiktiver
Realität und fantastischem Handlungsort gekennzeichnet, das häufig auch als Ankerpunkt von
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Definitionsbestrebungen ausgemacht werden kann. Nach einigen Definitionen kann Fantasy ausschließlich in
einer fremden, fantastischen Welt spielen, die für die agierenden Figuren so selbstverständlich ist wie die ihr
innewohnende Magie - auch ‚High Fantasy‘ genannt - wie zum Beispiel in Tolkiens Herr der Ringe und in Eragon
von Christopher Paolini. Eine andere Möglichkeit ist die Darstellung eines Kontrastes zwischen einem
Handlungsort, der der Realität des Lesers ähnelt, und einer fantastischen Parallelwelt. Dabei kann diese
magische Welt eine tatsächliche, eigenständige Welt sein, die durch einen geheimen Zugang betreten werden
kann wie zum Beispiel durch einen Wandschrank in den Narnia-Erzählungen von C. S. Lewis oder durch ein
Buch wie in der Tintenwelt-Trilogie von Cornelia Funke, oder sie kann in der fiktiven Realität versteckt liegen
wie die Zauberschule Hogwarts in Joanne K. Rowlings Harry Potter und die Bloor-Akademie in Charlie Bone von
                  47
Jenny Nimmo.
Die fantastische Welt wird dabei oft mittelalterlich beschrieben oder erinnert zumindest an die Realität vor der
                        48
Technikschwelle. So fährt Harry Potter mit einer Dampflock in die Zauberschule Hogwarts und schreibt dort
                       49
mit Federkielen              und Percy Jackson lebt im Camp Half-Blood, einem Ort, an dem die Antike wiederbelebt
      50
wird. In der dargestellten, fantastischen Welt ist Magie dabei immer etwas Ernstzunehmendes und Reales. Sie
muss allerdings auch Gesetzen gehorchen und Grenzen haben, da sonst keine Herausforderung möglich ist, die
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den Protagonisten schließlich als Helden aus seinem Abenteuer hervorgehen lassen kann.

Siehe :
     -     Beispielrezension 1: Eragon – Das Vermächtnis der Drachenreiter
     -     Beispielrezension 2: Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder

Literaturverzeichnis
     -     Colfer, Eoin: Artemis Fowl, Carlsen: Hamburg 2008.
     -     Collins, Suzanne: Gregor und die graue Prophezeiung, Oettinger: Hamburg 2005.
     -     Ende, Michael: Momo, Thienemann: Stuttgart 2005.

45
   vgl. ebd. S.143-150.
46
   vgl. Patzelt 2001, S.47ff.
47
   vgl. Weinreich 2007, S.24f.
48
   vgl. ebd. S.26.
49
   vgl. Rowling
50
   vgl. Riordan
51
   vgl., ebd. S.26.
                                                                7
-   Ende, Michael: Thienemann: Stuttgart 2014.
-   Funke, Cornelia: Tintenherz, Oetinger: Hamburg 2010.
-   Garth, John und Bülles, Marcel: Tolkien und der Erste Weltkrieg. Das Tor zu Mittelerde, Klett-Cotta:
    Stuttgart 2014.
-   Haas, Gerhard: Funktionen und Formen der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur, in:
    Informationen des Arbeitskreises für Jugendliteratur 1986 (3), S.27-33.
-   Haas, Gerhard: Phantastik – die widerrufene Aufklärung? in: Lange, Günter und Steffens, Wilhelm
    (Hg.): Literarische Aspekte der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur, Königshausen Neumann,
    Würzburg 1993.
-   Haas, Gerhard; Klingberg, Göte und Tabbert, Reinbert: Phantastische Kinder- und Jugendliteratur. In:
    Gerhard Haas (Hg.): Kinder- und Jugendliteratur. Ein Handbuch, Reclam: Stuttgart 1984.
-   Heidtmann, Horst: Zeitgenössische Probleme mit der phantastischen Literatur. Überlegungen. In:
    Informationen des Arbeitskreises für Jugendliteratur 1986 (3), S. 18–27.
-   Kaminski, Winfred, Einführung in die Kinder- und Jugendliteratur. Literarische Phantasie und
    gesellschaftliche Wirklichkeit. 4. Aufl. Juventa Verlag: Weinheim 1998.
-   Lewis, C. S.: Die Chroniken von Narnia. Das Wunder von Narnia, Betz: Wien 2014.
-   Meißner, Wolfgang: Die Phantastik der Kinder – entwicklungspsychologische Überlegungen zur
    phantastischen Kinder- und Jugendliteratur, In: Günter Lange und Wilhelm Steffens (Hg.): Literarische
    und didaktische Aspekte der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur, Königshausen & Neumann:
    Würzburg 1993.
-   Nimmo, Jenny: Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder, 9.Auflage, Ravensburger:
    Ravensburg 2007.
-   Patzelt, Birgit, Phantastische Kinder- und Jugendliteratur der 80er und 90er Jahres, Europäischer
    Verlag der Wissenschaft: Frankfurt am Main 2001.
-   Paver, Michelle: Gods and Warriors. Die Insel der heiligen Toten, cbj: München 2014.
-   Riordan, Rick: Percy Jackson. Diebe im Olymp, 9.Auflage, Carlsen: Hamburg 2011
-   Rowling, Joane K.: Harry Potter und der Stein der Weisen, 26.Auflage, Carlsen: Hamburg 2005.
-   Rüster, Johannes: Fantasy, in: Hans Rchard Brittnacher und Markus May (Hg.): Phantastik. Ein
    interdisziplinäres Handbuch, Metzler: Stuttgart 2013.
-   Tabbert, Reinbert: Phantastische Kinder- und Jugendliteratur, in: Günter Lange (Hg.): Taschenbuch der
    Kinder- und Jugendliteratur. Band 1. Grundlagen – Gattungen, Schneider: Baltmannsweiler 2000.
-   Tolkien, J.R.R.: Der Herr der Ringe, 4.Auflage, Klatt-Cotta: Stuttgart 2001.
-   Tolkien, J.R.R.: Der kleine Hobbit, dtv: München 2013.
-   Vogler, Christopher: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über die mythologischen Grundmuster des
    amerikanischen Erfolgskinos, 6.Aufl., Zweitausendeins: Frankfurt am Main 2010.
-   Weinreich, Frank: Fantasy. Eine Einführung, Oldib, Essen 2007.
-   Weißenburger, Christian: Helden lesen! Die Chancen des Heldenmotivs bei der Leseförderung von
    Jungen, Schneider Verlag: Baltmannsweiler 2009.

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