Fallbericht: Traumatische Rückenmarksverletzung nach einer intramuskulären Injektion bei einem Hund

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Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria                                                    108 (2021)

Universitätsklinik für Kleintiere1 und Klinische Abteilung für Bildgebende Diagnostik2 der Veterinär-
medizinischen Universität Wien, Österreich

Fallbericht: Traumatische Rückenmarksverletzung
nach einer intramuskulären Injektion bei einem Hund
M. ROITNER1, M. GUMPENBERGER2 und A. PAKOZDY1*

                                                                                                                   eingelangt am 10. Juli 2020
                                                                                                                angenommen am 29. Mai 2021

Schlüsselwörter: Traumatische Rückenmarks-                                   Keywords: traumatic spinal cord injury, intramuscular
verletzung, intramuskuläre Injektion, Hund, Paraparese,                      injection, dog, paraparesis, neurology, magnetic reso-
Neurologie, Magnetresonanztomographie.                                       nance imaging.

   Zusammenfassung                                                               Summary
  Traumatische Rückenmarkserkrankungen können eine                           Case report: Traumatic spinal cord injury in a dog
Vielzahl von Ursachen haben. Einige davon sind vielfach                      following an intramuscular injection
beschrieben, andere jedoch sind in der Literatur bislang
kaum dokumentiert. Dieser Fallbericht behandelt ein ia-                        Traumatic spinal cord injuries have a variety of caus-
trogen verursachtes Trauma des Rückenmarks infolge                           es. Some are described in numerous publications, while
einer intramuskulären Injektion eines Antihelminthikums                      others are rarely reported. This case report discusses an
in die Lumbalmuskulatur.                                                     iatrogenic trauma of the spinal cord seemingly caused
  Eine drei Monate alte Hündin wurde aufgrund einer                          by an intramuscular injection in the lumbar muscles.
akuten Paraparese, in nicht gehfähigem Zustand und                              A puppy was presented with an acute onset of para-
mit Lumbalschmerzen fünf Tage nach einer Injektion                           paresis and lumbar pain immediately following an injec-
mit Praziquantel in die epaxiale Muskulatur vorgestellt.                     tion into the epaxial muscles. After clinical and neurolog-
Nach der klinischen und neurologischen Untersuchung                          ical examination, a lesion of the spinal cord between the
wurde eine Rückenmarksläsion im Bereich vom dritten                          third thoracic and the third lumbar segment was suspect-
Thorakal- bis zum dritten Lumbalsegment vermutet. In                         ed. Fluid-sensitive sequences in magnetic resonance
der Magnetresonanztomographie wurde in flüssigkeits-                         imaging showed a hyperintense signal within the spinal
sensitiven Sequenzen im Rückenmark vom dritten bis                           cord extending between the third and fifth lumbar verte-
zum fünften Lendenwirbel eine hochgradige Hyper-                             bra. In another sequence, a canal-like structure in the
intensität beobachtet. Zusätzlich konnte in einer Se-                        epaxial muscles was found, enhanced after contrast
quenz mit Kontrastmittel ein Stichkanal in der epaxialen                     medium application, which was interpreted as a needle
Muskulatur detektiert werden, was den Verdacht einer                         tract, substantiating the suspicion of a trauma following
Verletzung infolge der Injektion erhärtete. Nach einer                       an injection.
ambulanten Therapie mit Glukokortikoiden und Protonen-                          After an ambulatory therapy with glucocorticoids and
pumpenhemmern gefolgt von einer mehrere Monate an-                           proton pump inhibitors, followed by several months of
dauernden Physiotherapie erholte sich der Hund nahe-                         consistent physical therapy, the dog had nearly complete-
zu vollständig. Verblieben ist über eineinhalb Jahre nach                    ly recovered. More than one and a half years after the in-
der Verletzung neben gering- bis mittelgradig verzöger-                      jury the patient showed only mild to moderate delayed
ter Propriozeption lediglich eine sporadisch auftretende                     proprioception and occasionally faecal incontinence.
Kotinkontinenz.
Abkürzungen: ANNPE = acute non-compressive nucleus pulposus extrusion; C1 = erster Halswirbel; CT = Computertomographie; FCE = fibrocarti-
laginöse Embolie; FLAIR = fluid attenuated inversion recovery; FLASH = fast low-angle shot; ggr. = geringgradig; GRE = gradient recalled echo; HE =
Hinterextremität; hgr. = hochgradig; L1 = erster Lendenwirbel; M. = Musculus; mgr. = mittelgradig; MRT = Magnetresonanztomographie; N. = Nervus;
o.B. = ohne Besonderheiten; S1 = erster Kreuzwirbel; SPACE = sampling perfection with application optimized contrasts using different flip angle evo-
lution; Th1 = erster Brustwirbel; TSE = turbo spin echo; VIBE = volume interpolated breath-hold examination

*E-Mail: akos.pakozdy@vetmeduni.ac.at

                                                                                                                                                171
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   Einleitung                                                          mehr gehfähig war und sich hgr. schmerzhaft zeigte.
                                                                       In der Folge bekam die Hündin zuerst Prednisolon
  Dieser Fallbericht beschreibt einen Hund, der                        (Dosierung und Präparat nicht bekannt), eine Stunde
mutmaßlich infolge einer Injektion eines Ent-                          danach Gabapentin (10 mg/kg alle 12 Stunden p.o.,
wurmungsmittels in die Lumbalmuskulatur eine trau-                     Präparat nicht bekannt) und Tramadol (6 mg/kg alle 6
matische Verletzung des Rückenmarks erlitt.                            Stunden p.o., Präparat nicht bekannt) verabreicht.
  Traumatische Rückenmarkserkrankungen sind bei                          Kot und Harnabsatz waren laut Besitzerin ohne
Hunden ein ausführlich beschriebenes Thema und                         Besonderheiten (o.B.).
können sowohl intrinsische Ursachen, wie Band-
scheibenvorfälle haben, als auch durch äußere Ein-                     Allgemein klinische und neurologische
wirkung, wie z.B. Autounfälle entstehen (KLAINBART                     Untersuchung
et al., 2018). Ebenso sind iatrogene Rückenmarks-
traumata infolge einer inkorrekten Applikation eines                     Bei der allgemeinen klinischen Untersuchung waren
Mikrochips bei einer Katze (PLATT et al., 2007), eine                  alle Vitalparameter in der Norm.
Rückenmarkserkrankung eines Hundes durch ei-                             Die Hündin zeigte eine Paraparese und war nicht
nen gewanderten Mikrochip (JOSLYN et al., 2010),                       gehfähig. Beide Hinterextremitäten (HE) verfügten
sowie Verletzungen des Rückenmarks bei der                             über einen erhöhten Muskeltonus und befanden
Gewinnung von Liquor cerebrospinalis (PLATT et al.,                    sich in Hyperextensionsstellung. Weiters fehlte die
2005; LUJÁN FELIU-PASCUAL et al., 2008) beschrie-                      Überkötungs- und Hüpfreaktion der HE. Der Patellar-
ben. Weiters gibt es einen Bericht von durchgeführ-                    reflex war an beiden HE gesteigert. Im Lumbalbereich
ten Myelographien mit lumbaler Punktion, nach wel-                     zeigte sich die Hündin bei der Palpation geringgradig
chen die Patienten zwar klinisch unauffällig waren,                    (ggr.) druckdolent.
jedoch histologisch Hämorrhagie, Gliose und axo-                         Aufgrund der Untersuchung wurde die neuroana-
nale Degeneration festgestellt werden konnten                          tomische Lokalisation Th3–L3 (vom dritten Thorakal-
(KISHIMOTO et al., 2004). Auch in der Humanmedizin                     bis zum dritten Lumbalsegment) mit einer nicht gehfä-
gibt es eine Vielzahl an Berichten, die das Thema der                  higen Paraparese (Schweregrad 3 nach SHARP und
Komplikationen bei Epiduralanästhesien behandeln                       WHEELER) vermutet (SHARP u. WHEELER, 2005).
(PAECH et al., 1998; KANG et al., 2014). So beschrie-
ben CHIAPPARINI et al. (2000) 16 Patienten, bei de-                    Weitere Labordiagnostik
nen nach Epiduralanästhesien Komplikationen auftra-
ten. Unter anderem werden hier direktes Trauma durch                     Spontan abgesetzter Urin wurde mittels Refrakto-
die Kanüle, epi- und subdurale Blutungen, Infektionen,                 meter und Harnteststreifen untersucht. Der Harn hatte
Ischämie oder neurotoxische Reaktionen als Ursachen                    ein spezifisches Gewicht von 1.040 g/cm3, und der
für die Paraparesen genannt.                                           Proteinnachweis war positiv (+ am Harnteststreifen).
  In einer Publikation von HETTLICH et al. (2003)                        Die Hämatologie und die Blutchemie zeigten bis auf
wurden drei ähnliche Fälle beschrieben, bei wel-                       einen Wert nur wenige ggr. Veränderungen, welchen
chen Hunde, in zwei Fällen nach Stunden, in einem                      keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Der
Fall sofort nach einer intramuskulären Injektion von                   einzige deutlich erhöhte Wert war die Gallensäure mit
Melarsomin neurologische Ausfallserscheinungen                         40 µmol/l, weshalb ein portosystemischer Shunt als
zeigten.                                                               Zusatzdiagnose in Betracht gezogen wurde.
  Was jedoch nach Kenntnis der Autoren noch nicht
ausführlich (inklusive Bildgebung) beschrieben wur-                    Bildgebende Diagnostik und Liquoranalyse
de, ist eine traumatische Rückenmarksverletzung beim
Hund im Rahmen einer routinemäßigen intramuskulä-                         Die sonographische Untersuchung des Abdomens
ren Injektion.                                                         ergab keinen Hinweis auf einen portosystemischen
                                                                       Shunt.
                                                                          Zur weiteren Abklärung der Paraparese wurde
   Fallbericht                                                         eine Computertomographie (CT) der Brust- und
                                                                       Lendenwirbelsäule vom siebten Halswirbel (C7) bis
Nationale, Anamnese                                                    zum dritten Lendenwirbel (L3) angefertigt.
                                                                          Im CT stellten sich alle untersuchten Strukturen
  Eine drei Monate alte Havapoo Hündin wurde auf-                      unauffällig dar, weshalb ergänzend eine Magnet-
grund einer akuten, hochgradigen (hgr.) Paraparese                     resonanztomographie (MRT) vom siebenten Brust-
vorstellig. Vorberichtlich war ihr fünf Tage zuvor von ei-             wirbel (Th7) bis zum ersten Kreuzwirbel (S1) ver-
nem Tierarzt im Ausland eine Injektion mit Praziquantel                anlasst wurde. In dieser wurde in flüssigkeitssensi-
(Dosierung und Präparat nicht bekannt) in die lin-                     tiven Sequenzen im Rückenmark auf Höhe L3 bis
ke Lumbalmuskulatur appliziert worden, woraufhin                       zum kranialen Ende von L5 eine hochgradige, et-
sie mit Schmerzen reagierte, 30 Minuten später nicht                   was unregelmäßige Hyperintensität beobachtet (Abb.

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1 und 2). Diese erreichte vor allem linksseitig auch die                        Der später atlantookzipital entnommene Liquor cere-
Oberfläche des Rückenmarks (Abb. 2). In der fluid at-                         brospinalis zeigte bis auf eine milde Blutkontamination
tenuated inversion recovery (FLAIR) Sequenz war die                           keine wesentlichen Abweichungen.
genannte Veränderung hochgradig hyperintens. Die lin-                           Aufgrund des Vorberichtes und der Befunde der bild-
ke epaxiale Rückenmuskulatur zeigte in flüssigkeits-                          gebenden Diagnostik ergab sich der Verdacht, dass
sensitiven Sequenzen von L4 bis etwa Mitte L6 eine                            bei der intramuskulären Injektion das Rückenmark di-
großflächige, teils heterogene, unregelmäßig begrenz-                         rekt oder auch indirekt verletzt worden war.
te Hyperintensität mit einer zentral darin verlaufenden,
linearen signalfreien bis signalarmen Zone (Abb. 1 und                        Therapie
3). Diese Veränderungen in der Muskulatur verliefen von
kaudolateral nach kraniomedial von der Körperoberfläche                         Anhand der gewonnenen Befunde wurde ein
hin zur Wirbelsäule. Nach Kontrastmittelgabe war vor                          Therapieplan für eine Rückenmarksläsion erstellt.
allem im Bereich dieser Muskulatur eine deutliche                             Dieser beinhaltete eine medikamentelle Therapie mit
Anreicherung mit zentralem Signalverlust (angenomme-                          einer entzündungshemmenden Dosis Prednisolon
ner Stichkanal) zu sehen (Abb. 4).                                            (0,15 mg/kg alle 12 Stunden p.o.) und Omeprazol

Abb. 1: T2-gewichtete Turbo Spin Echo (TSE) transversal; auf Höhe Mitte L5 ist ein hyper-
intenses Signal im Bereich der linken epaxialen Muskulatur sichtbar (weißer Pfeil), welches
bis an den Wirbelbogen heranzieht. / T2 TSE transversal; a hyperintense signal is visible in
the left epaxial muscle at the level of L5 (white arrow).

                                                                                               Abb. 3: T2-gewichtete TSE SPACE 3D sagittal,
                                                                                               Rekonstruktion in coronaler Ebene; auch in der coro-
                                                                                               nalen Rekonstruktion ist eine hypointense, nach
                                                                                               kranial weisende lineare Struktur (markiert durch die
                                                                                               weißen Pfeile) in der links lateralen, lokal hyperin-
                                                                                               tensen Muskulatur zu sehen, bei der es sich um den
                                                                                               Stichkanal handeln könnte. Die Signalerhöhung in der
                                                                                               Muskulatur repräsentiert erhöhten Flüssigkeitsgehalt
                                                                                               (Ödem, lokal entzündliches Geschehen). / T2 TSE
Abb. 2: T2-gewichtete TSE - sampling perfection with application optimized contrasts us-       SPACE 3D sagittal, reconstruction in the coronal
ing different flip angle evolution (SPACE) 3D sagittal; zwischen L3 und L5 stellt sich das     plane; in the coronal reconstruction a hypointense
Rückenmark abnorm hyperintens dar (weiße Pfeile). Die hydrierten Bandscheiben (das             linear structure (probably the injection site) is visible
schwarze Sternchen zeigt beispielhaft den Bereich L4/L5) liegen in situ. / TSE SPACE 3D        (white arrows) in the locally hyperintense lumbar
sagittal; the spinal cord appears abnormally hyperintense (white arrows). The well hydrated    muscles. This hyperintense signal most likely repre-
intervertebral discs (disc marked with a black asterisk between L4/L5) are in situ.            sents edema and inflammatory process.

                                                                                                                                                  173
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                                                                                          Computertomograph: Somatom 16-slice he-
                                                                                          lical CT, Siemens Healthcare, Deutschland;
                                                                                          Handrefraktometer: REF312, ARCARDA
                                                                                          GmbH, Deutschland; Harnteststreifen: Combur9
                                                                                          Test®, Roche Deutschland Holding GmbH,
                                                                                          Deutschland; Magnetresonanztomograph:
                                                                                          Magnetom espree 1.5T, Siemens Healthcare,
                                                                                          Deutschland; Omeprazol: Antra®, Bayer
                                                                                          GmbH, Deutschland; Prednisolon „Nycomed“,
                                                                                          Takeda Austria GmbH, Österreich; Ultraschall-
                                                                                          system: IU22, Royal Philips, Niederlande

                                                                                              Diskussion
                                                                                            Die in diesem Bericht beschriebene Hün-
Abb. 4: T1-gewichtete Gradient recalled echo (GRE) FLASH volume interpolat-               din zeigte Symptome einer Myelopathie,
ed breath-hold examination (VIBE) 3D transversal mit Kontrastmittel; eine line-
                                                                                          mutmaßlich ausgelöst durch einen trau-
are Struktur (markiert durch weiße Pfeile; mutmaßlich der Stichkanal) ist in der
                                                                                          matischen Insult, einer vermuteten Stich-
Rückenmuskulatur auf Höhe des kaudalen Endes des L4 detektierbar. Sie reicht an
das linke Facettengelenk heran. Bis in das Rückenmark kann sie jedoch nicht verfolgt      verletzung, auf Höhe der Wirbel L3–L5.
werden. / T1 GRE FLASH VIBE 3D transversal with contrast medium; a linear struc-          Diese Segmente beinhalten die Lenden-
ture (white arrows; most likely the meatus) is detectable in the epaxial muscles at the   schwellung, welche sich vom dritten bis
caudal half of L4. The suspected meatus is close to the left facet joint. No impinge-     zum sechsten Lendenwirbel erstreckt und
ment of the spinal cord is seen.                                                          den Ursprung der Nerven für die HE bildet
                                                                                          (NICKEL et al., 2004).
                                                                                            Als Differentialdiagnosen kommen für die
(0,6 mg/kg alle 12 Stunden p.o.) über eine Dauer von                           hier genannten perakuten klinischen Symptome eines
20 Tagen.                                                                      Hundes diverse akute Erkrankungen des Rückenmarks
  Zusätzlich wurde über den Zeitraum von drei Monaten                          wie ein Bandscheibenvorfall, acute non-compressive
regelmäßig eine intensive Physiotherapie durchge-                              Nucleus pulposus extrusion (ANNPE), eine fibrokarti-
führt. Diese bestand in den ersten Monaten aus tägli-                          laginöse Embolie (FCE), eine sub- oder epidurale/in-
chen Massagen und passiven Bewegungen. Zweimal                                 tramedulläre Blutung oder auch eine Ischämie in Frage
wöchentlich wurden Akupunktur, Unterwassertherapie,                            (TAYLOR, 2010; TIPOLD et al., 2010; MARI et al., 2017).
Schwimmen, und zusätzlich „Radfahren“ im Stehen und                              Thorakolumbale Bandscheibenvorfälle kommen vor-
Übungen auf dem Wackelbrett und Kissen durch-                                  wiegend bei Hunden im Alter zwischen drei und sechs
geführt.                                                                       Jahren vor. Dabei kann es zu einer Extrusion kommen,
                                                                               bei der ein degenerierter und kalzifizierter Nucleus pul-
Verlauf                                                                        posus durch einen rupturierten Annulus fibrosus in
                                                                               den Wirbelkanal vorfällt. Auf den MRT-Bildern dieser
   Die Besitzerin berichtete von einer langsamen neuro-                        Hündin waren gut hydrierte Bandscheiben sichtbar,
logischen Besserung. Ein Jahr und neun Monate nach                             welche sich in situ befanden (Abb. 2). Somit konnte
der ersten Vorstellung wurde eine Kontrolluntersuchung                         ein Bandscheibenvorfall als Differentialdiagnose aus-
durchgeführt.                                                                  geschlossen werden (TAYLOR, 2010; GOMES et al.,
   Der neurologische Zustand der Hündin hatte sich                             2016).
deutlich verbessert. Das Allgemeinverhalten und die                              Bei einer ANNPE wird das Rückenmark durch ei-
Kopfnerven waren unauffällig. Die weitere neurologi-                           nen kleinen, hydrierten und mit hoher Geschwindigkeit
sche Untersuchung ergab eine verbleibende gehfähige                            („schussartig“) vorfallenden Anteil des Nucleus pul-
ggr. Paraparese, sowie eine ggr. Ataxie der linken HE.                         posus traumatisiert. Auf MRT-Bildern sieht man dann
Der Panniculusreflex fehlte in der kaudalen Hälfte der                         meist eine fokale, in der T2-Gewichtung intramedulläre
lumbalen Region. Die Hüpfreaktion der HE war mittel-                           Hyperintensität, die sich tendenziell dorsal eines ver-
gradig (mgr.) verzögert. Die spinalen Reflexe waren an                         schmälerten Zwischenwirbelspaltes befindet. Weiters
den HE mgr. erhöht. Es konnte keine Schmerzhaftigkeit                          ist meist extradural liegendes Material präsent, ver-
festgestellt werden.                                                           gleichbar mit einem gut hydrierten Nucleus pulposus,
   Die Besitzerin berichtete außerdem von einer persis-                        welcher das Rückenmark nicht komprimiert, sondern
tierenden Kotinkontinenz, die etwa zwei bis drei Mal                           penetriert. Manchmal kann sogar ein Riss im dor-
pro Monat auftrat.                                                             salen Anteil des Annulus fibrosus mit einer epidura-
                                                                               len Kontrastmittelanreicherung in der T1-gewichteten

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Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria                                      108 (2021)

Sequenz mit Fettsuppression identifiziert werden. Eine                   Die klinische neuroanatomische Lokalisation (T3–
definitive Diagnose kann nur post-mortem mittels his-                 L3) und die mittels MRT festgestellten Veränderungen
tologischer Untersuchung gestellt werden, was je-                     (L3–L5) stimmen nicht überein. Der gesteigerte
doch selten vorkommt, da sich bei vielen Hunden un-                   Patellarreflex ist bei einer L3–L5 Läsion nicht zu erwar-
ter Therapie eine Besserung der klinischen Symptome                   ten, sondern im Gegenteil eine Hyporeflexie, da der
einstellt (MARI et al., 2017).                                        Reflexbogen betroffen sein kann.
   Bei einer FCE kommt es zur Abschwemmung von                           Die Ursache für diese unerwartete gesteigerte Reiz-
Bandscheibenmaterial aus dem Nucleus pulposus,                        antwort ist unklar.
welches die spinalen Gefäße verlegt und somit eine                       Eine Pseudoreflexie (Patellarreflex Pseudo-
Infarzierung und ischämische Nekrose und dadurch                      Hyperreflexie) durch den reduzierten Tonus der
akute Symptome einer Myelopathie verursacht. Die                      Kniegelenkflexoren (durch den N. ischiadicus in-
MRT-Bilder kennzeichnen sich durch eine fokale, gut                   nerviert) ist bei lumbosakralen Stenosen gut be-
abgrenzbare, longitudinale, T2-gewichtete hyperin-                    kannt (CHAMBERS, 1989). In solchen Fällen ist der
tense, intramedulläre Läsion, die primär die graue                    Muskeltonus der Flexoren deutlich vermindert und der
Substanz betrifft, bei gleichzeitiger Abwesenheit von                 Flexorreflex vermindert. Im vorliegenden Fall wurde
Hinweisen auf eine ANNPE (TAYLOR, 2010; TIPOLD et                     hingegen eine generelle Hypertonie mit Hyperextension
al., 2010; MARI et al., 2017).                                        der Hintergliedmaßen ohne verminderten Flexorreflex
   Klinisch unterscheiden sich ANNPE und FCE darin,                   beobachtet. Dies könnte für einen zusätzlichen, von
dass Hunde mit Ersterer signifikant älter und schwerer                Praziquantel ausgelösten toxischen/entzündlichen
sind. Weiters wird bei ANNPE oft von einem Beginn                     Effekt auf das Rückenmark und/oder die spinalen
der Symptome während der Bewegung berichtet und                       Nerven sprechen. Daraus resultierende nervale Hyper-
bei Vorstellung zeigen sich die Tiere häufiger schmerz-               reaktivität könnte die Hyperextension erklären (MAYER
haft bei Palpation der Wirbelsäule (MARI et al., 2017).               u. ESQUENAZI, 2008). Zu bedenken ist auch die
   Eine spinale Blutung tritt nicht nur bei Trauma, son-              Möglichkeit von Abweichungen in der neuroanatomi-
dern sekundär zu einer primären Erkrankung wie                        schen Lokalisation (FORTERRE et al., 2008).
Dicumarol Intoxikation, Hämophilie A, Von-Willebrand-                    Die Besserung des klinischen Bildes dieser Hündin
Syndrom, Gefäßanomalien oder spinalen Neoplasien                      wurde maßgeblich durch die intensive Physiotherapie,
auf. Diese wären, je nach Grunderkrankung, von                        welche auch von der Besitzerin selbst durchgeführt
Veränderungen begleitet, die durch hämatologische                     wurde, unterstützt.
Untersuchung und/oder bildgebende Verfahren detek-                       In einer Studie mit Hunden mit einer degenerati-
tiert werden können (TAYLOR, 2010).                                   ven Myelopathie konnte gezeigt werden, dass sich die
   Neben den Differentialdiagnosen, die nicht in un-                  Überlebenszeit mit intensiver Physiotherapie signifikant
mittelbarem Zusammenhang mit der Injektion stehen,                    erhöhte (KATHMANN et al., 2006; MILLIS u. CIUPERCA,
wäre es auch möglich, dass das injizierte Medikament                  2015). Weiters gibt es Berichte über Patienten, die
aus der Injektionsstelle migrierte und über eine auf-                 nach einer zervikalen Kompression des Rückenmarks
steigende Entzündung der Nervenwurzeln zu ei-                         mit Tetraplegie vorgestellt wurden. Durch eine kon-
ner Kompression des Rückenmarks führte, welche                        servative Therapie nur mit Physiotherapie konnten,
durch eine Entzündung und Nekrose des extraduralen                    wie auch bei der Hündin in diesem Bericht, erhebli-
Fettgewebes verursacht worden ist. Dieser Vorgang                     che Verbesserungen erreicht werden (SPECIALE u.
sollte jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen und nicht                FINGEROTH, 2000).
binnen 30 Minuten zu einer akuten Paraparese führen,                     Zur Diagnostik von neurologischen Erkrankungen,
wie es im vorliegenden Fall berichtet wurde. Allerdings               seien es Pathologien des Rückenmarks oder Krank-
ist eine sichere Differenzierung zwischen toxischen,                  heiten intrakraniellen Ursprungs, ist eine Untersuchung
entzündlichen oder traumatischen Ursachen nicht                       mittels MRT oft unerlässlich.
möglich. Es kann spekuliert werden, dass sowohl der                      Da die meisten entzündlichen und neoplastischen
Stich als auch das ins Rückenmark injizierte Material                 Prozesse mit einer Erhöhung des Flüssigkeitsgehaltes
für die nachfolgende Reaktion mit Degeneration und                    von Gewebe einhergehen, eignen sich sogenannte
Entzündung eine Rolle gespielt haben.                                 flüssigkeitssensitive Sequenzen (T2, FLAIR) gut für de-
   Das perakute Auftreten und die hochgradige                         ren Detektion. Inversion recovery, wie bei der FLAIR,
Paraparese mit ungestörtem Allgemeinverhalten                         kann benutzt werden, um das Signal von bestimm-
machten einen portosystemischen Shunt als Ursache                     ten Flüssigkeiten zu eliminieren. Dies kann sich in je-
unwahrscheinlich (GANIDINI et al., 2010). Die initial                 nen Fällen als nützlich erweisen, bei denen Bereiche
erhöhte Menge der präprandialen Gallensäuren                          mit erhöhtem Signal an flüssigkeitsgefüllte Räume an-
machte die ultrasonographische Untersuchung des                       grenzen (z.B. Ventrikel und periventrikuläres Ödem).
Abdomens, noch vor einer Narkose für die MRT und                      Zusätzlich können Kontrastmittel i.v. injiziert werden,
vor der Liquorpunktion sinnvoll. Hierbei gab es aber                  um die Gewebedurchblutung erfassen zu können und
keine Hinweise auf einen portosystemischen Shunt.                     somit pathologisch veränderte Gewebe zu identifizie-
                                                                      ren (THRALL, 2013).

                                                                                                                            175
Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria

   Bei diesem Hund könnte die T2 Hyperintensität im                   parasitikum gegen Dirofilaria immitis, welches in den
Bereich des vierten bis sechsten Lendenwirbels auf                    letzten Jahren auch in Österreich regelmäßig Ver-
eine Ödematisierung oder entzündliche Reaktion der                    wendung findet. Es handelt sich um ein Medikament,
um die Injektionsstelle liegenden Muskulatur mit Be-                  welches ausschließlich tief i.m. in die epaxiale
teiligung des Rückenmarks hindeuten, welche durch                     Muskulatur zwischen dem dritten und fünften Lenden-
den traumatischen Insult und/oder eine toxische Kom-                  wirbel injiziert werden darf (PLUMB, 2018).
ponente ausgelöst wurde.                                                 In einem Fallbericht von HETTLICH et al. (2003)
   Neben der direkten Schädigung von Nerven ist beim                  wurde von drei Hunden mit Dirofilariose berichtet,
Hund, besser jedoch bei der Katze, das injektions-                    die nach der Applikation von Melarsomin eine Parapa-
assoziierte Fibrosarkom bekannt (VASCELLARI et al.,                   rese entwickelt hatten. In allen drei Fällen waren die
2006; MARTANO et al., 2011).                                          Symptome innerhalb weniger Stunden nach der
   Bei unsachgemäßem Handling in Verbindung mit                       Injektion in die Lumbalmuskulatur aufgetreten. In dem
meist sehr jungen und lebhaften Tieren kann es                        Artikel wurde diskutiert, ob Melarsomin selbst die neu-
auch dazu kommen, dass ein Mikrochip direkt in die                    rologischen Ausfälle verursacht, oder ob eine unvor-
Halswirbelsäule appliziert wird (PLATT et al., 2007;                  sichtige Injektionstechnik ein Trauma begünstigt hatte
HICKS u. BAGLEY, 2008; SMITH u. FITZPATRICK, 2009).                   (HETTLICH et al., 2003). Von einer Untersuchung mit-
In den Fallberichten von HICKS und BAGLEY (2008) und                  tels MRT wurde in diesen Fällen nicht berichtet.
SMITH und FITZPATRICK (2009) handelte es sich je-                        Bei der i.m. Injektion bei Fleischfressern stehen
weils um juvenile Hunde, die aufgrund einer akuten                    grundsätzlich mehrere Muskelgruppen zur Auswahl.
Tetraparese nach der Applikation eines Mikrochips vor-                Eine Injektionsstelle liegt an der Kaudalfläche des
gestellt wurden. Beide bedurften einer chirurgischen                  Oberschenkels, wobei hier bei kleinen Tieren die
Intervention, bei welcher der Transponder über einen                  Gefahr besteht, bei zu tiefem Stich den N. fibularis zu
dorsalen Zugang zum Wirbelkanal entfernt wurde.                       verletzen (HILDEBRANDT u. MORITZ, 2018). Die siche-
   Ein Symptom, welches nach jeglicher traumati-                      rere Variante stellt die Injektion in den M. quadriceps
schen Rückenmarksverletzung auftreten kann, ist die                   femoris dar, wobei die Kanüle in einem Winkel von 90 °
Kotinkontinenz (MARI et al., 2019). In einer Veröf-                   zur Gliedmaße in die Kranialfläche des Oberschenkels
fentlichung von MARI et al. (2017) wurde bei 20 % aller               gestochen wird (HILDEBRANDT u. MORITZ, 2018).
Hunde mit nicht gehfähigen Paraparesen, welche auf-                   Weiters gibt es auch die Möglichkeit, die epaxiale
grund einer ANNPE auftraten, eine Kotinkontinenz                      Lumbalmuskulatur als Injektionsstelle zu verwenden.
festgestellt. In Fällen, in welchen Hunde nicht                       Hierbei wird am stehenden Hund die Nadel im rech-
ihre vollständigen motorischen und funktionellen                      ten Winkel zur Haut, mittig zwischen der letzten Rippe
Fähigkeiten zurückerlangten, war Kotinkontinenz häu-                  und den Lendenwirbeln in den Muskel eingeführt
figer (MARI et al., 2019). Bei der hier beschriebenen                 (CARTER et al., 2013). Obwohl diese Techniken alltäg-
Hündin wird vermutet, dass die Kotinkontinenz,                        liche Verwendung in der kleintierärztlichen Praxis fin-
die als chronische Problematik geschildert wurde,                     den, ist dennoch Vorsicht geboten, da es bei unachtsa-
auf die Rückenmarksverletzung und nicht auf ein                       mem Handling zu schwerwiegenden Folgen kommen
Verhaltensproblem zurückzuführen war, da der Stuhl                    kann.
passiv aus dem Anus verloren wurde.
   Meist stehen für ein Medikament mehrere Appli-
kationsrouten und -stellen zur Verfügung. Bei dieser
Hündin wurde der Wirkstoff Praziquantel, ein Anti-
helminthikum, verwendet. Hierfür gibt es neben der
parenteralen Verabreichung auch Präparate zur ora-
len Gabe. Als Nebenwirkungen bei intramuskulärer
Applikation sind Schmerzen an der Injektionsstelle,
Erbrechen, Schläfrigkeit und Ataxie beschrieben
(PLUMB, 2018). Der Wirkstoff Melarsomin ist ein Anti-

  Fazit für die Praxis
  Auch bei Routinetätigkeiten, die zum täglichen tierärztlichen Arbeitsablauf gehören, sind Vorsicht und Sorgfalt
  geboten, um die Inzidenz von vermeidbaren Komplikationen so gering wie möglich zu halten. Daher ist für in-
  tramuskuläre Injektionen der M. quadriceps femoris der Rückenmuskulatur vorzuziehen. Ist jedoch die lum-
  bale Muskulatur als Injektionsstelle unerlässlich, sollte eine Reizung/Schädigung des Rückenmarks als mög-
  liche Komplikation (Traumatisierung oder toxische/entzündliche Reaktion) in Betracht gezogen und vor allem
  bei lebhaften Tieren eine Sedierung oder Kurznarkose angedacht werden.

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Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria                                                108 (2021)

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