Die kleine feine Ausnahme - bebe tailor
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Die kleine feine Ausnahme Laternen statt Neonlicht, Motorrollerverbot statt Verkehrskollaps, dazu Hunderte schlaue Schneider und eine romantische Altstadt. Hoi An bekam die Chance, Vietnams schönste Stadt zu werden, und hat sie genutzt. Ein Stück Maßarbeit TEXT VERONIKA KELLER FOTOS: PHILIPP ENGELHORN Strahlkraft: Handbemalte Seidenlampions hängen überall in Hoi An zum Verkauf. Besonders malerisch leuchtet die Stadt beim Laternenfestival, wenn zu Vollmond kleine Kerzen im Fluss 86 MERIAN www.merian.de Thu Bon schwimmen
Letzte Anprobe: Der Brite Guy Sainsbury (ganz rechts) arbeitet bei »Bebe Tailor«, einer der größten Schneidereien in Hoi An, die der Familie seiner Frau gehört G uy Sainsbury erzählt von Stadt – das Handwerk hat hier Tradi- früher. Wenn der Engländer tion. Um Guy herum schwirren vier Mit- mit den grauen Stoppelhaa- arbeiterinnen, hören sich die Wünsche ren sich an seinen ersten der Kunden an, nehmen Maß, zeigen Besuch in Hoi An erinnert, Stoffmuster. Guys Kolleginnen tragen entsteht vor seinem inneren Auge ein allesamt ao dais, bodenlange Überklei- verschlafenes Nest. Durch Zufall war der aus heller Spitze, die seitlich bis zur er dorthin geraten und fand den ruhi- Taille geschlitzt sind. »Es ist die tradi- Es ist ruhig in der Altstadt, gen Ort so charmant, dass er dort leben tionelle Tracht der Vietnamesinnen«, trotz Massen von Besuchern. wollte. Er schaute den Fischern zu und sagt Huynh Thi Hanh. Sie ist die Cousine In den Straßen ist nichts unterhielt sich mit den Schneidern, von von Guys Frau und arbeitet als Mana- erlaubt, was einen Motor hat denen es auffällig viele gab. Touristen gerin im größten der drei Bebe-Läden. traf er keine. »Am elegantesten sieht das bei sehr Heute schaut er durch die Tür seines schlanken Frauen aus.« Sie grinst und Ladens im Zentrum von Hoi An nach streicht über ihr kleines Bäuchlein, das draußen und kann vor lauter Urlau- bern und Souvenirhändlern kaum die sich unter dem selbst genähten rosa Etuikleid wölbt. fährt mit dem Roller hin, große Teile des historischen Stadtkerns sind aber gangs bleibt ein französisch sprechen- des Touristenpaar stehen und bewun- Ein Maßanzug tag, die Gegend pulsiert vor Menschen, Farben und Geräuschen. Wie seltene andere Straßenseite sehen. »Seit die Hanh lotst eine Kundin zu den Um- verkehrsberuhigt. Fahrradrikschas sind dert das dunkle Holz der Fassade. Vor für 200 Euro ist in Schmuckstücke nehmen die alten Häu- Altstadt 1999 Unesco-Weltkulturerbe kleidekabinen, und Guy zeigt auf die erlaubt, aber nichts, was einen Motor ihnen steht eines der jahrhundertealten ser den Blick gefangen. Dass diese Häu- wurde, hat sich der Ort radikal verän- Wand am Ende des Raums. Komplett hat. »Das ist außergewöhnlich für die- Wohnhäuser, für die der Stadtkern be- drei Tagen fertig. serzeilen noch da sind, ist einem Zufall dert«, sagt er. »Ob das gut ist oder verglast ist sie und gibt den Blick auf ses Land«, sagt Guy und braust davon. kannt ist. »Sieht fast aus wie in Italien«, Kunden kommen zu verdanken, nämlich dem, dass zur schlecht, darüber kann man streiten.« einige Dutzend Arbeitsplätze frei. Die Überhaupt ist Hoi An eine Aus- murmelt der Franzose, und sein Blick richtigen Zeit eine große Menge Sand- Im klimatisierten Geschäftsraum des angestellten Schneider konzentrieren nahmeerscheinung. Kein anderer Ort in schweift verträumt nach oben. aus der ganzen Welt körner zusammenkam und nach und Familienunternehmens »Bebe Tailor« sich auf ratternde Nähmaschinen oder Vietnam hat eine so gut erhaltene Alt- Plötzlich erfüllen schrille Töne die nach einen Fluss verstopfte. treffen die ersten Kunden des Tages hantieren mit dampfenden Bügeleisen. stadt. Und während die anderen Städte Straße. Das Paar schreckt hoch und Einst war Hoi An einer der bedeu- ein. Guy sieht nach dem Rechten. »Die Glaswand habe ich mir ausge- abends in grellem Neonlicht erstrahlen, rettet sich in einen Hauseingang. Zwei keine Klingel hat, imitiert mit der tendsten Häfen in Südostasien, viele Bebe heißt die Tante seiner vietna- dacht«, erzählt Guy. »Die Familie mei- beginnen in Hoi An die traditionellen Dutzend Fahrradrikschas brettern hin- Stimme eine Sirene, während die In- Familien aus China und Japan ließen mesischen Frau, und es ist ein Name, ner Frau fand es seltsam, aber ich will Seidenlaternen matt und warm zu leuch- tereinander zwischen den Häuserzei- sassen im Vorbeifahren Fotos von den sich dort ab dem 16. Jahrhundert nie- den in der Stadt jeder kennt. Denn die unseren Kunden aus dem Westen zei- ten. Sie hängen an Hauseingängen, bau- len hindurch. Aus den Passagiersitzen Häusern machen. der und verkauften ihre Waren. Später Familie, in die er eingeheiratet hat, be- gen, dass die Arbeitsbedingungen gut meln von Balkonen, zieren jedes Stra- schauen je zwei Chinesen mit Hüten Die Altstadt von Hoi An ist über- kamen Holländer, Franzosen, Portu- treibt eine der erfolgreichsten Schnei- sind und dass da keiner mit der Peitsche ßencafé und jedes kleine Geschäft. hervor, die Smartphones und Kameras schaubar, sie besteht lediglich aus einer giesen und Inder und gründeten eigene dereien von Hoi An. Etwa 300 Schnei- steht.« Guy muss weiter, er hat einen Eine Stadt wie eine Kuschelecke. An im Anschlag. Penetrant klingeln die Handvoll Gassen entlang der Haupt- Niederlassungen. Als die Mündung des dergeschäfte gibt es insgesamt in der Termin in der Filiale in der Altstadt. Er den hellgelben Säulen eines Hausein- Fahrer Hindernisse aus dem Weg, wer straße Tran Phu. Es ist später Vormit- Flusses Thu Bon versandete, verlor die 88 MERIAN www.merian.de www.merian.de MERIAN 89
des Hochzeitsfoto – aber eben auch werden die fünf Versammlungshallen Zuhause nähen«, erklärt er. »Das muss die populärste Touristenattraktion der genannt, die chinesische Einwanderer zwar nicht schlecht sein, aber es gibt Stadt. Das Brautpaar bringt sich lä- im 18. und 19. Jahrhundert gebaut ha- keine Qualitätskontrolle, sodass die chelnd in Position, doch noch stören ben. Ihre Innenhöfe sind bepflanzt und Kleidung im Zweifel nicht lange hält.« mindestens ein Dutzend Touristen das mit Brunnen geschmückt und gehören Was er den Kunden rät? Das Wich- Bild. Der Fotograf runzelt die Stirn, zu den wenigen Plätzen, an denen nie- tigste sei, möglichst genaue Vorstellun- Braut und Bräutigam stellen sich tapfer mand etwas verkaufen will. Mit einem gen vom Wunschstück zu haben und der Mittagssonne. Sie wirken, als hätten Buch und einer Flasche Wasser kann jedes Detail mit dem Schneider vorher sie sich auf einen langen Tag eingestellt. man sich hier wunderbar von den Men- abzusprechen, auch den Preis und die Weg vom Gewusel an der Brücke, schenmassen erholen. Qualität des Materials. zweimal abbiegen, und man steht vor In der Altstadt-Filiale von »Bebe« Guy macht sich auf den Heimweg. Er dem Restaurant »Morning Glory«. Der verabschiedet Guy gegen Abend einen schiebt sich durch die Touristenströme, Gastraum ist voll besetzt, wer Glück Geschäftspartner. Seine Kolleginnen wird von einem Rikschafahrer aus dem oder eine Reservierung hat, findet auf kümmern sich derweil um ein deutsches Weg geklingelt und schüttelt den Kopf. dem Balkon Platz. Von oben betrachtet Ehepaar, das sich Anzug und Kostüm »Irgendwann wird diese Stadt zu klein Die polierte Perle unter Vietnams Städten: Noch in den achtziger Jahren verfielen Hoi Ans historische Bauten wie das Portal sehen die Menschenmassen in den Gas- machen lässt. Sie streicht sich über den für all die Menschen«, sagt er. Trotz- einer chinesischen Versammlungshalle (li.) oder die Japanische Brücke (re.), heute glänzen sie als Welterbe der Unesco sen friedlich aus, und die Chinesen gu- Rock und nickt zufrieden, er findet, dem bleibt Hoi An für ihn zauberhaft. cken aus den Rikschas wie Säuglinge aus dass sein Jackett an den Schultern noch »Außerdem gibt es hier so gut wie keine Kinderwägen. Auf dem Teller damp- nicht sitzt. Eine Schneiderin zieht es Kriminalität«, sagt er noch. »Ich kom- fen gefüllte Teigtaschen, aus dem Glas mit Stecknadeln zurecht. me aus Liverpool, da weiß man sowas duftet der Sauvignon Blanc, und die zu schätzen.« A Welt ist mehr als in Ordnung. Der nzüge sind unser Alltagsgeschäft«, Bis spät in die Nacht leuchten die Appetit reicht noch für ein Mango- erklärt Guy. »Bei uns kostet ei- Laternen. Auf den Brücken verkaufen Stadt ihren großen Standortvorteil, und die Handelsschiffe wichen aus. Touristen schwär- noch ehe sich die Augen an die Dun- kelheit gewöhnt haben, überzieht eine Törtchen im Café gegenüber. Nebenan pinselt ein junger Mann silberne Rän- ner je nach Material zwischen 140 und 280 Dollar.« Andere Schneider Händler Schwimmkerzen für einen Dollar das Stück, im Fluss wabern un- Wenn man heute die schmucken Ge- men vom Zauber der Fremdenführerin in roter Tracht die der auf zierliche Teetassen. Vielleicht in der Umgebung machen deutlich scharfe Lichtreflexe. Langsam kommt bäude in der Mittagssonne betrachtet, Besucher schon mit Informationen. sollte man doch noch ein paar Souve- günstigere Angebote, doch Guy mahnt die Stadt zur Ruhe. Und für ein paar kann man den Niedergang Hoi Ans nur Stadt. Und Hoi An Eine vietnamesische Familie habe das nirs mitnehmen? zur Vorsicht. »Die kleinen Schneide- Stunden kann man es wieder erahnen: als Glücksfall bezeichnen. Denn wahr- scheinlich hat die Altstadt nur wegen weiß: Schönheit Haus gebaut und sieben Generationen lang darin gewohnt. Die verschiede- Entlang der Hauptstraße tauchen im- mer wieder Ruheoasen auf. Hoi quan reien haben oft keine Angestellten, sondern lassen Lohnarbeiter in deren Hoi An, das verschlafene Fischerdorf, in das es Guy einst verschlug. n ihrer wirtschaftlichen Bedeutungs- ist gut fürs Geschäft nen Dachformen deuteten auf eine losigkeit das von Kriegen geprägte Mischung aus chinesischem, japani- 20. Jahrhundert so gut überstanden. Nach dem Abstieg kam der Aufstieg. Mit der Ernennung zum Unesco- Zwischen Straßenverkäufern und Cafés präsentieren sich auch einige äu- schem und vietnamesischem Baustil hin. Dann kommt der Hinweis auf den Souvenirshop weiter hinten, in den | MERIAN HOI AN Weltkulturerbe bekam Hoi An eine ßerst gepflegte Läden, ein bisschen Wandregalen stapeln sich Buddhas, ESSEN UND TRINKEN Reaching Out Teahouse ERLEBEN UND EINKAUFEN zweite Chance. Dass die Bewohner ent- öko, ein bisschen chic, eingerichtet mit Glitzerarmreifen und Essstäbchen. Aubergine 49 Das Lokal mit Innenhof ist wunderbar Ami Galerie schlossen sind, diese zu nutzen, ist of- Vintage-Holzmöbeln und geräumigen H Zehn Jahre kochte Nguyen Nhu Thinh ruhig, Reden ist unerwünscht. Das Perso- Ein Ruhepol mitten im Zentrum mit fensichtlich: Wo man hinschaut, wird Umkleidekabinen, ganz nach dem Ge- interm Haus schiebt sich der Fluss fernab der Heimat. Nun begeistert er in nal ist gehörlos, kommuniziert wird durch winzigem Café und verschiedenen etwas verkauft. Am Straßenrand sitzt schmack der Reisenden. Bei Metiseko ruhig und lattemacchiatobraun Hoi An mit europäisch-asiatischer Küche. Deuten auf beschriftete Holzklötzchen. Ausstellungen. Außerdem kann man eine Frau auf dem Boden, vor sich hat etwa gibt es schöne Bio-Baumwoll- durch die Stadt. Eine junge Viet- 49A Ly Thai To 131 Tran Phu Künstlern beim Malen zusehen. sie bunte Pop-up-Grußkarten aufge- kleidung und fair gefertigte Seidenkla- namesin am Ufer rafft den Stoff ihres www.hoian-aubergine49.com www.reachingoutvietnam.com 46 Nguyen Thai Hoc reiht. Aufgeklappt entwachsen den Kar- motten. Abgesehen vom feuchtwarmen Brautkleids hoch, um schneller gehen ten filigrane Figürchen: verzierte Tem- Klima im Innern könnte der Laden zu können. Die Frisur sitzt, das Make- Guitar Hawaii The Field Bebe Tailor pel, Drachen, Fahrräder. genauso gut in München sein. up ist perfekt, der Bräutigam adrett, Hier wird die beste Livemusik der Etwas außerhalb, aber die Taxifahrt wert: Gleich drei Filialen hat die große Vor einer Kunsthandlung ein paar Auch in der Holzbude vom Frem- und die beiden spurten ihrem Fotogra- Stadt gespielt. Die Bar wird vor allem gute vietnamesische Küche mit Blick Schneiderei. Wer will, kann die maßge- Häuser weiter steht eine kleine Men- denverkehrsamt läuft das Geschäft. fen hinterher. Ein paar Meter unterhalb von Locals besucht. auf Reisterrassen und den Fluss Thu Bon. fertigten Kleider auch per E-Mail bestellen. schentraube und schaut einem jungen Zwei zierliche Frauen verkaufen Sam- einer Brücke aus Stein und Holz stellt 3 Phan Chau Trinh, www.guitarhawaii Cam Thanh Village, Tong Van Suong 11 Hoang Dieu; 95 Phan Chau Trinh; hoian.wixsite.com/livemusicbar thefieldhoian.com/eng/ 40 Tran Hung Dao; www.bebetailor.com Mann im Streifenhemd zu, der stolz eine melkarten für die Altstadt. Für rund er den Koffer mit der Ausrüstung ab. raffinierte Murmelbahn aus Holz vor- vier Dollar kann man fünf Sehens- Chua Cau heißt die überdachte Brücke Morning Glory SCHLAFEN Galerie Couleurs d’Asie führt, die die Murmeln automatisch wie- würdigkeiten von innen anschauen. über einem Seitenarm des Flusses am Beliebtes Restaurant mit Showküche. River Suites Hoi An Hier stellt der französische der nach oben befördert. Nachgemachte Das Tan-Ky-Wohnhaus zum Beispiel, Westrand der Altstadt, sie wurde im Die Besitzerin führt auch den »Cargo Sehr zentral, dennoch mit genug Abstand Fotograf Réhahn aus. Er reist Propagandaplakate, maßgeschneiderte ein kleiner, zweistöckiger Bau, unten 16. Jahrhundert errichtet und verband Club« gegenüber, dort gibt es eine leidenschaftlich gern und hält auf zum Altstadttrubel. Moderne Zimmer, das Ledersandalen, Lampion-Bastelkurse. dunkles Holz, oben winzige, grün ver- das japanische mit dem chinesischen große Auswahl an Kuchen und Desserts. Bildern die Vielfalt Asiens fest. Personal organisiert auch Ausflüge. Was das Geldverdienen an den Touris- gitterte Fensterchen in der weißen Viertel, in Hoi An nennt man sie der 106 Nguyen Thai Hoc 4 Nguyen Du 7 Nguyen Hue ten angeht, sind die Menschen aus Hoi Wand. Eine australische Familie betritt Einfachheit halber »Japanische Brücke«. www.msvy-tastevietnam.com www.riversuiteshoian.com www.rehahnphotographer.com An hoch motiviert und enorm kreativ. das repräsentative Vorderhaus, und Sie ist der perfekte Hintergrund für je- 90 MERIAN www.merian.de www.merian.de MERIAN 91
Sie können auch lesen