"FPÖ am Ende" Die "Kronen Zeitung" und ihr hässliches Verhältnis zu den Freiheitlichen seit "Ibiza" - Freilich Magazin
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FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 1 K A PI T E L 1 DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER POLITISCHE STUDIE 2 „FPÖ am Ende“ Die „Kronen Zeitung“ und ihr hässliches Verhältnis zu den Freiheitlichen seit „Ibiza“ DE Z E M B E R 2019
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 2 K A PI T E L 1 1. Die Vorgeschichte der „Kronen Zeitung“ 2 2. Einleitung und Methodologie 4 3. Die Berichterstattung der „Krone“ nach dem Ibiza-Video 8 4. Strache als Dauerbrenner bei Wiener „Krone“ 11 5. Kampagnenfähigkeit der „Krone“ gegen die FPÖ 15 6. Liederbuchaffäre mit fabrizierten Vorwürfen 18 7. Goldfundgeschichten als Kuriositätenkabinett 22 8. Ausbleibende Positivberichterstattung 24 9. „Krone“-Journalisten schäumen auf Twitter über 28 8.1. Claus Pándi schimpft regelmäßig über FPÖ 29 8.2. Kurt Seinitz lässt sich anstecken 33 10. Fazit 36 11. Anhänge 39 11.1. Chronologie der zentralen Ereignisse 40 11.2. Quellenverzeichnis 42 2
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 3 K A PI T E L 1 D ie ursprüngliche „Kronen Zeitung“ erschien erst- mals am 2. Jänner 1900, bezog ihren Namen von ihrem damaligen, günstigen monatlichen Abonne- mentspreis und richtete sich vor allem an die „kleinen Leute“. Mit ihrer Berichterstattung zum Attentat auf den damaligen serbischen König Alexander Obrenowitsch im Jahr 1903 er- reichte sie schlagartig ein großes Publikum und war gegen Ende der Donaumonarchie eines der auflagenstärksten Blät- Foto: volkerpreusser / Alamy Stock Foto ter. Das Ende der ersten „Krone“ kam im Kriegsjahr 1944 durch die Zusammenlegung mit zwei anderen Zeitungen. Die heutige „Krone“ geht auf eine Neugründung im Jahr 1959 zurück. Hans Dichand (1921–2010), zuvor Chefredak- teur beim „Kurier“, kaufte die traditionsreichen Namens- rechte und ließ ab 11. April 1959 die „Neue Kronen Zeitung“ erscheinen, als zweiter Gründer fungierte Kurt Falk (1933– 2005), ab 1985 Chefredakteur für „Die Ganze Woche“. Maß- geblich bei der Vermittlung der Finanzierung war der SPÖ- Politiker Franz Olah (1910–2009).1 Während sich seit 60 Jahren stets 50 % der „Kronen nerellen Krise der Printmedien, welche auch die „Krone“ Zeitung“ in Händen der Familie Dichand befinden, wech- betrifft – Rückgang der Reichweite auf 27,8 % (wochentags) selte die andere Hälfte mehrmals den Besitzer. Die Anteile bzw. 33,3 % (Wochenende) – hält diese Dominanz ungebro- des ursprünglichen deutschen Finanziers Ferdinand Karpik chen an: Nach eigenen Angaben verkaufte man im ersten wanderten 1968 formell sowie nach mehreren Prozessen end- Halbjahr 2019 „wochentags mehr Exemplare als die nächsten gültig an Falk, der sich wiederum 1987 – als sich die beiden fünf Tageszeitungstitel zusammen“. Zudem sei man auch bei längst überworfen hatten – von Dichand auszahlen ließ. Für den ePapers auf dem ersten Platz.6 damals 2,2 Milliarden Schilling übernahm die WAZ Aus- Auch im Onlinebereich ist man mittlerweile zum Platz- lands Holding GmbH die Hälfte der Anteile. Wiederum 49 hirsch geworden: Mit 150,7 Mio. Aufrufen im Oktober % dieser Hälfte übernahm im November 2018 die Signa Hol- 2019 befand man sich vor deutlich vor den Angeboten des ding des Tiroler Unternehmers René Benko, womit dieser „Standard“ (129,9 Mio.) und „Österreich“ (95 Mio.)7. Hier seitdem über 24,5 % an Anteilen der „Kronen Zeitung“ hält. konnte die „Krone“ sich die Spitzenreiterposition erst in den Die Zeitung zeichnet sich traditionell durch ihr unüb- vergangenen Jahren sichern: Kam man bei den Online-Sei- liches Kleinformat aus und setzt im Blattinneren vor allem tenaufrufen noch 2014 mit 71,8 Mio. Klicks knapp hinter auf kurze Artikel. Einen wichtigen Teil nehmen dabei auch „Österreich“ (80,8 Mio.) und „Standard“ (80,3 Mio.) auf zahlreiche Meinungskolumnen verschiedener Redakteure den dritten Platz8, hatte man bis 2017 bereits fast zum „Stan- und Kommentatoren ein. Markenzeichen ist außerdem die dard“ aufgeschlossen (95,8 Mio. vs. 95,9 Mio.), „Heute“ als Fähigkeit, konzertierte mediale Kampagnen zu inszenieren, Zeitung mit der zweithöchsten Auflage kam damals nur auf sowie deren Einsatz. So betätigte sich die „Krone“ etwa als 32,1 Mio. Seitenaufrufe.9 Sprachrohr mehrerer Volksbegehren. Die anhand der Zugriffe von Unique Clients ermittelte Dies gelingt ihr auch mittels ihrer durchschlagenden Reichweite dominiert die „Krone“ derzeit ebenfalls: Hier Reichweite: Im Jahr 2016 etwa jubilierte das Blatt über eine hielt man im September bei 37 % und erreichte den ersten tägliche Reichweite von 2,278 Millionen Österreichern – Platz vor dem „Standard“ (34 %), den Bezirksblättern (33 rund 31 % der Bevölkerung. An Sonntagen stieg dies sogar %), „Österreich“ (29 %) und „Heute“ (27 %)10. Der „Stan- auf 2,824 Mio. (38,4 %). Damit erreichte sie mehr als doppelt dard“ wirbt aufgrund des Verlustes der Spitzenposition an so viele Leser wie die zweitplatzierte Zeitung.2 Dieser Um- die „Krone“ seitdem mit der längsten durchschnittlichen stand gilt auch für die tatsächliche Druckauflage: Im Jahr Verweildauer.11 So oder so – die Marktführerposition der 2017 bedeuteten 817.068 Exemplare den unangefochtenen „Krone“ sowohl im klassischen Printzeitungsmarkt als auch Spitzenplatz3 vor den beiden vergleichbaren Boulevard-Zei- beim modernen Onlineangebot verstärkt die Wirkmacht, tungen „Heute“ (605.526) und „Österreich“ (440.596), de- welche die „Krone“ unter den österreichischen Zeitungen ren Reichweite mit 13,1 bzw. 9,8 % bei einer Erhebung aus besitzt, noch zusätzlich. Dieser Umstand wird bei der gegen- dem Jahr 2014 allerdings weitaus geringer war4 und seitdem wärtigen Negativberichterstattung zulasten der FPÖ erneut sogar noch rückläufig ist (12,3 bzw. 6,3 %)5. Trotz einer ge- schlagend.
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 4 K A PI T E L 1 1. Die Vorgeschichte der „Kronen Zeitung“ 2 2. Einleitung und Methodologie 4 3. Die Berichterstattung der „Krone“ nach dem Ibiza-Video 8 4. Strache als Dauerbrenner bei Wiener „Krone“ 11 5. Kampagnenfähigkeit der „Krone“ gegen die FPÖ 15 6. Liederbuchaffäre mit fabrizierten Vorwürfen 18 7. Goldfundgeschichten als Kuriositätenkabinett 22 8. Ausbleibende Positivberichterstattung 24 9. „Krone“-Journalisten schäumen auf Twitter über 28 8.1. Claus Pándi schimpft regelmäßig über FPÖ 29 8.2. Kurt Seinitz lässt sich anstecken 33 10. Fazit 36 11. Anhänge 39 11.1. Chronologie der zentralen Ereignisse 40 11.2. Quellenverzeichnis 42 4
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 5 K A PI T E L 2 F PÖ am Ende“: Diese Schlagzeile blitzt am 18. Mai 2019 dem politisch interessierten Österreicher ent- gegen. Bundesweit drängt sie sich geradezu auf, in weißen Lettern auf schwarzem Untergrund. Dabei ist das gesamte Deckblatt der heimischen Zeitung mit der größten Reichweite, der „Kronen Zeitung“, in schwarzer Grundfarbe gehalten. Was im ersten Moment wie eine nüchterne Feststel- lung zu den brisanten Enthüllungen des Vorabends klingt, bekommt in der Nachbetrachtung einen prophetischen Anstrich. Dieser ist aber selbstredend kein Naturgewächs, sondern maßgeblich auch Resultat einer der eindrucksvolls- ten und einschlägigsten medialen Langzeitkampagnen der Zweiten Republik, welche ihren Auftakt an diesem sonnigen Samstagmorgen nimmt: Revanche pur. Dass die mächtige Boulevardzeitung ab diesem Zeit- punkt immer wieder mit eindeutiger Schlagseite über die Freiheitlichen berichtet, ist zwar ein offenes Geheimnis. In einer schnelllebigen Zeit ist die Titelseite des Vortages al- 18. Mai 2019 lerdings schnell vergessen, weshalb bei nur oberflächlicher Die „Krone“ titelt „FPÖ am Ende“ – in weißen Lettern Betrachtung kein ungebührliches Ausmaß auffallen würde: auf schwarzem Hintergrund. Trotz des Rücktrittes von Immerhin – so lernt der junge Österreicher in der Schule Strache kündigt ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz – berichten die Zeitungen über die wichtigen Themen im an, für den Herbst Neuwahlen zu planen. Land, und die Bürger haben ein Anrecht darauf, zu erfahren, was „die da oben“ eigentlich aushecken. Erfolgreiche Kam- pagnen benötigen daher zweierlei intuitiv gegensätzliche Be- standteile: Einerseits ist die Wiederholung die Mutter aller Bemühungen – und zweitens muss die Stoßrichtung auf eine auch die jeweiligen Aufstiege der Freiheitlichen von einer Art und Weise vermittelt werden, welche möglichst nieder- kleinen Honoratiorenpartei im einstelligen Prozentbereich schwelligen Infogehalt suggeriert. Hier ist das bereits traditi- zu einer Volkspartei, welche im Gefolge der langjährigen onell etablierte Erfolgsmodell von Meinungsmedien wie der blauen Galionsfiguren Jörg Haider und Heinz-Christian „Krone“, den „Küchenzuruf “ in eindrücklichen Schlagzeilen Strache mehr als ein Viertel der Wähler hinter sich ver- abzufassen, ein nützliches Vehikel. einen konnte, wurde in nicht unmaßgeblicher Art und Es ist der Anspruch des um Absatzzahlen bemühten Weise von der „Kronen Zeitung“ begleitet – über diesen Boulevards, sich als „Stimme und Stimmungsbild des Vol- Umstand herrscht weitgehender Konsens.13 Das Medium kes“ zu inszenieren. So etablierte sich in der öffentlichen stand im Ruf, auch so manches freiheitliches Leibthema zu Wahrnehmung in Österreich die Vorstellung, dass die befördern. Immer dann, wenn es etwa um direkte Demo- „Kronen Zeitung“ imstande sei, im Bereich der populären kratie oder das Migrationsthema ging, war die „Krone“ an Meinungsbildung maßgeblich einzugreifen; ein Umstand, vorderster Front dabei und wurde ihrer Vorreiterrolle und welcher bereits Anfang der Nullerjahre auch Gegenstand Kampagnenfähigkeit im medialen Sektor gerecht. Als bei einer vielbeachteten belgischen Dokumentation war. Auf der Volkspartei der frühere Außenminister Sebastian Kurz den Vorwurf angesprochen, ob die „Krone“ in der Lage die Geschicke übernahm und schließlich mit der Strache- sei, österreichische Politiker vor sich herzutreiben, mein- FPÖ eine Koalition einging, welche sich der Zustimmung te Außenpolitik-Redakteur Kurt Seinitz: „Gelegentlich der einfachen Leute weitaus mehr erfreuen konnte als ihre müssen wir einen scharfen Ordnungsruf erteilen“12 . Häu- Vorgängerin14 , war es ebenfalls oft die „Krone“, welche über fig vermochte es das Blatt, aufstrebende Akteure zu um- Vorhaben der türkis-blauen Regierung mit einem im Ver- garnen und deren Anliegen eine öffentliche Rezeption zu gleich mit weiten Teilen der übrigen etablierten Medien- verleihen. Unvergessen ist etwa jener berüchtigte „Leser- landschaft positiven Anstrich berichtete. Dann kam „Ibiza“ brief “ der SPÖ-Spitze in der „Kronen Zeitung“, welcher – und zumindest, was die Freiheitlichen anging, war nicht im Jahr 2008 zu einer Wachablöse bei den Genossen vom nur scheinbar alles anders. damaligen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hin zu Wer- Was war geschehen? Am Freitag, dem 17. Mai 2019, ner Faymann und letztendlich zu Neuwahlen führte. Aber um 18 Uhr abends hatte eine Enthüllung von „Süddeut-
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 6 K A PI T E L 2 scher Zeitung“ und „Spiegel“ eine Abfolge in Gang gesetzt, drei vier andere Personen dagegen „abservieren“. Dann, so welche die politischen Geschicke im Land auf den Kopf Straches Ibiza-Ansicht, könne das Blatt mit seiner Markt- stellen sollte. Eine in ihrer Genese bislang nicht vollstän- dominanz dafür sorgen, dass die Partei um bis zu sieben dig geklärte, aber mutmaßlich unter reger Beteiligung des Prozent höhere Wahlergebnisse einfahre. Wiener Anwalts Ramin M. und des Detektivs Julian H. er- Als einziges bislang gesichert namentlich bekanntes sonnene Videofalle aus dem Juli 2017 brachte den späteren positives Beispiel nannte Strache dabei den ehemaligen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in „Krone“-Online-Chefredakteur Richard Schmitt, welcher Erklärungsnot. Mit ihm fiel Johann Gudenus; er war zur als FPÖ-nah galt. Nach Ansicht des „Dossier“-Magazins in Zeit der Entstehung des Videos nicht-amtsführender Wie- einem Artikel vom 12. Juni 2019 hätten in der Folge des Ibi- ner Vizebürgermeister und zum Datum der Enthüllungen za-Videos „alle Krone-Journalisten mit besonderer Nähe zu der geschäftsführende FPÖ-Klubobmann im Nationalrat. Strache und der FPÖ“ gezittert, weil man dort „keine Illoya- Videomaterial im Umfang von etwa sieben Stunden doku- len“ mehr duldete.19 Tatsächlich musste Schmitt dann gehen. mentierte angeblich lückenlos das Treffen der beiden blau- Sein „Doppelpass“ mit dem FPÖ-Parteichef – er brachte en Spitzenpolitiker mit einer vermeintlichen russisch-letti- häufig Exklusivinfos aus der blauen Parteispitze, welche Stra- schen Oligarchennichte in einer Finca auf der Baleareninsel che dann über seine mittlerweile von der Partei abgedrehte Ibiza. Facebook-Seite mit über 800.000 Fans teilte – sorgte stets für hohe Reichweiten. Schmitt musste bei der „Krone“ zuerst die Chefredaktion des Onlinebereichs mit Wirkung zum 1. Köpfe rollen bei der „Krone“: Juli an den insgesamt als Chefredakteur fungierenden Klaus eine neue Einheitsmeinung Hermann abgeben20 und wechselte letztendlich Anfang Sep- tember zu „oe24“21, dem wichtigsten „Krone“-Konkurren- Aus diesem Konvolut machte in der Folge ein etwa siebenminütiger Ausschnitt von sich reden, welcher nach Ansicht der für die Recherche maßgeblichen Journalisten die brisantesten Aussagen der beiden Politiker zusammen- fasste. Zu den beiden zentralen Akteuren eines zumindest fünfköpfigen Redaktionsteams zur Bearbeitung der Ibiza- Affäre stiegen Bastian Obermayer und Frederik Obermaier (beide Journalisten bei der „Süddeutschen Zeitung“) auf. Sie veröffentlichten im August 2019 einen Bestseller mit ihren Eindrücken und Insiderinformationen zur Causa.15 Vorgespielter Anlass für das Ibiza-Treffen war der mög- liche Einstieg der „russischen Investorin“ bei der „Kronen Zeitung“ in den folgenden Wochen. In deren Besitzverhält- nissen befand sich damals unter anderem die Funke Medi- engruppe. Diese hatte inzwischen im November 2018 ins- gesamt 49 Prozent der WAZ Ausland Holding GmbH und somit 24,5 Prozent an Anteilen der „Kronen Zeitung“ an den österreichischen Investor und Immobilienspekulanten René Benko beziehungsweise dessen Signa Holding ver- äußert.16 Benko wird ein ausgeprägtes Näheverhältnis zur neuen Volkspartei unter der Führung von Sebastian Kurz nachgesagt. Angebliche Spendengebaren Benkos in Rich- tung der ÖVP werden immer wieder kolportiert17, entspre- chende Behauptungen Straches im Ibiza-Video, wonach dies neben der Volkspartei auch für die Freiheitlichen zu- treffe, dementierte Benko für beide Parteien umgehend.18 Bei den Gesprächen mit der falschen Oligarchennichte ten. Bei der Plattform handelt es sich um die Onlineausgabe stellte Strache in Aussicht, dass – weil Journalisten angeb- der Zeitung „Österreich“ des österreichischen Medienmo- lich ohnehin „die größten Huren“ seien – man lediglich guls Wolfgang Fellner, der im Vergleich zur „Krone“ ein er- drei bis vier Redakteure bei der „Krone“ „pushen“ müsse, frischend kontroverses Programm fährt.
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 7 K A PI T E L 2 Mit Bekanntwerden des Ibiza-Videos, spätestens aber mit der Degradierung Schmitts zeigte sich deutlich ein ra- dikaler Umschwung innerhalb der „Kronen Zeitung“ bei der Berichterstattung über die Freiheitlichen, sowohl im Online- als auch im Printbereich. Fiel diese zuvor neutral bis wohlwollend-kritisch aus, war die „Krone“ nun immer häufiger an vorderster Front anzutreffen, wenn es darum ging, Vorkommnisse im Vorfeld der Partei zu skandalisie- ren. Als besonderes Beispiel sticht dabei die Affäre um ein Liederbuch bei der Mittelschulverbindung des steirischen FPÖ-Nationalratsabgeordneten Wolfgang Zanger hervor. Ende Oktober 2019, vor den steirischen Landtagswahlen, kam dieser „Skandal“ erst durch Veröffentlichungen der „Kronen Zeitung“ ins Rollen, wobei auch hier deutlich tendenziöse Berichterstattung vorherrschte. Die vorliegende Studie soll die neue Linie des reich- Foto: Claus Pándi (@Claus_Pandi) / Twitter weitenstarken Blattes in Bezug auf die Freiheitlichen do- kumentieren. Sie zeichnet den Zeitraum etwa eines halben Jahres (17. Mai bis 25. November 2019) nach. Dabei gilt ein besonderes Augenmerk nicht nur der unmittelbaren Berichterstattung über „Ibiza“ und die Folgen, sondern auch der Kampagnenfähigkeit des Blattes – insbesondere im Zuge der „Spesenaffäre“ im September und der „Lieder- buchaffäre“ im Oktober. Außerdem wird herausgestellt, mit welcher Häufigkeit der ehemalige Parteichef Heinz- Christian Strache selbst Gegenstand prominenter Bericht- erstattung bleibt, obwohl er aus dem tagespolitischen Ge- Claus Pándi schäft bereits seit Monaten weitestgehend ausgeschieden Claus Pándi, 1966 in Wien als Sohn ungarischer Flücht- ist. Weiters setzt sich die Studie mit der Häufigkeit negati- linge geboren, ist ebenfalls seit den 1980er-Jahren für ver Berichterstattung auseinander, auch anhand der Histo- die „Krone“ tätig. Obwohl er ab 1987 an der großen Auf- rie einzelner hochrangiger Redakteure, die als Akteure im gabe scheiterte, dem Blatt auch in Vorarlberg eine nen- Bereich sozialer Medien um die „Krone“ mit vorwiegend nenswerte Reichweite zu verschaffen, hielt sein Entde- negativer Einstellung eine nicht zu unterschätzende Rolle cker Hans Dichand an ihm fest. Über Jahre leitete Pándi spielen. das Chronik-Ressort, ehe er 2009 zum Leiter des Innen- Dabei sei darauf hingewiesen, dass die folgenden Aus- politik-Ressorts aufstieg, welches er bis 2018 führte. führungen keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit er- Es folgte die Rochade nach Salzburg, wo er seitdem als heben. Das vorliegende Werk beabsichtigt, insbesondere Chefredakteur der Regionalausgabe fungiert. Tendenzen, Methoden und Systematiken illustrativ auf- Ein persönliches Näheverhältnis verband ihn mit zuzeigen. Dafür war es an manchen Stellen notwendig, dem Ex-SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann, welchen lediglich die offensichtlichsten Entwicklungen, Vorwürfe er bereits seit seinen ersten Schritten in der Politik kann- und Kampagnen nachzuzeichnen sowie sich auf die präg- te und mit dessen Pressesprecherin Pándi zeitweise in nantesten Akteure zu konzentrieren. Die Vollständigkeit zweiter Ehe verheiratet war. Schon vor dem Bekannt- der Kehrtwende in der Berichterstattung gegenüber der werden des Ibiza-Videos gehörte Pándi zu den größten FPÖ wird zweifellos dennoch offensichtlich werden. In der FPÖ-Kritikern innerhalb der „Kronen Zeitung“ – ein Pro- Auflistung wurde großer Wert darauf gelegt, die Abfolge fil, welches er im Nachgang der Affäre noch maßgeblich des Auftretens so weit als möglich beizubehalten, wobei zu schärfen wusste. es aufgrund nebeneinander bestehender Schauplätze im Ausnahmefall nötig war, die jeweiligen Chronologien sich überschneiden zu lassen sowie einzelne Punkte zur besse- ren Illustration außerhalb ihrer zeitlichen Abfolge darzu- stellen.
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 8 K A PI T E L 1 1. Die Vorgeschichte der „Kronen Zeitung“ 2 2. Einleitung und Methodologie 4 3. Die Berichterstattung der „Krone“ nach dem Ibiza-Video 8 4. Strache als Dauerbrenner bei Wiener „Krone“ 11 5. Kampagnenfähigkeit der „Krone“ gegen die FPÖ 15 6. Liederbuchaffäre mit fabrizierten Vorwürfen 18 7. Goldfundgeschichten als Kuriositätenkabinett 22 8. Ausbleibende Positivberichterstattung 24 9. „Krone“-Journalisten schäumen auf Twitter über 28 8.1. Claus Pándi schimpft regelmäßig über FPÖ 29 8.2. Kurt Seinitz lässt sich anstecken 33 10. Fazit 36 11. Anhänge 39 11.1. Chronologie der zentralen Ereignisse 40 11.2. Quellenverzeichnis 42 8
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 9 K A PI T E L 3 E ines der eindrucksvollsten Beispiele dieses Paradig- menwechsels in der „Krone“ zeigte sich, wie ein- gangs bereits erwähnt, schon am Tag nach dem Be- kanntwerden des Ibiza-Videos. Am Samstag, dem 18. Mai 2019, veröffentlichte die „Krone“ österreichweit das Deck- blatt mit der Schlagzeile „FPÖ am Ende“. Dabei machte das Boulevardblatt keinen Hehl daraus, alles andere als neutral berichten zu wollen. Was HC Strache in Ibiza gesagt hatte, wurde als Angriff auf die Souveränität – beziehungsweise die „Unabhängigkeit und Unkäuflichkeit“ – des eigenen Blattes verstanden. Das Cover sprach sogar von einem „Komplott“. Die Klarheit und Einseitigkeit der Aussage be- stach dabei ebenso wie die klare Bildsprache; die Kombina- tion entfaltete eine große Wirkmacht. 22 In den folgenden Tagen legte der Boulevard noch nach: Das beschlossene Ende der Koalition wurde am 19. Mai mit den Worten „Das war’s“ kombiniert, wobei die Fotomon- tage einen zerknirscht schauenden Strache vor einer staats- männisch anmutenden Profilaufnahme von ÖVP-Kurz zeigte. 23 Im Blattinneren bat man unter anderem den prin- zipiell für seine zumeist nüchtern-neutralen Erhebungen bekannten Politologen Peter Filzmaier zur Analyse, welcher nicht an markigen Aussagen sparte: Strache habe die FPÖ „in die Luft gesprengt“. Mit „ausländischer Hilfe“ habe er die „Krone“ „kapern“ wollen – und sich damit verhalten wie ein „Möchtegern-Diktator“. Die Ablenkungen der Par- tei davon seien „Nebelgranaten“, denn das Video habe ein „Sittengemälde“ erstellt, wonch „Kurz bei der Partnerwahl ins Klo gegriffen“ habe. 24 Die Kampagne läuft warm: Sachlichkeit bleibt völlig aus Am 20. Mai – noch Stunden vor der Pressekonferenz des designierten neuen FPÖ-Chefs Norbert Hofer und des damals noch amtierenden Innenministers Herbert Kickl – titelte die Zeitung, dass Kurz der Ägide des Letzteren ein Ende bereiten wolle. Weitere Schlagzeilen auf dem Titel- blatt ließen dabei jegliche Neutralität vermissen: Dort war von „Neuen Enthüllungen im FPÖ-Skandal“ die Rede – die ganze Partei war also mitgemeint. Außerdem betitelte man dort angebliche Überlegungen, wonach Strache schon Pläne für einen Antritt bei der Wien-Wahl 2020 habe, als „Schnapsidee“. 25 Im Blattinneren nahm der keineswegs als Meinungsbeitrag gekennzeichnete Beitrag eine vernichten- de und untergriffige Bewertung des soeben als langjähriger Parteichef zurückgetretenen Strache vor: „In dem Ibiza-Video beweist Heinz-Christian Strache, dass ihm die Macht wichtiger ist als die Menschen, die er vertreten sollte. Auch von der Mär des ‚Vertreters des kleinen Mannes‘ ist
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 10 K A PI T E L 3 nicht viel geblieben. HC ist nicht der Bierzelt-Kumpel, für den nisse über die Hintergründe des Ibiza-Videos. Dass die man ihn halten sollte. Er ist ein Oli-garchenfreund, der sich „Krone“ eine Studentin als möglichen Lockvogel in Tar- auf Milliardärs-Jachten pudelwohl fühlt und bei Abendessen, nung der Oligarchennichte als „Venusfalle“ bezeichnete31, die das Doppelte der Mindestsicherung kosten. Und in seiner dürfte auch keinen Zufall darstellen: Im nachrichtendienst- Machtgier kann er nicht loslassen […].“ 26 lichen Sprachgebraucht bezeichnet dieses Wort nämlich den Nachdem die Ablöse von Innenminister Kickl – und Einsatz von weiblichen Ködern, die ihre körperlichen Reize der daraufhin ausgemachte Abzug der übrigen blauen Mi- einsetzen sollen, um Informationen abzugreifen. Weitere nister aus der Regierung – eine beschlossene Sache war, zwei Tage später, am 29. Mai, zwei Tage nach seiner Abwahl konnte die „Krone“ sich auch am Dienstag, dem 21. Mai als Bundeskanzler, durfte zur Abwechslung Sebastian Kurz 2019, eine gewisse Häme nicht verkneifen. Ein unvorteil- haftes Bild des Innenressortchefs wurde mit den Worten „Kickl muss gehen … und alle FPÖ-Minister gehen mit“ umrahmt. In der Bildunterschrift kommentierte man die- sen Umstand mit den Worten: „Zack, zack, zack – da war der Innenminister weg“. 27 Im Artikel selbst suggerierte die Wortwahl eine Notwendigkeit: Kurz würde die „Reißlei- ne“ ziehen und Kickl „kaltstellen“. Die folgenden Absätze transportierten umfangreich die Darstellung des Kanzlers und wurden in der Onlineversion von der Einbettung der vollen Länge von dessen mehr als zehnminütiger Rede be- gleitet. Die FPÖ-Entgegnungen, welche es auch nicht in den Anriss des Beitrages schafften, kamen erst zum Ende vor. 28 Insgesamt beschäftigte sich das Blatt an diesem Tag auf nicht weniger als 14 Seiten mit der Regierungskrise. „Krone“-Chef schnappt über: Vergleich mit Anschluss Nachdem sich die „Krone“ dann einige Tage einigerma- ßen neutral gab, war es just der 26. Mai 2019, also der Tag 20. Mai 2019 der EU-Wahl in Österreich, an dem man „Schicksalstage Die „Krone“ zeichnet die Stoßrichtung der folgenden Monate für Österreich“ heraufbeschwor. Die eigene Erwähnung im vor: Ibiza wird zum „FPÖ-Skandal“, und mögliche Pläne Strache-Video wurde dabei sogar zum „Kampf um die Ver- Straches über einen Antritt bei der Wien-Wahl gelten – wenig teidigung der Pressefreiheit“. 29 Schlug man das Blatt auf, neutral – als „Schnapsidee“. blickte man sofort auf einen Leitartikel von Chefredakteur Klaus Hermann. Dieser zitierte darin zum Einstieg aus einem Artikel in der linksliberalen – oder, in seinen Wor- ten, „renommierten“ – „Zeit“. Dort attestierte der Medien- wissenschaftler Bernhard Pörksen dem gefallenen blauen als Aufmacher dienen – mit der staatsmännischen Aussage, Parteichef, er habe den „totalitären Traum von einer ‚Or- er würde „alles wieder so machen“.32 banisierung‘ der Medienlandschaft geträumt und sich mit Gerade dieses letzte Beispiel – dem zu diesem Zeitpunkt seinen FPÖ-Truppen dem Kampf gegen den unabhängigen ersten per Misstrauensantrag abgewählten und jüngsten Journalismus verschrieben“. Hermann selbst unterstellte Altkanzler prominent das „letzte Wort“ einzuräumen, wäh- Strache „Allmachtsfantasien“ und einen „Cäsarenwahn“, rend dessen ehemaliger Koalitionspartner neben dem be- mit welchem dieser die „Krone“ habe „verschachern“ und reits angerichteten Schaden beinahe ausschließlich negativ „blaue Parteisoldaten“ in die Redaktion habe „einreiten“ dargestellt wurde – zeichnete dabei nicht nur eine Tendenz lassen wollen. Bei letzterer Vorstellung zog Hermann so- der folgenden Monate vor, sondern sollte in der Wirkung gar einen Vergleich zum Anschluss Österreichs an Hitler- auf die öffentliche Meinungsbildung gerade angesichts der deutschland – wohlgemerkt am Tag einer Bundeswahl.30 verwirrenden und nicht immer überschaubaren Ereignisse Am Tag nach der Wahl gab es schließlich neue Erkennt- der Vortage nicht unterschätzt werden.
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 11 K A PI T E L 1 1. Die Vorgeschichte der „Kronen Zeitung“ 2 2. Einleitung und Methodologie 4 3. Die Berichterstattung der „Krone“ nach dem Ibiza-Video 8 4. Strache als Dauerbrenner bei Wiener „Krone“ 11 5. Kampagnenfähigkeit der „Krone“ gegen die FPÖ 15 6. Liederbuchaffäre mit fabrizierten Vorwürfen 18 7. Goldfundgeschichten als Kuriositätenkabinett 22 8. Ausbleibende Positivberichterstattung 24 9. „Krone“-Journalisten schäumen auf Twitter über 28 8.1. Claus Pándi schimpft regelmäßig über FPÖ 29 8.2. Kurt Seinitz lässt sich anstecken 33 10. Fazit 36 11. Anhänge 39 11.1. Chronologie der zentralen Ereignisse 40 11.2. Quellenverzeichnis 42 11
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 12 K A PI T E L 4 O bwohl Heinz-Christian Strache bereits am Tag unter anderem Wien obendrein mit einem Brennpunktarti- nach dem Bekanntwerden des Videos sämtliche kel zu Spielsüchtigen warb.51 Trotz der ungemein polarisie- politischen Funktionen zurückgelegt hatte, blieb er renden Schlagzeile war der eigentliche Artikel dann erstaun- weiterhin ein beliebtes Thema für die „Krone“, um damit die lich ausgewogen und fair.52 Titelseiten zu schmücken. Besonders die Wiener Ausgabe, Trotzdem folgte am nächsten Tag in einigen Ausgaben – die häufig als Leitausgabe für zahlreiche Bundesländer-Ver- einschließlich der Wiener53 – die nächste Filzmaier-Analyse sionen gilt, tat sich dabei hervor. Das galt sogar hinsichtlich als Hauptschlagzeile. Darin erklärte dieser – einen Tag vor bundesweit (nahezu) einheitlicher Deckblätter: Beispielswei- dem ORF-Sommergespräch mit Norbert Hofer – kurzer- se verwendete auch die Grazer Ausgabe33 vom 5. Juni 2019 hand Strache und Kickl zu „Problemkindern“ der Partei.54 eine neuerliche Lageanalyse der FPÖ von Peter Filzmaier als Während es bei Kickl vor allem um die Frage ging, ob dieser Aufmacher. Dafür nahm die Wiener Version zusätzlich eine auch nach der Wahl noch ein Regierungsamt besetzen solle, Klage von Ex-SPÖ-Chef Christian Kern wegen Aussagen aus durfte bei Strache wieder einmal das Ibiza-Video herhalten: dem Ibiza-Video als Schlagzeile.34 Im Artikel wurden diese Habe dieser doch bei seiner „moralischen Bankrotterklä- als „abstruse und substanzlose Anschuldigungen“ verkauft, rung“ auch Medien „in ordinärster Form beschimpft“. Dass welche Strache „neben allen Korruptions-Avancen“ auf Ibiza sich wiederum tags darauf (20. August) angeblich die Behör- zum Besten gegeben habe.35 den darüber streiten sollten, wer Straches Handy überprüfen Ähnlich verhielt es sich am 15. Juni, als die Steirer-„Kro- dürfe, war – wie sollte es anders sein – in Wien neuerlich die ne“36 im Gegensatz zur Wiener Schwester darauf verzichte- Aufmacher-Schlagzeile55, während dieses Thema in Graz56 te, das Antreten von HC Straches Ehefrau Philippa auf der und Linz57 nicht einmal auf dem Titelblatt landete. Ein an- Wiener FPÖ-Landesliste als „Postenschacher à la FPÖ“ zu geblicher „blauer Rosenkrieg“ zwischen Hofer und Strache bezeichnen37, und bei der Schlagzeile „Trotz Ibiza kann es fand sich weitere zwei Tage später am 22. August 2019 als Ex-FPÖ-Chef nicht lassen: Strache möchte bei Wien-Wahl untergeordnete Schlagzeile links unten.58 antreten“ am 18. Juni 2019.38 Auch am 26. Juni39 und 9. Juli40 Die Personalie Strache war der Wiener „Krone“ dann waren Strache-Geschichten auf dem Wiener Titelblatt zu auch im September regelmäßig das Deckblatt wert – sogar, finden. Am 20. Juli bemüßigte man sich, als einzige Ausga- wenn es sich am 8. September nur um die Feststellung han- be „nicht ganz ernst gemeinte“ Urlaubstipps für Strache auf delte, dass ein Ermittler der „Soko Ibiza“ abgezogen worden Ibiza auf die Titelseite zu setzen.41 Am 10. August diente ein Interview mit dem russischen Sender Russia Today als An- lass, das Ibiza-Video als Beweis dafür, „wie innig Straches Be- ziehungen zu Russland“ seien, erneut ins Gespräch zu brin- gen.42 Auch hier ein Fall für das Wiener Titelblatt43 – diesmal allerdings neben anderen Länderausgaben einschließlich der Steirer-„Krone“.44 Stets im „Krone“-Visier: die Freiheitlichen als Ganzes Zum Aufmacher brachte Strache es dann bereits am 14. August 2019 wieder – anlässlich der Hausdurchsuchungen wegen der „Casinoaffäre“, diesmal wiederum als bundesweite Schlagzeile. Im Übertitel erklärte die „Krone“ dabei, es gehe um „Postenschacher für Glücksspielgesetz“.45 Zwei Tage spä- ter, als man die Debatte zum Anlass nahm, das „Sittenbild“ der FPÖ und ihr „Verhältnis zur Spielindustrie“ zu behan- deln46, scherten einzig die Steiermark47 und Oberösterreich48 aus und nahmen das Thema nicht als oberste untergeordnete 15. Juni 2019 Schlagzeile. Als es um Straches Stellungnahme zu den Raz- Die Krone bezeichnet die Kandidatur von Philippa Strache zien ging, unterstellten ihm sämtliche Deckblätter, „wild um auf der Landesliste als „Postenschacher à la FPÖ“. sich“ zu schlagen – in der Steiermark49 und Tirol50 als unter- geordnete Schlagzeile, überall sonst als Aufmacher, wobei
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 13 K A PI T E L 4 sei, weil er Strache eine aufmunternde SMS geschickt habe.59 desländer, einschließlich Wien73; Oberösterreich74 und die 60 Danach wurde es relativ ruhig um Strache als Aufmacher Steiermark75 verzichteten erneut. In Wien legte man in der – erst am 24. September, als die „Spesenaffäre“ bereits einen Abendausgabe sogar noch einmal nach und unterstellte, dass Tag alt war, zierte er die Wiener Ausgabe61 wieder in einer die Partei vor „Straches Rache“ zittere.76 Fast folgerichtig wa- untergeordneten Schlagzeile: „Spesenritter Strache im ren die Straches auch am 9. Oktober erneut die Hauptschlag- Visier der Ermittler“. 62 Dass sich sein Ex-Leibwächter auf- zeile: „Er will klagen, sie könnte Mandat behalten: Straches grund der Causa in Haft befinde, reichte die „Krone“ noch stürzen die FPÖ ins Chaos.“ 77 Im Blattinneren beschwor am Vormittag online nach63 – sowie in der Wiener Print- die Journalistin Doris Vettermann dabei „dunkle Wolken“, Abendausgabe. 64 die sich über dem „blauen Himmel“ zusammenbrauten. Sie In der Onlineversion ließ das Wording „Ibiza-Knallef- raunte, dass es aufgrund der Causa in der Partei „gewaltig fekt […]“ vermuten, dass die Zeitung eine Verbindung zur brodelt“.78 In Wien kam der Streit um Frau Straches Mandat früheren Affäre herstellen wollte. Am Folgetag kristallisierte dann auch in der Abendausgabe79 vor – und am 10. Oktober sich heraus, dass die neuen Enthüllungen auch eine eigene ebenso in der regulären80 sowie der Abendausgabe81. Geschichte trugen. In der Abendausgabe65 titelte man als Philippa Strache, ihr Mandat sowie ihre mutmaßliche In- Hauptschlagzeile: „Straches Ex-Bodyguard belastet die Frei- volvierung in die „Spendenaffäre“ fanden sich dann auch am heitlichen: Die FPÖ zittert vor ‚Lebensbeichte‘“. Der Artikel Sonntag, dem 13. Oktober, auf dem Titelblatt82 – und dien- selbst versuchte, die Partei als Ganzes mit hinein zu ziehen – die Rede ist etwa von einer „FPÖ-Tradition üppiger Spesen- konten“.66 Die Kampagnenfähigkeit der „Krone“ in diesen Tagen wird unten genauer beleuchtet werden. Fast täglich Titelseite: die Straches als Daueraufhänger Auch nach der Wahl köderte die Wiener „Krone“ die Leserschaft weiterhin mit der Personalie HC Strache. Dabei war völlig egal, ob es sich um dessen angekündigten Rückzug aus der Politik noch in der Abendausgabe des 1. Oktober67 handelte oder um die weitere Entwicklung seines Abschie- des. Diesen begleitete man online mit dem suggestiv betitel- ten Artikel „Ex-FPÖ-Chef Strache – Außer Spesen nichts gewesen“68. Darin rechnete man mit dem angeblich ohne- hin „wegen seiner Vergangenheit im rechtsextremen Milieu umstrittenen“ ehemaligen Vizekanzler ab. Dieser habe be- kanntlich „Staatsaufträge und die Krone […] verscherbeln“ wollen. Seine Frau habe er mit ihrer Kandidatur zum „Bröt- chenbringer“ deklariert. Dabei vertiefte man den Werdegang des Ex-Parteichefs erneut, teilte das 2007 geleakte Bild eines etwa 18-jährigen Strache in Tarnuniform und mit Gewehr bei angeblichen „Wehrsportübungen in seiner Jugend“. Der Artikel unterstellte Strache sogar, eine treibende Kraft hinter Knittelfeld sowie der Abspaltung des BZÖ gewesen zu sein. Erst daraufhin wird der Verlauf seiner politischen Karriere versöhnlicher dargestellt. Apropos „Brötchenbringer“: Auch das Hickhack über das Mandat seiner ebenfalls in der „Spesenaffäre“ implizierten Ehefrau tauchte am 7. Oktober auf der Titelseite auf – neben Wien69 allerdings nur in Tirol79, Vorarlberg71 und im Burgen- land72 . Ihr vermeintlich verhinderter Einzug schaffte es dann auch am Folgetag auf die Titelseite in der Mehrzahl der Bun-
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 14 K A PI T E L 4 ten am 14. Oktober als Aufmacher der Abendausgabe83 sowie mit identem Wortlaut als untergeordnete Schlagzeile auf der Titelseite der regulären Ausgabe am Folgemorgen84. Wenig verwunderlich landete dort am 20. Oktober auch der Streit um die Facebook-Seite des Ex-Vizekanzlers85 – in Salzburg86, Oberösterreich87 und der Steiermark88 schaffte es hingegen Foto: Franz Perc / Alamy Stock Foto auch diese Meldung nicht auf die erste Seite. Auch der Raus- wurf aus der Partei schaffte es am 24. Oktober in Wien auf die Titelseite89 – in der Steiermark90 passte man erneut, dies- mal zudem in Vorarlberg 91 und Tirol92 . Der öffentliche Politiker: das Handy als „wahre Fundgrube“ Heinz-Christian Strache Auch am 25.93 und 26.94 Oktober landete der blaue Ex- Heinz-Christian Strache wurde 1969 in Wien geboren Parteichef auf der Wiener Vorderseite. Außerdem am 30. und wuchs in der Bundeshauptstadt auf. Bereits früh in- Oktober 95 und zumindest mittelbar am 31. Oktober 96 traf teressierte er sich für das patriotische Lager und trat mit dieser Befund zu. Am 14. November – also nur drei Tage, 15 Jahren in die Wiener pennale Burschenschaft Vanda- bevor die Stadtzeitung „Falter“97 umfangreiche Chatproto- lia ein. Nach einem jugendlichen Ausflug ins prononciert kolle zur Postenvergabe in der „Casinoaffäre“ veröffentlich- nationale Lager engagierte Strache sich für die Freiheit- te – schrieb die Wiener „Krone“ in ihrer Abendausgabe98, lichen, wurde 1991 mit nur 21 Jahren jüngster Bezirksrat dass Straches Handy eine „wahre Fundgrube“ für Ermittler in Wien und zog 1996 in den Wiener Landtag ein. sei.99 Am selben Tag beschäftigte sich ein Onlineartikel mit Ab 2004 war er zudem Landesobmann der Wiener FPÖ; einem Prozess, in dem es darum ging, ob Strache den He- am 23. April 2005 wurde er zum Bundesparteiobmann gekürt – eine Funktion, welche er bis zum 18. Mai 2019 rausgeber der Zeitung „Österreich“, Wolfgang Fellner, im bekleidete, dem Tag nach der Veröffentlichung des Ibi- Ibiza-Video als „Schneebrunzer“ bezeichnet habe. Die Aus- za-Videos. Von Dezember 2017 bis Mai 2019 war er Vize- sage Straches, dass er sich aufgrund mangelnder Nüchtern- kanzler und Bundesminister für öffentlichen Dienst und heit nicht erinnern könne, schaffte es in den Untertitel.100 Sport in der Bundesregierung Kurz. Selbst das letzte Titelblatt im untersuchten Zeitraum – je- Seine politische Karriere fand durch das Bekanntwer- nes vom 25. November – wartete wieder mit einer unter- den seiner Aussagen im Ibiza-Video vorerst ein jähes geordneten Strache-Schlagzeile auf, und zwar mit dessen Ende. Mit Wirkung zum 1. Oktober 2019 stellte er seine Angebot via Facebook, wieder die Wiener Stadtpartei zu Mitgliedschaft in der FPÖ ruhend, bzw. suspendierte übernehmen.101 Oberösterreich102 , die Steiermark103, Salz- diese ihn in der Folge. Seine zentrale Rolle bei „Ibiza“, burg104 und Tirol105 verzichteten in ihren Regionalausgaben der „Spesenaffäre“ und der „Casinoaffäre“ machte ihn darauf. allerdings auch über sein politisches Wirken hinaus zum Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die „Kro- Gegenstand regelmäßiger Berichterstattung, wobei ins- nen Zeitung“ im untersuchten Zeitraum die Personalie besondere die „Kronen Zeitung“ sich weiterhin auf den Strache vermehrt als Aufmacher und/oder zentrale Schlag- Ex-Parteichef einschießt. zeile verwendete – und zwar weit mehr, als Strache wirk- lich Gegenstand öffentlicher Debatte war. Zwar mag die Konzentration auf Wien – als einzige Regionalausgabe lässt die Hauptstadtversion keine einzige derartige Gelegenheit aus – auch mit dem Wohnort des Betroffenen und seinen politischen Wurzeln in der Bundeshauptstadt zu tun ha- ben. Dennoch ist die Häufung angesichts des fortwähren- den internen Zwists zwischen Strache und Partei auffällig; die konsequente Bespielung der auch für die Bundespolitik nicht unwichtigen Wiener Ausgabe mit der Strache-Thema- tik legt nahe, dass der Eindruck der Uneinigkeit innerhalb der Partei möglichst eindringlich vermittelt werden sollte.
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 15 K A PI T E L 1 1. Die Vorgeschichte der „Kronen Zeitung“ 2 2. Einleitung und Methodologie 4 3. Die Berichterstattung der „Krone“ nach dem Ibiza-Video 8 4. Strache als Dauerbrenner bei Wiener „Krone“ 11 5. Kampagnenfähigkeit der „Krone“ gegen die FPÖ 15 6. Liederbuchaffäre mit fabrizierten Vorwürfen 18 7. Goldfundgeschichten als Kuriositätenkabinett 22 8. Ausbleibende Positivberichterstattung 24 9. „Krone“-Journalisten schäumen auf Twitter über 28 8.1. Claus Pándi schimpft regelmäßig über FPÖ 29 8.2. Kurt Seinitz lässt sich anstecken 33 10. Fazit 36 11. Anhänge 39 11.1. Chronologie der zentralen Ereignisse 40 11.2. Quellenverzeichnis 42 15
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 16 K A PI T E L 5 N eben der ständigen Bespielung des Strache-Themas zeigte sich in mehreren zeitlich auseinander lie- genden Fällen auch, dass die „Kronen Zeitung“ als bundesweite Marktführerin maßgeblich daran beteiligt war, die öffentliche Meinung über die FPÖ zu beeinflussen. Be- sonders auffällig war dies unter anderem bei der Entwicklung der „Spesenaffäre“ in der Woche vor der Nationalratswahl sowie bei der „Liederbuchaffäre“ um den steirischen Abge- ordneten Wolfgang Zanger zum Monatswechsel Oktober/ November. Nach dem omnipräsenten „Ibiza“-Thema wurde eine der- artige Dynamik erstmals wieder bei einem regionalen Test- lauf in Oberösterreich Anfang September offensichtlich. Nach 100 Tagen im Amt gab der für Elmar Podgorschek als Landesrat nachgerückte Wolfgang Klinger der „Krone“ ein Interview. Seinen aus dem Kontext gerissenen Sager, wonach „Mischkulturen […] kein Vorteil“ seien, brachte die „Krone“ am 1. September im linken unteren Eck der Titelseite. Nach- dem sich bundesweite Empörung daran entzündet hatte, war die Causa am nächsten Tag sogar Aufmacher. Die oberöster- reichische „Krone“ titelte: „Landesrat muss abberufen wer- den“106 – zwar als Zitat, allerdings ohne auszuführen, wer da- mit überhaupt zitiert wurde. Die wichtige Wiener Ausgabe hingegen erwähnte den Umstand auf ihrem Titelblatt nur beiläufig: „Zwei blaue Landespolitiker mit aufsehenerregen- den Sagern“.107 Ursula Stenzel im Fadenkreuz: Freiheitliche blieben standhaft Bereits die Folgewoche bot die nächste Möglichkeit, sich auf eine blaue Funktionsträgerin einzuschießen. Denn der Umstand, dass die Wiener FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel bei einem Gedenken in Wien auftrat, dessen Organisations- komitee auch Mitglieder der Identitären angehörten, schaffte 9.–10. September 2019 es in der Bundeshauptstadt gleich mehrfach als Aufmacher Der Auftritt der FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel bei einer auf die Titelseite. Am 9. September hieß es: „Nach Stenzel- Gedenkveranstaltung, deren Organisationskomitee auch Rede Druck im Parlament: VP will Identitäre sofort verbie- Identitäre angehörten, sorgt in Online- und Print-„Krone“ für ten“.108 Am nächsten Tag109 wiederholte sich das Muster der Aufregung, ist zweimal auf dem Titelblatt. Auch hier wird die Vorwoche aus Oberösterreich – indem die „Krone“ die be- Personalfrage prominent auf der ersten Seite gestellt. troffene Personalie infrage stellte: „FPÖ hält weiter an Sten- zel fest“110. In der Onlineausgabe berichtete man schon am 8. September über den Vorfall und unterstellte „Entsetzen über Stenzel“.111 Auffällig ist in beiden Fällen, dass die Überschrif- tuell, aus den Schlagzeilen zu kommen, indem man den maß- ten weitaus reißerischer waren als die jeweiligen Artikel, wel- geblichen Akteuren Rückendeckung zusicherte, weshalb die che weitgehend nur unterschiedliche Stellungnahmen gegen- gegen das blaue Personal lancierten Kampagnen ihre Wirk- überstellten. Als „Küchenzuruf “ blieb freilich dennoch die samkeit nur sekundär entfalten konnten. Der Imageschaden Schlagzeile übrig, welche gerade im Fall der Titelschlagzeilen war trotzdem angerichtet. sogar noch über das tatsächliche Leserpotenzial der „Krone“ Ihre volle Wirkmacht entfalteten diese medialen Gestal- hinausgeht. In beiden Fällen schaffte es die Partei aber punk- tungsmöglichkeiten dann erst bei zwei späteren Fällen, wel-
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 17 K A PI T E L 5 che eine größere Tragweite besaßen. Dies betraf zum einen „sogar seinen Gartenzaun auf Parteikosten errichten“ habe die „Spesenaffäre“, welche in der Woche vor der National- lassen. Dass die Schutzmauer nötig und auf Behördenemp- ratswahl den medialen Raum dominierte. Nach den bereits fehlung errichtet worden war, weil Hofer im Wahlkampf erwähnten Ausgangsberichten legte die „Krone“ regelmäßig zur Bundespräsidentenwahl 2016 Morddrohungen erhal- nach, und zwar sowohl auf der Titelseite als auch im Blatt- ten hatte119, erwähnte das Blatt an dieser Stelle nicht. Erst inneren sowie im Onlinebereich. Dabei ist auffällig, dass ein Onlineartikel am Vormittag klärte darüber auf, dass – obwohl sich die Thematik auf den bereits von allen Funk- Hofer seine alte Thujenhecke bevorzugt hätte. Aber auch tionen entbundenen Strache konzentrierte – am Beispiel des dieser Artikel kam nicht ohne den Hinweis aus, dass es ge- Einzelnen die ganze Partei impliziert werden sollte. So titelte gen Strache Ermittlungen gebe, wegen „möglicher falscher die „Krone“ etwa am 26. September, drei Tage vor der Wahl: Rechnungen zu seinem üppigen Lebensstil“.120 „Geständnis des Ex-Bodyguards lässt FPÖ zittern: Droht Strache jetzt sogar Haft?“112 Die Partei sollte sich dabei laut Artikel vor nicht näher bezeichneten „schmutzigen Enthül- lungen“ fürchten. Strache sollte sich „üppige Spesenkonten“ und einen „kostspieligen privaten Lebensstil“ gegönnt ha- ben.113 Wiewohl diese beiden suggestiven Formulierungen in der Onlineausgabe auf jeweilige Vorberichterstattung114 115 verwiesen, stachen sie dem Leser sofort ins Auge – darüber, ob es sich um einen Zufall oder geplante Irreführung handel- te, lässt sich allerdings angesichts der Verbreitung derartiger Praktiken bestenfalls spekulieren. Dass die „Spesenaffäre“ ein Auftrag sei, die Partei nicht mehr zu wählen, machte die „Krone“ ebenfalls klar, indem sie einen blauen „Kult-Fan“ aus Kärnten zu Wort kommen ließ, dessen Verständnis für die Eskapaden begrenzt war: „Die FPÖ wähle ich nicht mehr“, verkündete er laut Über- schrift eines Onlineartikels, der es auch auf das Cover der Wiener Abendausgabe schaffte.116 Der Mann, der laut Ar- tikel ein besonders nahes Verhältnis zum Andenken an den verstorbenen ehemaligen FPÖ- und späteren BZÖ-Chef Jörg Haider pflege, sollte als Beispiel für die Stimme des Volkes dienen und deklarierte: „Die FPÖ ist nur noch eine Kasperl- partei in meinen Augen. Da ist keiner mehr bei der Sache. Und der Strache schadet nur noch der Partei.“117 Kein Ende, niemals: „Krone“ im Zerstörungswahn Auch am 27. September war die Partei das Leitthema der „Krone“. Bundesweite Titelschlagzeile: „Untreue-Vor- wurf gegen Strache, aber Partei hält noch still – FPÖ: Nach der Wahl wird abgerechnet“.118 Der groß angekündigte Be- richt fiel dann neuerlich durch markige Wortwahl auf: Der Skandal um die „unfassbaren Spesenbezüge“ von Strache erschüttere die Partei „in ihren Grundfesten“. Man pro- phezeite, dass die Causa die Partei „sicher ein paar Prozent- Am Tag vor dem Urnengang war Thema, ob der FPÖ punkte kosten“ werde und dass „etliche Blaue am Sonntag die „Spesenaffäre“ mehr schade als „Ibiza“. Ein schlechtes wohl daheimbleiben“. Wahlergebnis wurde vorausgesagt.121 Tatsächlich verlor die Den Bogen zur aktuellen Parteiführung schlug dann Partei tags darauf dann 9,8 Prozentpunkte und stürzte auf der vermeintlich „brisante“ Hinweis, dass Norbert Hofer 16,17 % ab – unter Verlust von 20 Mandaten.
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 18 K A PI T E L 1 1. Die Vorgeschichte der „Kronen Zeitung“ 2 2. Einleitung und Methodologie 4 3. Die Berichterstattung der „Krone“ nach dem Ibiza-Video 8 4. Strache als Dauerbrenner bei Wiener „Krone“ 11 5. Kampagnenfähigkeit der „Krone“ gegen die FPÖ 15 6. Liederbuchaffäre mit fabrizierten Vorwürfen 18 7. Goldfundgeschichten als Kuriositätenkabinett 22 8. Ausbleibende Positivberichterstattung 24 9. „Krone“-Journalisten schäumen auf Twitter über 28 8.1. Claus Pándi schimpft regelmäßig über FPÖ 29 8.2. Kurt Seinitz lässt sich anstecken 33 10. Fazit 36 11. Anhänge 39 11.1. Chronologie der zentralen Ereignisse 40 11.2. Quellenverzeichnis 42 18
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 19 K A PI T E L 6 E in weiteres Mal machte die Kampagnenfähigkeit der „Krone“ Ende Oktober – man befand sich bereits im Landtagswahlkampf in der Steiermark für den 24. November – von sich reden. Bundesweit sorgte das Auftau- Foto: Parlamentsdirektion / photo simonis chen des Liederbuches „Liederliche Lieder“ für einigen Wi- derhall, die „Krone“ war an vorderster Front der Skandali- sierung. Die meisten Titelblätter der Bundesländer decken sich mit der Wiener Ausgabe, welche am 31. Oktober titelt: „FPÖ-Nationalratsabgeordneter im Mittelpunkt: Neue Af- färe um NS-Liederbuch“.122 Auffallend ist diesmal allerdings das Verhalten der Stei- rer-„Krone“, deren Titelseite abwich. Dort fand sich die Be- wertung „Einfach widerlich“ als Titelschlagzeile.123 Den Rest des Covers schmückten das Liederbuch, der im Zentrum der Anschuldigungen befindliche NR-Abgeordnete Wolfgang Wolfgang Zanger Zanger sowie der freiheitliche Spitzenkandidat Mario Kuna- Der 1968 in Knittelfeld geborene Steirer studierte in sek samt der eindeutigen Bekundung, dass die ganze Landes- Graz technische Chemie und arbeitete ab 1990 als Bank- partei betroffen sei („Neue Liederbuch-Affäre holt steirische angestellter. In seiner Gymnasialzeit wurde er im Corps Freiheitliche ein“). Der Begleittext sprach von einem „wider- Austria zu Knittelfeld im Österreichischen Pennäler lichen Skandal“ rund um Zanger, da das Liederbuch mit Ring (ÖPR) erstmals im Korporationswesen sozialisiert. „antisemitischen, Nazi-verherrlichenden und rassistischen Während seiner Studienzeit trat er zudem dem im Köse- Passagen“ aufwarte. Damit brächte dieses den steirischen ner Senioren-Convents-Verband (KSCV) organisierten FP-Chef Kunasek nur wenige Wochen vor der Landtagswahl Corps Vandalia Graz bei. in „arge Bedrängnis“.124 Die Wiener Abendausgabe titelte Eine erste nennenswerte politische Funktion erfüllte „widerlich liederlich“ und stellte einen Rücktritt Zangers in Zanger bei den Freiheitlichen ab 2001, als er zum stell- den Raum.125 Diese Frage stellte auch die bundesweite Aller- vertretenden Bezirksobmann der FPÖ Knittelfeld wurde; vier Jahre später folgte er auf den Bezirksobmannsses- heiligenausgabe, welche zudem titelte, dass das vermeintliche sel nach und fungierte im nahe gelegenen Großlobming „NS-Liederbuch“ die FPÖ „massiv unter Druck“ setze.126 als Gemeinderat. Bereits im Jahr 2006 schaffte er es, Bereits am 30. Oktober kam die Affäre auf der Online- für die Freiheitlichen in den Nationalrat einzuziehen; ein plattform der „Krone“ ins Rollen – wobei man keinen Hehl Mandat, welches er seitdem durchgängig hielt und auch daraus machte, dass man diesen „Skandal“ selbst aufgedeckt bei der Nationalratswahl 2019 halten konnte. Als lang- hatte. In einem Artikel war die Rede davon, dass ein Lied jähriger Abgeordneter ist er auch Träger des Großen eine „Heil-Hitler-Passage“ enthalte.127 Behauptet wurde zu- Goldenen Ehrenzeichens der Republik Österreich. dem fälschlicherweise, dass es sich um ein Liederbuch des Der für seine mehrmaligen markigen und mitunter Pennalen Corps Austria zu Knittelfeld handele; tatsächlich polarisierenden Aussagen im Parlament sowie im medi- war das Buch ein Geschenk der Grazer Burschenschaft Che- alen Bereich bekannte Politiker fand sich ab Ende Okto- ruskia Jahre zuvor, das unter anderem auch an Zanger direkt ber im Zentrum einer von der „Kronen Zeitung“ angesto- ging. Der Artikel zitierte leitende Politiker, welche Konse- ßenen Affäre um das Liederbuch „Liederliche Lieder“, quenzen forderten. Der steirische SPÖ-Klubobmann Han- welches seiner Mittelschulverbindung vor Jahren zum nes Schwarz attestierte der FPÖ, „nicht regierungsfähig“ zu Geschenk gemacht worden war und sich auch in seinem sein128, die KPÖ-Klubobfrau Claudia Klimt-Weithaler sah Privatbesitz befand. die „Beteuerungen der FPÖ, sich von ihrem braunen Rand zu trennen“, als „leere Worte“129, und die grüne Spitzenkan- didatin Sandra Krautwaschl sprach von einer „NS-Verherr- lichung“, aufgrund derer die Partei als „untragbar“ gelte, vorab auszuschließen.131 Dieser wiederum bekräftigte auch solange derartige „Einzelfälle“ immer wieder auftauchen am Folgetag seine Forderung nach „Handlungsbedarf“ bei würden.130 NEOS-Spitzenkandidat Niko Swatek ging einen der FPÖ angesichts der Liedtexte, welche ihn „fassungslos“ Schritt weiter, sah aufgrund des Auftauchens des Liedes in hinterlassen hätten. Derselbe Artikel erwähnte gegen Ende, der FPÖ eine „antisemitische und rassistische Partei“ und dass das beanstandete Lied – einschließlich der skandalisier- forderte von Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer ten Textzeile – auch im Liederbuch des Mittelschüler-Kar- (ÖVP), eine schwarz-blaue Koalition nach der Wahl bereits tell-Verbandes (MKV) vorkomme; auch in zwei katholischen
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