From hero to zero? In den 50er Jahren gehörten Essen und das Ruhrgebiet zu den Top-Werbestandorten in Deutschland
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
TITELSTORY Die Agentur-Szene im Ruhrgebiet From hero to zero? In den 50er Jahren gehörten Essen und das Ruhrgebiet zu den Top-Werbestandorten in Deutschland H amburg, Düsseldorf, München und Mann-Betrieben, alles fällt mehr oder weniger korateure, Schaufenstergestalter, Fotostudios, Köln - das sind die Städte mit der größ- in diesen Bereich“. Der Suchassistent auf der Werbemittelvertreiber und -hersteller, sodass ten Agenturdichte in Deutschland. GWA Seite findet gerade einmal drei Agen- man auch hier keine genauen Zahlen erhält. Hier wird so manch berühmte Werbekam- turen im Ruhrgebiet, darunter die WDD 3C Fest steht aber: es gibt sie auch im Ruhrge- pagne erdacht und Slogans kreiert, die sich in Dr. Faltz, Stute & Partner Werbeagentur aus biet – darunter sogar ganz „ausgezeichnete“. die Alltagssprache einbrennen, bis sie einem Dortmund un sales communications aus Nach Einschätzung der Industrie- und irgendwann aus den Ohren raushängen - nicht Essen. Auch die Zahl der im Ruhrgebiet ansäs- Handelskammern hat sich zum Beispiel im immer, aber immer öfter. In sämtlichen De- sigen Agenturen kann nur geschätzt werden. mittleren Ruhrgebiet mit den Städten Bochum, sign- und Ranglisten sind die Agenturen aus Bei den Industrie- und Handelskammern sind Herne, Witten und Hattingen eine Werbersze- den genannten Metropolen in der Überzahl. unter dem Branchenkennzeichen nicht nur die ne etabliert, die sowohl den Bedürfnissen von So auch im aktuellen Ranking der kreativsten Werbeagenturen gemeldet, sondern auch De- neuen Unternehmen als auch den Anforde- Kommunikationsagenturen Deutschlands, rungen renommierter Firmen gerecht wird. das von Horizont, der Zeitung für Marketing, Mögliche Geschäftskontakte in der Region Werbung und Medien, veröffentlicht wurde. kommen allerdings häufig wegen mangelnder Die Rankingliste dient den Agenturen traditio- Transparenz nicht zustande. nell als Gradmesser ihrer kreativen Leistungen Uns wundert das ehrlich gesagt nicht, im nationalen und internationalen Vergleich. denn der REVIER MANAGER hat über hun- Kriterium ist dabei die Anzahl der Kreativ- dert Agenturen im ganzen Ruhrgebiet ange- Auszeichnungen, die die Agenturen einheim- schrieben, mit der Bitte um eine kurzes Portrait sen konnten. Im aktuellen Ranking 2007 steht und einem Referenzprojekt zur redaktionellen die Hamburger Agenturgruppe Jung von Matt Veröffentlichung. Die, die geantwortet haben, an der Spitze. Damit löst sie Scholz & Friends lernen Sie auf den folgenden Seiten kennen. ab, die ein Jahr zuvor die Top-Position inne- Warum es nicht einmal ein Dutzend sind, das hatte. Im aktuellen Ranking der inhaberge- fragten wir uns auch - bis wir anfingen, zu re- führten Agenturen der Fachzeitschrift W&V- cherchieren. Unser erster Eindruck: Die Agen- Ranking (Werben und Verkaufen) taucht als turen im Revier werden mit einem Gewehr im einzige Ruhrgebiets-Agentur die BJS aus Essen Nacken gezwungen, inkognito im Untergrund auf - auf Platz 45. zu arbeiten. Auf Initiative einiger Werber ist Wie viele Werbe- oder Kommunikations- zumindest ein Agentur-Atlas entstanden, in agenturen es in Deutschland gibt, ist schwer dem sich 40 Agenturen aus der Region Mitt- zu sagen. Weder der Zentralverband der deut- leres Ruhrgebiet präsentieren, doch wer weiß schen Werbewirtschaft (ZAW) noch der Ge- schon von dem Agentur Atlas? samtverbund der Kommunikationsagenturen Dass uns die Kreativen die Tür einren- (GWA) können genaue Statistiken zur Verfü- nen hatten wir gehofft. Dass wir mit fabulie- gung stellen. „Einige haben sich ins Handels- rendem Werbergehabe, schwarz gekleideten register eintragen lassen und andere wieder Consultants und Creative Directors, und mit nicht“, so die Auskunft der ZAW. „Von Agentu- Anglizismen durchzogenen Worthülsen kon- ren bis hin zu Agenturgruppen, aber auch Ein- frontiert werden? Auf all das hatten wir uns 14 REVIER MANAGER 4/08
Die Agentur-Szene im Ruhrgebiet TITELSTORY XXXXX schon seelisch eingestellt, doch Fehlanzeige. später ziehen sie in das „Haus der Werbung“ Die Agenturszene im Revier ist wohl anders, ein und tüfteln an Werbekonzepten für Firmen als die in den großen Werbermetropolen, wo wie Coca Cola, Henkel, Bayer und Ruhrkohle. die eben genannten Klischees gehegt und ge- Aufträge von Schwarzkopf oder AEG werden pflegt werden. Schüchtern, zurückhaltend abgelehnt – man kann es sich leisten. Hier, und selbstzweifelnd. Obwohl sie wirklich allen hinter den Mauern des Essener Hochhauses Grund zu mehr Selbstbewusstsein hätte, und an der Brunnenstraße entstehen Werbebot- das ruhig auch zeigen dürfte. schaften, die Generationen verführen: „Mach mal Pause - trink Coca Cola“, „Herta - wenn´s um die Wurst geht“ oder „o.b. - Ein neuer Weg Zeit-Artikel zum „Haus der Werbung“ zu unbeschwerten Tagen“. aus dem Jahr 1955 (Textauszug) Gute Slogans zu schmieden wird das Markenzeichen der WERBE. Einer der geni- […] Wo anders sollte schon ein neues Haus der alsten fällt Hubert Strauf aber 1957 ein: Er lau- Werbung eröffnet werden als in Essen, das sich mit tet „Keine Experimente“, ist für die CDU und seinen internationalen Werbe- und Reklameausstel- ihren Kanzlerkandidaten Konrad Adenauer lungen den weltweiten Ruf auch auf diesem Gebiet getextet und so gut, dass die Partei im selben sicherte und das als Metropole der Ruhr ein unge- Jahr damit den Wahlkampf gewinnt. Einen mein interessanter Platz für jeden Werbeschaffenden ist. Die miteinander eng verbundenen Werbefirmen Wahlkampf, der zum ersten Mal mit allen Mit- „Strauf und Weiß gemeinsam“ und „Werbe GmbH“ teln der Markt- und Meinungsforschung und haben einen bemerkenswerten neungeschossigen der Werbepsychologie geführt worden war. Stahlskelett-Klinkerbau errichtet, dessen architek- „Der Leitsatz lautete, dass eine erfolgreiche tonische Linienführung gediegen wirkt und somit Werbung im wesentlichen einfach sein muss... dem, der eintritt, schon von außen her Zutrauen Ausgehend von einer gewissen intuitiven Ein- einflößt. Hier ist jedenfalls eine sicht in die fast unterbewussten Wünsche des neue Pflegestätte der Verkaufskunst eröffnet wor- westdeutschen Nachkriegsbürgers, wurden den, die nicht nur den 140 Beschäftigten der Zwillingsfirmen, sondern auch darüber hinaus den die Hauptlinien der Werbung als ein Ganzes interessierten Werbeschaffenden zur Verfügung geplant und glänzend verwirklicht, “ so Wahl- steht.[…] kampfforscher Uwe W. Kitzinger. Der Slogan In: DIE ZEIT, 29.12.1955 Nr. 52 „Keine Experimente“ entsprach diesem Ziel und war damals sprichwörtlich für die Politik Adenauers und der CDU in den 50er Jahren. Denn als der Flipchart noch „Anpick- Dabei lehnten die Wahlkampfmanager der wand“ und das Brainstorming noch „Klausur“ CDU den Spruch zunächst als zu unpolitisch hieß, wurde in Essen schon gute Werbung ge- ab. Hubert Strauf habe aber darauf beharrt, als macht. Kurz nach dem Krieg, im Jahr 1946, Arbeitersohn das Denken „Lieschen Plüschs“ gründen Hubert Strauf und Alfred Weiss „DIE genau zu kennen, und Adenauer habe sich WERBE GmbH & Co“ in Essen. Zehn Jahre dann doch für den Slogan entschieden. Im REVIER MANAGER 4/08 15
TITELSTORY Die Agentur-Szene im Ruhrgebiet 7. April 1964: Die Mitarbeiter der WERBE feiern im Haus der Werbung den 60. Geburtstag des Agentur-Chefs Hubert Strauf. Jahr 1966 setzt die WERBE geschätzte 40 bis gans und Spots kümmerten und keiner um die Einen Riesen-Coup landet der Essener 50 Millionen DMark um und beschäftigt mehr Vorgänge im Laden selbst,“ sagt Cristofolini. 1976, als er für Coca Cola die Kombi-Kiste als 200 feste und 50 freie Grafiker, Texter, Fo- Cristofolini steigt aus der WERBE aus, erfindet. Von Manfred Schmidt kauft er für tografen, Marktforscher, Kaufleute und Tech- absolviert in den USA ein Studium für „Sa- 15.000 DMark die Rechte an dessen Comic- niker. les Promotion“ und gründet im Jahr 1967 die Figur Nick Knatterton, die mit dem Slogan Einer von Ihnen ist Peter Cristofolini. Agentur „anbiettechnik Service für Verkaufs- „Kombiniere…Kombi-Kiste!“ zum Testimonial Der junge Mann ist gelernter Werbefotograf förderung“ in Essen. „Die anbiettechnik“ hieß der Kombi-Kisten-Aktion wird. Und wer kann und studierter Graphiker - und verliebt in die so, weil die Technik des perfekten Anbietens sich nicht noch an die Knibbelbilder unter den Tochter des Chefs. Die beiden heiraten und die Vorraussetzung für erfolgreiches Verkau- Drehverschlüssen der Cola-Flaschen oder an Cristofolini bleibt bis Mitte der Sechziger Jah- fen ist. Und diese Technik beherrschten wir die Garfield-Sammelbilder in den Fritt-Kau- re als Kommunikationsberater in der WERBE. ziemlich gut“, sagt Cristofolini, der zahlreiche bonbonstreifen erinnern? Der dicke rote Kater Bis er sich mit einer Idee selbstständig macht, Praxis-Bücher zum Thema Verkaufsförderung beschert Cristofolini 1988 den „CreativOtto“ auf die bis dahin offensichtlich noch keiner vor verfasst hat. „Wir haben es zum Beispiel ge- für die Werbeaktion mit den Garfield-Sam- ihm gekommen ist: Die Verkaufsförderung. schafft, mit ganz simplen Regalstoppern, die melpostern in der Zeitschrift BRAVO. Im Mai „Irgendwann fiel mir auf, dass sich alle um Slo- als Display aus dem Regal herausragten und 2000 firmiert die anbiet-technik unter neuer dem ´Stoppen` des Kunden dienten, Umsätze Leitung zur < at > sales communications um der jeweiligen Produkte um bis zu 600 Prozent und kreiert heute unter anderem Kampagnen Hubert Strauf mit Hund - Dirk Schindelbeck zitiert aus den Erinnerun- zu steigern“, erinnert sich Cristofolini. für Olympus, Goodyear, Coca-Cola, Agfa und gen des Werbefachmanns der Ersten Stunde: „Als dann die 57er Wahl Bayer Vital. kam, hieß es, ‚Strauf macht doch so wirksame Reklame, können wir Auch Peter Cristofolinis Schwiegervater den nicht mal herholen?‘ Und so kam ich vor den Wahlkampfausschuss Hubert Strauf wird im Jahr 1978 ausgezeich- und unterbreitete dort meinen Vorschlag ‚Keine Experimente‘. Natürlich wurde ich nicht begeistert aufgenommen... Ich wurde in der Diskussion net. Er erhält die Dr. Kurt-Neven DuMont so richtig auseinandergenommen. Das schaukelte sich immer höher... Medaille der Westdeutschen Akademie für bis folgende Worte Konrad Adenauers die Diskussion entschieden: ‚Nee, Kommunikation, mit der Persönlichkeiten Nee, meine Herren, wenn die Reklamefritzen dat meinen, dann machen oder Institutionen des öffentlichen Lebens ge- wir dat so‘.“ ehrt werden, die sich in besonderem Maße für die Entwicklung in der Kommunikation oder der Medienbranche verdient gemacht haben. In den 80er Jahren übernimmt Straufs Sohn Burkhard die WERBE mit zwei weiteren Part- nern. „Dann bekam die WERBE ein Problem“, erzählt Cristofolini, „Coca Cola einigte sich 1977 darauf, zur Agentur MCann zu wechseln, die damals schon Niederlassungen in 14 Län- dern hatte.“ Mitte der Neunziger siedelt Burk- hard Strauf mit der WERBE nach Düsseldorf um, tauft die Agentur auf den zeitgemäßeren Namen „Euro Advertising“ und markiert mit diesem Schritt das Ende einer der erfolg- 16 REVIER MANAGER 4/08
FINANZEN Die Agentur-Szene im Ruhrgebiet TITELSTORY XXXXX waren Handelshäuser, Peter Cristofolini ist heute Ehrenvorsitzender des CP/ COMPARTNER die Anzeigenaufträge Essener Marketing-Club e.V. und Kommunikationsberater der annahmen und sie an Die Gründer der Essener Agentur für Zeitungs- und Zeit- freien Kulturszene in Essen. Kommunikation CP/COMPARTNER hielten schriftenverlage ver- es für durchaus klug, in einer Region tätig zu mittelten. Vom Ausdruck „Annoncenexpedition“ werden, in der 20 der 100 größten Unterneh- kommt die noch gebräuchliche Abkürzung AE, men Deutschlands ihren Sitz haben. „Warum die die fünfzehnprozentige Provision der Agen- in Düsseldorf einer von Vielen sein, wenn wir turen auf Schaltungen in den Medien bezeichnet. im Ruhrgebiet die Größten sein können,“ sagt „Das waren praktisch die Vorläufer der heutigen Geschäftsführer Michael Höffken. Gemeinsam Werbeagenturen“, erklärt Cristofolini auf die Fra- mit Tilmann Meuser gründet Höffken 1992 ge, warum gerade Hamburg und Düsseldorf zu die CP/ COMPARTNER. Im Namen steckt Werbermetropolen avanciert seien. „Düsseldorf die Philosophie des Unternehmens, nämlich entwickelte sich in den 60er Jahren auch wegen die unerlässliche Verbindung von „communi- der Kunstakademie zu einem Magneten für Kre- cation“ und „partnership“. ative. Die Stadt konnte sich im Gegensatz zu den Aus ihrer beruflichen Zeit in Düsseldorf Revier-Städten den Bau zahlreicher Museen leis- bringen die beiden Unternehmer nicht nur ten und Josef Beuys trug ebenfalls dazu bei, dass das nötige Marketing- und Kommunikations- sich künstlerisch arbeitende Leute zu der Stadt Know-How und die noch relativ neue Idee reichsten Nachkriegsagenturen Deutschlands, stärker hingezogen fühlten, als etwa zum Revier, der integrierten Gesamtkommunikation mit, der WERBE. was ja ausschließlich mit der Schwerindustrie sondern auch zwei große Kunden: „Wenn man Während das Revier damit beschäftigt ist und dem Bergbau in Verbindung gebracht wur- mit der Ruhrkohle AG und dem Verkehrsver- den Untergang der Montanindustrie zu bewäl- de“, sagt Cristofolini. Was auf den ersten Blick si- bund Rhein Ruhr zwei große Player hat und tigen, entwickeln sich die Städte Hamburg und cherlich kein guter Nährboden für die Entwick- sieht, welche Chancen die Region hat, dann ist Düsseldorf zu Kreativmetropolen. „Hamburg lung einer Kreativszene zu sein schien. es nur folgerichtig hier tätig zu werden.“ Sieht war ja schon im frühen 19. Jahrhundert Presse- Das sehen Einige anders und arbeiten heute man sich die Referenzliste der Agentur an, stadt. Die meisten Agenturen dort entstanden aus sehr erfolgreich und preisgekrönt im Ruhrge- lagen sie mit Ihrer Entscheidung richtig. Mit den sogenannten Annoncenexpeditionen. Das biet. einem Team aus mehr als 80 Köpfen konzi- SEIT DER IMMOBILIENFACHWIRT BERNHARD H. ALS 8 JÄHRIGER PFADFINDER DEN VERLORENEN OHRRING DER FRAU DES BÜRGERMEISTERS IM WALD FAND, GALT ER ALS GLÜCKSPILZ MIT DEM GESPÜR, IMMER WIEDER ZUR RICHTIGEN ZEIT AM RICHTIGEN ORT ZU SEIN. DAS HATTE ER AUCH MAL WIEDER BEWIESEN, ALS ER KALORIMETA MIT DEM NEUEN ENERGIEAUSWEIS FÜR SEINEN WOHNUNGSBESTAND BEAUFTRAGTE. SCHNELL, FEHLERLOS UND RECHTSSICHER HATTEN DIE EXPERTEN DIESEN AUFTRAG GEMEISTERT. www.kalo.de REVIER MANAGER 4/08 17
TITELSTORY Die Agentur-Szene im Ruhrgebiet Produkte aufmerksam zu machen, ist das Ziel der kreativen Arbeit von . So wurde vor drei Jahren zum Beispiel ein imitierter, aber sehr au- thentisch wirkender Stilllegungsbescheid an die Frontscheiben von Autos geklebt, die etwas älter waren. Damit wurden die geschockten Autobe- sitzer aufgefordert, ihren Wagen aus dem Blick- feld der Öffentlichkeit zu entfernen, da er den ästhetischen Ansprüchen nicht mehr gerecht werde. Im Kleingedruckten wurden die verwirr- ten Autobesitzer zu einer Lancia-Probefahrt eingeladen, die nach Angaben der Agentur ein großer Erfolg gewesen sei. Michael Höffken (l.) und Tilmann Meuser, Geschäftsführer der CP/Compartner piert und kreiert CP/COMPARTNER Kommu- in dieser Region besinnen.“ Dabei müssten die nikationslösungen für Unternehmen und Insti- Kommunen noch viel stärker als bisher finan- tutionen aus ganz unterschiedlichen Branchen zielle Anreize schaffen, damit sich Kreative mit - vom Relaunch der Recklinghäuser Zeitung ihren Unternehmen in der Region ansiedeln und anlässlich des 175-jährigen Verlagsjubiläums, wachsen können, ergänzt Höffken. „Denn was bis zur erfolgreichen Bewerbungskampagne für den Faktor Lebensqualität als Anziehungsfaktor die Kulturhauptstadt Europas 2010. Mittlerweile für Kreative angeht, ist das Ruhrgebiet schon wurde die Agentur zwölf Mal mit Kreativ-Prei- sehr attraktiv.“ sen ausgezeichnet, darunter drei Jahre in Folge mit dem Deutschen PR-Preis in Gold. Auf die unausweichliche Frage nach dem neuen Ruhrstadt-Slogan „Ruhr hoch n, Team- Reaktionen auf die „Wir wollen, dass sich hier etwas bewegt“, Work Capital“ meint Höffken: „Zu verkopft!“ und „Graue Theorie“ sagt Höffken, „die Wirtschaftskraft in dieser Re- ergänzt wie aus dem Marketing-Lehrbuch: „Das gion ist enorm und die Unternehmen brauchen ´n` steht für eine Vielfalt im weitesten Sinne. Von „Ich würde am liebsten eine Demo starke Partner, die Ihnen bei der Positionierung Vielfalt ist aber nicht profilbildend und anachro- dagegen organisieren“ (Andrea Gründer, und Erschließung neuer Märkte helfen. Dass das nistisch zu dem, was wir versuchen hier in der Kommunikations-Ökonomin) bis „Ich äußere Revier zur Werbermetropole wird, bezweifle Region als Alleinstellungsmerkmal aufzubauen.“ mich erst dazu, wenn ich ihn verstanden habe“ ich, aber es zeichnet sich ab, dass sich die Städte Das Ruhrgebiet habe in den Bereichen Kultur, (Dirk Link, Leiter Beratung), hörten wir die und Förderer langsam auf die kreativen Kräfte Energie und Bildung viel zu bieten, sodass man unterschiedlichsten Sätze zum neuen Ruhr- sich besser auf ein Thema hätte fokussieren kön- stadt-Slogan. Einig waren sich alle Agentur- nen, um dieses herauszuheben. „Solch einen Slo- Chefs und -Mitarbeiter darin, dass der Spruch gan kann man auch nicht demokratisch abstim- „zu verkopft“, „zu akademisch“ und „eine leere men. Es müssen sich schon die Führungskräfte Hülle“ sei. einigen, was für eine Region profilbildend ist“, so Dass man sowohl bei dem Slogan „Der Höffken, und Berater Guido Schweiss-Gerwin Pott kocht“ als auch mit der aktuellen Kampa- ergänzt: „Als einer der genialsten Sprüche gilt ja gne aus dem Ruhrgebiet rausgegangen sei, sei ´Wir können alles, außer Hochdeutsch` Doch schon ein Unding, sagte Kommunikationswirt auch hier, wird letztlich nicht klar, was die Regi- Karsten Espey – und ist mit seiner Meinung on eigentlich kann.“ nicht alleine. Man sei nicht nur enttäuscht, sondern mittlerweile auch wütend darüber, dass die Revier-Agenturen nicht einmal die Möglichkeit bekommen hätten, zu zeigen, was sales communications gmbh sie können, findet Claudia van der Sant, Ge- schäftsführerin einer Gelsenkirchener Agen- Hervorgegangen aus der 1967 gegründeten tur. Mit einem falschen Selbstverständnis und Agentur „anbiet-technik Service für Verkaufs- unbegründeter Bescheidenheit stehe sich die förderung“ konzipiert die Essener Agentur heu- Region oft selbst im Wege, so beschreibt ihr te unter neuem, zeitgemäßerem Namen unter Chef Franz Przechowski seinen Eindruck von Für die Kampagne „Kulturhauptstadt 2010“ wurde CP Compartner im Jahr anderem Promotion-Aktionen und Kommu- seiner Heimat. Seiner Meinung nach, könnte 2005 und 2006 mit dem Deutschen PR-Preis in Gold ausgezeichnet, sowie nikationskampagnen zu Produkteinführungen. die Region mit dem vorhandenen Potenzial 2006 mit dem Politikaward. Verbraucher mit ungewöhnlichen Mitteln auf eine ebensolche Kreativwirtschaft aufbauen, 18 REVIER MANAGER 4/08
Die Agentur-Szene im Ruhrgebiet TITELSTORY XXXXX wie die großen Werber-Metropolen, doch der Stadtväter, ähnliche Gebäude in dem Are- gner auch sein mögen, in einem sind sie sich dazu fehle es an Unterstützung der kommu- al zu fördern, ein wenig melancholisch macht, einig, die außergewöhnlichen Ideen kommen nen und lokalen Institutionen. Weil die Ent- denn sein prämiertes Haus wirkt wie eine Ihnen meist nicht in den eigentlichen Agentur- scheider den ortsansässigen Agenturen oft aus Werberoase im architektonischen Mittelmaß. und Arbeitsräumen.„Viele gute Ideen werden Unwissenheit nicht viel zutrauten, werde man zwar in einem Brainstorming geboren,“ sagt noch nicht einmal auf städtischer Ebene zum Spasojevic. Aber auf spontane Eingebungen Pitsch eingeladen. Account Manager Michael Schorsch meint, dass ein Konzept für die in- Wie geht Kreativität? könne man lange warten, denn ohne Vorar- beit gehe gar nichts. „In der Regel ist Recher- terne Kommunikation des Reviers noch viel che ausschlaggebend für eine gute Idee. Dafür dringender wäre. „Eine Imagekampagne, die muss man seine Mitbewerber ebenso wie sei- ein Aufwertungsgefühl von innen bewirkt, da- ne Zielgruppe sehr gut kennen,“ erzählt sie. mit sich die Menschen hier bewusst werden, „Generell geht es nicht nur um Kreativität. dass viel mehr in dieser Region steckt, und Wichtig ist die Sprache der Kunden zu verste- damit die besten Köpfe nicht abwandern“, sagt hen und die der Zielgruppe zu sprechen.“ Ob Schorsch und Przechowski meint: „Wachs- die Kombination von harter Vorarbeit und tumschancen definieren sich über Human gesteuertem Kreativitätsguss oder der geniale Resources. Wir können uns nicht nur darauf Einfall aus dem stillen Kämmerlein: Patent- fokussieren, Handys zusammen schrauben zu rezepte gibt es nicht. Für alle Kreativen steht wollen.“ aber auch fest: das spielerische Element bei der Einen Anfang wollte Przechowski mit Entwicklung von Ideen ist mit das Wichtigste. dem Gebäude machen, in dem seine Agentur Ideen sind der wichtigste Rohstoff der Agentu- Latinka Spasojevic von agentatwork betreut Unternehmen aus der sitzt. „Wir wollten einen Akzent platzieren, der ren, das Kapital, mit dem die Werber bei den Einrichtungs-, Dental-, Mode- und Fitnessbranche: „Ausgleich schaffen im uns als Agentur in Szene setzt. Um uns herum Privatleben ist das A und O, damit Kreativität unter Termindruck funktioniert Kunden um Aufträge buhlen. Und die Idee sollte ein Areal entstehen, dass auch über die - und natürlich gute Vorbereitung und ein flexibles Team.“ entscheidet über Erfolg und Misserfolg einer Grenzen Gelsenkirchens als kreativer Stand- Werbekampagne oder Marke. Daher setzen ort bekannt wird,“ sinniert der Werbe-Experte, Wie kommen die Werber auf ihre Ideen? Agenturen alles daran, den kreativen Output und man fühlt, dass ihn die verpasste Chance Welche Prozesse sind dafür nötig, welche Hilfs- immer weiter zu erhöhen. Je nach Unterneh- mittel gibt es? Die meisten Kreativen in dieser menskultur hat jede Agentur für sich selbst Branche arbeiten unter Termindruck – und ha- bestimmte Vorgehensweisen festgelegt, wie der Umfrage: How go Werbung? ben gelernt damit umzugehen. Schließlich kann tägliche oder wöchentliche Informations- und der Druck eines bevorstehenden Abgabetermins Ideenaustausch zu bewerkstelligen ist. Zudem Mehr als die Hälfte der deutschen Konsumenten ver- auch die Leistungsfähigkeit steigern. Das kennen suchen sie auch immer wieder nach neuen steht viele englischsprachige Reklamesprüche nicht wir selber aus eigener Erfahrung. Doch wenn eine Möglichkeiten zum effektiven Brainstorming. oder sogar völlig falsch. Bei einer Untersuchung der stressige Wettbewerbspräsentation gelaufen oder Kein leichtes Unterfangen, denn dafür braucht Kölner Agentur Endmark wurde lediglich eine von das zeitlich eng terminierte Projekt abgeschlossen man Zeit, und die haben Werber oft nicht. zwölf Werbeaussagen von mehr als 50 Prozent der ist, was machen die Ideenfinder dann? Zu dem Zeitdruck kommen noch die ge- Befragten richtig übersetzt. Absolutes Schlusslicht in „Erst einmal Batterien aufladen,“ meint La- stiegenen Anforderungen der medialen Vielfalt der Studie war der Jaguar-Slogan „Life by Gorgeous“ tinka Spasojevic von der Essener Agentur agen- und komplexer integrierter Kampagnen hinzu. (etwa: „Leben auf prächtig“), den nur acht Prozent korrekt übersetzen konnten. Manche der Befragten tatwork. „Wenn ich nicht jeden Tag meditieren Vielleicht ein Grund, warum auch die Bran- meinten gar, der Spruch bedeute „Leben in Georgi- würde, wäre das sicher noch schwieriger für mich. chenverbände in die Offensive gehen. Der Art en“. Solche skurrilen Erklärungsversuche erlebten Fitness und Joggen ist dann der körperliche Aus- Directors Club (ADC) veranstaltete im letzten die Tester auch bei dem Ford-Slogan „Feel the dif- gleich. So kriege ich den Kopf wieder frei.“ Aber Jahr die neue Seminarreihe “ADC Management ference“, dem einzigen, den immerhin mehr als die auch eine harmonische Umgebung ist für die 36- Dialog“. Dessen Aufgabe ist es, den Dialog zwi- Hälfte korrekt mit „Spür den Unterschied“ überset- Jährige wichtig, um wieder Kraft zu tanken. So schen den Kreativen und deren Kunden zu zen konnten. Manche der befragten Konsumenten ist ihre Agentur im grünen Essen-Kettwig nach fördern. Sie sollen ein gemeinsames Grundver- glaubten aber, das heiße „Fühle das Differential“ Feng-Shui Regeln gestaltet. Und schließlich habe ständnis von Kreativität entwickeln, gemeinsam oder auch „Ziehe die Differenz ab“. Der Spruch „Fly auch die Familie einen erholsamen Effekt, erzählt Ideen finden und umsetzten, um den Erfolg ei- EuroShuttle!“ der Fluglinie Air-Berlin wurde von manchem mit „Der Euro-Schüttel-Flug“ oder „Schüt- uns die gelernte Reinzeichnerin. „Ungefähr alle ner Kampagne für beide Seiten zu optimieren. tel den Euro zum Fliegen“ übersetzt. Auf die richtige drei Monate brauche ich den Tapetenwechsel Auch der Gesamtverband Kommunikationsa- Übersetzung, die in etwa „Fliege mit dem Europa- und fliege ich für ein paar Tage nach Belgrad, zu genturen nimmt den Aspekt “Ideenfindung“ in Pendeldienst“ lautet, kamen gerade mal 30 Prozent meiner Familie. Dort kann ich nicht nur wieder den Fokus, und lud im letzten Jahr zum ersten der potenziellen Kunden. 23 Prozent der Befragten meine Batterien aufladen, sondern nehme auch “Kreativtag“ nach Hamburg ein. konnten den Burger-King-Spruch „Have it your way“ noch kreativen Input mit.“ Inspirationen für ihre Warum nicht ein solches Werber-Treffen (etwa: „Nimm‘s auf deine Art“) nicht richtig überset- Arbeit holt sie sich aus der dortigen Kreativen im Revier abhalten? „Gute Frage“, sagt Berater zen, trotzdem fand ihn die Hälfte gut. Die Initiatoren Szene und dem großen Netzwerk an Freunden Dirk Link, „als wir vor einigen Jahren einen der Umfrage nannten das den „Popmusik-Effekt“: Obwohl man nicht versteht, worum es geht, singt und Branchenkollegen. Marketing-Kongress in Bochum organisieren man mit. So unterschiedlich wie die Entspannungs- wollten, hieß es von der Stadt lapidar ‚die Ruhr- und Auftankmethoden der Werber oder Desi- landhalle kriegt ihr dafür nicht`.“ REVIER MANAGER 4/08 19
Sie können auch lesen