Genossenschaftliche Bildung - praxisnah und leistungsstark - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK
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GEN AL DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 3-2021 Genossenschaftliche Bildung – praxisnah und leistungsstark
SCHWERPUNKT BILDUNG
Chancenreichtum ohne Grenzen die Hochschule Studiengebühren einführte.
Das Wachstum der Privatuni sowie der da-
durch gestiegene Finanzierungsbedarf führ-
Wunsch des Studiums, sondern tragen auch
zur notwendigen Ausbildung von Ärzt*innen
und zur medizinischen Versorgung bei“, hebt
ten 2014 zur Emission einer börsennotierten Florian Kollewijn hervor. Denn trotz des zu-
Anleihe von 7,5 Millionen Euro. Die Hausbank nehmenden Ärztemangels erhalten jährlich
Erst studieren, dann zahlen: Auf dieser einfachen, aber einfach guten Idee fußt der sogenannte
der StudierendenGesellschaft, die GLS Ge- rund 50.000 junge Studieninteressierte in
Umgekehrte Generationenvertrag (UGV). Die CHANCEN eG macht aus dem erfolgreichen Mo- meinschaftsbank eG aus Bochum, begleite- Deutschland keinen Medizinstudienplatz an
dell, bereits 1995 von der StudierendenGesellschaft der privaten Universität Witten/Herdecke te die Student*innen bei der Platzierung der einer gebührenfreien Universität.
„StudierendenAnleihe“. Ihr Erfolg war die Ini-
auf den Weg gebracht, seit fünf Jahren einen nationalen wie auch internationalen Exportschla- tialzündung dafür, das Modell des Umgekehr- Interessant für Investor*innen
ger. Ab dem Sommer weitet die Bildungsgenossenschaft ihr nachhaltiges Konzept auf Lebens-
1.000
ten Generationenvertrages schließlich auf
haltungskosten aus. breitere Füße zu stellen und bundesweit an- Mittlerweile haben die ersten Student*innen,
zubieten. Seit 2016 sorgt die CHANCEN eG die allesamt automatisch Mitglieder der eG
für Chancengerechtigkeit in der Bildung – sind, mit den Rückzahlungen begonnen –
und das längst nicht nur für Student*innen und somit das Rad der generationenüber-
verschiedenster Fachrichtungen hierzulande. greifenden Finanzierung allmählich ans Lau-
finanzierte Student*innen, 36 Bildungspart- fen gebracht. Die Bildungsgenossenschaft
ner, eine Bilanzsumme von rund 20 Millio- Studienförderung auch in Ruanda indes benötigt zahlreiche eigene Mittel zur
nen Euro und mehr als 100 Investor*innen: Refinanzierung. Diese werden von soge-
Schon die blanken Zahlen, die aktuell hinter Seit 2018 bietet die Genossenschaft das er- nannten Impact-Investor*innen ermöglicht,
der CHANCEN eG stecken, sprechen eine folgreiche Solidarmodell über ihre Tochterge- die ihr Geld nicht nur sicher und gut verzinst,
deutliche Sprache. Ebenso interessant ist sellschaft CHANCEN International gGmbH sondern auch gesellschaftlich wirksam anle-
indes die Geschichte hinter dieser einzigar- (CI) auch in Ruanda an. In dem ostafrika- gen wollen. 650 Studienplätze wurden allei-
tigen wie erfolgreichen Genossenschaft, die nischen Land, in dem Bildung noch uner- ne durch den Erlös der „BildungsCHANCEN
am 6. Februar 2016 in einem Wittener Café schwinglicher für viele junge Menschen Anleihe“ finanziert. Diese hatte die Genos-
ihren Anfang nahm. Das Treffen der 36 Frau- ist, sind bereits 1.300 Student*innen unter senschaft ab August 2019 über einen Ge-
en und Männer, die hier den Grundstein für UGV-Vertrag, vornehmlich Frauen. Doch da- samtbetrag von 13 Millionen Euro, zu einem
die CHANCEN eG legten, hat bis heute nach- mit nicht genug: CI-Geschäftsführerin Batya Zinssatz von drei Prozent und mit einer Lauf-
haltige Wirkung. Blankers – auch sie profitierte einst als Stu- zeit von zwölf Jahren emittiert und überwie-
Denn ihre Vision, jedem Menschen unab- dentin der Uni Witten/Herdecke vom UGV – gend über die Bochumer GLS Bank platziert
hängig von seinen finanziellen Möglichkeiten hatte mit ihrem Team sogar schon alles in die – mit großem Erfolg. „Da die CHANCEN eG
eine bestmögliche Bildung zu ermöglichen, Wege geleitet, um das Modell auf weitere bis 2023 weiteren Student*innen ihre Wun-
ist für viele junge Leute längst zur Realität ge- afrikanische Länder südlich der Sahara aus- schausbildung finanzieren möchte, planen
worden. Das Zauberwort, das dahintersteckt, zuweiten. Doch dann kam die Corona-Pan- wir weitere Anleihen“, sagt Finanzvorstand
lautet Umgekehrter Generationenvertrag demie. Wenn sich das Leben wieder norma- Olaf Lampson.
(UGV). Dabei übernimmt die CHANCEN eG lisiert hat, gehen sie ihren Weg weiter, auch Ab Sommer dieses Jahres geht eine
zunächst die Studiengebühren, die die mithilfe des neuen Future of Work Fund, mit weitere Neuerung an den Start: Erstmals
Student*innen erst nach dem Studium zu- dem künftig 10.000 Student*innen in Afrika will die CHANCEN eG dann auch die Fi-
rückzahlen, wenn sie genug Geld verdienen. gefördert werden sollen. Dieser Fonds ist in- nanzierung von Lebenshaltungskosten für
Die beiden Mitgründer und Vorstände Florian Die Rückzahlung erfolgt ausschließlich zwischen gegründet, das Gros des notwen- Student*innen an staatlichen Hochschu-
Kollewijn und Olaf Lampson (v.l.) einkommensabhängig und über meist acht digen Geldes bereits zugesagt. len anbieten. Geplant sind monatliche Aus-
Jahre – und finanziert somit wieder das Stu- Mit dem Umgekehrten Auch in weiteren Ländern in Europa zahlungen zwischen 100 und 700 Euro
dium der nächsten Generation mit. Verdient Generationenvertrag finanziert die macht das Modell der CHANCEN eG seit für die Regelstudienzeit plus zwei Fachse-
jemand weniger als 27.000 Euro brutto im CHANCEN eG Studiengebühren, „Für die Finanzierung der 2019 Schule. An mehreren osteuropäischen mester. Die monatliche Höhe können die
unter anderem auch an
Jahr, beispielsweise wegen einer Familien-
osteuropäischen Partneruniversitä- Lebenshaltungskosten für Partneruniversitäten, darunter beispielswei- Student*innen je nach persönlichem Bedarf
pause, setzt die Rückzahlung zunächst aus se die LSMU in Litauen, übernimmt die Ge- selbst festlegen. „Ein riesiges Projekt, für
und wird hinten angehängt. „Anders als bei
ten wie der LSMU in Litauen
(Fotos oben), und bald auch
Student*innen wollen wir nossenschaft die Finanzierung der Studien- das wir in den kommenden drei Jahren 50
einem Kredit gehen die Student*innen damit Lebenshaltungskosten für in den kommenden drei gebühren für Medizinstudent*innen. „Wir Millionen Euro einsammeln wollen“, berichtet
kein Überschuldungsrisiko ein“, erläutert Flo- Student*innen. erfüllen damit nicht nur den individuellen das Vorstandsduo. Anja Scheve
rian Kollewijn. Gemeinsam mit Olaf Lamp- Jahren 50 Millionen Euro
son ist er nicht nur Mitgründer der CHAN- einsammeln.“
CEN eG, sondern auch deren Vorstand. Das
Duo weiß nur zu gut, wie hilfreich ein UGV
„Anders als bei Florian Kollewijn und Olaf Lampson
sein kann, schließlich sind sie beide einst als einem Kredit gehen
Studenten an der Uni Witten/Herdecke auch
in dessen Genuss gekommen.
die Student*innen
Batya Blankers (2.v.li.), Geschäftsführerin der Seinerzeit wurde das Konzept, eine so- kein Überschul- Die Mitarbeiter*innen
der CHANCEN eG
Fotos: CHANCEN eG
Tochtergesellschaft CHANCEN International zialverträgliche Finanzierung des Studiums
gGmbH (CI), in Ruanda mit ihrem Team zu ermöglichen, von der StudierendenGe-
dungsrisiko ein.“
sellschaft der Universität Witten/Herdecke Florian Kollewijn www.chancen-eg.de
angeboten. Student*innen hatten den Ver-
ein bereits 1995 aus der Taufe gehoben, als
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SCHWERPUNKT BILDUNG
Welche Ausbildungsfinanzierung
ist die fairste?
Die CHANCEN eG finanziert Studiengebühren für Student*innen nach dem Umgekehrten Ge-
nerationenvertrag. Ist das die fairste Ausbildungsfinanzierung in Deutschland? Wie kann man
den Zugang zu Ausbildung gerechter machen? GENiAL diskutierte darüber mit Oliver Kacz-
marek, dem bildungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, sowie
Florian Kollewijn, Vorstandsmitglied der CHANCEN eG.
Herr Kaczmarek und Herr Kollewijn, FLORIAN KOLLEWIJN: Alles, was an Aus-
wie haben Sie Ihr Studium finan- bildungsfinanzierung nicht zurückgezahlt
ziert? werden muss, sondern durch staatliche Mit-
tel abgedeckt wird, ist immer besser als der
OLIVER KACZMAREK: Bei mir ging das Wie finden Sie dieses genossen- Umgekehrte Generationenvertrag. Aber die-
über BAföG* und viele Nebenjobs, unter an- schaftliche Modell, Herr Kaczmarek? ser ließe sich auch gesamtgesellschaftlich
derem im Sozialwesen des Bergbaus. Das denken. Aber so weit sind wir natürlich nicht,
hat mich zwar persönlich weitergebracht, OLIVER KACZMAREK: Bei der Studien- deshalb gibt es ja auch die CHANCEN eG.
aber auch viel Zeit gekostet. und Ausbildungsfinanzierung ist uns als
Sozialdemokrat*innen eine Vielfalt der Wege
FLORIAN KOLLEWIJN: Ich hatte mehre- sehr wichtig. Das Modell der CHANCEN Was muss sich ändern, um den
re Finanzierungstöpfe für mein Studium: ein eG ist hier sicherlich ein guter Baustein, zu- Zugang zu Bildung in Deutschland
Stipendium, eine niederländische Studienfi- mal wir auch Genossenschaften gegenüber gerechter zu machen?
nanzierung, Jobs an der Uni, meine Eltern. sehr aufgeschlossen sind. Darüber hinaus
Meine Studiengebühren an der Universität gibt es aber auch die gesetzliche Unterhalts- OLIVER KACZMAREK: Dieses Thema ist Florian Kollewijn ist Mitgründer und Vorstand der
Witten/Herdecke habe ich über den Umge- verpflichtung der Eltern. Und natürlich das ein großes Feld. Tatsache ist: Wir haben Bil- 2016 gestarteten CHANCEN eG. Nach seinen
kehrten Generationenvertrag finanziert. Die BAföG als staatlich garantierte Rückfallopti- dungsungleichheit in Deutschland. Und sie Bachelor-Abschlüssen in Philosophie, Politik und
Kosten zahle ich jetzt als Berufstätiger ab. on für alle diejenigen Eltern, die zum Beispiel hat sich durch die Corona-Pandemie noch Ökonomik sowie Business Economics an der
nur teilweise oder gar kein Studium finanzie- verschärft. Bildungsungleichheit muss mög- Universität Witten/Herdecke hat er seinen Master-
ren können. Ich würde mir persönlich wün- lichst früh bekämpft werden, zum Beispiel Abschluss für Leadership und Beratung –
Herr Kollewijn, der Umgekehrte Ge- schen, dass mehr Student*innen das BAföG- schon im Kindergarten. Unabhängig vom Ein- Psychodynamisch fundierte Organisationsentwick-
nerationenvertrag ist das Herzstück Angebot nutzen würden. Ich würde mir aber kommen oder Bildungsgrad der Eltern muss lung an der Internationalen Psychoanalytischen
Ihrer Biografie und Ihrer Genossen- zum Beispiel auch wünschen, dass wir beim jedes Kind die gleichen Chancen haben. Und Universität (IPU) Berlin gemacht.
schaft. Warum ist das für Sie so ein BAföG ein höheres Mindesteinkommen an- wenn wir nochmal das Thema BAföG aufgrei-
faires Instrument? setzen, ab dem dann die Rückzahlungen für fen: Dass es finanzielle Unterstützung durch
Der gebürtige Kamener Oli-
diese Ausbildungsförderung beginnt. das BAföG gibt, muss schon in den Schulen Gibt es einen Zusammenhang zwi- Was müsste man dann schon zu Be-
ver Kaczmarek, MdB, SPD,
FLORIAN KOLLEWIJN: Der Umgekehrte bei jungen Menschen verbreitet werden. Der schen sozialem Aufstieg und Bil- ginn einer Bildungsbiografie anders,
hat Geschichte und Sozialwis-
Generationenvertrag ist so fair, weil die Kos- BAföG-Antrag an sich muss viel einfacher, dungsgerechtigkeit? besser oder gerechter machen?
senschaften für das Lehramt
ten für Studiengebühren erst anfallen, wenn In Schweden und Norwegen gibt weniger aufwendig und viel digitaler wer- der Sekundarstufen I und II
man berufstätig ist und ein bestimmtes Min- es Ausbildungsfinanzierungen, die den. Junge Menschen und ihre Familien dür- FLORIAN KOLLEWIJN: Ganz eindeutig ja, OLIVER KACZMAREK: Wir müssen viel studiert. Er ist seit 2016 Mit-
desteinkommen hat. Außerdem ist die Rück- komplett unabhängig vom Einkom- fen nicht durch bürokratische Hürden abge- das zeigen viele Studien. Bildung verspricht stärker in die frühkindliche Bildung inves- glied im Präsidium der NRW
zahlungssumme an das Einkommen gekop- men der Eltern sind. Was halten Sie schreckt werden, eine ihnen rechtmäßig zu- sozialen Aufstieg. Allerdings hängt der Bil- tieren. Das bedeutet beispielsweise auch, SPD und unter anderem zu-
pelt. Wer mehr verdient, zahlt auch mehr zu- davon? stehende Unterstützung zu beantragen. dungserfolg mehr von der sozialen Herkunft mehr Stellen für Erzieher*innen zu schaffen ständig für die BAföG-Reform,
rück. Er trägt somit diejenigen mit, die we- als von der eigenen Veranlagung ab. Das und den Beruf durch Aufstiegschancen at- die Themen Inklusive Bildung
niger verdienen und weniger zurückzahlen OLIVER KACZMAREK: Wir Sozialdemo- zeigt ja auch der sogenannte Bildungstrich- traktiver zu machen. Wir müssen außerdem und Hochschulfinanzierung.
können. Eben ein echtes Solidarmodell. Und krat*innen tun uns mit diesem Gedanken ter, der sich auf empirische Studien stützt: 74 Kitas und Grundschulen vor allem in sozia- Außerdem ist er Obman im
wer sein Studium abbricht, eine Ausbildung schwer, weil wir es einfach ungerecht finden, „Bildungsungleichheit von 100 Kindern akademisch ausgebildeter len Brennpunkten besser unterstützen. Ganz Bildungsausschuss des Deut-
oder einen anderen Studiengang beginnt, dass einkommensstarke Eltern sich nicht an
muss möglichst früh Eltern studieren, bei Nicht-Akademikern sind wichtig sind auch gute Ganztagsangebote, schen Bundestages und
Fotos: CHANCEN eG, Benno Kraehahn
hat keine Nachteile. Der Umgekehrte Gene- der Ausbildung ihrer Kinder beteiligen. Aber es nur 21. Und jede*r Fünfte entscheidet sich die anregende Lern- und Förderangebote ha- Sprecher für Bildung und For-
rationenvertrag bleibt bestehen, gezahlt wird ein elternunabhängiger Sockelbeitrag, aufge- bekämpft werden, zum nach dem Abitur aus finanziellen Gründen ge- ben und soziales Lernen ermöglichen. Auf schung der SPD-Bundestags-
erst im Erwerbsleben und das erst ab einem stockt durch bedarfsabhängige Leistungen: gen ein Studium. diese Weise könnten die größten Potenziale fraktion.
Mindesteinkommen von 27.000 Euro. Auch Das wäre ein gerechtes Modell zur Ausbil- Beispiel schon im gehoben werden.
nach oben gibt es eine Deckelung. Die Fair- dungsfinanzierung. Kindergarten.“ Inken Schrammen/Sabine Bömmer
ness beweist das Modell seit über 25 Jahren
– 1995 wurde es an der Universität Witten/ Oliver Kaczmarek
Herdecke entwickelt und funktioniert seit- *Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) sieht eine finanzielle Förderung von jungen Menschen vor, deren Eltern eine
dem nachhaltig. Ausbildung nicht oder nur zum Teil unterstützen können.
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