124 Gesetzesentwurf und Botschaft zum neuen Schweizer
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
September 2018 124 Newsletter Nr. Gesetzesentwurf und Botschaft zum neuen Schweizer Erbrecht: Am 29. August 2018 hat der Bundesrat einen neuen Gesetzesentwurf samt Botschaft zum neuen Schweizer Erbrecht verabschiedet. Ziel der Reform ist die Modernisierung des Schweizer Erbrechts und die Anpassung an neue Familienmodelle. Der Bundesrat will die Verfügungsfreiheit des Erblassers durch eine Verkleinerung der Pflichtteile erhöhen.
Newsletter Nr. 124 September 2018 Neues Schweizer Erbrecht Nach dem Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf vom 4. März 2016 veröffent- lichte der Bundesrat am 29. August 2018 einen neuen Gesetzesentwurf und die dazu- gehörige Botschaft des ersten Teils zur Änderung des Schweizerischen Erbrechts. Im Wesentlichen soll das Erbrecht an stark geänderte Lebensrealitäten angepasst und dem Erblasser mehr Dispositionsfreiheit eingeräumt werden. Im Zentrum der Revision steht eine Reduktion der Pflichtteile sowie die Schaffung eines Unterstützungsan- spruchs, um die faktischen Lebenspartner vor finanziellen Schwierigkeiten zu bewah- ren. Die Unternehmensnachfolge und die technischen Punkte wurden abgetrennt. Sie Von Kinga M. Weiss werden separat behandelt. Dr. iur., LL.M., TEP, Rechtsanwältin, Fachanwältin SAV Erbrecht Phone +41 58 658 56 80 Mehr Freiheit – weniger Pflicht Der Pflichtteil der überlebenden Ehegat- kinga.weiss@walderwyss.com ten oder Partner soll hingegen unverän- Das Schweizer Erbrecht hat seit dessen dert belassen werden (1/2 des gesetzli- Inkrafttreten vor rund 100 Jahren ledig- chen Erbanspruchs). Hinterlässt somit lich kleinere Anpassungen erfahren. Die beispielsweise eine Frau ihren Ehemann Formen des familiären Zusammenlebens mitsamt zwei Kindern, so beträgt der haben sich während dieser Zeit stark ver- Pflichtteil des Mannes heute 1/4 – näm- ändert sowie vervielfältigt und erfordern lich 1/2 des gesetzlichen Erbanspruchs daher eine Modernisierung des Erb- von 1/2 (vgl. Art. 471 Ziff. 3 ZGB). Der rechts. Mit der Revision des Erbrechts Pflichtteil der Kinder beläuft sich auf ins- will der Bundesrat den gesellschaftlichen gesamt 3/8 – nämlich 3/4 ihres gesetzli- Veränderungen und neuen Familienmo- chen Erbanspruchs von 1/2 (vgl. Art. 471 dellen Rechnung tragen. Dies soll durch Ziff. 1 ZGB). Für jedes der beiden Kinder und Natascha Rizzi eine Verkleinerung der Pflichtteilsrechte entspricht dies einem Pflichtteil von 3/16. MLE, Anwaltspraktikantin und damit verbundene Flexibilisierung Gemäss dem Entwurf des Bundesrates Telefon +41 58 658 57 22 der Nachlassplanung erreicht werden. soll der Pflichtteil des Ehemannes in die- natascha.rizzi@walderwyss.com Mit der Pflichtteilsreduktion soll ausser- sem Beispiel weiterhin 1/4, derjenige der dem die Übertragung von Familienunter- Kinder aber nun neu nur mehr insgesamt nehmen erleichtert werden. 1/4 und pro Kind 1/8 betragen – nämlich Reduktion des Pflichtteils der Nach- 1/2 ihres gesetzlichen Erbanspruchs von kommen und Aufhebung des Pflichtteils 1/2; vgl. Art. 471 E-ZGB). der Eltern Die nachstehende Tabelle stellt die Unter geltendem Recht können Erblasse- gesetzlichen Erbanteile, Pflichtteile und rinnen und Erblasser in der Schweiz auf- die verfügbaren Quote des geltenden grund der Pflichtteile, die den Kindern, Rechts dem Entwurf des Bundesrates Ehegatten und in einigen Fällen auch den gegenüber. Eltern zustehen, nur eingeschränkt über ihren Nachlass verfügen. Das geltende Recht soll insofern abgeändert werden, als dass der Pflichtteil der Nachkommen nur noch 1/2 des gesetzlichen Erban- spruchs beträgt anstelle von 3/4. Der Pflichtteil der Eltern soll sogar vollstän- dig aufgehoben werden (Art. 471 E-ZGB). Damit erhöht sich die verfügbare Quote. 1
Newsletter Nr. 124 September 2018 Pflichtteile und verfügbare Quote gemäss geltendem Recht und gemäss Entwurf des Bundesrates1 Die verstorbene Person Gemäss geltendem Recht Gemäss Entwurf des Bundesrates hinterlässt Gesetzlicher Pflichtteil Verfügbare Gesetzlicher Pflichtteil Verfügbare Erbanteil Quote Erbanteil Quote Nachkommen ganze Erbschaft ¾ ¼ (25%) ganze Erbschaft ½ ½ (50%) Ehefrau/Ehemann oder ganze Erbschaft ½ ½ (50%) ganze Erbschaft ½ ½ (50%) eingetragene/n Partner/in Mutter und/oder Vater ganze Erbschaft ½ ½ (50%) ganze Erbschaft 0 ganze Erbschaft Ein/mehrere Geschwister ganze Erbschaft 0 ganze Erbschaft ganze Erbschaft 0 ganze Erbschaft oder deren Nachkommen Nachkommen und Ehefrau/ ½ 3/8 3/8 (37,5%) ½ ¼ ½ (50%) Ehemann oder eingetragene/n Partner/in und ½ und 2/8 und ½ und ¼ Mutter und/oder Vater und ¼ 1/8 ½ (50%) ¼ 0 5/8 (62,5%) Ehefrau/Ehemann oder und ¾ und 3/8 und ¾ und 3/8 eingetragene/n Partner/in Ein/mehrere Geschwister ¼ 0 5/8 (62,5%) ¼ 0 5/8 (62,5%) und Ehefrau/Ehemann oder und ¾ und 3/8 und ¾ und 3/8 eingetragene/n Partner/in Vater oder Mutter und ein/ ½ ¼ ¾ (75%) ½ 0 ganze Erbschaft mehrere Geschwister und ½ und 0 und ½ und 0 Vater oder Mutter und ein/ 1/8 1/16 9/16 1/8 0 5/8 mehrere Geschwister und und 1/8 und 0 (56,25%) und 1/8 und 0 (62,5%) Ehefrau/Ehemann oder und 3/4 und 3/8 und ¾ und 3/8 eingetragene/n Partner/in 1 Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erbrecht) BBl 2018, S. 21 ff. 2
Newsletter Nr. 124 September 2018 Verlust des Pflichtteilsrechts während Unterstützungsanspruch zugunsten der Zusammenfassung eines Scheidungs- oder Auflösungsver- faktischen Lebenspartner Es gilt festzuhalten, dass durch die Revi- fahrens Im Vernehmlassungsverfahren wurde sion weder die gesetzliche Erbfolge noch Eine weitere Änderung des Pflichtteils der Vorschlag des Bundesrats ein Unter- die Erbanteile der gesetzlichen Erben betrifft die Ehegatten oder die eingetra- haltsvermächtnis zugunsten der fakti- angepasst werden. Lediglich die Pflicht- genen Partner, wenn einer der Ehegatten schen Lebenspartnerinnen und -partner teile werden für bestimmte Fälle gekürzt. oder Partner während des Scheidungs- zu schaffen, heftig kritisiert. Im neu vor- Neu soll der Pflichtteil der Nachkommen oder Auflösungsverfahrens stirbt. Nach liegenden Gesetzesentwurf schlägt der ½ des gesetzlichen Erbanspruchs betra- geltendem Recht entfällt der Pflichtteils- Bundesrat nun die Verankerung eines gen und der Pflichtteilsanspruch der anspruch zwischen den Ehegatten erst, gesetzlichen Unterstützungsanspruchs Eltern gänzlich wegfallen. Eine weitere wenn das Scheidungsurteil rechtskräftig vor, um das Existenzminimum der Neuerung ist der Pflichtteilsverlust, zu ist. Dasselbe gilt für eingetragene Part- zurückgebliebenen faktischen welchem es gemäss dem Gesetzesent- ner. Gemäss dem Gesetzesentwurf soll Lebenspartnerinnen und -partnern zu wurf unter gewissen Voraussetzungen ein Ehegatte/Partner den Pflichtteil unter sichern. Dieses als Härtefallregelung bei Ehegatten oder eingetragenen Part- gewissen Voraussetzungen schon wäh- ausgestaltete Instrument soll dann grei- nern im Falle des Todes bereits dann rend des Scheidungs- oder Auflösungs- fen, wenn das Paar beim Tod der Erblas- kommen soll, wenn einer der Ehegatten verfahrens künftig nicht mehr geltend serin oder des Erblassers seit mindes- oder Partner während des Scheidungs- machen können (Art. 472 E-ZGB). Damit tens fünf Jahren in einer faktischen oder Auflösungsverfahrens stirbt und will der Bundesrat den Anreiz zur takti- Lebensgemeinschaft gelebt hat und die nicht erst mit dem rechtsgültigen Schei- schen Verzögerung des Scheidungsver- überlebende Person infolge des Todes dungsurteil. Zu mehr Handlungsfreiheit fahrens bzw. des Verfahrens zur Auflö- der Erblasserin oder des Erblassers soll ausserdem die Erhöhung der verfüg- sung der eingetragenen Partnerschaft ohne einen solchen Anspruch in Not baren Quote bei der Nutzniessung des beseitigen. geraten würde (vgl. Art. 606a E-ZGB). überlebenden Ehegatten führen. Neu ist Dies kann beispielsweise dann der Fall zudem, dass die Ansprüche aus der Verfügbare Quote bei der Nutzniessung sein, wenn ein Partner die Erwerbstätig- gebundenen Selbstvorsorge (Bankstif- Nach geltendem Recht kann dem überle- keit zugunsten der Führung des Haushal- tung für Säule 3a) bei der Pflichtteilsbe- benden Ehegatten nach Art. 473 Abs. 1 tes, der Kinderbetreuung oder der rechnung berücksichtigt werden sollen. ZGB die Nutzniessung am ganzen den Betreuung von Familienmitgliedern wäh- Hingegen fallen weder die Leistungen gemeinsamen Kindern zufallenden Teil rend des Zusammenlebens aufgegeben aus der 2. Säule noch aus der Säule 3a in der Erbschaft zugewendet werden. Die hat und nicht ausreichend durch die Erb- den Nachlass. Zudem soll ein Unterstüt- Nutzniessung tritt an die Stelle des dem lasserin oder den Erblasser im Sinne zungsanspruch zugunsten der faktischen Ehegatten neben diesen Nachkommen eines letzten Willens oder eines Erbver- Lebenspartner in Form einer Rente ein- zustehenden gesetzlichen Erbrechts. trages berücksichtigt worden ist. Um zu geführt werden, welcher wohl eine der Neben dieser Nutzniessung beträgt die vermeiden, dass die überlebenden fakti- grössten und umstrittensten geplanten verfügbare Quote ein Viertel des Nach- schen Lebenspartner selbst bedürftig Änderungen darstellt. lasses (Art. 473 Abs. 2 ZGB). Diese ver- werden, soll ihnen ein gesetzlicher Unter- fügbare Quote soll nun gemäss Gesetzes- stützungsanspruch gegenüber dem entwurf auf die Hälfte des Nachlasses Nachlass zustehen, sofern dieser genü- erhöht werden (Art. 473 Abs. 2 E-ZGB). gend Vermögen umfasst. Die Unterstüt- The Walder Wyss Newsletter provides comments on new zung soll in Form einer Rente erfolgen developments and significant issues of Swiss law. These Gebundene Selbstvorsorge (Bankstif- comments are not intended to provide legal advice. Before und die Erben sollen eine angemessene tung für Säule 3a) taking action or relying on the comments and the infor- Sicherheit für den Unterstützungsan- mation given, addressees of this Newsletter should seek Der Gesetzesentwurf stellt klar, dass spruch leisten müssen (Art. 616a E-ZGB). specific advice on the matters which concern them. Guthaben der Säule 3a nicht in den Nach- Der Unterstützungsanspruch darf insge- © Walder Wyss Ltd., Zurich, 2018 lass fallen. Neu sollen aber bei der samt nicht höher ausfallen als ein Viertel gebundenen Selbstvorsorge bei einer des Nettonachlasses und ist zudem zeit- Bankstiftung die Ansprüche der Begüns- lich beschränkt, d.h. der Gesamtbetrag tigten für die Pflichtteilsberechnung zum darf die Summe der Renten, die der Vermögen des Erblassers hinzugerech- Lebenspartner bis zum vollendeten 100. net werden. Bei Versicherungslösungen Altersjahr erhalten würde, nicht über- der Säule 3a wird bereits heute der Rück- schreiten (vgl. Art. 606a E-ZGB). Durch kaufswert zur Pflichtteilsberechnungs- diese Härtefallregelung soll eine gesetzli- masse hinzugezählt. che Erbschaftsschuld geschaffen wer- den. 3
Walder Wyss AG Telefon + 41 58 658 58 58 Rechtsanwälte Fax + 41 58 658 59 59 reception@walderwyss.com www.walderwyss.com
Sie können auch lesen