Gesundheit fördern und Krank heiten vorbeugen - Arbeitspapier 53 Argumentarium - Juni 2021
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Juni 2021 Arbeitspapier 53 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen Argumentarium In Zusammenarbeit mit:
Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der Gesundheit (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes. Oberstes Entscheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Geschäftsstelle besteht aus Büros in Bern und Lausanne. Jede Person in der Schweiz leistet einen jährlichen Beitrag von CHF 4.80 zugunsten von Gesundheitsförderung Schweiz, der von den Krankenversicherern eingezogen wird. Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch In der Reihe «Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapier» erscheinen von Gesundheitsförderung Schweiz erstellte oder in Auftrag gegebene Grundlagen, welche Fachleuten in der Umsetzung in Gesundheitsförderung und Prävention dienen. Der Inhalt der Arbeitspapiere unterliegt der redaktio- nellen Verantwortung der Autorinnen und Autoren. Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapiere liegen in der Regel in elektronischer Form (PDF) vor. Impressum Herausgeberin Gesundheitsförderung Schweiz Autor Mirko Saam, Communication in Science Projektleitung Gesundheitsförderung Schweiz Dr. Manon Delisle, Projektleiterin Partner Relations Projektleitung Commission de Prévention et de Promotion de la Santé du GRSP (CPPS) Alexia Fournier Fall, PhD, Koordinatorin CPPS Begleitgruppe (in alphabetischer Reihenfolge) – Homa Attar-Cohen, Service du Médecin Cantonal, Genève – Sophie Barras Duc, Bundesamt für Gesundheit BAG – Christa Rudolf von Rohr, Gesundheitsförderung Schweiz – Silvia Steiner, Vereinigung der kantonalen Beauftragten für Gesundheitsförderung (VBGF) – Lysiane Ummel Mariani, Service de la santé publique, Neuchâtel Reihe und Nummer Gesundheitsförderung Schweiz, Arbeitspapier 53 Zitierweise Saam, M. (2021). Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen. Argumentarium. Arbeitspapier 53. Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz. Fotonachweis Titelbild © iStock Auskünfte/Informationen Gesundheitsförderung Schweiz, Wankdorfallee 5, CH-3014 Bern, Tel. +41 31 350 04 04, office.bern@promotionsante.ch, www.gesundheitsfoerderung.ch Originaltext Französisch Bestellnummer 01.0354.DE 06.2021 Diese Publikation ist auch in französischer und in italienischer Sprache verfügbar (Bestellnummern 01.0354.FR 06.2021 und 01.0354.IT 06.2021). Download PDF www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen © Gesundheitsförderung Schweiz, Juni 2021
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 3 Editorial Gesundheitsförderungs- und Präventionsmassnah- rium «Gesundheit fördern und Krankheiten und Un- men gegen Krankheiten erfordern einen sektorüber fällen vorbeugen» aus dem Jahr 2010 zu aktualisie- greifenden Ansatz, der gesundheitsförderliche Um- ren. Dieses neue Argumentarium ist in den Sprachen gebungen stärkt und Verhaltensänderungen bewirkt. Deutsch, Französisch und Italienisch verfügbar und Auf der Ebene Kantone und Gemeinden stellen zahl- entspricht der nationalen Informationspolitik zu den reiche politische Ansätze, wie der Jugendschutz, die nichtübertragbaren Krankheiten, der psychischen Gesundheitsförderung in der Schule, die Verbes Gesundheit und Suchterkrankungen. Ergänzt und serung der Gesundheit und Sicherheit am Arbeits- veranschaulicht wird das Argumentarium mit Videos platz, die Sozialhilfe und Wohnungsbauförderung, und Infografiken. Das gesamte Infomaterial ist auf die Integrationsförderung, die Raumordnungspolitik, der Website von Gesundheitsförderung Schweiz frei das Mobilitätsmanagement oder der Umweltschutz, zugänglich: www.gesundheitsfoerderung.ch/gfp. wirksame Massnahmen dar, um den Gesundheits- Wir wünschen Ihnen nun eine spannende Lektüre zustand der Bevölkerung zu verbessern. und hoffen, dass Sie von diesem Argumentarium Das Argumentarium «Gesundheit fördern und Krank- regen Gebrauch machen! heiten vorbeugen» hat zum Ziel, die Herausforde- rungen zu erläutern und Entscheidungsträgerinnen Prof. Dr. Thomas Mattig und -träger sowie Fachpersonen aus allen Berei- Direktor Gesundheitsförderung Schweiz chen dazu anzuregen, die Gesundheitsförderung in ihre Aktivitäten und Projekte zu integrieren. Dafür Laurent Kurth benötigen sie aktuelle und leicht verständliche Infor- Präsident der Conférence Latine des Affaires mationen. Sanitaires et Sociales CLASS Gesundheitsförderung Schweiz und die in der Con- Staatsrat und Vorsteher des Departements férence Latine des Affaires Sanitaires et Sociales für Finanzen und Gesundheit, Neuenburg (CLASS) zusammengeschlossenen Westschweizer Kantone haben darum beschlossen, in Zusammen- Dr. Andrea Arz de Falco arbeit mit der Vereinigung der kantonalen Beauf- Vizedirektorin des Bundesamts für Gesundheit BAG tragten für Gesundheitsförderung (VBGF) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) das Argumenta
4 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze 6 1 Förderung von gesundheitsfördernden Verhaltensweisen 7 2 Gesundheitsförderung und Prävention seitens der staatlichen Stellen und Unternehmen 12 3 Ernährung und Bewegung 16 3.1 Entwicklung und Herausforderungen 16 3.2 Beispiele von wirksamen und rentablen Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention 16 3.3 Wirksamkeit von Massnahmen in anderen Bereichen 18 4 Alkohol, Tabak- und andere Nikotinprodukte sowie weitere psychoaktive Substanzen 19 4.1 Entwicklung und Herausforderungen 19 4.2 Beispiele von wirksamen und rentablen Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention 20 4.3 Wirksamkeit von Massnahmen in anderen Bereichen 21 5 Online-Verhalten und Geldspiele 22 5.1 Entwicklung und Herausforderungen 22 5.2 Beispiele von wirksamen und rentablen Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention 23 5.3 Wirksamkeit von Massnahmen in anderen Bereichen 23 6 Psychische Gesundheit 24 6.1 Entwicklung und Herausforderungen 24 6.2 Beispiele von wirksamen und rentablen Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention 24 6.3 Wirksamkeit von Massnahmen in anderen Bereichen 25 7 Antworten auf neue Herausforderungen 26 7.1 Stärkung der Gesundheitskompetenzen vulnerabler Personen 26 7.2 Prävention und Gesundheitsförderung für alle Altersgruppen 27 7.3 Zu verfolgende Themenbereiche 28 8 Fazit 29 9 Zusätzliche Unterlagen 30 10 Quellenverzeichnis 32
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 5 Darstellungsverzeichnis Abbildung 1 Ziele der bundesrätlichen Strategie Gesundheit2030 7 Abbildung 2 Welche Risikofaktoren sind die Hauptursachen von Behinderungen und/oder Todesfällen? 8 Abbildung 3 Einfluss der Risiken auf verschiedene Krankheiten in der Schweizer Bevölkerung, beide Geschlechter, alle Altersgruppen, 2017 9 Abbildung 4 Erklärungsmodell der gesundheitlichen Ungleichheit 10 Abbildung 5 Relevante Politikbereiche im Kantonalen Aktionsplan des Kantons Genf 12 Abbildung 6 Für Gesundheitsförderung und Prävention relevante Akteure und Bereiche 13 Abbildung 7 Anteil übergewichtiger und adipöser Kinder auf verschiedenen Schulstufen (Basel, Bern, Zürich zusammen), Vergleich von vier Perioden 16 Abbildung 8 Ernährungsverhalten von 11- bis 15-jährigen Schülerinnen und Schülern 17 Abbildung 9 Meinung der Bevölkerung zu Massnahmen, die zum Gehen oder Velofahren motivieren18 Abbildung 10 Gesundheitsdeterminanten gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2017 19 Abbildung 11 Anzahl 65-Jährige und Ältere je 100 Erwerbspersonen im Alter von 20 bis 64 Jahren nach den 3 Grundszenarien 27 Tabelle 1 Wieso sind Gesundheitsförderung und Prävention von Krankheiten wichtig? Drei Beispiele für die Schweiz 6 Tabelle 2 Krankheiten und Leiden mit der grössten Auswirkung auf Lebenserwartung, Wohlbefinden und Gesundheitskosten in der Schweiz 8 Tabelle 3 Entwicklung verschiedener Risiko- und Schutzfaktoren für die Gesundheit 11 Tabelle 4 Multisektorielle Ansätze der Gesundheitsförderung und Prävention 15
6 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen Das Wichtigste in Kürze Mehrere Studien zeigen, dass die Gesundheit eine schaftlichen Entwicklung (Alterung der Bevölkerung, der grössten Sorgen der Schweizer Bevölkerung ist. Migration, Zunahme der gesundheitlichen Ungleich- Massnahmen zur Gesundheitsförderung und zur heit usw.) und bedingen eine Stärkung der Mass Prävention von Krankheiten sind unabdingbar, um nahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention. die steigenden Gesundheitskosten in den Griff zu Da bei stützt sich dieses Argumentarium auf die bekommen und die Lebensqualität der Bevölkerung neusten Datenquellen und basiert in erster Linie auf zu erhöhen. Das vorliegende Argumentarium soll Studien aus der Schweiz. Falls keine entsprechen- anhand einer Reihe konkreter Beispiele (im Text den Studien vorliegen, werden internationale Stu- grün hinterlegt) den Nutzen derartiger Mass dien herangezogen. nahmen aufzeigen. Drei Beispiele aus der Schweiz Des Weiteren zeigt dieses Argumentarium die poten werden in Tabelle 1 vorgestellt. zielle Rolle der Gesundheitsförderung und Präven- In den Kapiteln 3 bis 6 wird aufgezeigt, wie sich die tion in Gesundheitskrisen auf, wie jüngst die SARS- Indikatoren in den Bereichen entwickelt haben, in CoV-2-Pandemie. Der grösste Teil der aufgrund denen Handlungsbedarf besteht. Die Herausforde- dieser Viruserkrankung hospitalisierten Personen rungen (im Text rot hinterlegt) werden in den ge- litt an Übergewicht und/oder an weiteren Vorer nannten Kapiteln sowie in Kapitel 7 herausgearbeitet. krankungen (z. B. Bluthochdruck, Herz-Kreislauf- Das Argumentarium unterstreicht zudem, wieso es Erkrankungen oder Diabetes). wichtig ist, die Rahmenbedingungen auf allen politi- Um sämtliche Herausforderungen in der Gesundheits schen Ebenen durch strukturelle Massnahmen zu förderung anzugehen, sind gesundheitsbezogene verbessern. Derartige Massnahmen führen nach- politische Entscheidungen in allen Lebensbereichen weislich zu Verhaltensänderungen beim Individuum. (health in all policies) und entsprechende Dotie Ferner zeigt diese Publikation eine Reihe von The- rungen mit finanziellen Mitteln notwendig, insbe- men auf, die zukünftig an Bedeutung gewinnen wer- sondere um die langfristige Finanzierung von nach- den. Sie stehen im Zusammenhang mit der gesell- weislich wirksamen Massnahmen sicherzustellen. TABELLE 1 Wieso sind Gesundheitsförderung und Prävention von Krankheiten wichtig? Drei Beispiele für die Schweiz Es kann davon ausgegangen werden, dass die kantonalen Aktionsprogramme [1] Etwas mehr als eines von sieben zu den Themen «Ernährung und Bewegung» dazu beigetragen haben, den Kindern (6–12 Jahre) in der Schweiz Anteil übergewichtiger Kinder (auf allen Schulstufen) zu senken. Erhebungen ist übergewichtig.1 in Bern, Zürich und Basel zeigen eine Abnahme von 19,5 % auf 17,2 % [2]. Insgesamt liegen die Kosten, die Die Kampagne «SmokeFree» in den Jahren 2014 bis 2017 hat die negativen Folgen jährlich im Zusammenhang mit dem des Rauchens (sowohl bei Personen, die rauchen, als auch in der Öffentlichkeit Tabakkonsum anfallen, bei nahezu allgemein) stärker ins Bewusstsein gerückt; sie hat die Motivation, das Rauchen CHF 4 Milliarden; sie belaufen sich aufzugeben, verstärkt und das Image des Nichtrauchens verbessert [4]. Im Jahr somit auf das Doppelte der Steuerein- 2017 gaben 62 % der Raucherinnen und Raucher in der Schweiz an, dass sie das nahmen (CHF 2 Milliarden pro Jahr) Rauchen aufgeben möchten (1992: 54,5 %) [5]. aus dem Verkauf von Tabakwaren [3]. In zehn Jahren ist der Anteil der Einwohnerinnen und Einwohner, die sich in Ein Viertel der Schweizer Bevölkerung ihrer Freizeit gemäss den Empfehlungen bewegen, von 62 % auf 76 % angestiegen. bewegt sich nicht ausreichend [6]. Dieser Anstieg ist bei allen Altersgruppen zu beobachten [6]. 1 Übergewicht = Body Mass Index (BMI) > 25. Quelle: Obsan. Übergewicht und Adipositas (Alter: 6–12). https://www.obsan.admin.ch/de/indikatoren/MonAM/uebergewicht-und-adipositas-alter-6-13 (Stand: 29.9.2020).
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 7 1 Förderung von gesundheits fördernden Verhaltensweisen Bis im Jahr 2030 will die Schweiz unter Berück heitsförderung und Prävention umfasst Inter sichtigung der Ziele für nachhaltige Entwicklung ventionen und strukturelle Massnahmen, welche der Agenda 2030 acht Ziele erreicht haben [7] (Ab- ein gesundheitsförderndes Umfeld schaffen sowie bildung 1). gesundheitsförderliche Verhaltensweisen ermög- Die Erreichung dieser Ziele hängt stark von den Be- lichen. mühungen in den Bereichen Gesundheitsförderung Tabelle 2 zeigt die fünf wichtigsten Krankheiten und und Prävention ab. Obwohl die Schweiz im interna- Leiden, die in der Schweiz die grössten Auswirkun- tionalen Vergleich überdurchschnittlich hohe Aus- gen auf die Lebenserwartung, das Wohlbefinden [13] gaben für das Gesundheitswesen hat [8], fliessen nur und die Gesundheitsfolgekosten haben [14]. 2,6 % dieser Mittel in die Prävention [9], während es Werden die massgeblichen Ursachen für die verlo- in den OECD-Ländern durchschnittlich 2,9 % [10] sind. renen potenziellen Lebensjahre (years of potential Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, life lost, YPLL) und die massgeblichen Ursachen der dass mindestens 80 % aller Herz-Kreislauf- verlorenen gesunden Lebensjahre bzw. Jahre mit Erkrankungen, Schlaganfälle und Diabeteserkran- Behinderung (disability-adjusted life years, DALY; kungen sowie 40 % der Krebserkrankungen sich years living with a disability, YLD) addiert, lassen durch eine Reduktion des Tabakkonsums, mode sich die Leiden analysieren, die sich zugleich auf rateren Alkoholkonsum, eine ausgewogenere Er- die Lebenserwartung und das Wohlbefinden aus nährung sowie vermehrte körperliche Bewegung wirken.2 Ausserdem lässt sich abschätzen, welche verhindern liessen [11]. Neben den vielfältigen Aus- Risikofaktoren sich am deutlichsten auf die Lebens wirkungen auf die körperliche Gesundheit haben erwartung und das Wohlbefinden auswirken. Die diese Verhaltensweisen auch einen entscheidenden betreffenden Risikofaktoren werden in der Global Einfluss auf die psychische Gesundheit [12]. Gesund Burden of Disease Study je nach ihrem Zusammen- ABBILDUNG 1 Ziele der bundesrätlichen Strategie Gesundheit2030 Quelle: BAG, 2019 2 Die auf dieser Addition beruhende Masseinheit nennt sich DALY («disability-adjusted life years» bzw. «verlorene gesunde Lebensjahre» pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner).
8 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen hang mit dem Verhalten, Stoffwechselfaktoren 3 und im Zusammenhang mit Behinderung stehenden oder dem Umfeld in eine dieser drei Kategorien ein Risikofaktoren für die Schweizer Bevölkerung sowie gereiht. Abbildung 2 zeigt die zehn meist tödlichen ihre Entwicklung in den Jahren 2007 bis 2017. TABELLE 2 Krankheiten und Leiden mit der grössten Auswirkung auf Lebenserwartung, Wohlbefinden und Gesundheitskosten in der Schweiz Lebenserwartung Wohlbefinden Gesundheitskosten (insgesamt potenziell verlorene (insgesamt verlorene gesunde Lebens (gesamte Kosten des Gesundheitswesens, Lebensjahre, in Prozent, jahre bzw. Jahre mit Behinderung, in in Prozent, Stand 2011) Stand 2016) Prozent, Stand 2016) Bösartige Tumore und Krebs Psychische Leiden und Substanzen Herz-Kreislauf-Erkrankungen (16 %) erkrankungen (8 %) missbrauch (5 %) Herz-Kreislauf-Erkrankungen Erkrankungen des Bewegungsapparats Erkrankungen des Bewegungsapparats (13 %) (6 %) (4 %) Neurologische Leiden (2 %) Sensorische Beeinträchtigungen oder Psychische Leiden und Substanzen Defizite (3 %) missbrauch (11 %) Unfälle und Verletzungen (1 %) Neurologische Leiden (2 %) Unfälle und Verletzungen (8 %) Suizide (1 %) Unfälle und Verletzungen (2 %) Urogenitale Erkrankungen, Bluterkrankungen und endokrinologische Krankheiten (7 %) ABBILDUNG 2 Welche Risikofaktoren sind die Hauptursachen von Behinderungen und/oder Todesfällen? Rangfolge 2007 Rangfolge 2017 Prozentuale Veränderung 2007–2017 Tabak 1 1 Tabak –5,7 % Ernährungsbedingte Risiken 2 2 Hoher Nüchtern-Plasmaglukosespiegel 7,2 % Hoher Nüchtern-Plasmaglukosespiegel 3 3 Ernährungsbedingte Risiken –7,9 % Bluthochdruck 4 4 Hoher BMI 14,2 % Hoher BMI 5 5 Bluthochdruck –4,4 % Alkoholkonsum 6 6 Berufsrisiken 9,1 % Berufsrisiken 7 7 Alkoholkonsum –11,0 % Hoher LDL-Cholesterinspiegel 8 8 Hoher LDL-Cholesterinspiegel –15,4 % Luftverschmutzung 9 9 Luftverschmutzung –11,7 % Beeinträchtigung der Nierenfunktion 10 10 Beeinträchtigung der Nierenfunktion 10,0 % Stoffwechselstörungen Umwelt-/Berufsrisiken Risikoverhalten Quelle: Institute for Health Metrics and Evaluation 3 Die «Stoffwechselrisiken» umfassen gemäss der Methodologie der Global Burden of Disease Study Folgendes: hohe Blutzucker werte in nüchternem Zustand, erhöhter Gehalt an Gesamtcholesterin, erhöhter systolischer Blutdruck, erhöhter BMI, geringe Knochenmineraldichte sowie Funktionsveränderung der Nieren. Quelle: GBD 2016 Risk Factors Collaborators (2017). Global, regional, and national comparative risk assessment of 84 behavioural, environmental and occupational, and metabolic risks or clusters of risks, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016. The Lancet, 390(10100), 1345–422.
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 9 Krankheiten lassen sich unter Einbezug aller (verhal- Die meisten Menschen wissen, welche Verhaltens- tens-, stoffwechsel- und umweltbedingten) Risiken weisen sich positiv auf ihre Gesundheit auswirken: darstellen [15] (Abbildung 3). regelmässige körperliche Bewegung, ausgewogene Persönliche Entscheidungen und von strukturellen Ernährung, Stressmanagement, mässiger Alkohol- und politischen Entscheidungen geprägte Verhal- konsum und Verzicht auf Tabak. Es reicht aber nicht tensweisen haben einen bedeutenden Einfluss auf aus, wenn die Verantwortung für gesundheits den Gesundheitszustand. Ein gesundheitsförderndes fördernde Verhaltensweisen ausschliesslich beim Umfeld funktioniert dabei als Katalysator, sodass Einzelnen liegt. Es ist essenziell, dass die staatli- im Idealfall die gesündeste Alternative auch die chen Stellen derartige Verhaltensweisen fördern – einfachste und naheliegendste ist. Abbildung 4 illus- dies kann mithilfe von strukturellen Massnahmen triert dazu den Stellenwert der strukturellen Rah- passieren (siehe Kapitel 2). menbedingungen für die Gesundheit der Gesell- schaft und jene des Individuums. ABBILDUNG 3 Einfluss der Risiken auf verschiedene Krankheiten in der Schweizer Bevölkerung, beide Geschlechter, alle Altersgruppen, 2017 Verhalten Stoffwechsel Umwelt 0 2000 4000 6000 8000 10 000 DALYs pro 100 000 HIV/AIDS und sexuell Tumore Konsum von Substanzen Verkehrsunfälle mit übertragbare Krankheiten Herz-Kreislauf- Diabetes und chronische Verletzungsfolge Infektionen der Atemwege Erkrankungen Nierenerkrankungen Unabsichtliche Ver und TB Chronische Atemwegs Hautkrankheiten letzungen Darminfektionen erkrankungen Störungen der Sinnes Selbstverletzung und Vernachlässigte Tropen- Erkrankungen des Ver organe Gewalt krankheiten und Malaria dauungsapparats Erkrankungen des Sonstige Infektionen Neurologische Störungen Bewegungsapparats Mütter- und Psychische Störungen Sonstige nicht übertrag- Neugeborenenkrankheiten bare Krankheiten Mangelernährung Quelle: Institute for Health Metrics and Evaluation
10 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen ABBILDUNG 4 Erklärungsmodell der gesundheitlichen Ungleichheit Strukturelle Determinanten Soziale Determinanten Gesundheit der Gesundheit Ziel der Massnahmen Ziel der Massnahmen Angestrebter Impact Reduktion von sozialer Ungleichheit Unterschiede in Ressourcen Reduzierte gesundheitliche bzw. sozialer Benachteiligung aufgrund und Belastungen in den Ungerechtigkeit im Hinblick von vertikalen und horizontalen Ungleich- folgenden Faktorengruppen auf die Sterblichkeit (Morta heitsmerkmalen. Die Massnahmen ausgleichen: lität), die Häufigkeit von betreffen die übergeordnete politische • Materielle Lebens- und Erkrankungen (Morbidität), und soziostrukturelle Ebene. Arbeitsbedingungen die Lebensqualität und das • Governance • Psychosoziale Faktoren Wohlbefinden • Wirtschaftspolitik (allgemein) • Gesundheitsverhalten • Arbeitsmarktpolitik • Gesundheitswesen • Raumplanung • Sozialpolitik • Migrationspolitik • Bildungspolitik • Gesundheitspolitik • Gesellschaftliche Normen und Werte Quelle: Chancengleichheit in der Gesundheitsförderung und Prävention in der Schweiz [16] Die Massnahmen zur Gesundheitsförderung und In Tabelle 3 sind der Stand und die Entwicklung zur Prävention von nichtübertragbaren Krankheiten verschiedener Risiko- und Schutzfaktoren für die richten sich in erster Linie auf folgende Bereiche [17]: Gesundheit von Erwachsenen (ab 15 Jahren) und 1. Lebensqualität und Wohlbefinden steigern, ins- Kindern (bis 15 Jahre) abgebildet. In der Spalte besondere durch Stärkung der Gesundheits «Lage und Entwicklung» bezeichnet der erste Smi- kompetenzen der Bevölkerung, unter anderem ley den aktuellen Stand und der zweite die Ent bezüglich Ernährung und Bewegung (3. Ernäh- wicklung. Die Lage wird anhand eines Vergleichs rung und Bewegung) und durch Schaffung eines mit dem Durchschnitt der EU-Staaten evaluiert, gesundheitsfördernden Umfelds. während die Entwicklung anhand der in den letzten 2. Prävention des Risikokonsums und Suchtpräven- Jahren beobachteten Tendenzen evaluiert wird (d. h. tion, im Zusammenhang mit Alkohol, Tabak je nach Datenlage seit 2002, 2007 oder 2012). Die und neuartigen Tabak- und Nikotinprodukten günstige Entwicklung bei bestimmten Verhaltens- oder anderen psychoaktiven Substanzen weisen – grüner Smiley – hat insbesondere dazu bei- (4. Alkohol, Tabak und vergleichbare Produkte getragen, dass die Anzahl neuer Krebserkrankungen sowie weitere psychoaktive Substanzen). in den letzten Jahren stabil geblieben ist [18]. 3. Prävention von stoffungebundenen Sucht- formen und exzessiven Verhalten wie dem über- mässigen Internetgebrauch, der übermässigen Nutzung von Bildschirmen oder der Geldspiel- sucht (5. Online-Verhalten und Geldspiele). 4.Förderung der psychischen Gesundheit in allen Lebensphasen sowie in der Arbeitswelt (6. Psychische Gesundheit).
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 11 TABELLE 3 Entwicklung verschiedener Risiko- und Schutzfaktoren für die Gesundheit Lage und Entwicklung Indikator Quelle Ausreichende Bewegung Indikatoren «Gesundheit2020», Bewegung (Erwachsene) Aktualisierung 2019 Ausreichende Bewegung Indikatoren «Gesundheit2020», Bewegung (Minderjährige) Aktualisierung 2019 Bewegungsmangel Durchschnittlich im Sitzen verbrachte Zeit pro Tag MonAM Verzehr von Obst Anteil Personen, die täglich Früchte zu sich und Gemüse nehmen MonAM Anteil Personen, die täglich rauchen Indikatoren «Gesundheit2020», Tabak (Erwachsene) Aktualisierung 2019 Anteil Personen, die täglich rauchen Indikatoren «Gesundheit2020», Tabak (Minderjährige) Aktualisierung 2019 Chronischer Alkohol Anteil Personen mit chronischem Indikatoren «Gesundheit2020», konsum Risikokonsum von Alkohol Aktualisierung 2019 Episodischer Risiko Anteil Erwachsene mit episodischem Indikatoren «Gesundheit2020», konsum von Alkohol Risikokonsum von Alkohol Aktualisierung 2019 Episodischer Risiko Anteil Minderjähriger mit episodischem Indikatoren «Gesundheit2020», konsum von Alkohol Risikokonsum von Alkohol Aktualisierung 2019 Monatsprävalenz Cannabiskonsum Indikatoren «Gesundheit2020», Cannabiskonsum (Erwachsene) Aktualisierung 2019 Monatsprävalenz Cannabiskonsum Indikatoren «Gesundheit2020», Cannabiskonsum (Minderjährige) Aktualisierung 2019 Anzahl Personen, die über längere Zeit starke Medikamentenkonsum Schlaf- und Beruhigungsmittel einnehmen Schweizer Suchtpanorama 2020 Schweizerische Gesundheits Adipositas Anteil Personen mit Adipositas (Erwachsene) befragung 2017 Schweizerische Gesundheits Adipositas Anteil Personen mit Adipositas (Minderjährige) befragung 2017 Bluthochdruck Bluthochdruck (Alter: 15+) MonAM Hypercholesterinämie Erhöhter Cholesterinspiegel (Alter: 15+) MonAM Übergewicht Übergewicht (Alter: 15+) MonAM Übergewicht Übergewicht (Alter: 6–12) MonAM Anteil Personen in der Bevölkerung, bei denen nach Diabetes eigenen Angaben ein Diabetes diagnostiziert wurde MonAM bzw. die entsprechende Medikamente einnehmen Anteil der Bevölkerung mit einer mittelschweren Schweizerische Gesundheits- Depressionen oder schweren Depression befragung 2017 Suizidrate pro 100 000 Einwohnerinnen und Indikatoren «Gesundheit2020», Suizide Einwohner Aktualisierung 2019 Schutzfaktoren Risikofaktoren Krankheit oder ernsthafte Beeinträchtigung
12 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 2 Gesundheitsförderung und Prävention seitens der staatlichen Stellen und Unternehmen Die Gesundheit ist die grösste Sorge der Schweizer um den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu Bevölkerung [19]. Sie ist auf allen Ebenen und in sämt- verbessern. Übertragen auf die Schweiz verfügen lichen Bereichen zu fördern [20]. Sowohl staatliche die Kantone – insbesondere im Rahmen ihrer Ge- Stellen als auch Unternehmen können strukturelle setzgebungen und kantonalen Fiskalmassnahmen – Massnahmen ergreifen, welche gesundheitsförder- über den notwendigen Spielraum, um diese inte liche Verhaltensweisen wie auch eine gesundheits- grierte Politik zu fördern. fördernde Umwelt schaffen. Derartige Massnah- Abbildung 5 stammt aus dem Plan cantonal de pro- men zählen zu den wirkungsvollsten und verlangen motion de la santé et de prévention 2019–2023 (Kan den einzelnen Personen am wenigsten ab. tonaler Gesundheitsförderungs- und Präventions- Laut WHO [21] stellen die Gesundheitsförderung in plan) des Kantons Genf und illustriert die Vielfalt der der Schule, der Jugendschutz sowie die Sozial- und kantonalen gesundheitspolitischen Ansätze. Wohnungsbaupolitik die wirksamsten Ansätze dar, ABBILDUNG 5 Relevante Politikbereiche im LRV-Messungsplan Kantonale 2018–2023, Kantonalen Aktionsplan des Kantons Genf Verbesserung der Wirtschaftsstrategie 2030 Luftqualität Alzheimerplan Kantonales des Kantons Genf Integrations- 2016–2019 programm 2018–2021 Kantonaler Klimaplan Kantonaler Kantonales Konzept Aktionsplan für nachhaltige Entwicklung 2030 Lehrplan der Westschweiz – Plan zur Gesundheitsförderung d’études romand (PER) und Prävention 2019–2023 Kantonaler Aktionsplan Richtplan (PDCn) Sanfte Mobilität Strategie zu Kantonales Unter- lufthygienischen Umwelt 2030 stützungsprogramm Massnahmen 2030 für betreuende Ange- hörige 2017–2020 Roadmap zum Bericht Armutsbericht Massnahmenplan Gesundheitsplanung des Kantons Genf «Schadstoffe in der des Kantons Genf und zukünftiger Umwelt» 2016–2019 Aktionsplan zur Bekämpfung der Armut Strategie Elektromobilität 2030
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 13 Gemeinden und Städte zählen zu den institutionel- arbeitenden interessante und abwechslungsreiche len Akteuren, die der Bevölkerung am nächsten Aufgaben erhalten, dass sie ein Mitspracherecht sind. Bei der Umsetzung von Massnahmen zur Ge- haben und dass sie am Arbeitsplatz soziale Unter- sundheitsförderung und Prävention sind sie daher stützung und Wertschätzung erfahren. Entspre- unverzichtbare Akteure. Städte und Gemeinden chende Massnahmen verringern die Absenzzeiten können auf verschiedenen Ebenen aktiv werden: und tragen dazu bei, Mitarbeitende zu binden [22]. z.B. bei der Raumplanung, dem Mobilitätsmanage- Im Jahr 2016 setzten 71 % der Schweizer Unterneh- ment, der Frühen Förderung, der Unterstützung men mit über 100 Mitarbeitenden bereits Massnah- älterer Menschen und der Integration von Migran- men des betrieblichen Gesundheitsmanagements tinnen und Migranten. um, wobei von diesen 23 % umfassend und syste In Unternehmen ist die aktive Gesundheitsförde- matisch vorgingen (25 % in der deutschsprachigen rung der Mitarbeitenden schon heute weit verbrei- Schweiz, 20 % in der französischsprachigen Schweiz tet. Studien zufolge wirken sich diese Massnahmen und 7 % im Tessin) [23]. Während mittelgrosse und auch in wirtschaftlicher Hinsicht positiv aus (Pro- grosse Unternehmen solche Programme systema- duktivitätssteigerungen). Zur Förderung der (v. a. tisch umsetzen, fehlen den kleineren Unternehmen psychischen) Gesundheit ist es wichtig, dass die Mit- (KMU) häufig die erforderlichen Mittel. ABBILDUNG 6 Für Gesundheitsförderung und Prävention relevante Akteure und Bereiche Primar- und Integration Sozialarbeit Frühförderung Sekundarschulbildung Stiftungen, NGOs Bund Kantone Gemeinden und Ligen Gesundheitsförderung und Prävention Forschung und Bildung: Unternehmen Gesundheitswesen Zivilgesellschaft Tertiärbereich Raumplanung und Nachhaltige Entwicklung Mobilität Volkswirtschaft Umwelt
14 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen Das Gesundheitswesen fällt in erster Linie in die von Suchterkrankungen, Hilfestellung und Be- Kompetenz der Kantone. 4 Die Rolle des Bundes be- handlungsmöglichkeiten für Personen mit steht vor allem darin, im Sinne einer Orientierung Suchterkrankungen, Minderung der gesundheit- gesamtschweizerische Strategien und Leitlinien zu lichen und gesellschaftlichen Schäden sowie erarbeiten – dies unter anderem immer gemein- der negativen Folgen für die Gesellschaft [28]. sam mit den Kantonen und Gesundheitsförderung • Dialogbericht Psychische Gesundheit in der Schweiz. Nachstehende Liste gibt eine Übersicht Schweiz aus dem Jahr 2015 zur Darstellung der über die strategischen Leitlinien.5 Lage und des Bedarfs an Koordination, struk • Gesundheitspolitische Strategie Gesundheit2030 turellen Anpassungen, Monitoring- und Evalua- als Verlängerung der Strategie Gesundheit2020. tionsmassnahmen und Projekten im Bereich Die Umsetzung der letzteren Strategie wurde im «psychische Gesundheit» [22] und der Aktions- Jahr 2013 eingeleitet; die Massnahmen, die sich plan Suizidprävention [29]. am meisten bewährten, und die zu schliessenden Lücken [24] bildeten die Grundlage für die Aus- Nicht zu vergessen ist, dass die Gesundheitspolitik arbeitung der Strategie Gesundheit2030 [25]. fest in den 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung • Nationale Strategie zur Prävention nichtübertrag- (Sustainable Development Goals, SDGs) verankert barer Krankheiten 2017–2024 (NCD-Strategie) ist, zu deren Umsetzung bis im Jahr 2030 sich sämt- sowie der zugehörige Massnahmenplan zur Um- liche UNO-Mitgliedstaaten verpflichtet haben [30]. setzung von Massnahmen in der Bevölkerung, Für die Unfallprävention sind die Beratungsstelle für in der Gesundheitsversorgung und in der Arbeits- Unfallverhütung (BFU) und die Schweizerische Unfall- welt [26]. versicherung Suva zuständig. In diesem Argumenta- • Schweizer Ernährungsstrategie 2017–2024 ein- rium wird die Verhütung von Arbeitsunfällen nicht schliesslich des zugehörigen Aktionsplans [27]. thematisiert; diese ist Gegenstand der entspre- • Nationale Strategie Sucht 2017–2024 (sowie der chenden Pläne für Gesundheit und Sicherheit am zugehörige, im November 2016 eingeführte Arbeitsplatz [31]. Massnahmenplan) zur Prävention des Auftretens 4 Die Kantone sind neben den Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention auch für die Gesundheitsversorgung (Gesundheitsplanung, Berufsausübungsbewilligungen, Spitalverwaltung, Gesundheitswesen usw.) verantwortlich; der Bund verfügt über gewisse Kompetenzen, die auf bestimmten Bundesgesetzen fussen; sie gehen aber deutlich weniger weit als diejenigen der Kantone. 5 Nicht abschliessendes Verzeichnis; die in anderen Sektoren praktizierten Strategien (insbesondere die Jugend- und Behindertenpolitik usw. des BSV) haben ebenfalls grossen strategischen Einfluss.
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 15 Tabelle 4 enthält Beispiele von Gesundheitsfragen, Die nachfolgenden Kapitel 3 bis 7 beschreiben die die nicht allein vom Gesundheitssektor bzw. der öf- bisherige Entwicklung und den aktuellen Handlungs fentlich-rechtlichen Gesundheitspolitik beantwortet bedarf in den verschiedenen Themenbereichen der werden können. Auch andere Politikbereiche tragen Gesundheitsförderung und Prävention. Es werden einen wichtigen Teil zur Problemlösung bei. Diese zu jedem Bereich Massnahmen aufgezeigt, welche vielfältigen politischen Ansätze müssen sich unter- sich im Sinne einer Steigerung der Lebensqualität einander noch stärker vernetzen, um eine multi und der Gesundheit der Bevölkerung als wirksam sektorielle und interdisziplinäre Grundlage für ihre und rentabel erwiesen haben. Zusammenarbeit zu schaffen. TABELLE 4 Multisektorielle Ansätze der Gesundheitsförderung und Prävention Problemstellung Lösungsmöglichkeit In den Jahren 2002–2017 ist der Anteil Übergewichtiger Mithilfe der Raumplanungspolitik lässt sich der Zugang der (BMI > 25) in der Gesamtbevölkerung von 38 % auf 41 % ge- Bevölkerung zu Grünflächen verbessern und somit ein Anreiz stiegen; der Anteil adipöser Personen hat sich zwischen für körperliche Bewegung schaffen. Grünflächen tragen zum 1992 und 2017 von 5 % auf 11 % erhöht (3. Ernährung und Wohlbefinden und zur Lebensqualität bei, sie reinigen die Luft Bewegung). und mindern die Lärmverschmutzung sowie die Bildung von urbanen Hitzeinseln. Der Konsum psychoaktiver Substanzen ist eng mit sozialen Politische Massnahmen zur Förderung des sozialen Zusam- Faktoren und Gruppenverhalten verbunden (4. Alkohol, menhalts können bei der Prävention des Konsums psycho Tabak und vergleichbare Produkte sowie weitere psycho aktiver Substanzen eine zentrale Rolle spielen, insbesondere aktive Substanzen). im Hinblick auf die gesellschaftliche Integration. Zusätzlich spielen die Ausbildung, der Umgang mit Stressfaktoren und die Stärkung der Gesundheitskompetenzen eine Rolle. In der Schweiz ist die Internetnutzung bei 1 % bis 4 % der Mithilfe der Lehrpläne in den einzelnen Sprachregionen kann über 15-Jährigen problematisch; bei den Jugendlichen die Bildungspolitik die bestehenden Angebote zur Gesund- (15 bis 24 Jahre) beträgt der Anteil nahezu 10 % (5. Online- heitsförderung und Prävention umfassender in die Schulen Verhalten und Geldspiele). tragen. In der Schweiz weisen 17 % der Bevölkerung mindestens Die sozialpolitischen Ansätze sowie die bildungs- und früh- eine psychische Beeinträchtigung auf. Drei Viertel dieser förderungspolitischen Ansätze können wesentliche Beiträge Beeinträchtigungen treten vor dem 18. Lebensjahr auf, zur Förderung der psychischen Gesundheit leisten. daher ist die Förderung der psychischen Gesundheit ab dem frühesten Lebensalter entscheidend (6. Psychische Gesundheit). In der Schweizer Bevölkerung beträgt der Anteil der Men- Integrationspolitische Ansätze können entscheidend dazu schen, die als sozial «teilweise bzw. schlecht integriert beitragen, dass Menschen nicht sozial vereinsamen. oder grösstenteils isoliert» gelten, nahezu ein Viertel. Un- abhängig von ihrem Alter besteht bei diesen Personen ein gegenüber der Gesamtbevölkerung um den Faktor 11,5 erhöhtes Risiko einer mittelschweren bis schweren Depres- sion (6. Psychische Gesundheit). Im Jahr 2015 zog die Luftverschmutzung in der Schweiz Mobilitätspolitische Massnahmen können zur Förderung der nahezu 2200 vorzeitige Todesfälle nach sich, wovon rund sanften Mobilität eingesetzt werden. In den Agglomerationen 200 auf Lungenkrebserkrankungen zurückgehen [32]. ist seit zehn Jahren eine deutliche Zunahme des Veloverkehrs Schätzungen zufolge verliert die Schweizer Bevölkerung zu beobachten. Inzwischen ist dieser Trend auch in den länd- zudem jährlich insgesamt 69 000 gesunde Lebensjahre lichen Gebieten zu verzeichnen. durch Verkehrslärmbelastung [33].
16 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 3 Ernährung und Bewegung 3.1 Entwicklung und Herausforderungen Themen «Ernährung und Bewegung» um. Über 500 000 Kinder und Jugendliche konnten bisher von Die Schweizerische Gesundheitsbefragung aus dem Aktionen und Projekten profitieren, die im Rahmen Jahr 2017 hat erfreuliche, aber auch weniger der kantonalen Aktionsprogramme umgesetzt wur- erfreuliche Entwicklungen aufgezeigt. Seit 2002 ist den. Diese positive Entwicklung belegt die Wirksam der Anteil der Bevölkerung, der regelmässig eine keit der Gesundheitsförderung. Die Massnahmen zur körperliche Aktivität ausübt, von 62 % auf 76 % ge- Förderung eines gesunden Körpergewichts greifen stiegen. Allerdings bewegen sich über 85 % der Ju- insbesondere im Kindergarten [2] (Abbildung 7). gendlichen nicht einmal eine Stunde pro Tag; dieser Interventionen der Fédération romande des con- seit 2001 steigende Inaktivitätsgrad liegt über dem sommateurs (Konsumentinnen- und Konsumenten- internationalen Durchschnitt [34]. verband der Westschweiz) in Zusammenarbeit mit Nationale Erhebungen haben gezeigt, dass sich die Gesundheitsförderung Schweiz und den Kantonen Schweizer Bevölkerung kaum ausgewogen ernährt haben dazu geführt, dass in den Poststellen keine [35]. Zwischen 1992 und 2017 ist der Anteil Über Süssigkeiten mehr verkauft werden [39]. gewichtiger (BMI > 25) an der Gesamtbevölkerung Im Tessin wurde das Label Fourchette verte zur von 38 % auf 41 % gestiegen; der Anteil adipöser Kennzeichnung eines ausgewogenen Ernährungs- Personen hat sich von 5 % auf 11 % erhöht. Das angebots [40] in sämtlichen Schulkantinen sowie schweizerische Monitoring-System «Sucht und nicht jenen Institutionen eingeführt, die Mahlzeitenliefer- übertragbare Krankheiten» (MonAM) [36] zeigt dienste betreiben, wie beispielsweise Pro Senectute. auch, dass ältere Menschen zunehmend über Im Rahmen der oben genannten kantonalen Ak gewichtig sind. tionsprogramme «Ernährung und Bewegung» hat Über 3 Millionen Menschen in der Schweiz haben sich der Anteil der Schülerinnen und Schüler mindestens einmal pro Monat «leichte» bis «starke» zwischen 11 und 15 Jahren, die mindestens einmal Rückenschmerzen, wobei der Anteil der Betroffe- täglich Obst essen, zwischen 2010 und 2014 von 43 % nen an der Gesamtbevölkerung konstant zunimmt auf 47 % gesteigert (Abbildung 8). [37]. Auf diesem Gebiet besteht ein umfangreiches Einzelne bewegungsfördernde Massnahmen haben Präventionspotenzial; einerseits zur Vorbeugung zudem nachweisliche Kosteneinsparungen erbracht, von Rückenschmerzen mittels einfacher Hinweise indem sie zur Reduktion von Diabeteserkrankungen, und täglicher gezielter Übungen und andererseits Bluthochdruck und Hypercholesterinämie beitrugen zur Vermeidung einer Chronifizierung von Rücken- [41]. schmerzen mittels Behandlung der psychologischen Zumeist handelt es sich bei gesunden Nahrungs Einflussfaktoren und hinderlichen Überzeugungen mitteln auch um Nahrungsmittel aus einer umwelt- [38]. freundlichen Produktion (insbesondere, wenn sie lokal und saisonal sind) [42]. Die Förderung des Konsums dieser Nahrungsmittel trägt daher so - 3.2 Beispiele von wirksamen und rentablen wohl zur Förderung der Gesundheit bei als auch Massnahmen zur Gesundheitsförderung zur Minderung der durch die Nahrungsmittel und Prävention produktion bedingten Klimaschäden. In bestimmten Fällen führt sie sogar dazu, dass vermehrt lokale Eine effektive Bekämpfung dieser Entwicklungen Produkte konsumiert werden [43]. hängt von zahlreichen Faktoren ab. Die Kantone Im Bereich der Bewegung zeigt sich, dass die Bereit setzen seit 2007 zusammen mit Gesundheitsförde- stellung von Sportanlagen oder zusätzlichen Grün- rung Schweiz kantonale Aktionsprogramme zu den flächen im städtischen Raum zu den effektivsten
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 17 ABBILDUNG 7 ABBILDUNG 8 Anteil übergewichtiger und adipöser Kinder auf ver Ernährungsverhalten von 11- bis 15-jährigen schiedenen Schulstufen (Basel, Bern, Zürich zusammen), Schülerinnen und Schülern Vergleich von vier Perioden 2010 2014 Adipositas Übergewicht (inkl. Adipositas) Anteil 11- bis 15-Jähriger, 43 die mindestens 4,3 15,4 einmal täglich Früchte 2005/06–2008/09 47 Kindergarten / 1. Klasse konsumieren Höchstwerte im 5,0 16,4 Schuljahr 2006/07 Anteil 11- bis 15-Jähriger, 42 die mindestens 3,9 14,3 einmal täglich Gemüse 2009/10–2012/13 45 konsumieren 3,0 12,2 2013/14–2015/16 Anteil 11- bis 15-Jähriger, 41 die maximal einmal 2,9 11,8 wöchentlich Süss 2016/17–2018/19 39 getränke trinken 4,9 22,0 Anteil 11- bis 15-Jähriger, 2005/06–2008/09 95 die maximal einmal Höchstwerte im Unter-/Mittelstufe 5,1 22,3 wöchentlich Hamburger/ Schuljahr 2007/08 96 Hot Dogs konsumieren 5,0 22,1 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % 2009/10–2012/13 5,4 21,0 2013/14–2015/16 Quelle: Evaluation der kantonalen Aktionsprogramme Ernährung und Bewegung 2014–2017. Faktenblatt 36 4,3 19,4 2016/17–2018/19 (Gesundheitsförderung Schweiz 2019) 5,5 22,8 2005/06–2008/09 6,4 25,0 2009/10–2012/13 Oberstufe Höchstwerte im 6,5 26,2 gesundheitsfördernden Massnahmen gehört. Die Schuljahr 2010/11 6,2 24,6 positiven Auswirkungen frei zugänglicher Grün 2013/14–2015/16 flächen beschränken sich dabei nicht nur auf die 6,6 25,0 Förderung der körperlichen Aktivität. Grünflächen 2016/17–2018/19 können weit mehr. Sie tragen aktiv dazu bei, dass 4,8 19,5 2005/06–2008/09 neue Gemeinschaften entstehen und soziale Bin- Alle Schulstufen 2009/10–2012/13 4,9 19,5 dungen sich verstärken. Freie Grundflächen verbes- sern die Luftqualität, mindern die Lärmverschmut- 4,4 17,6 2013/14–2015/16 zung und wirken der Entstehung von urbanen 2016/17–2018/19 4,2 17,2 Hitzeinseln entgegen [44]. Nutzerinnen und Nutzer 0% 5% 10 % 15 % 20 % 25 % 30 % von Grünflächen haben ein geringeres Risiko, an Diabetes Typ 2 zu erkranken; dies gilt auch für Herz- Quelle: Monitoring der Gewichtsdaten der schulärztlichen Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Stress Dienste der Städte Basel, Bern und Zürich. Faktenblatt 42 und vorzeitiges Sterben [45]. (Gesundheitsförderung Schweiz 2020)
18 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 3.3 Wirksamkeit von Massnahmen men des betreffenden Programms unterstützten in anderen Bereichen Projekte sind konkrete Beispiele für die Förderung der körperlichen Bewegung und der Gesundheit Massnahmen zur Förderung von Naturerlebnissen durch raumplanerische Massnahmen [52]. Hier wirken sich ebenfalls positiv auf die Gesundheit aus. spielen die Kantone, die Städte und die Gemeinden Einer britischen Studie [46] zufolge fühlen sich Men- eine massgebliche Rolle; finanzielle Unterstützung schen, die mindestens zwei Stunden pro Woche in kann bei der Koordinationsstelle für nachhaltige Mobi- der Natur verbringen, häufiger (+60 %) gesund. lität (KOMO) beantragt werden [53]. Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass die För- derung der sanften Mobilität im Rahmen der Raum- planung substanzielle Einsparungen bei den Gesund ABBILDUNG 9 heitskosten mit sich bringt, da sie das Wohlbefinden der Bevölkerung fördert: Sie bereitet den Weg für Meinung der Bevölkerung zu Massnahmen, körperliche Aktivität, verbessert die Luftqualität, die zum Gehen oder Velofahren motivieren vermindert die Lärmverschmutzung und sorgt da Motivierende Massnahme Nicht motivierende Massnahme für, dass unsere Fahrten und Reisen weniger nega- Nicht betroffen tive Auswirkungen auf das Klima haben [47]. Aus Abbildung 9 lässt sich ablesen, welche strukturel- Durchgängige/ 75 11 14 attraktive Fusswege len Massnahmen sich am besten dazu eignen, die Bevölkerung zu ermutigen, zu Fuss zu gehen oder Durchgängige/sichere 74 10 17 Velowege das Velo zu benutzen [48]. Die Entwicklung der mobilitätspolitischen Massnah- Attraktive Preise für Velomitnahme in 60 17 23 men entspricht diesen Resultaten zumindest teil- Bus/Tram/Zug weise. In den Agglomerationen ist seit zehn Jahren Geeignete Plätze für 55 20 25 eine Nettozunahme des Velos als Transportmittel zu Velos in Bus/Tram/Zug beobachten. Inzwischen ist dieser Trend auch in den Mehr und gut aus gerüstete Veloabstell Routenplänen von Veloland Schweiz ersichtlich [49]. plätze am Arbeits-/ 52 17 31 Ausbildungsort Anzumerken ist allerdings, dass die Mobilität von Kindern und Jugendlichen sich wesentlich deutlicher 49 25 26 Velos zur Selbst hin zum öffentlichen Verkehr als zum Velo ent bedienung wickelt [50]. Mehr und gut aus gerüstete Veloabstell 48 21 31 Zahlreiche Städte in der Schweiz und im Ausland plätze am Wohnort haben auf die COVID-19-Pandemie und den Nutzungs Angabe von Gehzeiten einbruch im öffentlichen Verkehr reagiert, indem sie bis zur nächsten Halte- 47 32 21 stelle umgehend temporäre Massnahmen für neue ge- meinsame Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen Bus/Tram/Zug fahren 47 30 24 häufiger Raums ergriffen haben [51]. Diese Beispiele zeigen, dass Umstellungen sich drastisch beschleunigen, Nähere Haltestelle von 38 31 31 wenn der entsprechende politische Wille vorhanden Bus/Tram/Zug ist. 0% 50 % 100 % Acht Bundesämter – unter anderem das Bundesamt Quelle: Erhebung «Gesundheit und Lifestyle», 2018, BAG für Gesundheit – beteiligen sich an Modellprojekten für eine nachhaltige Raumentwicklung. Die im Rah-
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 19 4 Alkohol, Tabak- und andere Nikotinprodukte sowie weitere psychoaktive Substanzen 4.1 Entwicklung und Herausforderungen von CHF 3 Milliarden sowie Produktivitätsverluste – aufgrund von Krankheit oder Todesfall – von rund Der Konsum von Tabak- und anderen Nikotin CHF 800 Millionen zulasten der Wirtschaft [3].7 In produkten [54] führt zu chronischen Atemwegser- der Schweiz fallen die Gesamtkosten des Tabak krankungen, Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankun- konsums somit nahezu doppelt so hoch aus wie die gen. In der Schweiz war der Anteil der Raucherinnen entsprechenden Steuereinnahmen (rund CHF 2 Mil- und Raucher in den Jahren 1997 bis 2017 (Abbil- liarden pro Jahr [55]). Zudem trägt die weltweite dung 10) rückläufig; er stagniert aber seit 2012.6 Tabakproduktion substanziell zum Klimawandel bei; Nach wie vor sind rund 9500 Todesfälle pro Jahr auf für sich allein betrachtet, erzeugt sie doppelt so den Tabakkonsum zurückzuführen. Jährlich verur- viele Treibhausgase wie die Schweiz [56]. sacht der Tabakkonsum Krankheitskosten in Höhe ABBILDUNG 10 Gesundheitsdeterminanten gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2017 11 % Täglicher Alkoholkonsum der Bevölkerung Tabakkonsum 6% 27 % täglich 3 bis 6 Tage pro Woche 1 bis 2 Tage pro Woche weniger als an 1 Tag pro Woche abstinent der Bevölkerung der Bevölkerung rauchen ≥ 20 Zigaretten rauchen pro Tag 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % Quelle: BFS – SGB www.statistik.ch © BFS 2018 Quelle: BFS 2019, Gesundheitsstatistiken 6 Dieser Rückgang wirkt sich nur in bescheidenem Ausmass auf die Arbeitsplätze im Bereich «Tabakverarbeitung» aus (2508 Stellen im Jahr 2011; 2187 im Jahr 2017) Quelle: BFS (2019). Statistik der Unternehmensstruktur (STATENT). 7 Die unterschiedlichen Berechnungsmethoden führen dazu, dass die jüngste Schätzung der indirekten Kosten des Tabak- konsums von Polynomics (2020) deutlich anders ausfällt als die der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW (2019) mit dem Titel Die Krankheitslast des Tabakkonsums in der Schweiz: Schätzung für 2015 und Prognose bis 2050.
20 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen Seit 25 Jahren ist der tägliche Alkoholkonsum in der Der nahezu tägliche Konsum 8 von Schlafmitteln, Schweiz rückläufig (Abbildung 10). Inzwischen trin- Beruhigungsmitteln oder Schmerzmitteln war im ken nur noch 11 % der in der Schweiz wohnhaften Jahr 2018 bei 2 % der Bevölkerung gegeben [62]. Personen über 15 Jahre täglich Alkohol, im Jahr Der Konsum dieser Substanzen sowie die von 1992 waren es noch 20 % [57]. Diese Entwicklung Sedativa verursachten psychischen und verhaltens hatte im Sektor «Getränkeherstellung» – er um- bedingten Probleme kosten die Gesellschaft nahezu fasst auch die Herstellung alkoholfreier Getränke – CHF 1 Milliarde im Jahr [3]. keine Folgen für die Anzahl Arbeitsplätze: In den Sucht Schweiz weist zudem darauf hin, dass immer Jahren 2011 bis 2017 nahm die Anzahl Arbeitsplätze mehr neue potenziell suchterzeugende und proble- hier um 22 % zu. Jedoch verschärfen sich bestimmte matische Produkte auf den Markt kommen, bei- problematische Verhaltensmuster beim Alkohol- spielsweise Nikotinderivate oder neue alkoholhaltige konsum. Bei den über 65-Jährigen hat beispielswei- Getränke. Zahlreiche neue psychoaktive Substanzen se der Anteil chronisch Konsumierender zugenom- (NPS) haben das bekannte Spektrum von Alkohol, men. Auch der episodische Risikokonsum nimmt Tabak und bereits bekannten illegalen psycho seit zehn Jahren in fast allen Altersgruppen zu, wo- aktiven Substanzen erweitert. Der Gebrauch von bei die Zunahme bei jungen Frauen (15 bis 24 Jahre) Stimulanzien ist in den Schweizer Grossstädten besonders ausgeprägt ist [58]. nach wie vor hoch, und die Märkte für Kokain und Eine in 17 Ländern durchgeführte Studie ergab ei- Ecstasy wachsen und bieten reinere oder konzen nen engen Zusammenhang zwischen dem Alkohol triertere Produkte an als früher. konsum und sieben bis neun Jahre später eintreten- Die zunehmende Vielfalt der in der Schweiz zum den Krebserkrankungen [59]. Trotz des rückläufigen Verkauf angebotenen Produkte und Substanzen Alkoholkonsums in der Schweiz führt der Alkohol- erfordert eine Überwachung ihres Konsums und missbrauch jährlich zu Kosten von rund CHF 2,8 Mil- ihrer gesundheitlichen Auswirkungen, die sich erst liarden [3]; der grösste Teil davon geht in Form von mittel- oder langfristig zeigen und wissenschaftlich Produktivitätsverlusten zulasten der Wirtschaft. nachweisen lassen. In erster Linie handelt es sich Der Risikokonsum von Alkohol führt zudem zu gros- hierbei um erhitzten Tabak («Heat-not-Burn») oder sem menschlichem Leid, das sich kaum beziffern Kautabak (Snus), E-Zigaretten, nicht deklarierte lässt, für die Betroffenen und ihre Angehörigen aber Zusatzstoffe bei neuen alkoholischen Getränken so- von grosser Bedeutung ist. wie in unterschiedlichen Formen erhältliche legale Der Cannabiskonsum der Schweizer Bevölkerung Cannabisprodukte (CBD): Salben, Parfümöle, Kau- blieb zwischen 2002 und 2012 relativ stabil, um gummi usw. Zudem steigt die Anzahl neuer psycho- anschliessend anzusteigen. So erklärten im Jahr aktiver Substanzen, die vor allem online erworben 2017 4 % der in der Schweiz wohnhaften Personen werden [63]. im Alter von 15 bis 64 Jahren, dass sie im Vormonat Cannabis konsumiert hatten. Im Jahr 2012 waren es nur 2,9 % [60]. Ein Teil dieses zusätzlichen Konsums 4.2 Beispiele von wirksamen und rentablen dürfte sich auf die seit 2016 legalen Cannabispro- Massnahmen zur Gesundheitsförderung und dukte (CBD) zurückführen lassen. 1,1 % der Schwei- Prävention zer Bevölkerung sind problematisch Cannabiskon- sumierende [60]. Die Kampagne «SmokeFree» 2014–2017 war inso- Die gesamte Anzahl auf Drogenkonsum (Opiate) zu- fern erfolgreich, als sowohl Personen, die rauchten, rückzuführender Todesfälle ist zwischen 1995 und wie auch die breite Öffentlichkeit sich der schädli- 2016 um 64 % (von 376 auf 136 Fälle) zurückgegan- chen Folgen des Rauchens bewusst wurden. Das gen. Dieser rückläufige Trend hat sich seit 2010 Image des Nichtrauchens verbesserte sich und die allerdings verlangsamt [61]. Motivation, das Rauchen aufzugeben, nahm zu [4]. 8 In den letzten drei Monaten vor der Erhebung. Der regelmässige Konsum dieser Substanzen nimmt mit dem Alter deutlich zu.
Sie können auch lesen