Gesundheit fördern und Krank heiten vorbeugen - Arbeitspapier 53 Argumentarium - Juni 2021

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Gesundheit fördern und Krank heiten vorbeugen - Arbeitspapier 53 Argumentarium - Juni 2021
Juni 2021

     Arbeitspapier 53

     Gesundheit fördern und
     Krank­heiten vorbeugen
     Argumentarium

In Zusammenarbeit mit:
Gesundheit fördern und Krank heiten vorbeugen - Arbeitspapier 53 Argumentarium - Juni 2021
Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird.
 Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der
 Gesundheit (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes.
 Oberstes Ent­scheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Geschäftsstelle besteht aus Büros in Bern
 und Lausanne. Jede Person in der Schweiz leistet einen jährlichen Beitrag von CHF 4.80 zugunsten
 von Gesundheits­förderung Schweiz, der von den Krankenversicherern eingezogen wird.
 Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch

 In der Reihe «Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapier» erscheinen von Gesundheitsförderung
 Schweiz erstellte oder in Auftrag gegebene Grundlagen, welche Fachleuten in der Umsetzung in
 Gesundheitsförderung und Prävention dienen. Der Inhalt der Arbeitspapiere unterliegt der redaktio-
 nellen Ver­antwortung der Autorinnen und Autoren. Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapiere
 liegen in der Regel in elektronischer Form (PDF) vor.

Impressum
Herausgeberin
Gesundheitsförderung Schweiz
Autor
Mirko Saam, Communication in Science
Projektleitung Gesundheitsförderung Schweiz
Dr. Manon Delisle, Projektleiterin Partner Relations
Projektleitung Commission de Prévention et de Promotion de la Santé du GRSP (CPPS)
Alexia Fournier Fall, PhD, Koordinatorin CPPS
Begleitgruppe (in alphabetischer Reihenfolge)
– Homa Attar-Cohen, Service du Médecin Cantonal, Genève
– Sophie Barras Duc, Bundesamt für Gesundheit BAG
– Christa Rudolf von Rohr, Gesundheitsförderung Schweiz
– Silvia Steiner, Vereinigung der kantonalen Beauftragten für Gesundheitsförderung (VBGF)
– Lysiane Ummel Mariani, Service de la santé publique, Neuchâtel
Reihe und Nummer
Gesundheitsförderung Schweiz, Arbeitspapier 53
Zitierweise
Saam, M. (2021). Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen. Argumentarium. Arbeitspapier 53.
Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz.
Fotonachweis Titelbild
© iStock
Auskünfte/Informationen
Gesundheitsförderung Schweiz, Wankdorfallee 5, CH-3014 Bern, Tel. +41 31 350 04 04,
office.bern@promotionsante.ch, www.gesundheitsfoerderung.ch
Originaltext
Französisch
Bestellnummer
01.0354.DE 06.2021
Diese Publikation ist auch in französischer und in italienischer Sprache verfügbar
(Bestellnummern 01.0354.FR 06.2021 und 01.0354.IT 06.2021).
Download PDF
www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen
© Gesundheitsförderung Schweiz, Juni 2021
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 3

Editorial
Gesundheitsförderungs- und Präventionsmassnah-           rium «Gesundheit fördern und Krankheiten und Un-
men gegen Krankheiten erfordern einen sektorüber­        fällen vorbeugen» aus dem Jahr 2010 zu aktualisie-
greifenden Ansatz, der gesundheitsförderliche Um-        ren. Dieses neue Argumentarium ist in den Sprachen
gebungen stärkt und Verhaltensänderungen bewirkt.        Deutsch, Französisch und Italienisch verfügbar und
Auf der Ebene Kantone und Gemeinden stellen zahl-        entspricht der nationalen Informationspolitik zu den
reiche politische Ansätze, wie der Jugendschutz, die     nichtübertragbaren Krankheiten, der psychischen
Gesundheitsförderung in der Schule, die Verbes­          Gesundheit und Suchterkrankungen. Ergänzt und
serung der Gesundheit und Sicherheit am Arbeits-         veranschaulicht wird das Argumen­tarium mit Videos
platz, die Sozialhilfe und Wohnungsbauförderung,         und Infografiken. Das gesamte Infomaterial ist auf
die Integrationsförderung, die Raumordnungs­politik,     der Website von Gesundheits­förderung Schweiz frei
das Mobilitätsmanagement oder der Umwelt­schutz,         zugänglich: www.gesundheitsfoerderung.ch/gfp.
wirksame Massnahmen dar, um den Gesundheits-             Wir wünschen Ihnen nun eine spannende Lektüre
zustand der Bevölkerung zu verbessern.                   und hoffen, dass Sie von diesem Argumentarium
Das Argumentarium «Gesundheit fördern und Krank-         ­regen Gebrauch machen!
heiten vorbeugen» hat zum Ziel, die Herausforde-
rungen zu erläutern und Entscheidungsträgerinnen         Prof. Dr. Thomas Mattig
und -träger sowie Fachpersonen aus allen Berei-          Direktor Gesundheitsförderung Schweiz
chen dazu anzuregen, die Gesundheitsförderung in
ihre Aktivitäten und Projekte zu integrieren. Dafür      Laurent Kurth
benötigen sie aktuelle und leicht verständliche Infor-   Präsident der Conférence Latine des Affaires
mationen.                                                Sanitaires et Sociales CLASS
Gesundheitsförderung Schweiz und die in der Con-         Staatsrat und Vorsteher des Departements
férence Latine des Affaires Sanitaires et Sociales       für Finanzen und Gesundheit, Neuenburg
(CLASS) zusammengeschlossenen Westschweizer
Kantone haben darum beschlossen, in Zusammen-            Dr. Andrea Arz de Falco
arbeit mit der Vereinigung der kantonalen Beauf-         Vizedirektorin des Bundesamts für Gesundheit BAG
tragten für Gesundheitsförderung (VBGF) und dem
Bundesamt für Gesundheit (BAG) das Argumenta­
4   Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen

Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste in Kürze                                                                              6

1	Förderung von gesundheits­fördernden Verhaltensweisen                                             7

2	Gesundheitsförderung und Prävention seitens der staatlichen Stellen und Unternehmen              12

3	Ernährung und Bewegung                                                                           16
   3.1 Entwicklung und Herausforderungen                                                            16
   3.2	Beispiele von wirksamen und rentablen Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention    16
   3.3	Wirksamkeit von Massnahmen in anderen Bereichen                                             18

4	Alkohol, Tabak- und andere Nikotin­produkte sowie weitere psycho­aktive Substanzen               19
   4.1 Entwicklung und Herausforderungen                                                            19
   4.2	Beispiele von wirksamen und rentablen Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention    20
   4.3	Wirksamkeit von Massnahmen in anderen Bereichen                                             21

5	Online-Verhalten und Geldspiele                                                                  22
   5.1 Entwicklung und Herausforderungen                                                            22
   5.2	Beispiele von wirksamen und rentablen Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention    23
   5.3	Wirksamkeit von Massnahmen in anderen Bereichen                                             23

6   Psychische Gesundheit                                                                           24
    6.1 Entwicklung und Herausforderungen                                                           24
    6.2	Beispiele von wirksamen und rentablen Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention   24
    6.3	Wirksamkeit von Massnahmen in anderen Bereichen                                            25

7	Antworten auf neue Herausforderungen                                                             26
   7.1 Stärkung der Gesundheitskompetenzen vulnerabler Personen                                     26
   7.2	Prävention und Gesundheitsförderung für alle Altersgruppen                                  27
   7.3 Zu verfolgende Themenbereiche                                                                28

8    Fazit                                                                                          29

9    Zusätzliche Unterlagen                                                                         30

10 Quellenverzeichnis                                                                               32
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 5

Darstellungsverzeichnis

Abbildung 1 Ziele der bundesrätlichen Strategie Gesundheit2030                                        7
Abbildung 2 Welche Risikofaktoren sind die Hauptursachen von Behinderungen und/oder Todesfällen?      8
Abbildung 3	Einfluss der Risiken auf verschiedene Krankheiten in der Schweizer Bevölkerung,
              beide Geschlechter, alle Altersgruppen, 2017                                           9
Abbildung 4	Erklärungsmodell der gesundheitlichen Ungleichheit                                      10
Abbildung 5 Relevante Politikbereiche im Kantonalen Aktionsplan des Kantons Genf                     12
Abbildung 6 Für Gesundheitsförderung und Prävention relevante Akteure und Bereiche                  13
Abbildung 7	Anteil übergewichtiger und adipöser Kinder auf ver­schiedenen Schulstufen (Basel, Bern,
              Zürich zusammen), Vergleich von vier Perioden                                         16
Abbildung 8	Ernährungsverhalten von 11- bis 15-jährigen Schülerinnen und Schülern                  17
Abbildung 9	Meinung der Bevölkerung zu Massnahmen, die zum Gehen oder Velofahren motivieren18
Abbildung 10 Gesundheitsdeterminanten gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2017          19
Abbildung 11	Anzahl 65-Jährige und Ältere je 100 Erwerbspersonen im Alter von 20 bis 64 Jahren
              nach den 3 Grundszenarien                                                             27

Tabelle 1      Wieso sind Gesundheitsförderung und Prävention von Krankheiten wichtig?
               Drei Beispiele für die Schweiz                                                            6
Tabelle 2    Krankheiten und Leiden mit der grössten Auswirkung auf Lebenserwartung, Wohlbefinden
              und Gesundheitskosten in der Schweiz                                                       8
Tabelle 3     Entwicklung verschiedener Risiko- und Schutzfaktoren für die Gesundheit                  11
Tabelle 4    Multisektorielle Ansätze der Gesundheitsförderung und Prävention                          15
6    Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen

Das Wichtigste in Kürze
Mehrere Studien zeigen, dass die Gesundheit eine                schaftlichen Entwicklung (Alterung der Bevölkerung,
der grössten Sorgen der Schweizer Bevölkerung ist.              Migration, Zunahme der gesundheitlichen Ungleich-
Massnahmen zur Gesundheitsförderung und zur                     heit usw.) und bedingen eine Stärkung der Mass­
Prävention von Krankheiten sind unabdingbar, um                 nahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention.
die steigenden Gesundheitskosten in den Griff zu                Da­ bei stützt sich dieses Argumentarium auf die
bekommen und die Lebensqualität der Bevölkerung                 neusten Datenquellen und basiert in erster Linie auf
zu erhöhen. Das vorliegende Argumentarium soll                  Studien aus der Schweiz. Falls keine entsprechen-
anhand einer Reihe konkreter Beispiele (im Text                 den Studien vorliegen, werden internationale Stu-
grün hinterlegt) den Nutzen derartiger Mass­                    dien herangezogen.
nahmen aufzeigen. Drei Beispiele aus der Schweiz                Des Weiteren zeigt dieses Argumentarium die poten­
werden in Tabelle 1 vorgestellt.                                zielle Rolle der Gesundheitsförderung und Präven-
In den Kapiteln 3 bis 6 wird aufgezeigt, wie sich die           tion in Gesundheitskrisen auf, wie jüngst die SARS-
Indikatoren in den Bereichen entwickelt haben, in               CoV-2-Pandemie. Der grösste Teil der aufgrund
denen Handlungsbedarf besteht. Die Herausforde-                 dieser Viruserkrankung hospitalisierten Personen
rungen (im Text rot hinterlegt) werden in den ge-               litt an Übergewicht und/oder an weiteren Vorer­
nannten Kapiteln sowie in Kapitel 7 herausge­arbeitet.          krankungen (z. B. Bluthochdruck, Herz-­Kreis­lauf-
Das Argumentarium unterstreicht zudem, wieso es                 Erkrankungen oder Diabetes).
wichtig ist, die Rahmenbedingungen auf allen politi-            Um sämtliche Herausforderungen in der Gesundheits­
schen Ebenen durch strukturelle Massnahmen zu                   förderung anzugehen, sind gesundheitsbezogene
verbessern. Derartige Massnahmen führen nach-                   politische Entscheidungen in allen Lebensbereichen
weislich zu Verhaltensänderungen beim Individuum.               (health in all policies) und entsprechende Dotie­
Ferner zeigt diese Publikation eine Reihe von The-              rungen mit finanziellen Mitteln notwendig, insbe-
men auf, die zukünftig an Bedeutung gewinnen wer-               sondere um die langfristige Finanzierung von nach-
den. Sie stehen im Zusammenhang mit der gesell-                 weislich wirksamen Massnahmen sicherzustellen.

TABELLE 1

Wieso sind Gesundheitsförderung und Prävention von Krankheiten wichtig? Drei Beispiele für die Schweiz

                                            Es kann davon ausgegangen werden, dass die kantonalen Aktionsprogramme [1]
    Etwas mehr als eines von sieben
                                            zu den Themen «Ernährung und Bewegung» dazu beigetragen haben, den
    Kindern (6–12 Jahre) in der Schweiz
                                            Anteil übergewichtiger Kinder (auf allen Schulstufen) zu senken. Erhebungen
    ist übergewichtig.1
                                            in Bern, Zürich und Basel zeigen eine Abnahme von 19,5 % auf 17,2 % [2].
    Insgesamt liegen die Kosten, die
                                            Die Kampagne «SmokeFree» in den Jahren 2014 bis 2017 hat die negativen Folgen
    jährlich im Zusammenhang mit dem
                                            des Rauchens (sowohl bei Personen, die rauchen, als auch in der Öffentlichkeit
    Tabak­konsum anfallen, bei nahezu
                                            allgemein) stärker ins Bewusstsein gerückt; sie hat die Motivation, das Rauchen
    CHF 4 Milliarden; sie belaufen sich
                                            aufzugeben, verstärkt und das Image des Nichtrauchens verbessert [4]. Im Jahr
    somit auf das Doppelte der Steuerein-
                                            2017 gaben 62 % der Raucherinnen und Raucher in der Schweiz an, dass sie das
    nahmen (CHF 2 Milliarden pro Jahr)
                                            Rauchen aufgeben möchten (1992: 54,5 %) [5].
    aus dem Verkauf von Tabakwaren [3].
                                            In zehn Jahren ist der Anteil der Einwohnerinnen und Einwohner, die sich in
    Ein Viertel der Schweizer Bevölkerung
                                            ihrer Freizeit gemäss den Empfehlungen bewegen, von 62 % auf 76 % angestiegen.
    bewegt sich nicht ausreichend [6].
                                            Dieser Anstieg ist bei allen Altersgruppen zu beobachten [6].

1 Übergewicht = Body Mass Index (BMI) > 25. Quelle: Obsan. Übergewicht und Adipositas (Alter: 6–12).
   https://www.obsan.admin.ch/de/indikatoren/MonAM/uebergewicht-und-adipositas-alter-6-13 (Stand: 29.9.2020).
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 7

1	Förderung von gesundheits­
   fördernden Verhaltensweisen
Bis im Jahr 2030 will die Schweiz unter Berück­                heitsförderung und Prävention umfasst Inter­
sichtigung der Ziele für nachhaltige Entwicklung               ventionen und strukturelle Massnahmen, welche
der Agenda 2030 acht Ziele erreicht haben [7] (Ab-             ein gesundheitsförderndes Umfeld schaffen sowie
bildung 1).                                                    gesundheitsförderliche Verhaltensweisen ermög-
Die Erreichung dieser Ziele hängt stark von den Be-            lichen.
mühungen in den Bereichen Gesundheitsförderung                 Tabelle 2 zeigt die fünf wichtigsten Krankheiten und
und Prävention ab. Obwohl die Schweiz im interna-              Leiden, die in der Schweiz die grössten Auswirkun-
tionalen Vergleich überdurchschnittlich hohe Aus-              gen auf die Lebenserwartung, das Wohlbefinden [13]
gaben für das Gesundheitswesen hat [8], fliessen nur           und die Gesundheitsfolge­kosten haben [14].
2,6 % dieser Mittel in die Prävention [9], während es          Werden die massgeblichen Ursachen für die verlo-
in den OECD-Ländern durchschnittlich 2,9 % [10] sind.          renen potenziellen Lebensjahre (years of potential
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt,                 life lost, YPLL) und die massgeblichen Ursachen der
dass mindestens 80 % aller Herz-Kreislauf-­                    verlorenen gesunden Lebensjahre bzw. Jahre mit
Erkrankungen, Schlaganfälle und Diabeteserkran-                Behinderung (disability-adjusted life years, DALY;
kungen sowie 40 % der Krebserkrankungen sich                   years living with a disability, YLD) addiert, lassen
durch eine Reduktion des Tabakkonsums, mode­                   sich die Leiden analysieren, die sich zugleich auf
rateren Alkoholkonsum, eine ausgewogenere Er-                  die Lebenserwartung und das Wohlbefinden aus­
nährung sowie vermehrte körperliche Bewegung                   wirken.2 Ausserdem lässt sich abschätzen, welche
verhindern liessen [11]. Neben den vielfältigen Aus-           Risikofaktoren sich am deutlichsten auf die Lebens­
wirkungen auf die körperliche Gesundheit haben                 erwartung und das Wohlbefinden auswirken. Die
diese Verhaltensweisen auch einen entscheidenden               betreffenden Risikofaktoren werden in der Global
Einfluss auf die psychische Gesundheit [12]. Gesund­           Burden of Disease Study je nach ihrem Zusammen-

ABBILDUNG 1

Ziele der bundesrätlichen Strategie Gesundheit2030

Quelle: BAG, 2019

2 Die auf dieser Addition beruhende Masseinheit nennt sich DALY («disability-adjusted life years» bzw. «verlorene gesunde
   Lebensjahre» pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner).
8    Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen

hang mit dem Verhalten, Stoffwechselfaktoren 3                      und im Zusammenhang mit Behinderung stehenden
oder dem Umfeld in eine dieser drei Kategorien ein­                 Risikofaktoren für die Schweizer Bevölkerung sowie
gereiht. Abbildung 2 zeigt die zehn meist tödlichen                 ihre Entwicklung in den Jahren 2007 bis 2017.

TABELLE 2

Krankheiten und Leiden mit der grössten Auswirkung auf Lebenserwartung, Wohlbefinden und Gesundheitskosten
in der Schweiz

Lebenserwartung                     Wohlbefinden                                 Gesundheitskosten
(insgesamt potenziell verlorene     (insgesamt verlorene gesunde Lebens­         (gesamte Kosten des Gesundheits­wesens,
Lebensjahre, in Prozent,            jahre bzw. Jahre mit Behinderung, in         in Prozent, Stand 2011)
Stand 2016)                         Prozent, Stand 2016)
Bösartige Tumore und Krebs­         Psychische Leiden und Substanzen­            Herz-Kreislauf-Erkrankungen (16 %)
erkrankungen (8 %)                  missbrauch (5 %)
Herz-Kreislauf-Erkrankungen         Erkrankungen des Bewegungsapparats           Erkrankungen des Bewegungsapparats (13 %)
(6 %)                               (4 %)
Neurologische Leiden (2 %)          Sensorische Beeinträchtigungen oder          Psychische Leiden und Substanzen­
                                    Defizite (3 %)                               missbrauch (11 %)
Unfälle und Verletzungen (1 %)      Neurologische Leiden (2 %)                   Unfälle und Verletzungen (8 %)
Suizide (1 %)                       Unfälle und Verletzungen (2 %)               Urogenitale Erkrankungen, Bluterkrankungen
                                                                                 und endokrinologische Krankheiten (7 %)

ABBILDUNG 2

Welche Risikofaktoren sind die Hauptursachen von Behinderungen und/oder Todesfällen?

                               Rangfolge 2007                 Rangfolge 2017             Prozentuale Veränderung 2007–2017

                                   Tabak    1                  1     Tabak                                                –5,7 %

            Ernährungsbedingte Risiken      2                  2     Hoher Nüchtern-Plasmaglukosespiegel                    7,2 %

Hoher Nüchtern-Plasmaglukosespiegel         3                  3     Ernährungsbedingte Risiken                            –7,9 %

                         Bluthochdruck      4                  4     Hoher BMI                                            14,2 %

                              Hoher BMI     5                  5     Bluthochdruck                                        –4,4 %

                        Alkoholkonsum       6                  6     Berufsrisiken                                          9,1 %

                            Berufsrisiken   7                  7     Alkoholkonsum                                        –11,0 %

          Hoher LDL-Cholesterinspiegel      8                  8     Hoher LDL-Cholesterinspiegel                        –15,4 %

                    Luftverschmutzung       9                  9     Luftverschmutzung                                    –11,7 %

    Beeinträchtigung der Nierenfunktion     10                 10    Beeinträchtigung der Nierenfunktion                  10,0 %

    Stoffwechselstörungen      Umwelt-/Berufsrisiken       Risikoverhalten

Quelle: Institute for Health Metrics and Evaluation

3 Die «Stoffwechselrisiken» umfassen gemäss der Methodologie der Global Burden of Disease Study Folgendes: hohe Blut­zucker­
   werte in nüchternem Zustand, erhöhter Gehalt an Gesamtcholesterin, erhöhter systolischer Blutdruck, erhöhter BMI, geringe
   Knochenmineraldichte sowie Funktionsveränderung der Nieren. Quelle: GBD 2016 Risk Factors Collaborators (2017). Global,
   regional, and national comparative risk assessment of 84 behavioural, environmental and occupational, and metabolic risks or
   clusters of risks, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016. The Lancet, 390(10100), 1345–422.
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 9

Krankheiten lassen sich unter Einbezug aller (verhal-             Die meisten Menschen wissen, welche Verhaltens-
tens-, stoffwechsel- und umweltbedingten) Risiken                 weisen sich positiv auf ihre Gesundheit auswirken:
darstellen [15] (Abbildung 3).                                    regelmässige körperliche Bewegung, ausgewogene
Persönliche Entscheidungen und von strukturellen                  Ernährung, Stressmanagement, mässiger Alkohol-
und politischen Entscheidungen geprägte Verhal-                   konsum und Verzicht auf Tabak. Es reicht aber nicht
tensweisen haben einen bedeutenden Einfluss auf                   aus, wenn die Verantwortung für gesundheits­
den Gesundheitszustand. Ein gesundheitsförderndes                 fördernde Verhaltensweisen ausschliesslich beim
Umfeld funktioniert dabei als Katalysator, sodass                 Einzelnen liegt. Es ist essenziell, dass die staatli-
im Idealfall die gesündeste Alternative auch die                  chen Stellen derartige Verhaltensweisen fördern –
einfachste und naheliegendste ist. Abbildung 4 illus-             dies kann mithilfe von strukturellen Massnahmen
triert dazu den Stellen­wert der strukturellen Rah-               passieren (siehe Kapitel 2).
menbedingungen für die Gesundheit der Gesell-
schaft und jene des Individuums.

    ABBILDUNG 3

Einfluss der Risiken auf verschiedene Krankheiten in der Schweizer Bevölkerung, beide Geschlechter,
alle Altersgruppen, 2017
Verhalten

Stoffwechsel

Umwelt

0                  2000                4000                  6000                 8000             10 000
                                                      DALYs pro 100 000

     HIV/AIDS und sexuell         Tumore                           Konsum von Substanzen       Verkehrsunfälle mit
      übertragbare Krankheiten    Herz-Kreislauf-­                Diabetes und chronische      Verletzungsfolge
     Infektionen der Atemwege     Erkrankungen                     Nierenerkrankungen          Unabsichtliche Ver­
      und TB                      Chronische Atem­wegs­            Hautkrankheiten              letzungen
      Darminfektionen              erkrankungen                    Störungen der Sinnes­       Selbstverletzung und
     Vernachlässigte Tropen-     Erkrankungen des Ver­            organe                       Gewalt
      krankheiten und Malaria      dauungsapparats                 Erkrankungen des
      Sonstige Infektionen         Neurologische Störungen          Bewegungsapparats
     Mütter- und                  Psychische Störungen            Sonstige nicht übertrag-
      Neugeborenen­krankheiten                                      bare Krankheiten
      Mangelernährung

Quelle: Institute for Health Metrics and Evaluation
10 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen

ABBILDUNG 4

Erklärungsmodell der gesundheitlichen Ungleichheit

 Strukturelle Determinanten                       Soziale Determinanten                 ­Gesundheit
                                                  der Gesundheit

    Ziel der Massnahmen                             Ziel der Massnahmen                     Angestrebter Impact
    Reduktion von sozialer Ungleichheit             Unterschiede in Ressourcen              Reduzierte gesundheitliche
    bzw. sozialer Benachteiligung aufgrund          und Belastungen in den                  Ungerechtigkeit im Hinblick
    von vertikalen und horizontalen Ungleich­-      folgenden Faktorengruppen               auf die Sterblichkeit (Morta­
   ­heits­merk­malen. Die Massnahmen                ausgleichen:                            lität), die Häufigkeit von
    betreffen die übergeordnete politische          • Materielle Lebens- und                Erkrankungen (Morbidität),
    und soziostrukturelle Ebene.                     Arbeitsbedingungen                     die Lebensqualität und das
   • Governance                                     • Psychosoziale Faktoren                Wohlbefinden
   • Wirtschaftspolitik (allgemein)                 • Gesundheitsverhalten
   • Arbeitsmarktpolitik                            • Gesundheitswesen
   • Raumplanung
   • Sozial­politik
   • Migrationspolitik
   • Bildungspolitik
   • Gesundheitspolitik
   • Gesellschaftliche Normen und Werte

Quelle: Chancengleichheit in der Gesundheits­förderung und Prävention in der Schweiz [16]

Die Massnahmen zur Gesundheitsförderung und                    In Tabelle 3 sind der Stand und die Entwicklung
zur Prävention von nichtübertragbaren Krankheiten              verschiedener Risiko- und Schutzfaktoren für die
richten sich in erster Linie auf folgende Bereiche [17]:       Gesundheit von Erwachsenen (ab 15 Jahren) und
1. Lebensqualität und Wohlbefinden steigern, ins-             Kindern (bis 15 Jahre) abgebildet. In der Spalte
    besondere durch Stärkung der Gesundheits­                  «Lage und Entwicklung» bezeichnet der erste Smi-
    kompetenzen der Bevölkerung, unter anderem                 ley den aktuellen Stand und der zweite die Ent­
    bezüglich Ernährung und Bewegung (3. Ernäh-                wicklung. Die Lage wird anhand eines Vergleichs
    rung und Bewegung) und durch Schaffung eines               mit dem Durchschnitt der EU-Staaten evaluiert,
    gesundheitsfördernden Umfelds.                             während die Entwicklung anhand der in den letzten
2. Prävention des Risikokonsums und Suchtpräven-              Jahren beobachteten Tendenzen evaluiert wird (d. h.
    tion, im Zusammenhang mit Alkohol, Tabak                   je nach Datenlage seit 2002, 2007 oder 2012). Die
    und neuartigen Tabak- und Nikotinprodukten                 günstige Entwicklung bei bestimmten Verhaltens-
    oder anderen psychoaktiven Substanzen                      weisen – grüner Smiley – hat insbesondere dazu bei-
    (4. Alkohol, Tabak und vergleichbare Produkte              getragen, dass die Anzahl neuer Krebserkrankungen
    sowie weitere psychoaktive Substanzen).                    in den letzten Jahren stabil geblieben ist [18].
3. Prävention von stoffungebundenen Sucht-
    formen und exzessiven Verhalten wie dem über-
    mässigen Internetgebrauch, der übermässigen
    Nutzung von Bildschirmen oder der Geldspiel-
    sucht (5. Online-Verhalten und Geldspiele).
4.Förderung der psychischen Gesundheit in
    allen Lebensphasen sowie in der Arbeitswelt
    (6. Psychische Gesundheit).
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 11

TABELLE 3

Entwicklung verschiedener Risiko- und Schutzfaktoren für die Gesundheit
                         Lage und
                         Entwicklung Indikator                                            Quelle

                                     Ausreichende Bewegung                                Indikatoren «Gesundheit­2020»,
Bewegung                           (Erwachsene)                                         Aktualisierung 2019

                                     Ausreichende Bewegung                                Indikatoren «Gesundheit­2020»,
Bewegung                           (Minderjährige)                                      Aktualisierung 2019

Bewegungsmangel                    Durchschnittlich im Sitzen verbrachte Zeit pro Tag   MonAM

Verzehr von Obst                      Anteil Personen, die täglich Früchte zu sich
und Gemüse                         ­nehmen
                                                                                          MonAM

                                     Anteil Personen, die täglich rauchen                 Indikatoren «Gesundheit2020»,
Tabak                              (Erwachsene)                                         Aktualisierung 2019

                                     Anteil Personen, die täglich rauchen                 Indikatoren «Gesundheit2020»,
Tabak                              (Minderjährige)                                      Aktualisierung 2019

Chronischer Alkohol­                 Anteil Personen mit chronischem                      Indikatoren «Gesundheit2020»,
konsum                             Risiko­konsum von Alkohol                            Aktualisierung 2019

Episodischer Risiko­                 Anteil Erwachsene mit episodischem                   Indikatoren «Gesundheit2020»,
konsum von Alkohol                 Risikokonsum von Alkohol                             Aktualisierung 2019

Episodischer Risiko­                 Anteil Minderjähriger mit episodischem               Indikatoren «Gesundheit2020»,
konsum von Alkohol                 Risikokonsum von Alkohol                             Aktualisierung 2019

                                     Monatsprävalenz Cannabiskonsum                       Indikatoren «Gesundheit2020»,
Cannabiskonsum                     (Erwachsene)                                         Aktualisierung 2019

                                     Monatsprävalenz Cannabiskonsum                       Indikatoren «Gesundheit2020»,
Cannabiskonsum                     (Minderjährige)                                      Aktualisierung 2019

                                     Anzahl Personen, die über längere Zeit starke
Medikamentenkonsum                 Schlaf- und Beruhigungsmittel einnehmen
                                                                                          Schweizer Suchtpanorama 2020

                                                                                          Schweizerische Gesundheits­
Adipositas                         Anteil Personen mit Adipositas (Erwachsene)
                                                                                          befragung 2017

                                                                                          Schweizerische Gesundheits­
Adipositas                         Anteil Personen mit Adipositas (Minderjährige)
                                                                                          befragung 2017

Bluthochdruck                      Bluthochdruck (Alter: 15+)                           MonAM

Hypercholesterinämie               Erhöhter Cholesterinspiegel (Alter: 15+)             MonAM

Übergewicht                        Übergewicht (Alter: 15+)                             MonAM

Übergewicht                        Übergewicht (Alter: 6–12)                            MonAM

                                     Anteil Personen in der Bevölkerung, bei denen nach
Diabetes                           eigenen Angaben ein Diabetes diagnostiziert wurde MonAM
                                     bzw. die entsprechende Medikamente einnehmen

                                     Anteil der Bevölkerung mit einer mittelschweren      Schweizerische Gesundheits-
Depressionen                       oder schweren Depression                             befragung 2017

                                     Suizidrate pro 100 000 Einwohnerinnen und            Indikatoren «Gesundheit2020»,
Suizide                            Einwohner                                            Aktualisierung 2019

        Schutzfaktoren               Risikofaktoren                  Krankheit oder ernsthafte Beeinträchtigung
12 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen

2	Gesundheitsförderung und
   Prävention seitens der staatlichen
   Stellen und Unternehmen
Die Gesundheit ist die grösste Sorge der Schweizer                           um den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu
Bevölkerung [19]. Sie ist auf allen Ebenen und in sämt-                      verbessern. Übertragen auf die Schweiz verfügen
lichen Bereichen zu fördern [20]. Sowohl staatliche                          die Kantone – insbesondere im Rahmen ihrer Ge-
Stellen als auch Unternehmen können strukturelle                             setzgebungen und kantonalen Fiskalmassnahmen –
Massnahmen ergreifen, welche gesundheitsförder-                              über den notwendigen Spielraum, um diese inte­
liche Verhaltensweisen wie auch eine gesundheits-                            grierte Politik zu fördern.
fördernde Umwelt schaffen. Derar­tige Massnah-                               Abbildung 5 stammt aus dem Plan cantonal de pro-
men zählen zu den wirkungsvollsten und verlangen                             motion de la santé et de prévention 2019–2023 (Kan­
den einzelnen Personen am wenigsten ab.                                      tonaler Gesundheitsförderungs- und Präventions-
Laut WHO [21] stellen die Gesundheitsförderung in                            plan) des Kantons Genf und illustriert die Vielfalt der
der Schule, der Jugendschutz sowie die Sozial- und                           kantonalen gesundheitspolitischen Ansätze.
Wohnungsbaupolitik die wirksamsten Ansätze dar,

ABBILDUNG 5

Relevante Politikbereiche im                                            LRV-Messungsplan
                                                                                                            Kantonale
                                                                        2018–2023,
Kantonalen Aktionsplan des Kantons Genf                                 Verbesserung der
                                                                                                            Wirtschaftsstrategie
                                                                                                            2030
                                                                        Luftqualität

                                                               Alzheimerplan                       Kantonales
                                                               des Kantons Genf                    Integrations-
                                                               2016–2019                           programm
                                                                                                   2018–2021

                                                                                                                                        Kantonaler
                                                                                                                                        Klimaplan

                           Kantonaler                                               Kantonales Konzept

                           Aktionsplan
                                                                                    für nachhaltige
                                                                                    Entwicklung 2030               Lehrplan der
                                                                                                                   Westschweiz – Plan
                           zur Gesundheitsförderung                                                                d’études romand
                                                                                                                   (PER)
                           und Prävention
                           2019–2023

                                                                                                                            Kantonaler
                                                                 Aktionsplan                                                Richtplan (PDCn)
                                                                 Sanfte Mobilität

                                         Strategie zu                                                                                 Kantonales Unter-
                                         lufthygienischen                                     Umwelt 2030                             stützungsprogramm
                                         Massnahmen 2030                                                                              für betreuende Ange-
                                                                                                                                      hörige 2017–2020

                                                                                                                   Roadmap zum
                                                                             Bericht                               Armutsbericht
                               Massnahmenplan                                Gesundheitsplanung                    des Kantons Genf
                               «Schadstoffe in der                           des Kantons Genf                      und zukünftiger
                               Umwelt»                                       2016–2019                             Aktionsplan zur
                                                                                                                   Bekämpfung der
                                                                                                                   Armut

                                                     Strategie
                                                     Elektromobilität 2030
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 13

Gemeinden und Städte zählen zu den institutionel-         arbeitenden interessante und abwechslungsreiche
len Akteuren, die der Bevölkerung am nächsten             Aufgaben erhalten, dass sie ein Mitspracherecht
sind. Bei der Umsetzung von Massnahmen zur Ge-            haben und dass sie am Arbeitsplatz soziale Unter-
sundheitsförderung und Prävention sind sie daher          stützung und Wertschätzung erfahren. Entspre-
unverzichtbare Akteure. Städte und Gemeinden              chende Massnahmen verringern die Absenzzeiten
können auf verschiedenen Ebenen aktiv werden:             und tragen dazu bei, Mitarbeitende zu binden [22].
z.B. bei der Raumplanung, dem Mobilitätsmanage-           Im Jahr 2016 setzten 71 % der Schweizer Unterneh-
ment, der Frühen Förderung, der Unterstützung             men mit über 100 Mitarbeitenden bereits Massnah-
älterer Menschen und der Integration von Migran-          men des betrieblichen Gesundheitsmanagements
tinnen und Migranten.                                     um, wobei von diesen 23 % umfassend und syste­
In Unternehmen ist die aktive Gesundheitsförde-           matisch vorgingen (25 % in der deutschsprachigen
rung der Mitarbeitenden schon heute weit verbrei-         Schweiz, 20 % in der französischsprachigen Schweiz
tet. Studien zufolge wirken sich diese Massnahmen         und 7 % im Tessin) [23]. Während mittelgrosse und
auch in wirtschaftlicher Hinsicht positiv aus (Pro-       grosse Unternehmen solche Programme systema-
duktivitätssteigerungen). Zur Förderung der (v. a.        tisch umsetzen, fehlen den kleineren Unternehmen
psychischen) Gesundheit ist es wichtig, dass die Mit-     (KMU) häufig die erforderlichen Mittel.

ABBILDUNG 6

Für Gesundheitsförderung und Prävention relevante Akteure und Bereiche

                                                                                             Primar- und
        Integration                 Sozialarbeit                Frühförderung
                                                                                         Sekundarschulbildung

                                                                                            Stiftungen, NGOs
          Bund                        Kantone                     Gemeinden
                                                                                                und Ligen

                                      Gesundheitsförderung und Prävention

                                                                                         Forschung und Bildung:
      Unternehmen                Gesundheitswesen              Zivilgesellschaft
                                                                                             Tertiärbereich

                                                               Raumplanung und
 Nachhaltige Entwicklung              Mobilität                                             Volkswirtschaft
                                                                   Umwelt
14 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen

Das Gesundheitswesen fällt in erster Linie in die             von Suchterkrankungen, Hilfestellung und Be-
Kompetenz der Kantone. 4 Die Rolle des Bundes be-             handlungsmöglichkeiten für Personen mit
steht vor allem darin, im Sinne einer Orientierung            Suchterkrankungen, Minderung der gesundheit-
gesamtschweizerische Strategien und Leitlinien zu             lichen und gesellschaftlichen Schäden sowie
erarbeiten – dies unter anderem immer gemein­-                der negativen Folgen für die Gesellschaft [28].
sam mit den Kantonen und Gesundheitsförderung               • Dialogbericht Psychische Gesundheit in der
Schweiz. Nachstehende Liste gibt eine Übersicht               Schweiz aus dem Jahr 2015 zur Darstellung der
über die strategischen Leitlinien.5                           Lage und des Bedarfs an Koordination, struk­
• Gesundheitspolitische Strategie Gesundheit2030              turellen Anpassungen, Monitoring- und Evalua-
  als Verlängerung der Strategie Gesundheit2020.              tionsmassnahmen und Projekten im Bereich
  Die Umsetzung der letzteren Strategie wurde im              «psychische Gesundheit» [22] und der Aktions-
  Jahr 2013 eingeleitet; die Massnahmen, die sich             plan Suizidprävention [29].
  am meisten bewährten, und die zu schliessenden
  Lücken [24] bildeten die Grundlage für die Aus-           Nicht zu vergessen ist, dass die Gesundheitspolitik
  arbeitung der Strategie Gesundheit2030 [25].              fest in den 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung
• Nationale Strategie zur Prävention nichtübertrag-         (Sustainable Development Goals, SDGs) verankert
  barer Krankheiten 2017–2024 (NCD-Strategie)               ist, zu deren Umsetzung bis im Jahr 2030 sich sämt-
  sowie der zugehörige Massnahmenplan zur Um-               liche UNO-Mitgliedstaaten verpflichtet haben [30].
  setzung von Massnahmen in der Bevölkerung,                Für die Unfallprävention sind die Beratungsstelle für
  in der Gesundheitsversorgung und in der Arbeits-          Unfallverhütung (BFU) und die Schweizerische Unfall-
  welt [26].                                                versicherung Suva zuständig. In diesem Argumenta-
• Schweizer Ernährungsstrategie 2017–2024 ein-              rium wird die Verhütung von Arbeitsunfällen nicht
  schliesslich des zugehörigen Aktionsplans [27].           thematisiert; diese ist Gegenstand der entspre-
• Nationale Strategie Sucht 2017–2024 (sowie der            chenden Pläne für Gesundheit und Sicherheit am
  zugehörige, im November 2016 eingeführte                  Arbeitsplatz [31].
  Massnahmenplan) zur Prävention des Auftretens

4 Die Kantone sind neben den Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention auch für die Gesundheitsversorgung
   (Gesundheitsplanung, Berufsausübungsbewilligungen, Spitalverwaltung, Gesundheitswesen usw.) verantwortlich; der
   Bund verfügt über gewisse Kompetenzen, die auf bestimmten Bundesgesetzen fussen; sie gehen aber deutlich weniger
   weit als diejenigen der Kantone.
5 Nicht abschliessendes Verzeichnis; die in anderen Sektoren praktizierten Strategien (insbesondere die Jugend- und
   Behindertenpolitik usw. des BSV) haben ebenfalls grossen strategischen Einfluss.
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 15

Tabelle 4 enthält Beispiele von Gesundheitsfragen,              Die nachfolgenden Kapitel 3 bis 7 beschreiben die
die nicht allein vom Gesundheitssektor bzw. der öf-             bisherige Entwicklung und den aktuellen Handlungs­
fentlich-rechtlichen Gesundheitspolitik beantwortet             bedarf in den verschiedenen Themenbereichen der
werden können. Auch andere Politikbereiche tragen               Gesundheitsförderung und Prävention. Es werden
einen wichtigen Teil zur Problemlösung bei. Diese               zu jedem Bereich Massnahmen aufgezeigt, welche
vielfältigen politischen Ansätze müssen sich unter-             sich im Sinne einer Steigerung der Lebensqualität
einander noch stärker vernetzen, um eine multi­                 und der Gesundheit der Bevölkerung als wirksam
sektorielle und interdisziplinäre Grundlage für ihre            und rentabel erwiesen haben.
Zusammenarbeit zu schaffen.

TABELLE 4

Multisektorielle Ansätze der Gesundheitsförderung und Prävention

Problemstellung                                                Lösungsmöglichkeit

In den Jahren 2002–2017 ist der Anteil Übergewichtiger         Mithilfe der Raumplanungspolitik lässt sich der Zugang der
(BMI > 25) in der Gesamtbevölkerung von 38 % auf 41 % ge-      Bevölkerung zu Grünflächen verbessern und somit ein Anreiz
stiegen; der Anteil adipöser Personen hat sich zwischen        für körperliche Bewegung schaffen. Grünflächen tragen zum
1992 und 2017 von 5 % auf 11 % erhöht (3. Ernährung und        Wohlbefinden und zur Lebensqualität bei, sie reinigen die Luft
Bewegung).                                                     und mindern die Lärmverschmutzung sowie die Bildung von
                                                               urbanen Hitzeinseln.

Der Konsum psychoaktiver Substanzen ist eng mit sozialen       Politische Massnahmen zur Förderung des sozialen Zusam-
Faktoren und Gruppenverhalten verbunden (4. Alkohol,           menhalts können bei der Prävention des Konsums psycho­
Tabak und vergleichbare Produkte sowie weitere psycho­         aktiver Substanzen eine zentrale Rolle spielen, insbesondere
aktive Substanzen).                                            im Hinblick auf die gesellschaftliche Integration. Zusätzlich
                                                               spielen die Ausbildung, der Umgang mit Stressfaktoren und
                                                               die Stärkung der Gesundheitskompetenzen eine Rolle.

In der Schweiz ist die Internetnutzung bei 1 % bis 4 % der     Mithilfe der Lehrpläne in den einzelnen Sprachregionen kann
über 15-Jährigen problematisch; bei den Jugendlichen           die Bildungspolitik die bestehenden Angebote zur Gesund-
(15 bis 24 Jahre) beträgt der Anteil nahezu 10 % (5. Online-   heitsförderung und Prävention umfassender in die Schulen
Verhalten und Geldspiele).                                     tragen.

In der Schweiz weisen 17 % der Bevölkerung mindestens          Die sozialpolitischen Ansätze sowie die bildungs- und früh-
eine psychische Beeinträchtigung auf. Drei Viertel dieser      förderungspolitischen Ansätze können wesentliche Beiträge
Beeinträchtigungen treten vor dem 18. Lebensjahr auf,          zur Förderung der psychischen Gesundheit leisten.
daher ist die Förderung der psychischen Gesundheit ab dem
frühesten Lebensalter entscheidend (6. Psychische
Gesundheit).

In der Schweizer Bevölkerung beträgt der Anteil der Men-       Integrationspolitische Ansätze können entscheidend dazu
schen, die als sozial «teilweise bzw. schlecht integriert      beitragen, dass Menschen nicht sozial vereinsamen.
oder grösstenteils isoliert» gelten, nahezu ein Viertel. Un-
abhängig von ihrem Alter besteht bei diesen Personen ein
gegenüber der Gesamtbevölkerung um den Faktor 11,5
erhöhtes Risiko einer mittelschweren bis schweren Depres-
sion (6. Psychische Gesundheit).

Im Jahr 2015 zog die Luftverschmutzung in der Schweiz          Mobilitätspolitische Massnahmen können zur Förderung der
nahezu 2200 vorzeitige Todesfälle nach sich, wovon rund        sanften Mobilität eingesetzt werden. In den Agglomerationen
200 auf Lungenkrebserkrankungen zurückgehen [32].              ist seit zehn Jahren eine deutliche Zunahme des Veloverkehrs
Schätzungen zufolge verliert die Schweizer Bevölkerung         zu beobachten. Inzwischen ist dieser Trend auch in den länd-
zudem jährlich insgesamt 69 000 gesunde Lebensjahre            lichen Gebieten zu verzeichnen.
durch Verkehrslärmbelastung [33].
16 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen

3	Ernährung und Bewegung
3.1   Entwicklung und Herausforderungen               Themen «Ernährung und Bewegung» um. Über
                                                      500 000 Kinder und Jugendliche konnten bisher von
Die Schweizerische Gesundheitsbefragung aus dem       Aktionen und Projekten profitieren, die im Rahmen
Jahr 2017 hat erfreuliche, aber auch weniger          der kantonalen Aktionsprogramme umgesetzt wur-
erfreuliche Entwicklungen aufgezeigt. Seit 2002 ist   den. Diese positive Entwicklung belegt die Wirksam­
der Anteil der Bevölkerung, der regelmässig eine      keit der Gesundheitsförderung. Die Massnahmen zur
körperliche Aktivität ausübt, von 62 % auf 76 % ge-   Förderung eines gesunden Körpergewichts greifen
stiegen. Allerdings bewegen sich über 85 % der Ju-    insbesondere im Kindergarten [2] (Abbildung 7).
gendlichen nicht einmal eine Stunde pro Tag; dieser   Interventionen der Fédération romande des con-
seit 2001 steigende Inaktivitätsgrad liegt über dem   sommateurs (Konsumentinnen- und Konsumenten-
internationalen Durchschnitt [34].                    verband der Westschweiz) in Zusammenarbeit mit
Nationale Erhebungen haben gezeigt, dass sich die     Gesundheitsförderung Schweiz und den Kantonen
Schweizer Bevölkerung kaum ausgewogen ernährt         haben dazu geführt, dass in den Poststellen keine
[35]. Zwischen 1992 und 2017 ist der Anteil Über­     Süssigkeiten mehr verkauft werden [39].
gewichtiger (BMI > 25) an der Gesamtbevölkerung       Im Tessin wurde das Label Fourchette verte zur
von 38 % auf 41 % gestiegen; der Anteil adipöser      Kennzeichnung eines ausgewogenen Ernährungs-
Personen hat sich von 5 % auf 11 % erhöht. Das        angebots [40] in sämtlichen Schulkantinen sowie
schweizeri­sche Monitoring-System «Sucht und nicht­   jenen Institutionen eingeführt, die Mahlzeitenliefer-
übertragbare Krankheiten» (MonAM) [36] zeigt          dienste betreiben, wie beispielsweise Pro Senectute.
auch, dass ältere Menschen zunehmend über­            Im Rahmen der oben genannten kantonalen Ak­
gewichtig sind.                                       tions­programme «Ernährung und Bewegung» hat
Über 3 Millionen Menschen in der Schweiz haben        sich der Anteil der Schülerinnen und Schüler
mindestens einmal pro Monat «leichte» bis «starke»    zwischen 11 und 15 Jahren, die mindestens einmal
Rückenschmerzen, wobei der Anteil der Betroffe-       täglich Obst essen, zwischen 2010 und 2014 von 43 %
nen an der Gesamtbevölkerung konstant zunimmt         auf 47 % gesteigert (Abbildung 8).
[37]. Auf diesem Gebiet besteht ein umfangreiches     Einzelne bewegungsfördernde Massnahmen haben
Präventionspotenzial; einerseits zur Vorbeugung       zudem nachweisliche Kosteneinsparungen erbracht,
von Rückenschmerzen mittels einfacher Hinweise        indem sie zur Reduktion von Diabetes­erkrankungen,
und täglicher gezielter Übungen und andererseits      Bluthochdruck und Hyper­cholesterin­ämie bei­trugen
zur Vermeidung einer Chronifizierung von Rücken-      [41].
schmerzen mittels Behandlung der psycholo­gischen     Zumeist handelt es sich bei gesunden Nahrungs­
Einflussfaktoren und hinderlichen Überzeugungen       mitteln auch um Nahrungsmittel aus einer umwelt-
[38].                                                 freundlichen Produktion (insbesondere, wenn sie
                                                      lokal und saisonal sind) [42]. Die Förderung des
                                                      Konsums dieser Nahrungsmittel trägt daher so­       -
3.2	Beispiele von wirksamen und rentablen            wohl zur Förderung der Gesundheit bei als auch
     Massnahmen zur Gesundheitsförderung              zur Minderung der durch die Nahrungsmittel­
     und Prävention                                   produktion bedingten Klimaschäden. In bestimmten
                                                      Fällen führt sie sogar dazu, dass vermehrt lokale
Eine effektive Bekämpfung dieser Entwicklungen        Produkte konsumiert werden [43].
hängt von zahlreichen Faktoren ab. Die Kantone        Im Bereich der Bewegung zeigt sich, dass die Bereit­
setzen seit 2007 zusammen mit Gesundheitsförde-       stellung von Sportanlagen oder zusätzlichen Grün-
rung Schweiz kantonale Aktionsprogramme zu den        flächen im städtischen Raum zu den effektivsten
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 17

     ABBILDUNG 7                                                                                         ABBILDUNG 8

Anteil übergewichtiger und adipöser Kinder auf ver­                                                      Ernährungsverhalten von 11- bis 15-jährigen
schiedenen Schulstufen (Basel, Bern, Zürich zusammen),                                                   Schülerinnen und Schülern
Vergleich von vier Perioden
                                                                                                          2010     2014
               Adipositas             Übergewicht (inkl. Adipositas)
                                                                                                         Anteil 11- bis 15-Jähriger,
                                                                                                                                          43
                                                                                                         die mindestens
                                                   4,3         15,4                                      einmal täglich Früchte
                           2005/06–2008/09
                                                                                                                                              47
Kindergarten / 1. Klasse

                                                                                                         konsumieren
                           Höchstwerte im
                                                   5,0          16,4
                           Schuljahr 2006/07                                                             Anteil 11- bis 15-Jähriger,
                                                                                                                                          42
                                                                                                         die mindestens
                                                  3,9         14,3                                       einmal täglich Gemüse
                           2009/10–2012/13                                                                                                    45
                                                                                                         konsumieren
                                                  3,0        12,2
                           2013/14–2015/16                                                               Anteil 11- bis 15-Jähriger,
                                                                                                                                          41
                                                                                                         die maximal einmal
                                                  2,9        11,8                                        wöchentlich Süss­
                           2016/17–2018/19                                                                                                39
                                                                                                         getränke trinken
                                                   4,9                 22,0                              Anteil 11- bis 15-Jähriger,
                           2005/06–2008/09                                                                                                                95
                                                                                                         die maximal einmal
                           Höchstwerte im
Unter-/Mittelstufe

                                                   5,1                 22,3                              wöchentlich Hamburger/
                           Schuljahr 2007/08                                                                                                              96
                                                                                                         Hot Dogs konsumieren
                                                   5,0                 22,1                                                      0%    20 %        40 %    60 %   80 %   100 %
                           2009/10–2012/13

                                                   5,4                21,0
                           2013/14–2015/16                                                               Quelle: Evaluation der kantonalen Aktionsprogramme
                                                                                                         Ernährung und Bewegung 2014–2017. Faktenblatt 36
                                                   4,3               19,4
                           2016/17–2018/19                                                               (Gesundheits­förderung Schweiz 2019)

                                                    5,5                    22,8
                           2005/06–2008/09

                                                    6,4                     25,0
                           2009/10–2012/13
Oberstufe

                           Höchstwerte im
                                                    6,5                      26,2                        gesundheitsfördernden Massnahmen gehört. Die
                           Schuljahr 2010/11

                                                    6,2                     24,6
                                                                                                         positiven Auswirkungen frei zugänglicher Grün­
                           2013/14–2015/16
                                                                                                         flächen beschränken sich dabei nicht nur auf die
                                                    6,6                     25,0                         Förderung der körperlichen Aktivität. Grünflächen
                           2016/17–2018/19
                                                                                                         können weit mehr. Sie tragen aktiv dazu bei, dass
                                                   4,8               19,5
                           2005/06–2008/09
                                                                                                         neue Gemeinschaften entstehen und soziale Bin-
Alle Schulstufen

                           2009/10–2012/13
                                                   4,9               19,5                                dungen sich verstärken. Freie Grundflächen verbes-
                                                                                                         sern die Luftqualität, mindern die Lärmverschmut-
                                                   4,4              17,6
                           2013/14–2015/16
                                                                                                         zung und wirken der Entstehung von urbanen
                           2016/17–2018/19
                                                  4,2               17,2                                 Hitzeinseln entgegen [44]. Nutzerinnen und Nutzer
                                             0%         5%      10 %         15 %   20 %   25 %   30 %
                                                                                                         von Grünflächen haben ein geringeres Risiko, an
                                                                                                         Diabetes Typ 2 zu erkranken; dies gilt auch für Herz-
Quelle: Monitoring der Gewichtsdaten der schulärztlichen                                                 Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Stress
Dienste der Städte Basel, Bern und Zürich. Faktenblatt 42                                                und vorzeitiges Sterben [45].
(Gesundheits­förderung Schweiz 2020)
18   Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen

3.3	Wirksamkeit von Massnahmen                          men des betreffenden Programms unterstützten
     in anderen Bereichen                                Projekte sind konkrete Beispiele für die Förderung
                                                         der körperlichen Bewegung und der Gesundheit
 Massnahmen zur Förderung von Naturerlebnissen           durch raumplanerische Massnahmen [52]. Hier
 wirken sich ebenfalls positiv auf die Gesundheit aus.   spielen die Kantone, die Städte und die Gemeinden
 Einer britischen Studie [46] zufolge fühlen sich Men-   eine massgebliche Rolle; finanzielle Unterstützung
schen, die mindestens zwei Stunden pro Woche in          kann bei der Koordinationsstelle für nachhaltige Mobi-
der Natur verbringen, häufiger (+60 %) gesund.           lität (KOMO) beantragt werden [53].
Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass die För-
derung der sanften Mobilität im Rahmen der Raum-
planung substanzielle Einsparungen bei den Gesund­       ABBILDUNG 9
heitskosten mit sich bringt, da sie das Wohlbefinden
der Bevölkerung fördert: Sie bereitet den Weg für        Meinung der Bevölkerung zu Massnahmen,
körperliche Aktivität, verbessert die Luftqualität,      die zum Gehen oder Velofahren motivieren

vermindert die Lärmverschmutzung und sorgt da­
                                                          Motivierende Massnahme       Nicht motivierende Massnahme
für, dass unsere Fahrten und Reisen weniger nega-         Nicht betroffen
tive Auswirkungen auf das Klima haben [47]. Aus
Abbildung 9 lässt sich ablesen, welche strukturel-       Durchgängige/                                  75                     11         14
                                                         attraktive Fusswege
len Massnahmen sich am besten dazu eignen, die
Bevölkerung zu ermutigen, zu Fuss zu gehen oder          Durchgängige/sichere                           74                     10        17
                                                         Velowege
das Velo zu benutzen [48].
Die Entwicklung der mobilitätspolitischen Massnah-       Attraktive Preise
                                                         für Velomitnahme in                       60                     17         23
men entspricht diesen Resultaten zumindest teil-         Bus/Tram/Zug

weise. In den Agglomerationen ist seit zehn Jahren
                                                         Geeignete Plätze für                  55                     20             25
eine Nettozunahme des Velos als Transportmittel zu       Velos in Bus/Tram/Zug
beobachten. Inzwischen ist dieser Trend auch in den      Mehr und gut aus­­
                                                         gerüstete Veloabstell­
Routen­plänen von Veloland Schweiz ersichtlich [49].     plätze am Arbeits-/
                                                                                              52                     17             31
                                                         Ausbildungsort
Anzumerken ist allerdings, dass die Mobilität von
Kindern und Jugendlichen sich wesentlich deutlicher                                           49                     25             26
                                                         Velos zur Selbst­
hin zum öffentlichen Verkehr als zum Velo ent­           bedienung

wickelt [50].                                            Mehr und gut aus­
                                                         gerüstete Veloabstell­            48                    21                 31
Zahlreiche Städte in der Schweiz und im Ausland          plätze am Wohnort
­haben auf die COVID-19-Pandemie und den Nutzungs­
                                                         Angabe von Gehzeiten
 einbruch im öffentlichen Verkehr reagiert, indem sie    bis zur nächsten Halte-           47                        32              21
                                                         stelle
 umgehend temporäre Massnahmen für neue ge-
 meinsame Nutzungsmöglichkeiten des öffen­tlichen        Bus/Tram/Zug fahren               47                        30              24
                                                         häufiger
 Raums ergriffen haben [51]. Diese Beispiele zeigen,
 dass Umstellungen sich drastisch beschleunigen,         Nähere Haltestelle von          38                     31                  31
 wenn der entsprechende politische Wille vorhanden       Bus/Tram/Zug

 ist.                                                                             0%                     50 %                        100 %

 Acht Bundesämter – unter anderem das Bundesamt
                                                         Quelle: Erhebung «Gesundheit und Lifestyle», 2018, BAG
 für Gesundheit – beteiligen sich an Modellprojekten
 für eine nachhaltige Raumentwicklung. Die im Rah-
Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen 19

4	Alkohol, Tabak- und andere
   Nikotin­produkte sowie weitere
   psycho­aktive Substanzen
4.1       Entwicklung und Herausforderungen                    von CHF 3 Milliarden sowie Produktivitätsverluste –
                                                               aufgrund von Krankheit oder Todesfall – von rund
Der Konsum von Tabak- und anderen Nikotin­                     CHF 800 Millionen zulasten der Wirtschaft [3].7 In
produkten [54] führt zu chronischen Atemwegser-                der Schweiz fallen die Gesamtkosten des Tabak­
krankungen, Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankun-               konsums somit nahezu doppelt so hoch aus wie die
gen. In der Schweiz war der Anteil der Raucherinnen            entsprechenden Steuereinnahmen (rund CHF 2 Mil-
und Raucher in den Jahren 1997 bis 2017 (Abbil-                liarden pro Jahr [55]). Zudem trägt die weltweite
dung 10) rückläufig; er stagniert aber seit 2012.6             Tabakproduktion substanziell zum Klimawandel bei;
Nach wie vor sind rund 9500 Todesfälle pro Jahr auf            für sich allein betrachtet, erzeugt sie doppelt so
den Tabakkonsum zurückzuführen. Jährlich verur-                viele Treibhausgase wie die Schweiz [56].
sacht der Tabakkonsum Krankheitskosten in Höhe

ABBILDUNG 10

Gesundheitsdeterminanten gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2017

                                                                              11 %
                                                                                                   Täglicher
                                                                                                   Alkoholkonsum

                                                                                der Bevölkerung
  Tabakkonsum

  6%                                 27 %                           täglich
                                                                    3 bis 6 Tage pro Woche
                                                                    1 bis 2 Tage pro Woche
                                                                                                  weniger als an 1 Tag
                                                                                                  pro Woche
                                                                                                  abstinent
  der Bevölkerung                    der Bevölkerung
  rauchen ≥ 20 Zigaretten            rauchen
  pro Tag
                                                                  0%        20 %      40 %      60 %      80 %        100 %

      Quelle: BFS – SGB

           www.statistik.ch                                                                                      © BFS 2018

Quelle: BFS 2019, Gesundheitsstatistiken

6 Dieser Rückgang wirkt sich nur in bescheidenem Ausmass auf die Arbeitsplätze im Bereich «Tabakverarbeitung» aus
   (2508 Stellen im Jahr 2011; 2187 im Jahr 2017) Quelle: BFS (2019). Statistik der Unternehmensstruktur (STATENT).
7 Die unterschiedlichen Berechnungsmethoden führen dazu, dass die jüngste Schätzung der indirekten Kosten des Tabak-
   konsums von Polynomics (2020) deutlich anders ausfällt als die der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
   ZHAW (2019) mit dem Titel Die Krankheitslast des Tabakkonsums in der Schweiz: Schätzung für 2015 und Prognose bis 2050.
20 Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen

Seit 25 Jahren ist der tägliche Alkoholkonsum in der         Der nahezu tägliche Konsum 8 von Schlafmitteln,
Schweiz rückläufig (Abbildung 10). Inzwischen trin-          Beruhigungsmitteln oder Schmerzmitteln war im
ken nur noch 11 % der in der Schweiz wohnhaften              Jahr 2018 bei 2 % der Bevölkerung gegeben [62].
Personen über 15 Jahre täglich Alkohol, im Jahr              Der Konsum dieser Substanzen sowie die von
1992 waren es noch 20 % [57]. Diese Entwicklung              Sedativa verursachten psychischen und verhaltens­
hatte im Sektor «Getränkeherstellung» – er um-               bedingten Probleme kosten die Gesellschaft nahezu
fasst auch die Herstellung alkoholfreier Getränke –          CHF 1 Milliarde im Jahr [3].
keine Folgen für die Anzahl Arbeitsplätze: In den            Sucht Schweiz weist zudem darauf hin, dass immer
Jahren 2011 bis 2017 nahm die Anzahl Arbeitsplätze           mehr neue potenziell suchterzeugende und proble-
hier um 22 % zu. Jedoch verschärfen sich bestimmte           matische Produkte auf den Markt kommen, bei-
problematische Verhaltensmuster beim Alkohol-                spielsweise Nikotinderivate oder neue alkoholhaltige
konsum. Bei den über 65-Jährigen hat beispielswei-           Getränke. Zahlreiche neue psychoaktive Substanzen
se der Anteil chronisch Konsumierender zugenom-              (NPS) haben das bekannte Spektrum von Alkohol,
men. Auch der episodische Risikokonsum nimmt                 Tabak und bereits bekannten illegalen psycho­
seit zehn Jahren in fast allen Altersgruppen zu, wo-         aktiven Substanzen erweitert. Der Gebrauch von
bei die Zunahme bei jungen Frauen (15 bis 24 Jahre)          Stimulanzien ist in den Schweizer Grossstädten
besonders ausgeprägt ist [58].                               nach wie vor hoch, und die Märkte für Kokain und
Eine in 17 Ländern durchgeführte Studie ergab ei-            Ecstasy wachsen und bieten reinere oder konzen­
nen engen Zusammenhang zwischen dem Alkohol­                 triertere Produkte an als früher.
konsum und sieben bis neun Jahre später eintreten-           Die zunehmende Vielfalt der in der Schweiz zum
den Krebserkrankungen [59]. Trotz des rückläufigen           Verkauf angebotenen Produkte und Substanzen
Alkoholkonsums in der Schweiz führt der Alkohol-             erfordert eine Überwachung ihres Konsums und
missbrauch jährlich zu Kosten von rund CHF 2,8 Mil-          ihrer gesundheitlichen Auswirkungen, die sich erst
liarden [3]; der grösste Teil davon geht in Form von         mittel- oder langfristig zeigen und wissenschaftlich
Produktivitätsverlusten zulasten der Wirtschaft.             nachweisen lassen. In erster Linie handelt es sich
Der Risikokonsum von Alkohol führt zudem zu gros-            hierbei um erhitzten Tabak («Heat-not-Burn») oder
sem menschlichem Leid, das sich kaum beziffern               Kautabak (Snus), E-Zigaretten, nicht deklarierte
lässt, für die Betroffenen und ihre Ange­hörigen aber        Zusatzstoffe bei neuen alkoholischen Getränken so-
von grosser Bedeutung ist.                                   wie in unterschiedlichen Formen erhältliche legale
Der Cannabiskonsum der Schweizer Bevölkerung                 Cannabisprodukte (CBD): Salben, Parfüm­öle, Kau-
blieb zwischen 2002 und 2012 relativ stabil, um              gummi usw. Zudem steigt die Anzahl neuer psycho-
anschliessend anzusteigen. So erklärten im Jahr              aktiver Substanzen, die vor allem online erworben
2017 4 % der in der Schweiz wohnhaften Personen              werden [63].
im Alter von 15 bis 64 Jahren, dass sie im Vormonat
Cannabis konsumiert hatten. Im Jahr 2012 waren es
nur 2,9 % [60]. Ein Teil dieses zusätzlichen Konsums         4.2	Beispiele von wirksamen und rentablen
dürfte sich auf die seit 2016 legalen Cannabispro-                Massnahmen zur Gesundheitsförderung und
dukte (CBD) zurückführen lassen. 1,1 % der Schwei-                Prävention
zer Bevölkerung sind problematisch Cannabiskon-
sumierende [60].                                             Die Kampagne «SmokeFree» 2014–2017 war inso-
Die gesamte Anzahl auf Drogenkonsum (Opiate) zu-             fern erfolgreich, als sowohl Personen, die rauchten,
rückzuführender Todesfälle ist zwischen 1995 und             wie auch die breite Öffentlichkeit sich der schädli-
2016 um 64 % (von 376 auf 136 Fälle) zurückgegan-            chen Folgen des Rauchens bewusst wurden. Das
gen. Dieser rückläufige Trend hat sich seit 2010             Image des Nichtrauchens verbesserte sich und die
allerdings verlangsamt [61].                                 Motivation, das Rauchen aufzugeben, nahm zu [4].

8 In den letzten drei Monaten vor der Erhebung. Der regelmässige Konsum dieser Substanzen nimmt mit dem Alter
   deutlich zu.
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