Automatisierung im Personalmanagement - arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz - Prof. Dr. Peter Wedde 2. März 2020
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Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz Prof. Dr. Peter Wedde 2. März 2020 Eine Publikation von gefördert von der
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz Inhaltsverzeichnis A. Einleitung................................................................................................................................................................. 4 B. Fragestellung........................................................................................................................................................... 7 C. Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen.......................................................................................................... 9 I. Individualrechte Einzelthemen................................................................................................................. 9 1. Schutz des Persönlichkeitsrechts.......................................................................................................... 10 2. Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Beschäftigtendatenschutz........................... 15 3. Einsicht in die Personalakte (§ 83 BetrVG)........................................................................................... 17 II. Kollektivrechtliche Einzelthemen........................................................................................................19 1. Unterrichtungs- und Beratungsrechte................................................................................................. 19 a) Unterrichtung und Beratung im Rahmen allgemeiner Aufgaben (§ 80 BetrVG) ................. 19 b) § 90 BetrVG Unterrichtungs- und Beratungsrechte bei bestimmten Planungen................ 23 c) Personalplanung (§ 92 BetrVG)....................................................................................................... 24 d) Beschäftigungssicherung (§ 92a BetrVG)..................................................................................... 25 e) Betriebsänderungen (§ 111 BetrVG).............................................................................................. 26 f) Exkurs: Kollektivrechtliche Auskunftspflicht versus „Nichtwissen“........................................ 26 Seite 2
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz 2. Mitbestimmungsrechte........................................................................................................................... 29 a) Ordnung im Betrieb und Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) .................................................................................................................... 29 b) Verhaltens- und Leistungskontrollen mittels technischer Einrichtungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG)..................................................................................................................... 31 c) Arbeits- und Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG)...................................................... 33 d) Personalfragebogen (§ 94 BetrVG)................................................................................................. 34 e) Auswahlrichtlinien (§ 95 BetrVG)................................................................................................... 35 D. Zulässigkeit der Steuerung und Überwachung von Arbeitnehmern im Rahmen eines automatisierten Personalmanagements ...............................................................37 E. Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten.................................................................................41 I. Individualrechtlicher Bereich..................................................................................................................41 II. Kollektivrechtlicher Bereich...................................................................................................................42 F. Zusammenfassung der Ergebnisse.............................................................................................................45 G. Literaturverzeichnis..........................................................................................................................................48 Seite 3
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz A. Einleitung Die Arbeitswelt steht vor grundlegenden Veränderun- beschreiben, mit denen ein Ablaufplan als eine Folge gen, die ihre Ursache im massiven Vordringen unter- von Verarbeitungsschritten spezifiziert wird. Algo- schiedlicher Digitalisierungsprozesse haben. Diese rithmen sollen ein angestrebtes Ergebnis durch die Veränderungen betreffen alle Bereiche und können schrittweise Transformation von Eingangsdaten er- zu gänzlich neuen Arbeitssituationen und Arbeitsbe- zielen.5 dingungen führen. Diskutiert werden die Möglichkei- ten und Perspektiven unter Überschriften wie „Indus- Der zentrale Anknüpfungspunkt der folgenden juris- trie 4.0“ oder „Arbeit 4.0“.1 tischen Bewertung ist die Automatisierung des Perso- nalmanagements. Der Begriff der „Automatisierung“ Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist kein neues Phä- steht in diesem Rahmen vorrangig für den Einsatz nomen, sondern wird seit mehr als einem Vierteljahr- unterschiedlicher Systeme der Informationstechnik hundert prognostiziert und diskutiert. Neu sind die (IT), die auf der Grundlage vorhandener oder von technischen Möglichkeiten, die inzwischen zur Ver- den IT-Systemen mittels entsprechender Program- fügung stehen. Konventionelle Computertechnik, die me und / oder Algorithmen erzeugter Informationen, auf eigene Server und versionierte Software zurück- Aufgaben des Personalmanagements automatisiert greift, wird in vielen Bereichen durch das sogenannte durchführen. Für diese Untersuchung wird davon Cloud-Computing und „Software as a Service“ (SaaS) ausgegangen, dass hierfür unterschiedliche Software ersetzt.2 aus dem Bereich der KI zur Anwendung kommt. Die KI-Systeme werden von Algorithmen gesteuert, die Ein großer Automatisierungssprung verbindet sich teilweise „selbstlernend“ sind, d. h. aus vorhandenen mit neuartigen Software-Anwendungen aus dem Informationen Muster ableiten und hieraus Hand- Bereich der „Künstlichen Intelligenz“ (KI). Der Begriff lungsvorschläge generieren können. „KI“ wird im Folgenden für Systeme verwendet, die auf der Basis von Methoden aus den Bereichen Ma- Der zu bewertende Bereich des „Personalmanage- thematik und Informatik konkrete Anwendungspro- ments“ wird in der folgenden Darstellung verstanden bleme lösen und die dabei zur Selbstoptimierung als in der Lage sind.3 KI-Software enthält in der Regel „selbstlernende Algorithmen“. Der Begriff „Algorith- „die Summe aller betrieblichen personalen mus“ steht nach der sprachlichen Definition für ei- Gestaltungsfelder und Einzelmaßnahmen zur nen Rechenvorgang nach einem bestimmten Sche- Unterstützung der aktuellen und zukünftigen ma, der sich wiederholt.4 Bezogen auf KI lassen sich Unternehmensentwicklung (Business De- Algorithmen als operative Verarbeitungsvorschriften velopment) und der damit einhergehenden 1 Vgl. etwa BMAS, S. 18 ff. 2 Vgl. Wedde-Höller/Wedde, S. 455 ff. m. w. N. 3 Vgl. ähnlich die Definition in Bundesregierung-KI, S. 4. 4 Vgl. die Definition des Duden, abrufbar unter https://www.duden.de/rechtschreibung/Algorithmus (Abruf: 07.02.2020). 5 Vgl. Datenethikkommission, S. 54. Seite 4
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz Veränderungsprozesse (Organisationsentwick- zu notwendigen Aus- und Weiterbildungen. Kommt lung). Vergleichbare Begriffe sind „Personalwe- es zu einer Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, sen“ oder „Personalwirtschaft“.6 können auch die hierfür notwendigen Schritte durch Programme strukturiert werden – bis hin zur kollek- Die verwendete Definition ist in vielen Aspekten in- tivrechtlich notwendigen Anhörung des Betriebsrats haltsgleich mit der in § 92 Abs. 1 BetrVG angespro- vor einer Kündigung durch den Arbeitgeber. Gleiches chenen Personalplanung, die alle Planungen des gilt für Personalabbaumaßnahmen, die auf Empfeh- Arbeitgebers erfasst, die sich in qualitativer oder lungen aus KI-Systemen basieren können. quantitativer Hinsicht auf den gegenwärtigen oder künftigen Personalbedarf beziehen sowie auf dessen Die nächste Entwicklungsstufe bilden „Sprachanalyse- Deckung bzw. auf das Vorhalten notwendiger Perso- systeme“, die auf der Basis von KI Informationen über nalkapazitäten.7 Gesprächspartner gewinnen, deren Inhalte deutlich über die vorher direkt mitgeteilten Angaben hinaus- Auf der operativen Ebene finden Personalmanage- gehen. Ein Einsatzschwerpunkt solcher KI-Systeme mentprozesse vielfach in immer wieder gleicher liegt derzeit vermutlich im Bereich der Bewerberaus- Form und Struktur statt. Dies beginnt bei der Perso- wahl. Zu den gewonnenen Informationen können nalauswahl und den sich anschließenden Vertrags- beispielsweise Hinweise zur momentanen Verfas- verhandlungen und setzt sich in laufenden Beschäf- sung von Gesprächspartner gehören, aber auch Ein- tigungsverhältnissen in der Personalbetreuung und schätzungen zum Wahrheitsgehalt getätigter Aussa- -qualifikation fort. Auch die Prozesse bei Beendigung gen. Werden diese softwaregenerierten Hinweise den von Beschäftigungsverhältnissen folgen stets den Verwendern während eines Gesprächs angezeigt, gleichen Mustern. können sie die computergenerierten Einschätzungen durch spezifische Nachfragen überprüfen. Wegen der wiederkehrenden Prozesse ist das Perso- nalmanagement für den Einsatz von automatisierten Im Bereich der Bewerberauswahl kommt in Deutsch- Prozessen prädestiniert. Im Rahmen der Bewerbe- land auch vereinzelt bereits automatisierte Interview- rauswahl können beispielsweise vollautomatisierte Software zum Einsatz, die aus dem Sprechverhalten Verfahren eingesetzt werde, bei denen Bewerber ihre Rückschlüsse auf den Charakter von Personen ablei- Unterlagen in strukturierter Form online selbst in vor- tet.8 Bei der Software Precire des Aachener Unterneh- handene IT-Systeme eingeben müssen. Dort werden mens Precire Technologie GmbH, einem der deut- die Unterlagen automatisch bewertet und geeignete schen Marktführer auf diesem Gebiet, soll beispiels- Bewerber identifiziert. Alle diese Arbeitsschritte wer- weise bereits eine fünfzehnminütige Stimmprobe den nicht mehr von Menschen durchgeführt, sondern ausreichen, um von der individuellen Sprache auf die von Computerprogrammen. Bezogen auf bestehen- dahinter liegende Persönlichkeit zu schließen.9 Die de Arbeitsverhältnisse können die Beschäftigten mit- Funktionsweise von Precire wird wie folgt beschrie- tels entsprechender Programme ihre Stammdaten ben: selbst pflegen. Vorgaben zur Gehaltsfindung können durch KI gesteuerte Personalinformationssysteme „PRECIRE® ist eine innovative sprachbasierte ebenso automatisch erzeugen wie Empfehlungen Technologie, die gesprochene und geschriebene 6 Bartscher, Personalmanagement, In: Gabler Wirtschaftslexikon, abrufbar unter https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/ personalmanagement-44033 (Abruf: 23.12.2019). 7 Vgl. Fitting, § 92 BetrVG, Rn. 9; ausführlich Kapitel C.II.1. Buchstabe e). 8 Eingesetzt werden derartige Systeme etwa beim Versicherungsunternehmen Talanx, bei der Zeitarbeitsfirma Randstadt, bei Fraport AG und bei RWE – vgl. Bärschneider, Sprachanalysesoftware – das Recruitingtool der Zukunft?, abrufbar unter www. humanresourcesmanager.de/news/sprachanalysesoftware-das-recruitingtool-der-zukunft.html (Abruf: 9.12.2019) und Wolfangel, Stimme verrät Charakterzüge, abrufbar unter https://www.heise.de/newsticker/meldung/Stimme-verraet-Charakterzuege-4285505. html?view=print (Abruf 9.12.2019). 9 Vgl. Stulle-Schaumlöffel/Hübner/Thiel/Stulle, S. 58. Seite 5
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz Sprache auf psychologische Merkmale hin un- verwaltet und gesteuert. Das Spektrum der automati- tersucht. sierbaren Möglichkeiten beinhaltet beispielsweise die Verwaltung und Pflege der Stammdaten, die Berech- Diese Softwarelösung konzentriert sich auf nung und Auszahlung der Gehälter, die Verwaltung das gesamte Sprachkonstrukt und macht die von Reisekosten und Spesen, aber auch die Perso- einzelnen darin enthaltenen Bestandteile nalentwicklung und -qualifikation einschließlich des mess- und abbildbar. Die über das standardi- Lernmanagements, die Nachfolgeplanung oder das sierte Interview gewonnene Spontansprache Beendigungsmanagement von Beschäftigungsver- wird in kleine Informationsbausteine zerlegt hältnissen. und durch ein IT-System anhand definierter Messpunkte auf linguistische und prosodische (akustische) Auffälligkeiten der Sprache hin ana- lysiert. Diese Auffälligkeiten werden dann mo- dular zu psychologisch validen Aussagen über stabile Merkmale oder momentane Zustände zusammengesetzt.“10 Die Aussagekraft der von Precire generierten Messer- gebnisse und die hieraus abgeleiteten Erkenntnisse über Bewerber werden in der Diskussion in Zweifel gezogen. So wird etwa die Aussagekraft entspre- chender Messergebnisse „nach bisherigen Untersu- chungen für nicht erwiesen“ gehalten und selbst die vorteilhaftesten Zahlen in entsprechenden Studien sollen kein Argument dafür sein, „so etwas seriös ein- zusetzen in der Eignungsdiagnostik“.11 Für „ihre wis- senschaftlich zweifelhafte, wahrscheinlich rechtswid- rige und gefährliche Sprachanalyse“ erhielt die Preci- re Technologies GmbH den Negativpreis „Big Brother Award 2019“.12 Trotz derart kritischer Einschätzungen zeichnet sich indes bereits die nächste Generation von KI-Systemen ab, die in der Lage sein sollen , Be- werberinterviews eigenständig und aktiv zu führen. Kommt es im Ergebnis eines Bewerbungsverfahrens zu einem Vertragsabschluss, können die im Rah- men des automatisierten Bewerbungsverfahrens gesammelten und erzeugten Daten und Informati- onen unmittelbar in betriebliche Personalinforma- tionssysteme überführt werden. In diesen werden die laufenden Beschäftigungsverhältnisse insgesamt 10 Vgl. Stulle-Linnenbürger/Greb, S. 23 f. 11 Vgl. Kanning, zitiert nach Bergmann, Wie künstliche Intelligenz die Personalsuche verändert, Deutschlandfunk 6.1.2020, abrufbar unter https://www.deutschlandfunk.de/vorstellungsgespraech-mit-einem-roboter-wie-kuenstliche.680.de.html?dram:article_ id=438701 (Abruf: 8.1.20); ähnlich kritisch Thiel, Sprachanalyse: Wunschdenken oder Wissenschaft?, AlgorithmWatch 23.9.2019, abrufbar unter https://algorithmwatch.org/story/sprachanalyse-hr/ (Abruf 8.1.2020). 12 Vgl. insgesamt die Laudatio von Tangens zur Preisverleihung, abrufbar unter https://bigbrotherawards.de/2019/kommunikation- precire-technologies-gmbh (Abruf 8.1.2020). Seite 6
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz B. Fragestellung Vor dem Hintergrund der aktuellen technischen Ent- Anwendung kommen, und auf die Daten, auf die die- wicklung soll dieses Gutachten bezogen auf die Au- se zugreifen können. Hiervon ausgehend ist zu prü- tomatisierung des Personalwesens bewerten, welche fen, welche Mitbestimmungsmöglichkeiten bestehen Gestaltungsspielräume es hierfür aus arbeitsrechtli- und ob bzw. wie diese eingesetzt werden können, um cher Sicht gibt. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, einerseits die Rechte der betroffenen Beschäftigten mit welchen Kontrollmaßnahmen Beschäftigte kon- zu wahren und andererseits das Potenzial zu nutzen, frontiert werden können und welchen individual- dass die Systeme für eine Verbesserung der Perso- bzw. kollektivrechtlichen Rahmen es für die Durch- nalarbeit beinhalten. führung entsprechender Datenverarbeitungen gibt. Im Mittelpunkt des dritten Teils der Untersuchung Auf der Ebene des Individualrechts steht mit Blick (Kapitel D) steht die Frage nach der Zulässigkeit der auf die Bewertungs-, Analyse- und Kontrollmöglich- Steuerung und Überwachung von Arbeitnehmern keiten, die sich mit automatisierten Formen des Per- durch verschiedene Ausprägungen des automatisier- sonalmanagements verbinden, im ersten Teil der ten Personalmanagements. Hieran schließen sich im Untersuchung (Kapitel C.I.) der Schutz der Persönlich- abschließenden letzten Teil (Kapitel E) Ausführungen keitsrechte der Arbeitnehmer bzw. Beschäftigten13 im zum juristischen Handlungsbedarf und zu Hand- Mittelpunkt. Darüber hinaus werden hier auch ein- lungsmöglichkeiten an, die in Bezug auf die Automati- schlägige datenschutzrechtliche Vorgaben bewertet, sierung des Personalmanagements aus arbeitsrecht- die im Bereich des Beschäftigtendatenschutzes zu- licher Sicht bestehen. gunsten der Beschäftigten wirken. Aus Platzgründen ausgespart werden Überlegungen Für den Bereich des Kollektivrechts wird im zweiten zu tarifvertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten, die es Teil (Kapitel C.II) bewertet, welche Mitwirkungs- und für Gewerkschaften bezogen auf die Automatisierung Mitbestimmungsrechte Betriebsräten nach dem Be- des Personalmanagements gibt. Es steht aber außer triebsverfassungsgesetz (BetrVG) bezogen auf die Frage, dass tarifvertraglichen Regelungen zur Ausge- Automatisierung des Personalmanagements zuste- staltung des Personalmanagements und insbesonde- hen. Ausgangspunkt sind die gesetzlichen Auskunfts- re zum Einsatz von Anwendungen aus dem Bereich ansprüche, die Betriebsräte gegenüber Arbeitgebern der KI in Zukunft eine herausragende Bedeutung haben, und die sich hieraus ableitenden Beratungs- zukommen kann. Das gilt insbesondere bezogen auf möglichkeiten. Es wird bewertet, welche Tiefe der Bereiche, die der Mitbestimmung nach dem BetrVG Information sie vom Arbeitgeber verlangen können mangels einschlägiger gesetzlicher Regelungen ver- bezogen auf die Einführung neuer bzw. auf die Ver- schlossen sind, beispielsweise die Mitbestimmung änderung bereits verwendeter IT-Systeme, auf die bei der Entscheidung des Arbeitgebers zwischen al- Art der KI-Systeme bzw. der Algorithmen, die dort zur ternativen technischen Anwendungen. Mit Blick auf 13 Aus Gründen der guten Lesbarkeit wird im folgenden Text für alle Geschlechter die Bezeichnung „Arbeitnehmer“ verwendet. Sie ist geschlechtsneutral zu verstehen. Weiterhin werden die Bezeichnungen „Arbeitnehmer“ und „Beschäftigte“ synonym verwendet, es sei denn, einschlägige gesetzliche Bestimmungen verwenden nur eine bestimmte Bezeichnung. Seite 7
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz § 1 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) sind zudem tarif- vertragliche Regelungen möglich, durch die die Rech- te von Betriebsräten über den im BetrVG verankerten Rahmen hinaus erweitert und verstärkt werden kön- nen.14 14 Vgl. grundlegend BAG vom 10.2.1988 – 1 ABR 70/86, NZA 1988, 699 sowie vom 18.8.1987 – 1 ABR 30/86, NZA 1987, 779; ErfK- Franzen, § 1 TVG, Rn. 48. Seite 8
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz C. Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen I. Individualrechte Einzelthemen zu einer Erhöhung der Leistungsanforderungen führt oder wenn sich hiermit eine permanente Erhebung Arbeitgeber und Arbeitnehmer stehen sich aus zi- von Leistungs- und Verhaltensdaten verbindet, die in vilrechtlicher Sicht im Arbeitsverhältnis als Vertrags- der Folge für Kontrollzwecke verwendet werden. partner formal gleichberechtigt gegenüber. Tatsäch- lich ist das arbeitsrechtliche Vertragsverhältnis aber Bestehende Kontrollmöglichkeiten sind aus Sicht von durch eine ausgeprägte Disparität zu Ungunsten und Arbeitnehmern dann besonders kritisch, wenn sie zu Lasten der Arbeitnehmer gekennzeichnet. Diese nicht wissen, welche personenbezogenen Daten Ar- Disparität ist der Grund für zahlreiche arbeitsrechtli- beitgeber wann und für welche Zwecke erheben und che Regelungen, die den Schutz der Beschäftigten in verarbeiten. Die arbeitsrechtlich grundsätzlich zuläs- den Mittelpunkt stellen. So schützt beispielsweise § 3 sige Kontrolle der Erbringung der geschuldeten Ar- Arbeitszeitgesetz (ArbZG) Arbeitnehmer vor zu langen beitsleistung kann sich gegen elementare Interessen Arbeitszeiten und § 9 Abs. 1 ArbZG im Regelfall vor der Beschäftigten richten, wenn sie dauerhaft und Arbeit an Sonn- und Feiertagen. Das Arbeitsschutz- umfassend ist bzw. wenn sie in geschützte Persön- gesetz (ArbSchG) nebst zugehöriger Einzelgesetze lichkeitsrechte eingreift Dies gilt erst recht, wenn Da- dient nach der Regelung in seinem § 1 Abs. 1 dazu, tenverarbeitungen verdeckt oder heimlich erfolgen. Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu sichern und zu Dies alles kann beim Einsatz von Personalmanage- verbessern. Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) mentsystemen der Fall sein, wenn Anwendungen mit schützt mit seinen Regelungen Arbeitnehmer vor so- Algorithmen eingesetzt werden, deren Funktionswei- zial ungerechtfertigten Kündigungen. sen und Verarbeitungsmöglichkeiten für Arbeitneh- mer und Betriebsräte nicht transparent und nachvoll- Die unterschiedliche Situation von Arbeitgebern und ziehbar sind. Arbeitnehmern prägt auch das Herangehen an die Frage der arbeitsrechtlichen Aspekte der Automa- Die Zulässigkeit von automatisierten Bewertungen tisierung im Personalmanagement. Aus Sicht von und Kontrollen von Arbeitnehmern im IT-Bereich Arbeitnehmern ist die Frage von großer Bedeutung, des Personalmanagements lässt sich aus juristischer welche Vor- und Nachteile sie in diesem Bereich zu Sicht unter Rückgriff auf die Bewertungen ableiten, erwarten bzw. zu befürchten haben, wenn durch die die es im arbeitsrechtlichen Bereich zu anderen Kon- verwendete Technik die Art und Weise der Erbrin- trollthemen gibt. Aufschlussreich sind diesbezüglich gung ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitsleistungen arbeitsgerichtliche Entscheidungen zur Zulässigkeit unterstützt, gesteuert oder kontrolliert wird. Der Ein- verschiedener Formen der Videoüberwachung.15 Im satz entsprechender Software kann für Beschäftigte Mittelpunkt dieser Entscheidung steht der Schutz der beispielsweise dann negative Folgen haben, wenn er Beschäftigten und ihrer Persönlichkeitsrechte vor 15 Vgl. etwa BAG vom 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193; vom 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278; vom 14.12.2004 – 1 ABR 34/03, NZA 2005, 839, vom 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, NZA 2008, 1187; vom 16.12.2010 – 2 AZR 485/08, NZA 2011, 571; vom 21.6.2012 – 2 AZR 153/11, NZA 2012, 1025; vom 19.2.2015 – 8 AZR 1007/13, NZA 2015, 994; vom 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112; vom 20.1.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443; vom 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329; vom 28.3.2019 – 8 AZR 421/17, NZA 2019, 1212. Seite 9
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz heimlichen, permanenten oder ausufernden Kontrol- „Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Ar- len. Sie geben deshalb auch für die Bewertung von beitnehmers können durch Wahrnehmung Möglichkeiten und Grenzen eines automatisierten überwiegend schutzwürdiger Interessen des Personalmanagements einen belastbaren juristi- Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Bei einer Kolli- schen Maßstab vor. sion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den Interessen des Arbeitgebers ist somit durch eine Güterabwägung im Einzelfall zu ermitteln, 1. Schutz des Persönlichkeitsrechts ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Vor- rang verdient.“ 20 Der Begriff des Persönlichkeitsrechts steht für das Recht einzelner Arbeitnehmer auf Achtung ihrer Men- Lässt sich eine im Ergebnis einer Verhältnismäßig- schenwürde und damit für den Schutz ihrer Persön- keitsprüfung grundsätzlich zulässige Kontrolle auf lichkeitssphäre sowie für die Garantie der freien Ent- verschiedene Art und Weise sowie mit unterschied- faltung ihrer Persönlichkeit und ihrer Freiheitssphä- lichen Mitteln realisieren, muss der Arbeitgeber die re.16 Das sich aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Ausgestaltung wählen, die sich mit dem geringsten ableitende allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der betroffenen die individuelle Privatsphäre von Menschen vorrangig Arbeitnehmer verbindet. Einen entsprechenden Maß- gegen Eingriffe des Staats.17 Im Arbeitsrecht folgt aus stab beschreibt ein Urteil des BAG vom 27.3.2003: dem verfassungsrechtlich garantierten Schutzrecht im Rahmen der Drittwirkung der Grundrechte ein Ab- „Danach ist die heimliche Videoüberwachung ei- wehrrecht von Beschäftigten gegenüber rechtswid- nes Arbeitnehmers zulässig, wenn der konkrete rigen Eingriffen von Arbeitgebern in ihre Persönlich- Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer keitsrechte, das auch die Rechtsgrundlage für Unter- anderen schweren Verfehlung zu Lasten des lassungsansprüche gegen den Arbeitgeber ist.18 Nach Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) schützt Mittel zur Aufklärung des Verdachts ausge- schöpft sind, die verdeckte Video-Überwachung „das allgemeine Persönlichkeitsrecht (…) den praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt Arbeitnehmer nicht nur vor einer lückenlosen und insgesamt nicht unverhältnismäßig ist.“21 technischen Überwachung am Arbeitsplatz (bei- spielsweise BAG 27. März 2003 aaO), sondern Das zu schützende Persönlichkeitsrecht der Arbeit- auch vor anderen Eingriffen.“ 19 nehmer setzt im Rahmen der Verhältnismäßigkeits- prüfung berechtigten Interessen von Arbeitgebern an Die Gewährleistung des Persönlichkeitsrechts im Ar- intensiveren Kontrollmaßnahmen klare Grenzen. Es beitsverhältnis ist nicht schrankenlos. Kollidiert der ist diesbezüglich im Arbeitsleben nicht alles erlaubt, Schutz des Persönlichkeitsrechts mit ebenfalls verfas- was geht, sondern nur, was einerseits aus objektiver sungsrechtlich begründeten Rechten oder Interessen Sicht erforderlich ist und was andererseits von meh- des Arbeitgebers oder Dritter, ist der zu beachtende reren Alternativen diejenige ist, die am wenigsten in Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts durch ei- das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten eingreift. ne Güter- und Interessenabwägung zu bestimmen, die die Verhältnismäßigkeit möglicher Eingriffe be- „Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung stimmt. Hierzu führt das BAG aus: gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht 16 Vgl. Schaub-Koch, § 106 Rn. 52. 17 Vgl. MünchArbR-Reichold, § 94 Rn. 3. 18 Vgl. MünchArb-Blomeyer, § 94, Rn. 4. 19 Vgl. etwa BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 2732. 20 Vgl. BAG, a. a. O. unter II. 2. c) bb). 21 BAG vom 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193. Seite 10
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Eine weitere Beschränkung der Auswahlmöglichkei- Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismä- ten besteht, wenn eingesetzte Anwendungen oder IT- ßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist Systeme Arbeitnehmer permanent kontrollieren und gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei / oder wenn sie verdeckt bzw. heimlich eingesetzt einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis werden. zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Grün- de steht (BVerfG 4. April 2006 - 1 BvR 518/02 - Bezogen auf die Unverhältnismäßigkeit permanenter zu B I 2 b dd der Gründe, BVerfGE 115, 320; BAG Kontrollen, die mit Blick auf das Persönlichkeitsrecht 29. Juni 2017 - 2 AZR 597/16 - aaO; 15. April 2014 von Arbeitnehmern unzulässig sind, heißt es in einer - 1 ABR 2/13 (B) - aaO). Die Datenerhebung, -ver- Entscheidung des BAG vom 28.3.2019: arbeitung oder -nutzung darf keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen und „Eine Unverhältnismäßigkeit der Datenerhe- muss der Bedeutung des Informationsinter- bung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF läge aber esses des Arbeitgebers entsprechen. Danach auch dann vor, wenn die Videoaufzeichnungen muss im Falle einer der (verdeckten) Videoüber- einen solchen psychischen Anpassungs- und wachung vergleichbar eingriffsintensiven Maß- Leistungsdruck erzeugt hätten, dass sie als eine nahme, die auf § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG gestützt der verdeckten Videoüberwachung vergleichbar werden soll, der auf konkrete Tatsachen begrün- eingriffsintensive Maßnahme anzusehen wä- dete Verdacht einer schwerwiegenden, jedoch ren, ohne dass ein durch konkrete Tatsachen nicht strafbaren Pflichtverletzung bestehen. Eine begründeter Verdacht einer schwerwiegenden entsprechende verdeckte Ermittlung ‚ins Blaue Pflichtverletzung bestand. Dies wäre jeden- hinein‘, ob ein Arbeitnehmer sich pflichtwidrig falls dann anzunehmen, wenn eine lückenlose, verhält, ist auch nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dauerhafte sowie sehr detaillierte Erfassung unzulässig (BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 597/16 - des Verhaltens der Klägerin während ihrer ge- aaO). Sie ist, ohne dass es noch darauf ankäme, samten Arbeitszeit stattgefunden hätte, so dass ob mildere, gleich effektive Mittel vorhanden sie davon ausgehen musste, dass jede ihrer waren, jedenfalls unangemessen (nicht verhält- Bewegungen überwacht wurde. In diesem Fall nismäßig im engeren Sinne).“ 22 hätte für die Klägerin – vergleichbar mit der Si- tuation einer verdeckten Überwachung – keine Insoweit ist das Auswahlermessen von Arbeitgebern Möglichkeit einer unbewachten und ungestör- beschränkt. Sie müssen sich über vorhandene Alter- ten Wahrnehmung ihres Persönlichkeitsrechts nativen informieren und anschließend auf der Basis bestanden.24 dieser Informationen die Verarbeitungsmöglichkeit oder das IT-System auswählen, das sich mit dem ge- Betriebliche Situationen, aus denen eine permanen- ringsten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Be- te Überwachung von Beschäftigten resultieren kann, schäftigten verbindet. gibt es in vielen Zusammenhängen. Hierzu gehört auch die Erstellung von sogenannten Belastungssta- Die Zulässigkeit möglicher Kontrollmaßnahmen wird tistiken, mit deren Zulässigkeit sich das BAG im Jahr maßgeblich durch die im konkreten Fall feststellbare 2017 befasst hat. In den Urteilsgründen heißt es: Kontrollintensität bestimmt, die sich insbesondere aus der Dauer der Überwachung, ihrer konkreten „Eine Betriebsvereinbarung über eine ‚Be- technischen Ausgestaltung, ihrem Anlass sowie aus lastungsstatistik‘, die durch eine technische der Zahl der beobachteten Personen ableitet.23 Überwachungseinrichtung iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 6 22 BAG vom 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327. 23 Vgl. BAG vom 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278; Schaub-Koch § 53 Rn. 27. 24 BAG vom 28.3.2019 – 8 AZR 421/17, NZA 2019, 1212. Seite 11
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz BetrVG dauerhaft die Erfassung, Speicherung und zugleich detaillierte Überwachungen aller Ar- und Auswertung einzelner Arbeitsschritte und beitsschritte im Ergebnis einer Interessenabwägung damit des wesentlichen Arbeitsverhaltens der die Ausnahme bleiben müssen. Arbeitnehmer anhand quantitativer Kriterien während ihrer gesamten Arbeitszeit vorsieht, Gleiches gilt für heimliche Überwachungsmaßnah- stellt einen schwerwiegenden Eingriff in deren men. Als „heimlich“ sind solche Kontrollen zu quali- Persönlichkeitsrecht dar. Ein solcher Eingriff ist fizieren, die vor andern verborgen bleiben oder die nicht durch überwiegend schutzwürdige Belan- so unauffällig sind, dass andere nicht merken, was ge des Arbeitgebers gedeckt.“25 geschieht.27 Ob und unter welchen Voraussetzungen heimliche Kontrollmaßnahmen ausnahmsweise zu- Bezogen auf den Kontrolldruck, den ein derartiges lässig sind, hat das BAG in einer Reihe von Entschei- System erzeugt, führt das BAG in dem Beschluss aus: dungen präzisiert. In einem Urteil zur Zulässigkeit einer verdeckten Videoüberwachung vom 20.10.2016 „Das wesentliche Arbeitsverhalten und die Ar- heißt es beispielsweise: beitsleistung des einzelnen Sachbearbeiters un- terliegt damit durch die Kennzahlen einer detail- „Eingriffe in das Recht der Arbeitnehmer am lierten quantitativen Beobachtung, die am Ende eigenen Bild durch verdeckte Videoüberwa- jeder Arbeitswoche anhand der zu erstellenden chung sind dann zulässig, wenn der konkrete 1-Wochen-, 4-Wochen- und 26-Wochensichten Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer stets eine erneute – mit den Ergebnissen der anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Gruppe vergleichende – Auswertung erfährt. Da- Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende durch steht der Sachbearbeiter unter ständiger Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos Beobachtung. Dies erzeugt einen schwerwiegen- ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwa- den und zudem dauerhaften Anpassungsdruck, chung damit das praktisch einzig verbleibende möglichst in allen maßgebenden Arbeitsberei- Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unver- chen in Bezug auf die Kennzahlen unauffällig zu hältnismäßig ist (grundlegend BAG 27. März arbeiten, um nicht aufgrund ‚erheblicher Abwei- 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, chungen‘ später Personalgesprächen oder gar BAGE 105, 356). Der Verdacht muss sich in Be- personellen Maßnahmen ausgesetzt zu sein.“26 zug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Ar- Die Ausführungen des BAG verdeutlichen die Not- beitgebers gegen einen zumindest räumlich und wendigkeit, auch bei IT-Systemen, deren betrieblicher funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitneh- Einsatz bezogen auf stattfindende Eingriffe in das mern richten. Er darf sich einerseits nicht auf die Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer grundsätzlich allgemeine Mutmaßung beschränken, es könn- zulässig ist, eine zeitliche Begrenzung stattfindender ten Straftaten begangen werden. Er muss sich Kontrollen vorzunehmen. Eine permanente Kontrol- andererseits nicht notwendig nur gegen einen le der Arbeitnehmer, deren Daten erfasst werden, einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. ist dabei ebenso unzulässig wie eine entsprechende Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weite- Überwachung der Beschäftigten, die aktiv mit diesen ren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen Systemen arbeiten. Dies gilt besonders im Bereich müssen weniger einschneidende Mittel als eine des Personalmanagements, in dem es keine zwingen- verdeckte Videoüberwachung zuvor ausge- den Gründe für eine permanente Kontrolle der ein- schöpft worden sein (BAG 22. September 2016 zelnen Arbeitsschritte gibt. Hier werden dauerhafte - 2 AZR 848/15 - Rn. 28). Diese Rechtsprechung 25 BAG vom 25.4.2017 – 1 ABR 46/15, NZA 2017, 1205, Leitsatz. 26 BAG, a.a.O., unter II.2.(4)(b) der Gründe. 27 Vgl. die Definition des Duden, abrufbar unter www.duden.de/rechtschreibung/heimlich (Abruf 10.12.19). Seite 12
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz steht mit Art. 8 Abs. 1 EMRK im Einklang (EGMR Eingabe sowie des zeitlichen Abstands zwischen 5. Oktober 2010 - 420/07 - EuGRZ 2011, 471). zwei Eingaben erfasst und gespeichert. Die auf Mit Wirkung ab dem 1. September 2009 hat diese Weise gewonnenen Daten ermöglichen es, der Gesetzgeber in § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG ein nahezu umfassendes und lückenloses Profil einen entsprechenden Erlaubnistatbestand sowohl von der privaten als auch dienstlichen ‚zur Aufdeckung von Straftaten‘ normiert. Nach Nutzung durch den Betroffenen zu erstellen. der Gesetzesbegründung soll die Regelung die Dabei werden nicht nur gespeicherte Endfas- Rechtsprechungsgrundsätze nicht ändern, son- sungen und ggf. Zwischenentwürfe bestimmter dern lediglich zusammenfassen (vgl. Beschluss- Dokumente sichtbar, sondern es lässt sich jeder empfehlung und Bericht des Innenausschusses Schritt der Arbeitsweise des Benutzers nach- BT-Drs. 16/13657 S. 20; BAG 21. November 2013 vollziehen. Darüber hinaus können besondere - 2 AZR 797/11 - Rn. 52, BAGE 146, 303).“28 Arten personenbezogener Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG oder – so im Streitfall – andere hochsen- Damit kann eine verdeckte Überwachungsmaßnah- sible Daten wie z. B. Benutzernamen, Passwör- me ausnahmsweise nur dann in Betracht kommen, ter für geschützte Bereiche, Kreditkartendaten, wenn Arbeitgeber einen konkreten Verdacht auf das PIN-Nummern etc. protokolliert werden, ohne Vorliegen einer strafbaren Handlung oder einer an- dass dies für die verfolgten Kontroll- und Über- deren schweren Verfehlung zu ihren Lasten haben. wachungszwecke erforderlich wäre. Ebenso hat der betroffene Arbeitnehmer weder Veranlas- Die Feststellungen des BAG zur ausnahmsweisen Zu- sung noch die Möglichkeit, bestimmte Inhalte lässigkeit verdeckter Kontrollen sind nicht auf den als privat oder gar höchstpersönlich zu kenn- Bereich der Videoüberwachung begrenzt. Dies ver- zeichnen und damit ggf. dem Zugriff des Arbeit- deutlicht ein Urteil des Gerichts zum Thema „Über- gebers zu entziehen. Dieser ohnehin schon weit wachung mittels Keylogger“ aus dem Jahr 2017. Dort überschießende Eingriff in das Recht auf infor- heißt es in den Gründen: mationelle Selbstbestimmung des Betroffenen wird noch verstärkt, wenn – wie hier – regelmä- „Bei dem (zeitlich nicht begrenzten) verdeckten ßig Screenshots gefertigt werden.“29 Einsatz eines Keyloggers an einem Dienst-PC handelt es sich um eine Datenerhebung, die hin- Wendet man die Grundsätze der Rechtsprechung sichtlich der Intensität des mit ihr verbundenen zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor heimlichen oder offenen Überwachungen auf die des Betroffenen mit einer – verdeckten – Vi- Automatisierung des Personalmanagements unter deoüberwachung am Arbeitsplatz vergleichbar Einsatz von KI-Systemen und Algorithmen an, führt ist. Zwar berührt der Einsatz eines Keyloggers dies zu den folgenden Feststellungen. grundsätzlich nicht das Recht am eigenen Bild, insbesondere ist er regelmäßig nicht geeignet, —— Arbeitnehmer müssen den Einsatz von durch Verhaltensweisen optisch zu erfassen, die von Algorithmen gesteuerten KI-Systemen, mit de- dem Betroffenen als peinlich empfunden wer- nen ihre personenbezogenen Daten verarbeiten den. Jedoch wird mit der Datenerhebung durch werden, im Bereich des Personalmanagements einen Keylogger massiv in das Recht des Betrof- grundsätzlich hinnehmen, wenn der Arbeitgeber fenen auf informationelle Selbstbestimmung deren Einsatz für erforderlich hält. Arbeitgeber eingegriffen. Es werden – für den Benutzer müssen bei der Bewertung der Erforderlichkeit irreversibel – alle Eingaben über die Tastatur ei- des Einsatzes derartiger KI-Systeme aber die ein- nes Computers einschließlich des Zeitpunkts der schlägigen gesetzlichen Vorgaben beachten wie 28 BAG vom 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443. 29 BAG vom 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327. Seite 13
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz etwa die zur Zulässigkeit der Verarbeitung von auch dann gegeben, wenn Arbeitgeber bestimm- Beschäftigtendaten in § 26 Abs. 1 Satz BDSG. te Kontrollverfahren zwar für üblich halten, wenn Arbeitnehmer hiervon nach der allgemeinen Le- —— Sollen KI-Systeme zum Einsatz kommen, mit benserfahrung nicht wissen oder nicht wissen denen umfassende Auswertungen vorliegen- können, dass sie im konkreten Fall stattfinden. der Beschäftigtendaten erfolgen oder die mit Gleicht ein Arbeitgeber beispielsweise mit dem selbstlernenden Algorithmen aus dem Bereich Ziel der Entdeckung von „Arbeitszeitbetrügern“ KI ausgestattet sind, ist ihre Zulässigkeit mit ei- Daten aus einem Arbeitszeiterfassungssystem ner Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bestimmen, mit Zeitinformationen der automatisierten Zu- die vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht der gangskontrolle oder mit Bezahldaten der Kanti- Beschäftigten ausgeht. Ist der zu erwartende ne ab, ist dies eine Kontrollmaßnahme, mit der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht unverhältnis- Arbeitnehmer nach der allgemeinen Lebenser- mäßig, muss der Einsatz der KI-Systeme unter- fahrung nicht rechnen müssen. Gleiches gilt für bleiben. Stehen auf dem Markt unterschiedliche das gezielte heimliche Mithören von Telefonge- automatisierte Verfahren bzw. KI-Systeme zur sprächen mit Kunden in Call-Centern, wenn dies Verfügung, müssen Arbeitgeber das mit der ge- bisher im Betrieb noch nicht üblich war. ringsten Eingriffstiefe auswählen bzw. einsetzen. —— Nach der Rechtsprechung sollen Ausnahmen —— Im Regelfall unzulässig ist eine dauerhafte Kon- vom Grundsatz der Unzulässigkeit heimlicher trolle von Beschäftigten mittels automatisierter Überwachungen möglich sein, wenn ein Ver- Systeme. Ausnahmen von diesem Grundsatz dacht der Begehung einer Straftat oder einer kann es nur geben, wenn es für eine permanen- schweren arbeitsrechtlichen Pflichtverletzung te Kontrolle herausragend bedeutsame Grün- vorliegt.32 Diese Ausnahmen könnten auch für de bzw. Interessen der Arbeitgeber gibt, hinter den Bereich des automatisierten Personalma- denen das Persönlichkeitsrecht der Arbeitneh- nagements einschlägig sein. mer zurückstehen muss. Dies könnte etwa im Bereich der Gehaltsabrechnung der Fall sein, Bezug zur Automatisierung des wenn Beschäftigte hier eigenständig Zahlungen Personalmanagements veranlassen können und wenn deshalb von ih- nen jegliche Dateneingaben aufgezeichnet wer- —— Aus dem zu schützenden Persönlichkeitsrecht den. Allerdings stellt sich für diesen Fall die Frage der Beschäftigten folgen dann keine Einschrän- nach Alternativen, die weniger in das allgemeine kungen für die Automatisierung des Personalma- Persönlichkeitsrecht eingreifen, etwa ein „Vier- nagements, wenn hiermit Verhaltens- oder Leis- Augen-Prinzip“ oder die Beschränkung auf Stich- tungskontrollen technisch nicht möglich sind. proben. Damit sind etwa durch entsprechende Software und Algorithmen gesteuerte Prozesse wie allge- —— Heimliche Kontrollmaßnahmen sind in der Regel meine Abläufe in einem Personalinformations- ebenfalls unzulässig.30 Die Heimlichkeit des Han- system möglich. delns besteht bereits dann, wenn Beschäftigte von bestimmten Kontrollmaßnahmen nicht in —— Werden hingegen durch automatisierte Verfah- Kenntnis gesetzt werden.31 Heimlichkeit ist aber ren Arbeitsvorgaben und Arbeitsanweisungen 30 Vgl. Wedde, AuR 2009, 373. 31 Vgl. etwa BAG vom 12.01.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 06, 980, das eine allgemeine Relation zwischen Heimlichkeit und Unkenntnis herstellt – hier allerdings bezogen auf die heimliche Installation einer Software durch einen Beschäftigten; BAG vom 14.12. 04 – 1 ABR 34/03, AuR 2005, 456 stellt eine Beziehung zwischen Heimlichkeit und nicht sichtbarer Kontrolle her. 32 Vgl. hierzu etwa BAG vom 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112; BAG vom 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, ZA 2014, 243 bezüglich einer heimlichen Überwachung mit Zustimmung des Betriebsrats; a. A. bezüglich der heimlichen Videoüberwachung durch einen Detektiv BAG vom 19.2.2015 – 8 AZR 1007/13, NZA 2015, 994. Seite 14
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz für Arbeitnehmer generiert, hängt der Grad —— Unumgänglich ist die Durchführung einer Ver- möglicher Beeinträchtigungen der schützenden hältnismäßigkeitsprüfung, wenn Verhaltens- und Persönlichkeitsrechte entscheidend von der Leistungskontrollen nicht nur eine Begleiter- Transparenz der ablaufenden Prozesse ab. Ist scheinung des Einsatzes von Algorithmen oder diese gegeben und können Beschäftigte stets ein Nebeneffekt sind, sondern wenn sie gezielt nachvollziehen, welche Faktoren und Sachver- dafür eingesetzt werden, strafbare Handlungen halte die verwendeten Programme berücksichti- von Arbeitnehmern oder andere schwere Ver- gen und nach welchen Regeln diese verwendet fehlungen zu Lasten des Arbeitgebers zu erken- und verarbeitet werden, steht dies der unzuläs- nen oder aufzudecken. Bezogen auf diese Kon- sigen „Heimlichkeit“ der Verarbeitung entgegen. stellationen lassen sich aus der Rechtsprechung Für Arbeitnehmer muss in diesem Rahmen bei- auch bezogen auf die Zulässigkeit entsprechen- spielsweise nachvollziehbar sein, wie sich das der Analysen oder Überwachungen durch Algo- eigene Arbeitsverhalten sowie das von anderen rithmen klare Grenzen ableiten: Der Einsatz ent- Beschäftigten oder von Arbeitsgruppen auf sie sprechender Kontrollsysteme darf nur erfolgen, auswirkt. Auch die Faktoren, mit denen Prozesse wenn es einerseits einen konkreten Verdacht ge- beeinflusst werden können, müssen nachvoll- gen einzelne Arbeitnehmer oder eine abgrenzba- ziehbar sein. Eine solche Transparenz käme dem re Gruppe von Beschäftigten gibt. Andererseits Persönlichkeitsschutz zugute und würde für die dürfen Arbeitgebern keine Handlungsalternati- Zulässigkeit des Einsatzes sprechen. ven zur Verfügung stehen, deren Einsatz weni- ger einschneidend für die Persönlichkeitsrechte —— Haben Beschäftigte diese Informationen nicht der Beschäftigten wäre, wie etwa offene statt und ist für sie unklar, nach welchen Regeln und heimliche Kontrollen oder Stichproben statt ei- Verfahren ihre personenbezogenen Daten in ner permanenten Überwachung. Die rechtliche Personalsystemen verarbeitet werden, sind sie Situation schließt beispielsweise den Einsatz von den verwendeten Programmen ausgeliefert und präventiven Kontrollsystemen, die auf entspre- können nicht absehen, ob und wenn ja, welche chenden Algorithmen basieren, aus. Kontrollen es gibt. Im Rahmen der vorzuneh- menden Verhältnismäßigkeitsprüfung spricht fehlende Transparenz regelmäßig gegen die Zu- 2. Recht auf informationelle lässigkeit entsprechender Systeme. Selbstbestimmung und Beschäftigtendatenschutz —— Ermöglichen eingesetzte Systeme und Program- me neben ihrem eigentlichen Zweck eine Bewer- Eine spezifische Ausprägung des allgemeinen Per- tung oder Kontrolle des individuellen Verhaltens sönlichkeitsrechts ist das Recht auf informationelle oder der individuellen Leistungen, ist das all- Selbstbestimmung. Dieses wurde vom Bundesverfas- gemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen sungsgericht (BVerfG) am 15.12.1983 durch ein Ur- Arbeitnehmer immer tangiert. Dies steht dem teil33 zur in der Bundesrepublik Deutschland geplan- Einsatz entsprechender Technik grundsätzlich ten Volkszählung begründet. Durch die Entscheidung entgegen. Machen Arbeitgeber demgegenüber hat das Gericht allen Bürgern das Recht eingeräumt, eigene Positionen geltend, muss eine Abwägung über die Verarbeitung ihrer persönlichen Daten ei- bezüglich der Verhältnismäßigkeit des geplanten genständig zu entscheiden. Im ersten Leitsatz des Ur- Einsatzes erfolgen. Kommt diese Abwägung zu teils heißt es hierzu: der Feststellung, dass die Interessen eines Ar- beitgebers überwiegen, kann der Einsatz erfol- „Unter den Bedingungen der modernen Da- gen. Ansonsten muss er unterbleiben. tenverarbeitung wird der Schutz des Einzelnen 33 Vgl. BVerfG vom 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 – BVerfGE 65, 1-71 = NJW 1984, 419. Seite 15
Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Abs. 1 DSGVO können die Mitgliedsstaaten durch Verwendung und Weitergabe seiner persönli- Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarun- chen Daten von dem allgemeinen Persönlich- gen spezifischere Vorschriften zur Gewährleistung keitsrecht des GG Art 2 Abs 1 in Verbindung des Schutzes der Rechte und Freiheiten hinsichtlich mit GG Art 1 Abs 1 umfaßt. Das Grundrecht der Verarbeitung von Beschäftigtendaten durch Ar- gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzel- beitgeber vorsehen. Für die Ausgestaltung einschlä- nen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe giger Vorschriften gibt Art. 88 Abs. 2 DSGVO vor, und Verwendung seiner persönlichen Daten zu dass diese geeignete und besondere Maßnahmen bestimmen.“34 zur Wahrung der menschlichen Würde, der berech- tigten Interessen und der Grundrechte der betroffe- Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nen Person enthalten müssen. Diese Maßnahmen nicht grenzenlos. Nach den Ausführungen des Bun- müssen sich nach der beispielhaften Aufzählung in desverfassungsgerichts können Begrenzungen im der Vorschrift insbesondere auf die Transparenz der überwiegenden Allgemeininteresse zulässig sein: Verarbeitung und auf Überwachungssysteme am Ar- beitsplatz beziehen. Dieser Hinweis in Art. 88 Abs. 2 „Einschränkungen dieses Rechts auf ‚informa- DSGVO verdeutlicht, dass Regelungen zur Nachvoll- tionelle Selbstbestimmung‘ sind nur im über- ziehbarkeit der Verarbeitung und zur Gestaltung von wiegenden Allgemeininteresse zulässig. Sie be- Kontrollsystemen am Arbeitsplatz weiterhin von ele- dürfen einer verfassungsgemäßen gesetzlichen mentarer Bedeutung bei der Ausgestaltung betriebli- Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der cher Verarbeitungsregelungen sind. Normenklarheit entsprechen muß. Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Die durch das Recht auf informationelle Selbstbestim- Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. mung garantierte Entscheidungsfreiheit der einzel- Auch hat er organisatorische und verfahrens- nen Arbeitnehmer findet sich in der DSGVO an pro- rechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der minenter Stelle als individuelle Einwilligung in Art. 6 Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeits- Abs. 1 Nr. 1 DSGVO als erster datenschutzrechtlicher rechts entgegenwirken.“35 Erlaubnistatbestand wieder. Nach dieser Vorschrift ist die Verarbeitung personenbezogener Daten i. S. v. Dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestim- Art. 4 Nr. 1 DSGVO rechtmäßig, wenn die betroffene mung kommt auch nach Inkrafttreten der Europäi- Person ihre Einwilligung hierzu für bestimmte Zwecke schen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und gegeben hat. des neuen Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) im Anwendungsbereich des deutschen Arbeitsrechts Bezogen auf Beschäftigungsverhältnisse präzisiert bezogen auf die elektronische Verarbeitung von Be- § 26 Abs. 2 BDSG die Anforderungen an eine wirk- schäftigtendaten weiterhin eine große Bedeutung zu. same Einwilligung von Beschäftigten. Insbesondere Die im Urteil statuierten Grundsätze sind bei der Aus- werden hier Vorgaben für die Beurteilung der not- legung der einschlägigen Datenschutzvorschriften zu wendigen Freiwilligkeit der Einwilligung gemacht, wie beachten. insbesondere die bestehende Abhängigkeit vom Ar- beitgeber sowie die Umstände, unter denen die Ein- Bezogen auf Beschäftigungsverhältnisse und den willigung erteilt wurde. In § 26 Abs. 2 Satz 3 BDSG ist dort zu garantierenden Schutz personenbezogener festgeschrieben, dass die Einwilligung schriftlich oder Daten von Arbeitnehmern enthält Art. 88 DSGVO un- elektronisch erfolgen muss, soweit nicht wegen be- ter der Überschrift „Datenverarbeitung im Beschäfti- sonderer Umstände eine andere Form angemessen gungskontext“ spezifische Regelungen. Nach Art. 88 ist. 34 BVerfG a. a. O., 1. Leitsatz. 35 BVerfG a. a. O., 2. Leitsatz. Seite 16
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