Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögens-werten im Mehrwertsteuerrecht
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MWST/Zoll,Unternehmen → Thomas Hug Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögens- werten im Mehrwertsteuerrecht Band 4 / 2020 | Artikel 20 Zitiervorschlag: Thomas Hug, Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten s. 131 im Mehrwertsteuerrecht , in zsis) 4/2020, A20, N [...] (abrufbar unter: publ.zsis.ch/A20-2020)
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll QUICK READ Im Rahmen der STAF wurde bei der Gewinnsteuer eine gesetzliche Grundlage zur Erfassung von grenzüberschreitenden In- und Outbound-Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögens- werten geschaffen. Im Inbound-Fall erhält der Steuerpflichtige das Recht, einen «Step-up» geltend zu machen. Im Outbound-Fall kommt es zu einer zwingenden Wegzugsbesteuerung. Dieser Aufsatz geht der Frage nach, Thomas HUG dipl. Wirtschaftsjurist FH, wie solche gewinnsteuerlicher Verlagerungen mehrwertsteuerlich zu dipl. Steuerexperte behandeln sind. Group Tax | Bank Julius Bär & Co. AG thomas.hug@juliusbaer.com Während bei der gewinnsteuerlichen Verlagerung von Betrieben, Funk- tionen und Vermögenswerten oftmals eine wirtschaftliche Betrachtungs- weise vorgenommen wird und als Bemessungsgrundlage lediglich die stillen Reserven herangezogen werden, nimmt die Mehrwertsteuer als Transaktionssteuer eine zivilrechtliche Beurteilung vor. Relevant sind das zivilrechtliche Grundgeschäft (Verkauf, Sacheinlage, blosse Überführung in Betriebsstätte etc.), das übertragene Substrat und das vereinbarte Entgelt. Der Inbound-Fall wird grundsätzlich mit der Bezug- und Einfuhrsteuer erfasst. Aufgrund der breiten Definition des Begriffes «Dienstleistung» greift die Bezugsteuer wohl bei den meisten Inbound-Verschiebungen, selbst wenn auch bloss Wertschöpfungssubstrat verschoben wird. Im Ge- gensatz zu vielen ausländischen Steuersystemen kennt die Schweiz kei- nen «Transfer-of-Going-Concern»-Tatbestand, wonach die Übertragung eines ganzen Betriebes nicht der Mehrwertsteuer unterliegt. Da Verlage- rungen typischerweise zwischen eng verbundenen Personen im Konzern stattfinden, wird der Vorgang selbst bei fehlendem Entgeltswille der Par- teien infolge der Leistungsfiktion steuerlich erfasst und die Bezugsteuer auf einem marktüblichen Entgelt abgerechnet. Gemäss Meinung des Au- tors erfasst der Begriff «eng verbundene Personen» allerdings mangels gesetzlicher Grundlage nicht Hauptsitz und Betriebsstätte, weshalb bei einer typischerweise unentgeltlichen Verlagerung innerhalb des gleichen Rechtssubjekts keine Bezugsteuer erhoben werden darf. Weiter darf ge- mäss hier vertretener Auffassung bei einer Verschiebung via Sachdivi- dende bzw. -einlage ebenfalls keine Bezugsteuer erhoben werden. Wer- den physische Gegenstände verschoben, greift allerdings ausnahmslos die Einfuhrsteuer. Der Outbound-Fall wird mit der Inlandsteuer erfasst, wobei im Normal- fall entweder ein Auslandumsatz oder ein steuerbefreiter Inlandumsatz vorliegt und damit keine Umsatzsteuer fällig wird. Die Unterscheidung ist lediglich relevant für die korrekte Deklaration. s. 132 Umsetzung der STAF im Kanton Zürich
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll QUICK READ 132 1. Einleitung Im Rahmen des per 1. Januar 2020 in Kraft getretenen 1 HAUPTTEIL 133 Bundesgesetzes über die Steuerreform und AHV-Fi- nanzierung (STAF) wurde auf Stufe der direkten Bun- 1. Einleitung 133 dessteuer sowie der Staats- und Gemeindesteuern eine explizite gesetzliche Grundlage zur gewinnsteu- 2. Gewinnsteuerliche Verlagerungen 134 erlichen Erfassung von grenzüberschreitenden In- und Outbound-Verlagerungen von (Teil-)Betrieben, 3. Unterschiede zur Mehrwertsteuer 138 Funktionen und Vermögenswerten geschaffen. 4. Mehrwertsteuerliche 138 Art. 61a Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer 2 Inbound-Verlagerungen (DBG) sowie Art. 24c Bundesgesetz über die Harmo- nisierung der direkten Steuern der Kantone und Ge- 5. Mehrwertsteuerliche 146 meinden (StHG) regeln die Verlagerung von (Teil-) Outbound-Verlagerungen Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten aus dem Ausland in einen inländischen Geschäftsbetrieb 6. Fazit 147 oder Betriebsstätte. Dieser Inbound-Fall erlaubt eine steuerunwirksame Offenlegung und spätere steuer- wirksame Abschreibung von stillen Reserven ein- schliesslich Mehrwert (Goodwill) über einen gewissen Zeitraum (sog. «Step-up»). Wörtlich heisst es in den beiden Gesetzen: «1 Deckt die steuerpflichtige Person bei Beginn der Steuerpflicht stille Reserven ein- schliesslich des selbst geschaffenen Mehr- werts auf, so unterliegen diese nicht der Gewinnsteuer. Nicht aufgedeckt werden dür- fen stille Reserven einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft aus Beteiligungen von mindestens 10 Prozent am Grund- oder Stammkapital oder am Gewinn und an den Reserven einer anderen Gesellschaft. 2 Als Beginn der Steuerpflicht gelten die Verlegung von Vermögenswerten, Betrieben, Teilbetrieben oder Funktionen aus dem Aus- land in einen inländischen Geschäftsbetrieb oder in eine inländische Betriebsstätte […]. 3 Die aufgedeckten stillen Reserven sind jährlich zum Satz abzuschreiben, der für Ab- schreibungen auf den betreffenden Vermö- genswerten steuerlich angewendet wird.» 01 01 Vgl. Art. 61a DBG und Art. 24c StHG. s. 133 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll 3 Art. 61b DBG sowie Art. 24d StHG regeln die Verlage- Im Rahmen dieses Aufsatzes werden in einem ersten 5 rung von (Teil-)Betrieben, Funktionen und Vermö- Teil verschiedene Konstellationen von in der Praxis genswerten in die umgekehrte Richtung, d.h. aus dem relevanten gewinnsteuerlichen Verlagerungen be- Inland in einen ausländischen Geschäftsbetrieb oder schrieben (Abschnitt 2). Dabei geht es namentlich um eine Betriebsstätte. Dieser Outbound-Fall zielt auf den Geltungsbereich der neuen STAF-Regelung sowie eine Besteuerung der im Zeitpunkt der Verlagerung die begriffliche Definition von (Teil-)Betrieben, Funk- vorhandenen stillen Reserven einschliesslich Mehr- tionen und Vermögenswerten. Der Aufsatz beschränkt wert (Goodwill) ab (sog. Exit- oder Wegzugsbesteue- sich auf grenzüberschreitende Verlagerungen und rung). Die beiden Gesetze sagen wörtlich: geht nicht auf die Thematik von interkantonalen Ver- lagerungen ein. In einem zweiten Teil wird nach eini- «1 Endet die Steuerpflicht, so werden die in gen allgemeinen Überlegungen zu den Unterschieden diesem Zeitpunkt vorhandenen, nicht ver- zwischen Gewinn- und Mehrwertsteuer (Abschnitt 3) steuerten stillen Reserven einschliesslich anschliessend untersucht, wie diese Konstellationen des selbst geschaffenen Mehrwerts besteu- mehrwertsteuerlich zu behandeln sind (Outbound- ert. Fall im Abschnitt 4, Inbound-Fall im Abschnitt 5) und 2 Als Ende der Steuerpflicht gelten die schliesslich ein Fazit (Abschnitt 6) gezogen. Verlegung von Vermögenswerten, Betrieben, Teilbetrieben oder Funktionen aus dem Inland in einen ausländischen Geschäftsbe- 2. Gewinnsteuerliche Verlagerungen trieb oder in eine ausländische Betriebs- stätte […].» 02 2.1 Geltungsbereich Art. 61a/b DBG sowie die äquivalenten Art. 24c/d 6 4 Während der Gesetzgeber im Rahmen der STAF da- StHG decken vom Wortlaut her wie eingangs erläutert mit eine explizite gesetzliche Grundlage für die grenz- die Verschiebung von (Teil-)Betrieben, Funktionen überschreitende Verlagerung von (Teil-)Betrieben, und Vermögenswerten aus dem Inland in einen aus- Funktionen und Vermögenswerten bei der Gewinn- ländischen Geschäftsbetrieb oder eine ausländische steuer geschaffen hat, stellt sich die Frage, wie diese Betriebsstätte (Outbound-Fall) bzw. aus dem Ausland Verlagerungen bei der schweizerischen Mehrwert- in einen inländischen Geschäftsbetrieb oder eine in- steuer zu behandeln sind. Namentlich aufgrund der ländische Betriebsstätte ab (Inbound-Fall). steuerplanerisch attraktiven Regelung bei Inbound- Verlagerungen ist davon auszugehen, dass schweize- Der Outbound-Fall in Art. 61b DBG bzw. Art. 24d StHG 7 rische Konzerne in nächster Zeit vermehrt Aktivitäten erfasst vom Wortlaut her lediglich Verschiebungen aus dem Ausland, insb. aus Niedrigsteuer- oder Off- innerhalb des gleichen Rechts- bzw. Steuersubjekts shore-Staaten, zurück in die Schweiz holen werden. (Innen-Dealings) und damit Fälle der steuersyste- Gerade bei Branchen mit reduzierten Vorsteuerquo- matischen Realisation. 03 Während der Begriff «Be- ten (u.a. Banken, Versicherungen) und bei Gesell- triebsstätte» in Art. 51 Abs. 2 DBG im Gegensatz zum schaften, die durch die Verschiebung Bezugsteuer StHG eine Legaldefinition enthält, ist der Begriff «Ge- pflichtig werden und aufgrund fehlender Inlandsteu- schäftsbetrieb» im Gesetz nicht weiter definiert. Ge- erpflicht keine Vorsteuern geltend machen können, ist mäss Lehre ist darunter eine kaufmännisch geführte die Frage nach der mehrwertsteuerlichen Behandlung von materieller Relevanz. 02 Vgl. Art. 61b DBG und Art. 24d StHG. 03 Hinny Pascal, Neue steuerliche Behandlung des Zuzugs in die Schweiz und des Wegzuges aus der Schweiz, in: IFF 2019, S. 333 - 354, S. 341 (zit. Hinny). s. 134 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll Personengesellschaft zu verstehen. 04 Infolge des Fall handelt es sich um einen fakultativ anwendbaren Transparenzprinzips werden die Gewinne von Per- Artikel, der nur auf Antrag der Steuerpflichtigen zur sonengesellschaften anteilig bei den Gesellschaftern Anwendung gelangt («Deckt die steuerpflichtige Per- besteuert. Beispiele wären die Verschiebung eines son…»). Betriebes von einer schweizerischen Kapitalgesell- schaft in ihre ausländische Betriebsstätte oder die Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle der 9 Verlagerung einzelner Vermögenswerte einer schwei- Hinweis angebracht, dass im Rahmen der STAF keine zerischen Kapitalgesellschaft in eine ausländische analogen Regeln bei der Einkommensteuer für Selb- Personengesellschaft, an welcher sie beteiligt ist. Die ständigerwerbende eingeführt wurde. Der Outbound- Übertragung auf ausländische Gruppengesellschaf- Fall wird allerdings durch Art. 18 Abs. 1 DBG bzw. Art. 8 ten oder Dritte und damit Fälle einer echten Realisa- Abs. 1 StHG erfasst. 07 tion werden hingegen mit Art. 58 Abs. 1 lit. b lemma 5 DBG («verdeckte Gewinnausschüttungen») separat Im Rahmen dieses Aufsatzes werden sowohl grenz- 10 erfasst. 05 Beispiele wären die Verlagerung von Funk- überschreitende Verlagerungen zwischen Kapitalge- tionen von einer inländischen Kapitalgesellschaft auf sellschaften (echte Realisation) als auch zwischen eine ausländische Schwestergesellschaft. Im Bereich Hauptsitz und Betriebsstätten bzw. zwischen einer der echten Realisation hat das Gewinnsteuerrecht kaufmännischen Personengesellschaft und einer da- durch die STAF grundsätzlich keine Änderungen er- ran beteiligten Kapitalgesellschaft (steuersystema- fahren, wenn auch die Verlagerung blosser Funktio- tische Realisation) abgehandelt. Transaktionen mit nen (siehe Abschnitt 2.3) vielleicht bisher noch wenig Dritten werden jedoch ausgeklammert. Ferner werden auf dem Radar der schweizerischen Steuerbehörden alle zivilrechtlichen Übertragungsformen (u.a. Einlage, war. In der Praxis wurden bei der echten Realisation Verkauf, Ausschüttung, blossere Übertragung inner- bislang meist nur Fälle von (unterpreislichen) Verla- halb des gleichen Subjekts) analysiert. gerungen von Betrieben oder einzelner Vermögens- werte aufgegriffen, nicht jedoch Funktionen. Beim 2.2 Begriff «(Teil-)Betrieb» Outbound-Fall handelt es sich im Gegensatz zum In- Die Begriffe «Betrieb» bzw. «Teilbetrieb» sind im Ge- 11 bound-Fall um einen zwingend anwendbaren Artikel winnsteuerrecht nicht neu und werden bereits seit («…werden [… die] stillen Reserven einschliesslich des vielen Jahren in Art. 19 und 61 DBG zu den Umstruk- selbst geschaffenen Mehrwerts besteuert…»). turierungen verwendet. Es kann an dieser Stelle auf die etablierte Definition im Kreisschreiben Nr. 5 der 8 Der Inbound-Fall in Art. 61a DBG bzw. Art. 24c StHG EStV zu den Umstrukturierungen verwiesen werden, deckt vom identischen Wortlaut her grundsätzlich wonach es sich bei einem Betrieb um einen organisa- ebenfalls nur Verlagerungen zwischen Hauptsitz und torisch-technischen Komplex von Vermögenswerten Betriebsstätten bzw. Geschäftsbetrieben ab. Pascal handelt, welcher für die unternehmerische Leistungs- Hinny vertritt korrekterweise mit Hinweis auf die Bot- erstellung eine relativ unabhängige, organische Ein- schaft zur STAF und die Verhandlungen im Parlament heit darstellt. Ein Teilbetrieb ist der kleinste für sich die Ansicht, dass der Artikel entgegen dem Wortlaut im Sinne einer teleologischen Auslegung jegliche Ver- 04 Statt vieler: Cadosch Roger M., in: Cadosch Roger M. legung oder Übertragung von (Teil-)Betrieben, Funk- (Hrsg.), DBG Kommentar, Bundesgesetz über tionen und Vermögenswerten umfasst, sei dies von die direkte Bundessteuer, 2. Auflage, Zürich 2008, Dritten, von Gruppengesellschaften oder innerhalb Art 51 N 2. einer juristischen Person. Auch ist unerheblich, ob die 05 Hinny, S. 341. Übertragung zivilrechtlich als Einlage, Verkauf oder 06 Hinny, S. 342. gemischtes Rechtsgeschäft erfolgt. 06 Beim Inbound- 07 Hinny, S. 335. s. 135 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll überlebensfähige Organismus eines Unternehmens. fassen. 09 Gemäss Verständnis des deutschen Steuer- Gemäss Auffassung der EStV kann ein Betrieb bzw. rechts sind Funktionen jeweils das Ergebnis einer Teilbetrieb nur dann vorliegen, wenn Leistungen auf Aufgabenteilung innerhalb eines Unternehmens bzw. dem Markt oder an verbundene Unternehmen er- Betriebes. 10 Eine steuerauslösende Verlagerung liegt bracht werden (Aussenauftritt), das Unternehmen dann vor, wenn die «Funktion, einschliesslich deren über Personal verfügt und der Personalaufwand in Chancen und Risiken […] einer […] Betriebsstätte oder einem sachgerechten Verhältnis zum Ertrag steht. 08 Geschäftsbetrieb überlassen und die Funktion vom Im Rahmen dieses Aufsatzes wird nachfolgend keine […] übertragenden Hauptsitz anschliessend nicht Unterscheidung zwischen Betrieb und Teilbetrieb ge- mehr oder in geringerem Umfang ausgeübt wird.» 11 macht und zwecks einfacher Lesbarkeit lediglich der In anderen Wort geht es regelmässig um die Frage, ob Begriff «Betrieb» verwendet. im Rahmen des Verlagerungsvorgangs «geldwertes Wertschöpfungspotenzial» übertragen wird 12 ; dar- 12 Folgende Beispiele illustrieren den Begriff: unter ist typischerweise eine Anpassung des Verrech- nungspreismodells zu verstehen. BEISPIEL 1 (Pharma) Ein Pharmakonzern verfügt über mehrere Bezugnehmend auf Abschnitt 2.2 illustrieren folgende 15 Sparten, darunter das Geschäft mit Impfstof- zwei Beispiele den Begriff der «Funktion»: fen. Dieses umfasst die Entwicklung neuer Impfstoffe gegen die Grippe, die Produktion, BEISPIEL 3 (Pharma) den Vertrieb sowie die dazugehörige Verwal- Innerhalb der Impfstoff-Sparte des Pharma- tung. Die ganze Sparte umfasst rund 1’000 konzerns wird die schweizerische Tochterge- Mitarbeitende, diverse weltweit registrierte sellschaft von einer Eigenforscherin auf eine Patente und Produktionsanlagen. blosse Auftragsforscherin zurückgestuft. Sie trägt neu kein Forschungsrisiko mehr und BEISPIEL 2 (Bank) allfällige neue Patente werden durch die Eine internationale Bank, welche im grenz- Auftrag gebende ausländische Schwester- überschreitenden Privatkundengeschäft gesellschaft registriert. Sie wird neu mittels tätig ist, betreut im Heimatmarkt zusätzlich einer transaktionalen Nettomargenmethode Geschäftskunden mit rund 800 Personen im (TNMM) entschädigt und ihr steht nicht Front-/Backoffice und einem umfassenden mehr der Residualgewinn (Bruttogewinn Filialnetz. nach Abzug einer Entschädigung für Produk- tion, Vertrieb und Verwaltung) zu. 2.3 Begriff «Funktion» 13 Der Begriff «Funktion» wurde im Rahmen der STAF 08 Kreisschreiben Nr. 5 der EStV von 01.06.2004 erstmalig im schweizerischen Steuerrecht verwendet, Umstrukturierungen, Ziff. 3.2.2.3 sowie 4.3.2.5. jedoch ist weder im DBG noch im StHG eine Legaldefi- 09 Harbeke Nils/Scherrer Patrick, Unternehmens- nition vorhanden. Der Begriff ist allerdings im Verrech- steuerrecht, Zürich/St. Gallen 2020, nungspreisrecht sowie in ausländischen Steuersyste- S. 120 (zit. Harbeke/Scherrer). men (bspw. Deutschland) seit vielen Jahren etabliert. 10 Bundesamt für Finanzen, Schreiben vom 13.10.2010, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsab- 14 Eine Funktion ist ein betriebswirtschaftlich gepräg- grenzung zwischen nahestehenden Personen in ter Begriff und bezeichnet selbständige Teilaufgaben Fällen von grenzüberschreitenden Funktions- eines Unternehmens, die immer nur einen Teilbereich verlagerungen. der unternehmerischen Gesamtwertschöpfung um- 11 Hinny, S. 349. 12 Harbeke/Scherrer, S. 121. s. 136 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll BEISPIEL 4 (Bank) einen Hauptsitz und eine Betriebsstätte ist lediglich Im inländischen Geschäftskundenbereich eine steuerliche Fiktion. 15 Sofern das Rechtssubjekt des Bankenkonzerns kümmert sich ein Team keine separate Buchhaltung für den Hauptsitz und von vier Personen um die Entwicklung neuer die Betriebsstätte führt, erfolgt die Verschiebung des Produkte für die Kunden (bspw. Handelsfi- Betriebs, der Funktion oder des Vermögenswertes le- nanzierungen). diglich durch die blosse Zuteilung in der internationa- len Steuerausscheidung. Werden gar nicht bilanzierte 2.4 Begriff «Vermögenswert» (bspw. zukünftiges Gewinnpotential aus einer Funk- 16 Der Begriff «Vermögenswert» wird in Art. 61a/b tion) bzw. nicht bilanzierungsfähige Werte (bspw. DBG bzw. Art. 24c/d StHG sowie generell im Gewinn- originäre immaterielle Vermögenswerte) verschoben, steuerrecht nicht weiter definiert. Gemäss der hier würde die Verschiebung ohne die eingangs erläuterten vertretenen Auffassung umfasst dieser Begriff alle steuerlichen Korrekturvorschriften in der Gewinn- und geldwerten Rechte 13 , unabhängig davon, ob es sich Kapitalausscheidung gar nicht erst ersichtlich sein. In um physische oder immaterielle Werte handelt. Das anderen Worten erfolgt die Verschiebung bei fehlen- Gesetz nimmt keine Unterscheidung zwischen Um- den Buchhaltungen bloss durch eine Willenserklärung lauf- und Anlagevermögen 14 oder zwischen be- in der Steuererklärung. Führt die Gesellschaft hinge- triebsnotwendigen und nicht-betriebsnotwendigem gen separate Buchhaltungen, kann die Verschiebung Vermögen vor, wie bei gewissen steuerneutralen Um- durch einen Quasi-Verkauf, eine Sacheinlage in das strukturierungstatbeständen (Art. 61 Abs. 1 lit. d DBG) Dotationskapital der Betriebsstätte oder eine Sach- üblich. repatriierung von Gewinnen der Betriebsstätte zum Hauptsitz erfolgen. Dabei kann der Übertragungswert 17 Nachfolgende Beispiele illustrieren den Begriff: buchhalterisch und zivilrechtlich willkürlich festgesetzt werden (bspw. zu handelsrechtlichen Buchwerten). Für BEISPIEL 5 (Pharma) die Wegzugsbesteuerung beim Outbound-Fall bzw. Die Impfstoff-Sparte des Pharmakonzerns den Step-up im Inbound-Fall sind nur die stillen Reser- umfasst u.a. Produktionsanlagen und Patente. ven relevant, die sich aus der Differenz zwischen Ver- kehrswert und Gewinnsteuerwert ergeben. BEISPIEL 6 (Bank) Im Geschäftskundenbereich der Bank Bei einer Verlagerung zwischen Kapitalgesellschaften 20 ist der Kundenstamm ein immaterieller sind hingegen zwei Rechtssubjekte involviert. Die Ver- Vermögenswert. schiebung kann durch einen Verkauf oder eine Vermö- gensübertragung nach Art. 69 ff. Fusionsgesetz (FusG) 2.5 Zivilrechtliche Übertragung erfolgen. Denkbar sind auch «fliessende» Verlagerun- 18 Bei der gewinnsteuerlichen Verlagerung von Be- gen, indem Mitarbeitende innerhalb eines Konzerns in trieben, Funktionen und Vermögenswerten ist das zi- ein anderes Land wechseln (bspw. bisher bei einer aus- vilrechtliche Grundgeschäft meist von untergeordne- ländischen Konzerngesellschaft angestellte Forscher ter Bedeutung. Entscheidender ist – wie dies auch bei erhalten neue Arbeitsverträge bei der inländischen steuerneutralen Umstrukturierungen der Fall ist – der Schwestergesellschaft). Ferner kann die Verschiebung wirtschaftliche Vorgang. 13 Hinny, S. 347 mit Verweis auf: Reich Markus, 19 Bei der Verlagerung zwischen Hauptsitz und Be- Steuerrecht, Zürich 2012, S. 359. triebsstätte liegt streng genommen zivilrechtlich kein 14 Hinny, S. 347. Grundgeschäft vor, da die Verlagerung innerhalb des 15 Vorbehältlich einer registrierten Zweigniederlassung gleichen Rechtssubjekts erfolgt. Die Aufteilung in nach Art. 935 OR. s. 137 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll auch durch eine Sacheinlage oder -dividende erfolgen. Vermögenswerten müssen daher mit dem bestehen- Analog zur Hauptsitz/Betriebsstätte-Konstellation ist den Mehrwertsteuerrecht beurteilt werden. buchhalterisch und zivilrechtlich der Übertragungs- wert irrelevant und kann grundsätzlich willkürlich fest- Die Mehrwertsteuer ist eine transaktionale Steuer, bei 24 gesetzt werden (vorbehältlich gesellschaftsrechtlicher welcher das zivilrechtliche Grundgeschäft, das ver- Schutzvorschriften, bspw. Art. 628/634 OR zu Sachein- einbarte zivilrechtliche Entgelt und der Charakter der lagegründungen oder Art. 678 OR zur Rückerstattung erbrachten Leistungen relevant sind. Die Mehrwert- ungerechtfertigter Leistungen). Auch in dieser Kon- steuer kennt die (gewinnsteuerlichen) Begriffe Be- stellation sind letztlich nur die stillen Reserven und trieb, Funktion und Vermögenswert nicht und nimmt nicht der Übertragungspreis relevant. im Gegensatz zur Gewinnsteuer eine zivilrechtliche statt eine wirtschaftliche Betrachtungsweise vor. 21 Bei Übertragungen zwischen Kapital- und (kaufmän- Auch stellt die Mehrwertsteuer nicht auf die stillen nischen) Personengesellschaften kommen analoge Reserven, sondern das effektive Entgelt ab. Überlegungen zur Anwendung, da auch hier zwei Rechtssubjekte involviert sind. Im Gegensatz zur gewinnsteuerlichen Verlagerung 25 muss daher das zivilrechtliche Grundgeschäft der 22 Nebst der untergeordneten Bedeutung der zivilrecht- Verlagerung, das übertragene Substrat und das ver- lichen Übertragungsart ist gemäss Auffassung des einbarte Entgelt genau analysiert werden. Autors auch nebensächlich, was schlussendlich genau übertagen wird. Die relevanten Artikel im DBG und Die schweizerische Mehrwertsteuer umfasst gemäss 26 StHG definieren das (zivilrechtliche) Übertragungs- Art. 1 Abs. 2 MWSTG die drei Steuerarten Inland-, Be- substrat sehr breit und ein Step-up kann bspw. auch zug- und Einfuhrsteuer. Der Inbound-Fall (siehe Ab- bei der Übertragung von nur einzelnen (nicht-be- schnitt 4) wird normalerweise von der Bezug- und triebsnotwendigen) Vermögenswerten geltend ge- Einfuhrsteuer erfasst, sofern die ausländische Über- macht werden. Die Hürden an den Step-up bzw. die trägerin nicht bereits aufgrund von Art. 10 MWSTG Wegzugsbesteuerung sind im Gegensatz zu den der Inlandsteuer unterliegt. Im Outbound-Fall (siehe steuerneutralen Umstrukturierungen (Art. 61 DBG) Abschnitt 5) geht es typischerweise nur um die In- viel tiefer. So verlangt bspw. die steuerneutrale Spal- landsteuer. tung einen doppelten Betrieb oder die Übertragung im Konzern betriebliches Anlagevermögen. Die Unter- scheidung in Betrieb, Funktion und Vermögenswerte 4. Mehrwertsteuerliche Inbound-Verlagerungen ist lediglich für die Ermittlung des Verkehrswertes von Bedeutung, da namentlich ein Betrieb im Gegen- 4.1 Bezugsteuer satz zu einzelnen Vermögenswerten häufig auch eine 4.1.1 Allgemeine Überlegungen Goodwill-Komponente beinhaltet. Der Bezugsteuer nach Art. 45 - 49 MWSTG unter- 27 liegt der Bezug von Leistungen von Unternehmen mit Sitz im Ausland durch Empfängerinnen im Inland. Der 3. Unterschiede zur Mehrwertsteuer Begriff «Leistungen» umfasst gemäss Art. 45 Abs. 1 lit. a MWSTG grundsätzlich Dienstleistungen, deren 23 Im Rahmen der STAF wurde das Steuerrecht ledig- Ort sich nach Art. 8 Abs. 1 MWSTG im Inland befindet lich im Bereich der Gewinn-, Kapital-, Einkommens- und Verrechnungssteuer angepasst, nicht jedoch das 16 Mit der Ausnahme, dass der Bund das sog. Mehrwertsteuergesetz (MWSTG) 16 . Die gewinnsteu- Demografie-Prozent der Mehrwertsteuer neu der erliche Verlagerung von Betrieben, Funktionen und AHV zukommen lässt. s. 138 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll und die durch Unternehmen mit Sitz im Ausland er- umfasst gemäss lit. b bewegliche und unbewegliche bracht werden, die nicht im Register der steuerpflich- Sachen. Dienstleistungen kommen daher in den ver- tigen Personen eingetragen sind (mit Ausnahme des schiedensten Ausgestaltungen vor, sie können weder Sonderfalls von Telekommunikations- oder elektroni- abschliessend aufgezählt, noch kategorisiert wer- schen Dienstleistungen). Davon ausgenommen sind den. 17 Art. 3 lit. e MWSTG enthält beispielhaft zwei als gemäss Art. 45a MWSTG Dienstleistungen, die nach Dienstleistung qualifizierende Vorgänge, nämlich die Art. 21 MWSTG von der Inlandsteuer ausgenommen Überlassung von immateriellen Werten und Rechten oder nach Art. 23 MWSTG befreit sind. sowie das Unterlassen oder die Duldung einer Hand- lung bzw. eines Zustandes. 28 Steuerpflichtig bei der Bezugsteuer ist gemäss Art. 45 Abs. 2 MWSTG, wer bereits nach Art. 10 MWSTG der Aufgrund der sehr breiten (Negativ-)Definition des 31 Inlandsteuer unterliegt (lit. a) oder alternativ im Ka- Begriffes Dienstleistungen müssen gemäss Auffas- lenderjahr solche Leistungen für mehr als CHF 10'000 sung des Autors daher auch die meisten gewinn- bezieht (lit. b). Diese Unterscheidung ist hinsichtlich steuerlichen Verschiebungen grundsätzlich mit der Vorsteuern von grosser Relevanz: Wird eine Person Bezugsteuer erfasst werden. lediglich aufgrund von aus dem Ausland bezogenen Dienstleistungen bezugsteuerpflichtig, steht ihr kein Ein gewinnsteuerlicher Betrieb mit einem Aussen- 32 Vorsteuerabzug zu. Dieser ist gemäss Art. 28 Abs. 1 auftritt und Mitarbeitern stellt unbestrittenermassen lit. b MWSTG an eine Eintragung im Inlandsteuerregis- eine Dienstleistung dar, insb. auch der darin enthal- ter geknüpft. tene Goodwill. 18 Wenn im Rahmen der Betriebsver- lagerung auch (physische) Gegenstände i.S.v. Art. 3 4.1.2 Steuerobjekt lit. b MWSTG in das Zollinland verschoben werden, 4.1.2.1 Generell wird auf diesen die Einfuhrsteuer erhoben (siehe Ab- 29 Es stellt sich zuerst die Frage, ob hinsichtlich Steu- schnitt 4.2 und insb. 4.2.4 zum Zusammenspiel zwi- erobjekt der gewinnsteuerlich zu verlagernde Betrieb, schen Bezug- und Einfuhrsteuer). Interessanterweise Funktion oder Vermögenswert mehrwertsteuerlich als wird in vielen ausländischen Staaten im Gegensatz Dienstleistung qualifiziert. Da solche Transaktionen zur Schweiz die Veräusserung eines ganzen Betriebes in der Regel dem subsidiären Empfängerortsprinzip als ein Vorgang angeschaut, welcher nicht der Mehr- gemäss Art. 8 Abs. 1 MWSTG und nicht den Sonder- wertsteuer unterliegt («Transfer-of-Going-Concern»). tatbeständen gemäss Abs. 2 unterliegen, wird auf den In Deutschland bspw. liegt gemäss § 1 Abs. 1a Umsatz- Ort der Dienstleistung nachfolgend nicht weiter ein- steuergesetz (USTG) eine solche Veräusserung vor, gegangen. wenn «ein Unternehmen oder ein […] Betrieb im Gan- zen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in 30 Das MWSTG enthält lediglich eine Negativdefinition eine Gesellschaft eingebracht wird». Eine analoge Re- des Begriffes «Dienstleistung»: Gemäss Art. 3 lit. e MWSTG ist eine Dienstleistung jede Leistung, die kei- 17 Bossart Sonja/Clavadetscher Diego in: Zweifel ne Lieferung ist. Eine Lieferung umfasst gemäss lit. d Martin/Beusch Michael/Glauser Pierre-Marie/ die «Verschaffen der Befähigung, im eigenen Namen Robinson Philip (Hrsg.), Kommentar zum schweize- über einen Gegenstand wirtschaftlich zu verfügen», rischen Steuerrecht, Art. 3 MWSTG N 102 die «Abliefern eines Gegenstandes, an dem Arbeiten (zit. AutorIn in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson, besorgt worden sind […]» und die «Überlassen eines Komm. MWSTG). Gegenstandes zum Gebrauch oder zur Nutzung». Der 18 Bossart Sonja/Clavadetscher Diego in: Zweifel/ bei der Lieferung zentrale Begriff des «Gegenstandes» Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG, Art. 3 N 110. s. 139 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll gelung kennen bspw. auch Indien 19 , Singapur 20 und 4.1.2.2 Fakultativer Charakter von Art. 61a DBG die Vereinigten Arabischen Emirate 21 . In Südafrika bzw. Art. 24b StHG im Besonderen findet sich ebenfalls eine ähnliche Anwendung, wo- Wie bereits vorstehend in diesem Aufsatz erwähnt, 35 bei dort die Transaktion als befreit qualifiziert wird. 22 handelt es sich beim Inbound-Fall nach Art. 61a DBG Würde das schweizerische MWSTG eine solche Rege- bzw. Art. 24c StHG um einen fakultativen Artikel, der lung kennen, würde eine gewinnsteuerliche Inbound- lediglich auf Antrag der Steuerpflichtigen zur Anwen- Verlagerung eines Betriebes nicht der Bezugsteuer dung gelangt. Es stellt sich die Frage, ob bei einem be- unterliegen. Der Gesetzgeber wollte im Rahmen der wussten Verzicht auf einen gewinnsteuerlichen Step- STAF bei Inbound-Verlagerungen den Steuerpflichti- up auch die Bezugsteuer nicht angewendet werden gen die Möglichkeit eines «Step-ups» gewähren und muss. damit den (Steuer-)Standort Schweiz attraktiver ge- stalten. Es wäre zu prüfen, ob man wenigstens die Generell muss festgehalten werden, dass sich die Ge- 36 Verlagerung von ganzen Betrieben über eine «Trans- winn- und Mehrwertsteuer auf zwei separate Geset- fer-of-Going-Concern»-Klausel analog ausländischer ze stützen, die nicht voneinander abhängig sind. Der Staaten auch bei der Mehrwertsteuer attraktiver ge- Verzicht auf das Wahlrecht in einer Steuerart bedeu- stalten könnte. tet nicht automatisch, dass sich die andere Steuer- art daran ausrichtet. Wenn eine Gesellschaft bei der 33 Auch die Verschiebung von blossen Funktionen, wel- Mehrwertsteuer bspw. auf eine Optierung ausgenom- che häufig mit einer Verlagerung eines geldwerten mener Umsätze nach Art. 22 MWSTG verzichtet, be- Wertschöpfungspotenzial einhergeht, qualifiziert als deutet dies nicht automatisch, dass auf den Erträgen Dienstleistung. Die Verlagerung von Wertschöpfungs- auch keine Gewinnsteuer erhoben wird. potenzial ist häufig das Resultat einer Anpassung des Verrechnungspreismodells und damit einer Auflösung 19 Notification No. 12/2017 – Central Tax by Ministry bzw. Anpassung bestehender konzerninterner Verträ- of Finance (Department of Revenue). ge. 23 Gemäss Praxis der EStV stellt eine einvernehm- 20 IRAS e-Tax Guide: GST - Transfer of Business as liche Vertragsauflösung gegen Entgelt eine Dienst- a Going Concern and other Excluded Transactions leistung dar, da ein «Verzicht auf Rechte aus einem (Fifth Edition). Dauerschuldverhältnis» vorliege. 24 Im Einzelfall kann 21 Art. 7(2) UAE VAT Law, Public Clarification VATP015 jedoch auch ein konzerninterner Vertrag ein Reugeld «Transfer of a Business as a Going Concern». gemäss Art. 158 Abs. 3 OR enthalten, welches dann als 22 Section 11 Value Added Tax Act, No 89 of 1991 Schadenersatz gemäss Art. 18 Abs. 2 lit. i MWSTG und und speziell section 11(1)(e). damit Nicht-Entgelt qualifizieren würde. 25 23 Siehe dazu detailliert: OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax 34 Auch die Verschiebung von einzelnen gesetzlich ge- Administrations, Paris 2017, Kapitel IX. schützten Immaterialgüterrechten (Marken, Patente, 24 MWST-Info 04 Steuerobjekt, Ziff. 3.8.1. Muster und Modelle, Design, Urheberrechte, Namens- 25 MWST-Info 04 Steuerobjekt, Ziff. 3.8.2.1. und Firmenrechte), aber auch Know-How, Fabrikati- 26 Bossart Sonja/Clavadetscher Diego in: Zweifel/ ons-, Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse gelten als Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG, mehrwertsteuerliche Dienstleistungen. 26 Art. 3 N 110 f. s. 140 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll 37 Allerdings kann die Überlegung in den Raum ge- BEISPIEL 7 stellt werden, ob durch den Charakter von Art. 61a Eine ausländische Muttergesellschaft legt DBG bzw. Art. 24c StHG überhaupt ein Leistungsver- immaterielle Güter im Rahmen einer Aktien- hältnis i.S.V. Art. 3 lit. c MWSTG vorliegt. Die Bezug- kapitalerhöhung zum ausländischen Gewinn- steuer knüpft wie die Inlandsteuer an den Begriff der steuerwert in ihre inländische Tochterge- (Dienst-)«Leistung» an. Gemäss Legaldefinition ver- sellschaft ein. Sie macht auf der Differenz steht die Mehrwertsteuer darunter die Einräumung zum Verkehrswert einen gewinnsteuerlichen eines verbrauchsfähigen wirtschaftlichen Wertes an Step-up geltend. eine Drittperson «in Erwartung eines Entgelts». Die gewinnsteuerlichen STAF-Artikel geben dem Empfän- Grundsätzlich besagt Art. 18 Abs. 2 MWSTG, dass bei 40 ger des übertragenen Betriebs, Funktion oder Vermö- Einlagen in Unternehmen (lit. e) sowie Dividenden genswerts das Recht, in der Gewinnsteuererklärung und anderen Gewinnanteilen (lit. f) mangels Leistung eine Korrektur (steuerunwirksame Aufdeckung stiller von einem Nichtentgelt auszugehen sei. Es stellt sich Reserven und steuerwirksame Abschreibung über die Frage, ob diese Artikel auch bei einer Sacheinla- mehrere Jahre) zu seinen Gunsten vorzunehmen. Die- ge und -dividende Anwendung finden. In der Lehre ses gewinnsteuerliche Recht ist – wie in Abschnitt 2.5 wird teilweise die Meinung vertreten, dass bei solchen dargelegt – unabhängig vom zivilrechtlichen Grund- Sachtransaktionen von einem entgeltlichen Vorgang geschäft. Daraus könnte argumentiert werden, dass auszugehen sei. 28 durch die blosse fakultative Gewinnsteuerkorrektur im Einzelfall die Parteien subjektiv nicht automatisch Die Frage hinsichtlich Sacheinlagen ist ungeklärt. 41 ein (zivilrechtliches) Entgelt wollen. Der Wille bezieht In einem Entscheid aus dem Jahre 2008 zum alten sich lediglich auf den gewinnsteuerlichen Step-up. MWSTG hat sich das Bundesgericht im Falle einer Personengesellschaft zwar mit den verschiedenen 38 Da solche Verlagerungen allerdings normalerweise Lehrmeinungen auseinandergesetzt, ohne aber ab- im Konzernverhältnis, und damit zwischen eng ver- schliessend dazu Stellung zu nehmen. 29 In einem bundenen Personen gemäss Art. 2 lit. h MWSTG vor- kürzlich ergangenen Entscheid des Bundesverwal- genommen werden, greift Art. 26 MWSTV, welcher tungsgerichts musste sich dieses mit der Frage befas- zwischen eng verbundenen Personen von einer Leis- sen, ob der Verkauf eigener Aktien als Kapitaleinlage tungsfiktion ausgeht. Der Grundgedanke dieses Arti- gemäss Art. 18 Abs. 2 lit. e MWSTG qualifiziert. Die kels wurde auch durch das Bundesgericht bestätigt. 27 Rechtsfrage wurde zugunsten des Steuerpflichtigen In anderen Worten liegt bei Verschiebungen zwischen bejaht. 30 Gemäss hier vertretener Auffassung ist nicht Kapital- und/oder Personengesellschaften de lege einleuchtend, warum bei einer Geldeinlage von einem lata ein Leistungsverhältnis vor, unabhängig vom Ent- Nicht-Entgelt, bei einer Sacheinlage jedoch von einem geltswille. Zum Begriff der «eng verbundenen Person» Leistungsverhältnis auszugehen sei. Einerseits ist ge- generell und im Verhältnis zwischen Hauptsitz und mäss Botschaft zum MWSTG der Begriff «Einlage» Betriebsstätte im Besonderen wird auf die nachfol- genden Ausführungen in Abschnitt 4.1.3.2 verwiesen. 27 BGer 2C_451/2013 vom 07.01.2014, E. 5.2. 28 Geiger Felix, in: Geiger Felix/Schluckebier Regine 4.1.2.3 Sacheinlagen und -dividenden im Besonderen (Hrsg.), Kommentar zum schweizerischen 39 Wie eingangs erläutert können Verlagerungen von Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, 2. Auflage, Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten zwi- Art. 18 N 28 (zit. AutorIn in: Geiger/Schluckebier, schen Konzerngesellschaften zivilrechtlich auch mit- Komm. MWSTG). tels Sacheinlagen oder Sachdividenden erfolgen, wie 29 BGer 2A.269/2006 vom 20.06.2008, E. 4 und 6. nachfolgendes Beispiel illustriert. 30 BVGer A-7028/2018 vom 18.09.2020. s. 141 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll weit zu verstehen 31 und andererseits erfolgt die Ein- wird wie bereits ausgeführt nicht zwingend ein Ent- lage, ob in bar oder natura, gestützt auf ein gesell- gelt zwischen den Parteien fliessen, wie folgende zwei schaftsrechtliches Beteiligungsverhältnis, 32 d.h. ohne Beispiele illustrieren. eine spezielle Entschädigung und nicht aufgrund ei- nes synallagmatisches Verhältnisses. BEISPIEL 8 Ein Konzern entscheidet sich, eine betrieb- 42 Bezüglich Sachdividenden vertritt die EStV die An- liche Tätigkeit von einer Tochtergesellschaft sicht (sie verwendet den alternativen Begriff «Na- in einem Offshore-Staat zu einer Tochterge- turaldividende»), dass bei solchen eine entgeltliche sellschaft in der Schweiz zu verschieben. Die Leistung vorliege und daher die Mehrwertsteuer ge- inländische Tochtergesellschaft will hierfür schuldet sei. 33 Sie verwendet dazu das Beispiel einer einen Step-up gemäss Art. 61a DBG geltend Bergbahn, welche ihren Aktionärinnen als Dividen- machen und einigt sich auf einen gewinn- de eine Saisonkarte ausschüttet und begründet die steuerlichen Wert von CHF 100 Mio. Der Steuerbarkeit der Naturaldividende damit, dass bei Betrag wird lediglich in der Gewinnsteuer- einem Verkauf der Saisonkarte an Dritte das Entgelt erklärung geltend gemacht und fliesst nicht der Steuer unterliegen würde. Diesem Argument kann effektiv zwischen den Tochtergesellschaften. nicht gefolgt werden, da bei einem Verkauf an Dritte der Gesellschaft im Gegensatz zur Dividende effektiv BEISPIEL 9 ein Entgelt zufliesst. Eine schweizerische Kapitalgesellschaft verschiebt immaterielle Vermögenswerte 43 Der Autor vertritt zusammenfassend die Ansicht, dass von der ausländischen Betriebsstätte in die bei der Verlagerung auf Basis einer Einlage bzw. Ge- Schweiz. Da es sich um eine Transaktion winnrückführung aus einem Unternehmen ein Nicht- innerhalb der gleichen juristischen Person entgelt gemäss Art. 18 Abs. 2 MWSTG vorliegen muss handelt, fliesst hierbei keine Entschädigung. und daher die Bezugsteuer nicht erhoben werden darf. Das MWSTG kennt allerdings in Art. 24 Abs. 2 MWSTG 46 eine gesetzliche Grundlage, wonach bei Leistungen 4.1.3 Bemessungsgrundlage zwischen eng verbundenen Personen nicht auf das 4.1.3.1 Generell effektive Entgelt, sondern den Wert abgestellt wird, 44 In einem zweiten Schritt stellt sich die Frage nach der unter unabhängigen Dritten vereinbart würde. Mit der Bemessungsgrundlage des als Dienstleistung mit diesem Artikel wird gemäss Botschaft zum MWSTG Leistungsort Inland qualifizierten Vorgangs. Die Be- vom im Abs. 1 statuierten Grundsatz abgewichen, zugsteuer kennt keine eigene Definition und verweist wonach keine fiktiven Einnahmen besteuert werden in Art. 46 MWSTG auf die Bemessungsgrundlage der sollen. 35 Zentral in dieser Korrekturvorschrift ist nun Inlandsteuer. 31 Botschaft zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer 45 Gemäss Art. 24 MWSTG wird die Inland- und damit vom 25. Juni 2008, BBI 2008 6960 (zit. BBI 2008). auch die Bezugsteuer auf dem «tatsächlich empfange- 32 Geiger Felix in: Geiger/Schluckebier, Komm. nen Entgelt berechnet». Massgeblich ist somit der tat- MWSTG, Art. 18 N 27. sächliche Vermögenszugang beim Leistungsempfän- 33 MWST-Info 08 Privatanteile, Ziff. 6. ger in Schweizer Franken. 34 Da die Verlagerung von 34 Geiger Felix in: Geiger/Schluckebier, Komm. Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten gemäss MWSTG, Art. 24 N 3. STAF allerdings innerhalb eines Konzerns stattfindet, 35 BBI 2008 6970 f. s. 142 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll allerdings der Begriff «eng verbundene Person». Im 4.1.3.2 Verschiebung zwischen Hauptsitz Wortlaut von Art. 24 Abs. 2 MWSTG wird auf die Le- und Betriebsstätte im Besonderen galdefinition in Art. 3 lit. h MWSTG verwiesen, wonach Interessant ist ferner die Frage, ob Art. 24 Abs. 2 49 dieser Begriff folgende Rechtssubjekte umfasst: MWSTG i.V.m. Art. 3 lit. h MWSTG auch als gesetzliche • Inhaberinnen von mind. 20 % des Stamm- oder Grundlage genügt für die Annahme einer Leistungs- Grundkapital eines Unternehmens oder Unterneh- fiktion bzw. die Ermittlung eines fiktiven Entgelts bei men oder von einer entsprechenden Beteiligung einer Verlagerung innerhalb des gleichen Rechts- an einer Personengesellschaft oder ihren naheste- subjekts zwischen Hauptsitz und Betriebsstätte. Die- henden Personen; se Frage muss namentlich vor dem Hintergrund des • Stiftungen und Vereine, zu denen eine besonders sog. «Dual-Entity»-Prinzips geprüft werden. Nach enge wirtschaftliche, vertragliche oder personelle dem schweizerischen Mehrwertsteuerrecht werden Beziehung besteht gemäss Art. 10 Abs. 3 MWSTG e contrario der Haupt- sitz und die ausländische Betriebsstätte eines Unter- 47 Wenn die Verlagerung zwischen zwei verbundenen nehmens als separate Steuersubjekte 40 und damit Konzerngesellschaften (d.h. zwischen zwei Kapital- wie zwei separate Unternehmen behandelt. 41 Dieser gesellschaften, an welche eine weitere Person direkt Grundsatz gilt allerdings nicht bei einem inländischen oder indirekt mind. 20 % am Kapital hält) erfolgt, be- Unternehmen mit rein inländischen Betriebsstätten. steht damit eine gesetzliche Grundlage für die Er- mittlung eines fiktiven Entgelts zur Bemessung der Aufgrund einer grammatikalischen Auslegung greift 50 Bezugsteuer. Die gleiche Überlegung ist ebenfalls Art. 3 lit. h MWSTG nicht. Ein Hauptsitz hält keinen anwendbar auf Fälle, bei welchen eine Kapitalgesell- Anteil am Grundkapital einer Betriebsstätte. Es han- schaft eine Übertragung an eine (kaufmännische) delt sich bei einer Betriebsstätte um einen fiktiven, Personengesellschaft 36 vornimmt, an welcher sie be- (gewinn-)steuerlichen Teil der gesamten juristischen teiligt ist. Person, welcher nicht über ein eigenes Grundkapital verfügt, an welcher der Hauptsitz beteiligt ist. Nur die 48 Das MWSTG enthält keine weiteren Ausführungen, wie der (fiktive) Drittpreis ermittelt werden muss. 36 Da bei einer Kollektivgesellschaft nur Privat- Gemäss Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ist personen beteiligt sein können (Art. 552 OR), ein Drittpreis in den meisten Fällen ein Schätz- bzw. folglich nur relevant bei einer Kommandit- Vergleichswert, der nicht exakt, sondern nur annä- gesellschaft (in der Rolle als beschränkt haftender herungsweise bestimmt werden kann. 37 In der Lehre Kommanditär; Art. 594 Abs. 2 OR) und der einfachen wird die Ansicht vertreten, dass bei der Bezugsteuer Gesellschaft (Art. 530 OR). der Marktwert im fraglichen ausländischen Staat und 37 BVGer A-1376/2006 vom 06.11.2008. nicht in der Schweiz herangezogen werden muss. 38 38 Robinson, Philipp/Pittet, Jacques: La TVA comme Auch Art. 61a DBG bzw. Art. 24c StHG enthält keine facteur de coût dans le domaine financier, in: Hinweise, wie der Verkehrswert und damit die rele- Schweizer Treuhänder 2007, S. 903 - 910, 905. vanten stillen Reserven ermittelt werden müssen. Die 39 Bossart Sonja/Clavadetscher Diego in: Zweifel/ EStV ist zwar nicht an die Bewertung der kantonalen Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG, Steuerverwaltungen gebunden 39 , doch wäre eine An- Art. 24 N 61. gleichung der Praxis aus verwaltungsökonomischen 40 Geiger Felix in: Geiger/Schluckebier, Gründen zu begrüssen. Komm. MWSTG, Art. 11 N 141. 41 Im Gegensatz zur EU (EuGH C-210/04 vom 23.03.2006) und weiterer ausländischen Staaten wie Singapur, welche das «Single-Entity»- Prinzip verfolgen. s. 143 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll gesamte juristische Person hat ein Grundkapital. Zwar um eine Konkretisierung von Art. 10 MWSTG und nicht wird als Ausfluss des Authorized OECD Approaches Art. 3 lit. h MWSTG. Gemäss Ansicht des Autors kann («AOA») der (ausländischen) Betriebsstätte häufig ein dieser Hinweis des Bundesrates zur (untergeordne- Dotationskapital zugewiesen, doch handelt es sich ten) MWSTV nicht für eine teleologische Auslegung hierbei um eine blosse gewinnsteuerliche Zu- bzw. zugunsten des Fiskus herangezogen werden. Der Aufteilung des gesamten Eigenkapitals (Grundkapital gleiche Bundesrat hat in der Botschaft zum (überge- und weitere Eigenkapitalkomponenten wie Reserven) ordneten) MWSTG (Version vom 12. Juni 2009) auch der juristischen Person auf den Hauptsitz und die Be- festgehalten, dass die Besteuerung eines fiktiven triebsstätte. In anderen Worten handelt es sich beim (anstelle des effektiven) Entgelts nur im Ausnahme- Dotationskapital letztlich nur um einen Anteil am ge- fall greifen soll und der Begriff der «eng verbundenen samten Eigenkapital der juristischen Person, an wel- Person» explizit in Art. 3 lit. h MWSTG definiert sei. 47 chem weiterhin der Aktionär beteiligt ist. 42 Auch kann gemäss Ansicht des Autors eine Betriebsstätte nicht Gemäss Ansicht des Autors darf bei Verlagerungen 52 als nahestehende Person gemäss lit. h lemma 1 quali- zwischen Hauptsitz und Betriebsstätte infolge fehlen- fiziert werden, da sich bei diesem Begriff um Personen der expliziter gesetzlicher Grundlage beim Fehlen ei- geht, welche dem Beteiligungsinhaber selbst naheste- nes Entgelts auf Basis von Art. 24 Abs. 2 MWSTG i.v.m. hend sind. 43 Art. 3 lit. h MWSTG keine fiktive Bemessungsgrundlage ermittelt werden. Dieses Ergebnis mag zwar in einem 51 Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese gramma- gewissen Widerspruch zum «Dual-Entity»-Prinzip ste- tikalische Auslegung dem Willen des Gesetzgebers hen, jedoch entsprach es nicht dem Willen des Gesetz- entsprach. In der Botschaft zum MWSTG (Version gebers, unter Art. 3 lit. h MWSTG auch Betriebsstätte zu vom 12. Juni 2009) finden sich keine Hinweise darauf, erfassen. Der Bundesrat kann mit Art. 7 MWSTV (bzw. dass der Gesetzgeber entgegen dem Wortlaut auch dem Kommentar in den Erläuterungen dazu), der im Betriebsstätte als eng verbundene Personen qualifi- Übrigen eine andere Thematik regelt, nicht vom Willen zieren wollte. 44 In der Botschaft zum MWSTG (Version des Gesetzgebers abweichen. Ferner ist an dieser Stel- vom 30. September 2016), mit welchem der dynami- le der Hinweis angebracht, dass gerade im Steuerrecht sche Verweis auf die Mindestschwelle gemäss Betei- besonders hohe Anforderungen an das Legalitätsprin- ligungsabzug durch den fixen Prozentsatz von 20 % zip hinsichtlich Bestimmtheit gestellt wird. 48 ersetzt wurde, gab es ebenfalls keine Ausführungen zu einer möglichen Erfassung von Betriebsstätten. 45 42 Zur Thematik des Dotationskapitals einer Auch die Durchsicht der Protokolle ergab, dass die- Betriebsstätte siehe allgemeine Ausführungen in: ses Thema weder in den vorbereitenden Kommissio- Hug, Thomas: Die steuerliche Kapitalallokation nen noch im National- und Ständerat aktiv diskutiert bei Bankenbetriebsstätte, in: ExpertFocus 2020, wurde. Interessant ist allerdings der Hinweis in den S. 240–246. Erläuterungen des Bundesrates zur Mehrwertsteuer- 43 Bossart Sonja/Clavadetscher, Diego in: Zweifel/ verordnung (MWSTV; Version vom 27. November Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG, 2009). Zu Art. 7 MWSTV hält der Bundesrat fest: «Weil Art. 3 N 176. es sich [beim Hauptsitz und der Betriebsstätte] zu- 44 BBI 2008 6943. dem um eng verbundene Personen handelt, gilt als 45 Botschaft Teilrevision des Mehrwertsteuergesetzes Bemessungsgrundlage der unter Dritten vereinbarte vom 25. Februar 2015, BBI 2015 2627 f. Wert». 46 Diese Ausführungen zum Art. 7 MWSTV sind 46 Erläuterungen des Bundesrates zur Mehrwerts- fehl am Platz, da dieser Artikel leidglich bezweckt, teuerverordnung, S. 4. dass alle inländischen Betriebsstätten eines auslän- 47 BBI 2008 6971. dischen Unternehmens als ein Steuersubjekt zusam- 48 Beusch Michael in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson, mengefasst werden; es handelt sich bei Art. 7 MWSTV Komm. MWSTG, Auslegung des MWSTG N 1. s. 144 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll 53 Sollte jedoch eine Entschädigung zwischen Hauptsitz 4.2.2 Steuerobjekt und Betriebsstätte fliessen, muss im Umkehrschluss Im Gegensatz zur Bezugsteuer lässt sich im Rah- 58 auf dem effektiven Entgelt die Bezugsteuer abrechnet men einer Verlagerung von Betrieben, Funktionen werden. Die Steuerpflichtige ist daher gut beraten, in oder Vermögenswerten das Steuerobjekt einfach er- solchen Fällen keine Entschädigung fliessen zu lassen mitteln. Sobald im Rahmen der Verlagerung gewisse und eine bloss gewinnsteuerliche Korrektur in beiden (physische) Gegenstände über die Zollgrenze ge- Ländern vorzunehmen. bracht werden, muss darauf die Einfuhrsteuer erho- ben werden. 54 Interessant ist die Frage, ob eine inländische Tochter- gesellschaft zwar die betriebliche Tätigkeit von der BEISPIEL 10 ausländischen Tochter übernehmen könnte, diese Im Rahmen einer Umstrukturierung eines jedoch zuerst eine gewisse Zeit als Betriebsstätte im Pharmakonzerns wird die Produktion von Ausland weiterführt und erst dann zum inländischen Impfstoffen in die Schweiz verlagert. Dabei Hauptsitz überführt. Dieser Vorgang ist allerdings werden Produktionsanlagen und Rohstoffe unter dem Rechtstitel der Steuerumgehung zu prüfen. von einem Spediteur in die Schweiz ge- bracht. 4.1.4 Steuersatz 55 Die Bezugsteuer kennt die gleichen Steuersätze Bei der Einfuhrsteuer ist irrelevant, in welchem zivil- 59 wie die Inlandsteuer, d.h. der Normalsatz von 7.7 %, der rechtlichen Verhältnis ein Gegenstand über die Zoll- reduzierte Satz von 2.5% und der Sondersatz von 3.7 % grenze in die Schweiz gebracht wird. Selbst wenn (Art. 46 i.V.m. Art. 25 MWSTG). Werden im Rahmen der die gleiche juristische Person einen Gegenstand vom Verlagerung Dienstleistungen bezogen, die von der Ausland ins Inland transportiert, wird die Einfuhrsteu- Steuer ausgenommen sind (bspw. Wertschriften, Be- er erhoben. Für das Auslösen der Steuer genügt es, teiligungen oder Bankguthaben), greift die Bezug- dass der Gegenstand über die Zollgrenze verbracht steuer nicht (Art. 45a i.V.m. Art. 21 MWSTG). wird. Ein Umsatz im mehrwertsteuerlichen Sinne ist nicht vorausgesetzt. 49 Damit greift im Gegensatz zur 4.2 Einfuhrsteuer Bezugsteuer die Einfuhrsteuer auch dann, wenn Ge- 4.2.1 Allgemeine Überlegungen genstände von einem Hauptsitz in eine Betriebsstätte 56 Die Einfuhrsteuer nach Art. 50 - 64 MWSTG er- überführt wird. fasst die Einfuhr von Gegenständen, was vorliegend gemäss Art. 3 lit. b MWSTG namentlich bewegliche 4.2.3 Bemessungsgrundlage (physische) Sachen umfasst. Im Umkehrschluss unter- Die Bemessungsgrundlage der Einfuhrsteuer rich- 60 liegen in die Schweiz eingeführte immaterielle Vermö- tet sich gemäss Art. 54 MWSTG nach der zivilrecht- genswerte wie bspw. Patente und ein Kundenstamm lichen Grundlage der Einfuhr. Wird ein Gegenstand in nicht der Einfuhrsteuer. Von der Einfuhrsteuer befreit Erfüllung eines Veräusserungs- oder Kommissions- sind gewisse in Art. 53 MWSTG aufgeführte Gegen- geschäfts über die Zollgrenze in die Schweiz einge- stände. führt, wird die Einfuhrsteuer gemäss Abs. 1 lit. a auf dem Entgelt erhoben. Wenn das Geschäft allerdings 57 Die Steuerpflicht bei der Einfuhrsteuer richtet sich ge- zwischen eng verbundenen Personen erfolgt, gilt ge- mäss Art. 51 MWSTG nach dem Zollgesetz (ZG), d.h. mäss Abs. 2 als Entgelt der Wert, der unter unabhängi- wer gemäss Art. 70 ZG als Zollschuldner gilt, muss die gen Dritten vereinbart würde. Vorbehältlich hier nicht Einfuhrsteuer bezahlen. Dieser Begriff ist weit gezo- gen und umfasst bspw. den formellen Importeur oder 49 Schluckebier Regine in: Geiger/Schluckebier, die ausführende Spediteurin. Komm. MWSTG, Art. 52 N 1. s. 145 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
26.11.2020 Reformen, MWST/Zoll relevanter Sondertatbestände (lit. b – f) wird in allen sich auf CHF 40 Mio. Allerdings befindet sich übrigen Fällen gemäss Abs. 1 lit. g die Einfuhrsteuer in dieser Maschine eine lizenzierte Software, auf dem Marktwert erhoben. Dabei handelt es sich um der Wert CHF 2 Mio. beträgt. Die Einfuhr- den «Verkehrswert bzw. Veräusserungswert des ein- steuer wird auf CHF 42 Mio. erhoben und die führten Gegenstandes, also dem Erlös, der am Stich- Bezugsteuer auf CHF 58 Mio. tag bei einem Verkauf an einen unabhängigen Dritten hätte erzielt werden können». 50 5. Mehrwertsteuerliche Outbound-Verlagerungen 61 Damit kann festgehalten werden, dass unabhängig davon, ob für die Verlagerung eine Entschädigung 5.1 Inlandsteuer fällig wird und ob eine allfällige Entschädigung dritt- Der Inlandsteuer gemäss Art. 10 - 44 MWSTG un- 65 preiskonform ist, die Einfuhrsteuer immer auf dem terliegt die im Inland von steuerpflichtigen Personen Marktwert erhoben wird. gegen Entgelt erbrachten Leistungen. Als Leistun- gen gelten gemäss Art. 3 MWSTG sowohl die Liefe- 4.2.4 Zusammenspiel mit Bezugsteuer rung von Gegenständen als auch die Erbringung von 62 Interessant ist allerdings das Zusammenspiel von Dienstleistungen. Liegt der Ort der Leistung gemäss Bezug- und Einfuhrsteuer, wenn bspw. ein Betrieb Art. 7 und 8 MWSTG hingegen nicht im Inland, liegt oder eine Funktion inkl. mehrwertsteuerlichen Gegen- eine mehrwertsteuerlich nicht relevante Auslandleis- ständen über die Zollgrenze in die Schweiz überführt tung vor. wird. Aufgrund der breiten Definition des Begriffes «Dienst- 66 63 Im Grundsatz werden (physische) Gegenstände ge- leistungen» gemäss Art. 3 lit. e MWSTG (siehe Ab- mäss Art. 3 lit. b MWSTG mit der Einfuhrsteuer und im schnitt 4.1.2.1), unterliegen analog zur Bezugsteuer Umkehrschluss alles andere (d.h. Dienstleistungen ge- die meisten Formen einer gewinnsteuerlichen Verla- mäss Art. 3 lit. e MWSTG) mit der Bezugsteuer erfasst. gerung im Grundsatz der Inlandsteuer. Da hinsicht- Ausnahmsweise werden allerdings Dienstleistungen lich dem Ort der Dienstleistung jedoch in den meisten dann von der Einfuhrsteuer erfasst, wenn sie in einem Verlagerungsfällen die Sondertatbestände gemäss Gegenstand verkörpert sind. Dabei ist ohne Belang, Art. 8 Abs. 2 MWSTG nicht greifen, unterliegt subsidiär in welchen Verhältnis der Materialwert der Sache und der Ort der Dienstleistung gemäss Abs. 1 dem Emp- der Wert der Dienstleistungen oder Recht zueinander fängerortsprinzip und damit im Ausland. Damit liegt stehen. 51 ein mehrwertsteuerlich nicht relevanter Auslandum- satz vor. Werden im Rahmen der Verlagerung jedoch 64 Nachfolgendes Beispiel illustriert dieses Zusammen- Gegenstände ins Ausland gebracht, liegt der Ort der spiel: Leistung im Normalfall gemäss Art. 7 Abs. 1 MWSTG im Inland; allerdings ist die Inlandlieferung infolge BEISPIEL 11 direkter Beförderung oder Versendung ins Ausland Ein Pharmakonzern überträgt die Auftrags- gemäss Art. 23 Abs. 2 Ziff. 1 MWSTG von der Steuer fertigung von Medikamenten von einer befreit. Obwohl finanziell die Folge von Ausland- und ausländischen Tochtergesellschaft an ihre befreiten Inlandumsätzen identisch sind (d.h. keine inländische Schwestergesellschaft. Der Dritt- preis für dieses Geschäft beläuft sich auf 50 Schluckebier Regine in: Geiger/Schluckebier, CHF 100 Mio. Im Rahmen des Verkaufs wer- Komm. MWSTG, Art. 54 N 29. den Maschinen in die Schweiz überführt. Der 51 Schluckebier Regine in: Geiger/Schluckebier, reine Materialwert dieser Maschinen beläuft Komm. MWSTG, Art. 52 N 8. s. 146 Gewinnsteuerliche Verlagerungen von Betrieben, Funktionen und Vermögenswerten im Mehrwertsteuerrecht
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