Gütiger Größenwahn Der Emir von Katar investiert Milliarden, um aus seinem Land eine Sportnation zu machen. Spätestens im Jahr 2022 soll dort die ...
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Sport FUSSBALL Gütiger Größenwahn Der Emir von Katar investiert Milliarden, um aus seinem Land eine Sportnation zu machen. Spätestens im Jahr 2022 soll dort die Fußball-WM stattfinden – um konkurrenzfähig zu sein, werden in einem globalen Talentwettbewerb die Stars von morgen gesucht. I van Sekazza rückt die weißen Fußball- Fußballer. Im sechsten, dem entscheiden- stutzen zurecht, auf die er mit Filzstift den Testspiel geht es gegen eine Jugend- „Jesus“ geschrieben hat. Auf seinem auswahl des AC Mailand. Ivan macht den Rücken trägt er die Zehn, die Nummer der Anstoß. Spielmacher. „Football Dreams Final“ Für ein Kind aus Kampala muss Katar steht auf einem riesigen Banner im Aspire das Paradies sein. Es gibt hier keine Slums, Dome von Doha. Vom Spielfeldrand sieht die Straßen sind geteert, die Wohnungen Ivan aus wie ein kleiner Profi, aber der haben Strom und Wasser, die Ärzte kosten Junge aus Uganda ist erst 13 Jahre alt. nichts, die Schulausbildung ist umsonst, Ivan kommt aus Kampala, seine vier und wenn im Sommer draußen die Sonne älteren Brüder haben ihn aufgezogen, seit alles Leben verbrennt, sind in der größten vor fünf Jahren auch noch die Mutter Sporthalle der Welt 18 Grad. starb. Er will Profi werden, um seinen Brü- Das Fußballstadion im Aspire Dome hat dern irgendwann alles zurückgeben zu Platz für 8000 Zuschauer, die Leichtathle- können, was sie für ihn getan haben. tikarena fasst 3000, daneben gibt es noch Vor der Reise nach Katar hat der Pries- Fechtbahnen, Squash-Courts und ein ter für ihn gebetet. Er könne, glaubt Ivan, Schwimmstadion. Eine Milliarde Dollar hat den Heiligen Geist herbeirufen, damit Lah- die Sporthalle gekostet. Als in Doha vor me wieder gehen. Der Priester hat ihm gut zwei Jahren die Asien-Spiele ausgetra- auch gesagt, dass er die Worte des Herrn gen wurden, hatte der Emir von Katar, studieren soll. Nun liest Ivan jeden Abend Scheich Hamad Bin Chalifa al-Thani, drei in der Bibel, mitten in der Nacht um vier Milliarden Dollar investiert. Bei der Eröff- und morgens nach dem Aufstehen gleich nungsfeier entzündete sein Sohn Moham- wieder, Psalm 119: „So will ich reden von med auf einem schwarzen Araber-Hengst deinen Wundern.“ die Flamme. Vor ein paar Monaten hörte Ivan, dass Katar ist pro Kopf eines der reichsten Männer aus einem Land namens Katar Länder der Welt und wird es lange bleiben. nach Uganda gekommen waren, um die Das Erdgas aus den Feldern im Persischen besten Fußballer des Landes zu finden. Sie Golf reicht noch für mehr als hundert Jah- haben Ausscheidungsspiele organisiert, re. Der Staatsfonds, mit dem die Herrscher- und Ivan spielte dort besser als die anderen familie ihre Investitionen steuert, ist über Jungs aus seinem Viertel, aus seiner Stadt 50 Milliarden Dollar schwer, das Geld steckt und seinem Land. Er stieg zum ersten Mal in Unternehmen auf der ganzen Welt, in in ein Flugzeug, um sich in Nairobi mit Banken, aber auch bei Airbus. Während den 50 Besten seines Jahrgangs 1995 aus andere Herrscher der Arabischen Halbinsel Tansania, Kenia und Uganda zu messen. Shopping Malls bauen oder Kunst sammeln, Nun gehört er zu den letzten 25 von träumt der Emir von Katar davon, aus sei- 544 000 Jungs des Jahrgangs 1995 aus neun nem Land eine Sportnation zu machen. Ländern Afrikas sowie aus Paraguay und „Sport ist der beste Weg, um jedermann Vietnam. auf dem Globus zu erreichen“, sagt der Das Finale dieses größten Talentwett- Emir. Sein Sohn, der Thronfolger Prinz bewerbs in der Geschichte des Fußballs Tamim, der dem Nationalen Olympischen dauert vier Wochen. Katar sucht den Fuß- Komitee vorsteht, glaubt, dass es wichtiger ballstar von morgen. Dafür werden die sei, Mitglied im Internationalen Olympi- Kinder ausgiebig getestet und untersucht. schen Komitee zu sein als bei der Uno. Sie trainieren täglich, und in sechs Partien Ehrgeiz und Größenwahn scheinen spielen sie um ihre Zukunft, denn die grenzenlos in dem Land, das halb so groß besten drei dürfen in Doha bleiben und bekommen eine Ausbildung zum Profi- * Mit Ivan Sekazza aus Uganda (2. v. l.). Nachwuchsfußballer in Katar*, Sportakademie 122 d e r s p i e g e l 8 / 2 0 0 9
wie Hessen ist und abseits der Hauptstadt aus Wüste besteht. Überall werden teil- weise spektakuläre Sportanlagen gebaut, beispielsweise das „Laptop-Stadion“, das zu zwei Dritteln unter der Erde liegt und dessen Haupttribüne wie ein aufgeklappter Computerbildschirm aufragt. Seit 1993 hat Doha ein Tennisturnier der ATP-Tour, Preisgeld heute eine Million Dollar. Das erste Turnier gewann damals Boris Becker, in diesem Jahr hieß der Sie- ger Andy Murray. Bei den Katar Masters, seit 1998, spielen die Golfprofis der Euro- pean Tour um 2,5 Millionen Dollar, und ebenfalls im Winter, wenn die Temperatu- ren einigermaßen erträglich sind, lassen die Katarer die Radprofis durch die Wüste fahren. Sogar für die Olympischen Spiele 2016 hat sich Katar beworben. Und weil sie aus klimatischen Gründen schon in der Vor- auswahl scheiterten, wollen sie nun die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 oder 2022 ins Land holen. Der Aspire Dome ist das Herz der fürst- lichen Ambitionen und das Zentrum einer Akademie. 300 Experten aus mehr als 60 Ländern sollen die Sporttalente von Katar zur Weltklasse führen, gefördert werden Leichtathleten, Tischtennis- und Squash- Spieler, Segler und Fußballer. Das Problem ist nur, dass es gerade mal so viele Katarer wie Oberhausener gibt. Von den einein- halb Millionen Einwohnern hat nur jeder siebte die Staatsbürgerschaft. Sie haben schon viel versucht. Im Fuß- ball zum Beispiel wurden vor ein paar Jah- ren die besten jungen Talente des Landes zu Vereinen in Europa geschickt und schei- terten. Sie holten dann Stars wie Mario Basler oder Stefan Effenberg ins Land, um das Niveau der Liga in Katar zu heben, doch die teuer eingekauften Altstars enga- gierten sich nur in Maßen. Oder aber sie machten ausländischen Profis wie den in Deutschland spielenden Brasilianern Ail- ton oder Dede das Angebot, für 1,5 Mil- lionen Euro die Staatsangehörigkeit zu wechseln, was schließlich vom Weltfuß- ballverband verboten wurde. „Football Dreams“ ist so etwas wie ein Neuanfang, ein Versuch, die besten Talen- te ins Land zu locken. Der ehemalige spa- nische Profi Josep Colomer hatte die Idee dazu. Er war Assistenztrainer des brasilia- nischen Nationalteams, das 2002 im Fina- le der Weltmeisterschaft Deutschland be- siegte, er hat an der französischen Fuß- ball-Eliteschule Clairefontaine gearbeitet und die Nachwuchsabteilung beim FC Bar- celona geleitet. Colomer ist der Mann, der Lionel Messi entdeckte, als er so alt war FOTOS: THOMAS HEGENBART wie heute Ivan Sekazza. Der Fußball in Europa, sagt Colomer, lebe in einer Blase aus zu viel Geld und zu viel Hysterie. Seit 2006 reist er an 250 Tagen im Jahr durch Entwicklungsländer, um die Talentsuche zu organisieren, in Aspire: „In Europa spielen die Kinder Fußball zum Spaß, in Afrika um ihr Leben“ mehr als 800 Orten hat er im vergange- d e r s p i e g e l 8 / 2 0 0 9 123
Sport nen Jahr Ausscheidungsspiele veranstal- Er sagt, dass es keine kommerziellen In- Schulunterricht wurde ihnen beigebracht, tet, 6000 Freiwillige haben ihm geholfen. teressen gebe an den Kindern. Aspire ist was ein Reisepass ist, wie ein Bankkonto Rund zehn Millionen Euro soll es gekostet kein Fußballclub und damit sowieso nicht funktioniert und wie ein Flugticket zu lesen haben, um aus mehr als einer halben Mil- im Besitz der Transferrechte. Bleicher sieht ist. Aus Angst vor dem Neid verzichteten lion Fußballern die besten 25 zu finden. die Aufgabe darin, Aspire zur besten einige in den Ferien sogar auf die kosten- In Afrika reisten die Kinder aus ent- Sportakademie der Welt zu machen. „Wir lose Heimreise nach Hause, weil sie es nicht legenen Dörfern schon am Vortag an und wollen die sein, die den nächsten Messi ertragen konnten, wieder ständig wegen übernachteten am Spielfeldrand, weil sie oder Ronaldinho gefunden haben.“ Geschenken angebettelt zu werden. ihre Chance nicht verpassen wollten. Im Für die Kinder ist der Wechsel der Wel- Aber sie spielen Fußball wie kleine Göt- Süden Nigerias, auf einer Insel im Niger- ten schwierig. Den Gewinnern des vergan- ter. Samuel aus Kumasi in Ghana ist schnel- Delta, schützten die Einwohner die Scouts genen Jahres fiel es schwer, sich an das Le- ler als alle seine Gegenspieler. Innocent aus vor den allgegenwärtigen Kidnappern, um ben im Internat anzupassen. Sie mussten Gboko in Nigeria könnte der neue Rober- die Auswahlspiele nicht zu gefährden. In sich erst daran gewöhnen, allein in ihren to Carlos werden. Seinen Landsmann So- Ghana drohten Bewaffnete Colomer mit Zimmern zu sein. Es gab Jungs, die zum lomon nennen sie „Master“, weil er das seiner Erschießung. Und in Kamerun fehl- ersten Mal in ihrem Leben eine Toilette mit Spiel lenkt wie ein Dirigent. Und Ivan? te plötzlich am zweiten Tag der Sichtung Wasserspülung gesehen haben. Und im „Sehr schnell, gute Auffassungsgabe und ein ganz besonders begabtes ein Linksfüßler, davon gibt es Kind, weil es über Nacht gestor- Showcase beim Frauen-Tennisturnier nicht so viele“, sagt „Football ben war. Dreams“-Erfinder Colomer, Für den Spanier ist das Scou- „aber er muss sich technisch ting zur Mission geworden. Dabei noch verbessern.“ hatte er die Idee 2006 von der Sie treffen heute zum zweiten Casting-Show „American Idol“ Mal auf die Nachwuchsspieler abgeleitet, die hier „Deutschland des AC Mailand. Vor dem ersten sucht den Superstar“ heißt. Die Spiel gaben sich die Vereins- Marketingabteilung von Aspire kameraden von Weltfußballer wollte das Finale in einem saudi- Kaká und Ronaldinho selbst- arabischen Sportkanal entspre- bewusst, fast arrogant, und ver- JULIAN FINNEY/GETTY IMAGES chend aufbereiten. Colomer ver- loren dann 0:7 gegen die Kinder hinderte das, weil er schon bei aus der Armutszone. Stefano der Vorbereitung zur ersten Aus- Eranio, der Mailänder Trainer, gabe der „Football Dreams“ 2007 war fassungslos und begeis- die existentielle Dimension ver- tert. „Sie sind technisch un- stand. „In Europa spielen die glaublich und physisch sensatio- Kinder Fußball zum Spaß, in nell, meine Jungs hätten sie er- Geplanter Stadionneubau (Computersimulation) Afrika um ihr Leben.“ schießen müssen, um sie zu Die Katarer glaubten, ihre stoppen.“ Nationalmannschaft auf diese Nun, beim zweiten Spiel, dem Weise zu einem Dreamteam des entscheidenden für die 25 Aus- Weltfußballs machen zu kön- erwählten, wollen die Italiener nen. Schließlich hatten sie vor- nicht noch einmal untergehen. her bereits Leichtathleten wie Die Kinder aus Mailand mau- den Kenianer Stephen Cherono ern. Zur Halbzeit steht es 0:0, eingebürgert, der dann über Ivan wird ausgewechselt, am 3000 Meter Hindernis zweimal Ende gewinnen die Aspire-Kin- die Weltmeisterschaft für Katar der 2:0. Er gibt sich Mühe, seine holte. Im Fußball ist das inzwi- Enttäuschung nicht zu zeigen. schen nicht mehr so leicht mög- Keine Tränen, keine Wut, er re- MZ & PARTNERS lich, weil der Weltfußballver- det cool wie ein Profi. band seine Statuten geändert Sein Fußballtraum Katar ist hat. Ivan Sekazza wird, wenn zu Ende, aber er muss nicht überhaupt, erst mit 23 für Katar zurück nach Kampala. Zusam- spielen dürfen. Bis dahin sollen Profi-Radtour Katar men mit den meisten anderen, die Kinder aus der Dritten Welt die es nicht unter die ersten drei die einheimischen Talente for- geschafft haben, wird er nun im dern und fördern: Die Armen Senegal leben. 30 Kilometer aus Afrika können den Kindern außerhalb von Dakar hat Aspire der Satten zeigen, was Willen einen Ableger der Akademie ge- und Entschlossenheit im Sport gründet. Ivan soll dort auf sein ausmachen. Leben als Profi vorbereitet wer- Der Deutsche Andreas Blei- den, er wird zur Schule gehen cher ist der Sportdirektor von und sein Spiel verbessern, er Aspire. Er war früher Leiter des wird Französisch lernen und die TIM DE WAELE / CORBIS Olympia-Stützpunkts Rheinland, elementaren Dinge des Lebens. und für ihn ist das Projekt „Foot- Und er wird so oft wie möglich ball Dreams“ auch eine huma- in der Bibel lesen, Psalm 119: nitäre Geste, mit der Stipendien „Ich erzähle Dir meine Wege an Hochbegabte aus Entwick- und Du erhörst mich.“ lungsländern vergeben werden. Sportnation Katar: Grenzenloser Ehrgeiz Christoph Biermann 124 d e r s p i e g e l 8 / 2 0 0 9
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