Hintergrund - WWege psychisch beeinträchtigter Menschen in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven aus der EM-Rente in Arbeit (WEMRE)
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Reha-Seminar an der Universität und Universitätsklinik Würzburg, 28. Oktober 2020 Institut für Rehabilitationswissenschaften Projektbüro: Prof. i. R. Dr. Ernst von Kardorff Wege psychisch beeinträchtigter Menschen in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven aus der EM-Rente in Arbeit (WEMRE) gefördert durch: Kooperationspartner: DRV Bund, DRV Westfalen, DRV Berlin-Brandenburg Referent: Dr. Alexander Meschnig Team: Prof. i.R. Dr. Ernst von Kardorff, Dr. Sebastian Klaus, Anna Rosa Ostern (stud. Hilfskraft), Yvonne Rafalzik (stud. Hilfskraft) Hintergrund Zunahme von EM-Berentungen aufgrund diagnostizierter psychischer Beeinträchtigungen ist eine gesellschaftliche, volkswirtschaftliche und versorgungsbezogene Herausforderung: Seit 2009 stehen EM-Berentungen wegen F-Diagnosen an erster Stelle: 1993 betrug ihr Anteil lediglich 15,3%, 2018 waren es insgesamt 42,7 % (DRV Bund 2019) Hauptdiagnosen sind dabei mit steigender Tendenz F3 und F4 Diagnosen Durchschnittsalter bei Erstbewilligung wegen F-Diagnosen: 48,1 Jahre im Verhältnis zu 51,1 Jahren bei somatischen Erkrankungen 30 Prozent der Männer und 47 Prozent der Frauen sind 2016 wegen „psychischer Erkrankungen ohne Sucht“ in den EM-Rentenbezug eingetreten 46% der Erstbezieher/innen von EM-Renten wegen F-Diagnosen haben vor dem Rentenantrag keine medizinische Rehabilitation in Anspruch genommen Nur ca. 5% der wegen einer F-Diagnose befristet berenteten Personen kehren auf den Allgemeinen Arbeitsmarkt zurück (Kobelt 2009), dies steht in Kontrast zur Rückkehrmotivation in verschiedenen Studien; Briest 2018, Zschucke et al. 2016 Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 2
EM-Berentung wegen Psyche I Quelle: http://www.sozialpolitik- aktuell.de/tl_files/sozialpolitik - aktuell/_Politikfelder/Arbeitsb edingungen/Datensammlung/ PDF-Dateien/abbV11.pdf Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 3 EM-Berentung wegen Psyche II Insbesondere Zunahme der EM-Berentungen wegen F3-Hauptdiagnose und hier Depression. Quelle: BPtK 2013 Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 4
Studienziele Rekonstruktion biographischer Verläufe bis zum Eintritt in die EM-Rente (Schlüsselmomente, Wendepunkte etc.) um Hilfebedarfe im zeitlichen Verlauf zu identifizieren Analyse von Krankheitsverläufen und Inanspruchnahmen psychologischer/medizinischer Angebote Erhebung der Motivationen zur, der Erwartungen an und der Begründungen für EMR-Anträge Ausarbeitung unterschiedlicher Bewältigungsmuster des Umgangs mit der EM-Rente (Änderungen der Einstellungen, Erwartungen, Anpassungstrategien, etc. im Zeitverlauf) Erhebung der (RTW)Motivationen zu und der Unterstützungsbedarfe beim Return to Work (RTW) Ableitung charakteristischer Fallkonstellationen zu Wegen in die EM-Rente und zu RTW- Perspektiven Empfehlungen für: ¾ Ansatzpunkte (zusätzlicher) Präventionsangebote vor der EM-Rente ¾ medizinisch-psychologische Angebote im EM-Rentenbezug ¾ Unterstützungsangebote für eine Rückkehr in Arbeit bei Personen mit RTW-Motivation und Potentialen 5 Stichprobengenerierung Versandte Fragebögen: 3.653 Versicherte (August 2017 bis April 2018), Erstbewilligung, F3 oder F4 Diagnose DRV Bund (N=2815) Diagnosegruppe Geschlecht Anzahl Rücklauf der Fragebögen: F3 (1.946) Männlich 420 Rentenversicherung Anzahl Rücklaufquote Weiblich 1526 (N=599) F4 (869) Männlich 144 Westfalen 57 9,6% Weiblich 725 DRV Berlin-Brandenburg (N=261): 43 16,5% Berlin Brandenburg Diagnosegruppe Geschlecht Anzahl F3 (168) Männlich 64 Bund 499 17,7% Weiblich 104 F4 (93) Männlich 33 Weiblich 60 Datengrundlage für die Verlaufsstudie: DRV Westfalen (N=597) Diagnosegruppe Geschlecht Anzahl Sample F3 (409) Männlich 199 Fragebogenerhebung N=589* Weiblich 210 F4 (188) Männlich 86 Interviewte N=45 Weiblich 102 Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 6
Studiendesign Sample Mixed-Method-Design mit Fragebogenerhebung N=589 qualitativer Längsschnitterhebung Interviewte N=45 Angeschrieben wurden insgesamt 3.653 Ver- sicherte der DRV Bund, RV Westfalen und RV Fragebogenerhebung Fragebogenauswertung Berlin-Brandenburg von August bis Oktober 2017 (Vollerhebung) Narratives Interview Telefoninterview Leitfadeninterview Interviewauswertung: Narrations- und Sequenzanalyse, kontrastive Fallstudien Expert/inneninterviews II: Expert/inneniterviews I: Exploration Ergebnissicherung Beirat Beirat Endbericht Oktober 2017 2018 2019 2020 September 2020 Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 7 Stichprobenbeschreibung I Projektstichprobe (N=589) DRV-Bund (N=2806) Geschlecht Weiblich 75,8% 79,8% Männlich 24,1% 20,2% Alter bis 39 Jahre 8,5% 10,7% 40-49 Jahre 18,5% 22,4% 50-59 Jahre 71,6% 65,8% Über 60 J. 1,0% 1,1% Schulabschluss ohne Abschluss - 1,5% Hauptschule 18,9% 20,5% Realschule + POS 48,6% 53,7% FH-Reife + Abitur 30,2% 24,3% Keine Angabe 2,3% - Berufsabschluss ohne beruflichen Abschluss 6,3% 6,1% Lehre 57,0% 79,9% Fachschule 22,5% 5,1% FH + Universität 14,2% 8,9% Lebenssituation allein lebend 38,9% 46,4% mit Partner 60,8% 53,6% 8
Stichprobenbeschreibung II Projektstichprobe (N=589) DRV Stichprobe (N=2806) Diagnose F3 70,3% 69,1% F4 29,7% 30,9% Komorbidität Ja 86,1% Nein 13,9% - Reha vor Rente Med. Reha 78,0% - Berufl. Reha 19,8% Befristung Befristet 82,0% 74,5% („Zeitrente“) Unbefristet 17,2% 25,5% („keine Zeitrente“) 9 Stichprobenbeschreibung (qualitativ) Zustimmung zum Interview durch die Versicherten (Einwilligungserklärung): Ja = 51,2% (N=307); Nein = 38,2% (N=229); Keine Angabe = 10,6% (N=63). Auswahl für die Interviews ¾ Kein Ziel der Repräsentativität, sondern möglichst großer Variabilität aus dem vorhandenen Sample ¾ Suche anhand des Fragebogens nach Personen mit möglichst minimalen Unterschieden bzw. maximalen Kontrasten (minimaler und maximaler Vergleich) Jüngere Teilnehmer (30-39 Jahre), Männer und F4-Diagnosen sind dabei - im Verhältnis zu Gesamtstichprobe – überproportional in die Gruppe der von uns interviewten Personen aufgenommen worden. ¾ Theoretische Sättigung nach der Befragung von 45 Personen aus dem Sample erreicht (d. h. keine signifikanten neuen Ergebnisse mit der Befragung weiterer Personen mehr zu erwarten). Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 10
Ergebnisse: Wege in die EM-Rente Es gibt keinen typischen Weg in die EM-Rente! Sehr heterogene biografischen Verläufe (vom ehemaligen Manager bis zu Personen ohne berufliche Ausbildung) ¾ Lange stringente Erwerbsbiografie mit intaktem Familienleben ¾ Brüchige Erwerbsbiografie und alleinlebend ¾ Und alles was es dazwischen gibt…. Entstehung und Chronifizierung der psychischen Beschwerden in unterschiedlichen Lebensphasen und –lagen ¾ Wechsel zwischen Krisen und Phasen relativer Stabilität Æ kein linearer Verlauf Keine Auffälligkeiten bei den Berufsfeldern oder Branchen ¾ ABER: Tendenz zu personenbezogenen Dienstleistungsberufen und Positionen mit Leitungsfunktionen Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 11 Unterstützung bei der EM-Rente (Prozente) Wie sind Sie in die EM-Rente gekommen? Fragebogenergebnisse spiegeln sich auch in den Interviews Eigeninitiative 47 wieder. Empfehlung des Hausarztes, eines Facharztes der Psychologen 68,9 Besonders häufig Empfehlung Empfehlung des Betriebsarztes, des betrieblichen Gesundheitsmanagement 5,1 zum EM-Rentenantrag aus dem Gesundheitssystem (Klinik, Empfehlung eines Vorgesetzten oder eines Arbeitskollegen 5,6 Reha, Psychotherapeut, Psychiater, Hausarzt). Auf Empfehlung des Reha-Fachberaters der Rentenversicherung 24,6 Empfehlung der Arbeitsagentur/des Jobcenters 22,4 Meist auf Druck des Jobcenters. Empfehlung Familie / Freunde 28 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 12
Inanspruchnahme von Angeboten vor EM-Rente (Prozente) Welche Angebote haben Sie bislang genutzt? N=590 Rege Inanspruchnahme psychiatrisch- Psychologische Beratung 75,3 psychotherapeutischer Angebote vor der EM-Rente. Medizinische Rehabilitation 78 7 Berufliches Gesundheitsmanagement 10,3 Selbsthilfegruppen 23,1 Auffälligkeiten: Psychotherapie 84,1 54 % der Erstbezieher haben eine med. Reha vor dem EM-Rentenbezug Berufliche Rehabilitation 19,8 absolviert (DRV Bund 2015), in unserer Stichprobe aber 78% Onlineplattformen 16,8 LTA-Maßnahmen werden selten oder Wellnessangebote 21,5 zu spät (?) in Erwägung gezogen. 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 13 Aktuelle Unterstützung (Prozente) Welche Unterstützungsangebote nehmen Sie aktuell in Anspruch? N=589 Partiell stehen somatische Beschwerden im Stationäre Rehabilitation 4,9 Vordergrund Ambulante Rehabilitation 9,8 Facharzt 72,8 Im EM-Rentenbezug abnehmender Bedarf oder Psychotherapie 66,2 Ende der Langzeittherapie, obwohl z. T. noch weiterer Selbsthilfegruppen 17,8 Bedarf besteht Hausarzt 71,3 Therapeut und Hausarzt als alltagsweltlicher Sonstiges 29 Berater 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 14
Charakteristische Varianten für Wege in die EM-Rente Frühes psych. belastendes Erlebnis (Misshandlung, Schwere somatische Erkrankung Familienkonstellation, Unfall) Starke psychische Belastung in Verdrängung über viele Jahre Psychische Komorbidität Arbeit und/oder Familie Schleichende Chronifizierung der psychischen Beschwerden; Reaktivierende äußere Ereignisse psychische Komorbiditäten Präsentismus in der Arbeitswelt; Verschleierung in der Familie Zusammenbruch und vorübergehende AU Brüchige Erwerbsbiografie / ALO Beantragung einer EM-Rente Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 15 Drei Motive zum Antrag der EM-Rente* EM-Rente aufgrund der fehlenden Perspektive, weiterhin dauerhaft der Berufstätigkeit nachgehen zu können ¾ Zunehmende psychische Belastungen ¾ Verkürzung der Zeiten der Berufsausübung zwischen den AU-Tagen ¾ Inanspruchnahmen psychiatrisch-psychotherapeutischer Angebote verlieren an Wirkung Entkommen einer ausweglos scheinenden Situation ¾ EM-Rente als Rettungsanker eines nicht mehr funktionierenden Lebenswegs ¾ EM-Rente als Auszeit für biografische Neujustierung EM-Rente als dauerhafte Alternative zur eingetretenen Arbeitslosigkeit ¾ Subjektive Wahrnehmung der fehlenden Perspektive, aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen wieder in Erwerbsarbeit zu gelangen ¾ Sehr häufig Komorbiditäten (multiple psychische Beeinträchtigungen oder Kombination aus psychischen und somatischen Beeinträchtigungen) Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 16
Erwartungen an die EM-Rente Zeit für intensive Krankheitsarbeit Intensive Inanspruchnahme ambulanter psychiatrisch-psychologischer Angebote ¾ Klinikaufenthalte ¾ Ausrichtung des Alltags an die gesundheitlichen Einschränkungen Etablierung einer gesundheitsförderlichen Alltagsstruktur Zeit für Aktivitäten, die nicht psychisch belasten Ressourcen aktivieren, um Stressoren im Alltag besser entgegenwirken zu können Zurückkehrende Selbstbestimmung bei vorheriger Abhängigkeit vom Jobcenter ¾ Dem neuen Leben eine eigene Struktur geben Befreiung aus den Zwängen psychisch belastender Erwerbsarbeit ¾ Die Entscheidung, eine EM-Rente zu beantragen, stellt auch eine psychische Entlastung dar, weil damit der normativ-gesellschaftlichen Zwang zur Erwerbsarbeit umgangen wird (im Kontrast zur ALO) Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 17 Höhe der EM-Rente Quelle: http://www.sozialpolitik- aktuell.de/tl_files/sozialpolitik -aktuell/_Politikfelder/Alter- Rente/Datensammlung/PDF- Dateien/abbVIII47b.pdf Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 18
Lebenslagen mit der EM-Rente Die finanzielle Lage ist für viele der Befragten mit um die 1.500 €/Monat etwas besser als die Statistik vermuten lässt! ¾ Personen mit zuvor stabiler Erwerbsbiografie und gutem Einkommen Neben der EM-Rente verfügen viele Studienteilnehmer über zusätzliche Einnahmen ¾ Rente der Berufsgenossenschaft ¾ Betriebliche Rente ¾ Waisen- oder Witwenrente ¾ Nebenjobs Gemeinsame Veranlagung mit Partner entspannt zudem die finanzielle Lage ¾ Meist verfügen diese Personen über ein rund 1.000 €/Monat geringeres Haushaltseinkommen gegenüber der Zeit der vollen Erwerbstätigkeit Gelingendes Arrangement mit dem Leben in der EM-Rente. ¾ Finanzielle Sparmaßnahmen (z.B. weniger Urlaube, kleineres Auto). ¾ Prioritätenverschiebung: Von Prestige hin zu Gesundheit. Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 19 Lebenslagen mit der EM-Rente Einige Studienteilnehmer finden sich im EM-Rentenbezug unterhalb des Existenzminimums wieder ¾ Meist alleinlebende Personen mit monatlich weit unter 1.000 € ¾ Partiell begleitet von einer Privatinsolvenz ¾ I.d.R. Personen mit brüchiger Erwerbsbiografie ¾ EM-Rente als unverschuldeter Schicksalsschlag, der individuell zu managen ist Arrangement mit der EM-Rente gelingt unterschiedlich gut ¾ Entscheidend dafür sind nicht nur die Höhe der EM-Rente, sondern auch die in die EM-Rente transformierten Ansprüche Dementsprechend fällt auch die subjektive Deutung des Existenzminimums unterschiedlich aus Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 20
Leben mit der EM-Rente Krankheitsarbeit Alltagsarbeit Biografiearbeit Medizinisch- Aufbau einer therapeutische neuen Angebote Selbstsorge Normalität Realistisches RTW-Szenario Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 21 Unterschiedliche RTW-Perspektiven Neue Normalität mit EM-Rente Normative RTW-Orientierung ca. 60 % ca. 20 % Strikter Ausschluss eines RTW RTW-Wunsch mit Blick auf das Häufig somatische Beschwerden Umfeld (soziale Erwünschtheit) Einrichten in/Abfinden mit der EM- TN sehen sich (noch) nicht als Rente arbeitsfähig RTW-Szenario Gelungener RTW, ca. 20 % 3 von 45 Personen: Manifester Rückkehrwunsch eine Person in VZ ; eine Person in TZ; Positive Gesundungserwartung eine Person in WfbM Fehlende Infos und Unterstützung Eher jüngere Personen < 50 J. Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 22
Personen mit realistischem RTW-Szenario Tendenziell jüngere Personen < 50 Jahren Sehr frühe erste psychische Belastungen; Kindheit in problematischen Familienkonstellationen Frühe (teilweise erzwungene) Loslösung vom Elternhaus Suche nach neuen sozialen Kontakten; frühe feste Partnerschaft, soziale Welten Sporadische Versuche der Aufarbeitung der psychischen Belastungen in der Jugend Aufbau einer starken beruflichen Identität; auch als Kompensation der geringen Identifikation mit der Familie Stringente Erwerbsbiografie im „Traumberuf“; i.d.R. personenbezogene Dienstleistungsberufe Rückkehr psychischer Belastungen in Partnerschaft und Arbeit EM-Rente als Strategie, dem nicht mehr passfähigen Lebensweg zu entkommen Kurze Inanspruchnahme medizinisch-therapeutischer Angebote vor dem Antrag Empfehlung auf EM-Rente in einer Klinik und/oder von niedergelassenen Ärzten EM-Rente als Auszeit für biografische Neujustierung Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 23 Zwei Fallbeispiele mit RTW Potenzial Herr Ballauf, 54 Jahre, in Partnerschaft lebend, 2 Kinder (kein Kontakt) Scheidung, HIV Diagnose, Depressive Medizinische „Coming Out“ depressive schwere Phasen, Rehabilitation Phasen Depression Suizidgedanken Florist, arbeitet aber Überforderung am Selbständiger Aufgabe des Umschulung zu EM-Rentenantrag, in Betrieb des Arbeitsplatz, Florist Geschäfts Bürokaufmann unbefristet bewilligt Schwiegervaters Krankschreibung Frau Bunt, 40 Jahre, in Partnerschaft lebend, 2 Kinder Manisch-depressive Immer wieder Lange Geburt zweier Durchgehend in ambulanter Phasen bereits in Psychiatrie- depressive Kinder psychiatrischer Behandlung der Jugend aufenthalte Phasen Häufige Neuer Job und weitere Aufgrund mangelnder Medizinstudium Arbeit als Jobwechsel da Kündigung, danach lange Perspektiven Entschluss auf EM- mit Abschluss Zahnärztin gekündigt Arbeitslosigkeit Rentenantrag, befristet bewilligt Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 24
Aktuelle Situation (ca. 18 Monate nach Erstbewilligung) Herr Ballauf (54 Jahre) Akzeptanz des EM-Rentenstatus verringert sich mit der Zeit, will wieder arbeiten, weiß aber zunächst nicht wie er dabei vorgehen soll (Æ Informationsdefizit) bewirbt sich nach ein paar Monaten auf zwei Teilzeitstellen im Verkauf, die er aber nicht weiter verfolgt, da er lieber im sozialen Bereich tätig sein möchte (Æ Eigeninitiative) Gesundheitlich stabil, depressive Phasen treten während unserer Interviewzeit selten auf. Die abgebrochene Beziehung zu seinen Kindern beschäftigt ihn weiter, er unternimmt aber real nicht wirklich etwas dagegen, aus Angst abgelehnt zu werden (Æ nimmt dafür Psychotherapie in Anspruch) etwa 2 Monate nach unserem letzten Gespräch schreibt Herr Ballauf mir eine Email, dass er nun auf 480.- € Basis in einem Altenheim am Empfang arbeitet und es ihm sehr gut damit geht (RTW, ja oder nein?) Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 25 Aktuelle Situation (ca. 18 Monate nach Erstbewilligung) Frau Bunt (40 Jahre) ihre Situation ist im dritten Interview unverändert, ihr Wunsch und die Hoffnung wieder arbeiten zu können sind zwar weiter vorhanden (Æ normativer RTW- Wunsch), der entscheidende Schritt wird aber stetig hinausgezögert, da sie ihrer Einschätzung nach (noch) nicht so weit ist (Angst vor geringer Leistungsfähigkeit) Privat: Überforderung durch Kindererziehung, ihr Mann kompensiert viel, dennoch zeigen die Kinder Verhaltensauffälligkeiten in Kita und Schule (Æ ungünstige RTW-Prognose) Frau Bunt hatte zum dritten Interviewzeitpunkt, durch Kontakt zu Nachbarin, das Angebot als Schulzahnärztin stundenweise zu arbeiten, traut sich das aber nicht zu, da stabile Phasen nach wie vor von instabilen abgelöst werden, ein länger andauernder RTW ohne Unterstützung und Begleitung ist unwahrscheinlich (Æ wechselnde Phasen der Belastbarkeit als Herausforderung) Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 26
Hemmschwellen für die Umsetzung des RTW Es fehlen Informationen und Unterstützungsangebote seitens der DRV und auch anderer Reha-Träger; Unklarheiten über Voraussetzungen für Unterstützungsangebote Fehlende Möglichkeiten, sich entsprechend der Vorgabe von max. 3 Stunden pro Tag neue Berufsfelder über Praktika zu erschließen Zunehmende Unsicherheiten während des EM-Rentenbezugs in der Beurteilung der eigenen Leistungsfähigkeit bezüglich der Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarkts Fehlende Rückkehrmöglichkeit in den EM-Rentenbezug bei einem misslingenden RTW (hier schwedisches Modell als Alternative: seit 2009 gesetzlich verankerte Möglichkeit wieder in Erwerbsleben zurückzukehren ohne Verlust des Anspruchs auf AU-Rente) Der RTW ist für unsere Interviewten ein Vorhaben in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko! Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 27 Empfehlungen I Einrichtung eines regional gegliederten Case-Managements für die RTW Begleitung ¾Zielgerichtetes Angebot eines Informations- und Beratungsgesprächs (mit biografischer Anamnese) ca. 3-6 Monate nach Erstbewilligung einer (befristeten) EM-Berentung an Personen mit einer potenziellen RTW-Perspektive ¾Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Gewährleistung von Reha-Maßnahmen während des EM-Rentenbezuges ¾Klärung der Motivation und der Ziele; Berufswege-/Wiedereinstiegsplanung; Finanzielle Beratung (individuelles Risikoprofil), ggf. Belastungserprobung und/oder Reha ¾Vermittlung und Betreuung von Praktika, Probearbeiten, LTA-Maßnahmen ¾Weitere Unterstützungsangebote (Hilfe bei der Jobsuche: Person-Environment-Fit, Job- Coaching, aber auch Familienhilfe) ¾RTW-Begleitung bis zu 12 Monaten ¾Besprechung von Alternativen jenseits des ersten Arbeitsmarkts (480.-€ Jobs, Ehrenamt, etc.) Würzburg 28.10.2020 Reha-Seminar ONLINE: Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit
Empfehlungen II Fallvignetten zur Sensibilisierung des Case-Managements für die Zielgruppe der Personen mit „berufsbiografischer Neuorientierung“, ggf. auch für Personen mit einer „normativen RTW-Orientierung“ Verlängerung des Bewilligungszeitraums für die Zeit der Begleitung durch das Case-Management, wenn trotz aller Bemühungen eine Rückkehr in Arbeit nicht gelingt Bei allen Angeboten zu einer möglichen Rückkehr in Arbeit ist es unerlässlich, einen „Erprobungsraum“ zu gewähren, da die Ängste vor dem Verlust der Sicherheit der EM-Rente für die überwiegende Mehrzahl der Befragten das Haupthindernis für den Versuch einer Rückkehr in Arbeit darstellt „Schwedisches Modell“ (Kein Verlust des EM-Anspruchs bei einem Scheitern des RTW) Würzburg 28.10.2020 Reha-Seminar ONLINE: Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 29 Herausforderung für die Forschung Identifizierung von Personen mit RTW-Perspektiven über einen Kriterienkatalog biografischer Daten auf der Basis einer Verknüpfung von: ¾ Routinedaten (Alter, Geschlecht, Bildungsabschlüsse, Diagnosen, Komorbidität, Inanspruchnahme von Behandlungen und Reha-Leistungen, AU- und ALO-Zeiten) ¾ Qualitative biografische Daten (Familien- und Berufsgeschichte, Kritische Lebensereignisse, Wege in die EM-Rente, aktuelle soziale Situation, Erwartungen und Motivation an RTW und darauf bezogene Unterstützung, persönliche bzw. familiäre Zukunftsplanung) ¾ Entwicklung einer Heuristik zur Identifikation von Personen mit RTW Potenzial und Wunsch; ein rein statistisches Screening-Instrument reicht dafür nicht aus Machbarkeitsanalyse zur organisatorischen, sozialrechtlichen und inhaltlich-fachlichen Umsetzung sowie zu den Kosten und der Akzeptanz bei den Versicherten und den Fachkräften Modellhafte Erprobung in Regionen mit unterschiedlicher Arbeitsmarktsituation und unterschiedlicher Versorgungsdichte Würzburg 28.10.2020 Reha-Seminar ONLINE: Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 30
Institut für Rehabilitationswissenschaften Projektbüro: Prof. i. R. Dr. Ernst von Kardorff Wiss. Mitarbeiter: Dr. Sebastian Klaus, Dr. Alexander Meschnig Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Interesse! Würzburg 28.10.2020 Wege in die EM-Rente und Rückkehrperspektiven in Arbeit 31
Sie können auch lesen