Todesfälle durch Naturgefahrenprozesse in der Schweiz von 1946 bis 2015 - SLF

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Todesfälle durch Naturgefahrenprozesse in der Schweiz von 1946 bis 2015 - SLF
Todesfälle durch Naturgefahrenprozesse
in der Schweiz von 1946 bis 2015
Norina Andres, Alexandre Badoux, Frank Techel, Christoph Hegg

                                                                                             bis 2015. Die Schadenlawinendatenbank
                                 Zusammenfassung
                                                                                             des WSL-Instituts für Schnee- und Lawi-
 Basierend auf zwei bestehenden Datenbanken und einer Zeitungsrecherche, wurde
                                                                                             nenforschung, SLF, registriert seit dem
 an der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, WSL, eine neue
                                                                                             Winter 1936/37 Informationen zu Schä-
 Datenbank mit Todesfällen durch Naturgefahrenprozesse für die Jahre 1946–2015
                                                                                             den und Todesfällen infolge von Lawinen.
 erstellt. Berücksichtigt wurden Todesfälle infolge von Hochwasser, Rutschungen,
                                                                                             Aus dieser Datenbank wurden Todesfälle
 Murgängen, Sturzprozessen, Windstürmen, Blitzschlägen, Lawinen und weiteren
                                                                                             in Siedlungsgebieten, auf Baustellen und
 (seltenen) Prozessen (z. B. Erdbeben und Eislawinen). Berücksichtigt wurden alle
                                                                                             auf Verkehrswegen (inklusive offene Ski-
 Todesopfer durch Naturgefahren, die sich nicht bewusst oder absichtlich einer of-
                                                                                             pisten und Wanderwege) extrahiert. Lawi-
 fensichtlichen Gefahr ausgesetzt haben. Insgesamt wurden in den 70 Jahren der
                                                                                             nentote abseits von Verkehrswegen oder
 Studienperiode 1023 Todesfälle registriert, was einem Jahresmittel von 14.6 Todes-
                                                                                             Siedlungsgebieten (z. B. Variantenfahrer,
 opfern entspricht. Die meisten Personen starben infolge von Lawinen (37 %), gefolgt
                                                                                             Tourengänger) wurden in dieser Studie
 von Blitzschlägen (16 %) und Hochwasser (12 %). Über die 70 Jahre ist ein deutlicher
                                                                                             nicht berücksichtigt. Insgesamt lieferte die
 Rückgang der jährlichen Todesopfer ersichtlich, v. a. aufgrund des Rückgangs von
                                                                                             Datenbank für die Jahre 1946–2015 Infor-
 Todesfällen bei Lawinen und Blitzschlägen. Die Resultate der Auswertungen zeigen,
                                                                                             mationen zu 167 Lawinenereignissen, wel-
 dass die meisten Todesopfer männlich sind (75 %) und dass das mittlere Alter 35.9
                                                                                             che 378 Tote forderten.
 Jahre beträgt. Die meisten Todesfälle ereigneten sich im alpinen Raum mit den häu-
                                                                                                     Zusätzlich wurde eine Zeitungsre-
 figsten Opfern im Kanton Wallis, gefolgt von den Kantonen Graubünden, Bern und
                                                                                             cherche durchgeführt, um einerseits die
 Tessin.
                                                                                             Ereignisse vor 1972 zu berücksichtigen
                                                                                             und um andererseits weitere relevante
1.      Einleitung                             Überblick über Todesfälle durch alle Na-      Prozesse einzubeziehen. Für die Recher-
Jährlich verursachen Naturgefahren welt-       turgefahrenprozesse in der Schweiz zu         che wurde die Neue Züricher Zeitung (NZZ)
weit nicht nur hohe Schadenskosten, son-       erhalten. Zudem wollte das Autorenteam        ausgewählt, welche digital und online zur
dern auch eine grosse Anzahl an Todes-         wissen, wo sich die Hotspots befinden,        Verfügung stand. In einem ersten Schritt
fällen (MunichRe, 2016). Gemäss der Nat-       welche Prozesse involviert waren und ob       wurden Schlüsselwörter für die Suche
CatSERVICE Datenbank von MunichRe              es Trends gibt.                               definiert, und an den Jahren 1986–1995
starben infolge Naturkatastrophen über                 Im vorliegenden Beitrag werden        wurde getestet, für welche von der oben
die letzten zehn Jahre 68 000 Menschen         die Resultate der Studie von Badoux et        genannten Unwetterschadens-Datenbank
pro Jahr (Insurance Information Institute,     al. (2016) zusammengefasst und zusätz-        der WSL bereits Daten zur Verfügung stan-
www.iii.org/fact-statistic/catastrophes-       lich die räumliche Verteilung der Unfälle     den. Danach wurde mit den ausgewähl-
global).                                       näher betrachtet. Dabei wird u. a. auf die    ten Schlüsselwörtern die eigentliche Zei-
        In bisherigen Studien wurden To-       Verteilung der Todesfälle auf die einzelnen   tungsrecherche durchgeführt, zum einen,
desopfer durch Naturgefahren für ver-          Schweizer Kantone genauer eingegangen.        um die Todesfälle der fehlenden Jahre
schiedene Zeiträume, verschiedene Pro-                                                       für die Prozesse Hochwasser, Murgang,
zesse und unterschiedliche räumliche           2.      Daten und Methoden                    Rutschung (1946–1971) und Steinschlag
Betrachtungsebenen untersucht. Neben           Die Daten für die Studie wurden aus zwei      (1946–2001) zu ergänzen und zum ande-
globalen Studien gibt es auch zahlreiche       bestehenden Schweizer Datenbanken             ren, um die Todesfälle, verursacht durch
regionale bzw. nationale Studien zu Na-        extrahiert und mit einer Zeitungsrecher-      zusätzliche in der Schweiz relevante Pro-
turgefahrenunfällen. So auch für den Al-       che ergänzt. Die Unwetterschadens-Da-         zesse wie Sturm, Blitzschlag und Erdbe-
penraum und die Schweiz: Beispielsweise        tenbank der Eidg. Forschungsanstalt für       ben, zu finden. In der Unwetterschadens-
wurden Langzeittrends besonders für La-        Wald, Schnee und Landschaft WSL re-           Datenbank der WSL wurden Hochwas-
winen (Techel et al., 2016) gezeigt. Weni-     gistriert seit 1972 neben Schadenskos-        sertote vor allem im Zusammenhang mit
ger klare Trends resultierten aus Studien,     ten auch Todesfälle, welche durch Hoch-       Schäden aufgenommen. In der vorliegen-
basierend auf den Daten der Unwetter-          wasser, Murgänge, Rutschungen sowie           den Studie wurden für den Prozess Hoch-
schadens-Datenbank der Schweiz für die         Sturzprozesse (seit 2002) verursacht wur-     wasser in der Periode 1972–2015 anstelle
Prozesse Hochwasser, Rutschungen und           den (Hilker et al., 2009). Diese Datenbank,   von bisher 52 neu 63 Fälle berücksich-
Murgänge (Hilker et al., 2009; Schmid et       welche auf Informationen aus Schweizer        tigt. Für jeden einzelnen Todesfall wurde
al., 2004). Das Ziel der vorliegenden Stu-     Zeitungen beruht, lieferte die Informatio-    ein Datenbankeintrag erstellt und dieser
die war es, erstmals einen gesamthaften        nen zu 129 Todesfällen in den Jahren 1972     einem der folgenden Prozesstypen zu-

«Wasser Energie Luft» – 109. Jahrgang, 2017, Heft 2, CH-5401 Baden                                                                   105
Todesfälle durch Naturgefahrenprozesse in der Schweiz von 1946 bis 2015 - SLF
geordnet: Hochwasser, Rutschung (inkl.        wasser (12.1 %), Windsturm (10.3 %),           Bei beiden Prozessen wurden in der ers-
Murgang und Hangmure), Steinschlag,           Steinschlag (8.3 %), Rutschung (7.2 %)         ten Hälfte der Studienperiode viermal so
Blitzschlag, Windsturm, Lawine oder an-       und anderen Prozessen (9.1 %). In letztere     viele Todesfälle registriert wie in der zwei-
dere (Erdbeben, Tsunami, Eislawine). Mur-     Kategorie fallen vor allem Todesfälle durch    ten Hälfte.
gänge wurden in den Zeitungen v.a. in der     die Eislawine (88) vom 30. August 1965 in               Wird die Anzahl der Todesfälle mit
ersten Hälfte der Studienperiode oftmals      Mattmark (Gemeinde Saas-Almagell VS),          der Bevölkerungszahl normiert, so erhält
nicht als solche definiert. Aus diesem        als ein Teil der Gletscherzunge des Allalin-   man die Sterblichkeitsrate durch Naturge-
Grund wurden sie den Rutschungen zuge-        gletschers abbrach und die Baustelle des       fahrenprozesse (Todesfälle pro Million Ein-
ordnet. Todesfälle, bei welchen sich Per-     Dammes inkl. Baracken verschüttete.            wohner). Jährlich ergibt sich so eine Rate
sonen bewusst einer grossen Gefahr aus-                                                      von 2.5 Toten pro Million Einwohner. Auch
gesetzt haben, oder Todesfälle während        3.1     Zeitliche Verteilung                   hier ist eine deutliche Abnahme ersichtlich
Freizeitaktivitäten, welche in potenziell             der Todesfälle                         von 3.9 in den ersten 35 Jahren und 1.1
gefährlichem Gebiet stattfanden, wurden       Jährlich starben in der Untersuchungspe-       in der zweiten Hälfte der Studienperiode.
nicht berücksichtigt (z. B. Kanufahren oder   riode 2 bis 112 Menschen infolge von Na-       Die Sterblichkeitsrate für Lawinen beträgt
Flusssurfen während Hochwasser, Can-          turgefahrenprozessen. Im Schnitt waren         0.96, für Blitzschläge 0.42, Hochwasser
yoning, Bergsteigen, Klettern, Schnee-        dies 14.6 und im Median 9 Personen pro         0.29, Windsturm 0.24, Sturzprozesse 0.2,
tourengehen, Variantenfahren).                Jahr. Die Verteilung der Todesfälle von        Rutschungen 0.16 und andere 0.23.
                                              1946 bis 2015 zeigt einen statistisch sig-              Die saisonale Verteilung der Todes-
3.     Resultate                              nifikanten Rückgang über die Zeit (Bild 1).    fälle zeigt erwartungsgemäss eine Spitze
Für die Jahre 1946–2015 wurden insge-         Waren es in den ersten 35 Jahren 747 To-       im Sommer (427 Opfer im Juni, Juli, Au-
samt 1023 Todesfälle in die neue Daten-       desfälle, so reduzierte sich die Zahl in der   gust) aufgrund von Blitzschlägen und
bank aufgenommen. Die meisten Personen        zweiten Hälfte auf nur noch 276. Der Rück-     Hochwasser sowie eine Spitze im Winter
starben aufgrund von Lawinen (37.0 %),        gang ist vor allem auf die beiden Prozesse     (329 Opfer im Dezember, Januar, Februar)
gefolgt von Blitzschlägen (16.0 %), Hoch-     Lawine und Blitzschlag zurückzuführen.         aufgrund von Lawinen. Der Monat mit den

Bild 1. Jährliche Verteilung der Todesfälle für alle Prozesse (oben) und die einzelnen Prozesse (unten; ausser die Kategorie andere
Prozesse). Die graue Linie zeigt einen laufenden 10-Jahres-Mittelwert.

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Todesfälle durch Naturgefahrenprozesse in der Schweiz von 1946 bis 2015 - SLF
meisten Todesfällen ist der Ausust (207),       Stadt (1), Schaffhausen (4), Jura (5) und       etwas mehr Fällen im Mittelland. Ausser
vor allem auch wegen des Ereignisses in         Solothurn (5). Normiert mit der Bevölke-        den Kantonen Neuenburg und Basel-Stadt
Mattmark mit 88 Toten.                          rungszahl pro Kanton, wird im Kanton Uri        registrierte jeder Kanton mindestens einen
         Die Verteilung auf die Tageszeit       die höchste Sterblichkeitsrate für Naturge-     Todesfall infolge Hochwasser. Die meisten
zeigt, dass sich die meisten Todesfälle am      fahren (Anzahl Tote pro Million Einwohner       Todesfälle ereigneten sich in den Kanto-
Nachmittag (39 %, 12.00–17.59 Uhr) ereig-       und Jahr) registriert (27). An zweiter Stelle   nen Bern, Graubünden und Tessin. Auch
neten, gefolgt vom Abend (23 %, 18.00–          kommt der Kanton Wallis (19.1), gefolgt         bei den Blitz- und Windsturmtoten gab es
23.59 Uhr), Morgen (17 %, 06.00–11.59           vom Kanton Graubünden (18.2). Die Zah-          die meisten Fälle im Mittelland, während
Uhr) und von der Nacht (11 %, 00.00–05.59       len sind jedoch nur bedingt aussagekräf-        vor allem die südlichen Kantone wenig be-
Uhr). Einem Zehntel der Todesfälle konnte       tig, da sich rund die Hälfte der Opfer nicht    troffen waren. Häufungen von Windsturm-
keine Uhrzeit zugeordnet werden. Todes-         an ihrem Wohnort befand, als das tödliche       todesfällen können bei den Seen aufgrund
fälle infolge von Blitzschlägen, Hochwas-       Ereignis eintrat.                               von gekenterten Booten auftreten. Infolge
ser oder Windsturm ereigneten sich v. a.                Todesfälle infolge Lawinen sind         Windsturm starben am meisten Personen
am Nachmittag und Abend, während für            erwartungsgemäss in den alpinen Regio-          im Kanton Zürich und infolge Blitzschlag
die anderen Prozesse keine spezielle Ta-        nen anzutreffen. Häufungen finden sich für      im Kanton Bern.
geszeit charakteristisch war.                   diesen Prozess in der Gegend von Ander-                 Ereignisse, bei welchen mehrere
                                                matt (UR) und Davos (GR). In den Kanto-         Personen starben, geschahen häufiger
3.2     Räumliche Verteilung                    nen Wallis und Graubünden verursachten          in den Alpen als im Mittelland oder Jura.
        der Todesfälle                          Lawinen die meisten Todesfälle. Zudem           Ganz grosse Ereignisse mit sechs oder
Todesfälle infolge von Naturgefahren-           starb bei einem Ereignis oftmals mehr als       mehr Toten wurden dabei nur in den al-
prozessen sind relativ homogen über die         eine Person. Todesfälle infolge von Rut-        pinen Regionen registriert. Bei 507 von
Schweiz verteilt, und nur für wenige Ge-        schungen und Steinschlägen wurden v. a.         den insgesamt 635 tödlichen Ereignissen
biete weisen die Daten keinen Todesfall         in den Alpen und Voralpen registriert. Bei      starb eine Person, bei 73 Ereignissen star-
auf (Bild 2). Im Kanton Wallis wurden die       den Rutschungen gab es die meisten Opfer        ben zwei und bei 55 Ereignissen drei oder
meisten Todesfälle registriert (272), gefolgt   im Wallis, mit dem schlimmsten Ereignis         mehr Personen. Das folgenschwerste Er-
von Graubünden (193), Bern (100), Tessin        im Oktober 2000 in Gondo (13 Todesfälle).       eignis war die Eislawine bei Mattmark 1965
(71) und Uri (60) (Tabelle 1). Kantone mit      Todesfälle infolge Hochwasser sind rela-        mit 88 Toten in der Gemeinde Saas-Alma-
den wenigsten Todesfällen sind Basel-           tiv homogen über die Schweiz verteilt, mit      gell (VS). In Reckingen (VS) starben mit 30

Bild 2. Räumliche Verteilung der tödlichen Naturgefahrenereignisse. Die Grösse der Symbole weist auf die Anzahl der Opfer pro
Ereignis hin. Die Anzahl Todesfälle pro Kanton ist durch die Schattierung angegeben.

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Todesfälle durch Naturgefahrenprozesse in der Schweiz von 1946 bis 2015 - SLF
Todesfällen am zweitmeisten Personen,        Blitzschlägen mit mehr als 70 % deutlich     fälle wurden für die Alterskategorien 20–29
als im Februar 1970 eine grosse Lawine       höher als bei Lawinen (26 %) und Rut-        (172), 30–39 (177) und 40–49 (151) regist-
eine Militärbaracke und Wohnhäuser ver-      schungen (31 %).                             riert, welche zusammen knapp 50 % aller
schüttete. Im Lawinenwinter 1951 forderte    3.3    Verteilung der Todesfälle nach        Todesfälle ausmachen. In die Kategorie
im Januar eine Lawine in Vals (GR) 19 To-           Alter und Geschlecht                  der Kinder und Jugendlichen (0–19) fallen
desopfer. Der Prozentsatz der Ereignisse,    Das mittlere Alter der Todesopfer beträgt    21 %, während 13 % aller Todesopfer im
bei welchen nur eine Person starb, ist bei   35.9 Jahre. Deutlich am meisten Todes-       Alter von 60 oder mehr Jahren verunfallt
Hochwasser, Steinschlag, Windsturm und                                                    sind. Auffallend ist der hohe Anteil an To-
                                                                                          desopfern durch Hochwasser der Alters-
                                                                                          kategorie 0–9 und der Blitztoten der Alters-
                                                                                          kategorie 10–19 (Bild 3).
                                                                                                  Deutlich sichtbar in Bild 3 ist, dass
                                                                                          über drei Viertel aller Todesopfer männlich
                                                                                          waren. Für die meisten Naturgefahrenpro-
                                                                                          zesse beträgt der Anteil 74.2–79.3 %. Eine
                                                                                          Ausnahme bilden hier nur die Rutschungs-
                                                                                          prozesse (55.4 %) und die anderen Pro-
                                                                                          zesse (96.6 %). Auffallend ist der hohe
                                                                                          Anteil an weiblichen Todesfällen bei den
                                                                                          Rutschungen (13.6 % aller weiblichen To-
                                                                                          desopfer) im Vergleich zu den männlichen
                                                                                          (5.3 % aller männlichen Todesopfer). Da
                                                                                          in der Kategorie andere Prozesse v. a. die
                                                                                          Bauarbeiter des Mattmark-Staudamms
                                                                                          ins Gewicht fallen, ist hier der Anteil der
                                                                                          männlichen Todesfälle entsprechend
                                                                                          hoch. Werden die Alterskategorien be-
                                                                                          trachtet, so ist der Anteil der männlichen
                                                                                          Todesopfer v. a. zwischen 20 und 39 Jah-
                                                                                          ren besonders gross (82 %). Der Anteil der
Tabelle 1. Verteilung der Todesfälle pro Kanton für die einzelnen Prozesse.

Bild 3. Verteilung der Todesfälle nach Alter und Geschlecht (m = männlich, w = weiblich) sowie nach Prozesstyp in einem Mosaik-
plot.

108                                                                  «Wasser Energie Luft» – 109. Jahrgang, 2017, Heft 2, CH-5401 Baden
weiblichen Opfer ist mit 34 % für die Alters-
kategorie 0–9 am grössten.

3.4     Verteilung der Todesfälle nach
        Unfallumständen
Rund 52 % aller Todesfälle ereigneten sich
in der Freizeit und 35 % während der Arbeit
(13 % waren nicht zuordenbar, Tabelle 2).
Neben der Aktivität wurde auch unter-
sucht, wo sich die Personen befanden, als
die Unfälle geschahen: Die meisten Perso-
nen starben auf Verkehrswegen (33 %), im
Gelände (14 %) sowie in oder um Gebäude
(20 % im Wohnhaus, 6 % in anderen Ge-
bäuden, 3 % in der Nähe von Gebäuden).
                                                A
Bei den Lawinen und Rutschungen ereig-              Die 266 Todesfälle, welche sich in Gebäuden ereigneten, wurden für die Kategorie Verkehrsträger
neten sich die meisten Fälle in oder um         nicht berücksichtigt.
Gebäude, während bei den Steinschlägen          Tabelle 2. Verteilung der Todesfälle nach Aktivität, Lokalität und Verkehrsträger.
die Personen v. a. auf den Verkehrswegen
starben. Blitzschläge führten hauptsäch-        werden musste. Es wird jedoch davon aus-            Ähnlich verhält es sich für die Todesfälle
lich auf offenem Gelände zu Todesfällen,        gegangen, dass in der Betrachtungsperiode           durch Windsturm, da dort die Unfälle vor
während sich die Todesfälle durch Wind-         dieser Studie weniger als 10 % der Todes-           allem wegen nachlässigem Verhalten in
sturm vor allem auf Seen ereigneten. To-        fälle fehlen (Badoux et al., 2016).                 gefährlichen Situationen entstehen.
desfälle infolge Hochwasser ereigneten
sich am Häufigsten im Gerinnebereich            4.2      Entwicklung der Todesfallzah-              4.3      Verteilung der Todesfälle nach
von Flussbetten, meist weil die Personen                 len in den letzten 70 Jahren                        Geschlecht
von den Fluten mitgerissen wurden. Für          In den Daten zeigt sich eine deutliche Ab-          Die Studie zeigt, dass deutlich mehr Män-
alle Todesfälle ausser jenen in Gebäu-          nahme der Todesfälle durch Naturgefah-              ner (75.8 %) infolge Naturgefahrenprozes-
den wurde der Verkehrsträger ermittelt.         renprozesse. Dies wurde auch in anderen             sen sterben als Frauen (23.6 %). Der Unter-
Die meisten Todesfälle geschahen, als           Ländern beobachtet. In den USA erklären             schied wird noch deutlicher, wenn nur die
sich die Personen zu Fuss fortbewegten          Curran et al. (2000) den Rückgang der To-           Todesfälle während der Arbeit betrachtet
(62 %). Rund 18 % ereigneten sich, als sich     desfälle durch Blitzschläge mit verbes-             werden (93.5 % Männer). Der Unterschied
die Personen in Fahrzeugen befanden, 7 %        serter ärztlicher Betreuung, Notfallkom-            kann folgendermassen erklärt werden:
in einem Boot, 7 % auf Skiern, knapp 1 %        munikation und Transport sowie einer                Zum einen war der Anteil von arbeitenden
auf dem Fahrrad und 0.5 % im öffentlichen       besseren Wahrnehmung der Blitzschläge               Männern während der Studienperiode
Verkehr.                                        als Gefahr. Verbesserte Vorhersagen, Pro-           höher, verglichen mit jenem von arbeiten-
                                                zessermittlung und Warnsysteme könnten              den Frauen (v. a. während der ersten Hälfte
4.     Diskussion                               ebenfalls zum Rückgang der Opferzahlen              der Studienperiode), zum anderen waren
                                                geführt haben (Curran et al., 2000). Ebenso         viele der Arbeiten körperlich anstren-
4.1      Vollständigkeit des Datensatzes        arbeiten weniger Personen auf dem Feld,             gend und wurden daher v. a. von Män-
Ein Grossteil der Datenbankeinträge be-         verglichen mit früher (Elsom, 2001). Ein            nern durchgeführt (z. B. Landwirtschaft,
ruht auf der Zeitungsrecherche. Es muss         Rückgang der Todesfälle durch Lawinen               Waldwirtschaft, Strassenbau und -unter-
davon ausgegangen werden, dass einige           in Siedlungen und auf den Verkehrswegen             halt und Rettungsdienst). Etwas weniger
Todesfälle in der Datenbank nicht registriert   seit den 1970er-Jahren wurde in allen Län-          gross ist der Unterschied bei den Todes-
wurden, dies z. B., weil der Vorfall nicht in   dern der Europäischen Alpen (z. B. Techel           fällen in der Freizeit: Hier waren rund zwei
der NZZ erwähnt wurde. Da die NZZ eine          et al., 2016) und in anderen entwickelten           Drittel Männer. Der Unterschied könnte
deutschsprachige Zeitung ist, kann es sein,     Regionen festgestellt (z. B. Jamieson et            mit der höheren Risikowahrnehmung der
dass Fälle aus der Westschweiz und dem          al., 2010). Erklärungen für den Rückgang            Frauen erklärt werden (z. B. Lindell und
Tessin unterrepräsentiert sind. Das NZZ-Ar-     der Todesopfer beinhalten grosse Inves-             Hwang, 2008), was zu einem vorsichtige-
chiv besteht aus eingescannten Zeitungs-        titionen für Lawinenverbauungen, Gefah-             ren und weniger risikofreudigen Verhalten
exemplaren, welche mit einem Zeichener-         renkarten und Risikoeinschätzungen, um              der Frauen führen könnte. In der letzten
kennungsprogramm aufgearbeitet wurden.          angemessene Massnahmen für die Si-                  Dekade war der Anteil der weiblichen To-
Es wurde bemerkt, dass einzelne kleine Da-      cherheit oder Schliessung von Strassen              desfälle während der Freizeit mit 55.6 %
tenlücken bestehen. Zudem gab es bei der        im Winter zu evaluieren, künstliche Lawi-           jedoch deutlich höher.
Zeichenerkennung bei schlechter Scanqua-        nenauslösungen, Lawinenausbildung und
lität Probleme, was v. a. die älteren Versio-   verbesserte Lawinenvorhersage. Viele der            4.4   Effekt von Verkehrsträger,
nen in den ersten Dekaden der Studienpe-        Todesfälle infolge von Hochwasser ereig-                  Lokalität und unvorsichtigem
riode betraf. Somit könnten einzelne Fälle      neten sich, weil die Personen sich unvor-                 Verhalten
verloren gegangen sein. Zudem besteht die       sichtig verhalten haben. In Zukunft wird es         Die Daten dieser Studie zeigen, dass die
Möglichkeit, dass einige Fälle in der Suche     also wichtig sein, die Leute auszubilden            meisten Personen starben, als sie zu Fuss
nicht gefunden wurden, da eine limitierte       und zu informieren und bezüglich gefah-             unterwegs waren (62 %, Tabelle 2). Der
Anzahl von Schlüsselwörtern angewendet          rengerechtem Verhalten zu sensibilisieren.          Prozentsatz der Personen, welche wäh-

«Wasser Energie Luft» – 109. Jahrgang, 2017, Heft 2, CH-5401 Baden                                                                            109
rend eines Hochwassers in einem Fahr-          man spricht von 300–2000 Toten (Fäh et              Eisbacher, G. H., Clague, J. J. (1984). Destruc-
zeug ums Leben kamen, ist in der vorlie-       al., 2009). Im September 1513 blockierten           tive mass movements in high mountains: hazard
genden Studie viel kleiner (16 % aller To-     die Ablagerungsmassen eines Felsrut-                and management, Geological Survey of Canada
desopfer) als in Studien aus Texas (77 %,      sches beim Pizzo Magno im Bleniotal den             Paper 84–16, Ottawa, Canada, 230 S.
Sharif et al., 2015) oder aus den USA          Fluss Brenno, wobei ein See entstand. Die-          Elsom, D. M. (2001). Deaths and injuries caused
(63 %, Ashley und Ashley, 2008). Sharif        ser brach im Mai 1515 aus, woraufhin das            by lightning in the United Kingdom: analyses of
et al. (2015) deuten darauf hin, dass die      Wasser das darunterliegenden Dorf Biasca            two databases, Atmos. Res., 56, 325–334.
hohe Zahl aufgrund von unvorsichtigem          überschwemmte und weiter das Tal hinun-             Fäh, D., Gisler, M., Jaggi, B., Kästli, P., Lutz, T.,
Verhalten zustande kam, da die Personen        terrauschte bis zum Lago Maggiore. Rund             Masciadri, V., Matt, C., Mayer-Rosa, D., Ripp-
mit dem Fahrzeug Flüsse über Furten zu         600 Menschen wurden getötet (Eisbacher              mann, D., Schwarz-Zanetti, G., Tauber, J.,
überqueren versuchten.                         and Clague, 1984). Am 2. September 1806             Wenk, T. (2009). The 1356 Basel earthquake:
        Unvorsichtiges Verhalten war auch      stürzten 20 Millionen Kubikmeter Berg-              an interdisciplinary revision, Geophys. J. Int.,
oft die Ursache bei den Todesfällen infolge    sturzmaterial auf die Dörfer Goldau und             178, 351–374.
gekenterter Boote auf Seen. Der starke         Röthen, wobei 457 Personen verschüttet              Hilker, N., Badoux, A., Hegg, C. (2009). The
Wind wurde oft unterschätzt, und zum Teil      wurden (Eisbacher and Clague, 1984). Ein            Swiss flood and landslide damage database
wurden die Personen auch überrascht.           weiterer schlimmer Bergsturz ereignete              1972–2007, Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 9,
Bei der Analyse der Todesfälle von Blitz-      sich 1881 in Elm; er war jedoch anthropo-           913–925.
schlägen wurde bemerkt, dass die Gefahr        gen ausgelöst. Ein katastrophales Ereignis          Jamieson, J. B., Haegeli, P., Gauthier, D. M.
meist unterschätzt wurde (z. B. während        der oben beschriebenen Grössenordnung               (2010). Avalanche Accidents in Canada, Vo-
der Arbeit auf dem Feld) oder die Perso-       würde natürlich die Resultate der vorlie-           lume 5 (1996–2007), Canadian Avalanche As-
nen unangemessenen Schutz suchten              genden Studie stark beeinflussen und die            sociation, Revelstoke, Canada, ISBN-13: 978-
(z. B. unter Bäumen). Oftmals waren sich       Sterblichkeitsrate wesentlich erhöhen.              0-9866597-4-4, 429 S.
die Personen ihres inkorrekten Verhaltens              Das Ziel der Zukunft wird es sein,          Lindell, M. K., Hwang, S. N. (2008). Households’
wahrscheinlich auch gar nicht bewusst.         die Anzahl der jährlichen Todesfälle trotz          perceived personal risk and responses in a mul-
Bei den Lawinen- und Rutschungsunfäl-          steigender Bevölkerungszahl weiterhin tief          tihazard environment, Risk Anal., 28, 539–556.
len ereigneten sich die meisten Todesfälle     zu halten. Dies, indem auch zukünftig in            MunichRe (2016). Topics Geo (Natural catastro-
in Gebäuden (49 %, resp. 54 %), wobei          strukturelle und organisatorische Schutz-           phes 2015 – Analyses assessments, positions),
angenommen werden kann, dass die Be-           massnahmen (z. B. Alarmsysteme, Notfall-            Munich RE, Munich, Germany.
wohner das Ereignis nicht erwartet haben       planung, Schutzmassnahmen, Bewusst-                 Schmid, F., Fraefel, M., Hegg, C. (2004). Unwet-
und es nicht möglich war, vor der Gefahr       seinsbildung) investiert wird. Die in die-          terschäden in der Schweiz 1972–2002: Vertei-
zu fliehen.                                    ser Studie erhobenen Daten können den               lung, Ursachen, Entwicklung, «Wasser Energie
                                               Entscheidungsträgern der verschiedenen              Luft», 96. Jg., Heft 1/2, 21–28.
4.5     Vergleich mit Daten von                politischen Ebenen (Gemeinden, Kantone,             Sharif, H. O., Jackson, T. L., Hossain, M. M.,
        anderen Unfallursachen und             Bund) helfen, um solche Massnahmen zu               Zane, D. (2015). Analysis of Flood Fatalities in
        älteren Ereignissen                    planen und zu implementieren.                       Texas, Nat. Hazards Review, 16, 04014016.
Ein Vergleich mit Schweizer Verkehrstoten                                                          Techel, F., Jarry, F., Kronthaler, G., Mitterer, S.,
oder älteren Ereignissen setzt die Daten       Danksagung                                          Nairz, P., Pavšek, M., Valt, M., Darms, G. (2016).
der vorliegenden Studie in Perspektive.        Ein grosser Dank geht an G. Antoniazza für die      Avalanche fatalities in the European Alps: long-
In den Jahren 1946 bis 2015 starben im         Hilfe bei der Datensammlung. Wir bedanken uns       term trends and statistics, Geogr. Helv., 71,
Strassenverkehr rund 60-mal mehr und im        bei J. Keel von der Schweizerischen Medien-         147–159.
Schienenverkehr fünfmal mehr Personen          datenbank für die Unterstützung während der
als durch Naturgefahrenprozesse (Bun-          Zeitungsrecherche. Zudem bedanken wir uns           Anschrift der Verfasser
desamt für Statistik, www.bfs.admin.ch).       beim BAFU für die langjährige und massgeb-          Norina Andres, Dr. Alexandre Badoux,
Rund 15-mal mehr Personen starben in-          liche Unterstützung bei der Erfassung der Un-       Dr. Christoph Hegg
folge Lawinen in ungesichertem Gelände         wetterschäden. Weiter geht unser Dank an D.         Eidg. Forschungsanstalt WSL
(Techel et al., 2016), verglichen mit jenen,   Rickenmann, B. McArdell, C. Berger, C. Rickli,      Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
welche in der vorliegenden Studie be-          E. Maidl, M. Buchecker, K. Liechti, M. Dawes, U.    norina.andres@wsl.ch
rücksichtigt wurden (auf Verkehrswegen,        Mosimann, F. Haslinger, R. Loat und G.R. Bez-       Frank Techel
in Siedlungen).                                zola für ihre fachliche Unterstützung.              WSL-Institut für Schnee- und Lawinenfor-
        Die in der vorliegenden Studie                                                             schung, SLF, Flüelastrasse 11, CH-7260 Davos
aufgeführten Ereignisse sind bei Weitem        Literatur
nicht die schwerwiegendsten der Schwei-        Ashley, S. T., Ashley, W. S. (2008). Flood fata-
zer Vergangenheit. Das Ereignis mit den        lities in the United States, J. Appl. Meteorol.
meisten Todesopfern in der Betrach-            Clim., 47, 805–818.
tungsperiode war jenes von Mattmark mit        Badoux, A., Andres, N., Techel, F., Hegg, C.
88 Todesopfern. Wird jedoch über diese         (2016). Natural hazard fatalities in Switzerland
Betrachtungsperiode hinaus in die fernere      from 1946 to 2015. Nat. Hazards Earth Syst.
Vergangenheit geblickt, so fallen folgende     Sci., 16, 2747–2768.
Ereignisse ins Gewicht. Am 18. Oktober         Curran, E. B., Holle, R. L., López, R. E. (2000).
1356 starben in der Region Basel infolge       Lightning casualties and damages in the Uni-
eines Erdbebens viele Menschen. Die ge-        ted States from 1959 to 1994, J. Climate, 13,
naue Zahl der Todesopfer ist unsicher;         3448–3464.

110                                                                       «Wasser Energie Luft» – 109. Jahrgang, 2017, Heft 2, CH-5401 Baden
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