Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise

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Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise
Ida,   Otto,  Mathilde                                und
Theophanu, kreuzweise

Domschatzkammer Essen: Die vergoldete Kupferplatte im
Vordergrund ist der Rest des so genannten Ida-Kreuzes (10.
Jahrhundert), das nicht mehr erhalten ist. Das Kreuz stand im
Dom hinter dem Altar auf einer Säule. 1443 wurde es dort
heruntergenommen. Man entdeckte im Innern des Körpers des
Gekreuzigten zahlreiche Reliquien. Das Ida-Kreuz wurde durch
ein neues Kreuz aus Silber ersetzt; die Reliquien übernommen.

Auf der Platte steht: ISTAM CRUCEM (I)DA ABATISSA FIERI IVSST
(Äbtissin Ida befahl, dieses Kreuz machen zu lassen).
Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise
Ich muss zugeben: Mit einer der Damen Äbtissinen aus dem 10.
Jahrhundert hätte ich gerne diskutiert. Aber dazu müsste ich
zuerst mein Althochdeutsch auffrischen und mein Latein
ohnehin. Die Frauen aber waren die intellektuelle Elite
Europas, hatten Macht und mussten sich permanent gegen die
feudalen Schlagetots ringsum absichern. Wahrscheinlich waren
sie auch das, was wir heute als „gerissen“ bezeichnen. Wer,
wie Mathilde II. – das über Jahrzehnte hinkriegte, war
garantiert selbstbewusst genug, um selbst Königen die Stirn zu
bieten.
Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise
Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise
Otto-Mathilden-Kreuz: Das Stifteremail unten (vergrößert)
macht das Kreuz einzigartig. Es zeigt die Äbtissin Mathilde
II. mit ihrem Bruder Herzog Otto von Schwaben. Mathilde war
Enkelin des Liudolfingers und späteren römisch-deutschen
Kaisers Otto, der schon damals „der Große“ genannt wurde, ganz
bescheiden „totius orbis caput“, das „Haupt der ganzen Welt“.

Für das 10. Jahrhundert gibt es kaum aussagekräftige
schriftliche Quellen. Daher sind derartige Objekte von hohem
historischen Wert. In Gold vor Schwarz: Der Essener Domschatz
auf Zollverein liest man: „Das Otto-Mathilden-Kreuz ist das
älteste erhaltene Beispiel der Verknüpfung eines
edelsteinbesetzten Gemmenkreuzes, das traditionell als Zeichen
der Wiederkunft Christi verstanden wurde, und des Kreuzes mit
Kruzifixus, das auf die menschliche Natur Christi und seinen
Opfertod verweist.“
Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise
Das Kreuz ist handwerklich und künstlerisch außerordentlich
anspruchsvoll gearbeitet, so dass alle später entstandenen
Kreuze es entweder zitieren oder versuchen zu imitieren oder
die Form schöpferisch aufgreifen. Mathildes Bruder Otto starb
982 recht jung auf einem Feldzug in Italien, vermutlich an
Malaria. Das Otto-Mathilden-Kreuz entstand nach 983, ist also
eine so genannte Memorialstiftung. Beide Stifterfiguren auf
dem Email sind in höfischer Tracht abgebildet, Mathilde trägt
nicht das, was man damals normalerweise von einer Äbtissin
erwartete. Die Stifterin handelte also eher als Schwester, als
sie ihren Bruder abbilden ließ, denn als kirchliche
Funktionärin.
Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise
Otto-Mathilden-Kreuz, Rückseite: In der Mitte das Agnus Dei
(das Zeichen des katholischen Kosmonauten in Wolfgang Jeschkes
Der letzte Tag der Schöpfung !) Das Lamm wird umrahmt von
Paradiesranken – ein „Zitat“ der Edelsteine der Kantenrahmung
der Vorderseite (sorry für die zwei Genitive hintereinander).

Die herrschende Klasse in den fränkischen Reichen sah sich
immer noch als Nachfolger der Caesaren, obwohl das Römische
Reich schon ein halbes Jahrtausend vorher untergegangen war.
Theophanu, die Nachfolgerin der Mathilde, war Enkelin der
berühmten „deutschen“ (Mit)Kaiserin Theophanu aus Byzanz – die
unstrittig die wichtigste Frau im 10. Jahrhundert in
Mitteleuropa war und im damaligen Sinne Kosmopolitin. Was gäbe
ich darum, einmal kurz das zu sehen, was die gesehen haben!
(Mal abgesehen davon, dass ein Jahrtausend in der Zukunft –
falls man als Zeitreisender die Wahl hätte – natürlich
interessanter wäre, aber vermutlich ziemlich verstörend.)
Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise
Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise
Kreuz mit den großen Senkschmelzen, um 1000: Das Kreuz ist
rund zehn Jahre jünger als das Otto-Mathilden-Kreuz und wurde
1020, als Sophie von Gandersheim Äbtissin war, noch einmal
umgearbeitet. Statt der Edelsteine an den Kreuzenden wurden
Vollschmelzemails mit Ornamenten eingefügt, was handwerklich
anspruchsvoller ist: Auf Metall wird flüssiges und farbiges
Glas aufgeschmolzen. Das konnten aber schon die Ägypter zwei
Jahrtausende vor den Franken und auch die Kelten.

Die Sophie war die Tochter Kaiser Ottos II. und der berühmten
Theophanu. Klaus Gereon Beuckers schreibt in Gold vor Schwarz:
Der Essener Domschatz auf Zollverein dazu: „Seine Funktion im
Essener Kreis der Vortragekreuze ist unklar, allerdings legt
die demonstrative Umarbeitung unter Äbtissin Sophia eine
wichtige Rolle nahe. Sophia war als Äbtissin des Essener
Schwesternstiftes in Gandersheim eng mit der bayrischen
Ottonenlinie verbunden, der sie durch Kaiser Heinrich II. auch
ihrer Essener Position zu verdanken hatte. Sie vertrat damit
eine andere politische Ausrichtung als ihre Vorgängerin, die
der bayrischen Linie höchst kritisch gegenüber gestanden
hatte. Sophias Berufung 1011 in Essen kann als Versuch
Heinrich II. gewertet werden, das Stift entgegen der
bisherigen Haltung unter Mathilde und entgegen der im Kölner
Umkreis geübten Opposition gegen den Bayer politisch zu
vereinnahmen.“

So ein paar kleine Emaillearbeiten waren also eine politische
Aussage, so wie heute ein Parteiprogramm. Man muss sich
vergewissern, dass das Publikum, dem die Kreuze gezeigt
wurden, vorwiegend aus Analphabeten bestand und auch die
Details ohnehin nicht verstand – das waren ikonografische
Interna der herrschenden Klasse. Aber anders konnte nicht
„beschrieben“ werden, wer man war und was man wollte.
Mathilden-Kreuz, um 1051/1054: Die direkte Nachfolgerin
Mathildes hatte hier ihre Hände nicht im Spiel, sondern deren
Nachfolgerin Theophanu, die Enkelin der gleichnamigen
Kaiserin. Diese ließ wieder der Mathilde gedenken und nicht
deren religiöse Hinterlassenschaften umschmelzen. Das jüngere
Mathilden-Kreuz imitiert das ältere. Das Kruzifix ist aber ein
Vollguss, eine handwerkliche Kunst, die sich erst im 12. und
13. Jahrhundert durchsetzte. Der Künstler machte damit ein
Statement, also hätte jemand schon im 19. Jahrhundert einen
Vorläufer des Otto-Motors gebaut.

Ein Detail ist hier anders: Die mit dem Kreuz verehrte
Mathilde kniet auf dem Email in weißer, also frommer Tracht,
vor der Christusfigur. Sie wird nicht mehr als selbstbewusste
höfische Feudaladlige gezeigt.

Das Kreuz wurde in den folgenden Jahrhunderten ziemlich
demoliert, sogar die ursprünglichen Emails überschmolzen, und
dadurch    verschlimmbessert.     An   die   professionelle
Handwerkskunst des Originals kam man nicht mehr heran.

Fortsetzung folgt.

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Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:

– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse

– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)

– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft

in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)

– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse

als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)

– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in

Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)

– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in

Quedlinburg)

– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)

– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)

– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)

– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)

– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)

– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)

– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)

– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)

– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)
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