Ifo Konjunkturprognose Sommer 2018: Gewitterwolken am deutschen Konjunkturhimmel
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DATEN UND PROGNOSEN Timo Wollmershäuser, Silvia Delrio, Marcell Göttert, Christian Grimme, Jochen Güntner, Carla Krolage, Stefan Lautenbacher, Robert Lehmann, Sebastian Link, Wolfgang Nierhaus, Magnus Reif, Radek Šauer, Tobias Schuler, Marc Stöckli, Klaus Wohlrabe und Anna Wolf ifo Konjunkturprognose Sommer 2018: Gewitterwolken am deutschen Konjunkturhimmel Die Hochkonjunktur, in der sich die deutsche Wirtschaft seit dem letzten Jahr befindet, hat an Schwung verloren. Insbesondere die außenwirtschaftlichen Risiken haben deutlich zuge- nommen. Deshalb wurde die Konjunkturprognose vom Frühjahr 2018 deutlich nach unten revidiert. Im laufenden und im kommenden Jahr wird nunmehr mit einem Zuwachs des rea- len Bruttoinlandsprodukts von 1,8% gerechnet. Zwar wird die Überauslastung der gesamt- wirtschaftlichen Kapazitäten im Prognosezeitraum bestehen bleiben und sich der Lohn- und Preisanstieg verstärken. Allerdings wird die Auslandsnachfrage nur noch einen gerin- gen Beitrag zum Aufschwung leisten, da die Weltwirtschaft an Dynamik verliert. Getragen wird die deutsche Konjunktur vielmehr vom privaten Konsum und den Bauinvestitionen, die nicht zuletzt von den expansiven finanzpolitischen Maßnahmen der neuen Bundesregierung profitieren. 1. Lage und Prognose der Abb. 1.1 unten links).2 Davon unbeeindruckt blieb der Weltwirtschaft Warenaustausch in den aufstrebenden Volkswirtschaf- ten, der sehr kräftig zulegte. Im Einklang mit der posi- tiven Grunddynamik beim Welthandel beschleunigte 1.1. ÜBERBLICK sich auch die Investitionstätigkeit in den OECD-Län- dern, so dass die Investitionsintensität, definiert als Der weltwirtschaftliche Aufschwung ist weiter intakt. Verhältnis von Bruttoanlageinvestitionen zu gesamt- Im Winterhalbjahr 2017/2018 expandierte die Welt- wirtschaftlicher Produktion, bis Ende des Jahres 2017 konjunktur kräftig, wenn auch nicht mehr so dyna- zulegen konnte (vgl. Abb. 1.1 unten rechts). misch wie im Halbjahr zuvor. Das reale Bruttoin- Anfang 2018 zogen die Inflationsraten in den fort- landsprodukt der Welt legte im vierten Quartal 2017 geschrittenen Volkswirtschaften moderat an (vgl. und ersten Quartal 2018 mit Raten von 0,8% bzw. Abb. 1.2 oben rechts). Dieser Preisschub ist vor allem 0,7% im Vergleich zum Vorquartal zu (vgl. Abb. 1.1 auf den beschleunigten Anstieg des Rohölpreises seit oben links). Dabei war insbesondere das erste Quartal Mitte 2017 zurückzuführen (vgl. Abb. 1.2 unten links), geprägt von einer temporären Schwäche der Industrie- der zum großen Teil Folge des kräftigen Aufschwungs produktion in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften der Weltwirtschaft sein dürfte (vgl. Kasten: Zur Ent- (vgl. Abb. 1.1 oben rechts). Hierzu dürften das zum Teil wicklung des Rohölpreises). Aber auch die Zunahme schlechte Wetter und die Ungewissheit über weitere des weltwirtschaftlichen Auslastungsgrad im Verlauf Handelseinschränkungen in der Zukunft beigetragen des vergangenen Jahres dürfte dazu einen Beitrag haben.1 Darüber hinaus gibt es in einigen fortgeschrit- geleistet haben (vgl. Abb. 1.2 oben links). So nahm in tenen Volkswirtschaften Anzeichen dafür, dass Unter- den OECD-Ländern im Winterhalbjahr auch die Kern- nehmen immer größere Schwierigkeiten haben, ihre inflationsrate, die den Anstieg der Verbraucherpreise Produktion aufgrund eines Mangels an qualifizierten ohne Berücksichtigung der Energie- und Nahrungsmit- Arbeitskräften und technischen Kapazitäten zu erhö- telkomponenten misst, moderat zu (vgl. Abb. 1.2 unten hen. Zwar entwickelte sich der Welthandel im Winter- rechts). Dahinter stehen jedoch sehr unterschiedliche halbjahr weiterhin sehr positiv. Allerdings stagnierte Entwicklungen. Einhergehend mit einer äußerst niedri- er in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften, wozu gen Arbeitslosenrate liegt die Kerninflationsrate in den auch die Ankündigungen der USA, Zölle auf Stahl und Aluminium zu erheben, beigetragen haben dürfte (vgl. 2 In einer weltweiten Befragung des ifo Instituts gab eine deutliche Mehrheit der befragten Experten an, dass die US-Handelspolitik ei- 1 Zu einem ähnlichen Schluss kommt die OECD (vgl. Organisation nen negativen Einfluss auf das eigene Land haben wird (vgl. für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2018). Boumans und Krolage 2018). ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018 33
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 1.1 Indikatoren zur realwirtschaftlichen Entwicklung in der Welt Fortgeschrittene Volkswirtschaften Welt Schwellenländer OECD-Länder Reales Bruttoinlandsproduktᵃ Industrieproduktionᵃ % % 1,6 2,0 1,4 1,5 1,2 1,0 1,0 0,8 0,5 0,6 0,0 0,4 0,2 -0,5 2014 2015 2016 2017 2018 2014 2015 2016 2017 2018 Wachstumsbeiträge Welthandel Investitionsintensitätᵇ in den OECD-Ländern %ᵃ bzw. Prozentpunkte % des Bruttoinlandsprodukts 2,0 21,6 1,5 21,5 1,0 21,4 0,5 21,3 0,0 21,2 -0,5 21,1 -1,0 21,0 2014 2015 2016 2017 2018 2014 2015 2016 2017 2018 ᵃ Veränderung gegenüber dem Vorquartal. ᵇ Verhältnis der Bruttoanlageinvestitionen zum Bruttoinlandsprodukt; verfügbar bis 2017Q4. Quelle: Eurostat; CPB Netherlands Bureau of Policy Analysis; OECD; Internationaler Währungsfonds; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut USA leicht unterhalb des Inflationsziels der US-ameri- Reserve die Rücknahme der akkommodierenden Geld- kanischen Notenbank von 2%. In Großbritannien befin- politik fort. So befinden sich die Leitzinsen bereits bei det sie sich noch deutlich über dem Zweiprozentziel der knapp unter 2% und die Bilanzsumme soll schrittweise britischen Notenbank und ist seit Anfang dieses Jah- abgebaut werden durch geringere Reinvestitionen von res wieder rückläufig. Das zwischenzeitliche Hoch war fälligen Anleihen. eine Folge der starken Abwertung des Pfunds nach dem Die Finanzpolitik ist weltweit in der Tendenz Ausgang des Brexit-Votums. Im Euroraum verharrt die expansiv. Dabei stechen insbesondere die USA heraus, Kerninflationsrate seit Mitte letzten Jahres trotz zuneh- wo umfassende Steuersenkungen zu Beginn des Jah- mender Kapazitätsauslastung bei wenig über 1%. In res in Kraft getreten sind. Der finanzpolitische Kurs im Brasilien liegt der bereinigte Preisauftrieb als Folge der Euroraum dürfte ebenfalls gelockert werden, nachdem Rezession in den Jahren 2015 und 2016 auf einem histo- er im vergangen Jahr leicht negativ wirkte. Auch die risch niedrigen Niveau. Historisch hoch ist dagegen die Finanzpolitik in China bleibt weiterhin unterstützend, Kerninflationsrate in der Türkei, die sich aus der star- da die chinesische Regierung Steuererleichterungen ken Abwertung der türkischen Lira ergeben hat. für Unternehmen und eine Erhöhung des steuerfreien Mit Ausnahme der USA ist die weltweite Geldpo- Einkommens von Privatpersonen angekündigt hat. In litik insgesamt noch expansiv ausgerichtet. Im Euro- anderen Schwellenländern sind keine größeren positi- raum, in Großbritannien und Japan befinden sich die ven fiskalischen Impulse zu erwarten, da die öffentliche Leitzinsen auf einem sehr niedrigen Niveau. Gleichzei- Verschuldung dort in den vergangenen Jahren rapide tig führen die Wertpapierankaufprogramme der Noten- angestiegen ist. banken des Euroraums und Japans zu einer weiteren Erhöhung der Zentralbankgeldmenge. Die Geldpolitik 1.2. AUSBLICK in China wird dagegen moderat gestrafft, um ein stabi- les Liquiditäts- und Kreditwachstum zu gewährleisten. Im Sommerhalbjahr 2018 dürfte die Weltwirtschaft wie- Angesichts der jüngsten fiskalischen Impulse in den der an der Dynamik des vierten Quartals 2017 anknüp- USA sowie der Inflationsentwicklung setzt die Federal fen und damit etwas stärker zulegen als im ersten Quar- 34 ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 1.2 Indikatoren zur Preisentwicklung in der Welt Produktionslücke der Weltᵃ Inflationsrate % % 4 8 Fortgeschrittene Volkswirtschaften Schwellenländer Welt 2 6 0 4 -2 2 -4 0 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2014 2015 2016 2017 2018 Rohölpreis Kerninflationsrate der OECD-Länderᵇ US-Dollar je Barrel % 120 2,0 100 1,9 80 1,8 60 1,7 40 1,6 20 0 1,5 2014 2015 2016 2017 2018 2014 2015 2016 2017 2018 ᵃ 1961 bis 2017. Berechnung mit Hilfe eines Hodrick-Prescott-Filters (Glättungsparamter 100). 2017: Prognose des ifo Instituts. ᵇ In Abgrenzung der OECD (ohne Lebensmittel und Energie). Quelle: Weltbank; Internationaler Währungsfonds; Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut; OECD; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut Zur Entwicklung des Rohölpreises Der Rohölpreis hat sich in den vergangenen anderthalb Jahren mehr als verdreifacht; er stieg von 26 US-Dol- lar pro Barrel Anfang 2016 auf derzeit knapp 80 US-Dollar (vgl. linkes unteres Panel in Abb. 1.2). Eine derartige Preiserhöhung kann für die Weltkonjunktur erhebliche Auswirkungen haben, die aber maßgeblich von den Ursachen des Ölpreisanstiegs abhängen. Einerseits kann der Ölpreis steigen, weil die Ölfördermenge redu- ziert wurde (Ölangebotseffekt) oder die Ölnachfrage spekulationsbedingt, etwa infolge pessimistischerer Erwartungen oder gestiegener Unsicherheit, zunahm (Ölnachfrageeffekt). Beide Kanäle dürften die weltwirt- schaftliche Produktion dämpfen. Andererseits kann der Ölpreisanstieg Ausdruck einer lebhaften Expansion der Weltkonjunktur sein, die den Energiebedarf und die allgemeine Nachfrage nach Rohstoffen steigen lässt (Weltnachfrageeffekt). Die Bedeutung dieser drei Kanäle für den Ölpreisanstieg wird im Folgenden mit Hilfe eines strukturellen Zeitreihenmodells (vgl. Kilian und Murphy 2014 und Güntner 2014) untersucht. Abbildung 1.3 zeigt die pro- zentualen Beiträge der drei Kanäle zur Abweichung des Rohölpreises (oberes Panel) und der realen Aktivität (unteres Panel) vom jeweiligen Mittelwert seit dem Jahr 2000. Demnach war der Haupttreiber des jüngsten Ölpreisanstiegs die stark expandierende Weltkonjunktur. Die Wiederbelebung der weltweiten wirtschaftlichen Aktivität seit Mitte 2016 hat zu einer steigenden Nachfrage nach Industrierohstoffen geführt, was unter ande- rem den Preis von Rohöl nach oben drückte. Dagegen wirkte das Ölangebot in den vergangen zwei Jahren kaum preistreibend. Bis September 2017 dämpfte die geförderte Rohölmenge den Ölpreis sogar, seitdem übt sie einen leichten Aufwärtsdruck auf die Preise aus. Die ölmarktspezifische Nachfrage wirkte seit Mitte 2016 immer ölpreissenkend. Die Erwartungen waren also eher optimistisch und die Unsicherheit niedrig, so dass Öl nicht verstärkt gelagert wurde. Allerdings nahm dieser dämpfende Effekt der spezifischen Ölnachfrage über die Zeit ab. Hierzu dürften einerseits die politischen Unruhen in Venezuela und andererseits die im November 2016 beschlossene Kooperationsvereinbarung zwischen den OPEC- und einigen Nicht-OPEC-Staaten zur Kür- zung der Ölfördermenge sowie die Frage, inwiefern die geringere Ölförderung durch die USA kompensiert wer- den kann, beigetragen haben. ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018 35
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 1.3 Dementsprechend wird der Beiträge der drei Kanäle für die Entwicklung ... Anstieg der realen Aktivität von Februar 2016 bis Januar ... des Rohölpreises 2018 vor allem durch die 150 % Ölnachfrage Restgröße Entwicklung der Weltnach- Weltnachfrage Ölpreisᵃ frage erklärt. Insbeson- Ölangebot Reale Aktivitätᵃ 100 dere in der zweiten Hälfte des Jahres 2017 wurden die 50 Impulse einer erstarken- den Weltkonjunktur zuneh- 0 mend positiv, so dass die -50 Aktivität nun deutlich über ihrem Mittelwert liegt. Aber -100 auch die Ölmarktspezifi- 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 sche Nachfrage sorgte für positive Impulse wenn auch ... der realen Aktivität % im geringeren Umfang. 100 Dagegen tragen die Schwankungen des Ölan- 50 gebots in den vergangenen 0 Monaten negativ zur realen Aktivität bei. -50 Die bisherige Analyse endet im Januar 2018, da -100 für die Öllagerbestände keine aktuelleren Daten -150 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 verfügbar sind. Zwischen Hinweis zur Dimension der Balken: Beitrag zur prozentualen Abweichung des Ölpreises vom Mittelwert Januar und März 2018 bzw. der realen Aktivität vom Mittelwert. kam es zu einem weite- ᵃ Prozentuale Abweichung vom Mittelwert. Quelle: Energy Information Administration (EIA); OECD; Kilian; Schätzungen des ifo Instituts. © ifo Institut ren Rückgang der Ölförde- rung in den OPEC-Ländern Abb. 1.4 und den kooperierenden Ölfördermengen Nicht-OPEC-Ländern (vgl. Tausend Barrel / Tag Abb. 1.4). Allerdings wurde OPEC und kooperierende Länder Andere ölfördernde Länder dieser Rückgang zum Teil 51000 28000 von anderen ölfördernden Ländern, allen voran den 50000 27000 USA, kompensiert. Daher ist davon auszugehen, 49000 26000 dass die anhaltenden poli- 48000 25000 tischen Unruhen in Vene- zuela und die angespann- 47000 24000 ten Beziehungen zwi- schen den USA und dem 46000 23000 Iran die weltweite Ölförde- rung auch in den kommen- 45000 22000 den Monaten nur bedingt 2016 2017 2018 dämpfen werden. Weitere Quelle: JODI (Joint Organisations Data Initiative), OPEC. © ifo Institut potenzielle Rohölpreisan- stiege dürften vor allem durch die Entwicklung der Weltkonjunktur verursacht werden und nur zu einem geringeren Anteil durch Beschränkungen des Ölangebots. Insgesamt ist somit der Rohölpreisanstieg bis Anfang des laufenden Jahres vor allem auf die gute welt- weite konjunkturelle Entwicklung zurückzuführen und nicht auf einen Rückgang der Ölfördermenge. Auch bis Mitte des laufenden Jahres dürften die im Rahmen des Kooperationsvertrags festgelegten Produktions- einschränkungen sowie der Iran-USA-Konflikt aufgrund der verstärkten Ölförderung in anderen Ländern nur einen moderaten Effekt auf den Ölpreis haben. 36 ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 1.5 Frühindikatoren für die Gesamtwirtschaft Markit Einkaufsmanagerindex Markit Einkaufsmanagerindex – ausgewählte Länder Index Index Euroraum 56 60 USA 58 54 56 52 54 50 Fortgeschrittene Volkswirtschaften 52 Schwellenländer Welt 48 50 2015 2016 2017 2018 2015 2016 2017 2018 ifo Weltwirtschaftsklima Konsumentenvertrauenᵃ Salden Index 40 2,0 Fortgeschrittene Volkswirtschaften Fortgeschrittene Volkswirtschaften 30 Schwellenländer Schwellenländer Welt 1,5 Welt 20 1,0 10 0,5 0 0,0 -10 -20 -0,5 2015 2016 2017 2018 2015 2016 2017 2018 ᵃ Fortgeschrittene Volkswirtschaften und Schwellenländer sind als Anteile am Gesamtindex dargestellt. Die Abgrenzungen sind gemäß der Definition des ifo Instituts. Gewichtungen basieren auf dem Bruttoinlandsprodukt des Vorjahres. Quelle: ifo World Economic Survey (WES); IHS Markit; nationale Statistiken; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut tal 2018, das aufgrund von Sonderfaktoren vorüberge- Stimmung in den fortgeschrittenen Volkswirtschaf- hend schwächer ausfiel. Darauf deutet die Mehrzahl ten zurückzuführen. Innerhalb der fortgeschrittenen der weltweiten Stimmungsindikatoren hin. Zwar ver- Volkswirtschaften revidierten die USA ihre Erwartun- schlechterte sich das ifo Weltwirtschaftsklima im zwei- gen deutlich nach oben, während der Euroraum diese ten Quartal (vgl. Abb. 1.5 links unten); die Beurteilung nach unten anpasste (vgl. Abb. 1.5 rechts oben). Sek- der Lage ist aber in etwa unverändert gegenüber dem toral betrachtet sind es die Unternehmen im Dienst- Vorquartal und noch deutlich über der Lageeinschät- leistungssektor, die deutlich optimistischer wurden, zung im Schlussquartal 2017. Die Erwartungen der Experten Abb. 1.6 verschlechtern sich vor allem Reales Bruttoinlandsprodukt in der Welt in den fortgeschrittenen Volks- Saisonbereinigter Verlauf wirtschaften und im geringe- Index, 1. Quartal 2003 = 100 % ren Maße auch in den Schwel- 160 2,5 len- und Entwicklungsländern. Laufende Rateᵃ 3,1% 155 Jahresdurchschnittᵇ 2,0 Dagegen hat der weltweite Ein- Index 3,3% kaufsmanagerindex im April 150 1,5 und Mai deutlich angezogen, 3,3% 145 1,0 nach einer starken Stimmungs- 2,5% eintrübung im März, die wohl 140 0,5 im Zusammenhang mit den geopolitischen Spannungen 135 0,0 2,9% 2,9% und den handelspolitischen 130 -0,5 Auseinandersetzungen gestan- 2014 2015 2016 2017 2018 2019 den haben dürfte (vgl. Abb. 1.5 a Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %. b Zahlenangaben: Veränderung gegenüber dem Vorjahr. links oben). Der jüngste Anstieg Quelle: Eurostat; OECD; Internationaler Währungsfonds; Berechnungen des ifo Instituts; ist dabei auf eine verbesserte ab 2. Quartal 2018: Prognose des ifo Instituts. © ifo Institut ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018 37
DATEN UND PROGNOSEN 1.1 Tab. 1.1 Reales Bruttoinlandsprodukt und Verbraucherpreise in der Welt Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreise Gewicht Veränderungen gegenüber Vorjahr in % in %a 2016 2017 2018 2019 2016 2017 2018 2019 Fortgeschrittene Volkswirtschaften 69,3 1,6 2,3 2,2 2,0 0,8 1,8 2,1 2,0 USA 29,9 1,5 2,3 2,7 2,4 1,3 2,1 2,6 2,3 Euroraum 19,2 1,8 2,6 2,1 1,8 0,2 1,5 1,8 1,9 Japan 7,9 1,0 1,7 1,0 1,2 – 0,1 0,5 0,8 1,3 Vereinigtes Königreich 4,3 1,9 1,8 1,2 1,4 0,6 2,7 2,6 2,2 Kanada 2,5 1,4 3,0 1,9 2,0 1,4 1,6 2,3 2,1 Südkorea 2,3 2,9 3,1 2,8 2,7 1,0 1,9 1,6 2,0 Schweiz 1,1 1,4 1,1 2,1 1,7 – 0,4 0,5 0,8 1,0 Schweden 0,8 3,0 2,5 2,7 2,0 1,0 1,8 1,6 2,0 Norwegen 0,6 1,0 2,0 1,8 1,9 3,6 1,9 1,9 1,8 Dänemark 0,5 2,0 2,2 1,4 1,8 0,3 1,1 1,0 1,6 Tschechien 0,3 2,5 4,6 3,2 3,2 0,6 2,4 2,0 1,8 Schwellenländer 30,7 4,9 5,6 5,5 5,4 3,6 2,8 3,0 3,1 China 18,0 6,7 6,9 6,5 6,2 2,0 1,6 1,9 2,0 Indien 3,7 7,8 6,3 7,5 7,4 4,9 3,3 4,8 4,7 Brasilien 2,9 – 3,5 1,0 2,0 2,9 8,7 3,4 3,4 4,1 Russland 2,1 – 0,2 1,0 1,5 2,0 7,0 3,7 3,5 4,0 Mexiko 1,7 2,6 2,3 2,6 2,6 2,8 6,0 4,4 3,3 Türkei 1,4 3,2 7,4 5,9 3,7 7,8 11,1 11,4 10,4 Polen 0,8 3,0 4,7 4,7 3,6 – 0,2 1,6 1,3 2,5 Ungarn 0,2 2,1 4,2 4,2 3,2 0,4 2,4 2,3 3,0 Welt 100,0 2,5 3,3 3,3 3,1 1,7 2,1 2,4 2,4 nachrichtlich: Welthandel, realb 1,5 4,6 4,7 4,1 Annahmen Ölpreis $/Barrel (Brent) 43,6 54,3 72,8 76,1 Wechselkurs $/€ 1,1 1,13 1,19 1,18 a Gewichtet mit dem Bruttoinlandsprodukt von 2016 in US-Dollar. b Welthandel von Waren in Abgrenzung von CPB. Quelle: Eurostat; OECD; IWF; CPB; Berechnungen des ifo Instituts; 2018 bis 2019: Prognose des ifo Instituts. während im Verarbeitenden Gewerbe keine Aufwärts- tenen Volkswirtschaften die Produktionskapazitä- tendenz zu beobachten war. Dagegen ist das Konsu- ten allmählich überausgelastet sind. Zum anderen mentenvertrauen weltweit auf einem außergewöhn- dürfte die restriktivere Geldpolitik in China, die mit lich hohen Niveau (vgl. Abb. 1.5 rechts unten). strikteren Kreditvergabestandards einhergeht, die Der Aufschwung dürfte sich im weiteren Verlauf wirtschaftliche Expansion moderat dämpfen. Stär- fortsetzen; die Dynamik der weltweiten gesamtwirt- kere positive Impulse, insbesondere im laufenden schaftlichen Produktion wird aber wohl etwas mode- Jahr, gehen von der US-amerikanischen Steuerre- rater als im vergangenen Jahr ausfallen. Das liegt form aus, die insbesondere die Investitionen in den zum einen daran, dass in einer Reihe von fortgeschrit- USA und in einem geringeren Maße auch den Kon- sum der privaten US-Haus- Abb. 1.7 halte stimulieren dürfte (vgl. Revision der Prognose der Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts Organisation für wirtschaftli- Differenz zur ifo Konjunkturprognose Frühjahr 2018; in Prozentpunkten che Zusammenarbeit und Ent- Für das Jahr 2018 Für das Jahr 2019 wicklung 2018; Projektgruppe Fortgeschrittene Volkswirtschaften +0,0 Gemeinschaftsdiagnose 2018; -0,1 Wollmershäuser et al. 2018.). USA +0,0 +0,1 Diese Steuerpolitik sowie die Euroraum -0,3 -0,1 sich abzeichnende Verschär- Japan -0,5 +0,1 fung protektionistischer Maß- Vereinigtes Königreich -0,2 +0,1 nahmen durch die US-Regie- Schwellenländer +0,1 -0,0 rung dürften allerdings auch China -0,2 -0,1 dazu beitragen, dass sich die Indien +0,2 -0,2 Investitionstätigkeit insbeson- Brasilien +0,3 +0,4 dere in Europa abschwächen wird, da multinationale Unter- Russland +0,4 +0,4 nehmen ihre globalen Produk- Welt -0,1 +0,0 tionsketten überdenken wer- Quelle: Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut den und Teile ihrer Produk- 38 ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 1.8 den Schwellenländern dürfte Frühindikatoren des internationalen Warenverkehrs die Inflation bei etwa 3% im Prognosezeitraum liegen. Hier RWI/ISL-Containerumschlag-Index ifo WES Welthandelserwartungen sticht insbesondere die Türkei Veränderung gegenüber dem Vorquartal in % Saldo 4 40 heraus, deren Inflation weiter- hin wohl deutlich über 10% lie- gen wird. 2 30 Der Welthandel dürfte im zweiten Quartal 2018 immer 0 20 noch sehr dynamisch, aber den- noch mit einer niedrigeren Rate als im Quartal zuvor expandie- -2 10 ren. Darauf deutet der Rück- gang wichtiger Frühindikatoren des internationalen Warenver- -4 0 2014 2015 2016 2017 2018 kehrs hin (vgl. Abb. 1.8). So gin- Quelle: ifo World Economic Survey (WES); RWI; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut gen der RWI/ISL-Containerum- schlag-Index und die Welthan- delserwartungen des ifo World 3 tion in die USA verlegen dürften. Dagegen werden in Economic Survey zuletzt deutlich zurück. Im Sommer- Indien insbesondere die privaten Investitionen dyna- halbjahr 2018 wird der Weltwarenhandel mit laufen- misch zulegen aufgrund des im vergangenen Jahr den Raten von voraussichtlich jeweils 1,1% zulegen, deutlich vereinfachten Umsatzsteuersystems; das im weiteren Verlauf des Prognosezeitraums dürften die alte System hatte dazu geführt, dass der Warentrans- Raten, im Einklang mit der Dynamik der Weltproduk- port zwischen den Bundesstaaten äußerst bürokra- tion, leicht abnehmen. Insgesamt wird der internatio- tisch ablief. Zu guter Letzt werden die gestiegenen nale Handel in diesem Jahr preisbereinigt um 4,7% und Rohölpreise in den ölexportierenden Ländern vor- im kommenden Jahr um 4,1% steigen. Die Elastizität aussichtlich für eine lebhafte Dynamik sorgen. Da die des Welthandels, definiert als Verhältnis von Welthan- Ölpreisanstiege bis Januar 2018 hauptsächlich nach- del zur gesamtwirtschaftlichen Weltproduktion, liegt frageseitig bedingt waren, sind nur geringe negative im kommenden Jahr etwas niedriger als im laufenden Auswirkungen auf die ölimportierenden Länder zu Jahr. Dazu dürfte nicht zuletzt eine zunehmende Verla- erwarten. gerung der weltweiten Produktion in die USA in Folge Alles in allem wird das Bruttoinlandsprodukt der der US-Handels- und Steuerpolitik beitragen. Welt in diesem und im kommenden Jahr mit 3,3% bzw. 3,1% voraussichtlich etwas schwächer zunehmen als 1.3. RISIKEN im Jahr 2017 (vgl. Abb. 1.6 und Tab. 1.1). Im Vergleich zur Frühjahrsprognose 2018 wurden die Zuwachsra- Die Abwärtsrisiken für die weltwirtschaftliche Entwick- ten in vielen Regionen für dieses Jahr um insgesamt lung haben sich im Vergleich zur Frühjahrsprognose 0,1 Prozentpunkte nach unten revidiert; die Prognosen deutlich erhöht. Ab Juni 2018 erheben die USA Zölle in für die beiden ölexportierenden Länder Brasilien und Höhe von 25% auf Stahl- und 10% auf Aluminiumim- Russland wurden hingegen angehoben (vgl. Abb. 1.7). porte aus Kanada, Mexiko und der Europäischen Union. Die Inflationsrate wird in den fortgeschrittenen Zwar sind die langfristigen Effekte dieser Zölle insge- Volkswirtschaften im laufenden und kommenden samt relativ gering (vgl. Tab. 1.2 und ifo Institut 2018). Jahr voraussichtlich bei etwa 2% liegen. Das ist einer- Allerdings überprüfen die USA derzeit, ob darüber hin- seits eine Folge des relativ starken Anstiegs der Ener- aus Zölle auf die Einfuhr von Kraftfahrzeugen erhoben giepreise seit Mitte 2017. Andererseits wird die zuneh- werden sollen. Insgesamt ergäben sich dann Einbußen mende Auslastung der Kapazitäten im Verlauf des beim BIP, die um ein Vielfaches höher wären. Gleichzei- Prognosezeitraums wohl zu einem stärkeren Preis- tig kündigen die EU und China Strafzölle an. Eine wei- druck führen. Im Ländervergleich dürften die Inflations- tere Ausweitung von Handelsbarrieren ist dadurch zu raten allerdings sehr unterschiedlich sein. So kam es in einem 1.2 nicht mehr zu vernachlässigbaren Risiko gewor- den USA im Winterhalbjahr 2017/2018 zu relativ hohen Tab. 1.2 Lohnsteigerungen, die sich sukzessive in den Verbrau- Effekte der unilateralen US-Zölle cherpreisen niederschlagen dürften. In Großbritannien laufen die preissteigernden Effekte der Abwertung des Stahl, Alu Stahl, Alu und Autos Mrd Euro % des BIP Mrd Euro % des BIP Pfunds nach dem Brexit-Votum nur zögerlich aus. In EU 28 – 0,5 0,0 – 9,0 – 0,1 3 In einer weltweiten Befragung des ifo Instituts erwarten Experten Kanada – 2,9 – 0,2 – 6,1 – 0,4 aus den EU-Ländern, dass die europäischen Investitionen zurück- Mexiko – 1,0 – 0,1 – 4,7 – 0,5 gehen werden und es zu einer Verlagerung von geistigem Eigentum und von Firmensitzen in die USA kommen wird (vgl. Boumans und USA 2,9 0,0 8,6 0,1 Krolage 2018). Quelle: Berechnungen des ifo Instituts. ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018 39
DATEN UND PROGNOSEN den und könnte zu einem Einbruch des Welthandels 2. Lage und Prognose der führen. Sollte die Inflation in den USA schneller anziehen Wirtschaft im Euroraum und es somit zu stärkeren kontraktiven Maßnahmen seitens der US-amerikanischen Notenbank als derzeit 2.1. KONJUNKTUR IM EURORAUM VERLIERT AN erwartet kommen, so könnte es zu Kapitalabflüssen FAHRT aus vielen Schwellenländern kommen mit einer ent- sprechenden Wechselkursabwertung. Viele dieser Län- Nach einer Hochphase im vergangenen Jahr verlor der halten einen Teil ihrer Verschuldung in US-Dollar, die Konjunktur im Euroraum zu Beginn dieses Jahres so dass sich die Zinszahlungen und damit die Verschul- an Fahrt. Mit einem Anstieg des realen Bruttoinland- dung des öffentlichen oder privaten Sektors beträcht- sprodukts von 0,4% im ersten Quartal 2018 gegenüber lich erhöhen und die positive Investitionsdynamik dem Vorquartal schwächte sich die Expansion im Ver- stoppen würde. Einige dieser Länder sind bereits hoch gleich zu den starken Zuwachsraten von jeweils 0,7% verschuldet, so dass Zahlungsausfälle und Finanz- in den vier Quartalen des Jahres 2017 merklich ab. Der markturbulenzen wahrscheinlicher werden. Konsum trug dabei mit 0,3 Prozentpunkten am meis- Die Ölpreisanstiege bis Anfang des laufenden Jah- ten zur Expansion bei. Dagegen ging der Schub durch res waren im Wesentlichen nachfrageseitig induziert. die privaten Investitionen und den Außenhandel deut- Seitdem dürften die Verwerfungen zwischen den USA lich zurück (Wachstumsbeiträge von 0,1 bzw. − 0,1 Pro- und dem Iran den Ölpreis angebotsseitig erhöht haben, zentpunkte, nach 0,3 bzw. 0,4 Prozentpunkten im vier- was wohl einen dämpfenden Einfluss auf die Weltwirt- ten Quartal 2017). Sie waren im vergangenen Jahr die schaft haben wird. Sollte der Druck der US-Regierung Haupttreiber der guten Konjunktur. auf die EU so groß werden, dass auch die EU das Atom Unter den fünf größten Volkswirtschaften des abkommen aufkündigt, so dürften der Ölpreis wei- Euroraums waren insbesondere Deutschland, Frank- ter steigen und die Expansion der Weltproduktion reich und die Niederlande von der Verlangsamung belasten. der wirtschaftlichen Aktivität betroffen. Der Zuwachs Die Risiken im Euroraum werden im folgenden des realen Bruttoinlandsprodukts schwächte sich am Abschnitt diskutiert. stärksten in Frankreich ab, von 0,7% im vierten Quar- tal 2017 auf 0,2% im ersten Quartal 2018. In Deutsch- land verlangsamte sich die Expansion im selben Zeit- raum von 0,6% auf 0,3%; in den Niederlanden von 0,7% auf 0,5%. In Italien fiel der Rückgang nur moderat aus (von 0,4% auf 0,3%), während die spanische Wirtschaft im Vorquartalsvergleich mit 0,7% unverändert stark zulegte. Die Verlangsamung der Expansion im ersten Quartal im Euroraum (und insbesondere in Frankreich und Deutschland) kam durch ein Zusammenspiel von unterschiedlichen Faktoren zustande. Auf der Ange- botsseite geht der Rückgang der Wirtschaftsleistung im ersten Quartal mit zunehmenden Kapazitätsbe- schränkungen einher. Nach Unternehmensbefragun- gen der Europäischen Kommission im Verarbeiten- den Gewerbe haben vor allem deutsche und französi- sche Unternehmen seit 2017 zunehmend angegeben, dass ihre Produktionstätigkeit durch einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und technischen Kapazi- täten negativ beeinträchtigt wurde. Diese Knapphei- ten spiegeln sich nach denselben Befragungen auch in hohen Kapazitätsauslastungen, vollen Auftragsbü- chern und temporär leeren Lagern von Ausrüstungs- güterherstellern wider. Unternehmen hatten somit zum Teil kurzfristig Schwierigkeiten, ihre Produktion weiter entsprechend der hohen Nachfrage auszu- dehnen. Dies trug wohl zu einer geringeren Expan- sion von Investitionen und Exporten im ersten Quar- tal 2018 bei. Dass die Produktionskapazitäten trotz dieser Eng- pässe nicht ausgeweitet wurden, muss aber wohl auch als erste Folge der US-amerikanischen Wirtschafspo- 40 ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018
DATEN UND PROGNOSEN litik unter Präsident Trump zu sehen sein. Die Einfüh- zeichnet sich in Frankreich ab. Dort legte die Kernin- rung vom Importzöllen auf Aluminium- und Stahlpro- flationsrate in Folge der konjunkturellen Dynamik von dukte aus der EU, die Androhung einer Ausweitung der 0,4% im ersten Quartal 2017 auf 1,2% im ersten Quar- Importzölle auf andere Waren aus der EU, sowie das tal 2018 deutlich zu. Inkrafttreten der Unternehmenssteuerreform in den Vereinigten Staaten könnte europäische Unterneh- 2.2. FINANZIERUNGSBEDINGUNGEN WEITERHIN men dazu veranlasst haben, ihre globalen Produkti- SEHR GÜNSTIG onsketten zu überdenken und Planungen im Hinblick auf eine Verlagerung von Teilen ihrer Produktion in die Die EZB führt seit Januar 2018 ihr erweitertes Pro- Vereinigten Staaten voranzutreiben. Dies dürfte insbe- gramm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset sondere die Investitionstätigkeit im Euroraum belas- Purchase Program, APP) mit einem monatlichen Volu- tet haben, aber auch den Rückgang der Ausfuhren men von 30 Mrd. Euro fort. Insgesamt stellte die EZB erklären. den Geschäftsbanken im APP nunmehr Zentralbank- Zunehmend belastend für die europäischen geld in Höhe von 2 431 Mrd. Euro (Stand: Ende Mai) zur Exporteure dürfte sich auch die Aufwertung des Euro Verfügung. Die EZB beließ den Hauptrefinanzierungs- gegenüber dem US-Dollar im vergangenen Jahr um satz seit März 2016 unverändert bei 0%, die Spitzenre- 15% (Januar 2018 gegenüber Januar 2017) ausgewirkt finanzierungsfazilität bei 0,25% und den Einlagesatz haben. Schließlich hat wohl auch eine Reihe von Son bei − 0,4%. dereffekten zu einer schwächeren Expansion im ersten Mit dem anhaltenden Liquiditätsüberschuss des Quartal geführt. Dazu zählen ungünstige Wetterein- Bankensystems blieben die Geld-markzinsen für Tages- flüsse, der Ausbruch einer europaweiten Grippewelle, geld (EONIA) und Dreimonatsgeld (EURIBOR) unter streikbedingte Arbeitsniederlegungen sowie eine − 0,3% und somit nahe dem Einlagesatz (vgl. Abb. 2.1). ungewöhnlich hohe Anzahl an Ferientagen in einigen Die Kapitalmarktzinsen stabilisierten sich weiter auf Regionen Deutschlands. niedrigem, leicht positivem Niveau und lagen im Mai In Folge der guten wirtschaftlichen Entwicklung für zehnjährige Anleihen von Staaten höchster Boni- im vergangenen Jahr hat sich auch die Lage auf dem tät (AAA) wieder etwas höher bei 0,5%. Die Zinsen für Arbeitsmarkt im Euroraum kontinuierlich verbessert. Unternehmensanleihen mittlerer Bonität (BBB) stiegen Die Beschäftigung erreichte im Jahr 2017 Zuwächse auf 2,1%. von durchschnittlich 0,4% gegenüber dem Vorquar- Die durchschnittlichen Zinsen für neuvergebene tal. Im April lag die Arbeitslosenquote bei 8,5%, im Ver- Kredite an Unternehmen und Immobilienkredite haben gleich zu 9,2% im Vorjahr. Allerdings bestehen weiter- sich bei ca. 1,5% bzw. 2,1% (Mai) stabilisiert. Das aus- hin große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaa- stehende Volumen an Immobilienkrediten legte mit ten. Nach Griechenland mit über 20% gibt es relativ zur annualisierten Verlaufsraten von 2,7% weiterhin zu, Anzahl der Erwerbspersonen in Spanien und Italien die Unternehmenskredite expandierten mit 2,8%. meisten registrierten Arbeitslosen (15,9% bzw. 11,2%). Insgesamt sind die Finanzierungsbedingun- Während die Arbeitslosenquote in Spanien zuletzt gen im Euroraum weiterhin sehr günstig. Insbeson- weiter gesunken ist, blieb die Lage in Italien seit April dere die Kreditvergabebereitschaft der Banken 2017 nahezu unverändert. Mit 3,4% und 3,9% fällt die hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich Arbeitslosenquote unter den großen Ländern des Euro- verbessert. Nach der jüngsten Befragung von Ban- raums in Deutschland und den Niederlanden am nied- ken im Rahmen des Bank Lending Survey verbesser- rigsten aus. ten sich die Finanzierungsbedingungen sowohl für Der Preisauftrieb im Euroraum hat seit Beginn des Unternehmens- als auch für Immobilienkredite im Jahres 2017 abgenommen. Die Inflationsrate verrin- ersten Quartal 2018. Höherer Wettbewerbsdruck gerte sich von 1,8% im ersten Quartal 2017 auf 1,3% und eine verbesserte Risikoeinschätzung der im ersten Quartal 2018. Diese Entwicklung ist maß- Banken trugen zu dieser Lockerung bei. Zudem be- geblich von Energiepreisen getrieben. Die um Ener- richteten kleine und mittlere Unternehmen in der giepreiseffekte bereinigte Kerninflationsrate stieg jüngsten SAFE-Umfrage (Survey on the Access to zunächst von 0,8% im ersten Quartal 2017 auf 1,3% Finance of Enterprises) vom Frühjahr 2018 einen im dritten Quartal an, bevor sie sich nach einer leich- verbesserten Zugang zu Möglichkeiten der ten Abschwächung im vierten Quartal (1,1%) auf 1,2% Fremdfinanzierung. im ersten Quartal 2018 erhöhte. Beim Tempo der Im Prognosezeitraum wird die EZB ihren Expansi- Preissteigerung gibt es nach wie vor größere Unter- onskurs allmählich etwas straffen. Während die Leit- schiede zwischen den großen Mitgliedstaaten des zinsen bis Ende 2019 auf dem derzeitigen Niveau blei- Euroraums. Im Jahr 2017 lagen Deutschland und Spa- ben dürften, wird das Volumen der Wertpapierkäufe nien mit 1,8% und 1,7% bereits nahe am Inflationsziel von derzeit monatlich durchschnittlich 30 Mrd. Euro der EZB von etwas unter 2%. In Frankreich, Italien und im letzten Quartal 2018 auf 15 Mrd. Euro monatlich den Niederlanden war der Preisauftrieb mit jeweils zurückgeführt. Anfang 2019 werden die Anleihekäufe 1,2%, 1,2% und 1,3% vergleichsweise niedrig. Eine auf null reduziert sein (vgl. Abschnitt 5.3). Vor diesem Entwicklung, die diese Divergenz verringern könnte, Hintergrund dürften im Prognosezeitraum die Kapital- ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018 41
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 2.1 Zur monetären Lage im Euroraum Geldmarktzinsen Kapitalmarktzinsenᵃ % % 3 EURIBOR 12 Staatsanleihen (AAA) EONIA Staatsanleihen 10 Unternehmensanleihen (BBB) 2 8 6 1 4 2 0 0 -1 -2 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Kreditzinsenᵇ Kreditbeständeᶜ % % 5 Unternehmen 6 Unternehmen Private Haushalte Private Haushalte 4 4 2 3 0 2 -2 1 -4 0 -6 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 ᵃ Unternehmensanleihen = Zinsen für Anleihen von Unternehmen mit mittlerer (BBB) Bonität und einer Restlaufzeit von zehn Jahren. Staatsanleihen = durchschnittliche Zinsen für Staatsanleihen von allen Ländern des Euroraums bzw. von Ländern mit höchster Bonität (AAA); Restlaufzeit zehn Jahre; BIP-gewichtete Durchschnitte. ᵇ Durchschnittliche Zinsen für neuvergebene Kredite an Unternehmen (nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften) und private Haushalte (Immobilienkredite). ᶜ Kreditbestände der Unternehmen (nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften) und privaten Haushalte (Immobilienkredite) (gleitender Sechsmonatsdurchschnitt der Vormonatsveränderung in Prozent (annualisiert), saisonbereinigt). Quelle: Europäische Zentralbank; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut marktzinsen und in der Folge die Kreditzinsen allmäh- litik in Italien und den Niederlanden leicht expansiv lich wieder steigen. ausgerichtet. Im Prognosezeitraum dürfe der finanzpolitische 2.3. FINANZPOLITIK ZUKÜNFTIG WIEDER Kurs im Euroraum wieder lockerer werden. Zwar ist EXPANSIVER eine Vielzahl von Ländern noch weit davon entfernt, die Regeln des europäischen Fiskalpaktes, insbeson- Seit der Eurokrise hat sich die durchschnittliche Neu- dere im Hinblick auf die Schuldenstandsquote (maxi- verschuldung der Mitgliedstaaten des Euroraums kon- mal 60% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt) und tinuierlich auf zuletzt 0,9% in Relation zum Bruttoin- das strukturelle Finanzierungsdefizit (maximal 0,5% landsprodukt verringert. Während dieser Rückgang in in Relation zum Bruttoinlandsprodukt), auch nur den Jahren 2015 und 2016 größtenteils auf konjunk- annähernd einzuhalten (vgl. Abb. 2.2).5 Allerdings turell bedingte Mehreinnahmen und Minderausga- zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahre, dass diese ben zurückzuführen war, trug dazu im vergangenen Fiskalregeln – unter anderem auch aufgrund der wohl- Jahr zusätzlich ein restriktiver finanzpolitischer Kurs wollenden Haltung der EU-Kommission gegenüber bei. So verbesserte sich der sogenannte strukturelle Verstößen von Mitgliedsstaaten – wenig disziplinie- Finanzierungssaldo, also der um Konjunktureffekte rende Wirkung entfalten. Nach jüngsten Schätzun- sowie um einmalige und sonstige befristete Maßnah- gen der EU-Kommission werden in diesem und nächs- men4 bereinigte Finanzierungssaldo um 0,3 Prozent- ten Jahr nur sechs von 19 Mitgliedstaaten das Defizit- punkte in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Aller- ziel erreichen. Im Schnitt über alle Länder wird sich dings trugen nicht alle Mitgliedstaaten gleichermaßen das strukturelle Finanzierungsdefizit im Jahr 2018 zur Konsolidierung bei. Während sich der struktu- wohl wieder leicht auf 0,8% des Bruttoinlandspro- relle Finanzierungssaldo in Frankreich, Deutschland und Spanien etwas verbesserte, war die Finanzpo- 5 Während die Schuldenstandsquote in den Niederlanden im letz- ten Jahr erstmals wieder unter 60% lag und auch Deutschland mit 4 Dazu zählt die EU-Kommission z.B. Verkaufserlöse oder Aufwen- 64% nicht mehr weit von dieser Grenze entfernt ist, kommen Frank- dungen zur Bankenrettung. reich und Spanien weiterhin auf knapp 100% und Italien auf 132%. 42 ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 2.2 dukts erhöhen (nach 0,6% im Einhaltung europäischer Fiskalregeln (2016‒2019) Jahr 2017 und 0,8% im Jahr 2016). Dabei dürfen sich ins- Deutschland Spanien Frankreich Italien Niederlande besondere in den hoch ver- Struktureller Finanzierungssaldo schuldeten Ländern die struk- 2 turellen Finanzierungsdefizite 1 bis 2019 noch vergrößern und damit die Rückführung der 0 Schuldenstandsquoten weiter -1 verzögern. Frankreichs Finanzpoli- -2 tik dürfte im nächsten Jahr -3 expansiv wirken. Der struktu- relle Finanzierungssaldo wird -4 sich nach Schätzungen der 0 20 40 60 80 100 120 140 Schuldenstandsquote EU-Kommission von − 0,1% Quelle: Europäische Kommission; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut in diesem Jahr auf − 1,1% in Relation zum Bruttoinlands Zu den Auswirkungen der geplanten Maßnahmen der neuen italienischen Regierung auf den Staats haushalt und die Schuldenstandsquote Die neue italienische Regierungskoalition aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung haben Pläne für ein Paket von Politikmaßnahmen vorgestellt. Deren Umsetzung würden die Staatsfinanzen stark beeinträchtigen, sofern die Reformen nicht durch höhere Steuern oder niedrigere Staatsausgaben finanziert würden. Die drei wichtigsten Maßnahmen umfassen: –– Einführung eines zweistufigen Einkommensteuersystems für Haushalte und Unternehmen (mit Steuersät- zen in Höhe von 15% und 20%) im kommenden Jahr, –– Einführung einer Grundsicherung in Höhe von 780 Euro für Haushalte mit niedrigem Einkommen, –– Reform des Rentensystems, die das Renteneintrittsalter senkt und den Bezug zur Lebenserwartung aufhebt. Tabelle 2.1 fasst die mit diesen und weiteren Maßnahmen verbundenen Mehrausgaben und Mindereinnah- men für den italienischen Staat zusammen. Die Einkommensteuerreform dürfte die Steuereinnahmen im nächsten Jahr um 30 Mrd. Euro verringern. Die Spanne der Schätzungen für die Kosten der Einführung einer Grundsicherung reicht von 15 bis 30 Mrd. Euro pro Jahr. In der vorliegenden Analyse wird von einer Mehrbe- lastung in Höhe von 19 Mrd. Euro ausgegangen. Die Reform des Rentensystems würde die Staatsausgaben jährlich um etwa 13 Mrd. Euro erhöhen. Zudem plant die Regierung die Verbrauchssteuer auf Kraftstoffe 2.1 abzuschaffen und zusätzli- che, nicht näher spezifi- Tab. 2.1 zierte, Investitionen zu Geschätzte Auswirkung der geplanten Maßnahmen der italienischen Regierung auf den Staatshaushalt im Jahr 2019 tätigen. Alles in allem in Mrd. Euro würde der Staatshaushalt Senkung der Steuereinnahmen durch die geplanten Maß- Duales Einkommensteuersystem 30,0 nahmen wohl um 74 Mrd. Abschaffung der Verbrauchssteuer auf Kraftstoffe 6,0 Euro zusätzlich belastet Anstieg der Staatsausgaben werden. Grundsicherung 19,0 Die Finanzierung die- Flexibilisierung des Rentensystems 5,0 ser Maßnahmen wird Reform des Rentensystems 8,0 Investitionen 6,0 von der neuen italieni- Summe 74,0 schen Regierung nur grob in % des BIP 4,5 skizziert. Im Folgenden Finanzierungssaldo und Schuldenstandsquote im Jahr 2019, wird die vereinfachende falls die geplanten Maßnahmen implementiert werden Annahme getroffen, dass Finanzierungssaldo (in Mrd. Euro) – 105,5 die Reformen nicht durch Finanzierungssaldo (in % des BIP) – 6,5 Schuldenstandsquote (in % des BIP) 134,8 eine Verringerung ande- Das geschätzte BIP im Jahr 2019 unterstellt eine Wachstumsprognose von +1,1% in den Jahren 2018 und 2019. rer Staatsausgaben oder Quellen: DG ECFIN AMECO; Prognose des ifo Instituts. durch eine Erhöhung der ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018 43
DATEN UND PROGNOSEN Steuereinnahmen ausgeglichen, sondern über Neuverschuldung finanziert werden. Dies erlaubt eine erste Abschätzung des größtmöglichen negativen Effekts der Maßnahmen auf den staatlichen Finanzierungssaldo und die öffentliche Verschuldung. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt entspricht die Zusatzbelastung des öffentlichen Gesamthaushalts mit 74 Mrd. Euro im nächsten Jahr einem drastischen Anstieg des Finanzierungsdefizits von geschätzten 1,7% (ohne Umsetzung der Maßnahmen) auf 6,5% (mit Umsetzung der Maßnahmen). In der Folge würde sich die Schuldenstandsquote im Jahr 2019 von derzeit geschätzten 129,7% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt auf 134,8% erhöhen. Diese einfache Kalkulation unterstellt einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von jeweils 1,1% im lau- fenden und im nächsten Jahr (Basisszenario). Falls die geplanten fiskalischen Maßnahmen eine expansive Wir- kung entfalten, beispielsweise weil die Einführung der Grundsicherung und die Steuerreform Impulse für den privaten Konsum und die Investitionen entfalten oder durch Vorzieheffekte die inländische Nachfrage bereits im laufenden Jahr anregen, könnte der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts höher ausfallen. Deshalb werden in einem optimistischen Szenario Zuwachsraten von 1.5% in diesem Jahr und 2,0% im nächsten Jahr angenom- men. Auch in diesem Fall würde das Finanzierungsdefizit in Relation zum Bruttoinlandsprodukt im nächsten Jahr deutlich auf 6,4% ansteigen. Der Saldo würde also im Vergleich zum Basisszenario nur um 0,1 Prozent- punkte besser ausfallen. Die Staatsschuldenquote würde sich auch im optimistischen Szenario auf 133,1% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt markant erhöhen. Zusammenfassend zeigt diese einfache Analyse, dass die geplanten umfassenden Maßnahmen der neuen italienischen Regierung zu einem deutlichen Anstieg des staatlichen Budgetdefizits und der Schuldenstands- quote führen würden, falls zur deren Finanzierung nicht Steuern erhöht oder andere Staatsausgaben gesenkt werden. Dieses Ergebnis gilt leicht abgeschwächt auch für den Fall, dass die Maßnahmen einen positiven kon- junkturellen Impuls auslösen. produkt verringern. Dieser Anstieg der Neuverschul- 2.4. AUSBLICK dung ist allerdings nur temporär und größtenteils auf eine Steuerreform zurückzuführen, bei der die soge- Die Konjunkturindikatoren für den Euroraum deuten nannte Steuerbefreiung für Wettbewerb und Beschäf- auf eine langsamere Gangart der weiteren gesamtwirt- tigung durch eine dauerhafte Absenkung der Sozi- schaftlichen Entwicklung hin. Die meisten Stimmungs- alausgaben ersetzt wird. Vor dem Hintergrund der indikatoren sind in den vergangenen Monaten gesun- zu erwartenden geldpolitischen Normalisierung ken; allerdings befinden sie sich weiterhin auf einem und des damit einhergehenden Anstiegs der Kapi- hohen Niveau. So ist der Markit-Einkaufsmanagerindex talmarktzinsen könnten einige der hochver- seit Februar gefallen, und auch nach den Befragungen schuldeten Länder erneut unter Druck geraten. In der EU-Kommission blickt die Industrie seit Beginn des Italien stehen auch insbesondere die Pläne für tief- Jahres etwas weniger optimistisch in die Zukunft. Dazu greifende fiskalische Reformen der neuen Regierung dürfte unter anderem die Eintrübung bei den Exporter- einem Abbau der hohen Staatsverschuldung entge- wartungen beigetragen haben. Überdies ist die Indust- gen (vgl. Kasten: Zu den Auswirkungen der geplan- rieproduktion (Produzierendes Gewerbe ohne Bau) im ten Maßnahmen der neuen italienischen Regierung Euroraum im April um 0,9% zurückgegangen; sie fiel auf den Staatshaushalt und die Schuldenstands- auch in jedem der fünf größten Länder (Deutschland, quote). Da noch keine der geplanten Maßnahmen Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande). Mit umgesetzt wurde, werden sie in der Prognose nicht der sich abschwächenden Industriekonjunktur dürfte berücksichtigt. sich insbesondere die Dynamik bei den Investitionen 2.2 Tab. 2.2 Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise und Arbeitslosenquote im Euroraum Bruttoinlandsprodukta Verbraucherpreiseb Arbeitslosenquotec Gewicht in % Veränderung gegenüber Vorjahr in % in % 2016 2017 2018 2019 2016 2017 2018 2019 2016 2017 2018 2019 Deutschlandd 29,2 1,9 2,5 1,8 1,8 0,4 1,7 1,9 2,0 4,2 3,7 3,1 2,9 Frankreich 20,5 1,1 2,3 1,7 1,8 0,3 1,2 1,6 1,7 10,1 9,4 8,8 8,2 Italien 15,4 1,0 1,6 1,1 1,1 – 0,1 1,3 1,2 1,2 11,7 11,3 11,0 10,6 Spanien 10,4 3,3 3,1 2,9 2,3 – 0,4 2,0 1,5 1,6 19,6 17,2 15,5 14,0 Niederlande 6,6 2,1 3,3 3,1 2,6 0,1 1,3 1,7 2,3 6,0 4,9 4,2 3,9 Euroraume 100,0 1,8 2,6 2,1 1,8 0,2 1,5 1,8 1,9 10,0 9,1 8,2 7,5 a Die Zuwachsraten sind um Kalendereffekte bereinigt, außer für Irland und Slowakei. b Harmonisierter Verbraucherpreisindex (HVPI). c Standardisiert. d Die Zuwachsra- ten des Bruttoinlandsprodukts sind um Kalendereffekte bereinigt. e Gewichteter Durchschnitt der aufgeführten Länder. Quelle: Eurostat; OECD; IWF; 2018 bis 2019: Prognose des ifo Instituts. 44 ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018
DATEN UND PROGNOSEN 2.3 Tab. 2.3 nien wurden nur leicht ange- Eckdaten zur Wirtschaftsentwicklung im Euroraum passt. Die Niederlande sind 2016 2017 2018 2019 das einzige Land unter den Veränderung gegenüber Vorjahr in % a großen Volkswirtschaften, für Private Konsumausgaben 1,9 1,7 1,5 1,4 das die Prognose des BIP-An- Konsumausgaben des Staates 1,8 1,2 1,0 1,2 stiegs im Prognosezeitraum Bruttoanlageinvestitionen 4,5 3,5 2,6 2,0 nach oben revidiert wurde Inländische Verwendung 2,7 2,1 1,7 1,5 Exporte 3,3 5,5 3,8 3,2 (um 0,2 Prozentpunkte für Importe 4,6 4,5 3,5 3,5 dieses und um 0,4 Prozent- Bruttoinlandsprodukt (BIP) 1,8 2,6 2,1 1,8 punkte für kommendes Jahr). Arbeitslosenquotea (in % der Erwerbs- 10,0 9,1 8,2 7,5 Die Perspektiven auf dem personen) Arbeitsmarkt dürften sich vor- Verbraucherpreiseb (Veränderung gegen- 0,2 1,5 1,8 1,9 über Vorjahr in %) rausichtlich weiter verbes- Finanzierungssaldo des Staates (in % des – 1,5 – 0,9 – 0,7 – 0,6 sern. Die Arbeitslosenquote Bruttoinlandsprodukts) wird wohl weiter sinken, aller- Standardisiert. Harmonisierter Verbraucherpreisindex. dings etwas langsamer als im a b Quelle: Eurostat; 2018 bis 2019: Prognose des ifo Instituts. vergangenen Jahr. Nach 8,4% im Jahr 2017 dürften in diesem und den Exporten verlangsamen. Lediglich das Kon- Jahr 7,8% und im nächsten Jahr 7,2% der Erwerbstä- sumentenvertrauen hat sich nach einem kleinen Rück- tigen als arbeitslos registriert sein. Die Unterschiede gang im Februar stabilisiert. Deshalb dürfte der private zwischen den Mitgliedern des Euroraums bleiben Konsum, nicht zuletzt als Folge der verbesserten Lage jedoch signifikant. Die Arbeitslosenquote dürfte in die- am Arbeitsmarkt, voraussichtlich mit einem ähnlichen sem Jahr in Spanien und Italien weiterhin am höchsten Tempo wie bisher expandieren. bleiben (15,5% und 11,0%). Aufgrund der kräftigeren Das reale Bruttoinlandsprodukt im Euroraum Konjunktur fällt der Rückgang der Arbeitslosigkeit in dürfte somit in diesem und im nächsten Jahr mit 2,1% Spanien mit 1,7 Prozentpunkten jedoch voraussicht- und 1,8% steigen (vgl. Tab. 2.2 und Tab. 2.3). Damit lich deutlich stärker aus als in Italien, wo der Rück- verliert die Konjunktur im Vergleich zum Vorjahr, als gang lediglich 0,2 Prozentpunkte betragen dürfte. In der Anstieg noch 2,6% betrug, deutlich an Fahrt (vgl. Deutschland und den Niederlanden sind aufgrund der Abb. 2.3). Maßgeblich für diese Abschwächung sind niedrigen Niveaus der Arbeitslosenquoten nur noch Deutschland und Italien, wo die Zuwachsraten in die- geringere Rückgänge zu erwarten. sem Jahr um 0,7 bzw. 0,4 Prozentpunkte niedriger als Die Inflationsrate im Euroraum wird in diesem im Vorjahr liegen werden. Unter den fünf größten Mit- und im nächsten Jahr mit 1,8% bzw. 1,9% dem Ziel gliedsländern dürften die Niederlande und Spanien der EZB von etwas unter 2% annähern. Der Anstieg weiterhin die höchste wirtschaftliche Dynamik auf- geht dabei sowohl auf im Vorjahresvergleich höhere weisen, mit Zuwachsraten von jeweils 3,1% und 2,9% Energiepreise als auch auf eine Zunahme der Kernin- im laufenden Jahr. Das Expansionstempo in Deutsch- flation zurück. Die Teuerung bei den Energieträgern land und Frankreich wird in diesem Jahr mit 1,8% bzw. wird maßgeblich von höheren Ölpreisen getrieben: 1,7% ähnlich hoch ausfallen. Mit den geringsten Raten Rohöl der Sorte Brent kostete im Mai dieses Jahres unter allen Mitgliedern des Euroraums wird die itali- 55% mehr als im Mai 2017. Die um Energiepreiseffekte enische Wirtschaft wohl wei- ter zurückfallen (jeweils 1,1% Abb. 2.3 im laufenden und im nächsten Reales Bruttoinlandsprodukt im Euroraum Jahr). Saison- und kalenderbereinigter Verlauf Verglic hen mit der ifo Früh- Index, 1. Quartal 2014 = 100 % jahrsprognose 2018 wurde der 115 1,5 Laufende Rateᵃ Anstieg des realen Bruttoin- Jahresdurchschnittᵇ 1,8% landsprodukts für den Euro- Volumen 2,1% 110 1,0 raum um 0,4 Prozentpunkte für 2,6% dieses Jahr und um 0,1 Prozent- 1,8% 2,0% punkte für nächstes Jahr nach 105 0,5 unten revidiert (vgl. Abb. 2.4). Unter den fünf größten Län- 100 0,0 dern wurden die Zuwachsra- 1,4% ten für Deutschland und Italien für das laufende Jahr mit 0,8 95 -0,5 2014 2015 2016 2017 2018 2019 bzw. 0,4 Prozentpunkten am a Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %. b Zahlenangaben: Veränderung gegenüber dem Vorjahr. stärksten gesenkt. Die Prog- Quelle: Eurostat; Berechnungen des ifo Instituts; nosen für Frankreich und Spa- ab 2. Quartal 2018: Prognose des ifo Instituts. © ifo Institut ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018 45
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 2.4 Importzölle auf Fahrzeuge Revision der Prognose der Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts erhebt oder falls weitere Han- Differenz zur ifo Konjunkturprognose Frühjahr 2018; in Prozentpunkten delsbeschränkungen einge- Für das Jahr 2018 Für das Jahr 2019 führt werden. Dies könnte die Exporte aus dem Euroraum Deutschland -0,8 -0,4 vermindern und Unternehmen dazu veranlassen, vermehrt Frankreich 0,0 -0,1 in den Vereinigten Staaten zu investieren. Die zu Beginn Italien -0,4 -0,1 des Jahres in Kraft getretene Unternehmenssteuerreform Spanien -0,1 +0,1 könnte ebenfalls Produktions- verlagerungen in die Vereinig- Niederlande +0,2 +0,4 ten Staaten begünstigen. Allerdings besteht auch Euroraum -0,3 -0,1 die Möglichkeit, dass die Steu- erreform in Frankreich und die Quelle: Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut geplanten staatlichen Maß- nahmen der neuen Regierung bereinigte Kerninflationsrate dürfte insbesondere ab in Italien zu einer stärkeren wirtschaftlichen Expan- der zweiten Hälfte des laufenden Jahres infolge der sion führen als in dieser Prognose unterstellt. ansteigenden Beschäftigung und stärkeren Lohn- zuwächsen anziehen. Im Jahresdurchschnitt 2018 dürfte die Kernrate bei 1,3% liegen, und im kommen- den Jahr bei 1,7% Im Vergleich der größten Länder des Euroraums gibt es weiterhin große Unterschiede. Die Inflationsrate in Deutschland wird im Jahr 2019 voraussichtlich mit 2,0% etwas über dem Inflations- ziel der EZB liegen. Frankreich und Spanien bilden mit Preissteigerungen von 1,7% und 1,6% im nächs- ten Jahr das Mittelfeld. Die Teuerung in Italien bleibt wohl aufgrund der schwachen Konjunktur und der vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit mit 1,2% wei- terhin gering. 2.5. RISIKEN Gegenüber dem Frühjahr sind vor allem die Abwärts- risiken für die Konjunkturaussichten im Euroraum angestiegen. Sollten die geplanten Maßnahmen der neuen italienischen Regierung umgesetzt wer- den, so dürfte die hohe Staatsschuldenquote Italiens weiter ansteigen. Dies könnte Zweifel an der Trag- fähigkeit der Schulden wecken. Höhere Risikoauf- schläge, wie sie von den Finanzmärkten bereits beim Amtsantritt der neuen Regierung gefordert wurden, würden diese Situation weiter verschärfen. Hinzu kommt die euroskeptische Haltung der beiden Regie- rungsparteien, die schlimmstenfalls den Fortbestand der Währungsunion durch einen Austritt Italiens, des drittgrößten Mitgliedstaates, in Frage stellen könnte. Die damit einhergehenden wirtschaftlichen Folgen sind nicht quantifizierbar; der Schaden dürfte aber groß sein. Die in Abschnitt 1.3 diskutierte Verschärfung des Handelskonflikts der Europäischen Union mit den Ver- einigten Staaten könnte ebenfalls zu einem Abwei- chen der Prognose nach unten führen. Dies gilt ins- besondere, falls die US-amerikanische Regierung 46 ifo Schnelldienst 12 / 2018 71. Jahrgang 28. Juni 2018
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