Iga.Report 45 - Initiative Gesundheit und Arbeit
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iga.Report 45 Themenschwerpunkt Positive Psychologie Wirksamkeit von Die Initiative Gesundheit und Arbeit Achtsamkeitstechniken In der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) arbeiten gesetzliche Kranken- und Unfallversicherung im Arbeitskontext zusammen, um arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren vorzubeugen. Gemeinsam werden Präventions- ansätze für die Arbeitswelt weiter- entwickelt und vorhandene Methoden oder Erkenntnisse für die Praxis Maren M. Michaelsen, Johannes Graser, Miriam Onescheit, nutzbar gemacht. Matthias Tuma, Dawid Pieper, Lena Werdecker und Tobias Esch iga ist eine Kooperation von BKK Dachverband, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), dem AOK-Bundesverband und dem Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek). www.iga-info.de
iga.Report 45 Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext Maren M. Michaelsen, Johannes Graser, Miriam Onescheit, Matthias Tuma, Dawid Pieper, Lena Werdecker und Tobias Esch
Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung 8 1 Einleitung 9 2 Aktueller Stand der Forschung 13 3 Forschungsmethoden 14 3.1 Systematische Literaturrecherche 14 3.1.1 Suchstrategie 14 3.1.2 Screening-Prozess 16 3.1.3 Datenextraktion 16 3.1.4 Zielparameter 18 3.1.5 Berechnung der Wirksamkeit 22 3.2 Interviews mit Expertinnen und Experten 23 4 Übersicht der Studien 24 4.1 Studiencharakteristika 24 4.2 Achtsamkeitsbasierte Verfahren 25 4.3 Achtsamkeitsinformierte Verfahren 28 5 Wirksamkeit der Programme – ein Überblick 32 5.1 Wirksamkeit achtsamkeitsbasierter V erfahren 32 5.1.1 MBSR 34 5.1.2 MBSR modifiziert 36 5.1.3 Meditation 37 5.1.4 Weitere achtsamkeitsbasierte Programme 38 5.1.5 Ergebniszusammenfassung a chtsamkeitsbasierter Formate 39 5.2 Wirksamkeit achtsamkeitsinformierter Verfahren 40 5.2.1 Atemtrainings 42 5.2.2 ACT-Formate 43 5.2.3 Bewegungsorientierte Formate 43 5.2.4 Multimodale Programme 45 5.2.5 Ergebniszusammenfassung achtsamkeitsinformierter Formate 46 iga.Report 45 | 5
6 Ausgewählte Befunde 47 6.1 Wirksamkeit digitaler A chtsamkeitsprogramme 47 6.2 Attrition – welche Faktoren beeinflussen sie? 50 6.3 Die Effizienz von Achtsamkeit im U nternehmen – was wissen wir? 52 6.4 Interventionsdauer – sind kurze Interventionen wirksam? 54 7 Qualität der Studien und Forschungslücken 57 7.1 Qualität der Studien 57 7.1.1 Beschreibung des Verzerrungspotentials 57 7.1.2 Bewertung des Verzerrungspotenzials 58 7.1.3 Verringerung des Verzerrungspotenzials 60 7.2 Evidence Gap Map – Ergebnisse und Forschungslücken 60 8 Ergänzende Ergebnisse aus Interviews mit Expertinnen und Experten 63 8.1 Beschreibung der Achtsamkeitsexpertinnen und -experten 63 8.2 Beobachtungen der Expertinnen und Experten 66 8.2.1 Selbstreferenz 66 8.2.2 Empathie 67 8.2.3 Arbeitsbezogene Faktoren 68 8.3 Erwartungen an Beschäftigte 69 8.4 Voraussetzungen für die Etablierung von Achtsamkeit im Betrieb 71 8.4.1 Betriebsstruktur 71 8.4.2 Betriebskultur 72 8.4.3 Programmstruktur 72 8.5 Ein Blick in die Zukunft 74 8.5.1 Zur Popularität von Achtsamkeit 74 8.5.2 Das komplexe Konzept „Achtsamkeit“ 75 6 | iga.Report 45
9 Fazit 76 10 Literaturverzeichnis 78 11 Abbildungsverzeichnis 94 12 Tabellenverzeichnis 94 13 Abkürzungsverzeichnis 95 Anhang 96 iga.Report 45 | 7
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext Zusammenfassung In der vorliegenden Arbeit werden die Wirkungen, die Wirk- Vor allem das Stresserleben wurde durch die Achtsam- samkeit und der Nutzen von Achtsamkeitstrainings im be- keitstrainings stark gesenkt. Eine mittlere bis starke Wirk- trieblichen Kontext untersucht. Achtsamkeit wird vielfach als samkeit auf andere Parameter, vor allem auf physische und „absichtsvolle Aufmerksamkeitslenkung auf den gegenwär- physiologische Parameter der Gesundheit, das Wohlbefin- tigen Moment ohne zu bewerten“ (Kabat-Zinn, 2010) ver- den, die Erholungsfähigkeit, die Selbstreferenz und -regulati- standen. Dieser Bericht bietet einen tiefen Einblick in die on sowie arbeitsbezogene Faktoren (beispielsweise Burnout) Möglichkeiten des Einsatzes von achtsamkeitsfördernden konnte für vereinzelte Achtsamkeitstrainings identifiziert Methoden für Beraterinnen und Berater, Führungskräfte und werden. Spezifische Analysen zeigen eine Wirksamkeit digi- Beschäftigte, Achtsamkeitslehrende und in der Wissenschaft taler Achtsamkeitsinterventionen, aber keine Wirksamkeit Tätige. für kurze Interventionen, die weniger als fünf Stunden Ge- samttrainingszeit umfassen. Nutzenparameter wie Kos- Die Analyse beruht auf 105 randomisierten kontrollierten In- ten-Effektivität und Effizienz werden diskutiert. Eine Eviden- terventionsstudien im Setting Arbeit, die eine systematische ce Gap Map stellt den aktuellen Stand der Forschung grafisch Literaturrecherche für den Veröffentlichungszeitraum 2005 dar und zeigt weiteren Forschungsbedarf auf. Darüber hin- bis 2019 hervorbrachte. Die darin untersuchten Interventio- aus wird die Qualität der Studien diskutiert. nen verfolgen den „Leitgedanken Achtsamkeit“ und lassen sich in achtsamkeitsbasierte und achtsamkeitsinformierte Eine auf Expertinnen- und Experteninterviews basierende er- Trainings einteilen (siehe Abbildung 1, S. 10). Achtsamkeits- gänzende Analyse zeigt fördernde und hemmende Faktoren basierte Trainings haben den Fokus auf der Förderung von für die Etablierung von Achtsamkeit im Betrieb auf. Abschlie- Achtsamkeit und bestehen vornehmlich aus formalen Acht- ßend wird eine Einschätzung der möglichen zukünftigen Ent- samkeitstechniken. Bei achtsamkeitsinformierten Trainings wicklung von Achtsamkeit im Arbeitskontext präsentiert. wird die Achtsamkeit eher indirekt gefördert, da tendenziell informelle Methoden Anwendung finden. Auf Basis der in Danksagung. Die Autorinnen und Autoren danken Patrick Re- den Studien angegebenen Ergebnisse werden standardisier- bacz (www.visionom.de) für die grafische Umsetzung der te Effektstärken für insgesamt 27 verschiedene in den Studi- Evidence Gap Map, Jan Schneider für die Unterstützung im en untersuchte Parameter berechnet und miteinander vergli- Prozess der Datenerhebung und -extraktion und Annette chen. Diese quantitative Auswertung der Studien belegt eine Kerckhoff für die redaktionelle Überarbeitung des Textes. deutliche Wirkung auf Aspekte der psychischen Gesundheit. 8 | iga.Report 45
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext 1 Einleitung Um zunehmenden Herausforderungen in der Arbeitswelt zu on, das Körpergewahrsein, die Emotionsregulation und die begegnen, werden Beschäftigten vermehrt Kurse zur Förde- Selbstwahrnehmung (Esch, 2014; Hölzel et al., 2011). Auf Ba- rung von Achtsamkeit (Mindfulness) im Rahmen des Betriebli- sis dieser Fähigkeiten kann Achtsamkeit unter anderem zu chen Gesundheitsmanagements (BGM) angeboten, Achtsam- mehr Wohlbefinden verhelfen und zahlreiche weitere Ressour- keits-Coaches als Referentinnen und Referenten eingeladen cen stärken (Gu et al., 2015), wie im Verlauf dieser Arbeit er- und Achtsamkeits-Apps propagiert. Darüber hinaus wird Acht- sichtlich wird. Die Schulung von Achtsamkeit kann über ver- samkeit in Betrieben zur Unterstützung des Organisations- schiedenste formale und informelle Techniken erfolgen sowie und Kulturwandels eingesetzt, außerdem als Reaktion auf ei- über Programme gelehrt werden, die mehrere Techniken kom- nen weltweiten Trend und nicht zuletzt auf einen Wertewandel. binieren. Viele dieser Übungen können als Familie „komplexer emotions- und aufmerksamkeitsregulatorischer Trainings“ Achtsamkeit definiert werden, die für verschiedene Ziele wie die Entwick- Achtsamkeit als Form der Stressbewältigung nimmt an Bedeu- lung von Wohlbefinden und emotionale Ausgeglichenheit tung zu (Esch & Esch, 2016). Stress ist zu verstehen als eine angewendet werden (Lutz et al., 2008, S. 163). Situation, in der eine Herausforderung auftritt, auf die physio- logisch beziehungsweise psychologisch reagiert werden muss, Diese Techniken oder Kombinationen von Techniken lassen da sonst nicht zu tolerierende Konsequenzen auftreten. Für sich in achtsamkeitsbasierte (engl. mindfulness-based) und diese Reaktion (engl. Stress Response beziehungsweise Stress achtsamkeitsinformierte (engl. mindfulness-informed) Pro- reaktion, auch Kampf-oder-Flucht-Reaktion) wird ein physio- gramme einteilen. logisches Antwortmuster produziert. Dieses jedoch muss nicht zwingend als stressig wahrgenommen werden. Stress ist eine Achtsamkeitsbasierte Programme sind solche, die auf das Frage von Dauer und Dosis und seiner Kontrollierbarkeit (Esch, Erlernen oder Verbessern von Achtsamkeit fokussieren und 2002). dabei hauptsächlich formale mentale Übungen der Aufmerk- samkeitsfokussierung wie Atemmeditation oder Bodyscan beinhalten. Die besonders bekannte Achtsamkeitsbasierte Begriffsbestimmung: Was ist Achtsamkeit? Stressreduktion (engl. Mindfulness-Based Stress Reduction, kurz MBSR) nach Kabat-Zinn (2010) zählt beispielsweise zu Dem Begriff Achtsamkeit liegt keine einheitliche diesen Verfahren. Die formalen Techniken beeinflussen über Definition zugrunde, die eine einfache beziehungsweise den Kursverlauf durch einen Trainingseffekt auch die soge- scharfe Abgrenzung unterschiedlicher Konzepte zulässt. nannte „informelle Achtsamkeit“. Damit ist eine zunehmende Achtsamkeit ist ein Element vieler überlieferter Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Moment gemeint (Gegen- Konzepte der traditionellen Heilkunde sowie der wärtigkeit), die sich auch bei Alltagstätigkeiten immer stärker verschiedensten Meditations- und Körperpraktiken. einstellt (Birtwell et al., 2019). Somit beeinflussen die forma- Die meistzitierte Definition von „Achtsamkeit“ umfasst len Achtsamkeitsanteile auch zunehmend die informellen An- „die absichtsvolle Aufmerksamkeitslenkung auf den teile (Crane et al., 2014). gegenwärtigen Moment ohne zu bewerten“ (Kabat-Zinn, 2010). Einen Fokus auf eher informelle Achtsamkeitstechniken haben die sogenannten achtsamkeitsinformierten Ansätze. Hier wer- den zahlreiche Techniken der Mind-Body-Medizin angewandt, Über die Reduktion des Stresserlebens hinaus schreibt die wis- die Achtsamkeit auf vielfältige Weise fördern, beispielsweise senschaftliche Literatur der Achtsamkeit (beziehungsweise der über Atemübungen oder achtsame Bewegungsabfolgen wie formalen Achtsamkeitsmeditation als einer wichtigen Acht- im Yoga, Tai Chi oder Qigong. Des Weiteren zählen dazu Pro- samkeitspraxis) eine Reihe weiterer positiver Eigenschaften gramme, die die Förderung von Entspannung, Akzeptanz oder zu. So fördert das Erlernen oder Verbessern der Achtsamkeit Kommunikation im Fokus haben und dafür nicht nur mentale über neurologische beziehungsweise neurophysiologische oder formale Achtsamkeitsübungen nutzen (Esch, 2020). Veränderungen unter anderem die Aufmerksamkeitsregulati- Gemeinsam mit den achtsamkeitsbasierten Verfahren bilden iga.Report 45 | 9
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext Abbildung 1: Definition der Mind-Body-Verfahren die achtsamkeitsinformierten Verfahren die Gruppe der Mind- Body-Verfahren (engl. Mind-Body Interventions). Diese sind Begriffsbestimmung: Wirkung und Wirksamkeit dadurch gekennzeichnet, dass ihnen das Verständnis der Verbin- dung und gegenseitigen Beeinflussung von Körper und Geist Unter Wirkung (Effekt) wird im Rahmen (klinischer) beziehungsweise Psyche zugrunde liegt (Esch & Brinkhaus, Studien die Gesamtheit der Folgen einer Intervention 2021; Esch, 2020). Eine Übersicht ist in Abbildung 1 dargestellt. verstanden. Wirkung ist somit der Gegenbegriff zur Ursache, das heißt sie beschreibt einen kausalen Forschungsbedarf Zusammenhang. Meta-Analysen sind eine Form von systematischen Reviews. Sie beinhalten eine statistische Analyse, bei der die Ergebnisse Unter Wirksamkeit (Effektivität) wird die Bewertung der aller relevanten Primärstudien zu einem Gesamtergebnis positiven Wirkungen (kausalen Folgen) einer (klini- zusammengefasst werden. Das Gesamtergebnis hat oft eine schen) Intervention hinsichtlich ihrer Valenz (Wertig- deutlich höhere Aussagekraft als die Ergebnisse der keit) und Relevanz verstanden (Boos & Doppelfeld, Einzelstudien (Egger et al., 2001). 2009). In der internationalen Forschungslandschaft ist eine rasante Zunahme von Interventionsstudien (im Folgenden als „Studi- en“ bezeichnet) zu Meditation und Achtsamkeit, sowohl all gemein als auch im medizinischen Kontext, zu beobachten (Creswell, 2017). 10 | iga.Report 45
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext gruppen herausgearbeitet werden, dass sich sowohl defizit Begriffsbestimmung: Intervention und orientierte Parameter wie Burnout und Depression durch Interventionsstudien (Primärforschung) Achtsamkeitsprogramme verringern lassen als auch ressour- cenorientierte Parameter wie Arbeitszufriedenheit und Ar- Eine Intervention ist ein therapeutisches oder präventi- beitsleistung sich verbessern können (Richardson & Rothstein, ves Behandlungsverfahren, das im Rahmen einer 2008; Bartlett et al., 2019; Vonderlin et al., 2020; Lomas et al., Forschungsstudie an einer Gruppe von Probandinnen 2018). Gleichzeitig fällt die Evaluation der Evidenz von Über- und Probanden (Interventionsgruppe) getestet wird. sichtsstudie zu Übersichtsstudie unterschiedlich aus. Somit ist einerseits unklar, welche Wirkung Achtsamkeitstrainings im Interventionsstudien sind eine Form von wissenschaftli- Arbeitskontext haben, das heißt welche Aspekte (Gesundheit, chen Studien, die das Ziel verfolgen verschiedene Wohlbefinden, arbeitsspezifische Faktoren etc.) verändert Interventionen (hier Achtsamkeitsprogramme) in einer werden können. Andererseits ist auch die Wirksamkeit, also Population (hier: Beschäftigte) hinsichtlich ihrer wie stark die jeweiligen Effekte sind, noch nicht abschließend Wirkungen und ihrer Wirksamkeit zu untersuchen. geklärt. Darüber hinaus gibt es keine aktuelle wissenschaftli- Durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch che Übersichtsarbeit zu Kosten-Effektivität und Effizienz von randomisierte Zuteilung der Teilnehmenden in Interven- Achtsamkeitsprogrammen im Arbeitskontext. tions- und Kontrollgruppen, soll dies erreicht und dadurch sollen Verzerrungen (engl. Bias) des Ergebnis- Aufgrund einer stark gestiegenen Anzahl von Veröffentlichun- ses vermieden werden (Röhrig et al., 2009). gen achtsamkeitsbasierter Interventionen im Arbeitskontext erscheint eine erneute Analyse sowie die Erweiterung der Fra- gestellung auch um achtsamkeitsinformierte Verfahren ange- bracht und zeitgemäß. Begriffsbestimmung: Systematische Literaturana- lyse und Meta-Analyse (Sekundärforschung) Gegenstand und Herausforderung dieses Reports Die vorliegende Übersicht versucht, eine große Herausforde- Systematische Literaturanalysen (engl. Systematic rung zu bewältigen: Zum einen wurden Studien über einen Reviews) verfolgen das Ziel einer vollständigen, langen Zeitraum – von 2005 bis 2019 – erfasst. Zum anderen umfassenden Zusammenfassung der Primärstudien zu stellt der Begriff Achtsamkeit einen Überbegriff dar. Selbst einer bestimmten Forschungsfrage. Dabei werden wenn sich die darunter subsumierten Verfahren in achtsam- systematische Methoden zur Minimierung von keitsbasiert und achtsamkeitsinformiert unterteilen lassen, Ergebnisverzerrungen und zufälligen Fehlern verwen- bleibt eine Vielzahl konkreter Techniken und Praktiken, die das det. Studien werden kritisch bewertet und Ergebnisse Ziel haben, die Achtsamkeit zu fördern. Die Frage, welche Ver- qualitativ oder quantitativ synthetisiert. fahren aufzunehmen sind, wird in der Literatur nicht immer einheitlich beantwortet. Definitionen und Systematiken wei- chen voneinander ab. Aufgrund der fehlenden objektiven und Es existieren bereits systematische Übersichtsarbeiten zur umfassenden Definition des Begriffs Achtsamkeit basieren die Wirksamkeit von Achtsamkeitsprogrammen generell (Ospina in dieser Arbeit vorgenommenen Kategorisierungen hinsicht- et al., 2007; Goyal et al., 2014; Eberth & Sedlmeier, 2012), bei lich der Achtsamkeitsformate, -methoden und -übungen auf Indikationen aus dem Formenkreis psychischer Erkrankungen einer Reihe von fachlichen Entscheidungen. Diese orientieren (Virgili, 2015; Sedlmeier et al., 2012) und bei spezifischen Indi- sich an der bestehenden Literatur sowie an den persönlichen kationen aus dem Bereich physischer Beschwerden oder Er- Erfahrungen der Autorinnen und Autoren im Themenbereich krankungen wie chronischen Schmerzen und Brustkrebs (Khoo und an den Hinweisen der für diesen Report interviewten Ex- et al., 2019; Cramer et al., 2012a; Cramer et al., 2012b). Wei- pertinnen und Experten betrieblicher Achtsamkeit. Inhaltliche tere systematische Literaturanalysen zeigen auf, dass Acht- Überschneidungen von Konzepten sind nicht auszuschließen. samkeitstraining beziehungsweise Meditation neuronale Strukturen verändert (Fox et al., 2014; Gotink et al., 2016). In systematischen Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen mit Bezug zum Arbeitskontext konnte für übergreifende Berufs- iga.Report 45 | 11
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext Eröffnet bereits die Aufschlüsselung der untersuchten Ver erden. Die eingeschlossenen Interventionen zeigen somit w fahren ein weites Feld, so sind auch die Outcome-Parameter viel fältige Möglichkeiten des Einsatzes von Achtsamkeits der Achtsamkeitsinterventionen vielfältig. Sie umfassen objek- schulungen auf. tive Parameter wie Blutdruck oder Kortisolgehalt in Speichel oder Plasma, vor allem jedoch subjektive Einschätzungen der Über die Ergebnisse der systematischen Literaturrecherche Testpersonen selbst. hinaus beinhaltet dieser Report auch die Ergebnisse einer Rei- he von Interviews mit Expertinnen und Experten im Bereich Forschungsmethoden betrieblicher Achtsamkeit. Diese geben weiteren Aufschluss Um den Fragen nach Wirkung, Wirksamkeit und Kosten-Effek- über relevante Aspekte eines Einsatzes von Achtsamkeit im tivität sowie Effizienz von Achtsamkeit im Arbeitskontext Arbeitskontext, die somit die Ergebnisse der Literaturanalyse nachzugehen, wurde für den vorliegenden Bericht eine syste- ergänzen. So werden am Ende des Reports beispielsweise för- matische Literaturrecherche durchgeführt, eine quantitative dernde und hemmende Faktoren für die Etablierung von Acht- Analyse vorgenommen und eine narrative Ergebnispräsenta samkeit im Betrieb beleuchtet sowie eine Einschätzung der tion erstellt. zukünftigen Entwicklung von Achtsamkeit im Arbeitskontext aufgezeigt. Zuletzt enthält der Report auch eine eingeschränk- Studien, die in dieser Übersichtsarbeit behandelt werden, ver- te Einschätzung der Kosten-Effektivität und Effizienz von Acht- folgen den „Leitgedanken Achtsamkeit“. Entscheidend für die samkeitstrainings und legt dar, wo noch Forschungsbedarf Auswahl von Studien für die vorliegende Analyse ist also, dass besteht. in der Beschreibung einer untersuchten Intervention ersicht- lich wird, dass die Achtsamkeitsschulung im Vordergrund In diesem Sinne stellt das vorliegende Dokument einen umfas- steht – was unterschiedliche Verfahren und Interventionen senden, multiperspektivischen und zugleich aktualisierten For- einschließt. Während in bisherigen berufsgruppenübergreifen- schungsstand (engl. State-of-the-Art) zum Thema Achtsamkeit den Reviews ausschließlich achtsamkeitsbasierte Interventio- im Arbeitskontext dar, wozu verschiedene Forschungsmetho- nen im Fokus standen, werden im vorliegenden iga.Report den miteinander abgestimmt und kombiniert wurden (Mixed- auch achtsamkeitsinformierte Programme untersucht. Dies Methods-Ansatz). ermöglicht es, auf eine theoretische beziehungsweise abstrak- te Definition von Achtsamkeitstechniken, wie beispielsweise Zielgruppe in Vonderlin et al. (2020) vorgenommen, weitgehend zu ver- Dieser Report richtet sich an Beraterinnen und Berater der ge- zichten. In ihrer systematischen Übersichtsarbeit schlossen setzlichen Kranken- und Unfallversicherungen (zum Beispiel Vonderlin et al. (2020) nur Interventionen ein, die zu mindes- Aufsichtspersonen, Beraterinnen und Berater in der Präventi- tens 50 Prozent Achtsamkeit unterrichteten. Diese Grenze ist on und in der Betrieblichen Gesundheitsförderung) sowie an aus Interventionsbeschreibungen schwer ablesbar und des- Expertinnen und Experten im Betrieb (zum Beispiel Fachkräfte halb stark von der subjektiven Einschätzung der Autorinnen für Arbeitssicherheit, Betriebsärztinnen und -ärzte und und Autoren abhängig. Dadurch ist jene Studie beispielsweise BGM-Verantwortliche, Mitarbeitende der Personal- oder Orga- nicht replizierbar, das heißt die Vorgehensweise der Analyse nisationsentwicklung). Hoffentlich aufschlussreiche Informati- ist durch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler onen liefert dieser Report auch für wissenschaftlich Tätige, nicht wiederholbar und dadurch nicht überprüfbar. Eine brei- weil Forschungslücken dargelegt werden, die Qualität der tere Fassung von Achtsamkeitsprogrammen ergänzt um acht- Studien diskutiert wird und Verbesserungsmöglichkeiten für samkeitsinformierte Verfahren ermöglicht zudem auch die zukünftige Interventionsstudien vorgeschlagen werden. Acht- Auseinandersetzung mit der Frage nach der Wirkung und der samkeitslehrende, zum Beispiel selbstständige Trainerinnen Wirksamkeit einzelner Methoden im Vergleich miteinander. und Trainer, bekommen einen Überblick über die Wirkungen und Wirksamkeit einzelner achtsamkeitsförderlicher Techniken Die hier untersuchten Interventionen umfassen sowohl grup- (im Arbeitskontext) und können ihre eigenen Methoden in Re- penbasierte Verfahren, wie MBSR- und Yogakurse, als auch lation dazu setzen. Auch Führungskräfte und Beschäftigte, die solche, die einzeln beziehungsweise im Selbststudium durch- sich für Gesundheitsförderung durch Achtsamkeit interessie- geführt werden. Letztere sind häufig Online-Angebote, über ren, finden hier Einsichten in aktuelle Erkenntnisse und be- Online-Seminare oder Apps, wobei mittlerweile auch Acht- kommen Möglichkeiten des Einsatzes von Achtsamkeits samkeits-Gruppenkurse über das Internet durchgeführt trainings aufgezeigt. Nicht zuletzt sind die Erkenntnisse dieser 12 | iga.Report 45
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext Arbeit auch für politische Entscheidungsträgerinnen und -trä- formen untergliedert, und die jeweiligen Ergebnisse für alle ger, deren Verantwortungsbereich einen Bezug zum BGM hat, untersuchten Zielparameter werden aufgezeigt. Zusammen- von hoher Relevanz. Letzteres wird dadurch unterstrichen, fassungen jeweils am Ende der Unterabschnitte 5.1.5 und dass das Bundesgesundheitsministerium über Maßnahmen 5.2.5 ermöglichen es eiligen Leserinnen und Lesern, sich in des BGM informiert und berät, da Prävention und Gesund- Kürze über die Ergebnisse zu informieren. Im Anschluss (Kapi- heitsförderung als gesamtgesellschaftliche Aufgaben verstan- tel 6) werden ausgewählte Befunde diskutiert: Die Wirksam- den werden (Bundesministerium für Gesundheit, 2020). keit von digitalen im Vergleich zu analog durchgeführten Acht- samkeitstrainings, Gründe für hohe Abbruchquoten von Aufbau Achtsamkeitstrainings, die Kosten-Effektivität und Effizienz Im Anschluss an diese Einleitung (Kapitel 1) folgt eine kurze des Einsatzes von Achtsamkeitstrainings im Betrieb und die Zusammenfassung des bisherigen Stands der Forschung zum Wirksamkeit von Mikrointerventionen, das heißt kurzen Inter- Thema Achtsamkeit im Arbeitskontext (Kapitel 2). Hiernach ventionen von weniger als fünf Stunden Gesamttrainings werden die verwendeten Forschungsmethoden begründet und dauer. Die Qualität dieser Studien und der daraus abgeleiteten erklärt (Kapitel 3). Der Hauptteil folgt einer methodischen Evidenz sowie Forschungslücken werden in Kapitel 7 disku- Zweiteilung: Zunächst werden die Studien und die darin un- tiert. Daran schließt sich der qualitative Forschungsteil an tersuchten Interventionen, die auf Basis der umfangreichen (Kapitel 8), der ergänzende Ergebnisse zum Beispiel zur Nach- Literaturrecherche identifiziert wurden, vorgestellt (Kapitel 4). haltigkeit und möglichen zukünftigen Entwicklung von Acht- Darauf folgt die Darstellung der allgemeinen Ergebnisse der samkeit im Arbeitskontext bereitstellt. Der Report schließt mit Literaturanalyse (Kapitel 5). Diese sind nach Interventions einem Fazit (Kapitel 9) ab. 2 Aktueller Stand der Forschung Die Relevanz von Achtsamkeitstrainings im Rahmen des BGM 3.1.3 für Erläuterungen) fokussieren, zum Thema Achtsamkeit spiegelt sich in der Anzahl der Übersichtsarbeiten zu diesem am Arbeitsplatz veröffentlicht (Bartlett et al., 2019; Lomas et Thema wieder. Vor knapp 15 Jahren wurde der erste umfang- al., 2019; Vonderlin et al., 2020). Alle drei haben ausschließlich reiche Report und eine entsprechende Fachveröffentlichung achtsamkeitsbasierte Verfahren in die Auswertung einge- zu den Wirkungen und der Wirksamkeit von Achtsamkeitsme- schlossen: Lomas et al. (2019) untersuchten 35 RCTs und iden- thoden allgemein, das heißt nicht speziell im Arbeitskontext, tifizierten moderate Effekte, das heißt moderate Wirksamkeit, veröffentlicht (Ospina et al., 2007; 2008). Seitdem sind mehr von achtsamkeitsbasierten Interventionen auf defizitorientier- und mehr Übersichtsarbeiten entstanden, die die Wirksamkeit te Zielparameter wie Stress, Angst, Depression und Burnout gesundheitsförderlicher und achtsamkeitsbasierter Verfahren sowie moderate bis geringe Effekte auf ressourcenorientierte speziell im Arbeitskontext, meist für verschiedene Berufsgrup- Outcomes wie subjektive Parameter der Gesundheit, Arbeits- pen, analysiert haben. Gerade über Lehrpersonal sowie über leistung (Job Performance), Mitgefühl und Empathie, Acht- Beschäftigte im Gesundheitswesen gibt es eine Reihe an samkeit sowie Wohlbefinden. In der Arbeit von Bartlett et al. Übersichtsarbeiten (z. B. Burton et al., 2017; Irving et al., (2019) wurden 23 Studien einbezogen, die positive Effekte auf 2009; Lomas et al., 2018; Emerson et al., 2017; Hwang et al., Achtsamkeit, Stress und Angst, sowie Wohlbefinden aufzeigen 2017; Klingbeil & Renshaw, 2018), die eine positive Wirkung konnten, aber keine signifikanten Ergebnisse für Burnout, De- auf Stress beziehungsweise das Stresserleben, Burnout, Wohl- pression und Arbeitsleistung fanden. In der aktuellsten Über- befinden sowie Emotionsregulation aufzeigen. sichtsarbeit von Vonderlin et al. (2020) wurden 56 RCTs be- rücksichtigt, die ebenfalls nur achtsamkeitsbasierte Verfahren Seit 2018 wurden drei berufsgruppen- beziehungsweise bran- untersucht hatten. Das Studienteam wiederum konnte zum chenübergreifende Übersichtsarbeiten, die aufgrund der Fülle Teil deutliche Auswirkungen von Achtsamkeitsinterventionen an Studien auf randomisierte kontrollierte Untersuchungsde- auf Achtsamkeit, Wohlbefinden, Mitgefühl und Arbeitszufrie- signs (engl. Randomized-Controlled Trials, kurz RCTs) (siehe denheit finden, aber keine Effekte auf Arbeitsengagement und iga.Report 45 | 13
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext Produktivität berichten. Das kann unter anderem auf eine ge- wurden, deutet darauf hin, dass Achtsamkeitstrainings nicht ringe Anzahl an Studien, die diese Parameter analysiert haben, nur mit dem Ziel der Gesundheitsförderung eingesetzt wer- zurückgeführt werden. Diesem Problem wird im vorliegenden den. Achtsamkeit spielt zunehmend also auch eine Rolle in der Report teils Rechnung getragen, da seit dem Suchzeitraum, Entwicklung der Kultur und Innovationsfähigkeit eines Unter- den Vonderlin et al. (2020) verfolgten, circa 30 neue randomi- nehmens (Kohtes & Rosmann, 2014). sierte kontrollierte Studien zu Mind-Body-Ansätzen im Ar- beitskontext veröffentlicht wurden. Durch Einschluss dieser Über die genauen Wirkungen und die Wirksamkeit hinaus sind neuen Studien in die vorliegende Analyse erfolgt einerseits ein weitere Fragen in der Literatur noch nicht geklärt oder noch Update der bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Darü- nicht thematisiert. Dazu zählen die Gründe hoher Attrition, ber hinaus ermöglicht es die hier zusätzlich vorgenommene das heißt der Abbruchquoten von Achtsamkeitstrainings im qualitative Wirksamkeitsanalyse, auch eine Tendenz für bisher Betrieb, die Wirksamkeit von web- oder App-basierten Pro- unklare oder nicht berücksichtigte Ergebnisparameter wie Em- grammen im Vergleich zu analog durchgeführten Program- pathie, Lebenszufriedenheit und Produktivität herauszufiltern. men, die optimale Interventionsdauer und die Kosten-Effekti- Diese Ziele von Achtsamkeitstrainings gehen über die klassi- vität solcher Programme. Die Ergebnisse zu diesen Fragen schen BGM-Ziele (siehe Badura et al., 2010) hinaus. Dass sol- werden in diesem Report diskutiert. che Parameter in den eingeschlossenen Studien untersucht 3 Forschungsmethoden In diesem Kapitel wird erläutert, welche Forschungsmethoden 3.1.1 Suchstrategie für die vorliegende Arbeit verwendet wurden. Es wurde ein Mixed-Methods-Ansatz verfolgt, das heißt sowohl quantitati- Eine große Anzahl von Studien zur Wirkung und Wirksamkeit ve als auch qualitative Forschungsmethoden wurden ange- von Achtsamkeitstechniken wie Meditation, Yoga, Qigong und wandt. Der erste Teil (3.1) erklärt das Vorgehen der systemati- multimodalen Programmen im Arbeitskontext ist in Fach schen Literatursuche und die Auswertung der quantitativen zeitschriften mit qualitätssicherndem Review-Verfahren ver Ergebnisse. Der zweite Teil (3.2) beschreibt den ergänzenden öffentlicht worden. Um möglichst alle diese Studien zu iden qualitativen Ansatz. Dieser umfasst eine Reihe von Interviews tifizieren, wurde für diese Arbeit eine systematische mit Achtsamkeitsexpertinnen und -experten. Literaturrecherche durchgeführt. Dafür wurden Suchbegriffe festgelegt, mit denen nach relevanten Veröffentlichungen in verschiedenen Datenbanken gesucht wurde. Neben der me 3.1 Systematische Literaturrecherche dizinischen Datenbank PubMed wurde in den psychologischen Datenbanken PubPsych und PsycInfo sowie in den fachüber- greifenden Datenbanken Scopus und C ochrane gesucht. Im Rahmen der systematischen Literaturrecherche wurden di- verse Arbeitsschritte durchgeführt, die hier erläutert werden. Folgende Suchbegriffe wurden verwendet: Zuerst wird erklärt, wie nach relevanten veröffentlichten Stu- – Intervention: Achtsamkeit, Meditation, Atemübung, Yoga, dien gesucht wurde (3.1.1) und wie die Auswahl an Studien Tai Chi, Qi Gong/Qigong, Bodyscan, Mantra, Mind-Body für die vorliegende Analyse getroffen wurde (3.1.2). Im An- Therapie schluss wird erklärt, welche Daten aus den Studien extrahiert – Population und Setting: Arbeit, Arbeitsplatz, Job, Beruf, wurden (3.1.3). In Unterabschnitt 3.1.4 werden die von den Beschäftigung, Beschäftigte, Arbeitnehmer*, F ührungskraft Autorinnen und Autoren untersuchten Ergebnisparameter zu- – Kontrollgruppe beziehungsweise Studiendesign: sammengefasst und ihre Definitionen aufgeführt. Dann wird kontrolliert-randomisiert, randomisiert, RCT, zufällig, kont- erklärt, wie die Ergebnisse der Studien anhand von standardi- rollierte Studie, Intervention, Kontrollgruppe sierten Effektmaßen vergleichbar gemacht und interpretiert werden können (3.1.5). 14 | iga.Report 45
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext Diese Begriffe wurden zudem ins Englische übersetzt und mit bung der Studie deutlich erkennbar war. Studien, die Ge- der gleichen Suchstrategie verwendet. Als Beispiel ist der ge- sundheitsförderung beispielsweise auf Basis der Positiven naue Suchcode, der in PubMed eingegeben wurde, im Anhang Psychologie untersuchten (wie z. B. Feicht et al., 2013), die A2 aufgeführt. aber Achtsamkeit nicht als zentrales Leitprinzip verfolgten, wurden entsprechend nicht in die Analyse eingeschlossen. Für die Auswahl relevanter Studien wurden folgende Ein- und Diese Einschlussregel ermöglicht, sowohl achtsamkeitsba- Ausschlusskriterien festgelegt: sierte als auch achtsamkeitsinformierte Interventionen zu – Aufgrund der Vielzahl veröffentlichter Studien zum Thema berücksichtigen. Achtsamkeit am Arbeitsplatz wurden in dieser Übersichts- arbeit nur Studien eingeschlossen, denen ein randomisier- – Es wurden nur Studien eingeschlossen, deren Teilnehmen- tes kontrolliertes Studiendesign (RCT) zugrunde liegt. de berufstätige Erwachsene waren, um sicherzustellen, Diesem Studiendesign ist aufgrund eines geringeren Ver- dass es sich um eine im Arbeitskontext relevante Studie zerrungspotenzials der Ergebnisse (siehe Kapitel 7) Vorzug handelt. zu geben gegenüber anderen Studiendesigns. Zudem erlaubt es Aussagen zum kausalen Wirkungszusammen- – Eine weitere Voraussetzung für den Einschluss einer Studie hang zwischen Intervention und beobachteten Folgen. Das war ihre (Online-)Veröffentlichung zwischen Januar 2005 heißt, dass es stets eine oder mehrere Interventionsgrup- und November 2019 in einer Fachzeitschrift in deutscher pen gab, die ein Achtsamkeitsprogramm durchlaufen ha- oder englischer Sprache. Das Anfangsdatum ist begründet ben, sowie mindestens eine Kontrollgruppe. Üblicherweise durch den Suchzeitraum der umfangreichen Studie von gibt es drei Arten von Kontrollgruppen. Die Teilnehmenden Ospina et al. (2007; 2008), an die die vorliegende Arbeit einer aktiven Kontrollgruppe erhalten eine andere Inter- anschließen soll. Das Ende ist begründet durch den Start vention, beispielsweise mit demselben zeitlichen Umfang, der Bearbeitung dieses Reports. die aber methodisch keine oder andere Grundlagen hat (zum Beispiel eine Stunde mehr Mittagspause versus Acht- – Zuletzt war auch die Angabe mindestens eines inhaltlich samkeitstraining). In Wartelistenkontrollgruppen erhalten relevanten Ergebnisparameters (siehe 3.1.4 Zielparameter Probandinnen und Probanden das Training der Interventi- und 3.1.5 Berechnung der Wirksamkeit) Voraussetzung für onsgruppe(n), nachdem deren Training beendet ist. Teil- den Einschluss. nehmende passiver Kontrollgruppen erhalten keine Inter- vention. Die Zuteilung der Teilnehmenden in die Gruppen Für ein besseres Verständnis zeigt Tabelle 1 beispielhaft zwei erfolgt bei RCTs über ein Zufallsprinzip. Studien, von denen eine die oben beschriebenen Kriterien erfüllt und deshalb in die Studie eingeschlossen wurde – Studien, die die Teilnehmenden gruppenbasiert zuteilten, (Duchemin et al., 2015), während die andere nicht alle Kriteri- also nicht individuell randomisierte, wurden ausgeschlos- en erfüllt und deshalb nicht eingeschlossen wurde (Kersemae- sen. kers et al., 2018). – Voraussetzung für den Einschluss einer Studie war zusätz- lich, dass der Intervention der Leitgedanke der Förderung von Achtsamkeit zugrunde lag und dies in der Beschrei- iga.Report 45 | 15
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext Tabelle 1: Beispiel ein- und ausgeschlossener Studien Eingeschlossene Studie: Ausgeschlossene Studie: Kriterien Duchemin et al. 2015 Kersemaekers et al. 2018 RCT ja nein Individuelle Randomisierung ja nein Leitgedanke „Achtsamkeit“ ja ja Zielgruppe berufstätige Erwachsene ja ja Veröffentlichungszeitraum 2005–2019 ja ja Relevante Ergebnisparameter ja ja 3.1.2 Screening-Prozess 3.1.3 Datenextraktion Die beschriebene Suchstrategie lieferte insgesamt 6.339 Er- Zwei Mitglieder des Projektteams haben die für diesen Report gebnisse, von denen 1.342 Duplikate waren. Die verbleiben- relevanten Daten aus den veröffentlichten Artikeln zunächst den Artikel samt derer, die per Handsuche oder in bereits ver- unabhängig voneinander extrahiert und in einem weiteren öffentlichten Übersichtsstudien gefunden wurden, haben auf Schritt gemeinsam Diskrepanzen gelöst. Wenn beispielsweise Basis des Titels und Abstracts (das heißt Zusammenfassung für eine Angabe wie die Zahl der Teilnehmenden einer Inter- der Studie) zwei Mitglieder des Studienteams unabhängig vention bei beiden Mitgliedern unterschiedliche Daten in den voneinander auf Relevanz geprüft. 248 Studien wurden im An- jeweils erstellten Datenblättern gefunden wurden, überprüfte schluss ebenfalls von diesen beiden Personen vollständig ge- eine der beiden Personen die Angabe durch erneute Einsicht in lesen und auf die oben genannten Ein- und Ausschlusskriteri- die Veröffentlichung und sprach bei weiteren Unsicherheiten en hin geprüft. Dabei konnte eine Urteilsübereinstimmung bezüglich der Richtigkeit der Angabe mit der anderen Person (Interrater-Reliabilität, Cohen’s κ) von 98,3 Prozent erreicht sowie in Einzelfällen mit einem dritten Teammitglied. werden. Studien, über deren Einschluss sich die beiden Mit- glieder uneinig waren, wurden von einem dritten Teammit- Manche Veröffentlichungen enthalten mehrere Studien, in de- glied geprüft. Aufgrund fehlender notwendiger Angaben in 15 nen verschiedene Achtsamkeitsinterventionen oder die glei- Studien wurden deren Verfasserinnen und Verfasser ange- che Achtsamkeitsintervention für verschiedene Zielgruppen schrieben. Zehn von ihnen haben mit ergänzenden Angaben (zum Beispiel Beschäftigte mit hohem versus niedrigem geantwortet. Schließlich konnten 106 Veröffentlichungen ent- Stresslevel) untersucht werden. Andere Studien vergleichen sprechend der Kriterien in diese Übersichtsarbeit eingeschlos- mehrere relevante Interventionsgruppen (zum Beispiel MBSR sen werden. Das PRISMA-Diagramm in Abbildung 2 stellt den versus Yoga versus passive Kontrollgruppe). In diesen Fällen Screening-Verlauf im Detail dar. wurden die verschiedenen Studienarme als separate Studien aufgeführt und ausgewertet. In wenigen Fällen war die Acht- samkeitsintervention eine Kontrollgruppe. In diesen Fällen wurden in der Dokumentation für die vorliegende Arbeit die Begriffe von Kontroll- und Interventionsgruppe getauscht. Zu- dem gibt es einige Autorinnen und Autoren, die Ergebnisse einer Studie in mehreren Artikeln, teils mit überschneidenden Ergebnispräsentationen veröffentlicht haben. Diese wurden in der vorliegenden Arbeit zu einer Studie zusammengefasst. Beide Handhabungen sind in den Tabellen und im Text ent- 16 | iga.Report 45
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext Abbildung 2: PRISMA-Diagramm sprechend gekennzeichnet. Insgesamt umfasst die Auswer- Trainingszeit entspricht. Wenn Hausaufgabenzeit in der Inter- tung 105 Studien aus 106 veröffentlichten Artikeln. ventionsbeschreibung angegeben war, wurde diese vorgege- bene Hausaufgabenzeit dokumentiert. Bei Angabe von Min- Folgende Daten wurden aus den Artikeln extrahiert: dest- und Maximalübungszeit wurde die Mindestübungszeit – Name der Intervention (Originaltitel) dokumentiert. War zusätzlich eine durchschnittliche von den – Art der Kontrollgruppe (aktiv, passiv oder Warteliste) Teilnehmenden tatsächlich geleistete Hausaufgabendauer an- – Gesamtdauer der Intervention in Stunden und Wochen gegeben, wurde diese Information vernachlässigt. Außerdem – Art der Übermittlung des Achtsamkeitstrainings (digital wurde die Anzahl der Teilnehmenden pro Gruppe zu unter- oder analog) schiedlichen Messzeitpunkten extrahiert. In dieser Übersicht – Trainingsort (am Arbeitsplatz, zentral an einem Ort abseits liegt der Fokus auf den Messzeitpunkten Pre-Intervention (das des Arbeitsplatzes, ortsunabhängig) heißt vorher = T0) und Post-Intervention (das heißt direkt – ob das Training während oder außerhalb der Arbeitszeit nach Beendigung der Intervention = T1). Manche Artikel ent- stattfand und halten Zwischenergebnisse, also solche, die während (inmit- – ob Hausaufgaben obligatorisch waren. ten) der Intervention erhoben wurden. Diese wurden aufgrund schlechter Vergleichbarkeit für die vorliegende Arbeit nicht Wenn die Dauer einer Intervention in Tagen statt Stunden an- extrahiert. gegeben wurde, ist angenommen, dass ein Tag acht Stunden iga.Report 45 | 17
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext Nur circa ein Viertel der Studien enthält Ergebnisse, die einen Eine Auflistung der von den Studiengruppen verwendeten Ins- echten Vergleich zwischen Interventions- und Kontrollgruppe trumente ist im Tabellenband1 in Tabelle T1 zu finden. Diese im Follow-up (mehrere Wochen oder Monate nach der Inter- Tabelle enthält auch die Zuordnung der Instrumente zu sieben vention = T2) erlauben würden. Ein echter Vergleich ist dann Kategorien an Zielparametern. Die Kategorien samt ihren De- möglich, wenn nicht nur für die Interventionsgruppe, sondern finitionen sind im Folgenden aufgelistet: auch für die Kontrollgruppe Daten zum Zeitpunkt T2 erhoben wurden. Analysen solcher Follow-up-Erhebungen sind nicht 1. Physische und physiologische Parameter der Gesund- Gegenstand dieser Arbeit. Der Aspekt der Nachhaltigkeit wird heit: Zu den physischen und physiologischen Parametern allerdings in Abschnitt 8.4 auf Basis der Expertinnen- und Ex- der Gesundheit gehören objektive Faktoren, die von Perso- perteninformationen diskutiert. nen des Studienteams an den Teilnehmenden durch ent- sprechende Geräte (zum Beispiel Blutdruckmessgerät) Aus den angegebenen Teilnahmezahlen lässt sich die Ausfall- erhoben wurden und subjektive Parameter, die von den rate beziehungsweise Abbruchquote berechnen. Sind in der Probandinnen und Probanden selbst eingeschätzt werden. Veröffentlichung diese Zahlen an verschiedenen Messpunkten R Blutdruck: Der Blutdruck wird üblicherweise in Form nicht angegeben, wurde angenommen, dass es keine Inter- des systolischen und diastolischen Drucks durch ein ventionsabbrüche gab. Zudem wurde dokumentiert, in wel- Blutdruckmessgerät nichtinvasiv erhoben. Ein erhöhter chem Land die Studie durchgeführt wurde und zu welcher Blutdruck ist mit Stresserleben assoziiert, und es ist Berufsgruppe die Teilnehmenden gehören. Zuletzt wurden alle wissenschaftlich belegt, dass der Blutdruck durch Me für den Arbeitskontext relevanten Zielparameter, die in min- ditationsübungen gesenkt werden kann (Goldstein et destens vier Studien untersucht wurden, mit den entsprechen- al., 2012). den Effektstärken oder den dafür statistischen Größen zur Be- R Herzrate: Die Herzrate, oder Herzfrequenz, ist eine rechnung der Effektstärken extrahiert (siehe 3.1.5). Die autonome Funktion des Körpers und definiert als die Auswahl der Mindestanzahl von vier Studien pro detailliertem Anzahl der Herzschläge pro Zeiteinheit. Durch Achts Zielparameter orientiert sich an anderen Übersichtsarbeiten amkeits- und Meditationsübungen kann die Herzrate von Lomas et al. (2019), die Ergebnisse aus mindestens fünf gesenkt werden (Khalsa et al., 2015). Studien ausgewertet haben, Bartlett et al. (2019), deren Min- R Herzratenvariabilität (HRV): Die HRV, oder Herz destzahl von Studien drei betrug und Vonderlin et al. (2020), frequenzvariabilität, bezeichnet die Veränderungen die Parameter auswerteten, für die es mindestens vier Ergeb- im Herzrhythmus. Dieser ist beeinflusst durch die nisse gab. Dadurch wird eine Balance zwischen der Darstel- Aktivitäten des autonomen Nervensystems, das An- lung der Vielseitigkeit der Auswirkungen von Achtsamkeitstrai- spannung und Entspannung reguliert. Unter Stress ist nings und Aussagekraft der einzelnen Ergebnisse angestrebt. der Herzrhythmus für gewöhnlich eher hoch, während Im Einzelfall untersuchte Aspekte wie Aggression, Müdigkeit, er im Ruhezustand tendenziell niedrig ausfällt. Eine Kognition und verschiedenste physiologische Marker können geringe HRV zeigt eine schwache Anpassungsfähigkeit deshalb, wie in vorherigen Übersichtsarbeiten, in dieser Arbeit des Körpers an affektive, kognitive und psychologische nicht analysiert werden. Aspekte von Stress an. Im Gegensatz dazu ist eine hohe HRV mit einer besseren Stressregulationsfähig- 3.1.4 Zielparameter keit assoziiert (Hansen et al., 2004; Lehrer, 2009). R Kortisol: Kortisol ist ein Hormon, das unter Stress Die ausgewählten Studien untersuchen eine Vielzahl von Para- ausgeschüttet und deshalb oft als physiologischer metern, die hier beschrieben werden. Von über 500 verschie- Stressindikator benutzt wird (Flook et al., 2013). Die denen Instrumenten, das heißt Fragebögen und klinischen Konzentration von Kortisol im Körper wird in den Messparametern, wurden 343 in dieser Arbeit analysiert. Sie vorliegenden Studien auf Basis von Speichelproben er- sind hier zu sieben Kategorien mit insgesamt 27 detaillierten hoben. Eine in den Studien beobachtete Reduktion von Unterkategorien zusammengefasst. Die nicht verwendeten In- Kortisol im Speichel deutet auf eine stressreduzierende strumente erfassen alle sehr vereinzelte Aspekte, die im Detail Wirkung von Achtsamkeitsübungen hin. nicht untersucht werden können. 1 Der Tabellenband ist online verfügbar: www.iga-info.de > Veröffentlichungen > iga.Reporte > iga.Report 45. 18 | iga.Report 45
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext R Schmerz: Schmerz ist im Gegensatz zu den physiologi- außergewöhnliche Situationen (die Auslöser = Stres- schen Parametern ein selbst eingeschätzter Parameter. soren), wenn irgend möglich, adäquat zu reagieren Da er der Einschätzung eines physischen Zustands (Esch, 2002). Wichtig ist zu betonen, dass diese Reak- dient, wird er in dieser Arbeit der physischen Gesund- tion nicht zwingend als solche erlebt werden muss. Es heit zugeordnet. Schmerz wird meist über visuelle ist also möglich, gestresst zu sein, ohne es zu fühlen Analogskalen erhoben. Eine visuelle Analogskala ist oder zu wissen bzw. negativ zu bewerten (Matthews, beispielsweise eine Linie, deren Endpunkte extreme 2016). Im Gegensatz zu identifizierten Störungen ist Zustände darstellen, wie zum Beispiel „kein Schmerz“ Stress in seiner Definition und Messung allgemeiner und „unerträglicher Schmerz“, und die Befragten und umfasst psychophysiologische Symptome und geben an, an welcher Stelle auf dieser Linie sie ihr Verhaltenssymptome, die für eine bestimmte Störung Empfinden einordnen. nicht spezifisch sind, einschließlich ängstlicher und R Subjektive physische Gesundheit: Dieser Kategorie depressiver Reaktionen (Lomas et al., 2019). Stress sind Instrumente zugeordnet, die eine subjektive Ein erleben ist mit verschiedenen Erkrankungen assoziiert schätzung der Teilnehmenden zu ihrem physischen Ge- (Esch et al., 2002b). sundheitszustand erfassen. Dazu zählen beispielsweise R Angst: Nach dem State-Trait-Anxiety-Inventar (Spiel- verschiedene Subskalen der Medical Outcomes Study, berger et al., 1970) wird Zustandsangst definiert als wie der Short Form 36 Gesundheitsfragebogen (SF-36) „vorübergehender momentaner emotionaler Status, und der Patient Health Questionnaire mit neun Fragen. der aus situativem Stress resultiert“. Dispositionelle Angst ist die „Veranlagung, in Stresssituationen 2. Psychische Parameter der Gesundheit: Die hier einge- mit Angst zu reagieren“. Charakteristisch für eine ordneten Parameter sind von den Teilnehmenden selbst generalisierte Angststörung sind Sorgen, die sich auf eingeschätzte, das heißt subjektive Angaben zu verschie- reale Gefahren beziehen, wobei deren Eintrittsrisiko denen Aspekten psychischer Risikofaktoren beziehungs- stark überschätzt wird. Diese Besorgnisse können weise Erkrankungen. sich auf zahlreiche Bereiche übertragen und in einem R Depression: Laut der Weltgesundheitsorganisation Absicherungs- und Vermeidungsverhalten resultieren (WHO, 2020) ist Depression „eine weit verbreitete (Bandelow et al., 2013). psychische Störung, die durch Traurigkeit, Interesselo- R Subjektive psychische Gesundheit: Der Kategorie sigkeit und Verlust an Genussfähigkeit, Schuldgefühle subjektiver psychischer Gesundheit sind verschiedene und geringes Selbstwertgefühl, Schlafstörungen, Erhebungsinstrumente zugeordnet, die eine Selbstein- Appetitlosigkeit, Müdigkeit und Konzentrationsschwä- schätzung der psychischen Gesundheit der Teilneh- chen gekennzeichnet sein kann. Sie kann über längere menden vornehmen lassen, beispielsweise anhand Zeit oder wiederkehrend auftreten und die Fähigkeit des Psychological General Well-Being Index (Grossi & einer Person zu arbeiten, zu lernen oder einfach zu Compare, 2014). Erfasst werden hier intrapersonale leben beeinträchtigen. Im schlimmsten Fall kann eine affektive oder emotionale Zustände, die ein Gefühl Depression zum Suizid führen.“ Weitere Informationen des subjektiven Wohlergehens oder der Belastung zur Symptomatik und Diagnostik wurden beispielswei- widerspiegeln. se vom Robert Koch-Institut aufbereitet (Bretschneider et al., 2017). Eine Reihe von Studien hat die Redukti- onsfähigkeit von Achtsamkeitsmethoden auf Depres- sions-assoziierte Symptome aufgezeigt (Cramer et al., 2013). R Stress: Stress ist eine meist plötzlich auftretende, bedrohliche oder schlicht herausfordernde Situation, welche eine Reaktion herbei zwingt. Sie löst physiolo- gische Anpassungsmechanismen aus, die sogenannte Stressantwort (Stress Response) (Esch et al., 2005). Solche endogenen oder autoregulativen Reaktionen haben das Ziel, Menschen in die Lage zu versetzen, auf iga.Report 45 | 19
Wirksamkeit von Achtsamkeitstechniken im Arbeitskontext R Affekt: Unter Affekt wird üblicherweise ein intensi- R Subjektives Wohlbefinden: Als subjektives Wohlbefin- ves, relativ kurz dauerndes Gefühl verstanden. In der den wird die Einschätzung des eigenen Glücksniveaus weitesten Bedeutung wird jede emotionale Regung und der eigenen Lebenszufriedenheit bezeichnet (Emotion) als affektiver Prozess bezeichnet. Grund- (Myers et al., 2008). Das am häufigsten verwendete sätzlich ist der aktuelle affektive Zustand (state) von Instrument ist der WHO-Five Well-being Index, der der vergleichsweise stabilen habituellen Tendenz zum aus fünf Fragen besteht. Wie auch zur Lebens- und Erleben von Affekten (trait) zu unterscheiden (Eschen- Arbeitszufriedenheit besteht ein erwarteter positiver beck, 2009). In den hier vorliegenden Studien wurde Zusammenhang zwischen subjektivem Wohlbefinden das zeitnahe Erleben sowohl negativer als auch positi- und Achtsamkeit (Keng et al., 2011). ver Affekte abgefragt. Dafür wurde in den meisten hier untersuchten Studien die Positive and Negative Affect 4. Erholung: Erholung beschreibt hier die Fähigkeit, Körper Scale (PANAS) (beispielsweise Watson et al., 1988) ge- und Geist beziehungsweise Psyche nach Anstrengung zu nutzt. Diese fragt fünf positive kürzlich erlebte Affekte regenerieren. Dies lässt sich durch den Entspannungs (zum Beispiel begeistert, freudig erregt, entschlossen) zustand sowie die Qualität des Schlafs messen. und fünf negative kürzlich erlebte Affekte (zum Bei- R Entspannung: In dieser Kategorie wird gemessen, wie spiel bekümmert, verärgert, betroffen) ab. gut sich eine Person in ihrer Freizeit entspannen und R Psychologische Inflexibilität: Psychologische Inflexi- von der Arbeit erholen kann (Sonnentag & Fritz, 2007). bilität bezeichnet die Unfähigkeit, Verhalten im Sinne Ein positiver Zusammenhang zwischen dem Üben von langfristiger wertekonformer Ziele beizubehalten oder Achtsamkeitstechniken und der Entspannungsfähigkeit zu ändern mit der Absicht, unangenehme Emotionen wurde bereits gezeigt (Baer, 2003). zu vermeiden (Bond et al., 2011). Psychologische R Schlaf: In dieser Kategorie werden Schlafqualität und Inflexibilität hat zur Folge, dass Betroffene sich nicht -quantität sowie verschiedene Schlafstörungen (zum auf neue Situationen einlassen können. Eine Reduktion Beispiel Schlaflosigkeit) zusammengefasst. Neuro- durch achtsamkeitsinformierte Verfahren konnte in Ein- biologische Studien konnten zeigen, dass Meditation zelstudien nachgewiesen werden (Lloyd et al., 2013). zu einer Veränderung des Melatonin-Haushalts führt und so den Schlaf-Wach-Rhythmus positiv beein- 3. Wohlbefinden: Unter Wohlbefinden wird hier die indivi- flussen kann (Esch, 2014; Michaelsen & Esch, 2021). duelle Einschätzung der eigenen Lebensqualität allgemein Dass ausreichender und guter Schlaf für Gesundheit, oder spezifisch in bestimmten Kontexten wie der Arbeit Wohlbefinden und Leistung förderlich ist, zeigten verstanden. bereits einige Studien (Magnavita & Garbarino, 2017) R Lebenszufriedenheit: Die Lebenszufriedenheit wird im und wird in den Achtsamkeitsstudien, die hier im Kontext der Satisfaction with Life Scale definiert als Arbeitskontext durchgeführt wurden, deshalb vielfach „eine globale Bewertung der Lebensqualität eines untersucht. Menschen nach seinen gewählten Kriterien“ (Shin & Johnson, 1978, S. 478). Es wird ein positiver Zusam- menhang zwischen Achtsamkeit und Lebenszufrieden- heit angenommen. R Arbeitszufriedenheit: Arbeitszufriedenheit ist die bewertende Einschätzung der Arbeitssituation einer Person (Weiss, 2002). Arbeitszufriedenheit bezieht sich auf wichtige organisatorische Ergebnisse wie Aufgaben und kontextbezogene Leistung und könn- te deshalb auch bei arbeitsbezogenen Parametern eingeordnet werden. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit zur Lebenszufriedenheit ist sie hier dem Wohlbefinden zugeordnet. 20 | iga.Report 45
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