Impfbereitschaft und Einstellungen zu Alternativmedizin und Verschwörungstheorien - WZB, 9.6.2021 Prof. Rainer Schnell, Universität Duisburg-Essen ...
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Impfbereitschaft und Einstellungen zu Alternativmedizin und Verschwörungstheorien Prof. Rainer Schnell, Universität Duisburg-Essen Prof. Sonja Haug, OTH Regensburg WZB, 9.6.2021
Projekt an der OTH Regensburg • Titel: Einstellungen der Bevölkerung im Kontext der Corona-Pandemie • Gegenstand: Determinanten der Impfbereitschaft • Initiative: Prof. Sonja Haug und Prof. Karsten Weber • Förderung: Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst im Rahmen des Regensburg Center of Health Sciences and Technology (RCHST) • in Zusammenarbeit mit • Amelie Altenbuchner, M.A., • Anna Scharf, M.A. 1/20
Fragestellung • Wie hoch ist die Impfbereitschaft in der Bevölkerung? • In welchen Bevölkerungsgruppen ist die Impfbereitschaft höher? • Gibt es Zusammenhänge zu Einstellungen zur Alternativmedizin oder Verschwörungstheorien? • Hintergrund: • „Why people believe weird things?“ (Shermer 1997) • Methodenprobleme von Websurveys (Bethlehem/Biffignandi 2012) 2/20
Methodische Probleme von Online-Erhebungen • Die meisten Studien zur Impfbereitschaft basieren auf Online-Erhebungen ohne Zufallsauswahl. • Etwa 21% der Bevölkerung sind älter als 65 Jahre (ca. 16,8 Mio.). • Bei den über 70-jährigen liegt der Anteil der Internetnutzer unter 50% (Schnell 2019). • Bei Studien zum Gesundheitsverhalten (Schnell/Noack/Torregroza 2017) lassen sich daher besonders leicht Modus-Effekte zeigen. • Daher wurde eine Differenz zwischen Online- und CATI-Surveys in Hinsicht auf die bekundete Impfabsicht erwartet und eine entsprechende Bachelor-Arbeit („Moduseffekte auf COVID-19-Impfbereitschaft in deutschen Befragungen“, Rohde 2021) vergeben. • Es wurden 47 Erhebungen ermittelt (vor und nach der Zulassung eines Impfstoffes in Deutschland): Online CATI vor 27 5 nach 11 4 3/20
Modus-Effekte • Für die telefonischen Befragungen wurde stets eine höhere Impfbereitschaft berichtet als in den Onlinebefragungen.1 0.85 Erklärte Impfbereitschaft in % 0.80 0.75 0.70 0.65 0.60 0.55 CATI Web CATI Web vor der nach der Impfstoffeinführung Impfstoffeinführung • Da wir dies erwarteten, hatten wir eine CATI-Studie geplant. 1 95%-Konfidenzintervalle. Datenbasis: Rohde (2021) 4/20
Unsere CATI-Stude • Bundesweite, telefonische Bevölkerungsbefragung (Festnetz und Mobilfunk), Zufallsstichprobe. • Datenerhebung: infas Institut für angewandte Sozialwissenschaften in Bonn • Pretest: 9.11.2020–12.11.2020, n=26 • Feldzeit: 16.11–11.12.2020 • 49 Fragen, durchschnittliche Dauer 25 Minuten • Kooperationsrate 17% • realisierte Stichprobe: n=2.014 5/20
Frage: Wenn ein Impfstoff gegen das Corona-Virus in Deutschland zugelassen wird: Würden Sie sich impfen lassen? % % Sicher nicht 13,9 32,7 Eher nein 18,8 Eher ja 27,8 67,3 Ja sicher 39,5 n 1980 6/20
Filterfrage: Warum würden Sie sich nicht impfen lassen? (Mehrfachnennungen möglich) Prozent Weil meine Religion es verbietet. 0,3 Weiß nicht 3,4 Keine Angabe 5,8 Weil ich nur an Naturheilkunde glaube. 6,1 Weil ich Angst vor Spritzen habe. 9,5 Weil ich gegen Impfungen aller Art bin. 12,5 Weil ich nicht glaube, dass das Corona-Virus gefährlich für mich ist. 27,0 Weil ich Nebenwirkungen befürchte. 71,5 n 501 7/20
Filterfrage: Unter welchen Umständen würden Sie sich impfen lassen? (Mehrfachnennungen möglich) Prozent Weiß nicht 2,4 Keine Angabe 3,3 Unter gar keinen Umständen. 16,4 Wenn sich alle in meinem Freundschafts- und Bekanntenkreis impfen lassen würden. 16,8 Wenn es eine Schluckimpfung wäre. 19,4 Wenn mein Arbeitgeber es verlangen würde. 26,0 Wenn es gesetzlich vorgeschrieben wäre. 37,8 Wenn die Impfung zuverlässig vor einer Corona-Infektion schützt. 42,1 Wenn das Risiko von Nebenwirkungen nicht größer als bei einer Grippeschutzimpfung wäre. 45,1 n 535 8/20
Überschätzung von Nebenwirkungen Frage: Was schätzen Sie, wie häufig treten ernste Nebenwirkungen bei Grippeimpfungen auf? Bitte geben Sie einen Prozentsatz von 0 bis 100 an. 0.4 Anzahl der Beteiligten 0.3 0.2 0.1 0.0 0-10 10-20 20-30 30-40 40-50 50-60 60-70 70-80 80-90 90-100 geschätzte Prozentzahl der Impfkomplikationen • Das Ausmaß der Überschätzung der ernsten Komplikationen bei Grippeimpfungen ist unerwartet hoch. • Bei Corona-Impfbereiten liegt der Mittelwert der vermuteten Grippeimpfkomplikationen bei 16.8%, bei Impfskeptikern bei 30.4% (p < 0.001, t = 12.45; rsp = .27). 9/20
Impfbereitschaft nach Hochschulabschluss und Geschlecht 100,0% 90,0% 85,4% 80,0% 76,0% 70,0% 66,0% 62,3% 60,0% 50,0% 40,0% 30,0% 20,0% 10,0% 0,0% weiblich männlich weiblich männlich keinen Hochschulabschluss Hochschulabschluss • Mit der Hochschulbildung steigt die Impfbereitschaft. 10/20
Impfbereitschaft nach Geschlecht und Schulabschluss 100,0% 90,0% 82,1% 79,1% 80,0% 76,6% 70,0% 67,0% 66,1% 63,9% 63,0% 61,3% 60,0% 51,9% 50,0% 40,0% 30,0% 20,0% 10,0% 5,9% 0,0% weiblich männlich weiblich männlich weiblich männlich weiblich männlich weiblich männlich ohne Schulabschluss Hauptschulabschluss Mittlere Reife Fachhochschulreife Abitur/allgemeine Hochschulreife • Bei geringeren Bildungsniveaus steigt die Impfbereitschaft nicht monoton mit der Bildung. • Auf fast jedem Bildungslevel ist die Impfbereitschaft bei Frauen ähnlich dem der Männer. • Auffällig ist die Differenz bei der Fachhochschulreife. 11/20
Verschwörungsüberzeugungen A: Es gibt geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben. B: Politiker und andere Führungspersönlichkeiten sind nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte. C: Ich vertraue meinen Gefühlen mehr als sogenannten Experten. D: Studien zur Corona-Pandemie sind meist gefälscht. E: Die Regierung will die Rechte und Freiheiten der Bürger unter dem Vorwand der Bekämpfung der Pandemie einschränken. F: Die deutschen Behörden übertreiben das tatsächliche Ausmaß der Opfer von Corona-Viren. G: Das Corona-Virus wird absichtlich als gefährlich dargestellt, um die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. • Antwortskala: stimmt überhaupt nicht, stimmt eher nicht, stimmt eher, stimmt völlig 12/20
Impfbereitschaft und Verschwörungstheorien 100 80 60 Prozent 40 Pharmaunternehmen spielen die Gefahren von Impfstoffen herunter 20 Nebenwirkungen von Impfungen werden häufig verschwiegen Die Wirksamkeit von Impfstoffen wird häufig übertrieben Es wird versucht, Zus. zw. Impfstoffen u. Autismus zu vertuschen 0 stimme stimme eher stimme eher stimme überhaupt nicht zu zu voll zu nicht zu Zustimmung zu Verschwörungsitems und Impfskepsis kovariieren miteinander. 13/20
Einstellungen zur Wirksamkeit alternativer Heilverfahren A: Es gibt viele Belege für die Wirksamkeit von Homöopathie bei der Behandlung von Krankheiten. B: Alternative Heilmethoden helfen bei vielen Gesundheitsproblemen besser als die klassische Schulmedizin. C: Die Erfolge von Heilpraktikern werden unterschätzt. D: Alternative Heilmethoden versprechen mehr, als sie halten können. E: Ärzte interessieren sich mehr fürs Geldverdienen als für ihre Patienten. • Stimme überhaupt nicht zu, stimme eher nicht zu, stimme eher zu, stimme voll zu • Additiver Index, dichotomisiert bei Q75 = 1, sonst Null. 14/20
Einstellung zu Heilverfahren Frage: Sagen Sie bitte wie viel Sie persönlich von den folgenden Behandlungsverfahren halten. Was halten Sie von . . . A: Akupunktur B: Homöopathie C: Körpertherapie (z.B. Kinesiologie, Chiropraktik, Reflexzonenmassage) D: Ayurveda E: Bach-Blütentherapie F: Traditionelle chinesische Medizin G: Schüßler Salze • Antwortskala: viel, etwas, gar nichts. • Additiver Index, dichotomisiert bei Q75 = 1, sonst Null. 15/20
Impfbereitschaft nach Vertrauen in alternative Heilmethoden und Einstellung zu alternativen Behandlungsverfahren 80 74.5 80 76.1 Impfbereitschaft COVID-19 Impfbereitschaft COVID-19 60 60 52.9 47.1 40 40 20 20 0 0 kein oder geringer starker niedrig hoch Glaube an die Wirksamkeit alternativer Heilverfahren Anzahl befürworteter alternativer Verfahren Sowohl ein starker Glaube an die Wirksamkeit alternativer Heilverfahren als auch eine hohe Anzahl befürworteter alternativer Verfahren kovariiert mit geringerer Impfbereitschaft. 16/20
Diskussion • Alle Haupteffekte (Geschlecht, Bildung, Alter, Risikogruppe, Risikowahrnehmung und Einschätzung von Nebenwirkungen) auf die Impfbereitschaft bleiben bei multivariater Kontrolle in einer logistischen Regression erhalten. • Die Ergebnisse sind mit rationaler Handlungswahl weitgehend erklärbar. • Unerklärt ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern bei Kontrolle von Bildung. Hier sind weitere Analysen und weitere Daten zu sozialen Netzwerken und Effekten wie selektiver Informationsaufnahme erforderlich. Dies betrifft vor allem den Effekt geringer Impfbereitschaft bei Frauen mit Fachhochschulreife. • Eine Impfkampagne sollte sich auf die Fehlwahrnehmung des Risikos von Nebenwirkungen konzentrieren. • Hierzu scheinen uns leicht zugängliche und leicht verständliche graphische Darstellungen (Icon-Arrays) geeignet. 17/20
Literatur Bethlehem, J. & Biffignandi, S. (2012): Handbook of Web Surveys, Hoboken. Rohde, E. (2021): Moduseffekte auf COVID-19-Impfbereitschaft in deutschen Befragungen, Bachelor-Arbeit, Universität Duisburg-Essen. Schnell, R. (2019): Survey-Interviews, Wiesbaden (2. Auflage). Schnell, R., Noack, M., & Torregroza, S. (2017): Differences in General Health of Internet Users and Non-users and Implications for the Use of Web Surveys. In: Survey Research Methods, Vol. 11, 2, S. 105-123. Shermer, M. (1997): Why People Believe Weird Things? New York. 18/20
Weitere Informationen Preprint auf Research Gate: Sonja Haug, Rainer Schnell, Karsten Weber Impfbereitschaft mit einem COVID-19-Vakzin und Einflussfaktoren. Ergebnisse einer telefonischen Bevölkerungsbefragung DOI:10.13140/RG.2.2.23811.53283 www.oth-regensburg.de/IST sonja.haug@oth-regensburg.de 19/20
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