INDEXIERUNG DER FAMILIENBEIHILFE FÜR IM AUSLAND LEBENDE KINDER

 
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Eingereicht von
                                        Bianca-Liliana Lobont

                                        Angefertigt am
                                        Institut für Europarecht

                                        Beurteiler / Beurteilerin
                                        Assoz. Univ.-Prof. Dr.
                                        Leidenmühler

INDEXIERUNG DER
                                        April 2020

FAMILIENBEIHILFE
FÜR IM AUSLAND
LEBENDE KINDER

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magistra der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium
der Rechtswissenschaften

                                        JOHANNES KEPLER
                                        UNIVERSITÄT LINZ
                                        Altenberger Straße 69
                                        4040 Linz, Österreich
                                        jku.at
                                        DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und
ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht
benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich
gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument
identisch.

Eltendorf, 04.04.2020

…………………
Bianca-Liliana Lobont

04. April 2020                                                                         2/40
Inhalt

I.     Einleitung ............................................................................................................................ 5
II.    Familienbeihilfe und die nationalen Bestimmungen ........................................................ 6
A.     Vorbemerkungen .................................................................................................................. 6
B.     Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 ...................................................................... 7
1.     Anwendungsbereich und Begriffe ......................................................................................... 7
2.     Änderungen .......................................................................................................................... 9
a)     Vorbemerkungen .................................................................................................................. 9
b)     § 8a FLAG 1967 ................................................................................................................... 9
c)     Bemessungsgrundlage und Ziele für Österreich ................................................................. 11
d)     Pflegenotstand infolge der Indexierung? ............................................................................. 13
III. Unionsrechtlicher Rahmen .............................................................................................. 14
A.     Vorbemerkungen ................................................................................................................ 14
1.     Befürworter der Indexierung ............................................................................................... 14
a)     Brexit-Verhandlungen ......................................................................................................... 15
b)     Rechtsgutachten von Dr. Mazal .......................................................................................... 15
2.     Gegenmeinungen ............................................................................................................... 16
B.     Primärrecht ......................................................................................................................... 17
1.     Recht auf Gleichbehandlung und allgemeines Diskriminierungsverbot ............................... 18
a)     Vorbemerkungen ................................................................................................................ 18
b)     VO Nr 1408/71 und Rechtssache Pinna ............................................................................. 19
c)     Entscheidung des EuGH..................................................................................................... 20
2.     Arbeitnehmerfreizügigkeit ................................................................................................... 22
a)     Definitionen und Anwendungsbereich ................................................................................. 22
b)     Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit .................................................................. 23
3.     Vereinbarkeit der Indexierung mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit ........................................ 24
4.     Verhältnismäßigkeitserfordernis aller Eingriffe .................................................................... 24
C.     Sekundärrecht .................................................................................................................... 25
1.     Verordnung Nr 883/2004 – Koordinierungsverordnung ....................................................... 26
a)     Art 67 VO Nr 883/2004 ....................................................................................................... 27
b)     Art 7 VO Nr 883/2004 ......................................................................................................... 28
c)     Art 4 VO Nr 883/2004 ......................................................................................................... 28
2.     Verordnung Nr 492/2011 - Freizügigkeitsverordnung .......................................................... 30
IV. Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich durch die Kommission .................... 32

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A.     Vorbemerkungen ................................................................................................................ 32
B.     Situation in Österreich bezüglich der Indexierung ............................................................... 32
C.     Rechtsfolgen bei Verletzung ............................................................................................... 34
V.     Familienbeihilfe bei Arbeitslosigkeit ............................................................................... 34
A.     Ausgangssachverhalt ......................................................................................................... 34
B.     Vorabentscheidungsverfahren ............................................................................................ 35
C.     Entscheidung des EuGH..................................................................................................... 36
VI. Schlussbemerkungen....................................................................................................... 37
VII. Literaturverzeichnis .......................................................................................................... 38

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I. Einleitung

Mit Anfang des Jahres 2019 ist in Österreich mit Änderung des FLAG 1967 eine
Neuregelung in Kraft getreten, die zum Ergebnis hat, dass die Höhe der ausbezahlten
Familienbeihilfe für Kinder, die ihren Aufenthalt nicht im Inland haben, an die
Lebenshaltungskosten im jeweiligen Mitgliegstaat der EU bzw des EWR angepasst
wird. Das hat in einigen Ländern dazu geführt, dass die Höhe der Geldleistung deutlich
reduziert wurde – in anderen Ländern kam es aber zu einer Erhöhung. Als Beispiel
seien etwa Belgien, wo es zu einem Anstieg der Leistung kommt und Griechenland
genannt, wo eine Kürzung der Familienleistung stattfindet.1
Das Ziel der Indexierung der Familienbeihilfe soll eine Entlastung für die
ÖsterreicherInnen und Schaffung von Gerechtigkeit sein. Es soll dadurch eine
Einsparung von rund 100 Millionen Euro pro Jahr ermöglicht werden, die wiederum den
in Österreich lebenden Menschen zugutekommen soll.2
Diese Änderung wird allerdings von vielen kritisiert und damit wird auch die Frage
aufgeworfen, ob die entsprechende Anpassung mit dem geltenden EU-Recht vereinbar
ist. Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es zum einen der Auslegung des FLAG
1967, das die zentrale nationale Bestimmung im Hinblick auf die Familienbeihilfe
sowohl für in Österreich lebende, als auch im Ausland lebende Kinder darstellt. Zum
anderen muss aber auch die Vereinbarkeit der Änderung eben dieses Gesetzes, mit
dem sekundären Europarecht überprüft werden. Hier sei vor allem die Verordnung Nr
883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Systeme
der sozialen Sicherheit genannt und der Freizügigkeitsverordnung Nr 492/2011. Des
Weiteren könnten die Grundfreiheiten ebenso davon betroffen sein, was eine
Vereinbarkeitsprüfung sinnvoll erscheinen lässt. Dazu zählen insbesondere das
Grundrecht auf Gleichbehandlung, das allgemeine Diskriminierungsverbot wegen
Staatsangehörigkeit und die Arbeitnehmerfreizügigkeit als primäres Europarecht.

Die türkis-blaue Regierung (ÖVP-FPÖ) ist der Meinung, dass diese Indexierung
notwendig sei, um Gerechtigkeit für in Österreich lebende Kinder zu schaffen. Es wird
hier nicht, entgegen anderer Meinung, zwischen den Herkunftsländern differenziert,
sondern es kommt auf die Lebenshaltungskosten des Staates an, in dem das Kind lebt
und es darf nicht sein, dass österreichische Kinder anders behandelt werden als Kinder

1 Vgl Juliane Bogner-Strauß über die Indexierung der Familienbeihilfe im Ausland, Youtube, 09.05.2018,
Web, aufgerufen am 11.02.2020, in: https://www.youtube.com/watch?v=gguSXM0taV4.
2 Vgl Pressekonferenz zur Regierungsklausur mit Bundeskanzler Kurz und Strache, Bundeskanzleramt,

05.01.2018, aufgerufen am 13.02.2020, in:
https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/nachrichten-der-bundesregierung/2017-
2018/pressekonferenz-zur-regierungsklausur-mit-bundeskanzler-kurz-und-vizekanzler-strache.html.

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in anderen Ländern. Eben diese Anknüpfung an die Lebenshaltungskosten soll den
Gleichheitssatz nicht verletzen, sondern ihn sogar gewährleisten und zwar dadurch,
dass man hier eine sachliche Differenzierung vornimmt, die im Sinne des
Gleichheitssatzes geboten ist, da nicht in allen Ländern die Lebenshaltungskosten
gleichzuhalten sind.3
Andere Meinungen hingegen sagen, dass diese Indexierung nicht mit dem EU-Recht
vereinbar wäre und dagegen verstoße. Vor allem zu nennen ist der Art 67 der
Verordnung       Nr    883/2004      der    besagt,     dass     eine     Person     Anspruch       auf
Familienleistungen nach den Vorschriften des zuständigen Mitgliedstaates hat.4
Daneben befürchtet man auch einen Pflegenotstand in Österreich, da die 24-Stunden-
Betreuung für alte und bedürftige Menschen überwiegend von Frauen aus Ländern
ausgeübt wird, die durch die Indexierung eine Reduzierung der Familienbeihilfe
erleben werden.5

II. Familienbeihilfe und die nationalen Bestimmungen

A. Vorbemerkungen

Die Familienbeihilfe ist eine staatliche Leistung sozialer Natur, deren Höhe davon
abhängt, wie viele Kinder man hat und auf das Alter dieser abstellt. Der Anspruch
besteht grundsätzlich, wenn man seinen Lebensmittelpunkt in Österreich hat und man
mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt und es das 18. Lebensjahr noch nicht
vollendet hat.
Dieser Anspruch besteht auch für Kinder, die nicht in Österreich ihren Wohnsitz haben.
Voraussetzung dafür ist, dass die Person, die die Familienbeihilfe beantragt, sich
rechtmäßig in Österreich aufhält oder Asyl bekommen hat.6
Von der Familienbeihilfe zu unterscheiden sind der Kinderabsetzbetrag, der
Kinderzuschuss und der Familienbonus Plus, der seit 2019 als jährlicher Absetzbetrag
eingeführt wurde und den Kinderfreibetrag ersetzt. Bei den letzteren beiden handelt es
sich um Absetzbeträge, das bedeutet, dass die Steuerlast um den entsprechenden

3 Vgl Lukas Mandl (2018): Rot-Weiß-Rot in Europa IM GESPRÄCH: Indexierung Familienbeihilfe
(03/2018). Youtube, 27.03.2018, Web, aufgerufen am 16.02.2020, in:
https://www.youtube.com/watch?v=yebNN4nQU5s, 5:52 Minuten.
4 Vgl Peter Hilpold: Ein frommer Wunsch, Wiener Zeitung 17.02.2017, aufgerufen am 16.02.2020 um

14:32, in: https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/874316_Ein-frommer-Wunsch.html.
5 Vgl Daniela Holzinger-Vogtenhuber (2018): Pflegenotstand durch Indexierung Familienbeihilfe – Daniela

Holzinger, Youtube, 30.10.2018, Web, aufgerufen am 16.02.2020 in:
https://www.youtube.com/watch?time_continue=2&v=5mpKtZuqvsI&feature=emb_logo.
6 § 3 FLAG 1967, BGBl 376/1967.

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Betrag verringert wird. Der Kinderzuschuss gebührt monatlich für jedes Kind einmal.
Der Anspruch auf Familienbeihilfe ist für all diese drei Leistungen Voraussetzung.7

B. Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967

1. Anwendungsbereich und Begriffe

Die nationale gesetzliche Grundlage in Bezug auf die Familienbeihilfe ist das
Familienlastenausgleichsgesetz 1967. Zunächst behandelt das Gesetz den Anspruch
für Personen, die mit ihren Kindern im Inland den Wohnsitz haben. Dieser besteht,
wenn das Kind minderjährig ist, oder es das 24. Lebensjahr nicht vollendet hat und
daneben einer Berufsausbildung nachgeht oder ein Studium betreibt. Er besteht auch
dann bis höchstens zur Vollendung des 24. Lebensjahres nach Beendigung der
Schulausbildung (Matura), Zivildienst oder Ausbildung während dieser Zeit weiter,
wenn ehestmöglich ein Beruf angetreten oder eine Berufsausbildung fortgesetzt wird.
Unter bestimmten Voraussetzungen besteht der Anspruch auch bis zur Vollendung des
25. Lebensjahres weiter – diese Voraussetzungen sind unter anderem, dass das Kind
ein Studium betreibt und bei Vollendung des 24. Lebensjahres Familienbeihilfe
aufgrund einer Berufsausbildung zusteht. Eine Schwangerschaft des Kindes oder ein
bereits geborenes Kind verlängern ebenfalls den Anspruch auf Familienbeihilfe bis zur
Vollendung des 25. Lebenjahres. Eine weitere Möglichkeit der Verlängerung ist, dass
das Kind ein Studium im Ausmaß von mindestens 10 Semestern betreibt, wenn der
Studienantritt mit dem Kalenderjahr begonnen wurde, in dem das Kind das 19.
Lebensjahr vollendet hat und die Mindeststudiendauer eingehalten wird. Eine
Behinderung des Kindes im Ausmaß von mindestens 50% lässt den Anspruch
ebenfalls über das 18. Lebensjahr hinaus bestehen bleiben. Weiters bleibt der
Anspruch auch dann bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres erhalten, wenn das Kind
ein freiwilliges soziales Jahr bei einem gemeinnützigen Wohlfahrtsträger geleistet hat,
bevor es das 24. Lebensjahr vollendet hat.8
Die Höhe der Leistung hängt zum einen von der Anzahl der Kinder ab und zum
anderen von deren Alter. Ab der Geburt beträgt der Grundbetrag monatlich 114 Euro,
ab 3 Jahren 121,90 Euro, ab 10 Jahren 141,50 Euro und ab 19 Jahren 165,10 Euro.
Pro weiterem Kind gibt es zusätzlich die sogenannte Geschwisterstaffelung, die bei 2
Kindern 7,10 Euro beträgt und bis zu maximal 7 Kindern jeweils erhöht wird. Außerdem
gibt es noch eine erhöhte Familienbeihilfe für Kinder, die erheblich behindert sind, das

7   Vgl § 4 GehG BGBl 140/2011, § 33 Abs 3 und Abs 3a EStG 1988 BGBl 83/2018.
8   Vgl § 2 FLAG 1967, BGBl 376/1967.

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heißt einen Behinderungsgrad von mehr als 50% haben und eine geistige, psychische
oder körperliche Funktionsbeeinträchtigung von voraussichtlich mehr als dreimonatiger
Dauer haben – diese beträgt 155,90 Euro im Monat (Stand 2020).9

Der Anspruch auf Familienbeihilfe besteht aber auch für Personen bzw Kinder, die
nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Dies gilt für EU- und EWR-
Staatsangehörige sowie Schweizer Staatsbürger, aber auch für Drittstaatsangehörige,
vorausgesetzt, sie halten sich rechtmäßig in Österreich auf. Dasselbe gilt für Personen
bzw Kinder, denen Asyl gewährt wurde und auch für subsidiär Schutzberechtigte.10
Rechtmäßig in Österreich hält sich jemand auf, der einen Aufenthaltstitel erteilt
bekommen hat. Aufenthaltstitel gibt es in den verschiedensten Ausformungen bezogen
auf Status der Person und Rechten, die damit einhergehen. Die entsprechenden
Aufenthaltstitel sind im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) genannt und
durch Vorschlag des Bundesministers für Inneres wird im Einvernehmen mit dem
Hauptausschuss des Nationalrates durch die Bundesregierung der genaue Inhalt und
das Aussehen in der sogenannten Niederlassungsverordnung näher konkretisiert.11

Der Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe ist allerdings bloß subsidiär
gegenüber gleichartigen ausländischen Beihilfen. Das bedeutet, dass eine Person, die
bereits im Herkunftsland eine der Familienbeihilfe gleichzusetzende Leistung erhält,
keinen Anspruch auf das österreichische Äquivalent hat. Für österreichische
Staatsbürger gilt, dass sie eine Ausgleichszahlung in Höhe des Unterschiedsbetrags
zwischen der ausländischen und der österreichischen Beihilfe erhalten, für den Fall
dass sie vom Anspruch auf Familienbeihilfe ausgeschlossen sind und die Höhe der
ausländischen Beihilfe, auf die ein Anspruch besteht geringer ist als die
österreichische.12
Grundsätzlich regelt § 4 Abs 4 FLAG, dass die Ausgleichszahlung jährlich nach Ablauf
des Kalenderjahres zu gewähren ist. Im Falle des früheren Erlöschens des Anspruchs
auf die gleichartige ausländische Beihilfe, ist die Ausgleichszahlung nach dem
Erlöschen des Anspruchs auf Antrag zu gewähren.

9 § 8 FLAG 1967, BGBl 376/1967.
10 § 3 FLAG 1967, BGBl 376/1967.
11 § 8, § 13 NAG BGBl 100/2005.
12 § 4 FLAG 1967 BGBl 376/1967.

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2. Änderungen

a) Vorbemerkungen
Der Vorschlag für die Indexierung der Familienbeihilfe kam erstmals von Anton Erber,
einem Abgeordneten zum Landtag von Niederösterreich im Jahre 2014 in Form eines
Antrags an den niederösterreichischen Landtag, dem es damals, laut eigenen
Aussagen, unfair erschien, dass Kinder, deren Eltern(-teil) sich in Österreich aufhielten,
Familienbeihilfe in Höhe der österreichischen Beihilfe erhielten, als andere Kinder im
selben Land, deren Eltern(-teil) eben nicht in Österreich war(en).13 Am 05.01.2018
wurde        der   Vorschlag    zur    Indexierung      durch    die   ÖVP-FPÖ-Regierung            als
Gesetzesentwurf vorgebracht, um die Anpassung durch den neu eingefügten § 8a
FLAG 1967 in die nationalen Gesetze aufzunehmen.14
Dies      geschah     schlussendlich     durch    das    83.    Bundesgesetz,        mit   dem     das
Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das
Entwicklungshelfergesetz geändert werden. Dieses wurde am 24.10.2018 vom
Nationalrat beschlossen und es wurde am 04.12.2018 im BGBl I Nr 83/2018
kundgemacht. Als Tag des In-Kraft-Tretens wurde der auf die Kundmachung folgende
Tag, der 05.12.2018 bestimmt. Der § 8a FLAG 1967 enthält selbst die Regelung der
Anwendbarkeit der Indexierung, unabhängig von der Rechtskraft des Gesetzes, ab
dem 01.01.2019. Das heißt mit dem Jahr 2019 werden erstmals die entsprechenden
Anpassungen tatsächlich vorgenommen.15

b) § 8a FLAG 1967
Der mit dieser Gesetzesänderung hinzukommende § 8a FLAG 1967 grenzt den
Anspruch auf Familienbeihilfe dahingehend ein, als er zwar grundsätzlich bestehen
bleibt, aber die Höhe der Beihilfe angepasst wird an das jeweilige Preisniveau des
betreffenden Landes. Die Höhe der Leistung hängt von jenem Staat ab, in dem sich
das Kind/die Kinder ständig aufhält/aufhalten. Mit dieser Indexierung, also der
Anpassung an das Preisniveau bzw die Lebenshaltungskosten des jeweiligen
Mitgliedstaat der EU, des EWR oder der Schweiz soll erreicht werden, dass die
dadurch bewirkte Ersparnis Österreichs, die auf rund 100 Millionen Euro geschätzt

13 Vgl Lukas Mandl (2018): Rot-Weiß-Rot in Europa IM GESPRÄCH: Indexierung Familienbeihilfe
(03/2018). Youtube, 27.03.2018, Web, aufgerufen am 12.02.2020, in:
https://www.youtube.com/watch?v=yebNN4nQU5s, 2:53 Minuten.
14 Vgl Ministerialentwurf für ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und das

Einkommensteuergesetz 1988 geändert werden (1/ME XXVI. GP).
15 Vgl Parlamentskorrespondenz Nr. 1160 vom 24.10.2018.

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wird, den in Österreich lebenden Kindern zu Gute kommt.16 Außerdem kommt es in
Ländern, in denen die Lebenshaltungskosten niedriger sind als in Österreich, nicht zur
gewünschten Förderung, die durch die EU-Koordinierungsregelungen angestrebt
wurde. Das Ziel ist nämlich, die Person, in deren Haushalt das Kind/die Kinder
lebt/leben zu entlasten, indem ein Teil der Kosten für Dienstleistungen und Sachgüter,
die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten maßgeblich sind, ersetzt werden. Sondern es
kommt zu einer Förderung, die über die entsprechenden Belastungen hinausgehen. In
Ländern, in denen die Lebenshaltungskosten hingegen höher sind als die in
Österreich, kommt es zum gegenteiligen Effekt – hier ist die Entlastung zu gering.
Diese Über- und Unterförderungen sollen eben durch die Indexierung hintangehalten
werden.17

Des Weiteren war man sich anfangs unschlüssig, wie mit österreichischen Diplomaten
im Ausland umzugehen ist. Nach dem damaligen Entwurf wäre es zu einer Kürzung
der Familienbeihilfe für Diplomaten im EU und EWR-Raum und der Schweiz
gekommen. Hinsichtlich der Diplomaten, die sich in Drittstaaten, also außerhalb der EU
und dem EWR-Raum oder der Schweiz aufhielten, wäre es sogar zu einer gänzlichen
Streichung des Anspruchs gekommen. Das Außenministerium hegte die Befürchtung,
dass dies die österreichische Vertretung im Ausland gefährde, da mit dem Wegfall der
Familienbeihilfe noch der Verlust anderer daran gekoppelter Leistungen sozialer Natur
für die Betroffenen einhergingen. Unter den an die Familienbeihilfe gekoppelten
Sozialleistungen fallen etwa der Kinderabsetzbetrag und der Kinderzuschuss, aber
auch der Familienbonus ist betroffen. Voraussetzung für den Kinderabsetzbetrag ist,
dass man als Steuerpflichtiger die Familienbeihilfe bezieht. Er beträgt 58,40 Euro pro
Monat und pro Kind. Dieselbe Voraussetzung gilt auch für den Kinderzuschuss, dieser
beträgt 15,60 Euro monatlich.
Der Familienbonus hat zur Folge, dass die Steuerlast um die Höhe des
Absetzbetrages, das sind 1.500 Euro jährlich pro Kind reduziert wird. Auch hier gilt die
Voraussetzung der Beziehung der Familienbeihilfe. Diese Leistungen würden somit
gänzlich wegfallen, wenn der Anspruch auf die Familienbeihilfe nicht besteht, da dieser
vorausgesetzt wird.
Eine Indexierung des Kinderabsetzbetrages fand ebenfalls durch die Novelle des
Einkommensteuergesetzes 1988 statt. So gilt für Drittstaatangehörige, dass kein
Anspruch auf den Kinderabsetzbetrag zusteht und für sich im EU oder EWR-Raum
16 Vgl Österreich kürzt Familienbeihilfe für Kinder im Ausland – Vor allem Ungarn betroffen, Euronews,
aufgerufen am 14.02.2020, in: https://de.euronews.com/2018/05/03/osterreich-kurzt-familienbeihilfe-fur-
kinder-im-ausland-vor-allem-ungarn-betroffen.
17 Vgl Ministerialentwurf für ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und das

Einkommensteuergesetz 1988 geändert werden (1/ME XXVI GP).

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oder der Schweiz aufhaltenden Kinder gilt, dass die Höhe des Absetzbetrages ähnlich
der Indexierung der Familienbeihilfe seit dem 01.01.2019 an das Preisniveau des
jeweiligen Landes angepasst wird.18
Schlussendlich hat man sich gegen die Kürzung bzw Streichung der Familienbeihilfe
entschieden.            Begründet      wurde     dies     damit,      dass      Diplomaten        und
Außenhandelsvertreter nach der Bundesabgabenordnung wie Inländer behandelt
werden und daher für sie eine Ausnahme im neuen Gesetz gelten muss.19 Somit
haben österreichische Diplomaten im Ausland weiterhin Anspruch auf diese
Sozialleistung, da für sie eine entsprechende Ausnahme von der Regelung gilt.20

c) Bemessungsgrundlage und Ziele für Österreich
Die Berechnung für die Kürzung bzw die Erhöhung der an Personen, deren Kinder im
Ausland leben, ausbezahlten Familienbeihilfe erfolgt nach dem EUROSTAT-Indikator
und bezieht sich auf das jeweilige Preisniveau des betreffenden Staates.21 EUROSTAT
steht für „europäische Statistiken“ und ist das Amt der europäischen Union, das darauf
spezialisiert ist, europaweite Statistiken und Indikatoren zu schaffen, damit Vergleiche
zwischen den Ländern und Regionen möglich sind.22 Dieses hat auch die
entsprechenden vergleichenden Preisniveaus veröffentlicht.

Die      Unterschiede          bezüglich   des   Preisniveaus      werden      durch     sogenannte
Kaufkraftparitäten (KKP) angegeben. Dabei handelt es sich um Indikatoren, die zeigen
sollen,          wie   viele   Währungseinheiten    bestimmte      Mengen       von    Waren      und
Dienstleistungen in den verschiedenen Ländern kosten. Damit kann man etwa
vergleichen, wie viel Lebensmittel oder Immobilien im Vergleich zu den anderen
angeführten Ländern wert sind und dadurch diese Anpassung festlegen.23 Diese
Indikatoren hat auch Österreich als Grundlage für die Indexierung herangezogen. Im

18 Vgl § 33 Abs 3 EStG 1988, BGBl 83/2018
19 Vgl Droht jetzt der Pflegenotstand?, Die Presse, 13.07.2018, aufgerufen am 04.03.2020, in:
https://www.diepresse.com/5461798/droht-jetzt-der-pflegenotstand; vgl auch Familienbeihilfe: Lösung für
Diplomaten noch ausständig, Der Standard, 17.08.2018, aufgerufen am 04.03.2020, in:
https://www.derstandard.at/story/2000085536206/familienbeihilfe-loesung-fuer-diplomaten-noch-
ausstaendig; vgl auch Kneissl springt Diplomaten in Sachen Familienbeihilfe bei, Der Standard,
18.05.2018, aufgerufen am 04.03.2020, in: https://www.derstandard.at/story/2000080035522/kneissl-
springt-diplomaten-in-sachen-familienbeihilfe-bei; siehe auch § 26 Abs 3 BAO BGBl 412/1988.
20 Vgl § 26 Abs 3 BAO BGBl 312/1988.
21 Vgl Bundesministerin Bogner-Strauß: Indexierung der Familienbeihilfe ins Ausland kommt 2019,

Bundeskanzleramrt, aufgerufen am 16.02.2020, in:
https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/nachrichten-der-bundesregierung/2017-
2018/bundesministerin-bogner-strau-indexierung-der-familienbeihilfe-ins-ausland-kommt-
2019.html?lang=en.
22 Vgl Europäische Kommission: „Eurostat – europäische Statistiken“, aufgerufen am 16.02.2020 um

15:50, in: https://ec.europa.eu/info/departments/eurostat-european-statistics_de.
23 Vgl eurostat, aufgerufen am 03.03.2020 um 20:30.https://ec.europa.eu/eurostat/de/news/themes-in-the-

spotlight/price-levels-2018.

04. April 2020                                                                                            11/40
Ergebnis werden die Auszahlungen für Familien aus Ländern, die ein höheres
Preisniveau haben als Österreich, erhöht und für Familien aus Ländern mit einem
niedrigeren Preisniveau wird nach unten indexiert. Da in keinem Land das Preisniveau
gleich ist, kann es auch nicht dazu kommen, dass die Familienbeihilfe für im Ausland
lebende Kinder der Höhe nach zur Gänze der österreichischen entspricht.

Der Grund für die Änderung bezüglich der Leistungen ins Ausland ist laut Regierung,
abgesehen von Gerechtigkeitserwägungen, primär die mögliche Ersparnis Österreichs
durch die Kürzung. Als Beispiel sei das Jahr 2015 angeführt, in dem 122.000 Kinder
Familienbeihilfe aus Österreich bezogen und damit insgesamt 249 Millionen Euro ins
Ausland flossen. Das macht von den insgesamt ausbezahlten Leistung in Höhe von 3,4
Milliarden Euro rund 7,3% aus. Im Umkehrschluss wurden also 92,7% an in Österreich
lebende Haushalte ausbezahlt. Bezogen auf die ins Ausland fließende Summe
bekamen in Ungarn lebende Kinder, deren Eltern in Österreich berufstätig waren, mit
64,7 Millionen den höchsten Anteil.24 Diese Zahlen sind in den darauffolgenden Jahren
stetig gestiegen. Es bezogen also mehr Familien für ihre Kinder im Ausland die
österreichische Familienbeihilfe und die Summe der in das Ausland fließenden
Leistungen stiegen damit an.

Mit der Indexierung nach dem EUROSTAT-Indikator errechnete sich Österreich eine
Einsparung von rund 114 Millionen Euro. Wofür diese verwendet werden bzw in welche
Ressorts diese fließen soll ist anfänglich noch ungewiss. Eine vage Eingrenzung durch
die Familienministerin Juliane Bogner-Strauß war, dass das Ersparte in andere
Sozialleistungen investiert werden soll und das voraussichtlich ein Großteil davon im
Familienressort bleiben wird.25

Im Ergebnis konnte diese Prognose aber nicht Realität werden. Im Jahr 2019, also
dem ersten Jahr in dem indexiert wurde, wurden von den erwarteten 114 Millionen bloß
62 Millionen eingespart. Damit hat man der Prognose nur zu knapp über 50%
entsprochen.26

24 Vgl 2015 gingen knapp 250 Millionen Euro Familienbeihilfe ins Ausland, Wiener Zeitung, 21.02.2017,
aufgerufen am 04.03.2020, in: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/875262-2015-
gingen-knapp-250-Millionen-Euro-Familienbeihilfe-ins-Ausland.html.
25 Vgl OE24.TV (2018): Fellner! Live: Juliane Bogner-Strauß im Interview (05/2018), Youtube, 09.05.2018,

Web, aufgerufen am 03.03.2020, in: https://www.youtube.com/watch?v=dx_DMS8y4ks, 13:55 Minuten.
26 Vgl Weniger Ersparnis durch gekürzte Familienbeihilfe, Wiener Zeitung, 05.02.2020, aufgerufen am

04.03.2020, in: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2048770-Weniger-Ersparnis-
durch-gekuerzte-Familienbeihilfe.html.

04. April 2020                                                                                             12/40
Dies zeigt die Gegenüberstellung der Jahre 2018 und 2019 deutlich: So gab es im Jahr
2018 133.000 Kinder, die sich im Ausland aufhielten und die österreichische
Familienbeihilfe bekamen. Für diese flossen rund 275 Millionen Euro ins Ausland.
Im Jahr 2019, also unter Anwendung der Indexierungsmaßnahmen, waren es 137.000
Kinder, für die 213 Millionen ausbezahlt wurden. Weiters sei noch zu erwähnen, dass
von diesen 137.000 Kindern nur 28.000 den vollen Betrag, und 108.500
Differenzzahlungen qua Subsidiarität der österreichischen Familienbeihilfe erhielten.27
So ist im Ergebnis festzuhalten, dass es natürlich eine Einsparung gab, diese aber
signifikant gering ist in Relation gesehen zur Anzahl der Kinder, die es mehr wurden.

d) Pflegenotstand infolge der Indexierung?
Die Indexierungsmaßnahmen warfen die Frage auf, ob es Einfluss auf die Pflegekräfte
und deren Arbeit haben wird, wenn die Familienleistungen Österreichs in den anderen
Ländern Kürzungen erfahren. Die meisten 24-Stunden PflegerInnen kommen aus
Ländern, in denen die Lebenshaltungskosten deutlich geringer sind als sie es in
Österreich sind. Damit ist die Befürchtung durchaus begründet, da die Indexierung zur
Folge hat, dass die PflegerInnen effektiv weniger Geld bekommen.
Es gab zu diesem Thema auch eine Befragung durch die mit Sitz in Bratislava und in
Österreich tätige Organisation „Altern in Würde“, in der 1.413 betroffene Pflegerinnen
mit den konkreten Zahlen der geplanten Maßnahme konfrontiert und anschließend
befragt wurden, wie sie die eigene berufliche Zukunft in Bezug auf Österreich sehen.
Das Ergebnis zeigte, das von den Befragten, von denen ein Großteil aus Rumänien
und der Slowakei stammen, 30% die Tätigkeit aufgeben würden und ihre
Betreuungtätigkeit nicht weiter in Österreich ausüben werden. Weiters gaben 26% an,
sich gezwungen zu sehen ein höheres Honorar von den zu betreuenden Personen und
ihren Familien fordern zu müssen und 24% der Teilnehmerinnen der Umfrage werden
dieselbe Tätigkeit zwar weiter ausüben, allerdings nicht mehr in Österreich. Laut
besagter Organisation sind ca 65.000 Personenbetreuerinnen aus osteuropäischen
Ländern in Österreich tätig. Davon haben etwa ein Drittel auch Anspruch auf die
österreichische Familienbeihilfe, die Kinder leben aber tatsächlich nicht in Österreich.28

27 Vgl Martin Fritzl, Familienbeihilfe: Enttäuschte Erwartungen, Die Presse, 05.02.2020, aufgerufen am
04.03.2020, in: https://www.diepresse.com/5764288/familienbeihilfe-enttauschte-erwartungen?from=rss.
28 Vgl Daniela Holzinger-Vogtenhuber (2018): Pflegenotstand durch Indexierung Familienbeihilfe – Daniela

Holzinger, Youtube, 30.10.2018, Web, aufgerufen am 04.03.2020 in:
https://www.youtube.com/watch?time_continue=2&v=5mpKtZuqvsI&feature=emb_logo; vgl auch
Indexierung der Familienbeihilfe: Pflegekräfte könnten Österreich verlassen, Kleine Zeitung, 12.06.2018,
aufgerufen am 04.03.2020, in: https://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/5445668/Laut-
Umfrage_Indexierung-der-Familienbeihilfe_Pflegekraefte.

04. April 2020                                                                                             13/40
Es erscheint unter Heranziehung dieser Umfrage realistisch, dass es zu Einbußen der
Pflegekräfte in Österreich kommen kann.

III. Unionsrechtlicher Rahmen

A. Vorbemerkungen

Die Indexierung der Familienbeihilfe an das Preisniveau der verschiedenen Länder
stößt auf vielerlei Kritik und erzeugt die Befürchtung, die Anpassung sei mit dem
geltenden Europarecht unvereinbar. Es gibt auf der einen Seite die Befürworter der
Maßnahmen, auf der anderen Seite sprechen sich einige aber gegen die inzwischen
durchgeführte Anpassung aus. Anknüpfungspunkt der Behauptung, es bestehe keine
Vereinbarkeit des Europarechts mit der Indexierung ist zum einen im Primärrecht und
zum anderen im sekundären Europarecht zu finden. Zu den primärrechtlichen
Bestimmungen,     die   verletzt   sein   könnten,   zählen   der   Gleichheitssatz,   die
Arbeitnehmerfreizügigkeit und das allgemeine Diskriminierungsverbot aufgrund von
Staatsangehörigkeit. Sekundärrechtlich betroffen sind in erster Linie die Verordnung Nr
883/2004 zur Koordinierung der Systeme der               sozialen Sicherheit    und die
Freizügigkeitsverordnung Nr 492/2011. In den folgenden Kapiteln wird, nach kurzer
Schilderung der jeweiligen Argumente, die für und gegen die Indexierung aufgeworfen
werden, näher auf den Anwendungsbereich dieser primär- und sekundärrechtlichen
Bestimmungen eingegangen und auf die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht
untersucht.

1. Befürworter der Indexierung

Die österreichische Regierung, die die Novellierung des FLAG 1967 durchführte und
damit Indexierung gesetzlich verankerte, vertritt die Meinung, ihr Vorhaben verstoße
nicht gegen geltendes EU-Recht. Als Argumente dafür verweisen sie auf das von Dr.
Mazal verfasste Gutachten zu dem Thema und weisen auf Großbritannien und das
Angebot seitens der EU im Hinblick auf den Brexit hin.

04. April 2020                                                                               14/40
a) Brexit-Verhandlungen

Im Rahmen der Verhandlungen zum EU-Austritt Großbritanniens einigte sich die EU
durch die Staats- und Regierungschefs auf ein Reformpaket mit dem Premierminister
David Cameron. Im Bestreben danach, den Austritt Großbitanniens zu verhindern,
wurde im Februar 2016 dieses Reformpaket vereinbart, das unter anderem die
Kommission dazu aufforderte, eine Änderung der VO Nr 883/2004 vorzuschlagen, die
es den Mitgliedstaaten ermöglicht, eine Indexierung bezüglich der Leistungen für im
Ausland lebende Kinder vorzunehmen. Der getroffene Beschluss diesbezüglich wurde
allerdings mit der Austrittsmitteilung Großbritanniens am 29.03.2017 hinfällig. Es
besteht die Möglichkeit, dieses erzielte Ergebnis der Änderung der VO Nr 883/2004
neuerlich aufzugreifen und die Kommission um entsprechende Initiative anzufragen.29
Diese neuerliche Beschlussfassung hätte im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu
erfolgen.30 Eingeleitet wird dieses durch die Kommission und es muss im Anschluss zu
einer Einigung zwischen Europäischem Parlament und Rat kommen. Der Rat muss
dabei nach der „55/65“-Formel beschliesen, was bedeutet, dass die Zustimmung von
zumindest 55% der Mitgliedstaaten erforderlich wären, die gleichzeitig mindestens 65%
der Unionsbevölkerung ausmachen.31 Das wäre eine mögliche Herangehensweise
Österreichs gewesen, die aber nicht aufgegriffen wurde. Österreich hat sich in diesem
Sinn für einen Alleingang durch entsprechende Änderung des FLAG 1967 entschieden.

b) Rechtsgutachten von Dr. Mazal

Dr Wolfgang Mazal ist Universitätsprofessor an der Universität Wien und hat im
Rahmen des Gesetzgebungsverfahren bezüglich der Indexierung ein Gutachten
verfasst, das sich damit außeinandersetzt, ob die Maßnahme unionsrechtskonform ist.

Nach diesem Gutachten ist eine Indexierung der Familienbeihilfe entsprechend der
Kaufkraft des jeweiligen Staates notwendig, um eine Unionsrechtskonformität
herzustellen und der VO Nr 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialenn
Sicherheit zu entsprechen, da es sonst zu einer Über- bzw Unterförderung aufgrund
der unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in den verschiedenen Mitgliedstaaten
kommt, die im Rahmen der Grundfreiheiten nicht gefordert bzw gegen die Ausübung

29 Vgl Leidenmühler (2018), Indexierung der Familienbeihilfe ist mit geltendem EU-Recht nicht vereinbar,
Wien, ÖgfE Policy Brief, 05.2018.
30 Vgl Art 289 iVm Art 294 AEUV.
31 Vgl Vgl Leidenmühler, Europarecht (2017) 91f; Vgl Leidenmühler, Indexierung der Familienbeihilfe ist

mit geltendem EU-Recht nicht vereinbar (2018), Wien, ÖgfE Policy Brief, 05.2018; Vgl Art 16 Abs 4 EUV.

04. April 2020                                                                                             15/40
32
der Freizügigkeit spricht.          Mazal betont, dass die Funktion der Familienbeihilfe die
Entlastung des Haushalts durch den Zufluss von Geldmitteln ist. Im Ergebnis führt das
zu einer Verringerung der Unterhaltslast, unabhängig davon, ob das Kind bzw die
Kinder mit dem Unterhaltspflichtigen wohnt bzw wohnen oder nicht. Aufgrund der
unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in den verschiedenen EU-Staaten kommt es
aber, wie bereits erwähnt, vor allem in ärmeren Ländern zu einer Überförderung, da
diese Familien mehr Leistung in Relation zu den tatsächlich aufzubringenden
Lebenshaltungskosten erhalten, als etwa in Österreich lebende Familien, die gleich viel
bekommen, aber in Österreich höhere Lebenshaltungskosten bestehen. Dies steht im
Widerspruch zur Funktion der Familienbeihilfe.33

2. Gegenmeinungen

Noch vor In-Kraft-Treten der Regelung zur Indexierung in Österreich gab es
Meinungen, die eine Unionsrechtskonformität ablehnten.
So wirft etwa der Arbeits- und Sozialrechtsexperte Franz Marhold dem oben genannten
Rechtsgutachten Mazals vor, es beschäftige sich nicht ausreichend mit der Judikatur
des EuGH. So wurde die einschlägige Entscheidung in der Rechtssache Pinna etwa
überhaupt nicht erwähnt. In besagter Rechtssache geht es um einen Fall ähnlich der
Indexierung: Frankreich hat durch den Art 73 Abs 2 VO Nr 1408/71 aF ein solches
Privileg eingeräumt bekommen, wodurch die Familienbeihilfe für Kinder im Ausland an
das Leistungsniveau des jeweiligen Wohnortes angepasst wurde. Der EuGH sprach
sich in seinem Urteil klar dafür aus, das es sich um eine mit dem EU-Recht
unvereinbare Regelung handelte und erklärte sie für ungültig.34
Ein weiteres Arguments Marholds ist, dass man Sozialzoll einführen müsste, wenn
man in einem anderen Staat grundsätzlich billiger einkaufen kann als im
Wohnsitzstaat, da der Grundgedanke derselbe ist. Man kauft beispielsweise in Ungarn
billiger ein, bezieht aber dennoch die Familienbeihilfe in jener Höhe, die durch das
österreichische Preisniveau bestimmt wird.35

32 Vgl Mazal (2017), Rechtsgutachten zur Neugestaltung der Familienbeihilfe für Kinder, die im EU-
ausland leben, 4f.
33 Vgl Mazal (2017), Rechtsgutachten zur Neugestaltung der Familienbeihilfe für Kinder, die im EU-

ausland leben, 23f.
34 EuGH 15.01.1986, Rs 41/84 (Pinna)
35 Vgl Franz Marhold, Lücken im Familienbeihilfe-Gutachten, Der Standard, 03.04.2017, aufgerufen am

12.03.2020, in: https://www.derstandard.at/story/2000055267833/luecken-im-familienbeihilfe-gutachten.

04. April 2020                                                                                          16/40
Auch österreichische Parteien sprachen sich gegen eine Indexierung aus. NEOS
kündigte an, eine Beschwerde bei der Kommission einzubringen, da die Maßnahme
offenkundig gegen EU-Recht verstoße, vor allem gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit
und die Koordinierungsverordnung Nr 883/2004.36 Die SPÖ und Liste Pilz (siehe oben
zum Pflegenotstand; Daniela Holzinger-Vogtenhuber) gehen von der Unvereinbarkeit
mit geltendem Europarecht aus und rechnen bereits im Vorfeld mit einem
Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich.37

Zudem hat sich Marianne Thyssen als zuständige Sozialkommissarin offen gegen die
Pläne Österreichs ausgesprochen und meint, die Regelung sei unfair.38
Einige Mitgliedstaaten der EU sehen ebenfalls keine Vereinbarkeit der Indexierung mit
dem Unionsrecht. Rumänien erwog etwa Klage vor dem EuGH einzubringen und auch
Ungarn, das dadurch am härtesten getroffen wird, verlangte EU-Klage gegen
Österreich.39
Schlussendlich sind die oben genannten Positionen nur beispielhaft genannt und ob
tatsächlich eine Vereinbarkeit der Indexierung mit geltendem Unionsrecht begründet
werden kann oder nicht, wird im Detail in den folgenden Kapiteln erläutert.

B. Primärrecht

Die Grundlage des Primärrechts der Rechtsordnung der europäischen Union bilden die
völkerrechtlichen      Verträge,     die   von den Mitgliedstaaten der               EU     einstimmig
abgeschlossen wurden. Dabei setzt sich das vertraglich vereinbarte Primärrecht aus
den Gründungs-, Änderungs- und Beitrittsverträgen zusammen.
Daneben gibt es auch noch sogenanntes Gewohnheitsrecht, das aber nicht schriftlich
verankert ist, sonden im Rahmen der Rechtsüberzeugung im Rang des Primärrechts
gebildet wurde. Auch allgemeine Rechtsgrundsätze, die durch den europäischen
Gerichtshof gebildet werden, zählen zum ungeschriebenen Primärrecht.40 Für alle

36 Vgl Familienbeihilfe: NEOS bringt Beschwerde bei EU ein, 13.01.2019, aufgerufen am 12.03.2020, in:
https://orf.at/stories/3107482/.
37 Vgl Sandler: Nein zur Indexierung der Familienbeihilfe, 09.10.2018, aufgerufen am 12.03.2020, in:

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20181009_OTS0166/sandler-nein-zur-indexierung-der-
familienbeihilfe.
38 Vgl Thyssen: „Indexierung ist zutiefst unfair“, Wiener Zeitung, 24.01.2019, aufgerufen am 12.03.2020,

in: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/europa/1014599-Thyssen-Indexierung-ist-zutiefst-
unfair.html.
39 Vgl Rumänien kritisiert Österreich für Indexierung der Familienbeihilfe, Der Standard, 06.01.2019,

aufgerufen am 12.03.2020, in: https://www.derstandard.at/story/2000095501479/rumaenien-uebt-scharfe-
kritik-an-oesterreichs-familienbeihilfen-kuerzung; Vgl Familienbeihilfe: Ungarn will
Vertragsverletzungsverfahren, aufgerufen am 12.03.2020, in: https://orf.at/stories/3108092/.
40 Vgl Leidenmühler, Europarecht (2017) 28f.

04. April 2020                                                                                             17/40
europäischen Bestimmungen bilden der Vertrag über die Europäische Union (EUV)
und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Grundlage.
Zur      Beantwortung              der     Frage    über     die    Vereinbarkeit     der    durch    Österreich
vorgenommenen Indexierung mit dem Europarecht bedarf es im Wesentlichen, im
Hinblick          auf        das     Primärrecht,          der     Auslegung        der     Grundfreiheit     auf
Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 45 AEUV. Des Weiteren ist die Frage maßgeblich,
ob     diese          auch     mit       dem     allgemeinen       Diskriminierungsverbot          aufgrund   der
Staatsangehörigkeit nach Art 18 AEUV und dem Grundrecht auf Gleichbehandlung in
Einklang gebracht werden kann, das sowohl in der europäischen Grundrechtecharta
(GRC) und der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), als auch in
Österreich verfassungsrechtlich verankert ist. Eine weitere einschlägige Norm für die
Gleichbehandlung,                    das         ebenfalls         Verfassungsrang          hat,      ist     das
Rassendiskriminierungsgesetz                       (BVG      RassDiskrG).      Diese        Norm     regelt   die
                                                             41
Gleichbehandlung Fremder untereinander.

1. Recht auf Gleichbehandlung und allgemeines Diskriminierungsverbot

a) Vorbemerkungen

Kurz und knapp kann man den Gleichheitsgrundsatz mit den Worten „Gleiches ist
gleich und Ungleiches ist ungleich zu behandeln“ zusammenfassen. Daraus folgt, dass
keinerlei Ungleichbehandlung vorgenommen werden darf, die nicht durch eine
sachliche Rechtsfertigung geboten erscheint. Es darf also nicht willkürlich differenziert
werden, ohne einen sachlichen Anhaltspunkt. Andererseits muss eine unterschiedliche
Behandlung erfolgen, wenn diese sachlich gerechtfertigt ist. Damit ist einerseits ein
Verbot und andererseits eine Verpflichtung mit dem Gleichheitssatz verbunden.42

In    Art        18     AEUV       ist     ein   allgemeines        Diskriminierungsverbot         aufgrund   der
Staatsangehörigkeit normiert. Erfasst sind sowohl direkte, als auch indirekte
Diskriminierungen im Rahmen des Anwendungsbereichs der Verträge. Diese
subsidiäre Bestimmung kommt also nur zur Anwendung, wenn der fragliche
Sachverhalt vom Unionsrecht umfasst ist und keine speziellere Regelung vorrangig ist.
Eingriffe in den Schutzbereich dieser Bestimmungen sind unter Umständen zulässig,
wenn es aufgrund sachlicher Erfordernisse des Allgemeininteresses geboten
erscheint.43

41 Vgl Hengstschläger/Leeb, Grundrechte (2013), 108.
42 Vgl Hengstschläger/Leeb, Grundrechte (2013), 106.
43 Vgl Leidenmühler, Europarecht (2017), 135f.

04. April 2020                                                                                                      18/40
b) VO Nr 1408/71 und Rechtssache Pinna

Die VO Nr 1408/71 ist dem Grundgedanken nach der heutigen VO Nr 883/2004 zur
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sehr ähnlich. Der Art 73 dieser
Verordnung regelte das Beschäftigungslandprinzip, wonach Familienleistungen in
jenem Staat zu gewähren sind, in welchem der Arbeitnehmer eine Beschäftigung
ausübt. Der Art 76 regelt die Prioritätsregeln im Fall des Zusammentreffens der
Ansprüche von zwei oder mehreren Staaten.
Im Abs 2 des Art 73 war eine Sonderregelung für Frankreich vorgesehen. Diese
Regelung besagte, dass Ansprüche auf Familienbeihilfe für Angehörige eines
Arbeitnehmers, für den die Rechtsvorschriften Frankreichs gelten, von jenem
Mitgliedstaat zu gewähren sind, in dem die Angehörigen wohnen.

Für die Frage der Vereinbarkeit der Indexierung mit dem Gleichheitsgrundsatz gibt es
eine Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 1986, die oben bereits kurz erwähnt
wurde. In diesem Urteil in der Rechtssache Pinna hat der EuGH eine der Indexierung
ähnliche Regelung, nämlich den oben erwähnten Art 73 Abs 2 VO Nr 1408/71 für
ungültig erklärt und ausgeführt, sie verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Der Staatsbürger Italiens lebte mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Frankreich.
Die Kinder und deren Mutter hielten sich in den Jahren 1977 und 1978 längere Zeit in
Italien auf, woraufhin Frankreich den Anspruch auf Familienbeihilfe für diese Zeit
ablehnte. Die Begründung war, dass in dieser Zeit Italien für die Zahlung der Leistung
zuständig war, da sich die Kinder dort aufhielten. Frankreich bezog sich bei der
Argumentation auf den Art 73 Abs 2 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71. In diesem Fall
wäre die Leistung also nach dieser Regelung von Italien zu bezahlen gewesen.
Aufgrund dessen versagte Frankreich den Anspruch für diesen Zeitraum. In Italien
waren die Lebenshaltungskosten geringer als in Frankreich. Diese Ablehnung wurde
bekämpft         und   im   Rahmen       eines   Vorabentscheidungsersuchens   dem   EuGH
vorgelegt.44

44   EuGH 15.01.1986, Rs 41/84 (Pinna)

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c) Entscheidung des EuGH

Der EuGH stellte in seiner Urteilsbegründung zunächst die geänderte Rechtslage
durch die VO Nr 1408/71 dem Art 40 VO Nr 3 gegenüber.
Die Bestimmungen der Art 40 ff VO Nr 3 regelten die Koordinierung von
Familienleistungen. Die Legaldefinition kam später durch die VO Nr 1408/71 hinzu,
wonach es sich bei Familienleistungen um Geldleistungen handelt, die nach Zahl und
gegebenenfalls nach Alter der Familienangehörigen, regelmäßig gewährt werden. Hier
gab es keine Anknüpfung an den Ausgleich von Familienlasten, wie es sie in der
neueren VO Nr 883/2004 gibt. Art 40 Abs 1 der VO Nr 3 enthielt die Regelung für den
Fall, dass der Beschäftigungsstaat und der Wohnsitzstaat der Kinder nicht derselbe ist.
Der Beschäftigte hat für diesen Fall für seine Kinder Anspruch auf Familienbeihilfe
nach den Vorschriften des Staates, in dem er die Beschäftigung ausübt, und das bis
zur Höhe der Beihilfe, die nach den Vorschriften des Wohnsitzstaates zu gewähren
sind. Somit kann man in der ursprünglichen Koordinierungsverordnung eine
Indexierung finden, die die Höhe der Familienbeihilfe begrenzt. Das Abstellen auf die
Höhe der im Wohnsitzstaat zu gewährenden Beihilfe erscheint deshalb schlüssig, als
die Definition nicht auf den Ausgleich von Familienlasten abstellt, sondern nur auf die
Zahl und das Alter der Angehörigen.
Diese Gegenüberstellung der VO Nr 1408/71 mit dem Art 40 der VO Nr 3 durch den
EuGH in seiner Entscheidung kann darauf schließen lassen, dass er auf eine zulässige
Umsetzung des Ziels verweisen wollte, das von der gegenständlichen Sonderregelung
verfolgt wird, nämlich eine Begrenzung der Höhe der Familienleistung. Der EuGH hat
allerdings keine ausdrückliche Stellungnahme dahingehend vorgenommen, wodurch
diese Deutung auf den Art 40 VO Nr 3 ungewiss bleibt.

Im nächsten Schritt befasste sich der Gerichtshof mit der Frage der Gültigkeit dieser
Sonderregelung. Der Unionsgesetzgeber darf, nach Grundlage des heutigen Art 48
AEUV keine Unterschiede einführen, „die zu denen hinzutreten, die sich bereits aus
der mangelnden Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften ergeben.“ Art 48
AEUV erlaubt nur den Erlass von koordinierenden Maßnahmen, womit sich folglich die
Unterschiede nur auf der Ebene der Koordinierung beziehen können. Die Einführung
der Sonderregelung für Frankreich schaffte zwei unterschiedliche Systeme. Zum einen
die Grundregel im Art 73 Abs 1 VO Nr 1408/71 und die Sonderregelung im Abs 2
derselben Verordnung, wonach unterschieden wird, ob der Arbeitnehmer den
Rechtsvorschriften Frankreichs oder denen des anderen Mitgliedstaates unterliegt.
Damit fügt der Art 73 Abs 1 und 2 den, sich aus den nationalen Vorschriften selbst

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ergebenden Unterschieden, einen weiteren hinzu. Im Ergebnis erschwert er dadurch
die Verwirklichung der Ziele, die in den Art 45 bis 48 AEUV genannt sind.

Des Weiteren erkennt der EuGH im Art 73 Abs 2 VO Nr 1408/71 eine indirekte
Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Es liegt hier laut Gerichtshof
eine indirekte Diskriminierung vor, da die Wanderarbeitnehmer faktisch schlechter
dastehen als in diesem Fall französische Arbeitnehmer, die sich mit ihren Angehörigen
ständig im Inland aufhalten bzw ihren Wohnsitz dort haben.
Das Wohnsitzkriterium ist nicht geeignet, die Gleichbehandlung, die durch den Art 45
AEUV vorgeschrieben ist, zu gewährleisten – eine Anwendung darf daher im Rahmen
der Koordinierung nach Art 48 AEUV nicht stattfinden.
Rechtfertigungsgründe wurden vom EuGH in seiner Entscheidung nicht erwähnt.45

Fraglich ist in dieser Sache, da diese Entscheidung des Gerichtshofs aus dem Jahre
1986 stammt und damit bereits über 30 Jahre alt ist, ob sie als Grundlage
herangezogen werden kann für die Frage der Vereinbarkeit der Indexierung mit dem
Gleichheitssatz. Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass die Rechtsprechung
beüglich der Indexierung anders ausfallen kann als damals in der Rechtssache Pinna.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich die EU-Gesetzgebung, die dem zugrunde
liegt, geändert hat. Der EU-Gesetzgeber müsste sich dahingehend sowohl an die EU-
Verträge         als   auch   an   die    Grundfreiheiten      und     die    darin    enthaltenen
                                    46
Diskriminierungsverbote halten.

45 Vgl Deutscher Bundestag - Fachbereich Europa, Ausarbeitung „Kürzungen von Kindergeld im Lichte
des EU-Rechts“ (2016), 12f.
46 Vgl Das Unionsrecht und die Familienbeihilfe, 12.12.2018, aufgerufen am 15.03.2020, in:

https://orf.at/stories/3102777/.

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2. Arbeitnehmerfreizügigkeit

a) Definitionen und Anwendungsbereich
Die gesetzlich einschlägige Norm zur Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist
der Art 45 AEUV. Es handelt sich dabei um unmittelbar anwendbares Primärrecht. Das
bedeutet, dass es Vorrang genießt in jenen Fällen, in denen es zu einem
Aufeinandertreffen mit einer nationalen Regelung gibt. Geschützt durch die
Arbeitnehmerfreizügigkeit ist die unselbständige Erwerbstätigkeit, also eine Tätigkeit
bei der der Arbeitnehmer in einem Dienstverhältnis (Gehalts- oder Lohnverhältnis)
steht. Die Begünstigten Personen sind Angehörige eines EU-Mitgliedstaates. Es bedarf
für die Anwendbarkeit dieser Regelung jedenfalls eines grenzüberschreitenden
Kontexts, also einen Auslandsbezug. Somit fallen unter den Anwendungsbereich
sogenannte Wanderarbeitnehmer, die von einem Mitgliedstaat stammen bzw in einem
wohnhaft         sind     und    in   einem   anderen    Mitgliedstaat    einer    unselbständigen
Erwerbstätigkeit          nachgehen.      Daneben       sind    auch     die    Arbeitgeber   jener
Wanderarbeitnehmer Begünstigte im Sinne dieses Gesetzes.47
Die Verpflichteten der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind, wie bei allen Grundfreiheiten, die
Mitgliedstaaten. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der weite Staatsbegriff hierbei
anzuwenden, somit fallen nicht nur der Staat als solcher, sondern auch Unternehmen
mit mehrheitlicher Beteiligung der öffentlichen Hand darunter. Der Verpflichtetenbegriff
der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist weiters dahingehend auszuweiten, als intermediäre
Gewalten ebenfalls darunter zu subsumieren sind. Unter intermediären Gewalten sind
bestimmte Private mit hoheitsgleicher Macht zu verstehen. Als Beispiel kann das Urteil
des EuGH im Fall Bosman herangezogen werden.48 Diese Ausweitung auf
intermediäre Gewalten wurde im Laufe der Zeit im Sinne einer Kohärenzjudikatur auch
auf die anderen Grundfreiheiten übertragen.

Im Tatbestand enthält der Art 45 Abs 2 und 3 AEUV ein direktes und indirektes
Diskriminierungsverbot in Bezug auf die Staatszugehörigkeit der ArbeitnehmerInnen.
Niemand darf aufgrund seiner Herkunft oder seines Wohnsitzes schlechter behandelt
werden.          Dieser    ist   dahingehend      erweitert    worden,    als   ein   umfassendes
Beschränkungsverbot über die Diskriminierung hinaus besteht. Im Ergebnis sind somit
alle Maßnahmen verboten, die geeignet sind, für die Begünstigten aus der
Arbeitnehmerfreizügigkeit die Ausübung derselben zu behindern oder weniger attraktiv
zu machen.

47   Vgl Leidenmühler, Europarecht (2017), 192.
48   EuGH 15.12.1995, Rs C-415/93 (Bosman).

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