Bildschirmkonsum und kognitive Kompetenzen im Kindes- und Jugendalter - DepositOnce

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Bildschirmkonsum und kognitive Kompetenzen im Kindes- und Jugendalter - DepositOnce
Originalarbeit

Bildschirmkonsum
und kognitive Kompetenzen
im Kindes- und Jugendalter
Avelina Lovis-Schmidt1 , Mihaly Peterfy2, Ayla Schaub1, David Becker1,
Heiner Rindermann1

1Fakultät   der Psychologie, Technische Universität Chemnitz
2Fakultät   Human Factors, Technische Universität Berlin

 Zusammenfassung: Hintergrund: In zwei Studien werden die Zusammenhänge zwischen dem Bildschirmkonsum bei Kindern und Jugendli-
 chen und deren kognitiven Kompetenzen für den deutschsprachigen Raum untersucht. Begründet wird der Zusammenhang (u. a.) dadurch,
 dass der Bildschirmkonsum dem Konzentrationsvermögen schadet und lernförderliche Freizeitaktivitäten verdrängt. Methoden: In der ersten
 Studie werden Berliner Gymnasiasten retrospektiv zu ihrer Bildschirmzeit im Alter von 5 und 10 Jahren erfragt und Zusammenhänge mit heu-
 tiger Bildschirmzeit und Schulleistungen verglichen (N = 104, 18 bis 20 Jahre, Pfadmodell). In Studie 2 wird der deutsche PISA-Datensatz reana-
 lysiert (N = 6504, 15-Jährige, multiple Regression), um den Einfluss des Bildschirminhalts (Unterhaltung vs. Wissensaneignung) mit anderen
 bewährten Variablen zur Vorhersage kognitiver Kompetenzen zu vergleichen, wie das Bildungsverhalten der Eltern und die Selbstwirksamkeit
 des Kindes. Ergebnisse: In einer Pfadmodellierung (Studie 1) zeigen sich die höchsten Zusammenhänge zwischen dem erinnerten Bildschirm-
 konsum im Alter von fünf Jahren und den Schulleistungen in Deutsch und Englisch (β = –.29). Der gegenwärtige Bildschirmkonsum wirkt stärker
 auf Schulleistungen in Mathematik und Deutsch (β = –.20). In der zweiten Studie weist der lernhinderliche Bildschirmkonsum ähnlich hohe
 Zusammenhänge auf (β = –.22) wie die Selbstwirksamkeit (β = –.21), wohingegen der lernförderliche Bildschirmkonsum keine signifikanten
 Zusammenhänge mit den Kompetenzen andeutet (β = .08). Diskussion: Zukünftige längsschnittliche Studien sollten die Muster einschließlich
 möglicher Rückeffekte von Fähigkeit auf Bildschirmkonsum untersuchen. Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Schutzmaßnahmen (und
 damit verstärkt einhergehender Bildschirmkonsum) sind die Ergebnisse relevant für Pädagogen, Psychologen und Eltern. Den lernhinderlichen
 Bildschirmkonsum für Kinder und Jugendliche zu reduzieren, sollte Aufgabe von Programmen der Prävention und Intervention sein.

 Schlüsselwörter: Bildschirmkonsum, kognitive Kompetenzen, Jugendliche, Fächerleistungen, PISA

 Screen Consumption and Cognitive Competence in Adolescence

 Abstract: Background: In two studies, the correlations between screen consumption among children and adolescents and their cognitive com-
 petencies are examined for the German-speaking region. The correlation is explained by the fact that screen consumption is detrimental to the
 development of important brain structures, the ability to concentrate and displaces leisure activities that are conducive to learning. Methods:
 In the first study, Berlin high school students are retrospectively asked about their screen time at ages 5 and 10 and correlations with current
 screen time and school performance are compared (N = 104, 18 to 20 years, path model). In Study 2, the German PISA dataset is reanalyzed
 (N = 6504, 15-year-olds, multiple regression) to compare the influence of screen content (entertainment vs. knowledge acquisition) with other
 well-established variables for predicting cognitive competencies, such as parents' educational behavior and child self-efficacy. Results: Path
 modeling (Study 1) shows the highest associations between recalled screen use at age five and language-related school performance (β = –.29).
 Current screen use showed higher effects on school performance in mathematics and German (β = –.20). In the second study, screen use that
 impedes learning has similar high associations (β = –.22) as self-efficacy (β = –.21), whereas screen use that promotes learning suggests no
 significant associations with competencies (β = .08). Discussion: Future longitudinal studies should examine patterns including possible back
 effects of ability on screen use. Particularly in light of Corona protections (and increased associated screen use), the findings are relevant to
 educators, psychologists, and parents. Reducing screen use that impedes learning for children and adolescents should be the task of preven-
 tion and intervention programs.

 Keywords: Screen consumption, cognitive competence, adolescence, specific subject grades, PISA

© 2022 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article                                           Lernen und Lernstörungen (2022), 1 – 13
under the license CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)                            https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000367
2                                                                       A. Lovis-Schmidt et al, Bildschirmkonsum und Kompetenzen

Einleitung                                                          einschränken und damit die mentale Vorstellungskraft
                                                                    ­reduzieren, sondern auch die Grundlage von sensumotor­
Kinder und Jugendliche verbringen durch die wachsende                ischen Erfahrungen untergraben (Suggate & Martzog,
Verfügbarkeit digitaler Medien einen großen Teil des Tages           2020). Zudem werden durch die vor dem Bildschirm ver-
vor Bildschirmen (Twenge, Krizan & Hisler, 2017; Wallner-            brachte Zeit lernförderliche Freizeitaktivitäten verdrängt
Paschon, Höller & Hafner, 2018). Laut internationaler Emp-           (Marshall, Biddle, Gorley, Cameron & Murdey, 2004), wie
fehlungen sollten Grundschulkinder so wenig wie möglich              beispielsweise Lesen, die Natur erkunden oder der Kon-
Zeit vor dem Bildschirm verbringen, Jugendliche maximal              takt zu Gleichaltrigen.
120 Minuten am Tag und unter Kontrolle der Inhalte (bspw.               In einer neurobiologischen Studie wirkt sich die Bild-
Tremblay et al., 2016). Die Mehrheit ist aber länger am Bild-        schirmnutzung auf verschiedene Gehirnregionen negativ
schirm (Colley et al., 2013): 6- bis 13-jährige Kinder in            aus, die mit visuellen Funktionen und kognitiven Kompe-
Deutschland nutzen Medien im Durchschnitt 175 Minuten                tenzen in Verbindung gebracht werden (u. a. dünnere Kor-
täglich. Bedingt durch die COVID-19-Pandemie und damit               texdichte und geringeres Volumen, geringere Hippocam-
verhängten Lockdown-Maßnahmen ist der Bildschirmkon-                 pusdichte; Horowitz-Kraus & Hutton, 2017; Paulus et al.,
sum zusätzlich in Deutschland und vielen weiteren Ländern            2019). Unter dem Bildschirmkonsum leidet vor allem die
stark angestiegen (Paterson et al., 2021, Schmidt et al.,            kristalline Intelligenz (orbitofrontale Bereiche des Ge-
2020). Dies ist aufgrund des Fernunterrichtes nachvollzieh-          hirns), jedoch zeigen sich auch negative Auswirkungen für
bar und zu erwarten gewesen, jedoch ­zeigen weitere Unter-           die fluide Intelligenz (Paulus et al., 2019). Verbringen bei-
suchungen, dass auch die proble­matische exzessive Bild-             spielsweise Kinder (zwischen 8 und 10 Jahre alt) ihre Zeit
schirmnutzung in der COVID-19 Pandemie angestiegen ist               mit Lesen anstatt mit dem Konsumieren von Bildschirm-
(Eales, Gillepsie, Alstat, Ferguson & Carlson, 2021).                medien, führt dies zu einer höheren funktionellen Kon-
   Die Medienwirkforschung beschäftigt sich seit langem              nektivität zwischen einigen Hirnregionen, die unter ande-
mit den Zusammenhängen zwischen der Bildschirm­                      rem mit Sprache, Sehen und Kognitionen verbunden sind
nutzung und der Entwicklung kognitiver Kompetenzen                   (Horowitz-Kraus & Hutton, 2017). Die Einflüsse sind im
(­Wallner-Paschon et al., 2018). In verschiedenen Meta­              Vorschulalter besonders hoch zu erwarten, da hier grund-
analysen (Kates, Wu & Coryn, 2018; Marker, Gnambs &                  legende Kompetenzen ausgebildet und durch die Bild-
Appel, 2018; Razel, 2001) und Längsschnittanalysen                   schirmnutzung blockiert werden (geringere mikrostruktu-
(bspw. Christakis, 2009; Pagani, Fitzpatrick, Barnett & Du-          relle Integrität der weißen Substanz im Gehirn; Hutton,
bow, 2010) zeigte sich ein negativer Zusammenhang zwi-               Dudley, Horowitz-Kraus, DeWitt & Holland, 2019).
schen der Bildschirmnutzung und den kognitiven Kompe-
tenzen bei Kindern und Jugendlichen, im Durchschnitt mit
mittleren Effektstärken (r = –.34; Mößle & ­Rehbein, 2013).         Das Alter und die Bildschirmnutzung
   In Anlehnung an andere Studien wollen wir die Zusam-
menhänge für den deutschsprachigen Raum bestätigen,                 Eine Arbeit, die den Bildschirmkonsum in verschiedenen
um einen Beitrag zu der aktuellen Medienwirknutzung zu              Altersklassen miteinander vergleicht, gibt es bisher nicht.
leisten. Zur Umsetzung der Ziele werden zwei unter-                 Die ABCD-Studie (Adolescent Brain Cognitive Develop-
schiedliche Datensätze verwendet – der erste beschränkt             ment-Study) ist die größte Langzeitstudie der Vereinigten
sich auf eine eher kleine Stichprobe, die 2015 an Berliner          ­Staaten, die die Gehirnentwicklung und Gesundheit von
Gymnasien erhoben wurde, der zweite Datensatz ent-                   ­Kindern untersucht (rund 12 000 Kinder, Startalter bei
spricht den PISA-Daten aus dem Jahr 2015.                             9 – 10 Jahre) und dabei auch die Bildschirmnutzung der
                                                                      Kinder als möglichen Einflussfaktor überwacht (bspw.
                                                                      Paulich, Ross, Lessem & Hewitt, 2021; Walsh, Barnes,
Wie wirkt der Bildschirmkonsum auf die                                Tremblay & Chaput, 2020). Dabei zeigten sich in einer
Entwicklung kognitiver Kompetenzen?                                   Mehrheit der Studien negative Zusammenhänge zwi-
                                                                      schen der Bildschirmnutzung und den kognitiven Kom­
Erklärt wird der Zusammenhang auf verschiedene Art und                petenzen (Kirlic et al, 2021; Walsh, Barnes, Tremblay &
Weise: beispielsweise durch den Abbau des Konzentra­                  Chaput, 2020): Je mehr die Kinder vor dem Fernseher
tionsvermögens und der Aufmerksamkeitsspanne (Schit-                  sitzen, Internetvideos konsumieren oder Videospiele
tenhelm, Ennemoser & Schneider, 2010, vgl. Spitzer, 2012).            spielen (3 bis 7 Stunden täglich), desto geringer sind kog-
Eng damit verbunden seien eine mangelnde positive Sti-                nitive Kompetenzen ausgeprägt.
mulation der Sinne und die Überreizung durch den Bild-                   Besonders schädlich ist die Bildschirmnutzung im Vor-
schirmkonsum (vgl. Spitzer, 2018a). Die mental vorgefer-              schulalter (hoher Konsum bedeutete durchschnittlich zwei
tigten Bilder würden nicht nur die Kreativität der Kinder             Stunden pro Tag) für spätere Kompetenzen (Christakis,

Lernen und Lernstörungen (2022), 1 – 13                                   © 2022 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article
                                                               under the license CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)
A. Lovis-Schmidt et al, Bildschirmkonsum und Kompetenzen3

2009; Kaur, Gupta, Malhi & Grover, 2019; Pagani et al.,                     erhoben wurde, wollen wir die Zusammenhänge zwischen
2010). In einer Längsschnittstudie (Pagani et al., 2010)                    der Bildschirmnutzung (retrospektiv erfasst) im Alter von
bestätigt sich dies: Fernsehkonsum im Alter von 2.5 und                     fünf, von zehn und im frühen Erwachsenenalter und
4.5 Jahren (nach Auskunft der Eltern) hängt negativ mit                     Schulleistungen ermitteln. Wir gehen dabei von den fol-
den Schulleistungen in der vierten Klasse (Angabe der                       genden gerichteten Hypothesen aus:
Lehrpersonen) zusammen. Dafür seien nach den Autoren                           (H1) Die Dauer der Bildschirmnutzung im Alter von fünf
direkte Effekte (Einfluss auf Entwicklung des Gehirns,                      Jahren weist die größten negativen Zusammenhänge auf
­siehe oben) und indirekte Effekte (verringertes Konzentra-                 mit Fächerleistungen, die sprachliche Kompetenzen erfor-
 tions- und Aufmerksamkeitsvermögen, verringerte Aufga-                     dern (Deutsch und Englisch).
 benorientiertheit und geringes autonomes Lernverhalten)                       (H2) Die Dauer der Bildschirmnutzung im Alter von
 verantwortlich. Die Bildschirmnutzung wird in der heuti-                   10 Jahren korreliert negativ mit den Schulleistungen im
 gen Zeit weniger als der Gebrauch eines Fernsehers und                     jungen Erwachsenenalter.
 mehr als Nutzung von Smartphones und von Internet via                         (H3) Die aktuelle Dauer der Bildschirmnutzung weist
 Laptop oder Tablets verstanden, wobei ähnliche, wenn                       höhere (negative) Zusammenhänge mit Fächerleistungen
 nicht sogar höhere Effekte zu erwarten sind, aus dem ein-                  auf, die höhere kognitive Kompetenzen erfordern (Deutsch
 fachen Grund, weil sie allgegenwärtig sind (Kates et al.,                  und Mathe vs. Englisch und Sport).
 2018; Marker et al., 2018, Spitzer, 2018b).                                   Ausgewertet werden soll dies mittels eines Pfadmodells,
                                                                            welches die Interkorrelationen zwischen den Prädiktoren
                                                                            berücksichtigt (Bildschirmnutzung im Alter von 5, 10 Jah-
Auswirkungen auf verschiedene                                               ren und aktuell) und somit den jeweiligen Einfluss um den
Kompetenzen                                                                 der anderen Prädiktoren auf die abhängige Variable (aktu-
                                                                            elle Fächerleistungen in Deutsch, Mathe, Englisch, Sport)
Des Öfteren werden Defizite in sprachlichen Kompeten-                       bereinigt.
zen geäußert, etwas seltener kommen auch Defizite in
mathematischen oder naturwissenschaftlichen Kompe-
tenzen zur Sprache (Hu, Johnson, Teo & Wu, 2020; Mundy
et al, 2020). So untersuchten Mundy et al. (2020) in einer                  Methode (Studie 1)
australischen Längsschnittstudie schulfächerspezifische
Auswirkungen der Bildschirmnutzung und kommen zu                            Durchführung der Untersuchung
dem Ergebnis, dass im Alter von 8 bis 9 Jahren mehr als
zwei Stunden Fernsehen pro Tag zwei Jahre später zu                         An der Erhebung nahmen drei Berliner Gymnasien teil.
schlechteren Lesekompetenzen und höherer Computer-                          Eine Auflage für die Untersuchungsdurchführung war, den
konsum zu schlechteren mathematischen Fähigkeiten                           Aufwand für die Schule gering zu halten. Aus ethischen
führt. Dies wurde auch für den italienischen Raum bestä-                    Gründen wurden die Fragebögen in den Klassenstufen 11
tigt (Cernigilia, Cimino & Ammaniti, 2020): Eine Stunde                     bis 13 an volljährige Schülerinnen und Schüler ausgeteilt
Bildschirmnutzung (oder mehr) bei Vierjährigen führt be-                    (Einverständnis der Eltern war nicht nötig). Das Einver-
reits zu schlechteren Noten in Mathe und Lesen.                             ständnis zur Teilnahme und zur Datenauswertung wurde
   Insgesamt betrachtet gibt es zur Unterscheidung der Teil-                von den Teilnehmenden selbst schriftlich eingeholt. Die
kompetenzen zu wenig Arbeiten, welche ein einheit­liches                    Bearbeitung des Fragebogens dauerte fünf Minuten.
Bild liefern. Wir gehen davon aus (Studie 1), dass sich das
Alter und die Fächerkompetenzen bedingen. So könnte der
Schwerpunkt im Vorschulalter bei der Entwicklung sprach-                    Fragebogen zur Erfassung der Variablen
licher Kompetenzen und im späteren Alter (mit 10 Jahren
bspw.) in der zusätzlichen Entwicklung von mathemati-                       Nach soziodemographischen Informationen, wie Ge-
schen oder naturwissenschaftlichen Kompetenzen liegen.                      schlecht (männlich / weiblich / divers) und Alter (Angabe
                                                                            in Jahren) folgten Fragen zum Bildschirmkonsum. Defi-
                                                                            niert wurde die Bildschirmnutzung mit dem Zugang zu di-
Ziele und Hypothesen der ersten Studie                                      gitalen Geräten, wie Computern, Handys oder Fernse-
                                                                            hern. Die Nutzung von Bildschirmen wurde retrospektiv
In der ersten Studie wollen wir der Frage nachgehen, ob                     zum Alter von 5 Jahren und zum Alter von 10 Jahren er-
sich Unterschiede zeigen zwischen verschiedenen Alters-                     fasst, bspw. mit der Frage: „Wie lang hatten Sie täglich im
abschnitten, in denen Bildschirme genutzt werden. An-                       Alter von 5 Jahren (bzw. im Alter von 10 Jahren) Zugang zu
hand eines Datensatzes, der 2015 an Berliner Gymnasien                      Bildschirmen?“. Die Teilnehmenden hatten auch die Mög-

© 2022 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article                                      Lernen und Lernstörungen (2022), 1 – 13
under the license CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)
4                                                                          A. Lovis-Schmidt et al, Bildschirmkonsum und Kompetenzen

lichkeit anzugeben, dass sie sich nicht mehr erinnern kön-             Statistische Datenanalyse
nen. Der derzeitige Bildschirmkonsum, also wie lange die
Personen täglich Bildschirme nutzen, wurde ähnlich er-                 Zur Beantwortung der Fragen wurde ein Pfadmodell er-
fasst. Um die Angaben zur Dauer miteinander vergleichen                stellt, wobei die standardisierten Betakoeffizienten ent-
zu können, wurde der entsprechenden Antwortmöglich-                    lang der Pfade dargestellt und die Korrelationen in Klam-
keit ein zeitlicher Richtwert zugeordnet. Die Einteilung               mern gesetzt werden.
der Zeiten orientiert sich an internationalen Empfehlun-
gen und früheren Studienergebnissen aus diesem Bereich
(bspw. Tremblay et al., 2016, siehe oben) und wurden ent-
lang der mittleren Statistik leicht nach oben korrigiert. Die          Ergebnisse (Studie 1)
Personen konnten von 0 (= gar nicht –kein Zugang) bis 4
(= sehr lang –täglich über drei Stunden) antworten.                    Deskriptive Analyse der Ergebnisse

                                                                       Im Alter von 5 Jahren hatten die Personen ein bis zwei
Schulische Leistungen                                                  Stunden täglich Zugang zu Bildschirmen (M = 1.21,
                                                                       SD = 0.68), was sich mit dem Alter leicht erhöhte (mit 10,
Als Indikatoren von kognitiven Kompetenzen wurden die                  M = 1.61, SD = 0.92; derzeitig, M = 1.74, SD = 1.32). Der
Schulnoten der Person erhoben. Die Personen wurden ge-                 durchschnittliche Leistungsstand lag bei M = 10.33 Punk-
beten, ihre Noten in Punkten anzugeben („Welche Punkt-                 ten (Note 2−; SD = 2.05), wobei sich etwas schlechtere
zahl (0 bis 15) erreichen Sie derzeit in … Mathematik; Deutsch;        Punktwerte bei der Betrachtung der einzelnen Fächer er-
Englisch; Sport?“).                                                    gaben (Mathematik, M = 8.69, Note 3+, SD = 3.26; Deutsch,
                                                                       M = 9.78, Note 2−, SD = 2.11; Englisch, M = 9.95, Note 2−,
                                                                       SD = 2.59, Sport, M = 11.95, Note 2+, SD = 2.05). Der Shapi-
Beschreibung der Stichprobe                                            ro-Wilk-Test zeigt, dass die Variablen normalverteilt sind,
                                                                       mit p = .078 bis p = .334.
Es nahmen insgesamt N = 115 Personen aus fünf Klassen der
Jahrgänge 11 bis 13 an der Untersuchung teil. Dies ergibt
eine Rücklaufquote von etwa 82 % (insgesamt N = 141 Per-               Inferenzstatistische Analyse der Ergebnisse
sonen angetroffen). Davon wurden 8 Personen ausgeschlos-
sen, die bei der Frage zum Bildschirmkonsum im Alter von 5             Die Ergebnisse der Pfadmodellierung sind Abbildung 1 zu
und 10 Jahren keine Angaben machten, weitere 3 Personen                entnehmen. Die Güte des Modells ist als sehr gut zu inter-
wegen fehlender Angaben zu Schulleistungen. Die finale                 pretieren (CFI = 1.000, SRMR = .013). Es zeigt sich eine
Stichprobe umfasst N = 104 Personen, davon n = 65 Frauen               mittlere Korrelation zwischen dem Bildschirmkonsum im
(62.5 %) und n = 39 Männer (37.5 %). Alle Personen waren               Alter von 5 und 10 (r = .29) und eine hohe Korrelation zwi-
zwischen 18 und 20 Jahre alt (M = 18.63, SD = 0.70).                   schen dem Alter von 10 und derzeitig (r = .52).

Abbildung 1. Bildschirmkonsum zur Vorhersage der Schulnoten in spezifischen Fächern. Anmerkungen. N = 104, Standardisierter Beta-
koeffizient – entlang der Pfade; Pearson-Korrela­tionen (r) in Klammern; *** entspricht p < .001, ** entspricht p < .01; Anzahl der freien
Parameter = 26. Model-Fit: CFI = 1.000, SRMR = 0.013.

Lernen und Lernstörungen (2022), 1 – 13                                      © 2022 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article
                                                                  under the license CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)
A. Lovis-Schmidt et al, Bildschirmkonsum und Kompetenzen5

   Die aufgeklärte Varianz ist für alle Schulfächer gering,                 im Alter von 10 Jahren mental dazu fähig sein, Bildschirm-
am meisten wird mit 15 % und 13 % von Deutsch und Ma-                       informationen entsprechend zu verarbeiten. Ein weiterer
thematik aufgeklärt. Die geringste Varianz wird in Sport-                   Grund könnte bei den Bildschirminhalten für diese Alters-
leistungen aufgeklärt (3 %, entspricht R = .17).                            gruppe liegen – möglicherweise sind diese auf wissensbe-
In der ersten Hypothese wurde angenommen, dass die                          zogene Inhalte bezogen und schaden demnach der Kom-
Dauer der Bildschirmnutzung im Alter von fünf Jahren die                    petenz nicht. Folgende Untersuchungen sollten diesen
größten negativen Zusammenhänge mit den sprachbezo-                         Zusammenhängen nachgehen.
genen Fächerleistungen aufweist (Deutsch und Englisch).                        Die aufgeklärte Varianz der Schulnoten ist sehr gering –
Im Vergleich der Koeffizienten zeigen sich kleine bis mit-                  jedoch wurde hier lediglich ein Faktor (Bildschirmnutzung)
telhohe Effekte zwischen dem Bildschirmkonsum im Alter                      hinzugezogen und vor diesem Hintergrund ist die Höhe der
von fünf Jahren und den Fächerleistungen. Im Mittel wei-                    Varianz wohl nicht überraschend. Wir erhoffen uns eine
sen die Koeffizienten mit den Noten in Deutsch und Eng-                     höhere Varianzaufklärung in der zweiten Studie unter Hin-
lisch (β = –.29) fast doppelt so hohe Werte auf im Vergleich                zuziehung weiterer Prädiktoren.
zu Mathematik und Sport (β = –.15). Die erste Hypothese
kann somit bestätigt werden.
   Die zweite Hypothese sollte die Zusammenhänge der                        Limitationen (Studie 1)
Bildschirmnutzung im zehnten Lebensjahr testen. Es zei-
gen sich zwar kleine bis mittlere Pearson-Korrelationen,                    Alle erhobenen Daten gehen auf die Einschätzung der Per-
jedoch verschwinden diese Effekte, wenn man den Ein-                        sonen zurück. Die Personen sollten sich bei der Angabe
fluss der Variable um den der anderen Prädiktoren im Mo-                    der Bildschirmnutzung an die Zeit im Alter von 5 und
dell bereinigt. Die zweite Hypothese kann somit nicht be-                   10 Jahren zurückerinnern. Bei retrospektiven Studien kön-
stätigt werden.                                                             nen die Ergebnisse aufgrund von Erinnerungslücken ver-
   In Hypothese 3 wurde die aktuelle Bildschirmnutzung                      zerrt werden, weswegen die Validität der Schülerangaben
fokussiert. Es zeigten sich negative und signifikante Zu-                   angezweifelt werden kann. Angeben zu können, dass die
sammenhänge mit Leistungen in Mathematik (β = –.23)                         Frage nicht beantwortet werden kann („Keine Ahnung“),
und Deutsch (β = –.17). Die Zusammenhänge hinsichtlich                      dürfte jedoch einer willkürlichen Antwort und damit auch
der Noten in Sport und Englisch sind nicht signifikant. Die                 stärkeren Validitätseinbußen entgegengewirkt haben. Per-
dritte Hypothese kann somit bestätigt werden.                               sonen, welche keine Angaben machten, wurden aus den
                                                                            Analysen ausgeschlossen.
                                                                               Recht wahrscheinlich ist es, dass die Personen ihren
                                                                            Bildschirmkonsum etwas unterschätzen, da das Zeitgefühl
Diskussion (Studie 1)                                                       vor dem Bildschirm verschwimmt (vgl. Spitzer, 2018a).
                                                                            Zudem könnte die Angabe der Bildschirmnutzung durch
Interpretation der Ergebnisse                                               soziale Erwünschtheit verzerrt sein. Zukünftigen Studien
                                                                            wird empfohlen, nach der reinen Zeit der Nutzung zu fra-
Die Ergebnisse aus dem Pfadmodell (Abb. 1) lassen darauf                    gen. Eine weitere Lösung für das Problem der sozialen Er-
schließen, dass sich die höchsten Zusammenhänge zwi-                        wünschtheit wäre, die Angaben durch die Eltern einzu­
schen dem Bildschirmkonsum im Alter von 5 Jahren und                        holen, wie es Pagani und Kollegen (2010) taten. Es können
den Schulnoten in Deutsch und Englisch zeigen (β = –.29).                   hier vermutlich präzisere Angaben gemacht werden – gera-
Dies könnte darin begründet liegen, als dass die Vorschul-                  de wenn es um die Bildschirmnutzung im Vorschulalter
zeit wichtig für die Aneignung grundlegender sprachlicher                   geht (Wartberg, Zieglmeier & Kammerl, 2019).
Kompetenzen ist und sich die Gelegenheiten für eine ent-                       Die Angabe der eigenen Schulnoten könnte auch ver-
sprechende kognitive Entwicklung durch den Bildschirm-                      zerrt sein. Die eigenen Leistungen werden von den Lern­
konsum verringern (Marshall et al., 2004; Spitzer, 2018a)                   enden überschätzt (Anderson, 1998) und weichen von den
– etwa durch die eigene sprachliche Passivität. Auch der                    Einschätzungen der Lehrpersonen ab (d = 0.60; Kuncel,
derzeitige Bildschirmkonsum wirkt bedeutsam auf die                         Crede & Thomas, 2005). Eine Korrektur der Daten wurde
Schulnoten, doch lediglich auf die Noten in Mathematik                      in der vorliegenden Studie nicht vorgenommen. Da auch
und Deutsch (im Mittel β = –.20). Dies führen wir auf den                   Lehrerurteile verzerrt sein können (Lorenz, Gentrup, Kris-
erhöhten Anspruch kognitiver Kompetenzen im Vergleich                       ten, Stanat & Kogan, 2016) sollten in Zukunft standardi-
der Fächer zurück. Die Bildschirmnutzung im Alter von                       sierte Tests zur Erfassung kognitiver Kompetenzen ange-
10 Jahren weist (im relativen Vergleich zu den anderen Al-                  wandt werden. Insgesamt betrachtet müssen wir davon
tersgruppen) keine Zusammenhänge mit den derzeitigen                        ausgehen, dass die Zusammenhänge in Studie 1 leicht un-
Schulnoten auf. Vermutungen zufolge, könnte das Gehirn                      terschätzt werden.

© 2022 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article                                      Lernen und Lernstörungen (2022), 1 – 13
under the license CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)
6                                                                       A. Lovis-Schmidt et al, Bildschirmkonsum und Kompetenzen

   Weitere Limitationen dieser Studie betreffen die Stich-              (H1) Der lernhinderliche Bildschirmkonsum sagt eher
probenzusammensetzung. Es wurden ausschließlich voll-               schlechte Ergebnisse in den Tests zu kognitiven Kompe-
jährige Schülerinnen und Schüler aus Berliner Gymnasien             tenzen vorher.
untersucht. Diese Stichprobenzusammensetzung kann                       (H2) Der lernförderliche Bildschirmkonsum sagt eher
­sowohl die Generalisierbarkeit als auch die Varianz ein-           gute Ergebnisse in den Tests zu kognitiven Kompetenzen
 schränken und sollte bei der Interpretation der Ergebnisse         vorher.
 berücksichtigt werden.                                                 Zudem werden weitere Prädiktoren zur Vorhersage
   Die Erhebung der allgemeinen Bildschirmzeit ist ein              ­kognitiver Kompetenzen herangezogen. Dies hat den Vor-
brauchbares Maß für die Schätzung möglicher Auswirk­                 teil, den Einfluss in einem größeren Gesamtzusammen-
ungen von Bildschirmnutzung auf Schulleistungen. Aus ver-            hang betrachten zu können. Einige Autoren und Autor­
gangenen Studien ging jedoch hervor (Lei, 2010; Pfeiffer,            innen betonen, dass es nicht der Bildschirmkonsum selbst
Mößl, Kleimann & Rehbein, 2007; Razel, 2001), dass eine              sei, der sich negativ auf die Schulleistungen auswirkt,
differenzierte Betrachtung des Bildschirminhalts zu valide-          sondern andere damit verbundene Faktoren (Munasib &
ren Ergebnissen führt. So hatten lediglich lernhinderliche           Bhattacharya, 2010; Paulichet al., 2021; Rindermann &
Inhalte einen negativen Einfluss auf die Schulleistungen             Ceci, 2018), wie bspw. die familiäre Unterstützung, das
(Anderson, Huston, Schmitt, Linebarger & Wright, 2001;               Verhalten der Lehrperson sowie personenbezogene Merk-
Mößle, Bleckmann, Rehbein & Pfeiffer, 2012). In Studie 2             male wie die Leistungsmotivation (Brunstein & Heck­
wollen wir mögliche Effekte lernhinderlicher und -förderli-          hausen, 2018) und Selbstwirksamkeit (Mößle et al., 2012;
cher Bildschirmnutzung unterscheiden. Zudem sollen wei-              Pfeiffer et al., 2007).
tere Variablen zur Vorhersage kognitiver Kompetenzen her-               In Anlehnung an das empirische Modell von Mößle und
angezogen werden, um den Einfluss des Bildschirmkonsums              Kollegen (2012) ziehen wir zusätzliche Faktoren zur Vor-
in einem größeren Zusammenhang betrachten zu können.                 hersage kognitiver Kompetenzen heran.
                                                                     1. Bedingungen der familiären Umgebung: die Unterstüt-
                                                                        zung der Eltern (Helmke, Schrader & Hosenfeld, 2004;
                                                                        Mößle et al., 2012), Familiärer Wohlstand und Bildungs-
Überblick und Ziele                                                     ressourcen zu Hause (DeBaz, 1994; Rindermann & Ceci,
der zweiten Studie                                                      2018).
                                                                     2. Bedingungen der schulischen Umgebung: Fairness der
In der zweiten Studie wird ein größerer Datensatz aus der               Lehrenden im Unterricht und das Klassenklima (Tiede-
PISA-Studie 2015 reanalysiert. PISA führt objektive Leis-               mann & Billmann-Mahecha, 2004).
tungstests durch anstelle von Selbsteinschätzungen der               3. Personenbezogene Variablen wie Leistungsmotivation
Schulleistungen und garantiert demnach höhere Über­                     (Brunstein & Heckhausen, 2018; Rindermann & Neu-
einstimmungen mit kognitiven Kompetenzen. Da die Auf­                   bauer, 2001), Selbstwirksamkeit (Multon, Brown & Lent,
gaben bei den PISA-Erhebungen alltagsnahen Denkauf­                     1991) und Wohlbefinden an der Schule (Chu, Saucier &
gaben sehr ähnlich sind, sollen die Ergebnisse aus den                  Hafner, 2010).
Lese-, Mathematik- und Naturwissenschaftstests zusam-
mengefasst und als kognitive Kompetenz bezeichnet wer-                Wir gehen hierbei von der folgenden Hypothese aus:
den (­Rindermann & Baumeister, 2015).                                 (H3) Die lernhinderliche Bildschirmnutzung ist ähnlich
   Die PISA-Studien erheben seit mehreren Jahren die                gut zur Vorhersage kognitiver Kompetenzen geeignet wie
Nutzung digitaler Medien. Es ist nicht auszuschließen,              familiäre, schulische und personenbezogene Bedingun-
dass eine lernförderliche Nutzung positive Wirkungen                gen.
nach sich zieht (Anderson et al., 2001; Hu et al., 2020, Lei,
2010; Wallner-Paschon et al., 2018). Wird nach passivem
(lernhinderlich, wie bspw. Fernsehen) und aktivem (lern-
förderlich, wie bspw. aktives Lernen am Computer) Bild-             Methode (Studie 2)
schirmkonsum unterschieden, zeigen sich unterschiedli-
che Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung und auf              Zur Untersuchung der Forschungsfragen wurden die Da-
die Fähigkeiten in den Bereichen Mathematik, Sprache                ten der OECD des „Programme for International Student
und Naturwissenschaften von Kindern (Hu et al., 2020).              Assessment“ (PISA) genutzt. PISA misst Lesen, Mathema-
Entlang der vergangenen Studienergebnisse gehen wir                 tik und Naturwissenschaften. Weiterhin werden Informa-
von einem Unterschied zwischen lernhinderlicher und                 tionen über Herkunft, das Umfeld der Schülerinnen und
lernförderlicher Bildschirmnutzung aus und formulieren              Schüler, Einstellungen, Lern- und Freizeitaktivitäten so-
die Hypothesen wie folgt:                                           wie Erfahrungen in Schule und Unterricht erhoben. 2015

Lernen und Lernstörungen (2022), 1 – 13                                   © 2022 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article
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A. Lovis-Schmidt et al, Bildschirmkonsum und Kompetenzen7

fand die Datenerhebung erstmals vollständig am Compu-                         trautheit-Fragebogen“, IKT = Informations- und Kommu-
ter statt. In die Auswertung der vorliegenden Untersu-                        nikationstechnologie). Es wurden Items zu lernförderlichen
chung werden ausschließlich die Daten der Deutschen                           oder lernhinderlichen Verhaltensweisen am Bildschirm
Stichprobe einbezogen. In Deutschland nahmen insge-                           inhaltlich zugeordnet. Ein Verhalten am Bildschirm gilt
samt N = 6504 Fünfzehnjährige in allen Formen allge-                          nach unserer Definition dann als lernhinderlich, wenn Bild-
meinbildender Schulen (Gymnasium, Realschule, integ-                          schirme ausschließlich zu unterhaltenden Zwecken ge-
rierte Gesamtschule, Berufsschule und Haupt­schule) der                       nutzt und Lernprozesse vernachlässigt werden. Lernför-
Sekundarstufe I sowie an beruflichen und Förderschulen                        derlich ist der Konsum dann, wenn Bildschirme zur
(insgesamt 253 Schulen) teil. Die Bearbeitung der Leis-                       Erklärung von Inhalten genutzt werden und offensichtlich
tungstestaufgaben geht über zweimal 60 Minuten. Nach                          das eigene Denken angeregt wird.
einer viertelstündigen Pause folgte der Schülerfragebo-                          Zur Erfassung des lernhinderlichen Bildschirmkonsums
gen, dessen Ausfüllen durchschnittlich eine halbe Stunde                      wurden 10 Items aus der Variablen „entuse“ (Bildschirm-
beansprucht. Neben den Aufgaben und Fragebögen an die                         konsum außerhalb der Schule für Freizeitaktivitäten) zu
Schüler*innen wurde ein Fragebogen an deren Eltern aus-                       einem Mittelwert zusammengefasst. Diese Variable bein-
geteilt. In diesem Fragebogen werden Aspekte zur ­Familie                     haltet, in wie weit die Jugendlichen Bildschirme nutzen,
erfasst, zur Schule des Kindes sowie zu Ansichten über                        um nach der Schule Spiele zu spielen, zu chatten, E-Mails
naturwissenschaftliche Fragestellungen (siehe Skalen-                         zu beantworten, Musik oder Filme herunterzuladen, In-
handbuch: Mang, Ustjanzew, Leßke, Schiepe-Tiska &                             halte mit Freunden zu teilen, lustige Videos im Internet
Reiss, 2019).                                                                 anzuschauen oder neue Apps auszuprobieren.
                                                                                 Das lernförderliche Verhalten wurde mithilfe von zwei
                                                                              Items zusammengefasst. Diese beinhalten, wie oft Bild-
Messung des lernförderlichen und                                              schirme dafür genutzt werden, Nachrichten zu lesen oder
lernhinderlichen Bildschirmkonsums                                            sich Informationen anzueignen, bspw. mit Lehrvideos. Die
                                                                              Personen wurden gefragt, wie häufig sie von 1 (= nie oder
In den PISA-Untersuchungen werden Variablen zum Bild-                         fast nie) bis 5 (= jeden Tag) den Bildschirm für den jeweili-
schirmkonsum außerhalb der Schule erhoben („IKT-Ver-                          gen Zweck nutzen.

Tabelle 1. Auswahl und Erhebung von weiteren Prädiktor-Variablen (PISA 2015)

                                           Beispielitem                                               Antwortkategorien

 Leistungsmotivation (5 Items)             Ich möchte in allem, was ich tue, der / die Beste sein.    1 (= stimme überhaupt nicht zu) bis 4
                                                                                                      (= ­stimme völlig zu)

 Selbstwirksamkeit (8 Items)               Lösung der Aufgabe: Die Rolle der Antibiotika              1 (= das wäre einfach für mich) bis 4
                                           bei der Behandlung von Krankheiten beschreiben.            (= d
                                                                                                         ­ as könnte ich nicht)

 Zugehörigkeitsgefühl zur Schule           Ich fühle mich unbehaglich und fehl am Platz               1 (= stimme völlig zu) bis 4
 (6 Items)                                 in ­dieser Schule.                                         (= ­stimme ­überhaupt nicht zu)

 Klassenklima (5 Items)                    Im Klassenzimmer ist es oft laut, und es geht drunter      1 (= in allen Stunden) bis 4 (= nie oder fast nie)
                                           und drüber.

 Fairness durch Lehrende (6 Items)         Die Lehrkräfte haben sich vor anderen                      1 (= nie oder fast nie) bis 4 (= einmal
                                           über mich lustig gemacht.                                  pro W
                                                                                                          ­ oche oder öfter)

 Bildungsressourcen zu Hause               Bei mir Zuhause gibt es einen Schreibtisch                 Dichotom (ja / nein)
 (7 Items)                                 zum ­Lernen.

 Familiärer Wohlstand (13 Items)           Bei mir Zuhause habe ich ein Zimmer für mich a
                                                                                        ­ llein.      Dichotom (ja / nein)

 Elterliche emotionale Unterstützung       Meine Eltern ermutigen mich, auf mich selbst               1 (= stimme überhaupt nicht zu) bis 4
 (4 Items)                                 zu vertrauen.                                              (= ­stimme völlig zu)

 Elterliche Unterstützung zu Hause         Ihrem Kind mit den Hausaufgaben in den                     1 (= nie oder fast nie) bis 5 (= jeden Tag
 zu lernen (E) (8 Items)                   ­naturwissenschaftlichen Fächern helfen.                   oder fast jeden Tag)

 Bildungsaktivitäten Kindesalter (E)       Bücher über naturwissenschaftliche                         1 (= sehr oft) bis 4 (= nie)
 (10 Items)                                ­Entdeckungen gelesen

Anmerkungen: Sichtung der Skalen und Übersicht aller Items in Mang et al., 2019. Mit (E) gekennzeichnete Variablen (die beiden letzten) stammen aus dem
Elternfragebogen (Mang et al., 2019). Die hier abgebildete interne Reliabilität stellt die Angabe in den dahinterstehenden Arbeiten dar.

© 2022 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article                                               Lernen und Lernstörungen (2022), 1 – 13
under the license CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)
8                                                                                  A. Lovis-Schmidt et al, Bildschirmkonsum und Kompetenzen

Messung der kognitiven Kompetenzen                                              Ergebnisse (Studie 2)
Den Jugendlichen wurden Aufgaben aus den Bereichen                              Aus Tabelle 2 kann entnommen werden, dass die interne
Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften gestellt, um                          Reliabilität bei allen Prädiktoren ausreichend bis gut ist.
die kognitiven Kompetenzen möglichst objektiv zu erfas-                         Am höchsten korrelieren die beiden Arten des Bildschirm-
sen. Aus den Testergebnissen in den drei Bereichen wurde                        konsums miteinander (r = .52). Die zugänglichen Bildungs-
ein Faktor gebildet. Die Werte reichen von 100 bis 1000,                        ressourcen korrelieren positiv mit dem familiären Wohl-
wobei höhere Werte höhere kognitive Kompetenzen reprä-                          stand (r = .25) und der emotionalen Unterstützung durch
sentieren.                                                                      die Eltern (r = .24).

Messung von weiteren relevanten Variablen                                       Prüfung der Hypothesen

Neben den bereits genannten Variablen, wurden solche                            Die Hypothesen aus Studie 2 wurden mithilfe einer multi-
Variablen fokussiert, die einen möglichen Einfluss auf ko-                      plen Regression geprüft (Tabelle 3). Der lernhinderliche
gnitive Kompetenzen haben. Die ausgewählten Variablen                           Bildschirmkonsum sagt die kognitive Kompetenz am
stammen aus dem Schüler- oder aus dem Elternfrage­                              ­ehesten (negativ) vorher (β = –.22), dicht gefolgt von der
bogen. Folgende Variablen stellt PISA bereit und wurden                          ­Selbstwirksamkeit (positiv, β = .21). Der lernförderliche
ausgesucht (siehe Tabelle 1): Leistungsmotivation, Selbst-                        Bildschirmkonsum sagt eine leicht erhöhte kognitive Kom-
wirksamkeit, Zugehörigkeitsgefühl zur Schule, Klassenkli-                         petenz vorher. Weitere Prädiktoren, die sich in vergange-
ma, die durch die Jugendlichen wahrgenommene Fairness                             nen Arbeiten bewährt haben, scheinen nicht sonderlich
der Lehrenden, Bildungsressourcen zu Hause, Familiärer                            ins Gewicht zu fallen, wie die Disziplin im Klassenzimmer
Wohlstand, elterliche emotionale Unterstützung, Unter-                            (β = .14) oder Bildungsressourcen, die zu Hause zur Verfü-
stützung der Eltern zu Hause für das Lernen (Elternsicht),                        gung stehen (β = .12). Elterliche emotionale Unterstützung
Bildungsaktivitäten des Kindes im Alter von 10 Jahren (El-                        (β = –.10) und die elterliche Unterstützung zu Hause zu
ternsicht).                                                                       lernen (β = –.15) sagen schlechtere kognitive Kompetenzen
                                                                                  der Jugendlichen vorher. Durch das Modell können 21.2 %
                                                                                  der kognitiven Kompetenz aufgeklärt werden.

Tabelle 2. Korrelationen und Reliabilität der Prädiktor-Variablen

                                                  1        2        3       4        5        6       7        8        9       10       11       12

     1   Lernförderlicher BSK                    .71      .52       .11    .16     –.03     –.16      .07      .01     .09      .05      .07      .18

     2   Lernhinderlicher BSK                    .00      .80       .01    .00       .03    –.03      .19      .15     .12     –.07      .02      .15

     3   Leistungsmotivation                     .00      .00       .80    .19       .12     .02    –.02       .13     .05      .15      .04      .06

     4   Selbstwirksamkeit                       .00      .27       .00    .88       .09     .06    –.04       .16     .08      .07      .12      .27

     5   Zugehörigkeitsgefühl zur Schule         .00      .00       .00    .00       .85     .15     –.13      .08     .07      .19     –.01      .01

     6   Klassenklima                            .00      .00       .00    .00       .00     .88     –.24      .10     .00      .14      .03      .02

     7   Fairness durch Lehrende                 .00      .00       .00     .00      .00     .00      .77      .07    –.04      .15      .02    –.03

     8   Bildungsressourcen zu Hause             .00      .00       .00     .00      .00     .00      .00      .52     .25      .24      .08      .10

     9   Familiärer Wohlstand                    .00      .00       .00     .00      .00     .00      .00      .00     .61      .11     –.02      .08

 10      Elterliche Unterstützung 1              .00      .00       .00     .00      .00     .00      .00      .00     .00      .82      .14      .04

 11      Elterliche Unterstützung 2 (E)          .00      .00       .00     .00      .21     .00      .00      .00     .00      .00      .75      .32

 12      Bildungsaktivitäten Kind (E)            .00      .00       .00     .00      .00     .00      .00      .00     .00      .00      .00      .74

Anmerkungen: N = 6504; Pearson-Korrelation (r); Angabe von r oberhalb der Diagonalen, Angabe von der Signifikanzschwelle p unterhalb der Diagonalen;
entlang der Diagonalen ist Cronbachs alpha abgebildet. Mit (E) gekennzeichnete Variablen stammen aus dem Elternfragebogen (Mang et al., 2019),
BSK = Bildschirm-konsum, Elterliche Unterstützung 1 = Elterliche emotionale Unterstützung, Elterliche Unterstützung 2 = Aktuelle Unterstützung, zu Hause
zu lernen.

Lernen und Lernstörungen (2022), 1 – 13                                             © 2022 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article
                                                                         under the license CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)
A. Lovis-Schmidt et al, Bildschirmkonsum und Kompetenzen9

Diskussion (Studie 2)                                                         Limitationen (Studie 2)

Mit steigender lernhinderlicher Bildschirmnutzung sinken                      Aufgrund des in PISA verwendeten Querschnitt-Designs
kognitive Kompetenzen (H1; β = –.22). Um jede Einheit, mit                    können wir nicht eindeutig sagen, in welche Richtung die
welcher der lernhinderliche Bildschirmkonsum steigt (von 1                    gewonnenen Regressionskoeffizienten zu interpretieren
bis 5), verringert sich die kognitive Kompetenz (M = 500,                     sind. Bei der Unterstützung durch die Eltern waren erste
SD = 100) um etwa 21 Punkte. Die zweite Hypothese, wo-                        Anzeichen für die Problematik zu erkennen: Der negative
nach sich der lernförderliche Bildschirmkonsum positiv auf                    Zusammenhang ist vermutlich nicht auf beeinträchtigen-
die kognitiven Kompetenzen auswirkt, lässt sich durch den                     de Effekte von Unterstützung, sondern auf schwache Leis-
sehr kleinen Effekt (β = .08) nur schwach bestätigen. Lern-                   tung als Auslöser für elterliche Unterstützung der Kinder
förderlicher Bildschirmkonsum wirkt zwar nicht negativ,                       zurückzuführen. Möglicherweise wirkt tatsächlich nicht
unterstützt die Entwicklung kognitiver Kompetenzen aber                       die Bildschirmnutzung negativ auf die kognitive Kompe-
auch nur wenig. Die Ergebnisse lehnen sich tendenziell an                     tenz, sondern Jugendliche mit schlechteren Leistungen
bisherige Forschungsarbeiten an (Hu et al., 2020). Neben                      neigen eher dazu, lernhinderliche Medien zu konsumie-
der Bildschirmnutzung ist die Selbstwirksamkeit zur Vor-                      ren. Wir empfehlen für zukünftige Studien das längs-
hersage der kognitiven Kompetenz geeignet (β = .21). Dar-                     schnittliche Design, oder auch experimentelle Designs,
auf folgen weitaus kleinere Effekte wie bspw. die des Klas-                   um die Bildschirmnutzung als kausalen Faktor zu bestim-
senklimas oder auch der Bildungsressourcen, des Verhaltens                    men (siehe Paulich et al., 2021 und unten).
der Lehrpersonen, der Leistungsmotivation der Jugendli-                          Lohnenswert scheint es, weiterhin zwischen lernförder-
chen oder ihrer Einstellung gegenüber der Schule. Überra-                     licher und lernhinderlicher Bildschirmnutzung zu unter-
schend waren die negativen Effekte der elterlichen emotio-                    scheiden. Mößle und Kollegen (2012) konnten zudem zei-
nalen Unterstützung (β = –.10), die durch die Jugendlichen                    gen, dass sich die Differenzierung der lernhinderlichen
selbst eingeschätzt wurde, sowie die elterliche Unterstüt-                    Nutzung lohnt, indem gesondert die Aneignung von Ge-
zung, zu Hause zu lernen (β = –.15, Elternangabe). Die Er-                    waltinhalten untersucht wird. Gerade dies scheint in man-
gebnisse können inhaltlich so interpretiert werden, als dass                  chen Lebensphasen zu einer kognitiven und emotionalen
sie in die andere Richtung wirken: Jugendliche mit schwä-                     Überforderung der Kinder zu führen. Die Bildschirmnut-
cheren Schulleistungen und geringeren Kompetenzen be-                         zung in der Schule ist in der vorliegenden Studie unberück-
nötigen mehr Unterstützung durch die Eltern.                                  sichtigt geblieben.

Tabelle 3. Ergebnisse der multiplen Regression für Bildschirmkonsum und anderen Prädiktoren auf die kognitive Kompetenz von Jugendlichen
(PISA-Daten, 2015)

 Prädiktoren                                 B               SE (B)               β                  t                 p               KI (95 %)

 Lernförderlicher BSK                       5.55              0.19                .08             29.89
10                                                                      A. Lovis-Schmidt et al, Bildschirmkonsum und Kompetenzen

   Verwunderlich ist die geringe Varianzaufklärung der ko-          Kollegen (2010) zeigten, dass die verringerte Konzentra­
gnitiven Kompetenz durch die Prädiktoren in unserem                 tionsfähigkeit, ausgelöst durch Bildschirmnutzung, zu
Regressionsmodell. Wir vermuten, dass die Hinzuziehung              schlechten Leistungen führt. Auch werden Kinder, die
weiterer relevanter Variablen aufschlussreich sein könnte.          ­besonders viel Fernsehen schauen und dabei häufig das
Lohnenswert zu betrachten wären bspw. die Konzentra­                 ­Programm wechseln („Zapping“), von außen als unauf-
tionsfähigkeit der Lernenden (Zusammenhang zwischen                   merksam beurteilt (Schittenhelm et al., 2010). Professor
Konzentration und Leistung r = .29, Datta & Narayanan,                Manfred Spitzer warnt schon seit Jahren vor den Auswir-
1989) oder die bildungsrelevanten Interessen der Eltern               kungen, die Bildschirme auf die Entwicklung kognitiver
(Rindermann & Ceci, 2018).                                            Kompetenzen haben und gibt Ratschläge für Eltern und
   Erneut stellt sich die Frage, wie weit die Personen selbst         Schulen im Umgang mit digitalen Medien (vgl. Spitzer,
ihr Bildschirmverhalten einschätzen können. Gerade bei                2012, 2018a). Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit
der lernhinderlichen Nutzung scheint die Zeit zu verflie-             (Studie 2) lassen sich mit der Theorie in Einklang bringen,
gen (vgl. Spitzer, 2018a). Vielleicht können Eltern und               dass der Bildschirmkonsum selbst dann einen direkten
Lehrende präzisere Aussagen über den Bildschirmkonsum                 Einfluss auf die kognitiven Kompetenzen hat, selbst dann,
der Jugendlichen treffen als diese selbst (Wartberg et al.,           wenn andere Variablen mit hinzugezogen werden. Auch
2019). Zudem scheint das Antwortformat nach PISA we-                  konnte in der ersten Studie ein mittelhoher Zusammen-
nig differenziert zu sein: „täglich“ ist die höchste Antwort-         hang zwischen Bildschirmkonsum im Alter von 5 Jahren
kategorie. Aktuellen Statistiken zufolge werden digitale              und sprachbezogenen Schulleistungen festgestellt wer-
Geräte in 95 % der Fälle täglich benutzt und dies mehrere             den. Der derzeitige Bildschirmkonsum wirkt hingegen auf
Stunden (bspw. Eales et al., 2021). Zukünftige Studien                Mathematik und Deutsch, vermutlich die Fächer, welche
sollten genauere Aussagen darüber treffen, wie viel Zeit              die höchsten kognitiven Fähigkeiten beanspruchen. Die
täglich zu den schädlichen Auswirkungen führt.                        Leistung im Fach Sport wird kaum eingeschränkt. Unsere
   In anderen Studien finden sich recht hohe Zusammen-                Ergebnisse lehnen sich somit an die Ergebnisse vergange-
hänge mit anderen Kriterien als mit jenen der Schul­                  ner Forschungs­arbeiten aus anderen Länder zu den Aus-
leistungen. Sehr stark korrelieren Dauer der Bildschirm­              wirkungen von kindlichen Bildschirmkonsum an (bspw.
nutzung und gesundheitsrelevante Variablen miteinander,               Cerniglia et al., 2020; Mundy et al., 2020).
wie Rauchen, Übergewicht und Alkoholismus (Nunez-
Smith et al., 2010). Auch dies sollte in zukünftigen Studien
mit Jugendlichen weiter untersucht werden.                          Relevanz für die Praxis

                                                                    Bildschirme sind in der heutigen Zeit nicht mehr wegzu-
                                                                    denken: Nahezu jeder besitzt ein eigenes Smartphone, ei-
Gemeinsame Diskussion                                               nen Laptop oder ein Tablet und auch der Fernseher wird
                                                                    in vielen Haushalten noch täglich angeschaltet. Immer
Die vorliegende Arbeit kann negative Zusammenhänge                  mehr Schulen rüsten sich mit Whiteboards und neuwerti-
zwischen Bildschirmnutzung und kognitiven Kompeten-                 gen Computern auf. Die Ergebnisse der vorliegenden Stu-
zen von Kindern und Jugendlichen aus vergangenen Studi-             die deuten darauf hin, dass die Zusammenhänge mit dem
en auch für den deutschsprachigen Raum bestätigen.                  Bildschirmkonsum noch höher sind als bei anderen wün-
   Ob nun der Bildschirmkonsum selbst tatsächlich ein               schenswerten Faktoren, wie die Leistungsmotivation oder
kausaler Faktor für eine beeinträchtigte Entwicklung kog-           die Selbstwirksamkeit. Es folgt jedoch auch, dass die Nut-
nitiver Kompetenzen ist (Paulich et al., 2021), geht aus den        zung von Bildschirmen gezielt erfolgen sollte, sodass die
vorliegenden Daten nicht direkt hervor. Wir verweisen               Bildschirme für lernförderliche Zwecke gebraucht werden
hier auf einige Experimente, welche die Ergebnisse bestä-           können. Eine Metaanalyse zeigte, dass Computer in der
tigen. So zeigte sich, dass Video-Spiele das Konzentra­             Schule für die Verteilung von Rückmeldungen sehr gut
tionsvermögen verringern und Personen leichter abge-                verwendet werden können (d = 0.80, Azevedo & Bernard,
lenkt sind, wenn sie am Bildschirm sitzen (vgl. Spitzer,            1995). Zuhause sollte der Umgang mit Bildschirmen von
2012). Weitere Experimente verdeutlichen, dass Personen             Eltern und größeren Geschwistern reflektiert werden. Ge-
über das Medium Bildschirm weniger gut lernen können                rade die Eltern nutzen Bildschirme im Durchschnitt über
als über das Medium Papier (Ackerman & Goldsmith,                   neun Stunden täglich (Spitzer, 2018b). Die Nutzung im
2011; Kruikemeier, Lecheler & Boyer, 2017). Auch theore-            außerschulischen Kontext lässt kaum bis keine positiven
tisch können wir die Annahme untermauern, dass die                  Konsequenzen vermuten. Spitzer (2018b) stellte fest: Kin-
Bildschirmnutzung in erster Linie auf kognitive Kompe-              der übernehmen das Bildschirm-Verhalten ihrer Eltern
tenzen wirkt – und nicht andersrum. Schittenhelm und                und sind nicht dazu imstande, die Bildschirmmedien nach

Lernen und Lernstörungen (2022), 1 – 13                                   © 2022 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article
                                                               under the license CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)
A. Lovis-Schmidt et al, Bildschirmkonsum und Kompetenzen11

Inhalt zu selektieren. Zudem stellt sich auch die Frage,                    Anderson, D. R., Huston, A. C., Schmitt, K. L., Linebarger, D. L. &
wie weit die Kinder des digitalen Zeitalters noch etwas                       Wright, J. C. (2001). Early childhood television viewing and ado-
                                                                              lescent behavior. Monographs of the Society for Research in
Anderes mit sich anzufangen wissen als sich mit Bild-                         Child Development, 66 (1), 1 – 147. https://doi.org/10.1111/1540-
schirminhalten zu beschäftigen, wenn sie damit nicht nur                      5834.00120
in der Schule, sondern auch zu Hause konfrontiert wer-                      Azevedo, R. & Bernard, R. M. (1995). A meta-analysis of the effects
den. Gerade im Vorschulalter hat die Bildschirmnutzung                        of feedback in computer-based instruction. Journal of Educa-
                                                                              tional Computing Research, 13 (2), 111 – 127. https://doi.org/10.
auch für spätere Kompetenzen Einfluss und sollte beson-                       2190/9LMD-3U28-3A0G-FTQT
ders kritisch betrachtet werden. Angebote für Kinder und                    Brunstein, J. C. & Heckhausen, H. (2018). Leistungsmotivation. In J.
Jugendliche sind von Nöten, um ihnen eine entsprechen-                        Heckhausen & H. Heckhausen (Hrsg.), Motivation und Handeln
de Orientierungsmöglichkeit zu liefern, wie bspw. Sport­                      (S. 163 – 214). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-
                                                                              662-53927-9_6
angebote, Entspannungsübungen, Bücherclubs, spieler­                        Cerniglia, L., Cimino, S. & Ammaniti, M. (2020). What are the effects
ische Programme zur Förderung von praktischen und                             of screen time on emotion regulation and academic achieve-
kognitiven sowie sozialen und emotionalen Kompetenzen                         ments? A three-wave longitudinal study on children from 4 to 8
(Durlak, Weissberg, Dymnicki, Taylor & Schellinger,                           years of age. Journal of Early Childhood Research, 19(2),
                                                                              145 – 160. https://doi.org/10.1177/1476718x20969846
2011). Etwas ältere Programme im Rahmen der Outdoor-                        Christakis, D. A. (2009). The effects of infant media usage: what do
pädagogik erzielen stabile Lernerfolge (d = 0.49, Laidlaw,                    we know and what should we learn? Acta Paediatrica, 98(1),
2000). Kommende Interventionen sollten nicht nur auf                          8 – 16. https://doi.org/10.1111/j.1651-2227.2008.01027.x
Seiten des Kindes ansetzen, um deren Lernleistung zu                        Chu, P. S., Saucier, D. A. & Hafner, E. (2010). Meta-analysis of the
                                                                              relationships between social support and well-being in children
steigern, sondern auch auf Seiten ihrer Eltern. Es zeigte                     and adolescents. Journal of Social and Clinical Psychology, 29
sich, dass Elternunterstützung mittlere bis hohe Effekte                      (6), 624 – 645. https://doi.org/10.1521/jscp.2010.29.6.624
auf die Lern­leistung ihrer Kinder hat (d = 0.52, Fan &                     Colley, R. C., Garriguet, D., Adamo, K. B., Carson, V., Janssen, I., Tim-
Chen, 2001 oder d = 0.70, Earhart, Ramirez, Carlson &                         mons, B. W. et al. (2013). Physical activity and sedentary behavi-
                                                                              or during the early years in Canada. International Journal of
Beretvas 2006).                                                               Behavioral Nutrition and Physical Activity, 10, 1 – 9. https://doi.
                                                                              org/10.1186/1479-5868-10-54
                                                                            Datta, D. K. & Narayanan, V. K. (1989). A meta-analytic review of the
Empfehlungen für kommende Studien                                             concentration-performance relationship. Journal of Manage-
                                                                              ment, 15 (3), 469 – 483. https://doi.org/10.1177/01492063890
                                                                              1500309
Längsschnittstudien können im Vergleich zu Querschnitt-                     DeBaz, T. P. (1994). A meta-analysis of the relationship between stu-
studien aussagekräftigere Ergebnisse über die Wirkrich-                       dents' characteristics and achievement and attitudes toward
tung liefern. Bei der Analyse kreuzverzögerter Effekte ist                    science. Unpublished Ph.D., Ohio State University, United States.
                                                                            Durlak, J. A., Weissberg, R. P., Dymnicki, A. B., Taylor, R. D. & Schel-
die Wirkrichtung eindeutig interpretierbar und Aussagen                       linger, K. B. (2011). The impact of enhancing students’ social and
über die voraussichtliche Entwicklung können vorgenom-                        emotional learning: A meta-analysis of school-based universal
men werden. Außerdem sollte die Nutzung von Bildschir-                        interventions. Child Development, 82 (1), 405 – 432. https://doi.
men zukünftig differenziert betrachtet werden: Die Un-                        org/10.1111/j.1467-8624.2010.01564.x
                                                                            Eales, L., Gillespie, S., Alstat, R. A., Ferguson, G. M. & Carlson, S. M.
terscheidung zwischen einer lernförderlichen versus                           (2021). Children's screen and problematic media use in the Unit-
lernhinderlichen Bildschirmnutzung ist lohnenswert.                           ed States before and during the COVID-19 pandemic. Child Devel-
Auch sollte der Bildschirmkonsum nicht nur von den Kin-                       opment, 92(5). 866 – 882. https://doi.org/10.1111/cdev.13652
dern und Jugendlichen selbst, sondern auch extern einge-                    Earhart, J. A., Ramirez, L., Carlson, C. & Beretvas, S. N. (2006, August).
                                                                              Meta-analysis of parent-component interventions targeting aca-
schätzt werden und dies unter Angabe der konkreten Zeit                       demic achievement. Paper presented at the American Psychologi-
und der Inhalte. Zudem sollten kognitive Kompetenzen                          cal Association 114th Annual Convention, New Orleans, LA.
nicht nur fächerspezifisch erfasst werden, sondern auch                     Fan, X. & Chen, M. (2001). Parental involvement and students' aca-
möglichst objektiv durch die Durchführung von Kompe-                          demic achievement: A meta-analysis. Journal of Educational
                                                                              Psychology Review, 13, 1 – 22. https://doi.org/1040-726X/01/
tenztests.                                                                    0300-0001$19.50/0
                                                                            Helmke, A., Schrader, F.-W. & Hosenfeld, I. (2004). Elterliche Unter-
                                                                              stützung und Schulleistungen ihrer Kinder. Bildung und Erzie-
                                                                              hung, 57 (3), 251 – 277.
Literatur                                                                   Horowitz-Kraus, T. & Hutton, J. S. (2017). Brain connectivity in
                                                                              children is increased by the time they spend reading books and
                                                                              decreased by the length of exposure to screen-based media.
Ackerman, R. & Goldsmith, M. (2011). Metacognitive regulation of              Acta Paediatrica, 107(4), 685 – 693. https://doi.org/10.1111/
  text learning: On screen versus on paper. Journal of Experimen-             apa.14176
  tal Psychology: Applied, 17 (1), 18 – 32. https://doi.org/10.1037/        Hu, B. Y., Johnson, G. K., Teo, T. & Wu, Z. (2020). Relationship be-
  a0022086                                                                    tween screen time and chinese children's cognitive and social
Anderson, D. R. (1998). Kinderfernsehen und Schulleistung. Televi-            development. Journal of Research in Childhood Education, 34(2),
  zion, 11, 21 – 24.                                                          183 – 207. https://doi.org/10.1080/02568543.2019.1702600

© 2022 The Author(s) Distributed as a Hogrefe OpenMind article                                             Lernen und Lernstörungen (2022), 1 – 13
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