Steuern und Wachstum in Österreich

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Steuern und Wachstum in Österreich

               Konrad          Steuern und Abgaben beeinflussen – je nach Besteuerungsgegenstand, Ausgestaltung und
          Pesendorfer1         Höhe – die Handlungen von Wirtschaftsakteuren und damit die ökonomische Aktivität und
                               das Wachstum einer Volkswirtschaft. In einer aktuellen Untersuchung von 21 Ländern stellt
                               die OECD eine Hierarchie von Steuerkategorien auf, geordnet nach dem Grad der Beeinträch­
                               tigung von Wohlstand und Wirtschaftswachstum. In dieser Studie wird die Fragestellung
                               behandelt, inwiefern diese Hierarchie auch im österreichischen Steuer/Wachstumszusammen­
                               hang Gültigkeit hat. Dazu wird einerseits ein Vergleich der österreichischen Steuerstruktur mit
                               jenen Staaten vorgenommen, die in puncto Wohlstand und Wirtschaftswachstum Spitzen­
                               positionen einnehmen. Andererseits werden die einzelnen Steuerkategorien auf ihre Beeinflus­
                               sung der wesentlichsten Wachstumsfaktoren untersucht. Zentrale Annahme der Untersuchung
                               ist, dass das Aufkommensvolumen konstant gehalten wird und die Reduktion einer Ein­
                               nahmenkategorie durch die Anhebung einer anderen kompensiert werden muss.
                                    Die Analyse ergibt, dass die hohe Belastung des Faktors Arbeit durch das Ausmaß an
                               eingehobenen Sozialversicherungsbeiträgen ein Problem für das Wachstumspotenzial in
                               Österreich darstellt. Die relativen Einnahmen aus vermögensbezogenen Steuern, die entspre­
                               chend der OECD-Untersuchung das Wirtschaftswachstum am geringsten beeinträchtigen,
                               fallen in Österreich niedriger aus als in fast allen anderen OECD-Staaten. Während im öster­
                               reichischen Steuersystem aus der Güterbesteuerung ein ähnliches Aufkommen erzielt wird wie
                               bei den besten Wachstumsperformern, sind dazu aufgrund zahlreicher Ausnahmen und
                               Begünstigungen im österreichischen Umsatzsteuersystem höhere Steuersätze erforderlich.
                                    Die starke Entlastung der Unternehmen durch die Steuerreform 2004/05 hat die Wachs­
                               tumsvoraussetzungen in Österreich verbessert. Der geringe Progressionsgrad der Abgaben­
                               belastung von Arbeitseinkommen begünstigt Produktivität und ökonomische Effizienz vor dem
                               Ziel der Einkommensumverteilung.

                           In den ökonomischen Wachstums­                            werden auf diese Weise mitbestimmt.
                           modellen wird das Output-Niveau                           Steuern und Abgaben auf Arbeitsein­
                           einer Volkswirtschaft und dessen lang­                    kommen stellen einen wichtigen Ent­
                           fristiges Wachstum durch die Faktoren                     scheidungsfaktor für Arbeitsnachfrage
                           Kapital, Bildungsniveau (Humankapi­                       und -angebot sowie für den Anreiz
                           tal) und Arbeit sowie den Stand der                       eines Individuums, in Ausbildung zu
                           Technologie bestimmt. Der Zusam­                          investieren und damit Humankapital
                           menhang zwischen Steuern und Wirt­                        aufzubauen, dar.
                           schaftswachstum kann daher entlang                            Dass es nicht in erster Linie die
                           all jener Kanäle dargestellt werden, in                   Höhe der gesamten Steuern- und Abga­
                           denen Steuern und Abgaben diese In­                       benquote ist, die das Wachstumspoten­
                           putfaktoren beeinträchtigen: Steuern                      zial von einzelnen Volkswirtschaften
                           auf Kapital beeinflussen die Entschei­                    bestimmt, sondern vielmehr die Steuer­
                           dungen von Individuen zu sparen, von                      struktur, das heißt die Art und Weise,
                           Firmen zu investieren und Innovati­                       wie einzelne Steuerinstrumente und
                           onen voranzutreiben. Der Aufbau des                       -kategorien ausgestaltet sind und mit­
      Wissenschaftliche    produktiven Kapitalstocks und des                         einander kombiniert werden, zeigt eine
         Begutachtung:
                 Margit
                           Technologieniveaus von Unternehmen                        aktuelle Publikation der OECD zu
       Schratzenstaller,
           Wirtschafts-
     forschungsinstitut,   1
                               konrad.pesendorfer@oenb.at. Der Autor dankt Anton Rainer, Peter Mooslechner und Natacha Valla für wertvolle
                 Wien          Anregungen und Diskussionen.

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Steuern und Wachstum in Österreich

Steuern und Wirtschaftswachstum.2 In        Stärkung des Wachstums gemeinsam:
einer Untersuchung von 21 OECD-             Eine Verbreiterung der Steuerbasis zur
Staaten wird dabei eine Reihung von         Finanzierung niedrigerer Steuern auf
Steuerkategorien vorgenommen, die           Kapital und Einkommen, die Besteue­
dem Wirtschaftswachstum in abstei­          rung von existierendem Vermögen und
gender Form abträglich sind. Wenig          Konsum sowie die Steuerbefreiung von
überraschend erweisen sich vor allem        Investitionen.
jene Steuerkategorien als besonders             Die vorliegende Studie beschäftigt
wachstumshemmend, deren Steuer­             sich vor allem mit der Fragestellung,
basis in unmittelbarem Zusammenhang         inwiefern die Ergebnisse der OECD-
mit Einkommen aus Kapital und Arbeit        Studie auch den Zusammenhang zwi­
steht, während andere Steuern, wie          schen Steuerstruktur und Wirtschafts­
etwa jene auf Konsum und unbeweg­           wachstum in Österreich widerspiegeln.
liche Faktoren (z. B. Grund und             Dazu wird einerseits ein Vergleich der
Boden), nur einen geringfügig nega­         österreichischen Steuerstruktur mit je­
tiven Effekt auf das Wirtschaftswachs­      ner in Staaten vorgenommen, die das
tum zeigen.                                 höchste bzw. das niedrigste BIP/Kopf-
    Diese Ergebnisse stehen im Ein­         Niveau und -Wachstum aufweisen. An­
klang mit der jüngeren ökonomischen         dererseits werden jene Faktoren inner­
Literatur. Lee und Gordon (2005) zei­       halb der einzelnen Steuerkategorien
gen, dass höhere Unternehmenssteuer­        untersucht, die entsprechend den Er­
sätze in einem signifikant negativen        kenntnissen der theoretischen Steuer­
Verhältnis zum Wirtschaftswachstum          literatur sowie auch der OECD-Studie
stehen. Die Senkung dieser Steuern um       einen Einfluss auf BIP/Kopf-Niveau
10 Prozentpunkte hätte höheres Wachs­       und -Wachstum haben können.
tum um 1 bis 2 Prozentpunkte zur                Da sich der Fokus dieser Studie auf
Folge. Weniger deutlich sei dieser Zu­      den Zusammenhang zwischen Steuern
sammenhang für hohe Einkommensteu­          und Wachstum in Österreich be­
ern. Djankov et al. (2008) untersuchen      schränkt, werden wichtige Fragestel­
die ökonomischen Effekte von effek­         lungen, wie Steuerinzidenz, breitere
tiven Unternehmenssteuersätzen in 84        Zielsetzungen des Steuersystems, wie be-
Ländern und finden dabei negative Kor­      absichtigte Lenkungswirkungen, Fra­
relationen zu Investitionen und Wirt­       gen der Einkommensverteilung oder
schaftswachstum. Feldstein (2008) ver­      auch die Wahl des optimalen Steuer­
weist auf die negativen Auswirkungen        satzes im Sinne der Theorie der opti­
von Einkommensteuern auf das breit          malen Besteuerung, nicht oder nur ne­
definierte Arbeitsangebot: Verände­         benbei behandelt.
rungen in der Erwerbsbeteiligung, in
der Anzahl gearbeiteter Stunden, in der     1 S
                                               teuerstruktur und Wirt-
Wahl des Arbeitsplatzes und der Inten­        schaftswachstum in der OECD
sität des Arbeitseinsatzes etc. Altig       In der OECD-Studie „Tax and Econo­
et al. (2001) berechnen die Wohlfahrts-     mic Growth“ werden durch die Inte­
und Wachstumseffekte von fünf               gration von Steuerindikatoren in eine
Reformvorschlägen für das US-ameri­         Wachstumsgleichung nach dem Solow-
kanische Steuersystem. Diese Reform­        Swan-Modell die Auswirkungen von
vorschläge haben folgende Faktoren zur      einzelnen Steuerkategorien auf das
2
    OECD (2008), Tax and Economic Growth.

Geldpolitik & Wirtschaft Q3/08                                                                           23
Steuern und Wachstum in Österreich

                        BIP/Kopf-Niveau und dessen kurz- und                       – Konsumsteuern und
                        langfristige Wachstumsraten geschätzt.3                    – persönlichen Einkommensteuern;
                        Die empirischen Ergebnisse dieser Un­                      – Unternehmenssteuern sind laut die­
                        tersuchung von 21 OECD-Staaten, de­                            ser Reihung jene Steuern, die der
                        ren Datenreihen für den Untersu­                               langfristigen Entwicklung des BIP/
                        chungszeitraum von 1971 bis 2004                               Kopf-Niveaus und -Wachstums am
                        verfügbar waren,4 lassen folgende Hier­                        abträglichsten sind.
                        archie von Steuern zu, gereiht nach                        Kasten 1 gibt einen detaillierten Über­
                        deren Beeinträchtigungsgrad von BIP/                       blick über die in der OECD-Studie
                        Kopf-Niveau und -Wachstum:                                 „Tax and Economic Growth“ skizzierten
                        – Vermögensbezogene Steuern haben                          Zusammenhänge zwischen BIP/Kopf-
                            den geringsten negativen Einfluss                      Niveau und -Wachstum und den einzel­
                            auf die langfristige BIP/Kopf-Ent­                     nen Steuerkategorien.
                            wicklung, gefolgt von
                                                                                                                        Kasten 1

                            OECD-Studie Tax and Economic Growth
                            Vermögensbezogene Steuern
                            Die Kategorie der vermögensbezogenen Steuern, die in der OECD-Studie als am wenigsten
                            wachstumshemmend bezeichnet wird, umfasst laufende Steuern auf Grund, Boden und Immo­
                            bilien, Finanz- und Kapitaltransaktionsteuern, Vermögensteuern und Schenkungs- und Erb­
                            schaftssteuern. Diese Steuern – mit Ausnahme der Finanz- und Kapitaltransaktionsteuer –
                            haben keinen unmittelbaren Einfluss auf Entscheidungen bezüglich Arbeitsangebot, Investiti­
                            onen oder den Aufbau von Humankapital und setzen in der Besteuerung bei relativ
                            Vermögenden an, was eine Reduktion der Ungleichheit zur Folge hat.
                                 Laufende Steuern auf Grund, Boden und Immobilien sind nicht nur nicht verzerrend im
                            Sinne ökonomischer Effizienz, sie weisen auch andere Vorteile, wie eine relativ stabile Besteu­
                            erungsbasis (und daher kalkulierbare Steuereinnahmen) und geringe Steuerhinterziehungs­
                            möglichkeit, auf. Durch den Einbau von Freibeträgen und einer regelmäßigen Aktualisierung
                            der Bewertung von Grund, Boden und Immobilien können diese Steuern auch zur allgemeinen
                            Steuerprogression beitragen. Anreize, nicht verwendetes Land einer Nutzung zuzuführen,
                            wären aufgrund der höheren Opportunitätskosten gegeben und würden zur besseren Ressour­
                            cenallokation beitragen. Die OECD wendet sich gegen die steuerliche Sonderbehandlung von
                            Eigenheimen, da dies zu Verzerrungen in der Kapitalallokation und zu übermäßig starken
                            Investitionen im Wohnbaubereich führen würde. Weiters würde dadurch die Mobilität von
                            Arbeitskräften eingeschränkt, da sie einen Anreiz hätten, Wohnstätten länger zu behalten.
                            Immobilien sollten wie andere Vermögenswerte behandelt und nicht steuerlich besser gestellt
                            werden: Die Steuerbasis sollte eine fiktive Miete sein, gekoppelt mit der Abzugsfähigkeit von
                            Zinszahlungen. Ein Nachteil ist die Tatsache, dass Steuern auf Grund, Boden und Immobilien
                            derzeit in den meisten OECD-Staaten auf Kommunalebene eingehoben werden, was eine ein­
                            heitliche Implementierung auf Bundesebene erschwere.
                                 Eine Steuer auf Finanztransaktionen oder Transaktionen von Vermögenswerten ist laut
                            OECD immer verzerrender als eine direkte Besteuerung der aus den Vermögenswerten resul­
                            tierenden Einkommen oder Dienstleistungen. Transaktionsteuern geben negative Anreize,
                            Transaktionen durchzuführen, was zu Hortverhalten und ineffizienten Allokationen führen
                            kann. Dennoch finden Transaktionsteuern auf Finanzmärkten häufig Anwendung, da sie leich­
                            ter zu administrieren sind als Steuern auf laufende Wertzuwächse.

                        3
                            Details zu Modell und ökonometrischen Ergebnissen siehe Anhang.
                        4
                            Eine Ausnahme stellt Westdeutschland dar, dessen Datenreihe nur bis 1990 reicht.

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Steuern und Wachstum in Österreich

 Vermögensteuern, die mit einem entsprechenden Freibetrag versehen sind (um etwa Pensions­
 sparen zu fördern), können zu erwünschten Einkommensumverteilungen führen und geben
 Steuerbehörden Informationen, die eine Korrektur von Inkonsistenzen zwischen Einkommens­
 besteuerung und Vermögenssituation ermöglichen.
     Erbschafts- und Schenkungssteuer sind – entsprechend den Ergebnissen der OECD-
 Studie – noch weniger verzerrend als Vermögensteuern, da der Zeitpunkt des Anfalls eines
 Erbes nicht planbar ist und bestimmte Vermögensentscheidungen nicht aus steuerlichen Grün­
 den getroffen werden. Mit Freibeträgen kann man kleine Erbschaften ausnehmen und den
 Personenkreis auf größere Erbschaften reduzieren. Um Steuervermeidungsstrategien entge­
 genzuwirken, sollte eine Erbschaftssteuer mit einer Schenkungssteuer kombiniert werden.

 Konsumsteuern
 Unter Konsumsteuern werden in erster Linie Umsatz- und Mehrwertsteuern zusammenge­
 fasst, die sich auf den Konsum einer breiten Palette von Gütern und Dienstleistungen bezie­
 hen. Spezifische Konsumsteuern sind etwa Verbrauchsteuern oder Importzölle und beziehen
 sich auf den Konsum ganz bestimmter Güter.
      Die Wirkung von Konsumsteuern auf das Sparverhalten ist weitgehend neutral, da gegen­
 wärtiger und künftiger Konsum gleich behandelt werden. Weiters ist die Höhe und Bedeut­
 samkeit der Steuerelastizität des Sparens in der Literatur umstritten. Die Wirkung auf Arbeits­
 angebot und -nachfrage ist vergleichbar mit der Wirkung einer proportionalen Einkommen­
 steuer: Konsumsteuern senken die Kaufkraft von Individuen nach Steuern. Wenn es
 Lohnverhandlungsmechanismen zulassen, dass dieser Einkommensverlust durch höhere Löhne
 ausgeglichen wird, so ist (aufgrund gestiegener Lohnkosten) mit einer Reduktion der Nach­
 frage nach Arbeitskräften zu rechnen. Wird die Steuerlast auf die Individuen übertragen, so
 kann die verlorene Kaufkraft durch ein erhöhtes Arbeitsangebot kompensiert werden.
      Differenzierte Mehrwertsteuersätze werden in der Praxis aus zwei Gründen angewandt:
 Einerseits, um Arbeit (vor allem arbeitsintensive Dienstleistungen) durch steuerliche Begünsti­
 gung zu fördern (bzw. Freizeitaktivitäten unattraktiver zu machen), andererseits aus sozialen
 Umverteilungsüberlegungen. Corlett und Hague (1953) sowie Christiansen (1984) empfehlen,
 Güter und Dienstleistungen, die komplementär zu Freizeitaktivitäten sind (z. B. Schi, Golf­
 club), verstärkt zu besteuern, während jene Güter steuerlich begünstigt werden sollten, die
 komplementär zu Arbeit sind (z. B. öffentliches Transportwesen, Kinderbetreuungsein­
 richtungen). Angesichts der Mitnahmeeffekte höherer Einkommensgruppen ist die soziale
 Treff­sicherheit von differenzierten Mehrwertsteuersätzen jener von direkten Einkom­
 menstransfers unterlegen.

 Einkommensteuern und Sozialversicherungsbeiträge
 Einkommensteuern und Sozialversicherungsbeiträge können, da sie direkt am Faktor Arbeit
 ansetzen, einen negativen Effekt auf das Arbeitsangebot, aber auch auf die Arbeitsnachfrage,
 und damit auf das Niveau und das Wachstum des BIP/Kopf haben. Hohe Durchschnittssteuer­
 sätze wirken sich negativ auf die Erwerbsbeteiligung aus, hohe Grenzsteuersätze reduzieren
 die Anzahl gearbeiteter Stunden. Während die Steuerelastizität des Arbeitsangebots bei Män­
 nern im erwerbsfähigen Alter relativ gering ist, stellen hohe Einkommensteuern vor allem für
 Frauen/Zweitverdiener eine Eintrittsbarriere in den Arbeitsmarkt dar. Sozialversicherungsbei­
 träge tragen zu einer Verteuerung des Faktors Arbeit bei und können dadurch die Nachfrage
 nach Arbeit verringern. Andererseits kann es zu Umschichtungen zu anderen, kostengünstige­
 ren Inputfaktoren kommen und damit zu einer ineffizienten Ressourcenallokation.
     In stark progressiven Einkommensteuersystemen sieht die OECD einen negativen Anreiz
 zum Aufbau von Humankapital sowie zu unternehmerischem Handeln, was einen negativen
 Einfluss auf das BIP/Kopf haben kann. Hohe Grenzsteuersätze reduzieren die Risikobereit­
 schaft von Individuen, was vor allem in Branchen mit einer hohen Eintrittsrate neuer Firmen zu
 einer Senkung von Produktivität führen kann. Gleichzeitig tragen progressive Steuersysteme

Geldpolitik & Wirtschaft Q3/08                                                                                       25
Steuern und Wachstum in Österreich

                         zum Erzielen beabsichtigter Umverteilungseffekte bei – es entsteht ein klassischer Zielkon­
                         flikt zwischen Gleichheit und Effizienz (equity/efficiency trade-off).
                              Die Kapitalbesteuerung im Rahmen der Einkommensbesteuerung könnte zu einer Verrin­
                         gerung der Sparquote führen, was aber empirisch nicht nachgewiesen werden kann. Eine Dop­
                         pelbesteuerung von Gewinnen auf Unternehmensebene und Dividenden auf Individualebene
                         (ohne Verringerung des Steuersatzes) bildet einen Anreiz zur Schuldenfinanzierung von Unter­
                         nehmen (im Gegensatz zur Eigenkapitalfinanzierung).

                         Unternehmenssteuern
                         Die Besteuerung von Unternehmensgewinnen beeinflusst die Investitionstätigkeit von Unter­
                         nehmen insofern, als die Rendite auf Investitionen nach Steuern verringert wird. Dadurch
                         können einerseits aus Renditeüberlegungen weniger Investitionsprojekte zur Realisierung
                         geraten, andererseits verringert sich auch das für mögliche künftige Investitionsprojekte zur
                         Verfügung stehende Finanzierungskapital. Die Produktivität von Branchen und Unternehmen
                         wird durch Steuern über unterschiedliche Kanäle beeinträchtigt: Die Veränderung von rela­
                         tiven Faktorpreisen kann zu ineffizienten Faktorallokationen führen. Komplexe Steuersysteme
                         können sowohl auf Unternehmensebene als auch auf Ebene der Steuerbehörde in hohen
                         administrativen Kosten münden und damit produktive Kräfte binden. Hohe Unternehmens­
                         steuern können die Attraktivität eines Standorts als Zielgebiet für Direktinvestitionen vermin­
                         dern, was die Übertragung neuer Technologien auf heimische Firmen und den Wettbewerb
                         reduziert – im Vergleich zur nachteiligen Wirkung hoher Besteuerung von Arbeit ist dieser
                         Faktor jedoch nur in geringem Ausmaß relevant. Steuerliche Anreize für Investitionen in
                         Forschung und Entwicklung sind zwar gegenüber direkten Subventionszahlungen zu bevorzu­
                         gen, erwiesen sich jedoch empirisch als Mittel zur Produktivitätssteigerung nur wenig wirksam.
                         Eine hohe Unternehmensbesteuerung kann bei Absetzbarkeit von Darlehenszinsen zu Anrei­
                         zen der Fremdfinanzierung von Unternehmen führen und eine Finanzierung über die Emission
                         von Aktien benachteiligen.
                              Untersuchungen auf Firmen- und Branchenebene haben ergeben, dass vor allem Firmen,
                         deren Produktivitätsniveau hoch ist, negativ von Unternehmenssteuern betroffen sind. Auf
                         kleine und junge Unternehmen scheinen Unternehmenssteuern weniger nachteilige Auswir­
                         kungen zu haben. Dies ist einerseits auf eine oft günstigere steuerliche Behandlung dieser
                         Unternehmen zurückzuführen, andererseits aber auch auf eine schmälere Steuerbasis auf­
                         grund meist geringerer Gewinne. Firmen, die sich im Produktivitätsvergleich in einem Aufhol­
                         prozess befinden, sind stärker negativ von Unternehmenssteuern betroffen als jene, die Pro­
                         duktivitätsverluste hinnehmen mussten. Die internationale Steuerkonkurrenz wird für viele
                         Regierungen zunehmend zu einem bestimmenden Faktor in der Gestaltung der Unterneh­
                         mensbesteuerung.
                              Trotz der genannten negativen Effekte auf die Kapitalakkumulation erachtet die OECD
                         die Besteuerung von Unternehmensgewinnen als einen wesentlichen Bestandteil eines Steuer­
                         systems, da nur so die Deklaration individueller Einkommen als vermeintliche (steuerbegüns­
                         tigte) Unternehmenseinkünfte verhindert werden kann.

                            Die empirischen Ergebnisse der                persönliche Einkommen oder Unter­
                        OECD-Studie legen grundsätzlich                   nehmenseinkommen stützen. Eine
                        den Schluss nahe, dass Steuersysteme,             Steuerreform, die zu einer Verschie­
                        deren Basis sich vorwiegend auf vermö­            bung von Unternehmens- oder Ein­
                        gensbezogene Steuern und Konsum­                  kommensteuern hin zu mehr Konsum­
                        steuern konzentriert, bessere Wachs­              besteuerung oder Grund- und Boden­
                        tumsvoraussetzungen aufweisen als                 besteuerung (als die am wenigsten
                        Steuersysteme, die sich verstärkt auf             verzerrende Form von vermögensbezo­

26                                                                                   Geldpolitik & Wirtschaft Q3/08
Steuern und Wachstum in Österreich

genen Steuern) führt, wäre demnach        Anreiz, Humankapital aufzubauen,
aus Wachstumsgesichtspunkten wün­         sinkt. Dies führt zu einer sinkenden
schenswert.                               Produktivität und resultiert in schwä­
    Es ist wesentlich, an dieser Stelle   cherem BIP/Kopf-Wachstum.
darauf hinzuweisen, dass der von der          Folgt man dem Prinzip der Aufkom­
OECD gewählte Ansatz, Anteile von         mensneutralität einer Steuer­reform, so
einzelnen Steuerkategorien an den Ge­     muss die Senkung einzelner Steuern zu
samteinnahmen zu vergleichen, darauf      einer Anhebung anderer Einnahme­
abzielt, die Auswirkungen eines Ab­       quellen führen. Die getrennte Beob­
tausches zwischen einzelnen Steuerka­     achtung der Veränderung einer einzel­
tegorien auf Wohlstand und Wachstum       nen Steuer ist daher nicht ausreichend,
darzustellen. Ein geringerer Anteil       um die Gesamtauswirkung einer Steuer­
eines Landes an Unternehmenssteuern       reform auf das Wirtschaftswachstum
am Gesamtaufkommen bedeutet je­           beurteilen zu können.
doch nicht notwendigerweise, dass die         Letztlich ist die Wirkung von Steuer-
Steuerlast für Unternehmen in diesem      reformen auch nicht isoliert von ande­
Land geringer ist. Eine Ursache für       ren Politikbereichen und Institutionen
den geringeren Anteil von Unterneh­       eines Landes zu betrachten. Die Sen­
menssteuern kann etwa auch die Wirt­      kung der Einkommensteuer führt etwa
schaftstruktur mit weniger Kapitalge­     nur dann zu positiven Angebotseffek­
sellschaften sein, auf die diese Steuer   ten auf dem Arbeitsmarkt, wenn der
zur Anwendung kommt. Ein Vergleich        Preissetzungsmechanismus auf dem
der Steuerlast kann besser durch die      Arbeitsmarkt (Lohnbildung) effizient
Gegenüberstellung effektiver Steuer­      funktioniert und Informationen über
sätze vorgenommen werden, wie in          Angebots- und Nachfragepräferenzen
Abschnitt 2.5 gezeigt wird.               entsprechend überträgt. Anderen Insti­
    Die Wachstumswirkungen von ver­       tutionen, die den Zugang zum Arbeits­
schiedenen Steuerreformen sind nur        markt beeinflussen, wie etwa eine Ra­
sehr schwer abzuschätzen. Die Verän­      tionierung auf dem Arbeitsmarkt, Insi­
derung einer einzelnen Steuer beein­      der/Outsider-Verhalten oder ein hoher
flusst meist mehrere Bestimmungs-         Mindestlohn, der die Nachfrage nach
faktoren des BIP/Kopf-Niveaus und         Arbeitskräften mit niedriger Produkti­
-Wachstums gleichzeitig, was zu entge­    vität einschränkt, kommen in diesem
gengesetzten, einander neutralisieren-    Zusammenhang mindestens ebenso
den Effekten führen kann. So wirkt        große, wenn nicht größere, Bedeutung
etwa die Senkung der Einkommen­           zu wie der Struktur und Höhe der Ein­
steuer positiv auf das Arbeitsangebot,    kommensbesteuerung.
da sich die Präferenzen zwischen Frei­
zeit und einer netto besser entlohnten    2 S
                                             teuer/Wachstumszusammen-
Arbeit verschieben. Mehr Arbeit führt       hang in Österreich
(unter der Annahme, dass die entspre­     Mit einer Steuer- und Abgabenquote
chende Nachfrage nach Arbeit vorhan­      von 41,8 % des BIP wird Österreich oft
den ist) zu mehr Wohlstand und Wachs­     als Hochsteuerland bezeichnet. Im Jahr
tum. Gleichzeitig werden durch höhere     2008 nahm Österreich in einem Ver­
Nettolöhne aber auch die Opportuni­       gleich der Steuerbelastung in den
tätskosten für Bildungsinvestitionen      OECD-Ländern die achte Stelle und in
(also der entgangene Lohn während der     einem entsprechenden EU-Vergleich
Zeit der Ausbildung) höher und der        die siebente Stelle ein, wobei Schweden

Geldpolitik & Wirtschaft Q3/08                                                                          27
Steuern und Wachstum in Österreich

                        und Dänemark mit Steuerquoten von                         genen drei Jahrzehnten sind in Grafik 1
                        rund 50 % den Spitzenplatz in beiden                      dargestellt. Die Strukturveränderungen
                        Rankings besetzten. Der Frage einer                       konzentrieren sich dabei vor allem auf
                        effizienten Ausgestaltung der Struktur                    drei Bereiche. Erstens wurde der An-
                        der Staatseinnahmen kommt damit in                        teil der Einnahmen aus der Besteue-
                        Österreich eine besonders wichtige                        rung von Gütern und Dienstleistungen
                        Rolle zu.                                                 seit den 1970er-Jahren kontinuierlich
                                                                                  reduziert. Zweitens gingen die Einnah-
                        2.1 Österreichs Steuerstruktur im                         men aus vermögensbezogenen Steuern
                            internationalen Vergleich                             zurück, und drittens kam es zu einer
                        Die Struktur des österreichischen Steuer-                 Ausweitung der Finanzierungsbedeu-
                        systems ist durch eine starke Belastung                   tung von Sozialversicherungsbeiträgen.
                        des Faktors Arbeit gekennzeichnet, was                    Wenige Veränderungen gab es bei den
                        sich vor allem in einem hohen Anteil                      relativen Einnahmenvolumina aus Ein-
                        der Sozialversicherungsbeiträge an den                    kommensteuern und Unternehmens-
                        Gesamteinnahmen, weniger jedoch                           steuern. Die wesentlichen Unterschiede
                        durch hohe Einnahmen aus der Ein-                         zum OECD-Durchschnitt bestehen in
                        kommensbesteuerung widerspiegelt.                         einer deutlich geringeren Unterneh-
                        Auch lohnsummenabhängige Abgaben                          mens- und Vermögensbesteuerung in
                        tragen mit mehr als 6 % der Gesamt-                       Österreich: Während im OECD-Durch-
                        einnahmen – dem Spitzenwert in der                        schnitt 10 % der Einnahmen aus einer
                        OECD – zur Belastung des Faktors                          Besteuerung von Unternehmensgewin-
                        Arbeit bei. Neben Arbeitseinkommen                        nen stammen, ist dieser Anteil in
                        dient vor allem der Konsum als Quelle                     Österreich mit 5 % nur halb so groß.
                        für Steuereinnahmen. Die Besteuerung                      Deutlich höher als im OECD-Durch-
                        von Unternehmensgewinnen, immobilen                       schnitt (25,6 %) sind die Einnahmen
                        Faktoren und Vermögen macht in Öster-                     aus Sozialversicherungsbeiträgen mit
                        reich nur einen relativ geringen Anteil                   einem Anteil von 34 %. Dieser Anteil
                        des gesamten Steueraufkommens aus.                        ist zudem zwischen 1970 und 1990
                            Die österreichische Steuerstruktur                    stark, und danach etwas moderater ge-
                        und deren Entwicklung in den vergan-                      stiegen.
                                                                                                                                        Grafik
                                                                                                                                          afik 1
                                                                                                                                          af

                        Steuerstruktur Österreich (1970, 1990, 2006) und OECD (2005)
                        in % der Gesamteinnahmen
                         120
                                    0,7             2,3      2,8                              1,2
                        100                                                                   0,8
                                    7,7             6,0      6,1
                         80                                                                   31,9
                                                   31,5      27,6
                                    37,4
                         60                                  1,4                              5,6
                                                    2,7
                                    3,7
                                                             34,3                             25,6
                         40         25,4           32,9
                                                                                              10,3
                                    4,4             3,6      5,4
                         20
                                    20,7           21,0      22,4                             24,6
                          0
                                   1970            1990      2006                          OECD 2005
                                  Sonstige                   Lohnsummensteuer                  Steuern auf Güter und Dienstleistungen
                                  Vermögensbezogene Steuer   Sozialversicherungsbeiträge       Unternehmenssteuer
                                  Einkommensteuer

                        Quelle: OECD.

28                                                                                             GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/08
Steuern und Wachstum in Österreich

    Entsprechend der in der OECD-                                   mögen und die starke Belastung des
Studie aufgestellten Wachstumshierar­                               Faktors Arbeit durch das hohe Niveau
chie von Steuerkategorien stellt der ge­                            an Sozialversicherungsabgaben einen
ringe Anteil der Besteuerung von Un­                                Nachteil dar.
ternehmensgewinnen am gesamten                                          Grafik 2a zeigt die Steuerstruktur
Aufkommen in Österreich einen Vor­                                  jener Staaten, die im OECD-Vergleich
teil, die geringe Besteuerung von Ver­                              2006 das höchste BIP/Kopf-Niveau
                                                                                                                 Grafik 2a

Steuerstruktur: OECD-Länder mit höchstem BIP/Kopf-Niveau bzw.
-Wachstum (2006)
in % der gesamten Steuereinnahmen

                                                        Einkommensteuer
                                                            40
                                                            35
                                                            30
                                                            25
                                                            20
                                                            15
            Güter und Dienstleistungen                                                  Unternehmenssteuer
                                                            10
                                                             5
                                                             0

                      Vermögensbezogene Steuer                                  Sozialversicherungsbeiträge

    Österreich          irland           luxemburg         Norwegen             Usa

Quelle: OECD.

                                                                                                                 Grafik 2b

Steuerstruktur: OECD-Länder mit niedrigstem BIP/Kopf-Niveau bzw.
-Wachstum (2006)
in % der gesamten Steuereinnahmen

                                                        Einkommensteuer
                                                            50
                                                            45
                                                            40
                                                            35
                                                            30
                                                            25
                                                            20
            Güter und Dienstleistungen                      15                          Unternehmenssteuer
                                                            10
                                                             5
                                                             0

                      Vermögensbezogene Steuer                                  Sozialversicherungsbeiträge

    Österreich          polen (2005)           türkei            Japan (2005)

Quelle: OECD.

Geldpolitik & Wirtschaft Q3/08                                                                                                              29
Steuern und Wachstum in Österreich

                        auswiesen (Luxemburg, Norwegen,            falls aus konjunkturellen Gründen
                        USA und Irland). Irland (gefolgt von       stark gestiegen.
                        Korea und der Slowakei) erwirtschaf­            Ein Blick auf die Steuer- und Ab­
                        tete im Zeitraum 1990 bis 2006 mit         gabenstruktur der Länder am unteren
                        durchschnittlich 5,2 % gleichzeitig auch   Ende der Wohlstands- und Wachs­
                        die höchsten Jahreszuwachsraten des        tumsskala (Grafik 2b) zeigt, dass Polen
                        BIP/Kopf. Österreich lag 2006 im           (mit dem drittniedrigsten BIP/Kopf-
                        OECD-Vergleich an neunter Stelle, was      Niveau) und Japan (mit dem dritt­
                        das BIP/Kopf-Niveau betrifft, und hatte    niedrigsten BIP/Kopf-Wachstum von
                        im Zeitraum 1990 bis 2006 Wachstums­       1990 bis 2006) Sozialversicherungs­
                        raten von durchschnittlich 1,9 % p. a.     beiträge in ähnlich hohem Ausmaß wie
                              Bemerkenswert ist, dass in den       Österreich einheben. Polen und die
                          Ländern mit den besten BIP- und          Türkei (mit dem niedrigsten BIP/Kopf-
                        Wachstumsdaten Steuern auf Unter­          Niveau) haben ähnlich niedrige Ein-
                        nehmensgewinne und Steuern auf Ver­        nahmen aus Unternehmenssteuern wie
                        mögen eine deutlich wichtigere Ein­        Österreich. Bei den vermögensbezo­
                        nahmequelle darstellen als in Öster­       genen Steuern liegt Österreich unter
                        reich. Dies hängt nicht unmittelbar        dem Niveau dieser Länder, bei den Ein­
                        mit der Höhe der Steuersätze zusam­        nahmen aus Einkommensteuern darü­
                        men (der Steuersatz auf Unterneh­          ber. Bemerkenswert ist, dass die Ein­
                        mensgewinne ist etwa in Irland mit         kommensteuer in zwei der drei Staaten
                        12,5 % genau halb so hoch wie jener in     (Japan, Türkei) eine sehr geringe Pro­
                        Österreich), sondern einer­seits mit der   gression ausweist.
                        Wirtschaftsstruktur des Landes (An­             Diese empirischen Gegenüberstel­
                        teil der von der Unternehmenssteuer        lungen zeigen eine gewisse Systematik
                        erfassten Kapitalgesellschaf­ten), der     in Bezug auf den Steuer/Wachstums­
                        Breite der Steuerbasis und andererseits    zusammenhang: Länder am oberen
                        mit der zyklischen Entwicklung der         Ende der Wohlstands- und Wachs­
                        Unternehmensgewinne. Ein weiterer          tumsskala haben hohe Einnahmen aus
                        markanter Unterschied zu Österreich        Unternehmens- und Einkommensteu­
                        besteht in der Höhe der Sozialversiche­    ern sowie aus vermögensbezogenen
                        rungsbeiträge, die in keinem dieser        Steuern und stützen sich nur in gerin­
                        Länder vergleichbare Dimensionen er­       gem Ausmaß auf Sozialversicherungs­
                        reicht. Die Konsumbesteuerung liegt        beiträge. Die Vermutung, dass das Aus­
                        in Norwegen und Luxemburg auf              maß an Einnahmen aus einzelnen
                        ­österreichischem Niveau. Die USA          Steuer­kategorien eher die Folge als die
                         sind der einzige OECD-Staat, in dem       Ursache dynamischen Wachstums ist,
                         es keine Mehrwertsteuer gibt, und         liegt jedoch nahe.
                         verzeichnen daher traditionell geringe         Länder mit niedrigem Wohlstands­
                         ­Einnahmen aus der Besteuerung von        niveau wie Polen oder geringem BIP/
                          Konsum. Irlands Einnahmen aus Mehr­      Kopf-Wachstum wie Japan weisen
                          wert- und Verbrauchsteuern sind seit     einen hohen Anteil an Sozialversiche­
                          2001 vor allem aus konjunkturellen       rungsbeiträgen am Gesamtaufkommen
                          Gründen stark angestiegen. Die Ein­      auf bzw. finanzieren sich aus Konsum­
                          kommensteuer stellt für die USA die      besteuerung (Türkei, Polen). Die nied­
                          Haupteinnahmequelle dar, in Irland       rigen Einnahmen aus Einkommen- und
                          sind die Steuereinnahmen aus dieser      Unternehmenssteuern in Polen und der
                          Kategorie in den letzten Jahren eben­    Türkei sind einerseits auf ein niedriges

30                                                                          Geldpolitik & Wirtschaft Q3/08
Steuern und Wachstum in Österreich

Lohnniveau und geringe Unterneh­                             2006; Fessler et al., 2008). Warum
mensgewinne, andererseits aber auch                          also bildet Österreich mit nur 1,3 %
auf sehr niedrige Steuersätze und teils                      der gesamten Steuereinnahmen aus
auf die Bedeutung des informellen Sek­                       vermögens­bezogenen Steuern (OECD:
tors zurückzuführen.                                         5,5 %, EU-15: 5,3 %) gemeinsam mit
    Um dem Zusammenhang zwischen                             der Tschechischen Republik das Schluss­
Steuern und Wachstum in Österreich                           licht in einem entsprechenden OECD-
näher zu kommen, scheint eine ge­                            Vergleich?
nauere Analyse der Strukturen inner­                             Die wichtigsten vermögensbezo­
halb der einzelnen Steuerkategorien er­                      genen Steuern in Österreich sind die
forderlich.                                                  Grundsteuer, die Erbschafts- und
                                                             Schenkungssteuer und die Kapitalver­
2.2 Vermögensbezogene Steuern                               kehrsteuer. Die Vermögensteuer stellte
Laut OECD-Studie stellen vermögens­                          bis zu ihrer Abschaffung im Jahr 1994
bezogene Steuern jene Kategorie öf­                          die bedeutsamste Einnahmequelle in
fentlicher Einnahmen dar, die am we­                         dieser Steuerkategorie dar (Grafik 3).
nigsten wachstumshemmend wirkt.                              Seit den 1970er-Jahren nimmt der An­
Die Gründe dafür sind eine Steuer-                           teil der vermögensbezogenen Steuern
 ­basis, die nicht in unmittelbarem Zusam­                   am Gesamtaufkommen kontinuierlich
menhang mit den Produktionsfaktoren                          ab. Die Gründe dafür liegen nicht nur
­Arbeit, Kapital und Humankapital                            bei sehr niedrigen Steuersätzen, son­
 steht, und die Stabilität der Steuerbasis.                  dern auch in einer Nichtanpassung der
 Darüber hinaus haben vermögensbezo­                         Steuerbemessungsgrundlage an Markt­
 gene Steuern eine aus Überlegungen                          wertentwicklungen (Beispiel Einheits­
 der Einkommensgerechtigkeit wün­                            werte von Grund und Boden zur Er­
 schenswerte Umverteilungswirkung,                           rechnung der Grundsteuer), in groß­
 da es einen engen Zusammenhang zwi­                         zügigen Ausnahmeregelungen (etwa
 schen Einkommenshöhe und Höhe des                           hohe Freibeträge zur Betriebsüber­
 Geldvermögens gibt, der auch für                            gabe), und vor allem in der sukzessiven
 Österreich Gültigkeit hat (Beer et al.,                     Abschaffung einzelner Kapitalverkehr-
                                                                                                                 Grafik 3

Vermögensbezogene Steuern (1970 bis 2006)
in % der gesamten Steuereinnahmen
4,0

3,5

3,0

2,5

2,0

1,5

1,0

0,5

0,0
   1970            1975             1980         1985           1990             1995       2000                2005
          Grundsteuer           Vermögensteuer      erbschafts- und schenkungssteuer    kapitalverkehrsteuern

Quelle: OECD.

Geldpolitik & Wirtschaft Q3/08                                                                                                         31
Steuern und Wachstum in Österreich

                        steuern, wie der Gewerbekapitalsteuer,                neueren ökonomischen Literatur ent­
                        der Wertpapiersteuer oder der Börsen­                 gegen. Atkinson und Stiglitz (1976)
                        umsatzsteuer, und zuletzt dem Auslaufen               sehen in Erbschafts- und Schenkungs­
                        von Erbschafts- und Schenkungssteuer.                 steuern ein Instrument, um die unter­
                            Ein politökonomisches Problem von                 schiedliche Verteilung von Kapital zwi­
                        vermögensbezogenen Steuern liegt in                   schen hohen und niedrigen Einkom­
                        deren Unpopularität in der Bevölke­                   mensbeziehern auszugleichen. Heer
                        rung. Einer Umfrage zur Erbschafts­                   (2000) zeigt, dass die Einführung einer
                        steuer in Österreich aus dem Jahr 2007                Erbschaftssteuer sowohl wohlfahrts­
                        zufolge waren 84,2 % der Österreicher                 steigernd als auch ausgleichend auf die
                        für eine Abschaffung, 9,6 % dagegen                   Verteilung von Vermögen wirkt. Brun­
                        und 6,2 % hatten keine Meinung dazu.5                 ner und Pech (2008) kommen zu dem
                        Dies ist insofern erstaunlich, als die tat­           Schluss, dass der Akt des Schenkens
                        sächliche Betroffenheit eines Großteils               und Vererbens aus einer Freude des
                        der Gesellschaft durch diese Steuern                  Gebens entsteht und daher steuerlich
                        nur in sehr geringem Ausmaß oder                      wie der Konsum eines Guts zu behan­
                        überhaupt nicht gegeben ist. Die öster­               deln sei. Auf den Wachstumszusam­
                        reichische Steuerstatistik zeigt, dass es               menhang von Erbschafts- und Schen­
                        im Jahr 2006 65.449 Erbfälle gab, die                 kungssteuern wurde in der Zusammen­
                        insgesamt 103,1 Mio EUR Steuerein­                      fassung der OECD-Studie bereits
                        nahmen brachten. 96,1 % der Fälle be­                 eingehend hingewiesen.
                        trafen Erbbeträge unter 58.400 EUR.                         Eine andere Problematik in Bezug
                        61 % des Aufkommens aus der Erb­                      auf die Gestaltbarkeit von vermögens­
                        schaftssteuer stammten von lediglich                  bezogenen Steuern stellt die Tatsache
                        3,9 % der Erbfälle (2.566 Erbfälle).6                 dar, dass die Einnahmen aus dieser
                        Vererbtes Vermögen und die tatsäch­                   ­Kategorie (vor allem aus der Grund­
                        liche Betroffenheit durch die Erb­                     steuer) eine wichtige Finanzierungs­
                        schaftssteuer konzentrieren sich dem­                  quelle für Gemeinden konstituieren.
                        nach auf einen sehr kleinen Anteil der                 Zwar hat der Bund die Möglichkeit,
                        Bevölkerung.                                           eine einheitliche Bemessungsgrundlage
                            Ein Verfassungsurteil, das eine Re­                für die Grundsteuer festzusetzen, den
                        paratur der Erbschafts- und Schen­                     Gemeinden steht es aber frei, den
                        kungssteuer erforderlich gemacht hätte,                ­Hebesatz dieser Steuer in gewissen
                        veranlasste die Politik im Sommer 2008                  Grenzen zu variieren. Ohne Änderung
                        letztendlich zu einer gänzlichen Ab­                    dieser Kompetenzen wird es eine uni­
                        schaffung der unpopulären Erbschafts-                   forme Besteuerung von Grund und Bo­
                        und Schenkungssteuer. Dies ist nicht                    den bundesweit nicht geben. Gleichzei­
                        nur aufgrund des Steuerausfalls von                     tig besteht – nicht zuletzt wegen der
                        155 Mio EUR (2007) sowie aus Grün­                      Unpopularität dieser Steuer – großer
                        den der ökonomischen Effizienz und                      Widerstand gegen eine Anpassung der
                        wegen der ohnehin bereits geringen                      Bemessungsgrundlage an tatsächliche
                        Vermögensbesteuerung in Österreich                      Verkehrswerte.
                        problematisch, sondern steht auch den                       Trotz der genannten Schwierig­
                        Erkenntnissen der traditionellen und                    keiten erscheint eine stärkere Verlage­
                        5
                            Umfrage von Marketing Data, zitiert auf
                            http://orf.at/070311-10070/?href=http%3A%2F%2Forf.at%2F070311-10070%2F10071txt_story.html
                        6
                            Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage vom 21. November 2007 durch Finanzminister Molterer
                            (http://www.parlament.gv.at/PG/DE/XXIII/AB/AB_01441/imfname_092096.pdf).

32                                                                                       Geldpolitik & Wirtschaft Q3/08
Steuern und Wachstum in Österreich

rung der Steuerlast auf Vermögens-                         gewünschte Effekt nicht erzielt werden
werte in Österreich aus den erwähnten                      konnte.
ökonomischen Gründen wünschens-                                In Österreich werden neben dem
wert. Die Reformmöglichkeiten gehen                        Standardsatz der Mehrwertsteuer von
dabei weit über die Anpassung beste-                       20 % ermäßigte Steuersätze von 10 %
hender Steuern hinaus und können von                       (Nahrungsmittel, Personenverkehr, so-
Erfahrungen anderer Länder (etwa mit                       wie Dienstleistungen von Hotels, Res-
der Besteuerung von Eigentumswoh-                          taurants und Künstlern) bzw. 12 %
nungen/Häusern durch fiktive Mieten,                       (Lieferungen von Wein aus der Eigen-
Wertzuwachsbesteuerung etc.) profi-                        produktion) angewandt. Die Liste der
tieren. Freibetragsgrenzen können hel-                     von der Umsatzsteuer ausgenommenen
fen, soziale Härtefälle und mögliche                       Güter und Dienstleistungen ist sehr
Liquiditätsengpässe zu vermeiden.                          lang und in §6 des Umsatzsteuer-
                                                           gesetzes angeführt (Exporte, grenz-
2.3 Besteuerung von Gütern                                 überschreitender Beförderungsverkehr,
    und Dienstleistungen                                   öffentliche Dienstleistungen, wie Bil-
In Bezug auf den Steuer/Wachstums-                         dungsangebot, Spitalsleistungen, Post-
zusammenhang befürwortet die Theo-                         dienstleistungen etc.).
rie der optimalen Besteuerung grund-                           Einen Indikator für die quantitative
sätzlich eine Differenzierung von Um-                      Bedeutung von Ausnahmen von der
satzsteuersätzen nach Gütergruppen                         Umsatzbesteuerung bzw. von ermäßig-
(Unterstützung von Konsumenten mit                         ten Steuersätzen stellt die sogenannte
niedrigen Einkommen, Förderung von                         C-Effizienz7 (Grafik 4) dar. Je höher die
zur Arbeit komplementären Gütern                           C-Effizienz eines Umsatzsteuersys-
und Dienstleistungen). In der EU wer-                      tems, desto lückenloser die Steuerbasis
den insbesondere ermäßigte Steuer-                         und desto geringer die Bedeutung und
sätze für arbeitsintensive Dienstleistun-                  Anzahl reduzierter Steuersätze. Öster-
gen angewandt, die einen niedrigen                         reich nimmt nach dieser Berechnung
Ausbildungsgrad erfordern (lokal ange-                     nur etwas mehr als 53 % des poten-
botene Leistungen, z. B. Gastgewerbe).                     ziellen Steueraufkommens aus der
Dies einerseits, um ein Abdriften des                      Mehrwertsteuer ein und liegt damit im
Angebots dieser Dienstleistungen in                        Mittelfeld der OECD-Staaten. Neusee-
den Schwarzmarkt zu verhindern, an-                        land hat mit einer C-Effizienz von
dererseits um die Nachfrage nach                           92,7 % fast keine Ausnahmen und hebt
schlecht ausgebildeten Arbeitskräften                      mit einem deutlich unter dem OECD-
und damit deren Einkommen zu erhö-                         Durchschnitt liegenden Steuersatz der
hen. Die empirischen Ergebnisse einer                      Goods and Services Tax von 12,5 % aus
Studie der Europäischen Kommission                         diesem Titel einen höheren Anteil der
und Copenhagen Economics (2007)                            gesamten Steuereinnahmen (33 %) ein
zeigen, dass mit der Reduktion der                         als Österreich (28 %).
Mehrwertsteuersätze für solche Tätig-                          Die Europäische Kommission und
keiten in manchen EU-Staaten der                           Copenhagen Economics (2007) kom-
7
    Die C-Effizienz berechnet sich aus einer Gegenüberstellung von effektiven Steuersätzen (tatsächliche Einnahmen
    aus der Umsatzsteuer/Konsum) und gesetzlichen Steuersätzen
                                                                           ⎡ ⎛ revVAT ⎞  ⎤
                                                                           ⎢ ⎜⎝ C ⎟⎠ 100 ⎥
                                                            C -Effizienz = ⎢             ⎥ 100
                                                                           ⎢      tVAT   ⎥
                                                                           ⎢⎣            ⎥⎦

GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/08                                                                                                       33
Steuern und Wachstum in Österreich

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Grafik 4

                        C-Effizienz der Mehrwertsteuer (2005)
                        100

                         90

                         80

                         70

                         60

                         50

                         40

                         30

                         20

                         10

                          0

                                                                                                                                                                                                                                           deutschland
                                                                                                                                                                                                                                                         schweden
                                                       schweiz

                                                                                                                                                                                                                                                                                           Vereinigtes königreich
                                                                                                                                                                                              tschechische republik
                              Neuseeland
                                           luxemburg

                                                                                                              Niederlande

                                                                                                                                                                                 Österreich
                                                                 Japan
                                                                         korea
                                                                                 kanada
                                                                                          irland

                                                                                                                            Ungarn
                                                                                                                                     island
                                                                                                                                              australien

                                                                                                                                                                      dänemark

                                                                                                                                                                                                                                                                    frankreich
                                                                                                                                                           finnland

                                                                                                                                                                                                                      spanien
                                                                                                                                                                                                                                Norwegen

                                                                                                                                                                                                                                                                                 Belgien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            portugal
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Griechenland
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    polen

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      italien
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                türkei
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Mexiko
                                                                                                   slowakei

                        Quelle: OECD.

                        men in einer Studie zu dem Schluss,                                                                                                                          wachstum einerseits über das Angebot
                        dass eine uniforme Konsumbesteue­                                                                                                                            von und die Nachfrage nach Arbeit, an­
                        rung aufgrund der niedrigeren Admi­                                                                                                                          dererseits aber auch über ihre Auswir­
                        nistrationskosten und der unklaren                                                                                                                           kungen auf das Produktivitätsniveau
                        Effekte, die eine zu starke Differenzie­                                                                                                                     und seine Entwicklung. Handler et al.
                        rung von Steuersätzen auslösen kann,                                                                                                                         (2005) geben einen guten Literatur­
                        vorzuziehen sei. Für die Erreichung so­                                                                                                                      überblick, in dem auch die von der
                        zialer Zielsetzungen seien andere Ins­                                                                                                                       OECD (2008) identifizierten Einfluss­
                        trumente (Transfers, direkte Steuern,                                                                                                                        kanäle der Besteuerung von Einkom­
                        Direktförderungen) meist geeigneter                                                                                                                          men auf das Wirtschaftswachstum be­
                        als eine differenzierte Umsatzsteuer                                                                                                                         stätigt werden: Stark progressiv ausge­
                        mit ermäßigten Sätzen. Darüber hinaus                                                                                                                        staltete Einkommensteuersysteme, das
                        müssen ermäßigte Steuersätze gegen­                                                                                                                          heißt Systeme, in denen der Durch­
                        finanziert werden, was in der Inzidenz­                                                                                                                      schnittssteuersatz mit zunehmendem
                        analyse berücksichtigt werden muss.                                                                                                                          Einkommen stark ansteigt, können ne­
                                                                                                                                                                                     gative Anreize bilden und wirken
                        2.4 E
                             inkommensteuer und Sozial-                                                                                                                             dämpfend auf das Arbeitsangebot. Zu
                            versicherungsbeiträge                                                                                                                                    hohe Grenzsteuersätze reduzieren das
                        Besteuerung, die am Einkommen des                                                                                                                            Ausmaß von angebotenen Arbeitsstun­
                        Faktors Arbeit ansetzt, wie etwa die                                                                                                                         den, zu hohe Durchschnittssteuersätze
                        Einkommensteuer oder Sozialversiche­                                                                                                                         verringern den Eintritt und die Teil­
                        rungsbeiträge (aber auch andere lohn­                                                                                                                        nahme auf dem Arbeitsmarkt und ber­
                        abhängige Steuern und Abgaben), zeigt                                                                                                                        gen die Gefahr eines Abgleitens von
                        ihren Einfluss auf das Wirtschafts­                                                                                                                          Arbeitskräften in die Arbeitslosigkeit

34                                                                                                                                                                                                                                        Geldpolitik & Wirtschaft Q3/08
Steuern und Wachstum in Österreich

und den informellen Sektor in sich. Da­        Der Haupteinfluss läuft hier über die
von betroffen sind vor allem gering            Unternehmensbesteuerung, die in Ab­
Ausgebildete, Jugendliche, ältere Men­         schnitt 2.5 behandelt wird, es gibt aber
schen, aber auch Zweitverdiener (meist         auch einen Zusammenhang mit der
Frauen), die eine höhere Arbeitsange­          Einkommensteuer. Je höher die Pro­
botselastizität der Einkommensteuer            gression der Einkommensteuer ist,
haben. Obwohl höhere Einkommen­                desto geringer ist der Anreiz für Selb­
steuern zumeist von Arbeitnehmern in           ständige, in risikoreichere Projekte zu
Form reduzierter Nettolöhne getragen           investieren.10 Andererseits kann eine
werden, können bei niedriger Arbeits­          besonders hohe Progression auch zu
losigkeit auch höhere Lohnforderungen          Anreizen führen, vom Angestelltenver­
erfolgreich durchgesetzt werden, was           hältnis in die Selbständigkeit zu wech­
Unternehmen dazu veranlassen kann,             seln – entweder als körperschaft-
Arbeitskräfte in geringerem Ausmaß             steuerpflichtiges Unternehmen, oder
nachzufragen.                                  als einkommensteuerpflichtiger Selb­
    Ein Einflusskanal von Steuersyste­         ständiger, der erweiterte Möglichkei-
men auf Produktivitätsniveau und -ent­         ten der Steuerminimierung (Abset­
wicklung verläuft über den Aufbau von          zungs- und Abschreibungsmöglich­
Humankapital. Bildungsinvestitionen            keiten) hat.11
sind hauptsächlich durch bessere Ein­              Die Frage, ob die vollkommene Be­
kommensaussichten nach erlangtem               seitigung jeglicher Progression der Ein­
Diplom motiviert.8 Boarini und Strauss         kommensbesteuerung zu positiven Be­
(2007) quantifizieren die zu erwar­            schäftigungs- oder Effizienzgewinnen
tende Einkommenssteigerung aufgrund            führt, lässt sich am besten durch eine
eines zusätzlichen Jahres universitärer        Untersuchung über Flat Taxes beant­
Ausbildung mit durchschnittlich 8 %.           worten. Fuest et al. (2007) untersu­
Hohe Einkommensteuern senken diese             chen anhand einer Simulation auf Basis
Einkommensaussichten und damit auch            von Mikrodaten die Verteilungs-, Effi­
die Motivation, in Bildung zu investie­        zienz- und Beschäftigungseffekte der
ren. Gleichzeitig sinken bei hohem             Einführung einer Flat Tax in Deutsch­
Steuerniveau die Opportunitätskosten           land. Die Ergebnisse zeigen, dass eine
von Bildungsinvestitionen im Sinne             Flat Tax zu einem geringeren Anstieg
entgangener, jedoch hoch besteuerter           an Ungleichheit führt, je höher der
Einkünfte. Der erste Effekt scheint je­        Freibetrag und der Grenzsteuersatz ge­
doch weiter gehender zu sein als der           wählt werden, während die Beschäfti­
letzte, wodurch der Schluss gezogen            gungseffekte bei hohen Grenzsteuersät­
werden kann, dass hohe Einkom­                 zen negativ sind. Werden Freibetrag
mensteuern negativ mit Investitionen           und Grenzsteuersätze niedrig gewählt,
in Bildung korreliert sind.9                   kommt es zu Beschäftigungsgewinnen,
    Ein anderer Kanal, über den Pro­           die sich allerdings fast ausschließlich
duktivität beeinflusst wird, ist der An­       auf die obersten zwei Einkommens­
reiz zu unternehmerischem Handeln.             dezile konzentrieren. Die Autoren wei­

8
     Siehe dazu Zagler und Dürnecker (2003).
9
     Siehe dazu Heckman (1976).
10
     Siehe dazu Gentry und Hubbard (2002).
11
     Siehe dazu Long (1982) und Blau (1987).

Geldpolitik & Wirtschaft Q3/08                                                                              35
Steuern und Wachstum in Österreich

                        sen darauf hin, dass diese Ergebnisse                                                durch den gering besteuerten 13. und
                        nicht nur für Deutschland Gültigkeit                                                 14. Monatsgehalt rund 4.000 EUR pro
                        haben.                                                                               Jahr, während einem Geringverdiener
                            Die Progression des österrei­                                                    mit einem Jahreseinkommen von
                        chischen Steuersystems muss in mehre­                                                13.000 EUR daraus überhaupt keine
                        ren Schritten analysiert werden: Der                                                 Ersparnis erwächst. Anders ausge­
                        vierstufige Einkommensteuertarif mit                                                 drückt, sinkt der effektive Grenzsteuer­
                        Grenzsteuersätzen von 0 % (für Ein­                                                  satz der ersten Steuerklasse durch die
                        kommen bis 10.000 EUR), 38,333 %                                                     Regelung des 13. und 14. Monatsge­
                        (10.000 bis 25.000 EUR), 43,596 %                                                    halts um 4,59 Prozentpunkte, während
                        (25.000 bis 51.000 EUR) und 50 %                                                     sich jener der höchsten Steuerklasse um
                        (über 51.000 EUR) ist progressiv aus­                                                6,29 Prozentpunkte verringert.
                        gestaltet. Ein Unikat im internationa­                                                   Der größte Anteil an den gesamten
                        len Vergleich stellt dabei allerdings die                                            Einnahmen aus Steuern und Abgaben
                        steuerliche Begünstigung der sonstigen                                               (34 %) geht auf Beiträge zur Sozialver­
                        Bezüge nach § 67 Einkommensteuer­                                                    sicherung zurück. Davon tragen Arbeit­
                        gesetz (EStG) dar (13. und 14. Monats­                                               geber 16 %, Arbeitnehmer 14 % und
                        bezug, Belohnungen). Durch die                                                       Selbständige die verbleibenden 4 %.
                        Gleichbehandlung aller Einkommens­                                                   Nach 1970 stieg dieser Anteil kontinu­
                        bezieher beim 13. und 14. Monatsge­                                                  ierlich an, erreichte 1995 mit 36 % der
                        halt fällt die Steuerersparnis mit stei­                                             Gesamteinnahmen seinen Höhepunkt
                        gendem Einkommen höher aus, und die                                                  und ist seither wieder leicht rückläufig.
                        Progression, über 14 Einkommens­                                                         Der einkommensunabhängige, ein­
                        monate gerechnet, nimmt ab. Ein leiten­                                              heitliche Beitragssatz von 18,07 % für
                        der Angestellter mit einem Jahresgehalt                                              Dienstnehmer, gepaart mit einer Höchst-
                        von brutto 81.500 EUR erspart sich                                                   beitragsgrundlage von 3.930 EUR

                                                                                                                                                                                 Grafik 5

                        Lohnsteuer- und Abgabenquote
                        in % des Bruttoeinkommens
                        45

                        40

                        35

                        30

                        25

                        20

                        15

                        10

                         5

                         0
                          0 bis   2 bis   4 bis   6 bis  8 bis   10 bis   12 bis       15 bis   18 bis   20 bis   25 bis   30 bis   35 bis   40 bis   50 bis   70 bis 100 bis 150 bis 200
                         unter 2 unter 4 unter 6 unter 8 unter   unter    unter        unter    unter    unter    unter    unter    unter    unter    unter    unter unter unter      und
                                                          10      12       15           18       20       25       30       35       40       50       70       100    150     200    mehr
                             Bruttobezugsklasse (1.000 EUR)
                                  Abgabenquote                Lohnsteuerquote

                        Quelle: Statistik Austria, eigene Berechnungen.

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Steuern und Wachstum in Österreich

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Grafik 6

Progression von Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträgen (2007)
Progressivitätsindikator
25

20

15

10

 5

 0

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Slowakei
                                                                                                                                                                                                                                Tschechische Republik

                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Vereinigtes Königreich
                                                                                                                                   Österreich
     Irland
              Ungarn
                       Mexiko
                                Luxemburg

                                                       Griechenland

                                                                                                                                                                                                                                                        Neuseeland
                                            Finnland

                                                                      Belgien
                                                                                Portugal
                                                                                           Schweden

                                                                                                              Italien

                                                                                                                        Dänemark

                                                                                                                                                Norwegen

                                                                                                                                                           Australien
                                                                                                                                                                        Niederlande
                                                                                                                                                                                      Spanien
                                                                                                                                                                                                Deutschland
                                                                                                                                                                                                              Island
                                                                                                                                                                                                                       Kanada

                                                                                                                                                                                                                                                                           Schweiz
                                                                                                                                                                                                                                                                                     Frankreich
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Korea
                                                                                                      EU-15

                                                                                                                           EU-19

                                                                                                                                                             OECD

                                                                                                                                                                                                                                                                     USA

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Japan
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Türkei
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               Polen
               Einkommensteuer                                                                 Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge
Quelle: OECD Taxing Wages (2007), eigene Berechnungen.

­ onatlich (Bruttogehalt), führt zu einer
m                                                                                                                                                                   versicherungsbeiträge einzuheben und
deutlichen Abflachung der Kurve der                                                                                                                                 ihre Sozialsysteme zur Gänze aus Steu­
Abgabenquote, die die Sozialversiche­                                                                                                                               ern zu finanzieren. Im österreichischen
rung berücksichtigt, im Vergleich zu                                                                                                                                Sozialsystem wären jedoch selbst ohne
jener der Lohnsteuerkurve (Grafik 5).                                                                                                                               den Übergang zu einer stärkeren Steuer­
Dies illustriert die indirekt regressive                                                                                                                            finanzierung Strukturverbesserung,
Wirkung von Sozialversicherungsbei­                                                                                                                                 wie etwa die Aufhebung der Höchst­
trägen in Österreich.                                                                                                                                               beitragsgrundlage oder eine progres­
    Es ist wichtig, an dieser Stelle da­                                                                                                                            sive Gestaltung der Sozialversiche­
rauf hinzuweisen, dass auch im Rah­                                                                                                                                 rungsbeiträge, denkbar, um die derzeit
men der Kritik an Struktur und Höhe                                                                                                                                 regressive Wirkung des Systems zu
der österreichischen Sozialversiche­                                                                                                                                ­beseitigen.
rungsbeiträge weiterhin die Annahme                                                                                                                                      Der Progressionsgrad der Einkom­
der Aufkommensneutralität gilt. Eine                                                                                                                                 mensbesteuerung in Österreich liegt
Reduktion der Sozialversicherungsbei­                                                                                                                                genau im Durchschnitt der OECD-
träge muss demnach eine Schließung                                                                                                                                   Staaten. Aus der Differenz der Steuer­
der Lücke durch andere Finanzierungs­                                                                                                                                belastung eines Alleinverdieners ohne
quellen zur Folge haben. Europäische                                                                                                                                 Kinder mit einem Einkommensniveau
Länder, wie Dänemark, Island, Irland                                                                                                                                 von 67 % des Durchschnittseinkom­
oder die Schweiz, finanzieren einen                                                                                                                                  mens und jener eines Alleinverdieners
Großteil ihrer Sozialsysteme aus Steu­                                                                                                                               ohne Kinder mit einem Einkommens­
ern. Neuseeland und Australien gehen                                                                                                                                 niveau von 167 % des Durchschnitts­
sogar so weit, überhaupt keine Sozial­                                                                                                                               einkommens lässt sich ein Progressi­

Geldpolitik & Wirtschaft Q3/08                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         37
Steuern und Wachstum in Österreich

                        onsindikator berechnen; ein höherer                           2.5 Unternehmensbesteuerung
                        Indikator steht für ein progressiveres                        Der Wachstumszusammenhang der
                        Steuersystem.12                                               Unternehmensbesteuerung besteht in
                             Aus Grafik 6 wird ersichtlich, dass                      der Reduktion der Rentabilität von Ka­
                        der Progressionsindikator der Einkom­                         pital, das als wichtiger Faktor in die
                        mensteuer in Österreich deutlich absinkt,                     Produktionsfunktion eingeht. Da Un­
                        wenn die Abgabenbelastung aus Sozial­                         ternehmensgewinne um Steuern ver­
                        versicherungsbeiträgen hinzugerechnet                         mindert werden, müssen die Vor-
                        wird. Eine stärker regressive Wirkung                         Steuer-Renditen umso höher ausfallen,
                        als in Österreich geht von den Sozial­                        um Investitionen rentabel zu machen.
                        versicherungsbeiträgen nur in den                             Da die Verteuerung von Kapital zu ei­
                        ­Niederlanden und in Deutschland aus.13                       ner Verschiebung der relativen Faktor­
                         Beim Niveau der Abgabenbelastung                             kosten führt (und damit Arbeit relativ
                         eines Durchschnittsverdieners nimmt                          günstiger wird), kann eine Anhebung
                         Deutschland mit 42,8 % des Brutto­                           der Kapitalbesteuerung aufgrund des
                         lohns den Spitzenplatz ein, Österreich                       Substitutionseffekts kurzfristig auch zu
                         liegt im OECD-Vergleich auf dem                              Beschäftigungssteigerungen führen und
                         sechsten Rang (33,5 %).                                      (über höhere Arbeitsnachfrage und stei­
                             Sowohl die uneinheitlichen Aussa­                        gende Löhne) einen zusätzlichen Anreiz
                         gen der Theorie über die Auswirkungen                        für Investitionen in Bildung setzen.14
                         von Progression auf Angebot und Nach­                        Geringeres Wirtschaftswachstum auf­
                         frage auf dem Arbeitsmarkt als auch die                      grund niedrigerer Investitionen und
                         in Grafik 6 präsentierten empirischen                        eines sinkenden Kapitalstocks kann die­
                         Daten zeigen, dass in Österreich die                         sen Beschäftigungseffekt mittelfristig
                         Progression der Besteuerung von Ar­                          aber wieder zunichte machen.
                         beitseinkommen kein vordringliches                               Mit zunehmender Mobilität von
                         Wachstumshindernis darstellt. Viel­                          Kapital steht die Unternehmenssteuer­
                         mehr ist die Belastung des Faktors                           politik immer mehr unter dem Ein­
                         Arbeit durch das hohe Niveau an Sozial­                      druck internationalen Steuerwettbe­
                         versicherungsbeiträgen ein Hindernis                         werbs. Zwischen 1995 und 2008 wur­
                         für höheres Potenzialwachstum in                             den die Unternehmenssteuersätze in
                         Österreich.                                                  der EU-27 um durchschnittlich 10,6
                                                                                      Prozentpunkte gesenkt.

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                             Zur Berechnung dieser Indikatoren werden die Einkommens- und Abgabenbelastungsangaben aus OECD Taxing
                             Wages für das Jahr 2007 herangezogen.
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                             In den Niederlanden entsteht dieser Effekt, da Sozialversicherungsbeiträge nur auf Basis von Einkommen bis
                             30.015 EUR (in den ersten zwei Tarifstufen) berechnet werden (darüber werden keine Beiträge bezahlt) und zum
                             Teil als jährlicher Fixbetrag pro Person zu entrichten sind. In Deutschland gelten für die einzelnen Bereiche der
                             Sozialversicherung unterschiedlich hohe Höchstbemessungsgrenzen, die von 42.750 EUR (Krankenversicherung)
                             bis 63.000 EUR (Arbeitslosenversicherung) reichen.
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                             Dies gilt nur für Wirtschaftssektoren, in denen die Komplementarität von Arbeit und Kapital nicht zu hoch und
                             Substituierbarkeit gegeben ist.

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