Internationalität ist unschätzbar
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SCHWEIZ „Internationalität ist unschätzbar“ Der pensionierte Schweizer Polizeikommandant Dr. Léon Borer, einer der „Gründerväter“ der polizeilichen Antiterror-Kooperation in Europa, über die Anfangsjahre der Cobra, die Wurzeln des ATLAS-Verbundes und die Entwicklungen im internationalen Terrorismus. Am 10. März 2020 waren Sie beim Die Gründung von „Enzian“ erfolgte Begräbnis von General Johannes Pech- im Frühjahr 1972, die Orientierung war ter. Welche Erinnerungen hat der Ab- zu dieser Zeit eine ganz eigene: Der schied vom ersten Kommandanten des Kanton Jura war noch nicht gegründet, heutigen Einsatzkommandos Cobra in er entstand erst 1979 aus einem Teil des Ihnen wachgerufen? Kantons Bern. Schon Anfang der Ich habe mich in den Sommer 1978 1970er-Jahre versuchten Separatisten zurückversetzt gefühlt. Damals fand im mit Sprengstoff- und Brandanschlägen Schweizer Bergdorf Isone ein Antiter- und angedrohten Entführungen wichti- rorkurs des Schweizerischen Polizeiin- ger Amtsträger die Loslösung von Bern stituts statt. Auch aus Österreich hatten zu erreichen. Die Polizei musste die In- wir einen Gast: Major Johannes Pech- stitutionen und Botschaften in der Bun- ter, den ersten Chef des im selben Jahr desstadt Bern, dem politischen Zentrum gegründeten Gendarmerieeinsatzkom- der Schweiz, bewachen und auch den mandos. Er konnte sich gleich eine Personenschutz sicherstellen. Ich fuhr Stoßtruppaktion mit Helikopter und Léon Borer beim FBI National Academy als junger Offizier der Kantonspolizei Schützenpanzer ansehen. In der Pause Retraining in Sofia 2019. Bern Anfang 1972 mit zwei Kollegen kam es zu einer lebhaften Diskussion nach Paris und wir studierten einen Mo- über die Übungsanlage und das Einsatz- heit „Argus“ ab 1980. Später kamen die nat lang im Élysée-Palast und bei der szenario. Es war der Beginn einer lan- Kantone Bern und Zürich dazu. Ein Be- Polizeieinheit „CRS“ die Personen- gen persönlichen Freundschaft mit Jo- reich, wo die Polizei in der Schweiz da- schutz-Konzepte für den französischen hannes Pechter und eines über viele mals schon einige Erfahrung hatte, war Präsidenten. Die neue Einheit „Enzian“ Jahrzehnte sehr engen fachlichen Aus- die Begleitung von Risikoflügen durch sollte aber auch für den Ordnungs- tausches zwischen Österreich und der besonders ausgebildete Kräfte, die „Ti- dienst, „harte“ Einsätze und robuste Schweiz. Wir unterstützten einander mit ger“. Anfang der 1980er-Jahre musste Festnahmen gerüstet sein. Im Hinter- Informationen und entwickelten Ideen das Gendarmerieeinsatzkommando in grund hatten wir die Entwicklung des weiter, um gemeinsam gegen den Ter- Österreich die Sicherung bestimmter Li- Terrorismus und der organisierten Ge- rorismus gewappnet zu sein. Beim Be- nienflüge der Austrian Airlines über- waltkriminalität bei uns und in unseren gräbnis von General Pechter in Maria nehmen. Johannes Pechter rief mich an Nachbarländern im Auge. Der Anschlag Enzersdorf konnte ich einige Persön- und sagte mir, er würde ehestmöglich palästinensischer Terroristen auf die is- lichkeiten aus dieser Zeit wieder treffen Material über die Flugbegleitungen raelische Mannschaft bei den Olympi- – zum Beispiel den heutigen Direktor durch die Polizei benötigen. Da es so schen Spielen in München im Septem- Bernhard Treibenreif, August Pöltl und schnell gehen sollte, schickte ich noch ber 1972 hat dann alle zum Erwachen den früheren Generaldirektor für die öf- am selben Tag alle Informationen mit gebracht – politisch und polizeilich: fentliche Sicherheit Michael Sika. Und einer Austrian-Airlines-Maschine nach Man musste sich im Sicherheitsbereich aus Paris reiste Préfet Prouteau, der Wien. E-Mails gab es ja damals noch auch deutlich besser für Terroranschlä- Gründer der französischen GIGN, an. nicht. Großes Interesse erregte bei den ge aufstellen. Seither ist eine gewisse österreichischen Kollegen 1982 auch Militarisierung der Sondereinheiten un- In welchen Bereichen waren für die unblutige Beendigung einer Geisel- übersehbar geworden. Österreich die Kontakte mit der Schweiz nahme in der polnischen Botschaft in anfangs besonders hilfreich? Bern mittels einer in einem Essenskorb Welche europäischen Polizei-Sonder- Johannes Pechter hat uns beim Kurs versteckten ferngezündeten Tränengas- einheiten haben aus Ihrer Sicht nach in Isone 1978 viel über die Schulter ge- Granate. Vor allem zum Ablauf des dem Anschlag in München Pionierarbeit guckt. Wie die angehenden Schweizer Einsatzes und den Hintergründen wollte geleistet? Antiterror-Instruktoren den Häuser- man in Österreich mehr wissen. Später Ganz vorne dabei war natürlich kampf im scharfen Schuss oder das Ab- wurden dann wir im Aargau zu den Ler- Deutschland: Ulrich Wegener, ein seilen vom Helikopter trainierten, nenden und haben von der Cobra ver- Oberstleutnant des Bundesgrenzschut- scheint für Pechter aufschlussreich ge- schiedene Ausrüstungsgegenstände und zes und Sicherheitsberater des deut- wesen zu sein, genauso wie die Effi- Taktiken übernommen. schen Innenministers Hans-Dietrich zienz des schweizerischen Kurswesens. 1972 haben Sie im Kanton Bern die Genscher, erhielt kurz nach dem Atten- Die Teilnahme Pechters war der Grund- Einsatzgruppe „Enzian“ als erste Poli- tat in München den Auftrag, eine natio- FOTO: PRIVAT stein eines jährlichen Beamtenaustau- zei-Sondereinheit der Schweiz mitge- nale Antiterror-Truppe aufzubauen. sches zwischen der Cobra und der Kan- gründet. Was waren die Motive und He- Wegener startete Ende Oktober 1972 tonspolizei Aargau mit ihrer Sonderein- rausforderungen? und meldete im April 1973 die Einsatz- 40 ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 5-6/20
INTERVIEW Schweizer Anti-Terror-Kurs in Isone 1977: Kursdirektor Hans Begräbnis von General Pechter: GD i. R. Michael Sika, Léon Bo- Suter, Léon Borer (technische Leitung), Instruktor Christian rer, Christian Prouteau (GIGN), Bernhard Treibenreif (EKO Cob- Ambühl (KAPO Zürich), Jacques Künzi (technische Leitung). ra), Gen. i. R. Ernst Moritz, André Zumsteg (KAPO Aargau). bereitschaft der Grenzschutzgruppe 9, keit, die GSG 9 in Sankt Augustin bei Armee erhielten wir großartige Unter- der „GSG 9“. Die Israelis waren in die- Bonn zu besuchen und aus erster Hand stützung – Material, persönliche Aus- ser Aufbauphase große Lehrmeister, mehr über ihre Taktik, Ausbildung und rüstung, Personal, Fahrzeuge, Helikop- aber auch die Briten mit dem militäri- Arbeitsweise zu erfahren. Diese Verbin- ter und Munition: Kein Kanton hätte da- schen Sonderkommando SAS, dem dung mit der GSG 9 hat sich über Jahr- mals für sich allein die erforderliche In- Special Air Service. 1974 wurde bei der zehnte gehalten. Als ich 2008 als Kom- frastruktur für das Training von Sonder- Gendarmerie in Frankreich die Groupe mandant der Kantonspolizei Aargau in einheiten bereitstellen können. Danach d’Intervention der Gendarmerie Natio- Pension ging, war nicht nur Johannes schufen nach und nach bis zum Ende nale, die GIGN, aktiv. Christian Prou- Pechter zu Gast, sondern auch der erste der 1970er-Jahre alle Kantonspolizeien teau war der erste Kommandant. Ich GSG-9-Chef Ulrich Wegener, mein Sondereinheiten. Große Polizeikorps war immer beeindruckt vom außerge- Lehrmeister. wie im Kanton und der Stadt Bern, im wöhnlichen Korpsgeist und Mut dieser Kanton und der Stadt Zürich, im Kanton in den Anfängen noch kleinen und ver- Wie ging es nach dem Anschlag in Waadt oder im Kanton Genf investier- wegenen Truppe. Die GIGN hatte au- München mit der Gründung von polizei- ten besonders viel in ihre Einheiten. Das ßergewöhnliche Einsätze zu bieten: lichen Sondereinheiten in der Schweiz Mithalten auf hohem Niveau war auch Egal, ob es um die Bewältigung von weiter? mir mit meinem Wechsel zur Kantons- komplexen Gefängnisrevolten ging, Nach meiner Rückkehr aus Deutsch- polizei Aargau sehr wichtig. Der Kan- oder um die Beendigung einer Geisel- land lieferte ich dem zuständigen Bun- ton Aargau war 1975 unter den ersten, nahme in einem Schulbus in Dschibuti desrat Kurt Furgler einen fundierten Be- die mit dem „Grenadierzug“ eine Spezi- 1976. Auch die Besetzung der Großen richt ab – mit einem möglichen Umset- aleinheit gründeten. Moschee in Saudi Arabien wurde 1979 zungskonzept für die Schweiz. Gemein- mit einzigartiger Unterstützung der sam mit Oberst Kurt Kessi, Komman- Sie haben sich kürzlich als „letzten GIGN gelöst. Es gab also in den dant der Berner Stadtpolizei, und Capi- Mohikaner“ aus der Gründungszeit der 1970er- und 1980er-Jahren auch von taine Jacques Künzi, dem Ausbildung- Antiterror-Zusammenarbeit im deutsch- den Franzosen viel zu lernen. schef der Genfer Gendarmerie, konzi- sprachigen Raum bezeichnet. Wer wa- pierte ich für alle Kantone einen Anti- ren die Personen der „ersten Stunde“? Welche Schlüsse haben Sie aus dem terror-Kurs in Isone. Wir betraten damit Das erste Antiterror-Netzwerk im Anschlag in München gezogen? polizeiliches Neuland. Die Zielgruppe Polizeibereich war deutschsprachig. Es war klar, dass die Polizei in der waren angehende Polizeiinstruktoren, Das hatte einerseits mit meiner persönli- Schweiz reagieren und beim Aufbau die ihr Wissen nach dem Motto „teach chen Verbindung zur GSG 9 zu tun, die von Antiterror-Einheiten den Aktivitä- the teacher“innerhalb ihrer Organisatio- ich ab 1973 pflegen und vertiefen konn- ten Deutschlands nachziehen musste. nen weitergaben. Sie erhielten die Befä- te, aber auch mit den Schweizer Antiter- Durch die Schaffung der Einsatzgruppe higung, Polizeispezialisten zur Terror- ror-Kursen in Isone, die auf das Interes- „Enzian“ im Kanton Bern hatten wir bekämpfung, für die Herstellung von se der GSG 9 und später auch des Gen- schon gewisse Erfahrung mit den Erfor- improvisierten Sprengladungen sowie darmerieeinsatzkommandos gestoßen dernissen einer Spezialeinheit. Die für die Bewältigung von Geiselnahmen sind. Der Kommandant der Kantonspo- Schwierigkeit war und ist die föderale mit Präzisionsschützen und anderen lizei Basel-Landschaft, Hans Suter, der Struktur der Schweiz: Jeder Kanton hat komplexen Kriminalitätsformen wie auch für die dortige Sondereinheit „Bar- seine eigene Polizeitruppe und bis heute Amoksituationen auszubilden. Der In- rakuda“ verantwortlich war, fungierte gibt es keine nationale Spezialeinheit struktorenkurs dauerte zweimal drei als zweiter Kursdirektor für die Instruk- FOTO: PRIVAT für Terrorismusbekämpfung. Von Feb- Wochen – mit langen Arbeitstagen, torenkurse in Isone. Hans Suter, Ulrich ruar bis April 1973 erhielt ich als erster Mutproben und Nachteinsätzen. Für Wegener und Johannes Pechter knüpf- ausländischer Hospitant die Möglich- mich war es eine Sternstunde. Von der ten informelle Bande und begannen mit ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 5-6/20 41
INTERVIEW einem regelmäßigen Austausch. Er Ausbildung, Ausrüstung und Moti- war von gegenseitiger Wertschät- vation gab es keine Halbheiten. zung und großem Vertrauen ge- Das prägte ein positives Elitebe- prägt. Die gleiche Sprache, der ge- wusstsein aus, aber auch ein gro- meinsame Kulturraum und die ßes internationales Interesse. Die Nachbarschaft waren wichtige Cobra hat sich dem nicht ver- Faktoren für dieses Zusammenrü- schlossen, sondern ihre Türen ge- cken. Und man bekämpfte gemein- öffnet: Jordanier waren genauso same Bedrohungen wie die RAF staunende Gäste wie Chinesen oder den palästinensischen Terro- oder Polizisten aus dem kommu- rismus. Als Kommandant der Kan- nistischen Osteuropa. Die legendä- tonspolizei Aargau übernahm ich ren Bewerbe des Gendarmerieein- auch die Funktion des Direktors satzkommandos waren Vorläufer der Isone-Kurse von Hans Suter. für viele spätere internationale Ich habe die Kooperation mit Wettkämpfe von Spezialeinheiten. „Jahrzehntelange persönliche Freundschaft“: Léon Deutschland und Österreich inten- Borer und Johannes Pechter beim EKO Cobra 2004. Ich habe es jedes Mal als Berei- siviert. Gegenseitige Besuche, cherung empfunden, nach Öster- Austauschprogramme und Informati- In meiner Interpretation ist das so, reich zu kommen und die Leistungen onsübermittlungen waren selbstver- auch wenn mir klar ist, dass sich AT- und Fortschritte der Cobra mitzuverfol- ständlich. Es gab eine Art „Dreigestirn“, LAS mit den früheren, kleinen Netz- gen – zunächst im ersten Hauptquartier bestehend aus Wegener und seinen werken, die von wenigen Personen ge- in Schönau an der Triesting, dann, ab Nachfolgern, Pechter und mir. Das war tragen waren, nur schwer vergleichen 1992, in Wiener Neustadt. Die Eröff- Ende der 1970er-Jahre der Ausgangs- lässt. Ein Verband mit 38 Einheiten aus nung des dortigen Kommandozentrums punkt für den Ausbau der Kooperation ganz Europa hat eine andere Größe und war ein echter Höhepunkt, es gab und mit anderen Sondereinheiten in Europa, Schlagkraft. Es bestehen jetzt in der EU gibt nichts Vergleichbares weit und zuerst mit der GIGN in Frankreich: sehr formelle Strukturen, es geht um breit. Soweit ich es gesehen habe, ge- 1978 war ich erstmals bei den Franzo- strategische Ebenen und um mehr Ver- noss das Gendarmerieeinsatzkommando sen, auch Johannes Pechter unterhielt einheitlichung im Antiterror-Bereich. stets große Unterstützung durch den je- bald ausgezeichnete Kontakte zum Gewisse gemeinsame Standards haben weiligen Innenminister und den Gene- GIGN-Kommandanten Christian Prou- wir aber schon vor vierzig Jahren ange- raldirektor für die öffentliche Sicherheit teau. Andere Staaten wie Italien, Bel- strebt und das Pflegen guter persönli- – das hat viel dazu beigetragen, dass die gien, Holland und Spanien folgten. cher Beziehungen ist weiterhin das A Cobra in der Welt der Sondereinheiten Auch das SEAL Team Six der US Navy und O, selbst wenn Personen an der heute eine besondere Position ein- war zeitweise dabei. Der „harte Kern“ Spitze von Sondereinheiten inzwischen nimmt. Ich sage es gerne: Die Cobra ist in Zentraleuropa blieben aber Deutsch- häufiger wechseln und die Dynamik ei- ein österreichisches Markenprodukt. land, Österreich und die Schweiz. Hans ne andere ist. Suter, Ulrich Wegener und Johannes Welche Veränderungen haben Sie Pechter sind verstorben – ich bin daher Wie haben Sie das Gendarmerieein- seit den 1970er-Jahren im Bereich Ter- inzwischen der letzte deutschsprachige satzkommando bzw. das Einsatzkom- rorismus festgestellt? Zeitzeuge dieser spannenden, unver- mando Cobra im Laufe Ihrer Karriere Bei Anschlägen gab es durch die gesslichen Gründungszeit. wahrgenommen? Jahrhunderte immer andere Modi Ope- Das Gendarmerieeinsatzkommando randi. Im 18. und 19. Jahrhundert waren Österreich führt seit 2017 den Vor- hat 1978 einen eindrucksvollen anarchistische Attentate auf Politiker sitz im ATLAS-Verbund der EU. Ist AT- Schnellstart hingelegt – mit hochmoti- und Angehörige von Kaiser- und Kö- LAS das Erbe dieser einstigen informel- vierten Leuten, aber auch mit sehr guten nigshäusern fast an der Tagesordnung. len Kooperationen? Rahmenbedingungen. In Bezug auf Dahinter steckten oft unbekannte Ein- ZUR PERSON Léon Borer, geboren tonspolizei Aargau – zuerst als Chef Schweiz und Deutschland. 2008 trat 1945 in Brig im Kanton der Kriminalpolizei, ab 1979 als Kom- Borer als Chef der Kantonspolizei Aar- Wallis, studierte Rechts- mandant. Als Absolvent der FBI Natio- gau im Rang eines Brigadiers in den wissenschaften in Bern und nal Academy und des Law Enforcement Ruhestand. Danach arbeitete er als Se- ging zur Kantonspolizei Executive Development Seminars in curity-Konsulent unter anderem für die Bern. 1973 entwickelte er den USA pflegte er vielfältige interna- Schweizer Bundesverwaltung, fungierte für die Schweizer Polizei ein Antiter- tionale Kontakte und war im European als Mitglied der Antifolterkommission ror-Ausbildungskonzept. Nach ver- Chapter der FBI National Academy ak- der Schweiz und unternahm Auslands- schiedenen Funktionen in Bern (Kan- tiv. Borer war acht Jahre Delegierter bei missionen für den Europarat und die FOTO: BMI, PRIVAT tonspolizei, Bundesanwaltschaft, Eid- Interpol-Versammlungen und Delegati- Vereinten Nationen. 1999 erhielt er das genössisches Justiz- und Polizeidepar- onsleiter bei den Evaluationstreffen des Große Silberne Ehrenzeichen für Ver- tement) wechselte er 1976 zur Kan- Polizei-Staatsvertrags zwischen der dienste um die Republik Österreich. 42 ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 5-6/20
ANTITERROR-EINHEITEN Pensionierung Léon Borers als Chef der Kantonspolizei Aargau Arbeitstreffen nach Botschafts-Besetzung 1982 in Bern: Léon 2008: Ehrengäste GSG-9-Gründer Ulrich Wegener (links) und Borer, Kriminalkommissar Armin Amherd (Stadtpolizei Bern), erster GEK-Kommandant Johannes Pechter (Mitte). Kurt Werle und Johannes Pechter (GEK). zeltäter. Das 20. Jahrhundert hat viele riefen die Spezialeinheit, heute ist jeder sentliches Element für einen erfolgrei- Attentate politischer Bewegungen regis- Polizist ein „First Responder“ und soll chen Kampf gegen den Terrorismus triert, die Zahl an Todesopfern war aber versuchen, eine Täterschaft zu binden bleiben – gerade bei Ländern mit glei- zumeist überschaubar. In der Zeit ihres und zu neutralisieren. Damit ist die gan- cher Ausrichtung. Ich habe lange an Bestehens hat die RAF den deutschspra- ze Polizei viel aktiver in den Antiterror- vorderster Front im European Chapter chigen Raum in ihren Bann gezogen, es Kampf eingebunden. Ich sehe das zum der FBI National Academy mitgearbei- werden ihr aber nur etwas mehr als 30 Beispiel bei der Kantonspolizei Aargau, tet. Diese Fortbildungsinstitution des Morde zugeschrieben. Im Gegensatz da- wo inzwischen in jedem Dienstfahrzeug FBI bringt jedes Jahr Polizeikräfte aus zu wurden bei den Anschlägen in Paris eine militärische Hochleistungslangwaf- der ganzen Welt zusammen und lässt im November 2015 allein im Bataclan- fe ist, weil eine Pistole oder Maschinen- einmalige Netzwerke entstehen. Aus Theater 90 Menschen getötet. Bei 9/11 pistole im Ernstfall nicht mehr ausrei- Österreich habe ich einige Absolventen waren es sogar Tausende Tote. Offen- chen. der Akademie kennengelernt, die heute sichtlich geht es bei den heutigen Taten Führungsfunktionen einnehmen – zum viel darum, hohe Opferzahlen zu errei- Was sind für Sie unerlässliche Ele- Beispiel Sektionschef Mathias Vogl, chen und große Ängste zu schaffen., mente einer erfolgreichen internationa- General Franz Lang, Direktor Bernhard gleichzeitig durch Mehrfachtatorte die len Zusammenarbeit der Polizei im Anti- Treibenreif und Bezirkspolizeikomman- Öffentlichkeit zu beeindrucken, die Po- terror-Bereich? dant Peter Waldinger. lizei zu irritieren und deren Reaktion zu Die Taktiken im Antiterror-Bereich erschweren. Auch die Waffen sind teils müssen immer wieder angepasst wer- Wie wichtig waren für die Sonderein- andere geworden – Massaker mit Mes- den, man muss flexibel sein und verhin- heit Argus die Kontakte zur Cobra oder sern oder Fahrzeugen waren noch vor dern, dass sich mit zu viel Routine Feh- zur GSG 9? wenigen Jahren kein Thema. Früher war ler einschleichen. Das Lernen von der Sie waren ganz entscheidend und da- der Terror in Europa im Grunde auf we- Gegenseite ist immer noch matchent- mit ausschlaggebend. Die Sondereinheit nige exponierte Länder beschränkt. scheidend – von wem denn sonst? Gera- Argus wurde 1975 als „Grenadierzug“ Heute kann es durch Zellenbildungen de der technische Bereich gewinnt lau- gegründet. Von Beginn an war es keine und „einsame Wölfe“ überall zu einem fend an Bedeutung. Man muss die Ent- stehende Antiterror-Truppe, sondern die Anschlag kommen. Die zunehmende wicklungen in der Cyberwelt und im Mitglieder sind Polizisten, die im Alltag Radikalisierung, auch die Selbstradika- Äther im Auge behalten, aber auch die in anderen Bereichen arbeiten und nur lisierung bislang unauffälliger Perso- eigene Ausstattung, zum Beispiel durch im Bedarfsfall und zum Training zu- nen, ist oft schwer zu erkennen. Ge- den Einsatz von Drohnen oder Robo- sammengezogen werden. Durch den heimdiensten kommt bei der Aufklä- tern. Nachrichtendienste spielen in der Kontakt mit der GSG 9 oder der Cobra rung und Prävention daher eine beson- Prävention terroristischer Angriffe eine gab es immer die Möglichkeit, vonei- dere Bedeutung zu. Es ist allerdings ei- dominante Rolle. In die Aus- und Fort- nander zu lernen und sich zu messen. ne riesige Herausforderung geworden, bildung von Sondereinheiten muss kon- Das hat den Ehrgeiz bei der Sonderein- die Informationsflut aus allen zur Ver- sequent und intensiv investiert werden. heit Argus sehr gefördert und auch dazu fügung stehenden Möglichkeiten und Eine Selektion der Besten sichert ein geführt, dass es nie einen Stillstand gab. FOTO: KANTONSPOLIZEI AARGAU, PRIVAT Quellen zu bündeln, zu sichten und zu hohes Niveau, die Einheitsangehörigen Einheiten wie die Cobra oder die GSG 9 interpretieren. Das Internet nimmt bei sollen sich als Elite fühlen, aber sie sind Vorzeigemodelle, oder anders ge- der Vorbereitung und Begehung heuti- müssen dafür im Einsatz überzeugen sagt: Das ist Lernen von den Besten. Im ger Terroranschläge eine Rolle ein, die und gegebenenfalls Resultate „liefern“. Juni 1997 erzielte die Sondereinheit Ar- es früher nicht gegeben hat. Schließlich Daraus entsteht dieser Teamgeist, der gus beim Schweizer Jubiläumswett- ist auch die Rolle der Polizisten im zu Höchstleistungen führt. Dazu kommt kampf „25 Jahre Sondereinheit Enzian“ Streifendienst eine andere geworden: weiterhin die Internationalität: Gute den ersten Platz und setzte sich gegen Früher sicherten sie einen Tatort und persönliche Kontakte werden ein we- Spezialeinheiten aus der Schweiz und 44 ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 5-6/20
INTERVIEW dem Ausland durch. Zwei Jahre später, 1999, folgte der erste Sieg bei der le- gendären „Combat Team Conference“ der GSG 9 in Deutschland. Letztes Jahr errang die Sondereinheit Argus erneut den ersten Platz und ließ 43 Spezialein- heiten aus vier Kontinenten hinter sich. Internationalität ist unschätzbar. Meine Bemühungen, die Kontakte ins Ausland zu pflegen, wurden nach dem Ende mei- ner Amtszeit im Aargau von Haupt- mann André Zumsteg fortgesetzt. Der aktuelle Kommandant der Kantonspoli- zei Aargau, Oberst Dr. Michael Leu- pold, fördert die internationalen Bezie- hungen weiter. Durch das Coronavirus wird derzeit ganz Europa in Atem gehalten. Welche Lehren lassen sich im Sicherheitsbe- reich aus derartigen Krisen ziehen? Es ist wohl noch viel zu früh, in der aktuellen Situation Bilanz zu ziehen. Generell sollte man aber nicht verges- sen, dass Sicherheit und Freiheit auch immer mit Gesundheit zu tun haben. Bereiche wie Gesundheits- und Veteri- närpolizei an der Landesgrenze und auf Airports bekommen einen neuen Stel- lenwert. Es hat sich gezeigt, wie schnell sich ein Virus ausbreiten kann und dass es plötzlich wieder Grenzkontrollen gibt und auch andere Persönlichkeitsein- schränkungen in Kauf genommen wer- den müssen, um Schäden von der Be- völkerung abzuwehren. Für die Zukunft wird man Pandemie-Planungen sicher anders bewerten und umsetzen, aber auch stärker über geeignete Rechts- grundlagen für Überwachungsmaßnah- men diskutieren müssen, zum Beispiel beim Zugriff auf Mobilfunkdaten oder Kamerabilder. Nach dem Begräbnis von General Pechter konnte ich am 11. März 2020 in Wien noch kurz den „Corona- Stab“ im Innenministerium besuchen. Der stellvertretende Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit Franz Lang und Ministerialrat Bernhard Treibenreif haben über die Rolle des Innenministe- riums im Krisenmanagement berichtet. Ich fühle mich mit Österreich bis heute sehr verbunden. Von der Ruhe und Pro- fessionalität bei der Stabsarbeit in gro- ßen Arbeitsräumen war ich sehr beein- druckt. Kurz darauf wurden in Öster- reich viele Maßnahmen sehr rasch und konsequent umgesetzt. In der Schweiz ist es komplizierter, weil die föderalisti- sche Tradition einer zentralen Führung gegenüber kritisch eingestellt ist. Interview: Gregor Wenda ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 5-6/20
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