Konzeption der Bundesrepublik Deutschland zur Einrichtung eines Tsunami-Frühwarnsystems in der Katastrophenregion des Indischen Ozeans

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Konzeption der Bundesrepublik Deutschland zur Einrichtung eines Tsunami-Frühwarnsystems in der Katastrophenregion des Indischen Ozeans
Konzeption der Bundesrepublik Deutschland zur Einrich-
      tung eines Tsunami-Frühwarnsystems in der
       Katastrophenregion des Indischen Ozeans

Ziel ist die Implementierung eines wirksamen Tsunami-Frühwarnsystems für den In-
dischen Ozean, das später auf den Mittelmeerraum und den Atlantik ausgedehnt
werden soll. Das Tsunami-Frühwarnsystem ist Teil eines Early-Warning-Systems,
das auch andere Naturkatastrophen wie z.B. Erdbeben und Vulkanausbrüche erfas-
sen soll. Das System integriert terrestrische Beobachtungsnetze der Seismologie
und Geodäsie mit marinen Messverfahren und Satellitenbeobachtungen. Die dazu
erforderlichen FuE-Arbeiten sollen im Rahmen eines Stufenplans realisiert werden,
der einerseits schnell, d. h. innerhalb von 1 - 3 Jahren, wirksamen Schutz garantiert
und andererseits zulässt, auch spätere technologische Entwicklungen, für die jetzt
noch Forschungsbedarf besteht, problemlos einzubinden. Alle Einrichtungen, die zu
dieser Konzeption Beiträge leisten wollen, sind aufgerufen sich anzuschließen. Die
Initiative wird koordiniert von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungs-
zentren (HGF), vertreten durch den Wissenschaftlichen Vorstand des GeoFor-
schungsZentrums Potsdam (GFZ).

Das Konzept stützt sich auf das von Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgeschla-
gene Partnerschaftsmodell. Es fokussiert auf die Partnerländer Indonesien und Sri
Lanka, mit denen Deutschland traditionell gute wissenschaftlich-technische Koopera-
tionen pflegt. Aufgrund der geologischen Situation muss davon ausgegangen wer-
den, dass vor allem Indonesien wegen der unmittelbaren Nachbarschaft des seis-
misch aktiven Sundabogens auch in Zukunft am häufigsten und am stärksten von
katastrophalen Tsunami-Ereignissen betroffen sein wird. Integraler Bestandteil des
Konzepts sind Maßnahmen des Capacity-Building im Bereich Desastermanagement
für Entscheidungsträger und Experten bis hin zum einzelnen Anwohner in der Region.

Über den Fokus auf Indonesien und Sri Lanka hinausgehend und unter Berücksichti-
gung des zu erwartenden partnerschaftlichen Engagements weiterer Geberländer
zum Aufbau von Frühwarnkapazität in der Region ist das deutsche Konzept offen, so
dass sichergestellt ist, dass auch die Vernetzung mit weiteren geophysikalisch-
geodätischen Monitoring-Systemen ohne großen Aufwand möglich wird. Dazu zählen
u.a. das Global Geodetic Observing System (GGOS), das Global Ocean Observing
System (GOOS), und das Global Climate Observing System (GCOS). Mit den Vor-

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schlägen zum Satelliten-gestützten Monitoring der gefährdeten Region werden aus-
schließlich Ziele der humanitären Hilfe verfolgt.

Die Konzeption sieht zwei Stufen vor, von denen die erste die schnelle Realisierung
eines Grundsystems (Stufe I, Maßnahme 1) darstellt, das auf dem vorhandenen glo-
balen Erdbebenmonitoring-System des GeoForschungsZentrums Potsdam (GFZ)
aufbaut und den Kern eines operativen Frühwarnsystems darstellt. Die Stufe II sollte
gleichzeitig mit Stufe I gestartet werden, ist aber für den operativen Betrieb langfristi-
ger anzulegen und abhängig von den Ergebnissen der Stufe I.

Stufe I ist in 1 - 3 Jahren zu realisieren und besteht aus 4 parallelen Maßnahmen:

1.   Einrichtung eines Warnsystems mit Schwerpunkt Erdbeben / Tsunami im Indi-
     schen Ozean auf Basis existierender Systeme / Technologien
     •    Ausbau des GFZ-GEOFON-Netzwerks (zusätzliche Stationen, schnelle Da-
          tenschnittstellen über Satellit, verbesserte Genauigkeit / Auswerteverfahren)
     •    Unterstützung beim Aufbau des Know-how in regionalen bzw. nationalen
          seismologischen Zentren der Region durch Trainingskurse
     •    Verbindung mit existierenden und neu implementierten seismologischen
          Netzen anderer Geberländer in der Region
     •    Einrichtung eines Netzwerks bojengestützter Druckpegelmesser (Erkennung
          von Wellendurchgängen) im Indischen Ozean
     •    Einrichtung zusätzlicher landgestützter Wasserpegelmesser mit GPS-
          Anbindung
     •    Ausbau eines permanenten Deformations-Überwachungssystems mittels
          Verdichtung und Verbesserung des existierenden GPS-Netzes Geodyssea
          des GFZ
     •    Nutzung existierender Satellitenkommunikationssysteme für schnelle Kom-
          munikation vor Ort (Eumetnet, WMO, Orbcomm)

 2. Konzeptuntersuchung zur Systemerweiterung in Richtung
     •   Ausbau eines permanenten Deformations-Überwachungssystems mittels
         • satellitenbasierter Radarinterferometrie mit in Entwicklung befindlichen
             deutschen Systemen (TerraSAR-X)
         • Entwicklung L-Band-radargestützter Satellitensysteme
     •   Untersuchung einer niedrigfliegenden (Mikro-) Satellitenkonstellation zur
         Verbesserung der Kommunikation

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3.   Entwicklung neuer Technologien (z.B. GPS-basierte Meereshöhenmessungen
     über GPS-Reflektometrie/Altimetrie mit CHAMP)

4.   Capacity-Building in der Region vom Entscheidungsträger über Experten bis hin
     zur Bevölkerung in den von Naturkatastrophen gefährdeten Regionen

Stufe II umfasst den Bau und Betrieb eines Multi-Satellitensystems auf der Basis der
Ergebnisse der Konzeptuntersuchungen in Stufe I. Ein solches Multi-Satellitensystem
wäre der Schritt zu einem global operierenden System, erfordert erhebliche Mittel
und sollte in 1 - 2 Jahren mit europäischen und internationalen Partnern abgestimmt
und entschieden werden. Von deutscher Seite würden dabei die Ergebnisse des 3-
teiligen Maßnahmenkatalogs von Stufe 1 eingebracht werden.

Grobe Abschätzung des Finanzbedarfs:
Stufe 1     Maßnahme 1:          20 Mio.   €
            Maßnahme 2:          10 Mio.   €
            Maßnahme 3:          10 Mio.   €
            Maßnahme 4:           5 Mio.   €

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Stufe I, Maßnahme 1 des Gesamtsystems:

      Aufbau eines Echtzeit-Erdbebenmonitoring-Systems

Vorarbeiten am GFZ
Das GFZ betreibt in Kooperation mit vielen Partnerinstituten ein eigenes seismologi-
sches Forschungsnetz (das GEOFON-Netz), das kontinuierlich die Seismizität der
Erde registriert und die Daten auf der Basis eines vom GFZ entwickelten Protokolls
online nach Potsdam überträgt. Dieses Netz ist eng mit den seismischen Netzen an-
derer Länder verbunden, und es besteht ein wechselseitiger Datenaustausch.

Wegen seines Vorbildcharakters ist die am GFZ entwickelte Methode zur Echtzeit-
kommunikation inzwischen internationaler Standard geworden und wird selbst in den
USA verwendet. Darüber hinaus konnte am GFZ inzwischen ein Softwarepaket zur
automatischen Detektion und Lokalisierung von Erdbeben entwickelt werden. Dieses
Paket und ein Echtzeit-Seismometernetz, bestehend aus den GEOFON-Stationen
und kompatiblen Stationen von Partnerorganisationen (zusammen weit über 100 Sta-
tionen), bilden die Grundlage für den gegenwärtig am GFZ betriebenen Prototypen
eines Echtzeit-Erdbebenmonitoring-Systems.

Die reine Lokalisierung eines Bebens dauert im Normalfall etwa 2 Minuten, nachdem
die seismischen Wellen an den GEOFON Stationen in Europa angekommen sind. Im
Fall des Sumatra-Bebens brauchten die seismischen Wellen im Mittel 11 Minuten,
um vom Erdbebenherd zu den Stationen in Europa zu laufen. Um 01:11:40 Universal
Time (Herdzeit 00:58:41 UT, also etwa 13 Minuten nach dem Ereignis) wurde auto-
matisch (ohne Überprüfung durch einen Seismologen) eine Erdbebenmeldung im
Internet veröffentlicht. Gleichzeitig wurden automatisch Emails und SMS-Meldungen
an die angeschlossenen Nutzer (verschiedene Lagezentren, Seismologische Institu-
tionen, Medien, Versicherungen, Privatleute) verschickt. Diese Informationen enthiel-
ten – und enthalten grundsätzlich – allerdings noch keine Hinweise auf mögliche
Schäden.

Stationsnetz

Es gibt bisher nur sehr wenige hochwertige (breitbandige) seismologische Stationen
in der Region des Indischen Ozeans, die öffentlich zugängliche Daten produzieren
(Abb. 1). Nur für 6 Stationen, die ausschließlich dem amerikanischen IRIS-Netz an-
gehören, stehen die Daten in Echtzeit zur Verfügung.

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Abb. 1: Bestehende seismologische Breitbandstationen mit öffentlich zugänglichen
        Daten im Bereich des Indischen Ozeans

In der ersten Realisierungsstufe sollen deshalb ca. 30 - 40 neue GEOFON-
kompatible Stationen installiert und mit Satellitenkommunikation ausgerüstet werden.
In Kooperation mit anderen Geberländern wird ein Gesamtnetz mit ca. 250 offenen
Stationen angestrebt.

Datenkommunikation

Wegen der nicht flächendeckenden Internetabdeckung in der Region des Indischen
Ozeans gibt es zu einer satellitengestützten Kommunikation keine Alternative. Daher
ist an jeder Station ein VSAT-Terminal notwendig und die Einrichtung eigener Satelli-
tenMasterstationen an den regionalen Datenzentren vorgesehen.

Dezentrales Datenprozessing

In jedem Anrainerstaat sind ein oder mehrere (z.B. im Fall von Indonesien) Daten-
zentren einzurichten, an denen die seismologischen Echtzeitdaten zusammenlaufen
und eine schnelle Erdbebenlokalisierung und Bestimmung der Herdparameter
durchgeführt werden. Außerdem kann von diesen Zentren aus auch die Warnung der
Bevölkerung koordiniert werden. Dabei ist entscheidend, dass allen Zentren alle Da-
ten des Gesamtsystems zur Verfügung stehen. Die Gesamtkoordinierung würde über
das GFZ Potsdam erfolgen.

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Kooperation mit anderen Geberländern, Länderpartnerschaften

Das hier vorgeschlagene Konzept ist modular, flexibel und erlaubt die einfache
Integration von kompatiblen Fremddaten. Damit ist sichergestellt, dass auch seismi-
sche Netze anderer Geberländer im Hinblick auf den Aufbau eines Frühwarnsystems
in der Region eingebunden werden können. Falls sich eine Gruppe von Geberlän-
dern auf ein gemeinsames Vorgehen einigen würde, könnte sich das vorgeschlagene
Projekt nach dem von der Bundesregierung favorisierten vorgeschlagenen Partner-
schaftsmodell zunächst auf ein oder zwei Länder der Region (z.B. Indonesien und Sri
Lanka) konzentrieren und darüber hinaus den Datenaustausch mit den in den übri-
gen Ländern aufzubauenden Systemen organisieren.

Partnerorganisationen, mit denen bereits enge Kooperationen bestehen

In der Region:
Meteorological and Geophysical Agency of Indonesia (BMG)
National Geophysical Research Institute (NGRI), India
Institute of Fundamental Studies, Sri Lanka
Bureau of Mines and Resources (BMR), Australia
National Research Council, Südafrika

International:
Incorporated Research Institutions for Seismology (IRIS), USA
US Geological Survey (USGS), USA
Institut de Physique du Globe, (I.P.G.P.), France
Japan Agency for Marine-Earth Science and Technology (JAMSTEC), Japan
ISDR Platform for the Promotion of Early Warning (PPEW), Bonn, Germany
United Nations University, Institute for Environment & Human Security
(UNU-EHS), Bonn, Germany

National:
GeoForschungsZentrum Potsdam IGFZ)
Alfred-Wegener-Institut (AWI), Bremerhaven
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Köln
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), Hannover
Leibniz-Institut für Meereswissenschaften Kiel (IfM-Geomar), Kiel
Technische Universität Karlsruhe
Deutsches Komitee für Katastrophenvorsorge (DKKV), Bonn

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