Künstliche Intelligenz zeigt uns, wie wir denken und verstärkt unser Verhalten
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18 Technik 2021 27-28 „Künstliche Intelligenz zeigt uns, wie wir denken und verstärkt unser Verhalten“ Ein KI-System ist nur so gut wie die Daten, mit denen es trainiert wird. Ob aus einem Algorithmus ein erfolgreiches Produkt entsteht, hängt auch von der menschlichen Erkenntnis ab, sagt Jana Koehler, wissenschaftliche Direktorin am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Von Alexandra Mesmer, CW: Frau Professor Koehler, was kann KI Handykameras aufnehmen, werden mit KI- Senior Editor heute schon? Algorithmen optimiert. Viele von uns nutzen Übersetzungssysteme, die inzwischen ganz JANA KOEHLER: Künstliche Intelligenz kann gute Ergebnisse liefern. Auch die Suche nach bereits sehr viel. Wir nutzen sie unbewusst Informationen im Netz wird heute durch jeden Tag. Zum Beispiel diktiere ich die Ant- KI-Algorithmen verbessert. Lassen wir uns worten auf Ihre Fragen in Microsoft Word. vom Navigationssystem die Route berechnen, Grundlage dafür ist eine Spracherkennung und ist KI im Spiel. Transkription von gesprochener Sprache in geschriebenen Text auf Basis von künstlicher CW: In welchen Anwendungen sind die Intelligenz. Produktempfehlungen in Online- Grenzen der künstlichen Intelligenz sichtbar? shops werden mit KI-Algorithmen berechnet, die unser Kaufverhalten mit dem anderer Kun- KOEHLER: Viele eingesetzte Verfahren der KI den vergleichen und daraus Empfehlungen basieren auf großen Datenmengen, in denen ableiten. In sozialen Netzwerken bestimmt sie statistisch relevante Muster aufspüren und künstliche Intelligenz zum großen Teil, welche verstärken. Diese sind für den häufig auftre- Inhalte wir sehen. Fotos, die wir mit unseren tenden Durchschnitt aussagekräftig. Grenzen treten auf, wenn wir versuchen, diese Muster auf Einzelfälle anzuwenden. Hier kann das Muster auf den Einzelfall zutreffen oder nicht. So sind bestimmte Symptome typisch für das Auftreten bestimmter Erkrankungen. Das heißt jedoch nicht, dass ich bei bestimmten Symptomen tatsächlich diese Krankheit habe. Jana Koehler hat den Hier ist es erforderlich, auf den individuellen Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz an der Univer- Fall abgestimmte präzise Diagnoseverfahren sität des Saarlandes einzusetzen, um eine Vermutung zu bestätigen inne und ist wissen- oder zu widerlegen. KI kann hier unterstüt- schaftliche Direktorin des Forschungsbereichs zend wirken, aber auch fehlerhafte Einschät- Algorithmic Business zungen abgeben. and Production am DFKI. Ihr Spezialgebiet sind KI-Methoden für flexible CW: Inwiefern beeinflussen subjektive Ein- und optimierte Ferti- schätzungen und Vorurteile die KI-Systeme? gungs- und Geschäfts- prozesse. Sie studierte Informatik und Wissen- KOEHLER: Vorurteile spielen eine Rolle, wenn schaftstheorie in Berlin, arbeitete nach Promotion Daten verwendet werden, in denen die subjek- und Habilitation für die tive Einschätzung von Menschen vorkommt. Fotos: DFKI Schindler AG und das IBM Research Lab in Etwa bei Daten, die Bilder von Personen zeigen Zürich. und bei denen Menschen schätzten, wie alt die
Technik 19 gezeigten Personen sind. Jedes Urteil, das ein sogar. Fälle von Vorurteilen und Diskriminie- Mensch fällt, ist subjektiv – auch wenn wir uns rung in KI-Systemen sind nichts weiter als die Buchtipp: Bausteine des um Objektivität bemühen. Objektivität kann Vorurteile und Diskriminierung, die wir selbst Managements künstlicher nie perfekt gelingen, da unsere persönliche ausüben. Insofern können wir KI sehr gut ver- Intelligenz Erfahrung in die Einschätzung einfließt. Wird wenden, um unser Verhalten zu hinterfragen diese in Trainingsdaten für ein KI-System ver- und zu schauen, wo wir uns verändern sollten. Welche Prozesse und Strukturen braucht es, um KI-Anwendungen wendet, extrahiert dieses statistisch relevante Leider wird zurzeit in vielen Anwendungen das zu entwickeln, zu betreiben und Muster, in denen subjektive Meinungen ent- bisherige Verhalten auf der Grundlage histori- in einen betrieblichen Kontext zu halten sind und diese verstärken. scher Trainingsdaten verstärkt und auf die Zu- integrieren? Antworten auf diese kunft übertragen. Hier muss man sich fragen, Frage finden sich in einem neuen CW: Welche Rolle kommt den Trainings- wie sinnvoll diese Art von Anwendungen Werk von Jana Koehler. daten zu? wirklich sind. Sie können nur erfolgreich sein, Die Professorin für Künstliche wenn die Zukunft genauso ist wie die Vergan- Intelligenz an der Universität des Saarlandes und Leiterin des For- KOEHLER: Die Datenqualität, mit denen ein genheit und unser früheres Verhalten tatsäch- schungsbereichs Analyse und KI-System trainiert wird, ist entscheidend da- lich auch erfolgreich für die Zukunft sein kann. Optimierung von Prozessen des für, wie gut das System nachher beim Einsatz DFKI hat dieses Buch zusammen in der Praxis ist. Wir müssen uns bewusst sein: CW: Was sind die größten Herausforde mit Walter Brenner, Professor für Ein Data Scientist bestimmt die Menge der rungen, bis aus einem KI-Algorithmus ein Wirtschaftsinformatik an der Uni- versität St.Gallen, Benjamin van Trainingsdaten. Das System zu trainieren ist marktfähiges Produkt entstehen kann? Giffen, Assistenzprofessor für ein permanenter Prozess, da ja auch die Welt Wirtschaftsinformatik und Leiter sich stetig ändert. Man braucht möglichst KOEHLER: Ein KI-Algorithmus ist nur ein klei- des Research Lab Management of repräsentative Daten, kann aber nicht immer ner Teil einer Lösung. Die KI muss immer in AI, und den beiden Doktoranden beurteilen, ob die vorliegenden Daten reprä- eine Softwarelösung eingebunden werden, die Tobias Fahse und André Sagodi sentativ sind. sicherstellt, dass die Daten für den Algorithmus verfasst. Es beschreibt nicht nur die grundsätzlichen Prozesse in hoher Qualität zur Verfügung stehen und die eines Managements künstlicher CW: Von welchem Einsatzgebieten raten Sie Berechnungsergebnisse des Algorithmus in die Intelligenz, sondern zeigt auch aus wissenschaftlicher Sicht ab? Softwaresysteme eines Unternehmens einflie- Beispiele für konkreten unterneh- ßen. Die Gestaltung der Schnittstellen zu den merischen Nutzen auf. KOEHLER: Aus wissenschaftlicher Sicht ist es vorhandenen Softwaresystemen ist sehr kom- nicht haltbar, dass wir statistische Muster, die plex und meist viel aufwendiger als gedacht. nur für eine große Menge an Fällen gelten, auf Viele KI-Lösungen setzen heute maschinelles einen Einzelfall anwenden. Wir sollten sehr Lernen ein und benötigen dafür sehr umfang- zurückhaltend sein, zum Beispiel Lebensläufe reiche Trainingsdaten. von Menschen auf ihre Eignung für einen be- stimmten Beruf einzuschätzen. Denn die Ein- Das Aufbereiten dieser Daten ist sehr aufwen- schätzung durch das KI-System beruht immer dig und trägt oft zu mehr als 80 Prozent der auf historischen und subjektiven Entscheidun- Kosten eines KI-Projekts bei. Nicht zu verges- gen. Zudem sollten wir keine voll automatisier- sen sind auch die Nutzer einer KI-Lösung. Die ten medizinischen Diagnosen vornehmen, die Gestaltung der Interaktion mit dem Menschen rein auf statistischen Daten basieren. ist entscheidend, damit ein KI-System sinnvoll in Zusammenarbeit mit einem Menschen agie- CW: Wie sollte KI sinnvoll eingesetzt werden? ren kann und auch akzeptiert wird. Denken wir nur an die Gestaltung der Sprachschnittstelle KOEHLER: Da KI heute vor allem verborgene von Alexa. Hier wurde Pionierarbeit geleistet, Muster in Daten aufspürt, hält sie uns damit um das System für viele Benutzer komfortabel den Spiegel vor. Sie zeigt uns, wie wir denken und auch ausreichend sicher zu gestalten, und handeln und verstärkt unser Verhalten damit es akzeptiert wird.
20 Technik 2021 27-28 CW: Warum kommen viele Ideen nicht aus der KOEHLER: In vielen Firmen ist der Eindruck Prototyp-Phase heraus? entstanden, dass man eine KI-Lösung fertig kaufen kann und diese ein Problem löst. Als KOEHLER: Viele Projekte unterschätzen den Konsument kann ich mir eine Alexa kaufen, Aufwand für die Bereitstellung der Daten, die um während meiner Yoga-Übung per Sprach- Integration in die Softwarelösungen und die steuerung einen Timer zu setzen. Bei vielen Gestaltung der Benutzerschnittstellen. Meist Herausforderungen in Unternehmen ist viel ist in einer Firma noch nicht genug Erfahrung menschliche Intelligenz zur Problemlösung ge- vorhanden, um KI-Projekte erfolgreich voran- fragt. Die selbstständige Problemlösefähigkeit zutreiben. Hier kommt es darauf an, mit Pilot- von KI-Systemen ist eher dem Bereich des projekten Erfahrungen zu sammeln und Kom- Mythos zuzurechnen. KI stellt Technologien petenzen aufzubauen. Idealerweise erzielen die zur Verfügung, mit denen wir unsere Probleme Piloten einen Mehrwert für das Unternehmen erfolgreich lösen können. Das heißt: Wir müs- über die Projekterfahrung hinaus. Sie können sen uns mit unseren Problemen auseinander- etwa die Datenschnittstellen entwickeln, Me- setzen, diese klug analysieren und die entspre- thoden zur Sicherung der Datenqualität bereit- chende Technologie kennen, richtig auswählen stellen oder auch die Akzeptanz bei Nutzerin- und einsetzen. Es lohnt sich, hier agil zu arbei- nen einer geplanten KI-Lösung fördern. ten, mit kleinen nutzbringenden Projekten und kleinen Teams zu starten und diese schritt CW: Welche Kriterien muss ein Prototyp weise auszubauen und zu skalieren, ohne dass erfüllen, damit er zum Produkt wird? Agilität verloren geht. Dabei sollte von Anfang an die strategische Ausrichtung von KI im KOEHLER: Bei einem Prototyp wird sehr oft Rahmen der Unternehmensstrategie eine Rolle auf die technische Machbarkeit fokussiert. Wir spielen, um KI-Projekte zu steuern. versuchen herauszufinden, ob ein Problem mit einer Technologie gelöst werden kann. Nehmen CW: Was kann die Wirtschaft bezüglich wir wieder das Beispiel von Alexa. Bei der Mach- des Managements von KI-Projekten von der barkeit geht es hier darum, ob die Sprach Forschung lernen? erkennung gut genug ist, dass sie einen Men- schen in einem bestimmten Kontext verstehen KOEHLER: Beide Seiten können voneinander kann. Damit aus dem Prototypen ein erfolgrei- lernen. Die Forschung kann von der Wirtschaft „Die selbstständige Problem ches Produkt werden kann, ist es wichtig, des- sehr viel lernen in Bezug auf ein realistisches lösefähigkeit von KI-Systemen sen Lebensfähigkeit und Erwünschtheit im Problemverständnis und die Akzeptanz von ist eher dem Bereich des Blick zu haben. Bei der Lebensfähigkeit geht Ideen im Markt. Von der Forschungsseite kön- Mythos zuzurechnen.“ es darum, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, nen wir Methoden beitragen, die der Wirtschaft Jana Koehler, das die Kosten einer KI-Lösung trägt. Genauso helfen können, aktuelle Herausforderungen Professorin für Künstliche Intelligenz wichtig ist eine technisch robuste und skalier- erfolgreich anzugehen. Dies können auch bare Technologie. Zudem muss das Produkt Management-Methoden sein, um KI-Projekte nicht nur von potenziellen Nutzern akzeptiert erfolgreich zu steuern. Aus der Forschung werden, sondern auch zur Strategie des Unter- kommen auch agile Vorgehensmodelle für die nehmens passen. Bei Alexa sind alle drei Di- Entwicklung komplexer Softwareprojekte, de- mensionen der Machbarkeit, Erwünschtheit ren Umsetzung in der Praxis immer noch eine und Lebensfähigkeit erfüllt. Aufgabe ist. Nicht zuletzt steuert die Forschung neue KI-Algorithmen bei. Forscher können hier CW: Was sind realistische Erwartungen helfen, das Verständnis zu Einsatzmöglichkei- Foto: DFKI hinsichtlich Zeit, Budget und Teamstärke, ten und Grenzen eines bestimmten Algorithmus damit ein KI-Produkt entstehen kann? schnell in die Wirtschaft zu transferieren.
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