Leben zwischen Diskriminierung und Integration - Flüchtlinge in Schleswig-Holstein und der Welt: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein
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Nr. 61/62 winter 2012 Magazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein Flüchtlinge in Schleswig-Holstein und der Welt: Leben zwischen Diskriminierung und Integration www.frsh.de
Editorial Asyl-politisches Déjà-vu Sowohl im Bundesrat als auch im Bundestag sind die Anträge Serbische Studien belegen, dass Romakinder in Sonderschu- auf Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes abge- len mit einem Anteil von mehr als 30% deutlich überreprä- lehnt worden. Im Bundesrat hat die Abstimmung im Plenum sentiert sind. Die Europäische Kommission gegen Rassismus keine Mehrheit gefunden, da einige A-Länder die Antragstel- und Intoleranz (ECRI) stellt fest, dass die Mehrheit aller Roma ler aus Schleswig-Holstein, Brandenburg, Rheinland Pfalz in Serbien von Gelegenheitsjobs wie beispielsweise dem Sam- und Bremen hängen gelassen haben. In der Asyldebatte meln von Altmetall lebt und dass kaum Roma in staatlichen herrscht stattdessen Déjà-vu. Betrieben beschäftigt sind. Die Slums der serbischen Roma sind immer wieder polizeilichen Razzien unterworfen. Und Mal eben um 20 Jahre zurückdrehen will die Bundesregie- ganze Siedlungen werden zum Zweck der Vertreibung der rung die asylpolitische Uhr. Noch vor wenigen Monaten rea- Menschen planiert. gierte sie kleinlaut auf Anforderung des Bundesverfassungs- gerichts, die Unteilbarkeit der Menschenwürde durch eine Auch in Mazedonien leben Roma oft in abgeschiedenen Überarbeitung des Asylbewerberleistungsgesetzes zu erfüllen. Siedlungen, wo sie keinen oder nur beschränkten Zugang Der Bundesinnenminister legte inzwischen den Entwurf zu grundlegenden Diensten haben. Romakinder sind in Son- eines Gesetzespakets vor, das alten Wein in neue Schläuche derschulen ebenfalls überrepräsentiert. Bildungsaufklärung füllt. Mit populistischer Begründungsprosa polemisiert das für Eltern gibt es nicht. 70% aller Roma in Mazedonien sind BMI gleichzeitig von massenweisem Asylmissbrauch durch arbeitslos, eine Zahl deutlich über dem Landesdurchschnitt. Menschen aus Serbien und Mazedonien. Die Visafreiheit für Um die Gesundheit von Roma kümmert sich niemand, Serbien und Mazedonien gelte es zurückzunehmen. Die Redu- Zugang zu medizinischen Dienstleistungen ist faktisch nicht zierung der sozialen Versorgung und bundesweite Sachleis- vorhanden. tungspraxis soll durchgesetzt werden. „Asylantragsteller aus Herkunftsländern, die nicht für politische Verfolgung bekannt Derweil verbrennt Syrien. 440.000 registrierte Flüchtlinge sind, sollen eine geringere Unterstützung erhalten“, heisst es zählte das UNHCR Ende November allein in den Nachbar- da und lässt ahnen, dass sich längst nicht nur Balkanflücht- staaten der Arabischen Republik. Angesichts des internatio- linge im Fadenkreuz befinden. Mit ausgemusterten Soldaten nalen und Binnenflüchtlingsdramas fordert der schleswig- ist einstweilen ein Asylschnellverfahren für serbische Schutz- holsteinische Innenminister, von seinen Kollegen in Bund und suchende installiert, dessen Verfassungswidrigkeit billigend in Ländern weitgehend unbeachtet, im Sommer 2012 die ver- Kauf genommen wird. Diese kaum verholen vor allem gegen stärkte Aufnahme von syrischen Flüchtlingen. Die EU-Kom- Roma gerichteten Maßnahmen, mobilisieren offenbar kalku- missarin für Humanitäre Hilfe, Kristalina Georgieva, beteuert liert antiziganistische Ressentiments in der Bevölkerung. Mitte November gar, Deutschland habe ihr die Aufnahme von 5.000 syrischen Flüchtlingen versprochen. Bestätigen mag Der schleswig-holsteinische Innenminister rät derweil zur dieses Versprechen bis zum Redaktionsschluss dieses Heftes Gelassenheit. Von einem Missbrauch des Asylrechts zu spre- niemand. chen, sei leichtfertig und gefährlich, erklärt Andreas Breitner, um aber gleichzeitig zu betonen, dass Armut zu Hause keinen Nach einvernehmlicher Verlängerung des Syrien-Abschiebe Rechtsanspruch auf Asyl oder ein allgemeines Bleiberecht stopps bleiben Betroffene in Kettenduldungen gefangen. begründe. Allerdings ist im internationalen Flüchtlingsrecht Doch eigentlich stünde ihnen jetzt eine Aufenthaltserlaubnis und in der deutschen Rechtssprechung anerkannt, dass zu, beklagt Pro Asyl: „Das Gesetz ist an diesem Punkt eindeu- schwerwiegende Beeinträchtigungen sozialer, wirtschaftlicher tig und kann nicht nur zum Teil angewandt werden.“ Asylan- und kultureller Rechte bei der Asylgewährung zu berücksich- hörungen von syrischen Flüchtlingen werden erst einmal aus- tigen sind. gesetzt. Und das Rücknahmeabkommen, von Deutschland mit dem inzwischen gern als „verbrecherisch“ beschimpften Doch die Kassandrarufe von Pro Asyl und anderen Menschen- Assad-Regime 2008 abgeschlossen, bleibt unangetastet. Es rechtsorganisationen sind den meisten Medien allenfalls wird wohl das Vertragswerk sein, zu dem sich eine etwaige Fußnoten wert. Selbst die EU-Kommission stellt fest, dass es künftige Damaszener Regierung zunächst ohne wenn und nicht allein die Armut sei, die die Menschen austreibe. Roma aber zu bekennen hat, bevor nennenswerte deutsche Unter- in allen Balkanstaaten seien einer umfassenden Diskriminie- stützung fließt. rung und Ausgrenzung ausgesetzt: Kein Zugang zu Bildung und Ausbildung, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmarkt. Es leben circa 60% der geschätzt 450 000 Roma in Serbien Kiel, 3.12.2012 in unsicheren und unhygienischen Lebensverhältnissen; 30% gez. Martin Link haben keinen Zugang zu Trinkwasser; 70% keine Entsorgung von Müll und Abwässern. 2 · 12/2012 · Der Schlepper Nr. 61/62 · www.frsh.de
Inhalt Schleswig-Holstein Europa „Unser Leitsatz ist, Flüchtlings- und Resettlement in Dänemark Integrationspolitik zusammen zu denken“ Silke Nissen................................................................... 45 Martin Link.................................................................... 4 Kein blindes Vertrauen in die Sicherheit anderer „Willkommenskultur braucht Mitgliedsstaaten Willkommensstruktur“ Marei Pelzer................................................................. 48 Andreas breitner (Dokumentation)................................. 6 Dublin II-Flüchtlinge im Fadenkreuz der Aktionstag „refugee welcome“ Bundespolizei Andrea Dallek................................................................ 8 Martin Link.................................................................. 50 „... der gegenwärtige Bundesinnenminister steht Lampedusa - Kein sicherer Hafen uns auf den Füßen“ Judith Gleitze............................................................... 54 Interview mit Serpil Midyatli............................................ 9 Ungarn - Systemische Mängel im Aufnahme- und „... dass die Freiheit eines der höchstrangigen Asylsystem Verfassungsgüter ist“ Karl Kopp..................................................................... 56 Interview mit Burkhard Peters...................................... 11 Beratungsgremium für Frontex „Das Schlaueste bleibt, diese Haftanstalt aufzulösen Stefan Kessler............................................................... 59 Interview mit Lars Harms. ............................................. 13 Roma: Gedenken ohne Verantwortung? Abschiebungshaft gehört abgeschafft Andrea Dallek.............................................................. 60 Silke Nissen................................................................... 15 Malta: Der Wind hat sich verschärft Unterbringung von Flüchtlingen in Schleswig- Fanny Dethloff............................................................ 63 Holstein Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V......................... 18 Piraten: Die Abgehängten dieser Erde Susann Witt-Strahl..................................................... 64 klarSchiff bei lifeline Enno Schöning............................................................ 21 Familientrennung per Abschiebung integration Daniel Kummetz. .......................................................... 23 Paradigmenwechsel in der Integrationspolitik Martin Link.................................................................. 67 Fluchtursachen Weltweit Fairer Start ins Leben - für alle Medibüro...................................................................... 69 Flucht aus Syrien Susanne Schmitter........................................................ 24 Zuwanderung im ländlichen Raum Gudrun Kirchhoff. ...................................................... 70 Gaza: Demütiugen und erniedrigen Avram Noam Chomsky.................................................. 27 Erfolgreiche Integration – Was ist das eigentlich? Dirk Hauer................................................................... 73 Rassismus in Israel Martin Forberg............................................................ 30 Israel: Der Antisemitismus, über den man nicht Diskriminierung berichtet Amira Hass.................................................................... 34 Die Abwertung der Anderen Beate Küpper................................................................. 77 Iraq: Tausend Geschichten der Flucht Naurus Amin. ............................................................... 36 Antiislamische Vorbehalte Prof. Dr. em. Brun-Otto Bryde................................... 79 Weißrussland: Ein Land, das in Angst lebt Belaruska. .................................................................... 38 „Der nächste Schritt der Mohammedaner wird sein, Rendsburg ganz zu übernehmen“ Tunesien: Vergessen in der Wüste Martin Link.................................................................. 82 Sabine Schmidtke. ......................................................... 40 Türkei: Trotz Hungerstreit und Inhaftierung von JournalistInnen kaum Thema in deutschen Medien Arbeit und Bildung Astrid Willer................................................................ 43 Wer nützt, kann bleiben Astrid Willer / Johanna Boettcher.............................. 84 Nach Bleiben kommt Dasein Dr. Norbert Cyrus....................................................... 89 www.frsh.de · Der Schlepper Nr. 61/62 · 12/2012 · 3
Schleswig-Holstein „Unser Leitsatz ist, Flüchtlings- und Inte- grationspolitik zusammen zu denken“ Erste Zwischenbilanz der Flüchtlingspolitik der neuen Martin Link arbeitet beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. Landesregierung nach sechs Monaten „Viele Schritte in die „Schleswig-Holstein ist ein Landesregierung, ist die Aufgabe zuge- Einwanderungsland. Wir setzen auf sprochen worden, ein Konzept zur richtige Richtung!“ gesellschaftlichen Zusammenhalt und Interkulturellen Öffnung der Landes- und die Partizipation aller Menschen. Wir anderer Verwaltungen zu erarbeiten. Das So überschrieb der wollen diesen Menschen in Schleswig- aus VertreterInnen sämtlicher rele- Holstein ein Zuhause und eine Zukunft vanter Ministerien, Kommunalverbände, Flüchtlingsrat seine bieten. Unser Leitsatz ist, Flüchtlings- und Bildungsinstitutionen, der Presseerklärung zum Integrationspolitik zusammen zu denken.“ Wohlfahrtsverbände und von Diese im Koalitionsvertrag formulierte MigrantInnenorgansiationen zusammenge- frisch veröffentlichten Abkehr von einer Politik, die Flüchtlinge setzte Gremium hat sich die Erarbeitung bis dato aus der Integrationsförderung eines Grundsatzkonzeptes vorgenommen. Kieler Koalitionsvertrag weitgehend ausgrenzte, hat Dieses soll darauf abzielen, nicht nur die Innenminister Breitner am 14. September Notwendigkeit interkultureller Öffnung in am 4. Juni 2012. Ein bei seiner Grundsatzrede anlässlich einer der Einwanderungsgesellschaft, son- halbes Jahr danach vom Innenministerium und der LAG der dern auch den möglichen „Gewinn“ für freien Wohlfahrtsverbände gemeinsam effektives Verwaltungshandeln bewusst zu deuten sich Konkretionen organisierten Tagung nochmals ausdrück- machen. lich bestätigt (siehe Dokumentation zu den vielfältigen auf S. 6) Der inzwischen vom Kabinett Hinsichtlich des ständigen beschlossene Landeshaushalt 2013 deutet Konfliktthemas „Mitwirkungspflicht“ flüchtlings- und an, wo dieser Paradigmenwechsel kon- Betroffener an aufenthaltsbeen- integrationspolitischen kret werden soll. denden Maßnahmen kündigt der Koalitionsvertrag an, „wir werden den Ankündigungen der Um es gleich vorweg zu sagen: bundesgesetzlichen Ermessensspielraum Der Flüchtlingsrat wird die im ausschöpfen und gemeinsam mit neuen Landesregierung Koalitionsvertrag angekündigte institutio- dem Flüchtlingsbeauftragen und der an. nelle Förderung erhalten. Entsprechende Landesregierung ermessensleitende Mittel sind im Haushaltsentwurf ein- Hinweise erarbeiten.“ Darüber hinaus gestellt. Und wir freuen uns nicht nur kündigten die Koalitionäre im Sommer für uns, sondern auch für die Türkische an: „Per Erlass werden wir regeln, Gemeinde Schleswig-Holstein, die eben- dass Arbeitsverbote nicht mehr als falls institutionell gefördert werden soll. Sanktionsmittel verhängt werden dürfen.“ Inzwischen sind zu diesen Themen Auch sollen die im Haushaltsjahr 2012 Gespräche zwischen dem zustän- vollzogenen Kürzungen bei der Förderung digen Innenministerium und u.a. der der Migrationssozialberatungen ab 2013 AG Migration & Arbeit (Flüchtlingsrat zurückgenommen werden. SH, Landeszuwanderungsbeauftragter SH, Diakonie SH, Netzwerk Land in „Wir brauchen eine neue, akzeptie- Sicht!, IQ-Projekt access) aufgenom- rende Willkommenskultur, die sich auch men worden. Die Fachaufsicht verweist im konkreten Verwaltungshandeln wider- allerdings im Wesentlichen auf einen spiegelt.“ erklärt der Koalitionsvertrag. Erlass vom 10. März 2009 (siehe www. Dem Begleitausschuss zum Aktionsplan frsh.de) und sieht zeitnah keinen weiteren Integration, dem seit März 2012 Handlungsbedarf. bestehenden Integrationsbeirat der 4 · 12/2012 · Der Schlepper Nr. 61/62 · www.frsh.de
Schleswig-Holstein Hamburgs kommt den aus zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen „Wir brauchen eine neue, akzeptierende erhobenen Forderung nach einer großzü- gigen Ausgestaltung einer künftigen stich- Willkommenskultur, die sich auch im konkreten tagsunabhängigen Bleiberechtsregelung derzeit wohl am nächsten. Verwaltungshandeln widerspiegelt“, „Die Unterbringung von Asylsuchenden erklärt der Koalitionsvertrag ist zum Teil problematisch“, stellt der Koalitionsvertrag u. E. richtig fest. Genauer zur Bewertung des Status Quo angefragt, hat die Landesregierung inzwi- schen allerdings einen Bericht vorgelegt, der kaum geeignet ist, die Grundlagen für eine künftige humanitär angemessene Umsetzung der Wohnverpflichtung zu schaffen. Der Innen- und Rechtsausschuss „Gute Kenntnisse der deutschen dafür auch künftig – mangels besonderer hat das Thema zuletzt am 26. September Sprache sind der zentrale Schlüssel Widerstände – nicht minder intensiv die 2012 abgehakt. Inwieweit die Vorschläge für eine erfolgreiche Integration. Finanzen des Landes in Anspruch nehmen des Landesbeauftragten für Flüchtlings-, Auch für Menschen im Asylverfahren wird. Asyl- und Zuwanderungsfragen oder des und ohne sicheren Aufenthaltstitel ist Flüchtlingsrates zur Verbesserung der der Spracherwerb lebensnotwendig. Mit der Ankündigung „wir werden uns Unterbringungspolitik Berücksichtigung Wir werden daher die Sprach- und im Bundesrat für eine stichtagsunabhän- finden sollen, ist nicht bekannt. Unsere Integrationskurse für diese Menschen gige Bleiberechtsregelung mit realistischen Vorschläge (PE v. 27.9.2012 – www. öffnen“, verspricht der Koalitionsvertrag. Anforderungen für die Betroffenen frsh.de) behalten damit weiterhin Im Haushalt 2013 sind indes keine Mittel einsetzen“, greift die Landesregierung Forderungsqualität. eingeplant, die auf die Sprachförderung ein Projekt ihrer Vorgängerin auf. Der für Flüchtlinge abzielen. Laut Auskunft des Koalitionsvertrag verspricht, dass das zuständigen Innenministeriums soll hier „Bleiberecht eine deutlich humanitäre zunächst versucht werden, Bundesmittel Handschrift tragen und den Menschen in Anspruch zu nehmen, die ggf. schon eine verlässlichen Perspektive auf ein 2013 zu konkreten Angeboten führen dauerhaftes Aufenthaltsrecht bieten“ sollen. müsse. Inzwischen ist die Diskussion im Bundesrat weitergeführt worden, „Wir wollen einen Paradigmenwechsel andere Bundesländer haben mit eigenen in der Abschiebepolitik“, verspre- Vorschlägen die schleswig-holsteinische chen die Koalitionäre, und „wir halten Initiative sekundiert. Der Vorschlag Abschiebehaft grundsätzlich für eine unangemessene Maßnahme und werden uns deshalb auf Bundesebene für die Abschaffung der Abschiebehaft einset- Wahlrecht für abgeschlossene Wahlaktion als einen Auftakt, den Ausschluss von zen.“ Dafür brauche es allerdings einen längeren Atem, räumte Innenminister MigrantInnen Menschen wegen ihres Passes in Schleswig-Holstein weiterhin Breitner unlängst ein. Gegner Nr. 1 bei Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein öffentlich zu thematisieren. Eine diesem Projekt dürfte die Bundespolizei e. V. war Mitinitiator der Kampagne Möglichkeit dazu wird unter anderem sein. Für 28 Personen wurde zwi- „Jede Stimme zählt“, die im April die Kommunalwahl im Mai 2013 in schen Januar und September 2012 von 2012 eine symbolische Wahl für Schleswig-Holstein sein. schleswig-holsteinischen Kommunal- MigrantInnen organisiert hat. Das Das Ergebnis der Wahlkampagne und Landesbehörden erfolgreich Haft Ziel der Wahlkampagne war es auf „Jede Stimme zählt!“ 2012 in Kiel sieht beantragt. Dem steht die Zahl von das Demokratiedefizit aufmerksam wie folgt aus: gleichzeitig 192 Betroffenen gegenüber, zu machen. Denn die von der Wahl die auf Betreiben der Bundespolizei im ausgeschlossenen Menschen sind SPD: 40% Rendsburger Abschiebungsgefängnis ein- zwar von fast allen politischen CDU: 21% gesperrt worden sind. Der Bundespolizei Entscheidungen auf Bundes- oder LINKE: 13% sind landespolitische Paradigmenwechsel Landesebene direkt betroffen, Grüne: 12% offenbar egal. Sie erklärte u. a. dem von der politischen Partizipation FDP: 1% Landesbeirat für die Abschiebungshaft in durch Wahlen aber bleiben sie SSW: 0% Schleswig-Holstein gegenüber, dass sie ausgeschlossen. Ungültig: 13% keine Veranlassung sähe, künftig weniger Die VeranstalterInnen der Kampagne intensiv Abschiebungshaft zu beantragen. „Jede Stimme zählt!“ sehen die Mehr Informationen auf http://www. Zu erwarten ist, dass die Bundespolizei jedestimme2012.de. www.frsh.de · Der Schlepper Nr. 61/62 · 12/2012 · 5
Schleswig-Holstein Innenminister Andreas Breitner anlässlich der Fachtagung „Willkommens- kultur braucht Willkommensstruktur“ am 14. September 2012 in Kiel Dokumentation Sehr geehrter Herr Ernst-Basten, Neben allen schwierigen – vor allem Antrag für den Bundesrat vor, bei dem sehr geehrte Damen und Herren, finanziellen – Rahmenbedingungen, es im Kern darum geht, die betrof- in denen auch wir uns in den näch- fenen Personengruppen in die bereits als ich nach fast zehn Jahren wieder das sten Jahren bewegen müssen, gibt der bestehenden Leistungssysteme nach Innenministerium betrat, fiel mir Eines Koalitionsvertrag klare Vorgaben für unser den SGB zwei und zwölf einzubringen. sofort auf: Es gibt jetzt auf jeder Etage, auf gemeinsames politisches Handeln. Dabei jedem Flur und an jedem Kreuzungspunkt wird manches schneller umzusetzen sein, • Wir wollen die Sprach- und Wegeschilder. anderes wird die ganze Legislaturperiode Integrationskurse auch für Menschen brauchen: im Asylverfahren und ohne sicheren Auch wenn es einfache Schilder sind, Aufenthaltstitel öffnen. wurde mir eines ganz deutlich: Ich fühlte • Wir sind für den flächendeckenden mich, noch bevor ich einem Menschen Erhalt der Migrationssozialberatungen • Wir halten Abschiebehaft grund- dort begegnete, angesprochen und in Schleswig-Holstein. sätzlich für eine unangemessene Willkommen. Es ist für mich aber auch Maßnahme und wollen uns deshalb auf ein Sinnbild meiner Arbeit: Denn seit • Wir sind für eine Abschaffung des Bundesebene für die Abschaffung der der letzten Regierungsumbildung ist der Asylbewerberleistungsgesetzes. Im Abschiebehaft einsetzen. Innenminister in Schleswig- Holstein auch Moment bereiten wir gemeinsam mit wieder Integrationsminister. Und ich kann Rheinland-Pfalz einen entsprechenden Ihnen versichern: Die Integrationspolitik ist ein Schwerpunkt der Arbeit der neuen Landesregierung. Und ein wich- tiges Thema ist dabei das „Willkommen- SSW will Ausländer- lebender AusländerInnen von diesem demokratischen heißen“ von Zugewanderten. Natürlich wahlrecht erweitern Grundrecht ausgeschlossen. Um die beginnt unsere Integrationspolitik nicht Südschleswigscher Wählerverband Integration zu verbessern, müsse beim Punkt Null – jede Landesregierung auch die Möglichkeit der politischen baut auf den Leistungen der Vorgänger Pressemitteilung Nr. /2012 Mitgestaltung für AusländerInnen auf. Deshalb werden wir auch den von ausgeweitet werden, begründete der alten Regierung beschlossenen Husum, 15-09-2012 Landesvorstandsmitglied Christian Aktionsplan Integration als Grundlage Dirschauer den Resolutionsantrag. Alle in Schleswig-Holstein lebenden für eine gemeinsame Flüchtlings- und AusländerInnen sollen künftig ein „Es ist für einen modernen Integrationspolitik nutzen: Wahlrecht bei Kommunal- und demokratischen Staat unhaltbar, Landtagswahlen ausüben können. weiterhin einen größeren Teil der Das heißt: Wir werden ihn umset- zen und dort, wo es nötig ist, auch Das forderte der SSW auf seinem Bevölkerung davon abzuhalten weiterentwickeln. heutigen Landesparteitag in Husum. am demokratischen Prozess In seiner Resolution fordert der teilzunehmen“, so der Flensburger, Die Regierungskoalition von SPD, Wählerverband die Landesregierung der an diesem Punkt bereits im Bündnis90/ Die Grünen und SSW erkennt dazu auf, sich auf Bundesebene für Koalitionsvertrag mitgearbeitet hatte. ohne Umschweife und semantische eine entsprechende Änderung des Verbiegungen an, dass Schleswig-Holstein Ausländerwahlrechts einzusetzen. sich zu einem Einwanderungsland Per Dittrich, Pressesprecher entwickelt hat. Sie setzt daher auf Bisher dürfen nur hier wohnende gesellschaftlichen Zusammenhalt und AusländerInnen aus anderen EU- Schiffbrücke 42 die Teilhabe aller Menschen. Wir wollen Staaten ein Wahlrecht ausüben, und 24939 Flensburg diesen Menschen in Schleswig-Holstein das auch nur bei Kommunalwahlen. Tel. 0461/144 08 302 ein Zuhause und eine Zukunft bieten. Mobil 0152/0161 2276 Deshalb denken wir Flüchtlings- und Damit werde ein großer Teil seit per.dittrich@ssw.de Integrationspolitik zusammen. Das ist vielen Jahren in Schleswig-Holstein www.ssw.de unser Leitsatz - ohne Wenn und Aber! 6 · 12/2012 · Der Schlepper Nr. 61/62 · www.frsh.de
Schleswig-Holstein Organisation, in einem Unternehmen oder auch privat - sowie in gesellschaft- „Was zählt ist, dass Schleswig-Holstein für alle hier lichen Prozessen, muss sich aber auch in politischen Entscheidungen und struktu- lebenden Menschen gemeinsame Heimat ist. Unsere rellen Veränderungen niederschlagen. Zukunft heißt: Vielfalt macht stark!“ Sehr geehrte Damen und Herren, alle Menschen mit Migrations hintergrund sollen sich in Schleswig- Holstein willkommen und dazugehö- rig fühlen. Das ist ein Ziel, das viele Facetten der Lebensbedingungen in • Wer dauerhaft in Deutschland lebt, einbezieht - sowohl Neuzuwanderinnen Schleswig-Holstein umfasst, von den muss das Recht bekommen zu blei- und Neuzuwanderer als auch bereits Arbeitsbedingungen in den Betrieben ben. Wir werden uns im Bundesrat hier lebende Menschen mit und ohne über Bildungs-, Kinderbetreuungs- für eine stichtagsunabhängige Migrationshintergrund. und Freizeitangebote, die Bereiche Bleiberechtsregelung mit realistischen der öffentlichen Infrastruktur und die Anforderungen für die Betroffenen „Willkommenskultur“ braucht Gesundheitsversorgung bis hin zur einsetzen. Haltung. Auch wir Schleswig- gesellschaftlichen Partizipation. Für die HolsteinerInnen suchen gerne nach Verankerung einer Willkommens- und Zudem muss das Bleiberecht eine Unterschieden. Statt Schleswig-Holstein Anerkennungskultur ist die öffentliche deutlich humanitäre Handschrift sehen wir schnell „KielerInnen“, Verwaltung ebenso gefragt wie Wirtschaft tragen und den Menschen eine verläss- „LübeckerInnen“, „NordfriesInnen“ und Gesellschaft. lichen Perspektive auf ein dauerhaftes oder „FehmarnerInnen“. Befreien wir Aufenthaltsrecht bieten. uns von den trennenden Kategorien. Erfolgreich kann diese Willkommens- Machen wir bei Mitbürgerinnen und und Anerkennungskultur nur sein, wenn • Wir wollen eine Bundesratsinitiative Mitbürgern keine Unterschiede mehr sie von allen Menschen in Schleswig- auf Abschaffung des Optionszwanges zwischen Bodenständigen, Zugereisten Holstein gelebt wird. Eine gelebte und die Zulassung von Mehrstaatigkeit oder AusländerInnen. Was zählt, ist, dass Willkommenskultur ist das beste Rezept mit dem Ziel auf den Weg bringen, die Schleswig-Holstein für alle hier leben- für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Einbürgerungsquote zu erhöhen. den Menschen gemeinsame Heimat ist. Unsere Zukunft heißt: Vielfalt macht Damit schließe ich inhaltlich den Kreis Ein weiterer Punkt aus dem stark! zur heutigen Fachtagung. Denn wir Koalitionsvertrag findet sich inhaltlich in brauchen Modelle, um den Menschen Ihrer heutigen Fachtagung wieder: Es ist „Willkommenskultur“ macht auch zu helfen, mit Fremdheit umzugehen das Thema Willkommenskultur. Doch attraktiv. Deutschland ist längst nicht und gleichzeitig Mechanismen, den Koalitionsvertrag hin oder her: Eine nur Einwanderungsland. Es wandern Zuwanderern die Integration in die für sie Willkommenskultur in Schleswig-Holstein qualifizierte deutsche Fachkräfte neue Gesellschaft zu erleichtern. muss vor allem gelebt werden. Sie lässt ab, Zugewanderte kehren in ihre sich nicht auf Knopfdruck verordnen. Hier Herkunftsländer zurück. Oder kurz gesagt: Eine sind wir alle gefordert. Willkommenskultur braucht Aus verschiedenen Gründen sehen Willkommensstruktur. Denn „Willkommenskultur“ betrifft sie dort für sich bessere Perspektiven. alle. Sie steht für den Gedanken, dass Deutschland hat in den letzten 15 Jahren Sehr geehrte Damen und Herren, Integration, egal ob gesellschaftlich über eine halbe Million Staatsbürger oder arbeitsmarktbezogen, nicht nur mehr ins Ausland abgegeben als von ich wünsche mir daher, dass noch eine Leistung der Migrantinnen und dort Menschen zugewandert sind. mehr als bisher dieses Thema aufge- Migranten ist, sondern auch eine Aufgabe Wir sind angewiesen auf ausländische griffen wird und gemeinsam Ideen und der gesamten Gesellschaft, mit all ihren Fachkräfte. Aber Arbeitsplätze allein konkrete Schritte entwickelt werden. bereits in Schleswig-Holstein lebenden bringen niemanden nach Schleswig- Veranstaltungen wie der heutige Fachtag Menschen und ihren Institutionen. Holstein. Wir müssen als Gesellschaft sind auf diesem Weg ein notwendiger und zeigen, dass uns die Vielfalt, um die wir wirkungsvoller Baustein. Und „Willkommenskultur“ meint alle. werben, auch willkommen ist. Dazu Häufig wird der Begriff lediglich auf gehört, dass sich unsere Gesellschaft Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Neuzugewanderte angewendet. In einem weiter interkulturell öffnet: Von der Einwanderungsland wie Deutschland, das Verwaltung, über unsere Unternehmen seit vielen Jahrzehnten Migrantinnen und bis hin zu jedem Einzelnen – sei es als Migranten beheimatet, reicht dies aber Nachbar oder als Vereinsmitglied.“ Und nicht aus. Grundlage muss eine Kultur der schließlich: „Willkommenskultur“ braucht Anerkennung und Wertschätzung gesamt- Umsetzung. Willkommenskultur zeigt sich gesellschaftlicher Vielfalt sein, die alle in persönlichen Begegnungen - in einer www.frsh.de · Der Schlepper Nr. 61 · 12/2012 · 7
Schleswig-Holstein Aktionstag „refugees welcome“ Solidarität mit Flüchtlingen Andrea Dallek ist Mitarbeiterin beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein auf die Straße tragen Unter dem Motto Der Aktionstag fand im Rahmen In der Mitte des Aktionstages, ab der Interkulturellen Wochen 2012 in etwa 13 Uhr, beteiligten sich ca. 150 „refugees welcome Kiel statt. Zum 20jährigen Jubiläum Personen an einer Demonstration durch der Interkulturellen Wochen war das die Kieler Innenstadt. Mit verschie- – Solidarität mit Hauptthema „Flüchtlinge“, wie seiner- denen Transparenten sowie Parolen zeit auch bei den ersten Interkulturellen und kurzen Redebeiträgen wurden Flüchtlingen auf Wochen in Kiel. Eine Vielzahl von Forderungen nach einem bedingungs- die Straße tragen“ Veranstaltungen wurden von unterschied- losen Bleiberecht und sozialer Teilhabe lichen kirchlichen und nicht kirchlichen von Flüchtlingen auf die Straße getragen. haben verschiedene Organisationen, Einrichtungen und Die Teilnehmenden protestierten damit Gruppen organisiert. u. a. gegen die isolierte Unterbringung in antirassistische Unterkünften, Verbote, Abschiebungshaft Der Aktionstag begann um 11 und das Hin- und Herschieben von Organisationen und Uhr auf dem Europaplatz mit Flüchtlingen innerhalb Europas. Die Gruppen am 22. Informationsständen, vielen Gesprächen Kritik richtete sich gegen die europä- sowie Kaffee und Kuchen. Zum ische und deutsche Flüchtlingspolitik, September 2012 zum Beispiel informierte das Medibüro ein wenig Hoffnung gab es durch den Kiel über die fehlende medizinische Koalitionsvertrag auf Änderungen auf Aktionstag nach Kiel Versorgung von Personen ohne Papiere, Landesebene. Hier werde sich zeigen, die ZBBS, der Flüchtlingsrat und der ob den Versprechungen und Beschlüssen eingeladen. Vormundschaftsverein lifeline beant- auch entsprechende Taten folgen. Der worteten Fragen zu Situation von Ausgrenzung setzen die VeranstalterInnen Flüchtlingen, die Rosa-Luxemburg-Stiftung Solidarität entgegen und forderten grund- informierte über ihr Bildungsprogramm. legende Änderungen der Flüchtlingspolitik Viele weitere Stände und Gruppen waren und Aufenthaltsgesetzgebung. anwesend. Die VeranstalterInnen bewerteten Durch ein buntes kulturelles Programm den Aktionstag rückblickend als Erfolg. wurde auf die prekäre Situation von Es haben sich viele Menschen mit Flüchtlingen öffentlich hingewiesen. Einer eigener Fluchterfahrung beteiligt, viele Straßentheatergruppe aus Rendsburg Interessierte konnten sich in längeren involvierte spontan viele Personen und Gesprächen informieren und sehr viele stellte sehr bildlich die Abschottung einkaufende Personen nahmen Flugblätter gegenüber Flüchtlingen dar. Große und Informationsblätter gern entgegen. Aufmerksamkeit erlangte auch ein kurzer Auftritt der Neumünsteraner Band „The Rush“. Sehr eindrücklich stellte ein Mitglied der Hamburger Asylmonologe mit musikalischer Begleitung einzelne Erfahrungsberichte von Flüchtlingen dar. Einen ruhigeren Abschluss fand das Kulturprogramm mit dem Auftritt der Irish Folk Band Sominka. 8 · 12/2012 · Der Schlepper Nr. 61/62 · www.frsh.de
Schleswig-Holstein „... der gegenwärtige Bundesinnenminister steht uns auf den Füßen“ Reinhard Pohl ist Mitglied im Flücht- lingsrat Schleswig-Holstein und hat für das Magazin „Der Schlepper“ drei Land- Interview mit Serpil Midyatli, tagsabgeordnete zur Abschiebungshaft befragt. Landtagsabgeordnete der SPD, zur Abschiebungshaft Der Schlepper: Ihr habt im Programm Abschiebung in ein anderes europäisches und im Koalitionsvertrag zwei Punkte Land festgehalten werden, und es ist stehen: Abschaffung der Abschiebehaft nun mal vom äußeren Eindruck her ein und Hafterleichterungen in Rendsburg. Gefängnis. Wir wollen also im ersten In welchem Verhältnis stehen diese Schritt diese Anstalt so offen wie möglich beiden Pläne zueinander? Wenn man die nach innen machen. Nach außen muss Abschiebehaft abschafft, muss man ja sie geschlossen bleiben, das geht im nichts erleichtern. Moment nach den Gesetzen nicht anders. Es gab ja Gespräche dazu, auch mit dem Serpil Midyatli: Ja, das stimmt. Die Flüchtlingsrat, auch mit der Diakonie, und SPD-Fraktion hatte ja schon in der letzten es gibt eine Sammlung von Möglichkeiten, Legislaturperiode einen Antrag gestellt den Zustand zu verbessern. zur Schließung der Abschiebehaftanstalt. Es ist logisch, dass wir das in den Der Schlepper: Sind für Dich Koalitionsverhandlungen mit auf den auch getrennte Lösungen vorstell- Tisch gepackt haben. Wir wollen die bar? Es gibt ja Abschiebehäftlinge von Haftanstalt schließen. Dass das nicht den Ausländerbehörden, und es gibt so schnell und einfach geht, ist allen Abschiebehäftlinge, die als Durchreisende Fachleuten und Experten ja bekannt. Es von der Bundespolizei festgenommen handelt sich um eine EU-Richtlinie, aber wurden. Ist es für Dich vorstellbar, Foto: Reinhard Pohl die Abschaffung ist unser Ziel, für die erst einmal nur für einen Bereich die wir auch auf Bundesebene Mehrheiten Abschiebehaft abzuschaffen? schaffen wollen. Die Fraktion ist im Moment dabei ganz genau zu schauen, Serpil Midyatli: So weit sind wir wie es die anderen EU-Länder machen, noch gar nicht. Wir sehen uns noch die welche anderen Möglichkeiten gibt es, verschiedenen Möglichkeiten an. Bei den Serpil Midyatli gehört denn die anderen Länder setzen ja die Ausländerbehörden ist es so, dass längst gleiche EU-Richtlinie um. Wenn andere nicht alle, die abgeschoben werden, dem Landtag seit Länder das anders machen, wäre es für auch in Abschiebehaft kommen. Es 2009 an. Die SPD uns ein guter Ansatzpunkt für eine andere geht ja auch anders. Es gibt Gespräche, Regelung auf Bundesebene. und viele reisen auch alleine aus, damit verfügt aktuell über sie später auch legal wieder einreisen Da das ein langer Weg ist und wir können. Für die meisten funktioniert 22 Abgeordnete dafür auch Mehrheiten brauchen, wollen ja jetzt schon die Abschiebung, wenn und ist die stärkste wir schon jetzt etwas tun. In Rendsburg es denn sein muss, ohne dass sie in werden ja Menschen festgehalten, die Abschiebehaft genommen werden. Ich Regierungsfraktion. nichts verbrochen haben. Die meisten kann mir vorstellen, dass es hier noch Menschen in Abschiebehaft befinden mehr Möglichkeiten gibt. Ich habe mit Serpil Midyatli ist sich auf der Durchreise, sie werden dem ehemaligen Flüchtlingsbeauftragten nach der Dublin-II-Verordnung gar nicht Wulf Jöhnk intensiv diskutiert, er geht von stellvertretende in ihre Herkunftsländer abgeschoben, sieben bis acht Personen pro Jahr aus, bei Fraktionsvorsitzende sondern sollen in ein anderes europä- denen ohne Haft eine Abschiebung nicht isches Land. Daher fragen wir schon mal möglich wäre. Und da könnte ich mir und Sprecherin für nach dem Sinn der Haftanstalt, wenn vorstellen, dass man diese Menschen auch über 85 Prozent der Menschen nur zur in der Landesunterkunft in Neumünster Integration. www.frsh.de · Der Schlepper Nr. 61 · 12/2012 · 9
Schleswig-Holstein unterbringen könnte. Das sind aber bis zen sind. Da hat das Justizministerium Der Schlepper: Ihr wollt ja als Ziel jetzt nur Diskussionen und Überlegungen, jetzt geguckt, was geht und was nicht die Abschiebehaft komplett abschaf- es gibt noch keine Entscheidungen. geht. Und diese Gespräche, auch mit der fen. Befürworter der Abschiebehaft Wir wollen auch auf die ausgearbeitete Leitung der Einrichtung in Rendsburg, sagen, wenn man Grenzen hat, wenn Übersicht aus den anderen europäischen verlaufen sehr, sehr positiv. Die Leitung man ein Aufenthaltsrecht hat, wenn der Ländern warten, weil es da vielleicht noch ist sehr kooperativ und hat schon gesagt, Staat entscheidet wer bleiben darf und ganz andere Modelle gibt, die wir mit dass sie sich viele Erleichterungen gut wer nicht bleiben darf, braucht man in diskutieren wollen. Die Fußfessel, auch vorstellen kann. Das Hauptproblem letzter Konsequenz auch die Mittel das das wird ja diskutiert, wollen wir nicht, ist wie in anderen Gefängnissen der durchzusetzen. Verzichtest Du mit der das kann ich jetzt schon sagen. Denn auch Personalmangel. Einiges kann mit dem Abschiebehaft nicht auch auf das Mittel, die Fußfessel macht krank. Es gibt Studien vorhandenen Personal nicht umgesetzt eine Ausreiseaufforderung durchzusetzen? dazu, die zeigen psychische Verletzungen werden, und ich weiß noch nicht, wo bei den Betroffenen. Das ist definitiv wir an anderer Stelle Personal einsparen Serpil Midyatli: Wenn man dieje- keine Möglichkeit, die ich meiner Fraktion können, um es in dieser Anstalt einzu- nigen, die sich der Abschiebung mit vorschlagen werde. setzen. Es ist eine Mammutaufgabe zu allen Mitteln widersetzen, später in der prüfen, wie wir so viel Hafterleichterung Landesunterkunft unterbringt und sie das Der Schlepper: Die Abschiebehaft wie möglich hinbekommen, ohne dass uns nutzen, um unterzutauchen – das ist das einrichtung in Rendsburg heißt ja aus- die finanzielle Lage im Wege steht. Risiko, was man dann eben tragen muss. drücklich nicht „Gefängnis“, sondern Aber schon jetzt ist es ja so, dass die mei- „Einrichtung“. Organisatorisch ist Der Schlepper: Kannst Du einige der sten Menschen, die abgeschoben werden, es aber eine Außenstelle des Kieler Punkte von der Liste nennen? gar nicht in Abschiebehaft genommen Gefängnisses, der Justizvollzugsanstalt. werden. Es funktioniert ja bei der großen Wenn es anders organisiert werden soll Serpil Midyatli: Es geht zum Beispiel Mehrheit ohne Haft. als ein Gefängnis, wäre es dann nicht um das Persönliche, also zum Beispiel logisch, es in eine andere Trägerschaft zu die Möglichkeit, ein Handy zu besit- Der Schlepper: Gibt es schon einen geben? Könnte es auch eine Außenstelle zen. Das wird wohl umgesetzt, so dass konkreten Zeitplan? Bis wann sollen die der Landesunterkunft für Flüchtlinge in sie jederzeit Kontakt zu Angehörigen Hafterleichterungen eingeführt sein, Neumünster sein? aufnehmen können. Dann geht es darum, in welchem Zeitrahmen wollt Ihr die sich eigene Mahlzeiten zuzubereiten. Bundesgesetzgebung verändern? Serpil Midyatli: Für die Abschiebungen Da gibt es schon Pläne zu Räumen und Serpil Midyatli: Zu den Hafterleichte selbst ist ja das Innenministerium zustän- Kosten, es gibt auch Modelle aus anderen rungen habe ich bei den Gesprächen mit dig. Für die Abschiebehaftanstalt ist Bundesländern. Dann geht es um das dem Justizministerium vertreten, dass das Justizministerium zuständig. Das Recht auf eigene Kleidung, dass sie diese das schnell gehen kann, weil man es mit erschwert unsere Arbeit ein wenig, weil Jogginganzüge und die Schlappen nicht Erlassen regeln kann. Ich hoffe, dass wir wir es eben mit zwei Institutionen zu mehr tragen müssen. Dann geht es um noch dieses Jahr Entscheidungen haben, tun haben. Ich denke schon, es könnte die Einschlusszeiten über Mittag, also und dann sollte der Erlass schnell kommen. eine richtige Schlussfolgerung sein: Wenn die Möglichkeit, auch gemeinsam Mittag Ich hoffe also, dass wir das in den ersten wir die Menschen nicht mehr einschlie- zu essen. Das hat zum Beispiel auch mit Monaten des Jahres 2013 umgesetzt ßen, muss die Einrichtung auch nicht Personal und Personalkosten zu tun. Aber haben. Es ist einer der prägnantesten im Justizministerium angesiedelt sein. wenn wir schon den Nachteinschluss Punkte in unseren integrationspolitischen Es kommt darauf an, welche Form die nicht weg bekommen, der wird wohl blei- Vorstellungen, die im Koalitionsvertrag als Einrichtung später hat, danach entschei- ben müssen, dann sollten wir es zumin- „Willkommenskultur“ bezeichnet werden, det sich dann, wo sie angesiedelt ist. Ich dest schaffen, diesen Einschluss am Tag es gehört zum Paradigmenwechsel in der habe aber nicht den Eindruck, dass solch abzuschaffen. Außer dem Nachteinschluss Flüchtlingspolitik, und da muss jetzt schnell ein Wechsel ein Problem ist. Ich glaube ist es schwierig mit den Vorschlägen, geliefert werden. Da spielt niemand auf zum Beispiel, dass das Justizministerium zusätzliche Freizeitaktivitäten anzubie- Zeit, es ist einer der ersten Punkte, die wir nicht traurig sein wird, wenn es dafür ten. Das ist auch räumlich schwierig, es in der Koalition konkret umsetzen. Einen nicht mehr zuständig ist. ist ja nun mal ein alten Gefängnis. Und Zeitplan für die Schließung der Einrichtung wenn wir diese Anstalt letztlich schließen gibt es noch nicht. Das Innenministerium Der Schlepper: Es ist ja auch die Frage: wollen, können wir jetzt nicht Millionen in arbeitet mit an einer Übersicht, welche Wie sind die Leute ausgebildet, die dort einen Umbau stecken. Möglichkeiten es innerhalb der gültigen arbeiten? Jetzt sind sie ausgebildet, in EU-Richtlinie gibt. Wir gucken parallel einem Gefängnis zu arbeiten. Kann das Ein wichtiger Punkt ist die Verbesserung auch nach den Möglichkeiten und nach den auch ein Hindernis für Veränderungen der Gesundheitsversorgung. Da sind wir Erfahrungen in den anderen EU-Ländern. sein, wenn die Leute nicht für eine andere ganz stark dran. Und da gibt es für mich Da wir da auch eine Bundesregelung finden Einrichtung ausgebildet sind? auch nicht das Argument der finanziellen müssen, kann ich keinen Zeitplan sagen. Knappheit: Die Menschen dort müssen Es wird keine schleswig-holsteinische Serpil Midyatli: Das ist für mich medizinisch vernünftig versorgt werden. Regelung geben, und der gegenwärtige schwer zu beantworten. Wir haben dem Die Achtung der menschlichen Würde Bundesinnenminister steht uns auf den Justizministerium jetzt zehn oder zwölf darf keine Finanzfrage sein. Füßen. Punkte gegeben und sie beauftragt zu prüfen, ob diese Forderungen umzuset- 10 · 12/2012 · Der Schlepper Nr. 61/62 · www.frsh.de
Schleswig-Holstein „...dass die Freiheit eines der höchstrangigen Verfassungsgüter ist“ Interview mit Burkhard Peters, Reinhard Pohl ist Mitglied im Flücht- lingsrat Schleswig-Holstein und hat für Landtagsabgeordneter der GRÜNEN, das Magazin „Der Schlepper“ drei Land- tagsabgeordnete zur Abschiebungshaft zur Abschiebungshaft befragt. Burkhard Peters ist Der Schlepper: Was ist denn aus Deiner Sicht oder Rechtsanwalt und grüner Sicht die Priorität? Soll die Abschiebehaft vordring- wurde im Mai 2012 in lich ganz abgeschafft werden, oder konzentriert man sich den Landtag gewählt. auf das, was im eigenen Die Fraktion von Zuständigkeitsbereich liegt? Bündnis 90 / Die Grünen Burkhard Peters: Im Interesse der betroffenen hat 10 Abgeordnete, Personen halte ich es für dringend erforderlich, sich Burkhard Peters ist unter zunächst auf die hiesigen anderem Sprecher für Verhältnisse zu konzentrie- ren und auf das, was wir Flüchtlingspolitik. im Lande machen können. Denn das Problem der Der Schlepper: Im Koalitionsvertrag gesetzlichen Abschaffung der ist einerseits gesagt worden, dass die Abschiebehaft ist ein ganz Abschiebehaft insgesamt abgeschafft dickes Brett, da müssen viele werden soll. Andererseits ist gesagt Akteure einbezogen werden. worden, das Gefängnis in Rendsburg Unter den gegenwärtigen abgeschafft, humanisiert, durch eine Mehrheitsverhältnissen auf Foto: Reinhard Pohl andere Einrichtung ersetzt werden. In Bundesebene sehe ich dafür überhaupt welchem Verhältnis stehen die beiden keine Chance. Das wäre aus meiner Burkhard Peters: Auch das ist wieder Forderungen zueinander? Wenn die Sicht ein Projekt, das möglicherweise ein Zuständigkeitsproblem. Für diese Abschiebehaft insgesamt abgeschafft wird, erst nach einer für rot-grün erfolgreichen Dublin-II-Fälle sind die Antragsteller die erledigt sich der andere Punkt ja von Bundestagswahl im nächsten Jahr ange- Bundespolizei und das CSU-geführte selbst. gangen werden kann. Bundesinnenministerium hat über diese Verfahren die Herrschaft. Auch da können Burkhard Peters: Die Differenzierung Der Schlepper: Jetzt gibt es bei der wir auf Landesebene wieder sehr schwer ergibt sich aus der Zuständigkeit für Zusammensetzung der Insassen eine Einfluss nehmen. Wir können auf unsere die verschiedenen Forderungen. Die ganz entscheidende Veränderung. Als Ausländerbehörden Einfluss nehmen im Abschaffung der Abschiebehaft insgesamt das Gefängnis vor 10 Jahren eingerich- Bereich der Antragstellung, und es hat ist nicht möglich auf dem Wege eines tet wurde, waren es Abschiebefälle der sich in der letzten Zeit schon erwiesen, Landesgesetzes, sondern ist nur bundes- örtlichen Ausländerbehörden. Jetzt sind dass eine zurückhaltende Handhabung gesetzlich zu regeln. Das müsste also im es zu mehr als zwei Dritteln Hin- und der Abschiebehaft durch die hiesigen Bundestag und Bundesrat geschehen. Herschiebungen des Dublin-II-Systems. Es Ausländerbehörden durchaus praktiziert Deshalb ist im Koalitionsvertrag auch eine sind Flüchtlinge, die „nur“ in ein anderes wird, so dass wir vor allen Dingen die Bundesratsinitiative auf Abschaffung der europäisches Land sollen. Wie soll damit leidigen Dublin-II-Fälle haben. Und dort Abschiebehaft vereinbart worden. Auf umgegangen werden? Ist es aus Deiner ist es so, dass auf Seiten der Bundespolizei Landesebene wäre es allerdings möglich, Sicht vielleicht möglich, die Abschiebehaft überhaupt keine Bereitschaft besteht, in einfach kein Abschiebegefängnis mehr für Dublin-II-Fälle getrennt vom Rest der irgendeiner Weise zu kooperieren und vorzuhalten, sondern die Abschiebungen Diskussion abzuschaffen? von diesem Instrument zurückhaltender durch andere, mildere Mittel zu sichern. www.frsh.de · Der Schlepper Nr. 61/62 · 12/2012 · 11
Schleswig-Holstein Gebrauch zu machen. Ich denke, dass eines demokratischen Verfassungsstaates und viele andere Erleichterungen mehr. Herr Innenminister Breitner schon versu- einfach nicht würdig. Deswegen bleibe ich In diesem Bereich sind Entscheidungen chen sollte, in der Innenministerkonferenz dabei, dass unter dem Gesichtspunkt der schon getroffen worden, das oder über den Bundesinnenminister Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns Justizministerium hat uns berichtet, dass Einfluss zu nehmen. Aber davon kann man das Institut der Abschiebehaft insgesamt mit der Gefängnisleitung weitestgehend sich nicht allzuviel versprechen. nicht akzeptabel ist. unsere Forderungen besprochen worden sind und auch erfüllt werden. Der Schlepper: Jetzt heißt das Der Schlepper: Jetzt plant Ihr ja, die Gefängnis in Rendsburg offiziell Haft in Rendsburg zu erleichtern. Ihr Der Schlepper: Gibt es auf Seiten Abschiebehafteinrichtung. Es sollte ja diskutiert den Ersatz durch eine andere der Grünen auch Überlegungen, auch kein Gefängnis sein, es geht ja nicht Einrichtung oder andere Einrichtungen. Hafterleichterungen durch Zuordnung um Strafhaft. Es ist aber organisatorisch Besteht nicht die Gefahr, wenn man die eines Rechtsanwalts umzusetzen? eine Außenstelle des Gefängnisses in Kiel. Haftbedingungen ausreichend erleichtert Wenn Ihr plant, die Haftbedingungen zu hat, dass die Koalition eines Tages sagt: Burkhard Peters: Das halten wir für verändern, zu humanisieren, ist es dann Die Abschaffung der Abschiebehaft gelingt eine sinnvolle Forderung. Wie gesagt, nicht sinnvoll, dass die ganze Einrichtung sowieso nicht, also sind wir jetzt mit der die Haftanordnung ist ein erheblicher in eine andere Zuständigkeit kommt? Humanisierung zufrieden? Eingriff in das Freiheitsrecht, und es gibt Es könnte ja auch eine Außenstelle der andere rechtliche Bereiche, wo dieser Landesunterkunft in Neumünster werden. Burkhard Peters: Ich denke, dass schwerwiegende Eingriff daran geknüpft gerade wir als Grüne immer dahinter wird, dass zum Beispiel zwingend ein Burkhard Peters: Das halten wir für her sein müssen, dass die Erleichterung Pflichtverteidiger beigeordnet wird unbedingt erstrebenswert. Denn solange der Haftbedingungen nicht das Endziel oder ein Verfahrensbevollmächtigter. Es die Abschiebehaftanstalt unter dem sein darf, sondern dass die Abschiebehaft muss nicht unbedingt ein Rechtsanwalt Regime des Justizministeriums und damit als Rechtsinstitut insgesamt abgeschafft sein, es kann auch eine Person sein aus dem Regime der Gefängnisverwaltung gehört. Es muss immer im Kopf bleiben, dem Bereich der Migrationsberatung steht, wird es auch immer gefängnis- dass dies auf Bundesebene das Ziel ist, auf mit besonderen Kenntnissen, um der ähnliche Strukturen geben, es wird immer das wir und alle anderen Akteure hinar- betroffenen Person helfen zu können eine gefängnis-mäßige Denkart bei der beiten wollen. und Haftalternativen frühzeitig aufzeigen Behandlung des Problems vorherrschen. zu können. Wichtig ist nur, dass diese Das liegt einfach in der Natur der Sache Der Schlepper: Welche Maßnahmen Beratung bereits vor der ersten Anhörung und der handelnden Personen. Es wäre sind jetzt konkret geplant? Kannst durch das Amtsgericht ermöglicht wird. schon ein großer Gewinn, wenn es aus Du, auch wenn die Grünen nicht der diesem Regime ausgelagert wird. größte Koalitionspartner sind, für die Der Schlepper: Jetzt habt Ihr einerseits Humanisierung der Haft, die neue vor, die Haft zu erleichtern. Andererseits Der Schlepper: Jetzt sagen Einrichtung und die Abschaffung der ist auch die Rede davon, diese Einrichtung Befürworter der Abschiebehaft: Wenn es Abschiebehaft irgendwelche Zeitpläne zu schließen und durch etwas anderes zu Grenzen gibt, Grenzkontrollen, Visa, ein beschreiben? ersetzen. Gibt es da schon konkretere Aufenthaltsrecht, das den Aufenthalt auch Vorstellungen? beschränkt und beendet, muss es auch Burkhard Peters: Grundsätzlich ist es in letzter Konsequenz ein Zwangsmittel so, dass zwischen den Koalitionspartnern Burkhard Peters: Nein, da gibt geben, die Aufenthaltsbeendigung durch- im Punkt Abschiebehaft große Einigkeit es bisher noch keine konkreteren zusetzen. Und wenn jemand untertaucht, besteht. Es muss was passieren, und das Vorstellungen. Ich weiß aber, dass im muss es danach auch möglich sein, ihn in Institut der Abschiebehaft muss insge- Bereich der Diakonie und des Jesuit Haft zu nehmen, wenn es denn gelingt. samt abgewickelt werden. Von daher Refugee Service Europe verschiedene Wenn die Abschiebehaft abgeschafft haben wir als Grüne nicht die Rolle, und sehr konkrete Vorstellungen entwi- wird, was sagst Du den Befürwortern eine besonders radikale Position einzu- ckelt worden sind, die Alternativen zur von Grenzkontrollen, wozu gibt es nehmen. Der Zeitplan im Hinblick auf gängigen Abschiebehaftpraxis darstellen. dann noch Einreisebestimmungen und eine Bundesratsinitiative ist allerdings Auch im europäischen Vergleich hinkt Aufenthaltsbestimmungen? schwer vorauszusagen. Wir sollten das in Deutschland hinterher. Dies muss inner- Abstimmung mit anderen Bundesländern halb der Koalition dringend abgesprochen Burkhard Peters: Dem kann ich bald auf den Weg bringen. Es ist aber werden, um hier in Schleswig-Holstein immer nur entgegensetzen, dass die schwer abzuschätzen, ob und wann ein entsprechende Projekte auf die Beine zu Freiheit eines der höchstrangigen Erfolg eintreten wir, weil es wie gesagt auf stellen. Verfassungsgüter ist, die wir über- geänderte Mehrheiten auf Bundesebene haupt kennen. Der Staat darf in dieses ankommen wird. Was wir hier in Grundrecht der Freiheit nur unter extrem Schleswig-Holstein als erstes machen eingeschränkten Bedingungen eingreifen. können ist, die konkreten Haftbedingen Die Unverhältnismäßigkeit zwischen dem der Menschen in Rendsburg zu erleich- vorgeworfenen Verstoß gegen auslän- tern, ihnen zum Beispiel die Benutzung derrechtlichen Verwaltungsvorschriften eines Handys zu ermöglichen, dass sie und der Folge einer im Einzelfall mehr als ihre eigene Kleidung behalten können, sechs Monate möglichen Inhaftierung ist sich selber Essen zuzubereiten können 12 · 12/2012 · Der Schlepper Nr. 61/62 · www.frsh.de
Schleswig-Holstein „Das Schlaueste bleibt, diese Haftanstalt aufzulösen.“ Reinhard Pohl ist Mitglied im Flücht- Interview mit Lars Harms, lingsrat Schleswig-Holstein und hat für das Magazin „Der Schlepper“ drei Land- Landtagsabgeordneter des SSW, tagsabgeordnete zur Abschiebungshaft befragt. zur Abschiebungshaft Lars Harms ist Vorsitzender günstigere Variante. Und wenn man so finanzielle Mittel freisetzt, kann man sie des SSW im Landtag. Die auch nutzen, um Integrationsleistungen für diese Menschen zu erbringen. Denn Gruppe besteht aus drei nicht jeder, der in Abschiebehaft ist, muss auch abgeschoben werden. Es ist ein Abgeordneten. Gutteil von Menschen dabei, die hier auch eine Perspektive haben sollten. Der Schlepper: Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, sich für die Abschaffung Der Schlepper: Was ist denn aus Sicht der Abschiebehaft einzusetzen und die des SSW die Priorität: Abschiebehaft Abschiebehafteinrichtung in Rendsburg humaner gestalten? Oder Abschiebehaft abzuschaffen. Das sind ja zwei ver- ganz abschaffen? Foto: SSW schiedene Fragen. Wie wollt Ihr im Landesrecht weitermachen? Wie wollt Ihr Lars Harms: Ganz eindeutig: haben, die wir für unsere Gesellschaft und im Bundesrecht weitermachen? Gibt es Abschiebehaft abschaffen. Es gibt immer unseren Arbeitsmarkt nützen können und da Absprachen, in welchem Zeitraum Ihr noch eine rechtliche Grundlage, die sagt: die wir brauchen. Euch um welches Thema kümmern wollt? Politische Flüchtlinge werden aufge- nommen, alle anderen müssen zurück Der Schlepper: Jetzt sagen die Lars Harms: Erst mal haben wir gehen. Das ist der Grundsatz, von dem Jahresberichte des Beirates für jetzt versucht, die Situation in der wir glücklicherweise viele Ausnahmen die Abschiebehaft, dass sich die Abschiebehaft in Rendsburg zu erleich- machen. Ich bin der Auffassung, dass es Zusammensetzung der Abschiebehäftlinge tern. Das ist der erste Schritt, den wir so sein muss, dass die Leute, die her- in den vergangenen Jahren entscheidend gemacht haben. Der zweite Schritt ist, kommen und von denen wir wissen, verändert hat. Als die Anstalt eingerich- dass wir uns jetzt überlegen müssen, dass sie in absehbarer Zeit nicht in ihre tet wurde, saßen dort Leute ein, die von wie wir bundespolitisch vorgehen. Das Heimatländer zurück können, und dass den einzelnen Ausländerbehörden in ist ja nicht losgelöst voneinander. Eine sind ja nicht nur Leute, die formal von Schleswig-Holstein abgeschoben werden Überlegung ist, neue Räumlichkeiten zu ihrem Staat politisch verfolgt werden, sollten. Jetzt sind es zu mehr als zwei schaffen, von außen nach innen offen, sondern das sind auch Leute, die zum Dritteln Leute, die ein Asylverfahren aber von innen nach außen entsprechend Beispiel unter religiöser Diskriminierung in einem anderen Mitgliedsland des der derzeitigen Gesetzeslage geschlos- zu leiden haben, die aufgrund der Schengener Abkommens haben. Sie sen. Da müsste man aber gucken, ob Angehörigkeit zu einer bestimmt werden nur innerhalb Europas hin- und es Gebäude gibt, die für solch eine Volksgruppe keine Perspektiven zu Hause hergeschoben. Deutschland macht es Einrichtung geeignet sind. Eine zweite haben, dass wir denen frühzeitig, wirklich mit Abschiebehaft, andere Länder geben Möglichkeit wäre es, die betroffenen so früh wie möglich Integrationsleistungen schlicht einen Bescheid und setzen Menschen dezentral unterzubringen. anbieten und es ihnen ermöglichen, sich eine Frist, selbst ins zuständige Land Es sind ja nicht so viele Menschen, hier in unserer Gesellschaft zurecht zu für das Asyl zurück zu kehren. Ist diese wenn man es mit der Gesamt-Migration finden. Wir müssen ihnen insbesondere Veränderung nicht auch ein Grund, überhaupt vergleicht. Gesetzlich ist eben ermöglichen, Deutschkurse zu belegen, die Anstalt in Schleswig-Holstein zu immer noch vorgeschrieben, dass man damit sie hier am Arbeitsmarkt und in der schließen? die Menschen so unterbringt, dass man Gesellschaft Fuß fassen können. Unsere sie abschieben kann. Aber solch eine Einstellung ist ganz eindeutig: Wir wollen Lars Harms: Deswegen haben wir Unterbringung ist auch möglich, wenn diese Leute hier auch halten. Wir glauben, ja auch gesagt, dass die Abschiebehaft man sie dezentral unterbringt und zum dass viele Flüchtlinge, die in Abschiebehaft überhaupt keinen Sinn macht. Die Beispiel Meldeauflagen anordnet. Das ist sind, durchaus auch Qualifikationen Menschen, die ein Asylverfahren in einem eine wesentlich humanere und kosten- anderen Schengenland haben, haben hier www.frsh.de · Der Schlepper Nr. 61/62 · 12/2012 · 13
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