Leitfaden für inklusive Kindertageseinrichtungen - Bestandsaufnahme und Entwicklung Ulrich Heimlich / Claudia M. Ueffing
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INKLUSION AUSBILDUNG WiFF Expertise | Band 51 Leitfaden für inklusive Kindertageseinrichtungen Bestandsaufnahme und Entwicklung Ulrich Heimlich / Claudia M. Ueffing Eine Publikation der WiFF
Das dieser Publikation zugrunde liegende Vorhaben wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Förderkennzeichen 01NV14071 gefördert. Die Verantwor- tung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt beim Autorenteam. Zitiervorschlag: Heimlich, Ulrich / Ueffing, Claudia M. (2018): Leitfaden für inklusive Kinderta- geseinrichtungen. Bestandsaufnahme und Entwicklung. Weiterbildungsinitiative Frühpäda- gogische Fachkräfte, WiFF Expertisen, Band 51. München © 2018 Deutsches Jugendinstitut e.V. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF) Nockherstraße 2, 81541 München E-Mail: info@weiterbildungsinitiative.de Diese Publikation ist kostenfrei erhältlich unter: www.weiterbildungsinitiative.de/publikationen Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI) Gestaltung, Satz: Brandung, Leipzig Druck: Henrich Druck+Medien GmbH, Frankfurt am Main www.weiterbildungsinitiative.de ISBN 978-3-86379-263-3
Ulrich Heimlich / Claudia M. Ueffing Leitfaden für inklusive Kindertageseinrichtungen Bestandsaufnahme und Entwicklung Eine Expertise der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF)
Vorwort der Autorin und des Autors Der Leitfaden für inklusive Kindertageseinrichtungen ist aus einer Zusammenarbeit der Ludwig- Maximilians-Universität München (Prof. Dr. Ulrich Heimlich) und der Hochschule für angewandte Wissenschaften München (Prof. Dr. Claudia M. Ueffing) entstanden. Der Leitfaden richtet sich an alle Kindertageseinrichtungen (Kitas), also sowohl Kinderkrippen und Kindergärten als auch Kinderhorte, und soll dazu beitragen, dass Entwicklungsprozesse in Einrichtungsteams angestoßen werden, die eine gemeinsame Arbeit am Leitbild Inklusion ermöglichen. In Ergänzung zum Index für Inklusion (Booth u. a. 2006) soll der Leitfaden eine praxisorientierte, praktikable und niederschwellige Handreichung für Kitas darstellen. Die inklusiven Qualitätsstandards und Leitfragen in diesem Leitfaden wurden in Kooperation mit fünf inklusiven Kitas der Inneren Mission München und einer Studierendengruppe der Hochschule für angewandte Wissenschaften München im Rahmen einer Forschungswerkstatt im Sommersemester 2015 erstellt. In den darauffolgenden Jahren 2016 und 2017 wurde der Leitfaden jeweils erprobt und beständig weiterentwickelt. Die Evaluation fand in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Hessen statt. Es waren Kitas in großstädtischen Ballungsräumen wie Frankfurt am Main ebenso beteiligt wie solche im ländlichen Raum des Allgäus. Es wurden in insgesamt 14 Kitas qualitative Inter- views durchgeführt. Bei neun der 14 Kitas wurde ausschließlich die Leitung interviewt, in den anderen waren teils die stellvertretenden Leitungen und auch das Team einbezogen. Zudem wurden stichpro- benartig drei Elternteile zu dem Leitfaden befragt. Hier zielte die Evaluation darauf ab herauszufinden, ob Eltern sich ausreichend vertreten sehen und der Leitfaden im Sinne der Transparenz pädagogischer Ziele und pädagogischen Handelns auch für sie hilfreich ist. Trotz des qualitativen Ansatzes und der geringen Fallzahl konnten aus allen Befragungen hilfreiche Hinweise für den hier vorliegenden Leit- faden für inklusive Kitas gewonnen werden. Allen beteiligten Einrichtungen und Studierenden sei an dieser Stelle ausdrücklich für ihr großes Engagement gedankt. Diesem Prozess vorausgegangen sind mehrere Forschungsprojekte, in deren Rahmen inklusive Kin- dertageseinrichtungen in München wissenschaftlich begleitet wurden. Von der Landeshauptstadt München wurde von 2003 bis 2005 das Projekt „Qualitätsstandards für integrative Kindergärten“ (QUINTE) gefördert. In diesem Projekt sind in Kooperation mit elf Kindergärten der Landeshauptstadt München und Einrichtungen freier Träger Qualitätsstandards für die Arbeit in integrativen Kinder- gärten entstanden. Im Projekt „Qualitätsstandards in integrativen Kinderkrippen“ (QUINK), das von der Landeshauptstadt München in den Jahren 2005 bis 2006 gefördert wurde, sind in Kooperation mit vier integrativen Kinderkrippen der Landeshauptstadt München und Vertretern der freien Träger ebenfalls Qualitätsstandards entstanden. Außerdem hat Frau Dr. Isabel Behr in einer eigenen Studie die Kinder von integrativen Kindergärten in München dazu befragt, wie sie die integrative Arbeit und die Qualität ihrer Einrichtung einschätzen. Diese drei Forschungsprojekte gehen als Grundlage in den vorliegenden Leitfaden mit ein. Die hier vorgeschlagenen Qualitätsstandards mussten allerdings vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention von 2009 sowie der UN-Konvention der Rechte der Kinder auf das neue Leitbild Inklusion ausgerichtet werden. Ferner flossen in die Entwicklung von der Hochschule München durchgeführte europäische Projekte zum Thema Inklusion im Kontext von Migration ein. Hier ist insbesondere das „Leonardo Transfer of Innova- tion Projekt“ (IMPAECT) im Programm „Lebenslanges Lernen“ unter der Leitung von Prof. Dr. Claudia M. Ueffing zu nennen, welches auf europäische Standards in der Ausbildung von Fachkräften für Kitas abzielte.
Es wurden in europäischer Zusammenarbeit von fünf Ländern und zwölf Partnereinrichtungen dieje- nigen Lerneinheiten zu interkultureller Kompetenz entwickelt, die in den Standardausbildungspro- grammen fehlen. Damit die so ausgebildeten Fachkräfte jedoch auch die pädagogische Performanz in den Kitas überprüfen und weiterentwickeln können, dient der hier vorliegende Leitfaden dazu, diese Ebene zielgerichtet zu bearbeiten. Vielfältige aktuelle Impulse gingen in jüngster Zeit dazu vom Projekt „Weiterbildungsinitiative Früh- pädagogische Fachkräfte“ (WiFF) beim Deutschen Jugendinstitut (DJI) unter der Leitung von Prof. Dr. Anke König aus. In zahlreichen Expertisen und Wegweisern für die Weiterbildung wurde das Thema Inklusion bereits aufgegriffen und in mehreren Expertenkreisen intensiv bearbeitet. Der vorliegende Leitfaden für inklusive Kindertageseinrichtungen versteht sich ausdrücklich als Ergänzung zu den Materialien der WiFF und hat ebenfalls die frühpädagogischen Fachkräfte in Schlüsselfunktionen als Zielgruppe im Blick. Dabei teilt der Leitfaden das weite Verständnis von Inklusion, wie es auch von der WiFF vertreten wird, in dem nicht nur die Dimension Behinderung thematisiert wird, sondern ebenso die weitere Heterogenitätsdimension der kulturellen Vielfalt. Für einige Wegweiser der WiFF und hier insbesondere für die Wegweiser Inklusion – Kulturelle Heterogenität in Kindertageseinrichtungen sowie Inklusion – Kinder mit Behinderung stellt der Leitfaden für inklusive Kitas eine Ergänzung bezogen auf den Theorie-Praxis-Transfer dar. Hiermit wird den Weiterbildnerinnen und Weiterbildnern eine Handreichung vorgelegt, mittels derer die Kita-Teams eigenständig an den Themen weiterarbeiten können und die Fortbildungen nachhaltig in den Kitas wirken können. Im Mittelpunkt des vorliegenden Leitfadens stehen die Qualitätsstandards und Leitfragen für inklu- sive Kitas. Sie sollen Arbeitsgrundlage und Anregungen für die konkrete Entwicklung in den jewei- ligen Kitas sein. Eingeleitet wird der Leitfaden durch eine kurze Verständigung über das Leitbild der Inklusion, wie es die UN-Konvention der Rechte der Kinder und die UN-Behindertenrechtskonvention enthalten. Sodann wird das Mehrebenenmodell der inklusiven Kindertageseinrichtung vorgestellt. Abgerundet wird der Leitfaden durch konkrete Anregungen zur Arbeit mit den Qualitätsstandards und den Leitfragen. Im Serviceteil sind Literatur- und Materialempfehlungen für die praktische Arbeit in den Kindertageseinrichtungen enthalten. Der Anhang bietet eine Kurzfassung des Leitfadens und eine Vorlage für die Erstellung von eigenen Qualitätsstandards. Außerdem sind hier einige Materialien für die praktische Arbeit in inklusiven Kitas aus der Erprobungsphase des Leitfadens dokumentiert. Ein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Monika Schmidl und Marius Schieke für die Unterstüt- zung bei der praktischen Erprobung des Leitfadens und der Erstellung des Anhangs. Und nun hoffen wir, dass es in Kooperation mit frühpädagogischen Fachkräften in Kitas gemeinsam mit den Trägern – letztere als Akteure mit besonders hoher Verantwortung – gelingen wird, die inklusive Arbeit in Kitas weiter voranzubringen. München, im März 2018 Prof. Dr. Claudia M. Ueffing Prof. Dr. Ulrich Heimlich
Inhalt 1 Inklusion als neues Leitbild der Frühpädagogik 8 1.1 Konzept inklusiver Bildung in der UN-Konvention 8 1.2 Inklusives Bildungssystem (Artikel 24, UN-Behindertenrechtskonvention) 9 2 Entwicklung inklusiver Kindertageseinrichtungen 10 2.1 Inklusionsentwicklung als Mehrebenenmodell 10 2.1.1 Ebene der Kinder mit individuellen Bedürfnissen 12 2.1.2 Ebene der inklusiven Spiel- und Lernsituationen 12 2.1.3 Ebene des multiprofessionellen Teams 13 2.1.4 Ebene der inklusiven Einrichtungskonzeption 13 2.1.5 Ebene der Vernetzung mit dem Umfeld 13 2.2 Inklusive Qualität in Kindertageseinrichtungen 14 3 Der Leitfaden als Instrument der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung 14 4 Qualitätsstandards in inklusiven Kindertageseinrichtungen 16 4.1 Präambel 16 4.1.1 Leitbild inklusive Bildung 16 4.1.2 Bild vom Kind 17 4.1.3 Spielen, Lernen, Fördern 17 4.1.4 Offene Gruppen / offene Einrichtung 18 4.1.5 Frühpädagogische Fachkräfte 18 4.1.6 Externe Vernetzung / soziales Umfeld 18 4.2 Kurzübersicht zu den Qualitätsstandards der inklusiven Kindertageseinrichtung 19 4.3 Qualitätsstandards und Fragen zur Umsetzung 20 5 Literatur 45 5.1 Praxisbezogene Literaturtipps 45 5.2 Weiterführende Literatur 48 6 Anhang 52 6.1 Abbildungsverzeichnis 52 6.2 Glossar 53 6.3 Handreichung zum Arbeiten mit dem Leitfaden 54 6.3.1 Informationen zur Handreichung 54 6.3.2 Kurzinformationen zum Leitfaden 54 6.3.3 Der Weg in die Arbeit mit dem Leitfaden 55 6.3.4 Schaubilder zur Arbeit mit dem Leitfaden 56 6.4 Kurzform des Leitfadens (Checkliste) 61 6.5 Kopiervorlage „Qualitätsstandard“ 64 6.6 Kopiervorlage „Profilentwicklung der Einrichtung“ 66 6.7 Kopiervorlage „Eigene Vernetzung“ 67 6.8 Screeninginstrumente 68
Ulrich Heimlich /Claudia M. Ueffing 1.1 Konzept inklusiver Bildung in der UN- 1 Inklusion als neues Leitbild Konvention der Frühpädagogik Ausgehend von der „Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen von 1948, in der in Artikel 26 bereits das Recht auf Bildung für alle verankert wurde (Vereinte Nationen 1948), hat die UNESCO im Jahre 1990 Mit dem Inkrafttreten der UN-Konventionen in Deutsch- in ihrer „World Declaration On Education For All“ diesen land – 1992 die der Rechte der Kinder und 2009 die der Grundsatz noch einmal bekräftigt. Dabei werden die Menschen mit Behinderung – ist die Entwicklung der grundlegenden Lernbedürfnisse (basic learning needs) gesellschaftlichen Teilhabe von Kindern generell und aller Personen als Bezugspunkt einer Bildung für alle in mit Behinderung und/oder Migrationshintergrund in ein den Mittelpunkt gestellt. Bereits die UN-Kinderrechts- neues Entwicklungsstadium eingetreten. Deutschland konvention von 1989 hat sich in Artikel 23 mit der „För- hat sich insbesondere mit der Ratifizierung der UN- derung behinderter Kinder“ befasst und die Zielsetzung Behindertenrechtskonvention auf die Schaffung eines einer „möglichst vollständigen sozialen Integration“ inklusiven Bildungssystems auf allen Ebenen verpflich- proklamiert. Aber erst auf der UNESCO-Konferenz von tet. Die UN-Konventionen sind verbindliches Völkerrecht Salamanca wurde eine Erklärung verabschiedet, die sich und müssen in einer „völkerrechtsfreundlichen“ Weise ausschließlich auf Kinder und Jugendliche mit beson- umgesetzt werden. deren Bedürfnissen bezieht und die Vertragsstaaten Für die Kindertageseinrichtungen (Kitas) kann davon auffordert, inklusive Schulen zu entwickeln. Damit wird ausgegangen werden, dass das Leitbild der Inklusion im der Begriff „Inklusion“ in den internationalen Bildungs- Sinne einer umfassenden und selbstbestimmten Teilhabe diskurs eingeführt, auch wenn dies in Deutschland durch nicht mehr prinzipiell infrage gestellt wird. Dies belegen die Übersetzung von inclusion mit „Integration“ zunächst die Bildungspläne der Bundesländer auf eindrückliche nicht wahrgenommen wird (Österreichische UNESCO- Weise. Es geht folglich nicht mehr um die Frage, ob Kommission 1994). Inklusion in Kitas sinnvoll ist, sondern vielmehr um die Die „International Conference on Education“ (ICE) in Frage, wie die Inklusion in Kitas in einer möglichst qua- Genf im Jahre 2008 stellt unter der Thematik „Inclusive litätsvollen Weise in die Praxis umgesetzt werden kann. Education: The Way of the Future“ in ihrer Abschlusser- Kindertageseinrichtungen als Teil eines inklusiven Bil- klärung schließlich die inklusive Bildung in den Mittel- dungssystems, wie es die UN-Konvention fordert, stehen punkt der Aktionsplans „Bildung für alle“. Bildung für überdies vor der Aufgabe, Inklusion als Regelangebot für alle kann demnach nur erreicht werden, wenn ein brei- alle Kinder zu begreifen und ein flächendeckendes Angebot teres Konzept von inklusiver Bildung zugrunde gelegt zur Verfügung zu stellen. wird. Inklusive Bildung hängt von daher eng mit der Qua- Aktuelle gesellschafts- und bildungspolitische Her- lität pädagogischer Angebote zusammen, die von einer ausforderungen zeigen sich hinsichtlich der Hetero- Achtung der Vielfalt und der Unterschiedlichkeit von genitätsdimension „Behinderung“ dahingehend, dass Bedürfnissen und Fähigkeiten ausgeht sowie alle Formen Eltern es als selbstverständlich begreifen, ihr Kind in von Diskriminierung verhindert. Die Frühpädagogik Regelkitas anzumelden und einzuschreiben. Zudem wird in diesem Zusammenhang ebenfalls ausdrücklich steht Deutschland angesichts einer stetig steigenden einbezogen und ein Ausbau entsprechender inklusiver Zahl von Zuwanderern und Asylsuchenden – unter Programme gefordert. ihnen auch viele Kinder – in der Notwendigkeit, für die Die Deutsche UNESCO-Kommission hat daraufhin Heterogenitätsdimension „Migration“ Lösungen im in einer Erklärung von 2009 auf die Bedeutung einer Kitawesen weiterzuentwickeln. Und nicht zuletzt hat inklusiven frühkindlichen Bildung hingewiesen und damit auch die Entwicklung und Implementierung von damit die inklusive Bildung explizit auf den Elementarbe- Handlungsansätzen und deren Evaluation für die beiden reich ausgedehnt. Darauf wird in den „Leitlinien für die Dimensionen an Aktualität gewonnen. Bildungspolitik“ zur Inklusion der UNESCO-Kommission erneut Bezug genommen (Deutsche UNESCO-Kommis- sion 2010). 8
Inklusion als neues Leitbild der Frühpädagogik Die „Inklusion durch frühkindliche Bildung“ ist somit inklusiven Bildung geht es vor allem darum, einen Kon- eines der Hauptanliegen und Handlungsfelder der sens über die Konzepte Inklusion und Bildungsqualität UNESCO als federführender Organisation einer inklusi- zu entwickeln. Dazu zählen dann auch die notwendigen onsorientierten Bildungspolitik im globalen Maßstab. Ressourcen für die Transformation eines Bildungssys- Auch die Europäische Kommission hat das Thema tems, die Unterstützung der pädagogischen Fachkräfte „Inclusion and Diversity“ auf ihrer Agenda priorisiert und die Entwicklung von Methoden zur Messung der und insbesondere angesichts steigender Flüchtlings- Wirkungen einer qualitativ hochwertigen inklusiven ströme und der schockierenden Todesfälle im Mittelmeer Bildung (ebd.). 1 Koordinierungsrunden und Netzwerke wie z. B. Sirius In den Empfehlungen zur Entwicklung eines inklusi- implementiert, in denen mit den Mitgliedern der Länder ven Bildungssystems werden in den Leitlinien die frühen das Thema für Europa weiterentwickelt und Lösungen Lern- und Entwicklungsprozesse besonders herausge- generiert werden sollen. stellt (ebd.). Auch die frühkindliche Förderung weit vor dem Schuleintritt gilt als wichtige Voraussetzung für eine inklusive Gesellschaft. Auf dieser Ebene des Bildungs- 1.2 Inklusives Bildungssystem (Artikel 24, systems gilt gleichermaßen das zentrale Prinzip eines UN-Behindertenrechtskonvention) inklusiven Bildungssystems: Nicht an das Kind ist die For- derung der Inklusion oder Integration heranzutragen, In Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention sondern die Bildungseinrichtung als System muss sich werden die Grundsätze inklusiver Bildung ausgeführt. wandeln, denn: „Inklusive Bildung von hoher Qualität Zunächst ist dabei die Gültigkeit des Rechts auf Bildung ist das beste Mittel, um zukünftigen Lerndefiziten unter aller Menschen – auch mit Behinderung – herausgestellt. Jugendlichen und Erwachsenen vorzubeugen“ (ebd.). Daraus folgt, dass sie dieses Recht ohne Diskriminie- Bei der Gestaltung eines inklusiven Bildungssystems rung – z. B. auf Grund ihrer Herkunft, Religion oder Haut- sind außerdem die „angemessenen Vorkehrungen“ für farbe – und über die Herstellung von Chancengleichheit Kinder und Jugendliche mit Behinderung zu berück- wahrnehmen können. Inklusive Bildung soll es allen sichtigen, wie sie schon in Artikel 2 der UN-Konvention ermöglichen, ihre Fähigkeiten und ihr Selbstwertgefühl definiert werden. Es handelt sich dabei um „notwendige zur vollen Entfaltung zu bringen. Letztlich zielen alle und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine Maßnahmen und Angebote inklusiver Bildung auf die unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behin- und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich derung und / oder Migrationshintergrund und auf ein sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, selbstbestimmtes Leben in Freiheit. Inklusive Bildung dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt gewinnt dadurch eine lebenslaufbegleitende Funktion mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten im Sinne des lifelong learning jedes Individuums. genießen oder ausüben können“ (Artikel 2, UN-Behin- Dies entspricht auch den vorausgegangenen Ver- dertenrechtskonvention). Auch in Artikel 24 zum inklu- lautbarungen der UNESCO zur „Bildung für alle“ siven Bildungssystem wird erneut auf die angemessenen und zur inklusiven Bildung. In den „Leitlinien für die Vorkehrungen hingewiesen, wobei die je individuelle Bildungspolitik“ der UNESCO zur Inklusion wird das Konkretisierung offen bleibt. bildungspolitische Programm konkretisiert, das die UN-Konvention fordert. In der Gesamtperspektive der politischen Umsetzung ist dabei zunächst der Akzent auf „systemweite“ und „multisektorale“ Entwicklungen 1 Mit der UN-Konvention werden die Vertragsstaaten darauf ver- gelegt (UNESCO 2010, S. 14). pflichtet, ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen zu Auch die enge Zusammenarbeit aller Akteurinnen entwickeln. Kinder und Jugendliche sollen dabei nicht vom all- gemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und den und Akteure im bildungspolitischen Bereich erfährt Unterricht an Schulen unentgeltlich besuchen dürfen. Außer- hier noch einmal eine besondere Hervorhebung. Neben dem soll der Unterricht inklusiv und qualitativ hochwertig sein. Situationsanalysen zur Ausgangslage im Bildungssystem Da in der englischen Terminologie durchweg von Unterricht und Schule die Rede ist, ist hier anzumerken, dass damit der Ele- und der Initiierung von Gesetzgebungsverfahren in mentarbereich des deutschen Bildungswesens ebenfalls einge- Abstimmung mit internationalen Verlautbarungen zur schlossen ist. 9
Ulrich Heimlich /Claudia M. Ueffing Auf nationaler Ebene hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in Kooperation mit dem bzw. 2 Entwicklung inklusiver der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung die Federführung für die Umsetzung der UN-Konvention in Kindertageseinrichtungen Deutschland übernommen (BMAS 2011 a). Der Nationale Aktionsplan (NAP) der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Konvention erkennt ebenfalls die Bedeutung von Kitas für die Entwicklung eines inklusiven Bildungssys- Aus den bisher vorliegenden Erfahrungen in inklusiven tems an (BMAS 2011 b) und weist in diesem Zusammen- Kitas lässt sich ableiten, dass hier nicht nur eine individu- hang besonders auf den Ausbau der Angebote für Kinder elle Förderung für das einzelne Kind angestrebt werden unter drei Jahren hin, der selbstverständlich auch für sollte. Vielmehr geht es um Veränderungen bezogen auf Kinder mit Behinderung gelten soll (Heimlich/Behr 2008; die gesamte Kindertageseinrichtung und ihre kontextu- Seitz / Korff 2008). elle wie gesellschaftliche Einbettung. Insofern gilt es hier, Desgleichen wurde ein Nationaler Aktionsplan zum zunächst die Inklusionsentwicklung als Mehrebenenmo- Thema Migration und Integration entwickelt. Insbe- dell darzustellen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, sondere werden darin Ziele zur Integration durch Bil- dass die pädagogische Qualität in inklusiven Kitas den dung dargelegt und die Bedeutung der frühkindlichen entscheidenden Prüfstein erfolgreicher Inklusionsent- Bildung mit dem Schwerpunkt sprachliche Bildung als wicklung auf mehreren Ebenen darstellt. Diese Entwick- Schlüssel zur Integration hervorgehoben (Nationaler lungsarbeit, die vom Team der frühpädagogischen Fach- Integrationsplan 2007). Um die Ziele auch zu erreichen, kräfte, den Eltern und den Kindern gemeinsam geleistet wurde der Aktionsplan mit einer Vielzahl an Maßnah- wird, bleibt dabei jedoch zugleich an die einzelne Kita men unterfüttert. Insbesondere die Bundesprogramme gebunden. Insofern wird die Inklusionsentwicklung im „Frühe Chancen“ und „Schwerpunkt-Kitas Sprache & Elementarbereich am ehesten als Bottom-Up-Prozess Integration“ sind hier anzuführen (BMFSFJ o.J.). wahrgenommen, ist jedoch ohne die entsprechende Die UN-Konventionen fordern von frühpädagogi- Ausrichtung des Trägers – unter anderem mittels einer schen Fachkräften einen Perspektivenwechsel in mehr- entsprechenden Ausrichtung des Leitbildes – und ohne facher Hinsicht. Zunächst gilt es, die eigene Wahrneh- eine bildungspolitische Verankerung und Finanzierung mung von Barrieren und Situationen zu thematisieren nicht nachhaltig implementierbar. und zu reflektieren. Ziel ist es dabei, Barrieren und Hindernisse für die umfassende Teilhabe aller Kinder zu identifizieren und abzubauen bzw. zu überwinden. Mit 2.1 Inklusionsentwicklung als der Forderung nach einer inklusiven Bildung wird in der Mehrebenenmodell UN-Behindertenrechtskonvention an frühpädagogische Fachkräfte darüber hinaus auch der Anspruch gestellt, Um das Ziel der Entwicklung einer inklusiven Kinder- an ihrem eigenen Wertesystem zu arbeiten. Eine der tageseinrichtung zu erreichen, sollten alle Beteiligten wichtigsten Ressourcen für inklusive Bildung wird in (Kinder, Eltern, pädagogische Fachkräfte, Träger usw.) in der Haltung der Fachkräfte gegenüber der Inklusion einen gemeinsamen Veränderungsprozess der Kinder- gesehen. Gute Rahmenbedingungen und stabile Unter- tageseinrichtung als System eintreten. Mit dem Index für stützungssysteme gehören ebenfalls zu den unverzicht- Inklusion in Kindertageseinrichtungen von Toni Booth, baren Ressourcen für die Entwicklung eines inklusiven Mel Ainscow und Denise Kingston (2006) liegt dazu ein Bildungssystems auf allen Ebenen. In dieser Entwick- vielfach eingesetztes Entwicklungsinstrument vor, das lungsdimension haben frühpädagogische Fachkräfte von zahlreichen Kindertageseinrichtungen als hilfreich ein hohes Maß an Verantwortung in der Kooperation mit angesehen wird. Obwohl der Index zunächst für die weiteren Fachkräften sowohl auf der internen als auch Schule entwickelt worden ist, gibt es mittlerweile auch auf der externen Ebene der Zusammenarbeit. eine Adaption für Kindertageseinrichtungen. Der Index für Inklusion stellt ein praxisbezogenes Entwicklungsins- trument zur Verfügung, das Planungs- und Umsetzungs- hilfen in drei Dimensionen bereithält: 10
Entwicklung inklusiver Kindertageseinrichtungen 1. Dimension A: Inklusive Kulturen entfalten (Gemeinschaft Selbstverständlich ist diese Entwicklung kein Selbstläu- bilden, inklusive Werte verankern); fer, sondern muss vielmehr von allen Beteiligten aktiv 2. Dimension B: Inklusive Leitlinien etablieren (eine Ein- getragen und vorangetrieben werden. Für den hier richtung für alle entwickeln, Unterstützung von Vielfalt vorliegenden Ansatz werden fünf Ebenen unterschieden: organisieren); 1. die Kinder und ihre individuellen Bedürfnisse, 3. Dimension C: Inklusive Praxis entwickeln (Spiel und 2. die gemeinsamen inklusiven Spiel- und Lernsituatio- Lernen gestalten, Ressourcen mobilisieren). nen der Kinder, 3. das Team und die professionelle Performanz der Dazu enthält der Index gut 500 Indikatoren und Fragen, Fachkräfte, die die Inklusionsentwicklung in den verschiedenen 4. die Kindertageseinrichtung als Ganzes und ihre Dimensionen leiten sollen. Der empfohlene Prozess Außenwirkung sowie des Umgangs mit dem Index fußt auf Erfahrungen mit 5. die Vernetzung der Kindertageseinrichtung. der Transformation von Bildungseinrichtungen. Der Transformationsprozess enthält Elemente wie eine Zudem ist das Mikrosystem Kindertageseinrichtung Bestandsaufnahme, die einrichtungsbezogene Planung eingebettet in einen gesamtgesellschaftlichen und und Umsetzung sowie deren Evaluation. Auch wenn bildungspolitischen Kontext, der in Abbildung 1 durch noch keine Evaluation der praktischen Umsetzung des den Rahmen dargestellt ist. Die Akteursgruppen, wie Index‘ für Kindertageseinrichtungen vorliegt (vgl. für beispielsweise die Eltern, die Kinder und die frühpäd- den Bereich der Schule: Rustemeier / Booth 2005), so agogischen Fachkräfte, sind auf allen Ebenen implizit kann doch auf der Ebene erster Erfahrungen (Thiem präsent, weil das tragende Element der Inklusionsent- 2010) davon ausgegangen werden, dass der Umgang wicklung in Kitas die Interaktionen der Beteiligten sind. mit dem Index auf der Einrichtungsebene sehr unein- Dies geschieht, um ihrer Relevanz auf den verschiedenen heitlich erfolgt. Hilfreich erscheint der Index dann, Ebenen gerecht zu werden, und spiegelt sich in den wenn Einrichtungsteams selektiv mit den Fragen bzw. einzelnen Fragestellungen des Leitfadens. Mit dem Indikatoren umgehen und die inklusive Entwicklung „Leitfaden für inklusive Kindertageseinrichtungen“ ist schrittweise bzw. nicht in allen Entwicklungsdimensi- die Absicht verbunden, ein praxisnahes Entwicklungs- onen gleichzeitig angehen. Möglicherweise fühlen sich instrument für Kitas zur Verfügung zu stellen. Den Einrichtungsteams aber auch von der großen Zahl an fünf Entwicklungsebenen werden Qualitätsstandards Fragen und Indikatoren überfordert. Der Index könnte zugeordnet und mit Fragen zur Umsetzung versehen. von Einrichtungsteams auch als externe Evaluation der Von daher soll der Leitfaden ein möglichst schlankes Inklusionsentwicklung und so als ein Instrument der Entwicklungsinstrument darstellen, das überschaubare Kontrolle missverstanden werden, da standortbezogene und handhabbare Entwicklungsaufgaben beschreibt. Entwicklungen und Profilbildungen zu wenig berück- sichtigt werden. Entsprechend der gegebenen Einbettung von Kitas in das Gemeinwesen müssen jedoch auch einrichtungs- spezifische Entwicklungsprozesse hin zu inklusiven Kitas angestoßen werden, mit denen ein standortbezo- genes Profil einer inklusiven Frühpädagogik angestrebt wird. Den Ausgangspunkt bilden hier die Aufnahme der Kinder und ihre individuellen Bedürfnisse. Darauf aufbauend wird beim Veränderungsprozess die Kinder- tageseinrichtung als System verstanden (Dippelhofer- Stiem / Wolf 1997). Die Entwicklung von inklusiven Kitas ist – bezogen auf die jeweilige Einrichtung – als Verän- derungsprozess auf mehreren Ebenen zu konzipieren und folgt damit dem ökologischen Mehrebenenmodell der Inklusionsentwicklung (Heimlich 2017, 2003). 11
Ulrich Heimlich /Claudia M. Ueffing Abb. 1: Inklusionsentwicklung in Kindertageseinrichtungen als Mehrebenenmodell Mulitprofessio- Inklusive nelles Team Einrichtungs- konzeption Inklusive Spiel- und Lernsituationen Vernetzung mit dem Umfeld Kinder mit individuellen Bedürfnissen Quelle: Eigene Darstellung 2.1.1 Ebene der Kinder mit individuellen grund, sondern auf alle Kinder. Unter dem Aspekt der Bedürfnissen Umfeldorientierung ist sicherzustellen, dass auch die Im Mittelpunkt des inklusiven Entwicklungsprozesses jeweilige Lebenslage der Kinder im Entwicklungspro- stehen zunächst einmal die Kinder. Auf der Ebene der zess Berücksichtigung findet (Siehe WiFF Wegweiser Kinder mit individuellen Bedürfnissen geht es unter Weiterbildung Inklusion – Kinder mit Behinderung, inklusivem Aspekt darum, sich von der Zwei-Gruppen- 2013 a: Handlungsfelder Kind, S. 82 – 94, und Eltern, Theorie (Behinderte – Nichtbehinderte oder Migran- S. 103 –1 08). ten – Einheimische) zu lösen. Im Sinne vielfältiger Heterogenitätsdimensionen (siehe Kap. 3.2) kann im 2.1.2 Ebene der inklusiven Spiel- und Gegensatz dazu davon ausgegangen werden, dass alle Lernsituationen Kinder mehreren unterschiedlichen Gruppen angehö- Im Spiel begegnen sich Kinder mit ihren unterschied- ren (Alter, Geschlecht, Migration, Behinderung usw.). lichen Interessen, Bedürfnissen und Fähigkeiten und Eine Reduzierung auf ein oder auch zwei Merkmale konstruieren aus diesen heterogenen Voraussetzungen ist von daher mit den Grundsätzen inklusiver Bildung gemeinsame Spieltätigkeiten. Auf der Ebene der inklu- nicht mehr vereinbar. Gleichwohl gilt es, auch im siven Spiel- und Lernsituationen müssen pädagogische Rahmen inklusiver Kitas sicherzustellen, dass die indi- Fachkräfte geeignete Rahmenbedingungen (Spielma- viduellen Bedürfnisse aller Kinder wahrgenommen terial, Raumgestaltung usw.) zur Verfügung stellen, um und darauf bezogene pädagogische Angebote sowie das gemeinsame Spiel zu fördern und zu intensivieren angemessene Vorkehrungen vorgehalten werden. (Heimlich 2017 a, 1995; Ueffing 2007; Casey 2005). Dabei Intensive Gespräche mit den Eltern, aber auch eine begeben sich frühpädagogische Fachkräfte durchaus individuelle Kind-Umfeld-Diagnostik (Sander 2002) als Mitspielerinnen bzw. Mitspieler in die Spielsituation sowie darauf aufbauende individuelle Förderange- hinein. Insgesamt werden hier hohe Anforderungen an bote werden auch in inklusiven Kitas unverzichtbar die pädagogische Performanz gestellt wie die Fähigkeit sein. Sie beziehen sich allerdings nicht mehr nur auf zur Spielbeobachtung und zur flexiblen Gestaltung Kinder mit Behinderung oder / und Migrationshinter- spielpädagogischer Angebote (Heimlich 2017 a, 2015). 12
Entwicklung inklusiver Kindertageseinrichtungen Darüber hinaus ist durch geeignete Screeninginst- (Heimlich / Behr 2008, 2005) (Siehe WiFF Wegweiser rumente zum Beispiel zur Sprachentwicklung (siehe Weiterbildung Inklusion – Kinder mit Behinderung, 2013a: Anhang 6.8) sicherzustellen, dass Entwicklungsrisiken Handlungsfeld Einrichtung und Träger, S. 115 – 119). und Lernprobleme rechtzeitig erkannt werden und somit Anschlussmöglichkeiten für vertiefende diag- 2.1.5 Ebene der Vernetzung mit dem Umfeld nostische und therapeutische Angebote entstehen. Inklusive Kitas können die tägliche pädagogische Frühpädagogische Fachkräfte sollten in Ergänzung zur Arbeit nur bewältigen, wenn sie ihre externe Koope- Arbeit in der inklusiven Gruppe oder Kindertageseinrich- ration intensivieren. Auf der Ebene der Vernetzung mit tung die Möglichkeit haben, gegebenenfalls fachliche dem Umfeld werden weitere Fachkräfte in die Arbeit Unterstützung zu akquirieren (Siehe WiFF Wegweiser der Einrichtung eingebunden. Als hilfreich hat sich Weiterbildung Inklusion – Kinder mit Behinderung, 2013a: der Aufbau eines regionalen Netzwerkes im Sinne Handlungsfelder Kind, Gruppe, Eltern, S. 82 – 108). eines support system erwiesen. Gute Kitas unterhalten vielfältige Beziehungen zum unmittelbaren Umfeld 2.1.3 Ebene des multiprofessionellen Teams auch im Sinne einer Sozialraumorientierung (Tietze Die Entwicklung von inklusiven Kitas erfordert die 2009; Honig u. a. 2004; Tietze / Viernickel 2003; Kobelt- enge Zusammenarbeit aller Beteiligten. Das gilt ins- Neuhaus / Refle 2013). Neben der Unterstützung durch besondere für die frühpädagogischen Fachkräfte. Auf den Träger – beispielsweise über die Fachberatung, der Ebene des multiprofessionellen Teams sorgen sie für organisatorisch-administrativen Service und Wei- eine regelmäßige Reflexion der Arbeit in Kitas und terbildungsangebote – sind insbesondere andere der gruppeninternen oder gruppenübergreifenden Bildungseinrichtungen wie Kinderkrippen, Horte und Koordination. Die gemeinsame Planung von inklusiven Grundschulen zu nennen. Darüber hinaus ist ebenso an pädagogischen Angeboten und die Fallbesprechung Frühförderstellen, sonderpädagogische Förderzentren sowie die Besprechung von Dilemmata als alltägliche (SFZ) mit mobilen bzw. ambulanten heil- und sonder- Herausforderungen sind Beispiele für eine solche intensi- pädagogischen Förderangeboten, sozialpädiatrische vierte Form der Teamkooperation, in die auch Fachkräfte Zentren (SPZ), Migrationssozialdienste, Jugendämter, andere Professionen wie Heilpädagogik, Frühförderung, traumatherapeutische und psychologische Angebote Psychologie sowie medizinische und therapeutische und weitere soziale Dienste im Sinne eines koordinierten Spezialistinnen und Spezialisten einbezogen werden und vernetzten Angebots zu denken (Siehe WiFF Wegwei- sollten (Heimlich / Jacobs 2007) (Siehe WiFF Wegweiser ser Weiterbildung Inklusion – Kinder mit Behinderung, Weiterbildung Inklusion – Kinder mit Behinderung, 2013a: 2013 a: Handlungsfeld Einrichtung und Träger, S. 115 – 119 Handlungsfeld Team, S. 109 – 114). und Sozialraum / Kommune, S. 120 – 128). Darüber hinaus ist dieser Entwicklungsprozess 2.1.4 Ebene der inklusiven Einrichtungskonzeption ebenfalls eingebunden in gesamtgesellschaftliche Ver- Inklusive Kitas werden erfahrungsgemäß über kurz änderungen, die u. a. über gesetzliche Grundlagen (z. B. oder lang ihr gesamtes pädagogisches Konzept unter das Kinder- und Jugendhilfegesetz oder das Zuwande- das Leitbild der Inklusion stellen. Erst dann wird der rungsgesetz) oder sogar internationale Empfehlungen entscheidende Schritt hin zu einer wirklich inklusiven (wie die UN-Konventionen) in die konkrete Arbeit auf Einrichtung vollzogen. Auf der Ebene der inklusiven Einrichtungsebene hineinwirken. Damit ergeben sich Einrichtungskonzeption ist ein kontinuierlicher Prozess zumindest Berührungspunkte zum Fachkonzept der der Konzeptionsentwicklung in der Praxis unabding- Sozialraumorientierung (Hinte 2009), obwohl ein inten- bar. Bei jährlichen Klausurtagen des gesamten Ein- siver fachlicher Diskurs dazu noch aussteht (vgl. dazu richtungsteams z. B. wird das pädagogische Konzept auch den „Kommunalen Index für Inklusion“, Montag jeweils neu auf den Prüfstand gestellt und weiterent- Stiftung 2007). wickelt. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Leitungen von Kitas zu, die diesen Entwicklungsprozess immer wieder anregen sollten und auch nach außen gegenüber Eltern und Trägern vertreten. In inklusiven Kitas nehmen alle Beteiligten an diesem Prozess teil 13
Ulrich Heimlich /Claudia M. Ueffing 2.2 Inklusive Qualität in Kindertageseinrichtungen 3 Der Leitfaden als Instrument Entscheidend für die praktische Umsetzung des Leit- der Qualitätsentwicklung und bildes Inklusion in Kitas insgesamt ist die pädagogische Qualitätssicherung Qualität (Heimlich 2009, 2008 a, 2008 b). Nach vorliegen- den Erfahrungen aus der Begleitforschung zu inklusiven Kitas kann davon ausgegangen werden, dass die pädago- gische Qualität dieser Einrichtungen weiter entwickelt Der Leitfaden richtet sich vorrangig an Kita-Teams und ist als die nicht-integrativer Einrichtungen (TÄKS 2009; ihre Leitungen. Bei der Umsetzung der Qualitätsstan- Behr 2008; Institut für Kinder- und Jugendhilfe 2007; Jerg dards in die Praxis und bei der Arbeit an den Leitfragen u.a. 2008, 2007; Heimlich/Behr 2008, 2005; Kreuzer 2006; ist es sinnvoll, dass sich das gesamte Einrichtungsteam Thalheim 2004; Kobelt-Neuhaus 2002). mit dem Leitbild Inklusion beschäftigt. Das kann sowohl Für die Entwicklung inklusiver Qualitätsstandards durch konkrete Absprachen in wöchentlichen Sitzun- auf Einrichtungsebene liegen aus den Münchener Pro- gen von Teilen des Teams oder auf Klausurtagen des jekten zur Qualitätsentwicklung in integrativen Kitas gesamten Teams geschehen, die in größerem zeitlichen praxisrelevante Ergebnisse vor. Unumgänglich ist dazu Abstand stattfinden. allerdings die Mühe eines einrichtungsbezogenen Ent- Die Entwicklung von Einrichtungen zu inklusiven wicklungsprozesses, in dem die „Schätze“ der vorhan- Kitas hängt eng mit der konzeptionellen Arbeit zusam- denen Erfahrung zur inklusiven Arbeit immer wieder men. Erfahrungen zeigen immer wieder, dass die gemeinsam von allen Beteiligten gehoben werden und Entstehung eines inklusiven Einrichtungskonzepts in einem kontinuierlichen Prozess in die pädagogische ein fortlaufender Prozess ist. Auch wenn nach einigen Konzeption der Einrichtung Eingang finden (Heimlich Jahren Inklusionserfahrung bestimmte Grundsätze und 2011; Ueffing 2007). Inklusive Frühpädagogik bezogen Basisbestandteile einer Einrichtungskonzeption im Sinne auf Kinder mit Behinderung und / oder mit Migrations- eines standortbezogenen Profils Bestand haben werden, hintergrund bleibt somit angewiesen auf ein pädago- so stellt doch jedes Jahr die Kitas vor neue Herausforde- gisches Qualitätsmanagementsystem. Hierzu stellt der rungen. Die Kinder mit ihren individuellen Bedürfnissen vorliegende Leitfaden ein Qualitätsentwicklungs- und fordern die Willkommenskultur von Kitas immer wieder Qualitätssicherungsinstrument dar. neu. Barrieren und Grenzen der Inklusion werden im Laufe der täglichen Arbeit erst deutlich und wollen über- wunden werden. Die Entwicklung von inklusiven Kitas folgt nach vorliegenden Erfahrungen einem Modell des Lernens in Projekten, das in Abbildung 2 dargestellt ist. 14
Der Leitfaden als Instrument der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung Abb. 2: Projekt inklusive Kindertageseinrichtung 1. Problemhaltige Sachlage: Initiative für eine inklusive Kindertageseinrichtung (Eltern, Fachkräfte, Leitung, Träger) 2. Gemeinsame Planung 4. Überprüfung an der der Problemlösung: Einrichtungswirklichkeit: Bildung eines Stufenplan zur Vorbereitungsteams praktischen Umsetzung (für die Konzeptentwicklung) 3. Auseinandersetzung mit der Problemlösung: Suche nach Ressourcen und Unterstützung (Ausstattung, Personal) Quelle: Eigene Darstellung Nachdem die Entwicklung einer Kita zu einer inklusi- Die Qualitätsstandards und Leitfragen des Leitfadens ven Kindertageseinrichtung von Eltern, Fachkräften, sollen Anregungen und Orientierungshilfen für die der Leitung oder auch vom Träger angestoßen wurde, Entwicklung inklusiver Kitas bieten. Dabei ist nicht davon gilt es, gemeinsam auf diese herausfordernde Sachlage auszugehen, dass alle Qualitätsstandards und alle Ebe- einzugehen. Es empfiehlt sich, im Team gemeinsam nen der Entwicklung gleichzeitig angegangen werden. und rechtzeitig an einer inklusiven Konzeption zu Erfahrungsgemäß stehen zu Beginn der Entwicklung arbeiten und dabei Ziele und Arbeitsschwerpunkte inklusiver Kitas die Kinder mit ihren individuellen vorab festzulegen. Nach der gemeinsamen Planung Bedürfnissen im Mittelpunkt. Zunächst ist die Frage zu der Lösungsansätze sollten Überlegungen zur Beschaf- klären, inwieweit auf die spezifischen Bedürfnisse aller fung und Sicherung der notwendigen Ressourcen Kinder eingegangen werden kann und ob man diesen (Ausstattung, Personal) angestellt werden. Dazu zählt gerecht wird. Im Mittelpunkt der täglichen Arbeit stehen auch die Suche nach Unterstützung im Umfeld der Kin- sodann sicher die inklusiven Spiel- und Lernsituationen dertageseinrichtungen und seitens des Trägers. Diese in der Gruppe. Hier werden frühpädagogische Fachkräfte konkrete Auseinandersetzung mündet häufig in einen täglich gefordert, entsprechende Angebote bereitzu- Stufenplan zur praktischen Umsetzung, um so das ent- halten, die allen Kindern eine Teilhabe ermöglichen. wickelte Konzept an der Erziehungswirklichkeit über- Die Teamarbeit ist erfahrungsgemäß in Kitas sehr gut prüfen zu können. Dieser Prozess ist allerdings nicht entwickelt. Teamentwicklung wird darüber hinaus auch als geschlossener Kreislauf zu verstehen. Vielmehr intensiv gepflegt. Inwieweit von vornherein die gesamte gehört es zu einem der zentralen Qualitätsstandards Einrichtung in den inklusiven Entwicklungsprozess ein- von inklusiven Kitas, dass sich die Einrichtungsteams bezogen werden kann, wird von Einrichtung zu Einrich- fortlaufend mit dem inklusiven Konzept beschäftigen tung unterschiedlich beantwortet. Auch die Vernetzung und es dem veränderten Bedarf in der täglichen Arbeit mit dem Umfeld ist in Kitas unterschiedlich entwickelt. immer wieder neu anpassen. Der Prozess der Entwick- In jedem Fall gilt, dass das jeweilige Einrichtungsteam lung von inklusiven Kitas wird in der Regel mehrere eigene Entwicklungsschwerpunkte setzen und sich selbst Jahre erfordern. überschaubare Entwicklungsaufgaben stellen sollte. 15
Ulrich Heimlich /Claudia M. Ueffing In der praktischen Umsetzung der inklusiven Konzep- tion ist es von besonderer Bedeutung, dass auch von 4 Qualitätsstandards in Seiten der Träger günstige strukturelle Voraussetzun- gen geschaffen werden. Kitas sollten den inklusiven inklusiven Kindertages Entwicklungsprozess selbstständig gestalten dürfen. einrichtungen Zugleich benötigen sie dafür angemessene und abge- sicherte Rahmenb edingungen in der personellen, räumlichen und materiellen Ausstattung. Ferner sollten die Einrichtungsteams im Prozessverlauf nicht allein 4.1 Präambel gelassen werden, sondern über Fortbildungen und Fachberatung fachlich begleitet werden. Dazu zählt Mit pädagogischer Qualität in Kitas ist stets eine inklusive dann auch eine fortlaufende Selbstevaluation durch das Qualität gemeint, insofern alle pädagogischen Maß- Einrichtungsteam. Für den gesamten Entwicklungspro- nahmen zu einem selbstbestimmten Leben aller Kinder zess und die Evaluation bietet der folgende Kriterien- in umfassender sozialer Teilhabe beitragen sollen. Die katalog Orientierung und Unterstützung. Um für diese inklusive Qualität bezieht sich also stets auf alle Kinder und den damit verbundenen Entwicklungsprozess der mit ihren individuellen Bedürfnissen und leitet von Kitas eine Grundlage zu sichern sowie Orientierung zu ihren Kompetenzen und Bedürfnissen die notwendigen bieten, wurde der im Folgenden dargelegte Kanon aus Schritte in der Inklusionsentwicklung ab. Der folgende Eckpfeilern und Qualitätsindikatoren bestehende Krite- Leitfaden hat zum Ziel, die inklusive Qualität von Kitas rienkatalog entwickelt. mit Hilfe von Qualitätsstandards zu beschreiben. Den konzeptionellen Rahmen für die Entwicklung der Qua- litätsstandards bildet das ökologische Mehrebenenmodell der Inklusionsentwicklung (Heimlich 2017 b, 2003). Die fünf Ebenen des Modells werden zugleich als Ebenen der Qualitätsentwicklung aufgefasst: 1. Kinder mit individuellen Bedürfnissen 2. Inklusive Spiel- und Lernsituationen 3. Multiprofessionelle Teams 4. Inklusive Einrichtungskonzeption 5. Vernetzung mit dem Umfeld Auf diesen Ebenen sollen die Qualitätsstandards zu ausge- wählten Schwerpunkten der Inklusionsentwicklung die Beschreibung einer minimalen inklusiven Qualität liefern. Ausgehend von diesen Minimalstandards sind also weitere Entwicklungen im Bereich der inklusiven Qualität möglich. 4.1.1 Leitbild inklusive Bildung „Leitbild der folgenden Qualitätsstandards ist die inklu- sive Kindertageseinrichtung. Diesen Qualitätsstandards liegt ein gemeinsames Verständnis von inklusiver Bildung zugrunde, wie es auch in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung beschrieben ist: Inklusive Bildung hängt … eng mit der Qualität pädago- gischer Angebote zusammen, die von einer Achtung vor der Vielfalt und der Unterschiedlichkeit von Bedürfnissen und Fähigkeiten ausgeht sowie alle Formen von Diskri- minierung verhindert.“ (Heimlich 2013, S. 10). 16
Qualitätsstandards in inklusiven Kindertageseinrichtungen Der vorliegende Leitfaden für inklusive Kindertagesein- Vorstellungen von Kindern und Kindheit gibt. Päda- richtungen richtet sich allerdings nicht nur an Kinder mit gogische Fachkräfte in inklusiven Kitas oder Gruppen Behinderung und deren Eltern, sondern zielt darüber sollten sich ihrer je spezifischen Vorstellungen bewusst hinaus darauf ab, dass alle Heterogenitätsdimensionen sein und diese sprachlich beschreiben können. Im Sinne in die pädagogische Arbeit von Kitas einbezogen werden, einer gemeinsamen Grundvorstellung liegt den folgenden also auch Migrationshintergrund, Geschlecht usf. Der Standards die Annahme zugrunde, dass sich alle Kinder Leitfaden folgt also einem weiten Inklusionsverständ- in aktiver Auseinandersetzung mit ihrem sozialen und nis, dass über die Gruppe der Kinder mit Behinderung kulturellen Umfeld entwickeln und dabei ihr eigenes deutlich hinausweist. Weltverständnis herausbilden sowie eigene Hypothe- Aus dem Leitbild der Inklusion folgt ebenfalls das sen und Muster, Handlungen, Sprache und vieles mehr Prinzip der Wohnortnähe pädagogischer Angebotsfor- in Kooperation mit anderen Kindern und Erwachsenen men im Elementarbereich. In jedem Wohnort (bzw. hervorbringen. Landkreis oder Stadtbezirk) von Kindern sollte eine Dabei ist es unabdingbar, dass bei allen Kindern in inklusive Kindertageseinrichtung vorhanden sein. Die Kindertageseinrichtungen auf die Erfüllung ihrer Grund- Erreichbarkeit der Einrichtung sollte mindestens mit bedürfnisse geachtet wird. Neben den physiologischen öffentlichen Verkehrsmitteln gegeben sein. Auch die Grundbedürfnissen im Bereich Ernährung, Hygiene usf. Inklusion einzelner Kinder sollte jederzeit im Regelkin- ist hier vor allem an die Grundbedürfnisse nach sozialer dergarten möglich sein. Nähe, emotionaler Geborgenheit und selbstbestimmter Eine inklusive Kindertageseinrichtung sollte stets eine Aktivität zu denken. barrierefreie Einrichtung sein, in der alle Bereiche für alle Auf der Basis des Leitbildes Inklusion wird bezogen Kinder ohne Hilfe zugänglich und erreichbar sind. Uns auf die folgenden Qualitätsstandards nicht mehr zwi- ist bewusst, dass dies eine anspruchsvolle Zielsetzung ist, schen Kindern mit und ohne Behinderung und / oder die nicht von allen Einrichtungen erfüllt werden kann, Migrationshintergrund unterschieden, um der Gefahr vor allem bei älteren Gebäuden, da Umbaumaßnahmen der Zuschreibung, Etikettierung und Stigmatisierung häufig nicht möglich sind oder nicht finanziert werden mit ihren negativen Folgen von vornherein soweit wie können. Zukünftig sollten jedoch alle neu errichteten möglich zu begegnen. Wenn also hier von Kindern mit Kitas das Kriterium der Barrierefreiheit erfüllen. individuellen Bedürfnissen gesprochen wird, so sind In Bezug auf die Heterogenitätsdimension „Migra- damit alle Kinder gemeint. tion“ ist Barrierefreiheit mit dem Terminus „Nieder- schwelligkeit“ und „Zugangserleichterung“ zur Bil- 4.1.3 Spielen, Lernen, Fördern dungseinrichtung Kita gleichzusetzen. Hierzu können Die inklusive Kindertageseinrichtung enthält zugleich zum Beispiel Informationen in der Erstsprache der Fami- das Prinzip, dass alle Kinder ihren Kompetenzen und lien oder aufsuchende Tätigkeiten des Fachpersonals Bedürfnissen gemäß möglichst individuell gefördert zum Beispiel in Asylbewerberunterkünften dienen, die werden. Damit ist keine separate Förderung außerhalb einladend wirken und helfen, den Erstkontakt zu Kindern des Gruppenraumes gemeint, sondern vielmehr ein und Familien herzustellen. In diesem Sinne haben die inklusives Förderangebot, das ebenfalls bei speziellen oben genannten Maßnahmen eine Schlüsselfunktion Schwerpunkten in den Gruppenalltag eingebunden beim ersten Zugang zu einer Bildungseinrichtung in der bleibt und Separierung möglichst vollständig vermeidet Bildungsbiografie der Kinder. (Prinzip der inklusiven Förderung). Auch Kleingruppenan- gebote sollten möglichst inklusiv ausgerichtet werden, 4.1.2 Bild vom Kind d. h. Kinder mit unterschiedlichen Bedürfnissen einbe- Inklusiven Qualitätsstandards sollte ein gemeinsames ziehen (inklusive Kleingruppe). Dies trifft insbesondere Bild vom Kind zugrunde liegen. Allerdings sollten diese auch auf die Sprachförderung zu. anthropologischen und philosophischen Grundla- Im Mittelpunkt des inklusiven Gruppengeschehens gen der inklusiven Frühpädagogik zugleich offen für steht das gemeinsame Spiel der Kinder. Es zeichnet unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in verschie- sich durch Selbstorganisation und Eigensteuerung sowie denen Einrichtungen sein. Insofern ist zunächst einmal die Fantasie der Kinder aus. Dabei wird die Verschie- bedeutsam wahrzunehmen, dass es unterschiedliche denartigkeit der Kinder begrüßt und kreativ genutzt. 17
Ulrich Heimlich /Claudia M. Ueffing Die Ziele des gemeinsamen Spiels sind so differenziert, beständig weiterzuentwickeln, ist ein Prozess und eine dass alle Kinder teilhaben und etwas beitragen können. ebensolche Herausforderung wie die Entwicklung des Es wird davon ausgegangen, dass Spielen und Lernen Leitbildes oder der Einrichtungskonzeption. bis zum Schuleintritt noch weitgehend miteinander ver- bunden sind. Insofern werden intensive Lernprozesse im 4.1.6 Externe Vernetzung / soziales Umfeld gemeinsamen Spiel nicht ausgeschlossen. Bildungs- und Inklusive Kitas unterhalten vielfältige externe Koopera- Erziehungsziele werden in inklusiven Kitas vorzugsweise tionsbeziehungen. So können z. B. diagnostische Service- über das gemeinsame Spielen und Lernen erreicht. leistungen in inklusiven Kitas erforderlich sein. Es kann sich sowohl um psychologische, kinderpsychiatrische, 4.1.4 Offene Gruppen / offene Einrichtung medizinische als auch um logopädische Diagnostik Viele Kitas entwickeln derzeit teiloffene oder vollkom- handeln. Zu nennen sind hier sowohl die Sozialpädia- men offene Strukturen, bei denen gruppenübergreifend trischen Zentren (SPZ) als auch das Diagnoseangebot unterschiedliche Angebote im Tagesablauf von allen der Frühförderstellen und der Kinder- und Jugendpsy- Kindern genutzt werden können. Die hier vorliegenden chiatrischen Kliniken. Migrationssozialdienste können Qualitätsstandards beziehen sich auf inklusive Gruppen. gegebenenfalls Hilfe bei Übersetzungen beisteuern oder Bei offenen und teiloffenen Einrichtungen gelten sie für auch bei der Wohnungssuche für Familien unterstützen. die gesamte Einrichtung, da hier das inklusive Angebot Als externe pädagogische Institutionen werden hier nicht nur auf eine Gruppe beschränkt wird. Die Öffnung vor allem die Frühförderstellen und die mobilen sonder- der Gruppen kann so auch eine mögliche Maßnahme auf pädagogischen Hilfen (MSH) der Sonderpädagogischen dem Weg zur inklusiven Einrichtung sein, weil dadurch Förderzentren aufgefasst. Eine enge Kooperation ist hier das Inklusionskonzept auch in den anderen Gruppen- unerlässlich. Vorzugsweise finden auch diese Förderan- räumen und in der gesamten Einrichtung zum festen gebote eingebettet in den Gruppenalltag statt und nicht Bestandteil wird. Im Kontext von Migration kann die Öff- als externes Angebot außerhalb des Gruppenraumes nung in Bezug auf traumatisierte Kinder jedoch auch zu (Prinzip der inklusiven Förderung). einer Verringerung von Orientierung und Bindungsmög- Bei Bedarf kann auch eine Zusammenarbeit mit sozi- lichkeiten für diese Zielgruppe führen. Daher ist das ganz alen Diensten erforderlich sein. Hier ist vor allem an den offene Arbeiten mit Blick auf die Bedürfnisse der Kinder Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) der Jugend- und Sozial- zu prüfen und sorgfältig vom Kita-Team abzuwägen. ämter zu denken, die zum Beispiel den Aufenthaltsstatus eines Kindes und der Familie kennen und bei Bedarf auch 4.1.5 Frühpädagogische Fachkräfte familienbezogene Hilfen in Ergänzung zur Arbeit der Gerade in inklusiven Kitas arbeiten Fachkräfte aus unter- Kindertageseinrichtung anbieten können. schiedlichen Professionen in multiprofessionellen Teams Mit Fachdiensten sind koordinierende und übergrei- zusammen. Wenn hier von pädagogischen Fachkräften fende Beratungsangebote gemeint (z. B. Fachdienst die Rede ist, sind damit vor allem Fachkräfte der Kind- Frühförderung), die die Unterstützung der inklusiven heitspädagogik sowie der Heil- und Sozialpädogogik, Kindertageseinrichtungen im Diagnose-Förderbereich Erzieherinnen bzw. Erzieher, Kinderpflegerinnen und regional abstimmen. Kinderpfleger gemeint. Pädagogische Fachkräfte verfü- Im Folgenden werden nun nach einer Kurzübersicht gen also über eine entsprechende Ausbildung. Zusätzlich die einzelnen Qualitätsstandards zu den fünf Entwick- werden aber auch Hilfskräfte und Ehrenamtliche in inklu- lungsebenen der inklusiven Kindertageseinrichtung siven Kitas eingesetzt (z. B. Sozialdienstleistende oder (Kinder mit individuellen Bedürfnissen, inklusive Spiel- Vorlesepatinnen und -paten usf.). Darüber hinaus benö- und Lernsituationen, multiprofessionelle Teamarbeit, tigte Kompetenzen werden in der Regel durch externe inklusive Einrichtungskonzeption und Vernetzung mit Fachkräfte etwa aus dem therapeutischen Bereich (z. B. dem Umfeld) vorgestellt und mit Fragen zur Umsetzung der Logopädie) in die Arbeit der Kindertageseinrichtun- ergänzt. In einem Einrichtungsteam können die Qua- gen eingebunden. litätsstandards und die Fragen zur Umsetzung sowohl Dies bedingt eine offene professionelle Haltung aller zur Ist-Stand-Analyse verwendet werden als auch zur Mitglieder eines Kita-Teams. Diese entsprechende Hal- Weiterentwicklung. Dabei empfiehlt es sich, jeweils ein- tung auf der individuellen, auf Team- und Leitungsebene zelne Qualitätsstandards und darauf bezogene Fragen 18
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