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Leitlinien Beckenschmerzsyndrom Petrovic Z für den Arbeitskreis für Blasenfunktionsstörungen der ÖGU Journal für Urologie und Homepage: www.kup.at/urologie Urogynäkologie 2012; 19 (4) (Ausgabe für Österreich), 15-21 Online-Datenbank mit Autoren- und Stichwortsuche Indexed in Scopus Member of the www.kup.at/urologie P . b . b . 0 2 Z 0 3 1 1 1 6 M , V e r l a g s p o s t a m t : 3 0 0 2 P u r k e r s d o r f , E r s c h e i n u n g s o r t : 3 0 0 3 G a b l i t z
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Leitlinien Beckenschmerzsyndrom Leitlinien Beckenschmerzsyndrom Z. Petrovic für den Arbeitskreis für Blasenfunktionsstörungen der ÖGU Beteiligte Mitglieder des AK Blasenfunktionsstörungen (alphabetisch): OA Dr. Claudia Dörfler, Abteilung für Urologie, KH Oberwart Univ.-Doz. Dr. Helmut Heidler, Abteilung für Urologie, AKH Linz OA Dr. Gustav Kiss, Neuro-Urologische Ambulanz, Innsbruck Univ.-Prof. Dr. Christoph Klingler, Univ.-Klinik für Urologie, Wien Univ.-Prof. Dr. Helmut Madersbacher, Univ.-Klinik für Neurologie, Innsbruck Dr. Patricia Müller-Adensamer, Abteilung für Urologie, Hanusch-Krankenhaus, Wien OA Dr. Zorica Petrovic, Urologische Abteilung, Wilhelminenspital, Wien Dr. Jörg Thomas Pferschy, Urologische Praxis, Murau Univ.-Doz. Dr. Günter Primus, Univ.-Klinik für Urologie, Graz Ass. Dr. Christian Wöhrer, Abteilung für Urologie, KH Oberwart ■ 1. Begriffsbestimmung Isoliertes neuromuskuläres Schmerzsyndrom – Beckenbodenmuskelschmerzsyndrom Beim Beckenschmerzsyndrom wird ein Schmerz kontinuier- lich oder wiederkehrend (über mindestens 6 Monate) in den Ist eine Organzuordnung nicht eindeutig möglich, empfiehlt Organen und Strukturen des kleinen Beckens empfunden und es sich, die übergeordnete Diagnose zu verwenden, nämlich hat seine Schmerzursache im kleinen Becken. Offensichtliche Beckenschmerzsyndrom. Mischformen und fließende Über- Pathologien, welche als Ursache des Beckenschmerzsyn- gänge sind häufig. Diese Einteilung basiert auf den EAU- droms infrage kommen, wie z. B. Endometriose, Entzündun- Guidelines 2004 mit Überarbeitung 2008, die es sich zum Ziel gen oder Tumoren, müssen ausgeschlossen werden. Becken- gesetzt haben, bestimmte Begriffe wie chronische Prostatitis, schmerzen, deren Ursachen außerhalb des kleinen Beckens Prostatodynie, Testalgie, interstitielle Zystitis, Urethralsyndrom liegen und welche in das kleine Becken ausstrahlen (z. B. or- u. a. nicht mehr zu verwenden. Dieser Zugang zu den Diagno- thopädischer Genese), gehören nicht in diese Gruppe. Die sen wurde vielfach in internationalen Expertengremien evalu- Behandlung kann sich schwierig gestalten, weil es im Allge- iert und hat sich in der Praxis bewährt. meinen keinen fassbaren pathophysiologischen Ausgangs- punkt gibt. 1.1 Urologische Schmerzsyndrome Die im Folgenden angeführten Schmerzsyndrome lassen sich Urologische Schmerzsyndrome nicht immer voneinander abgrenzen – fließende Übergänge – Blasenschmerzsyndrom sind häufig – und sind von den Betroffenen nicht immer einem – Prostataschmerzsyndrom bestimmten Organ zuzuordnen. – Harnröhrenschmerzsyndrom – Penisschmerzsyndrom 1.1.1 Blasenschmerzsyndrom – Skrotumschmerzsyndrom Leitsymptom ist der suprapubische Schmerz, häufig mit der Blasenfüllung zunehmend, zusammen mit anderen Sympto- men wie erhöhter Miktionsfrequenz tagsüber und in der Nacht, Gynäkologische Schmerzsyndrome ohne nachweisbare Harnwegsinfektion oder andere Patholo- – Vaginaschmerzsyndrom gien. Dieser Begriff ersetzt die bisherige Bezeichnung inter- – Vulvaschmerzsyndrom stitielle Zystitis (IC). 75 % der Betroffenen haben auch ein – Klitorisschmerzsyndrom urethrales Schmerzsyndrom [1, 2]. – Ovarialschmerzsyndrom Hypothesen zur Pathogenese des Blasenschmerzsyndroms: Proktologisches Schmerzsyndrom siehe Tabelle 1. – Anorektales Schmerzsyndrom 1.1.2 Prostataschmerzsyndrom Neurologisches Schmerzsyndrom Leitsymptom ist ein von der Blasenfüllung unabhängiger, – Pudendusschmerzsyndrom persistierender oder wiederkehrender Schmerz im Prostata- bzw. im Dammbereich, gegebenenfalls mit Ausstrahlung in Aus der Urologischen Abteilung, Wilhelminenspital der Stadt Wien die Harnröhre bzw. in die Penisspitze, in Verbindung mit Korrespondenzadresse: OA Dr. Zorica Petrovic, Urologische Abteilung, LUTS und/oder Sexualfunktionsstörungen (z. B. Ejakula- Wilhelminenspital, A-1160 Wien, Montleartstraße 37; tionsschmerz mit konsekutivem Libidoverlust). Dieser Be- E-Mail: zorica.petrovic@wienkav.at griff ersetzt die Bezeichnungen chronische Prostatitis Typ J UROL UROGYNÄKOL 2012; 19 (4) 15 For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Leitlinien Beckenschmerzsyndrom Tabelle 1: Hypothesen zur Pathogenese des Blasenschmerz- gebiet des N. pudendus einhergehend mit Rektum-, Harn- syndroms trakt- und/oder Sexualdysfunktion, gegebenenfalls mit wech- selnder Lokalisation. Der Schmerz tritt typischerweise auf Mögliche Ursachen Pathogenese einer Seite auf. Epitheliale Dys- Erhöhte Permeabilität (Defekt der GAG- funktion Schicht) 1.5 Isoliertes neuromuskuläres Schmerzsyn- Allergisch Mastzellaktivierung und -degranulation drom: Beckenbodenmuskelschmerzsyndrom Autoimmunologisch IgG, C4, ANA und AK gegen Mitochondrien Es ist charakterisiert durch persistierende oder wiederkehren- Neurologisch Aktivierung von C-Fasern, erhöhte Nerven- de Schmerzepisoden im Beckenboden mit Triggerpunkten an faserdichte verschiedenen Sehnenansatzpunkten. Ein erhöhter Tonus und Vaskulär Verminderte Durchblutung der Blasenwand eine gesteigerte Reflexaktivität der Beckenbodenmuskulatur Infektiös Toxine von Bakterien, Viren, Pilzen (auch als Beckenbodenüberaktivität bezeichnet) sind immer vorhanden. Diese werden als Auslöser dieses Schmerzsyn- droms diskutiert. LUTS, Rektum- und/oder Sexualdysfunk- IIIA und B der NIDDK/NIH-Klassifikation (1999) und Pros- tionen können sich sekundär entwickeln. tatodynie. ■ 2. Diagnostik 1.1.3 Harnröhrenschmerzsyndrom Leitsymptom ist ein wiederkehrender Harnröhrenschmerz Bei allen folgenden Schmerzsyndromen ist eine Schmerzbe- ohne Infektionszeichen, vornehmlich beim Urinieren in Ver- wertung erforderlich (z. B. VAS-Analyse). bindung mit ständigem Harndrang, erhöhter Miktionsfre- quenz und häufig Dyspareunie. Dieser Begriff bezieht sich 2.1 Erforderliche Diagnostik des Blasenschmerz- auf die Frau und ersetzt die Bezeichnung Urethralsyndrom. syndroms – Allgemeine Anamnese 1.1.4 Penisschmerzsyndrom – Schmerzanamnese (in Anlehnung an die IASP-Klassifika- Leitsymptom ist ein Schmerz im nicht erigierten Penis ohne tion [3]): Projektion auf die Harnröhre. ● Schmerzdauer (> 6 Monate) ● Blasenfüllungsabhängig oder andere Triggermechanis- 1.1.5 Skrotumschmerzsyndrom men Leitsymptom ist der intermittierende Schmerz im Skrotum. ● Auftreten (sporadisch, zyklisch, kontinuierlich) Die Unterscheidung der folgenden aufgezählten Formen er- ● Schmerzcharakter (brennend, drückend, stechend) gibt sich durch die palpatorische Untersuchung des Skrotal- – Untersuchung: inhaltes, wobei der Tastbefund außer der Druckdolenz keinen ● Inspektion des äußeren Genitales pathologischen Befund ergibt: ● Palpation des Unterbauches – Hodenschmerzsyndrom ● Harnanalyse mit Harnkultur und Harnzytologie (Spontan- – Nebenhodenschmerzsyndrom harnzytologie) – Als Sonderform des Nebenhodenschmerzsyndroms gilt das ● Restharnbestimmung Postvasektomieschmerzsyndrom. ● Sonographie des oberen Harntraktes ● Uroflowmetrie 1.2 Gynäkologische Schmerzsyndrome ● Miktionsprotokoll Diese Syndrome sind charakterisiert durch persistierende ● Zystoskopie und Harnröhrenkalibrierung oder wiederkehrende Schmerzepisoden, lokalisiert entweder ● Psychologische Untersuchung als Teil einer multidiszi- in der Vagina, Vulva, Klitoris oder den Adnexen in Verbin- plinären Evaluierung (z. B. Depression) dung mit Beschwerden, die eine Harntrakt- oder Sexualdys- funktion vermuten lassen. Beschwerden wie beim Becken- Bei entsprechender Schmerz- und Miktionsanamnese und schmerzsyndrom können auch durch eine Endometriose oder ausgeschlossenen Pathologien ergibt sich die Diagnose Bla- durch Bestrahlung im kleinen Becken ausgelöst werden. senschmerzsyndrom, die zur Einleitung einer spezifischen Therapie berechtigt. Die NIH-Ausschlusskriterien dienen vor- 1.3 Proktologisches Schmerzsyndrom: Anorek- rangig wissenschaftlichen Studien und haben sich in der Pra- tales Schmerzsyndrom xis als zu restriktiv erwiesen. Leitsymptom ist der persistierende oder wiederkehrende Schmerz im anorektalen Bereich mit Schmerzdruckpunkten Bei Therapieversagern und der Notwendigkeit einer Klassifi- von Sehnenansätzen, häufig verstärkt bei der Defäkation. Es kation im Rahmen von Studien ergibt sich das Erfordernis der sind sonst keine erkennbaren pathologischen Veränderun- weiterführenden Untersuchung. gen vorhanden (z. B. Fissuren, Hämorrhoiden, thrombosierte Analvenen). Diagnosekriterien für eine interstitielle Zystitis nach NIDDK und NIH 1.4 Neurologisches Schmerzsyndrom: Pudendus- Kategorie A (mindestens 1 zutreffend): schmerzsyndrom – Diffuse Glomerulationen (> 10 pro Quadrant) in mindes- Dabei handelt es sich um neuropathische Schmerzen (= Er- tens 3 Quadranten krankung des peripheren Nervensystems) im Versorgungs- – Klassisches Hunner-Ulkus 16 J UROL UROGYNÄKOL 2012; 19 (4)
Leitlinien Beckenschmerzsyndrom Kategorie B (mindestens 1 zutreffend): 2.2 Erforderliche Diagnostik des Prostata- – Mit der Harnblase assoziierte Schmerzen schmerzsyndroms – Harndrang – Anamnese – IPSS Absolute Ausschlusskriterien: – Untersuchung: – Harnblasenkapazität > 350 ml ● Inspektion, Palpation des äußeren Genitales – Fehlen starken Harndrangs bei rascher Füllung der Harn- ● DRE mit Beurteilung des Analsphinktertonus blase ● Harnanalyse, Harnkultur – Autonome Detrusorkontraktionen ● Prostataexprimat, Sekretkultur – Keine Nykturie oder < 8 Miktionen/Tag ● Uroflowmetrie – Aktiver Herpes genitalis ● PSA – Chemische Zystitis, Strahlenzystitis oder Tuberkulose der ● Unterbauchsonographie (Blase, Prostata, Samenblasen, Harnblase Restharn) – Harnblasentumoren Bei Therapieresistenz oder unklaren Befunden ist eine weiter- Relative Ausschlusskriterien: führende Diagnostik indiziert. – Beschwerden < 9 Monate – Ansprechen auf Anticholinergika, Antibiose, Spasmolytika Weiterführende Diagnostik – Bakterielle Zystitis/Prostatitis in den letzten 3 Monaten – TRUS – Urolithiasis oder Urethraldivertikel – Flow-EMG – Uterus-, Vagina-, Urethralkarzinom – Druck-/Fluss-Messung – Vaginitis oder < 18 Jahre – Zystoskopie – MRT Weiterführende Diagnostik – Neurophysiologische Tests (z. B. Bulbocavernosus-Re- Zystoskopie in Narkose zur Hydrodistension und/oder Blasen- flexzeitmessung, Sphinkter-EMG) zur Abgrenzung gegen- wandbiopsie über anderen Schmerzsyndromen Die Hydrodistension muss standardisiert erfolgen: Blasen- füllung mit 80 cm Wasserdruck für eine Minute, danach Ent- 2.3 Erforderliche Diagnostik des Harnröhren- leerung der Blase mit Volumsbestimmung der Füllmenge und schmerzsyndroms bei der Frau Zystoskopie mit Evaluierung der Glomerulationen (mindes- – Miktionsanamnese, Miktionsprotokoll tens 10 in 3 Quadranten). – Untersuchungen: ● Harnanalyse, Harnkultur Aus den Ergebnissen dieser beiden Untersuchungen ergibt ● Harnzytologie – frischer Spontanharn (kein Morgenharn) sich die Möglichkeit der Klassifikation in Hinblick auf den ● Uroflowmetrie (Flow-EMG) Schweregrad des Blasenschmerzsyndroms nach dem ESSIC- ● Urethrozystoskopie Schema (2006; Tab. 2). ● Harnröhrenkalibrierung ● Urethrale Palpation/Kompression (zum Ausschluss von Tabelle 2: ESSIC-Klassifikation: Klassifizierung des Blasen- infizierten paraurethralen Drüsen, Urethraldivertikeln) schmerzsyndroms anhand der Zystoskopieergebnisse bei ● Vaginale und Beckenbodenpalpation (Schmerztrigger- der Hydrodistension und intravesikalen Biopsie punkte als Teil eines „pain mappings“) ● Gynäkologische Untersuchung Zystoskopie mit Hydrodistension fehlend normal Glomeru- Hunner- lationen Ulkus Bei Therapieresistenz oder unklaren Befunden ist eine weiter- führende Abklärung indiziert. Biopsie fehlend XX 1X 2X 3X normal XA 1A 2A 3A nicht schlüssig XB 1B 2B 3B Weiterführende Diagnostik positiv XC 1C 2C 3C – MCU – MRT – Sonographie der Harnröhre Nachdem beim chronischen Blasenschmerzsyndrom heute – Urethraler und vaginaler Abstrich zum Nachweis von der Schmerz und nicht die Morphologie im Vordergrund steht, uropathogenen Mikroorganismen und Pilzen (bringen sel- haben das ESSIC-Schema und die alleinige Hydrodistension ten brauchbare Befunde) unter diesem Gesichtspunkt in der Routine nur mehr einen sehr eingeschränkten Stellenwert. 2.4 Erforderliche Diagnostik beim Penis- und Skrotumschmerzsyndrom Komparative Zystometrie (0,2 Mol KCl-Test) – Anamnese Zur Evaluierung der Behandlungsaussichten der gegebenen- – Inspektion und Palpation falls defekten GAG-Schicht. – Sonographie J UROL UROGYNÄKOL 2012; 19 (4) 17
Leitlinien Beckenschmerzsyndrom 2.5 Erforderliche urologische Diagnostik bei – Elektrophysiologische Untersuchung des N. pudendus und gynäkologischen Schmerzsyndromen des analen Sphinkters (Nervenleitgeschwindigkeit mithilfe Zum Ausschluss morphologischer oder funktioneller Patho- der St.-Mark’s-Elektrode bzw. konventionelle EMG-Ab- logien im urologischen Bereich sind folgende Untersuchun- leitung vom quergestreiften analen Sphinkter in speziali- gen möglich: sierten Zentren) – Anamnese – Vaginale Untersuchung Bei der Diagnostik muss auf Mischformen und fließende – Palpation: bimanuell, Unterbauch, Schmerztriggerpunkte Übergänge Rücksicht genommen werden. – Harnanalyse – Sonographie des Urogenitaltraktes ■ 3. Therapie des Beckenschmerzsyndroms – Urethrozystoskopie Da die Ursache dieses Schmerzsyndroms unbekannt ist, kann Die spezifische Diagnostik ist durch den Facharzt für Gynä- eine kausale Behandlung nicht erfolgen. Durch die belastende kologie durchzuführen. Chronizität des Leidens kommt häufig noch die therapeuti- sche Frustration auf Patientenseite und wohl auch von ärztli- 2.6 Erforderliche urologische Diagnostik beim cher Seite hinzu. Häufig verlangen die Betroffenen invasivere anorektalen Schmerzsyndrom Maßnahmen in der Hoffnung, davon profitieren zu können. In Zum Ausschluss morphologischer oder funktioneller Patho- diesem Falle ist eine eingehende Beratung der Betroffenen logien im urologischen Bereich sind folgende Untersuchun- besonders wichtig. gen möglich: – Anamnese Realistische Therapieziele sind: – Rektale Untersuchung und Palpation des Unterbauches – Schmerzreduktion von max. 50 % – Harnanalyse – Verbesserung der Schlaf- und Lebensqualität – Sonographie des Unterbauches und TRUS – Erhaltung der sozialen Rolle im Beruf und privat Eine weiterführende Diagnostik ist durch den Proktologen Für die meisten der angeführten Therapieformen ist der LoE durchzuführen. 2–4, der Grad der Empfehlung C–D. 2.7 Erforderliche Diagnostik beim Pudendus- 3.1 Therapie des Blasenschmerzsyndroms [4] schmerzsyndrom 3.1.1 Konservative Therapie Urologische, gynäkologische und proktologische Schmerzsyn- – Verhaltenstherapie (Änderung des Lebensstils, Stress- drome und lokale Pathologien im kleinen Becken sind durch reduktion, Diätberatung) die zuvor angeführten Untersuchungen auszuschließen. – Physikalische Therapie (Entspannungstherapie, Manual- – Anamnese: Typisch sind die Seitendifferenz und eine vor- therapie, TENS etc.) wiegend brennende Schmerzqualität. – Pharmakotherapie (Antimuskarinika, Antispastika, Anal- – Untersuchungen: getika, Antidepressiva, Antikonvulsiva) ● Druckschmerzpunkte bei perinealer, vaginaler und rek- taler Untersuchung 3.1.2 Komplementäre Therapie (in den ICI 2009 und EAU- ● Elektrophysiologische Untersuchung des N. pudendus Guidelines wegen fehlender Studien nicht angeführt) (Nervenleitgeschwindigkeit mithilfe der St.-Mark’s-Elek- – Akupunktur trode in spezialisierten Zentren) – Homöopathie ● MRT des kleinen Beckens mit besonderer Berücksichti- – Psychotherapie gung des Verlaufs des N. pudendus und des Conus me- dullaris 3.1.3 Minimal-invasive Therapie – Intravesikale Therapie (GAG-Layer-Substitution, EMDA) 2.8 Erforderliche Diagnostik beim Beckenboden- – Botulinumtoxin-A-Therapie (off-label) muskelschmerzsyndrom – Sakrale Nervenblockade (Lokalanästhetikum) – Urologische, gynäkologische und proktologische Schmerz- – Sakrale Neuromodulation syndrome und lokale Pathologien im kleinen Becken sind – TUR bei Ulzera durch die zuvor angeführten Untersuchungen auszuschlie- ßen. 3.1.4 Offen-chirurgische Therapie – Myofasziale Triggerpunkte (z. B. Sehnenansätze von Os – Blasenaugmentation mit/ohne supratrigonale Zystektomie coccygeum, Os sacrum, Os pubis) – Ultima ratio: Zystektomie mit supravesikaler Harnableitung – Flow-EMG (evtl. mit Urethrektomie); cave: keine Erfolgsgarantie! – MRT des kleinen Beckens mit besonderer Berücksichti- gung des Verlaufs des N. pudendus und MRT des thorako- 3.2 Therapie des Prostataschmerzsyndroms [5–8] lumbalen Überganges und LWS (Conus medullaris und Cauda equina) 3.2.1 Konservative Therapie – Pudendusinfiltration perineal mit digitaler vaginaler/rekta- – Verhaltenstherapie (Änderung des Lebensstils) ler Assistenz; durch nachfolgende Schmerzfreiheit Bestäti- – Physikalische Therapie (Beckenbodenentspannung, Manual- gung der Diagnose therapie, Balneotherapie) 18 J UROL UROGYNÄKOL 2012; 19 (4)
Leitlinien Beckenschmerzsyndrom – Pharmakotherapie: 3.5 Therapie des Skrotumschmerzsyndroms [15] ● Antibiotika: Eine negative Prostataexprimatkultur schließt Als bekannte Ursachen können eine Vasektomie oder ingui- eine erregerbedingte Prostataentzündung nicht aus. Da- nale Herniotomie zu chronischem Hodenschmerz führen. Der her ist eine antibiotische Therapie mit Chinolonen (4 Hodenschmerz nach Vasektomie tritt in 15–19 % auf und ist Wochen) und anschließend Makroliden/Doxyzyklinen verursacht durch eine Kongestion des Vas deferens und des (2 Wochen) gerechtfertigt. Nebenhodens. ● Analgetika ohne/in Kombination mit nicht-retardierten NSAR (cave: Nebenwirkungen!) 3.5.1 Konservative Therapie ● Schwach wirksame Opioide (Tramadol); cave: Neben- – Verhaltenstherapie (Vermeiden von beengender Kleidung, wirkungen! Kälteexpositionen, längerem Sitzen) ● Alpha-Blocker – Physikalische Therapie (Beckenbodenrelaxation inklusive ● Alpha-5-Reduktase-Hemmer Triggerpunkt-Therapie; LoE1b, Empfehlungsgrad A), ● Phytotherapie Elektrotherapie (TENS-Verfahren), Osteopathie – Pharmakotherapie: 3.2.2 Komplementäre Therapie (in den ICI 2009 und EAU- ● Antibiotika: Eine antibiotische Therapie mit Chinolonen Guidelines wegen fehlender Studien nicht angeführt) (4 Wochen) und anschließend Makroliden/Doxyzykli- – Hochenergetische Magnetfeldtherapie nen (2 Wochen) ist eine Option. – Stoßwellentherapie ● Alpha-Blocker – Homöopathie ● Nicht-steroidale Antiphlogistika – Akupunktur ● Trizyklische Antidepressiva – Psychotherapie 3.5.2 Minimal-invasive Therapie 3.2.3 Chirurgische Therapie – Infiltrationsanästhesie des Samenstranges – Botulinumtoxin-A-Injektionen (off-label) – Ultima ratio: TURP bei zusätzlicher Indikation (z. B. 3.5.3 Chirurgische Therapie Prostatasteinnester) – Chemische Neurolyse oder chirurgische Resektion des N. ilioinguinalis 3.3 Therapie des Harnröhrenschmerzsyndroms – Vasovasostomie (nach Vasektomie) [1, 9–14] – Epididymektomie (bei Nebenhodenschmerzsyndrom) 3.3.1 Konservative Therapie 3.6 Therapie des gynäkologischen Schmerz- – Physikalische Therapie (Beckenbodenentspannungstrai- syndroms ning) – Pharmakotherapie: In Zusammenarbeit mit dem Gynäkologen. ● Antimuskarinika ● Alpha-Blocker 3.7 Therapie des anorektalen Schmerzsyndroms ● Schmerztherapie: Analgetika, Antidepressiva, Antispas- In Zusammenarbeit mit dem Proktologen. tika ● Antibiotika (Doxyzyklin für 2 Wochen) 3.8 Therapie des Pudendusschmerzsyndroms – Nicht-invasive elektrische Neuromodulation des N. puden- dus mit Biofeedback zur Sphinkterentspannung Die Schmerztherapie besteht aus einer Basistherapie und der Therapie akuter Schmerzattacken. Eine Erfolglosigkeit kann 3.3.2 Minimal-invasive Therapie nur nach einer Dauer von mind. 4 Wochen und nach Ausnut- – Harnröhrendilatation zung erlaubter Maximaldosen und der möglichen Kombina- – Sakrale Neuromodulation tionen ausgesprochen werden. Bei den angeführten Therapien handelt es sich überwiegend um symptomatische Behand- 3.4 Therapie des Penisschmerzsyndroms lungsmethoden. Eine spezifische Therapie gibt es zurzeit nicht. Die Schmerz- 3.8.1 Konservative Therapie behandlung sollte im Rahmen einer allgemeinen Schmerz- – Physikalische Therapie (nicht-invasive Neuromodulation therapie in Form der WHO-Empfehlungen erfolgen. des N. pudendus, Osteopathie) – Pharmakotherapie: Die Schmerztherapie gehört zum Auf- 3.4.1 Pharmakotherapie gabenbereich des Urologen. Bei komplexen Fällen ist die – Analgetika Zusammenarbeit mit einem Schmerztherapeuten erforder- – Antidepressiva lich. Überwiegend peripher wirksame Analgetika zur The- – Antikonvulsiva rapie von Schmerzattacken (LoE1 für Akutschmerzen; LoE4 für chronische Schmerzen). 3.4.2 Komplementäre Therapie – Homöopathie ● Analgetika: First-line-Therapie bei akuten Schmerzatta- – Akupunktur cken: – Psychotherapie ASS Paracetamol J UROL UROGYNÄKOL 2012; 19 (4) 19
Leitlinien Beckenschmerzsyndrom Diclofenac – Gezielte, CT-gesteuerte perkutane Nerveninfiltration im Ibuprofen Alcock-Kanal Naproxen – Transsakrale S2–S4-Nervenblockade Metamizol 3.8.3 Chirurgische Therapie ● Opioide: Second-line bei Schmerzattacken. Strenge In- – Chirurgische Dekompression des N. pudendus mit peri- dikation wegen Toleranz- und Abhängigkeitsentwick- nealem Zugang lung; cave: Suchtanamnese! Dosisänderung nur durch den Arzt, Kontrolle des Therapieerfolgs! Verabrei- 3.8.4 Komplementäre Therapie chungsformen für die Pudendus-Neuralgie: oral, trans- – Homöopathie dermal, transrektal; LoE 1–2 für alle Präparate: – Akupunktur Tramadol Dihydrocodein 3.9 Therapie des Beckenbodenmuskelschmerz- Hydromorphon syndroms ● Antidepressiva: Die Wirkung ist unabhängig von den 3.9.1 Konservative Therapie antidepressiven Eigenschaften, über deszendierende – Physikalische Therapie (Entspannungsübungen, Manual- serotonerge und noradrenerge schmerzhemmende Bah- therapie, Osteopathie, lokale Wärmebehandlung) nen. Die Dosis bei der Schmerztherapie ist niedriger als – Pharmakotherapie: die Dosis zur Behandlung einer Depression. Nicht geeig- ● Antispastika: Anwendung häufig durch Nebenwirkun- net sind SSRI-Präparate. Alle haben anticholinerge Ne- gen stark limitiert: benwirkungen! Buscopan® (Butylscopolamin) per os (parenteral nur Amitriptylin (Saroten): First-line-Therapie, LoE1 spasmolytische Wirkung) Myolastan® (Tetrazepam) Bei fehlendem Effekt oder Nebenwirkungen in Abstim- Sirdalud® (Tizanidin) mung mit dem Schmerztherapeuten: Dantamacrin® (Dantrolene) Mianserin (Tolvon): LoE2 Lioresal® (Baclofen) Trazodon (Trittico): geringere anticholinerge Neben- ● Analgetika: Kombination mit Antispastika häufig sinn- wirkungen! voll: Entsprechend den Vorgaben der WHO-Richtlinien ● Antikonvulsiva: Eine gleichwertige Alternative zu den Norgesic® (Orphenacin + Paracetamol) Antidepressiva sind die Antikonvulsiva. Ihre Wirkweise ● Antikonvulsiva und Antidepressiva: siehe Kapitel 3.8 besteht in der Hemmung der ektopen (pathologischen) Erregungsbildung durch Senkung der Frequenz der pa- 3.9.2 Minimal-invasive Therapie thologischen Aktionspotenziale. Es gibt die Möglichkeit einer temporären und einer perma- Gabapentin (Neurontin): LoE1 nenten Nervenblockade. Pregabalin (Lyrica): LoE1 – Regionale Nervenblockade des N. pudendus – Transsakrale Neuromodulation Bei fehlendem Effekt oder Nebenwirkungen in Abstim- mung mit dem Schmerztherapeuten: 3.9.3 Chirurgische Therapie Carbamazepin (Neurotop; Tegretol): LoE2 Keine. Lamotrigin (Lamictal): LoE2 3.9.4 Komplementäre Therapie ● Kombinationen: gegebenenfalls in Abstimmung mit ei- – Akupressur nem Schmerztherapeuten: – Akupunktur Opioide und peripher wirksame Analgetika – Psychotherapie Antikonvulsiva und/oder peripher wirksame Analgeti- ka und/oder Antidepressiva Anmerkung zur komplementären Therapie Die komplementären Therapien werden häufig mit zum Nicht sinnvoll sind mehrere Opioide und/oder mehrere Teil über Placeboniveau liegenden Behandlungsergeb- NSAR. nissen angewendet, sind aber in der Publikation der ICI 2009 und in den EAU-Leitlinien nicht angeführt. ● Lokal anwendbare Substanzen: Emla-Gel, Lidocain-Pflaster (Versatis-Pflaster®) Capsaicin-Pflaster (Qutenza®) Literatur: 2. Fitzgerald MP, Brensinger C, Brubaker L, et al.; ICDB Study Group. What is the pain 1. Parsons CL. Prostatitis, interstitial cysti- 3.8.2 Minimal-invasive Therapie tis, chronic pelvic pain, and urethral syn- of interstitial cystitis like? Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 2006; 17: 69–72. Es gibt die Möglichkeit einer temporären und einer perma- drome share a common pathophysiology: lower urinary dysfunctional epithelium and 3. Pioch E. Schmerzdokumentation in der nenten Nervenblockade. potassium recycling. Urology 2003; 62: 976– Praxis. Klassifikation, Stadieneinteilung, – Regionale Nervenblockade 82. Schmerzfragebögen. Springer, Berlin, 2005. 20 J UROL UROGYNÄKOL 2012; 19 (4)
Leitlinien Beckenschmerzsyndrom 4. Hampel C (Hrsg). Overactive Bladder – 7. Schaeffer AJ, Anderson RU, Krieger JN, chronic urethral and/or pelvic pain in fe- 12. Kaplan WE, Firlit CF, Schoenberg HW. The Aktuelle Behandlungsstrategien für die et al. The assessment and management of males. Can doxycycline help? J Urol 2004; female urethral syndrome: external sphincter Praxis. UNI-Med Science, Bremen, 2009. male pelvic pain syndrome, including pros- 172: 232–5. spasm as etiology. J Urol 1980; 124: 48–9. 5. Yang G, Wei Q, Li H, et al. The effect of tatitis. In: McConnell J, Abrams P, Denis L, 13. Fall M, Baranowski AP, Elneil S, et al. et al. (eds). Male Lower Urinary Tract Dys- 10. Weiss JM. Pelvic floor myofascial trig- alpha-adrenergic antagonists in chronic EAU Guidelines on chronic pelvic pain. Euro- function. Evaluation and Management. ger points: manual therapy for interstitial prostatitis/chronic pelvic pain syndrome: pean Association of Urology, 2008. Health Publications, Paris, 2006; 341–85. cystitis and the urgency-frequency syn- a meta-analysis of randomized controlled drome. J Urol 2001; 166: 2226–31. 14. Costantini E, Zucchi A, Del Zingaro M, trials. J Androl 2006; 27: 847–52. 8. Cornel EB, van Haarst EP, Schaarsberg et al. Treatment of urethral syndrome: a pro- 6. Nickel JC, Krieger NJ, McNaughton-Collins RW, et al. The effect of biofeedback physi- 11. Chen YL, Ha LF, Cen J, et al. [Compara- spective randomized study with Nd:YAG la- M, et al.; Chronic Prostatitis Collaborative cal therapy in men with Chronic Pelvic Pain tive observation on therapeutic effects of ser. Urol Int 2006; 76: 134–8. Research Network. Alfuzosin and symptoms Syndrome Type III. Eur Urol 2005; 47: 607–11. electroacupuncture and manual acupuncture of chronic prostatitis-chronic pelvic pain syn- 9. Burkhard FC, Blick N, Hochreiter WW, et on female urethral syndrome]. Zhongguo drome. N Engl J Med 2008; 359: 2663–73. al. Urinary urgency and frequency, and Zhen Jiu 2005; 25: 425–6. J UROL UROGYNÄKOL 2012; 19 (4) 21
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