Leseprobe Islamische Gemeinde Penzberg Die Moschee - Die Menschen - Das Miteinander

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Leseprobe Islamische Gemeinde Penzberg Die Moschee - Die Menschen - Das Miteinander
Leseprobe

                                 Islamische Gemeinde
                                 Penzberg
                                 Die Moschee - Die Menschen
                                 - Das Miteinander

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Seiten: 224
Erscheinungstermin: 27. September 2021

              Mehr Informationen zum Buch gibt es auf
                   www.penguinrandomhouse.de
ISL A M ISCHE GEM EINDE
                                                     PENZBERG

                                           Die Moschee * Die Menschen * Das Miteinander

                                           Herausgegeben von der Islamischen Gemeinde Penzberg

                                                      Text und Redaktion: Stefan König

                                         Mit Beiträgen von Benjamin Idriz, Gönül Yerli, Alen Jašarević,
                                                       Muharem Dugonjić, Bayram Yerli

                                                          Gestaltung: Kathrin König

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„... zu Seinen Zeichen gehört die
                                         Erschaffung der Himmel und der
                                         Erde und die Verschiedenheit
                                         eurer Sprachen und Farben. ...“
                                                                 (Koran, Sure 30:22)

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                                             DA S G U T E M I T E I N A N D E R     8
                                                                                   11     Ein Gruß des Vorsitzenden

                                                           WA S W I R T U N        16
                                                                                   18     Das aktive Gemeindeleben
                                                                                   32     Kopftuch und Dirndl
                                                                                   35    „Bei Freunden zuhause“
                                                                                   36     Fragen, Wünsche Hoffnungen
                                                                                   38     Flucht, Vertreibung, Neuanfang
                                                                                   43     Lernen und forschen! Eine Rede
                                                                                   51     Imam Benjamin Idriz im Porträt
                                                                                   58     Mehmet Amca macht Tee
                                                                                   61    „Lebendig, offen, gastfreundlich“

                                                   W I E A L L ES B E GA N N       62
                                                                                   65     Penzberg – die (welt)offene Stadt
                                                                                   70     Zeitzeugen der ersten Stunde
                                                                                   77    „Ein Vorzeigeprojekt“

                                                 Z E I T D ES AU FB RU C H S       78
                                                                                   80     Kleiner geschichtlicher Überblick
                                                                                   83    „Den Dialog fortsetzen“
                                                                                   84     Die Architektur schafft Identität
                                                                                   97     Rundgang mit dem Architekten
                                                                                  101    „Voneinander lernen“

                                         20 0 5: D E R G RO S S E S C H R I T T 102
                                                                                  10 4   Die Reise nach Arabien
                                                                                  10 9   Der Emir von Schardscha
                                                                                  114    Momentaufnahmen vom
                                                                                         Eröffnungstag
                                                                                  118    Hoher Besuch

DD_978-3-579-05484-1_INHALT_GVH.indd 6                                                                                        02.07.2021 07:40:09
I N H A LT                                    7

                                                U N T E R V E R DAC H T 122
                                                                      124      Ein Gespräch mit Rechtsanwalt
                                                                               Hildebrecht Braun
                                                                      134      Schmähbriefe an Hans Mummert
                                                                      138      Brandbrief von Prof. Wimmer
                                                                      142      Bundesministerin Leutheusser-
                                                                               Schnarrenberger
                                                                      151      Freitagspredigt: „60 Jahre
                                                                               Deutschland“
                                                                      155     „Immer Vertrauen gehabt“

                                                  AU S B L I C K 2021 156
                                                                      158      Erfolgsrezept in fünf Punkten
                                                                      162      Eine weltlich-religiöse Brücke
                                                                      173     „Gott und die Welt in Penzberg“
                                                                      174      Pfarrer und Imam bilden eine
                                                                               Troika
                                                                      178      Bundespräsident Frank-Walter
                                                                               Steinmeier zu Besuch
                                                                      182      Die Vorstandschaft im
                                                                               Jubiläumsjahr
                                                                      183      TV-Live-Übertragung
                                                                      18 5     Die Jugend setzt Akzente
                                                                      193      Fragen der Jugend
                                                                      194     „Beispielgebend weit über
                                                                               die Grenzen unserer Stadt“
                                                                      195      Gedanken zum Schluss

                                         G RU S S O H N E G R EN Z EN 20 0
                                                                      202     Summarys in 5 Sprachen
                                                                      217     Danksagung
                                                                      220     Bildnachweis / Impressum

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14                                                                                            DA S G U T E M I T E I N A N D E R

                                   verzichtet – und uns zudem immer Mut              Eine Überlegung drängte sich auf: Wir
                                   zugesprochen, die Moschee zu bauen.               müssten eigentlich eine Moschee bauen,
                                   Bedanken möchte ich mich natürlich nicht          denn nur dadurch würden wir wahrge-
                                   zuletzt bei meiner Familie, vor allem bei         nommen und nur dadurch könnte der Weg,
                                   unseren Kindern, die insbesondere wäh-            die Nationen und Ethnien auch fortan gut
                                   rend der Bauphase auf Mutter und Vater            zusammen zu bringen, weiterhin beschrit-
                                   weitgehend verzichten mussten – sie halten        ten werden. Dass es des Glücks und der
                                   es uns heute noch vor.                            Zufälle bedurfte, die Idee Realität werden
                                   Nicht unerwähnt lassen möchte ich mei-            zu lassen, liest man am besten im Kapitel
                                   ne Vorstandskollegen, die schon in frühen        „1994–2005: Zeit des Aufbruchs“ (ab Sei-
                                   Jahren erkannten, dass die in der Gemein-         te 78). Und dass es nie möglich geworden
                                   de immer mehr werdende Arbeit ehren-              wäre ohne das große Engagement aller
                                   amtlich nicht mehr zu leisten war, und            Gemeindemitglieder und der großherzi-
                                   diese daher an das Team delegierten. So ist       gen Unterstützung von Scheich Sultan bin
                                   die Arbeit professionalisiert worden, und         Muhammad al-Qasimi, dem Regenten von
                                   heute ernten wir daraus die Früchte.              Schardscha (Vereinigte Arabische Emira-
                                   Die 1990er Jahre waren in mehrfacher Hin-         te), auch das erfährt man in diesem Buch.
                                   sicht ganz entscheidend für uns Muslime in        Eines aber möchte ich besonders hervorhe-
                                   Penzberg. Nicht nur, dass wir mit Benjamin        ben: Auch wenn die Islamische Gemeinde
                                   Idriz einen sehr jungen Imam bekommen             Penzberg heute für ihr Wirken und für ihre
                                   haben. Die Kriege in Ex-Jugoslawien hatten        wunderschöne Moschee deutschlandweit
                                   zur Folge, dass Flüchtlinge aus Bosnien nach      und darüber hinaus bekannt ist, so war es
                                   Penzberg kamen – und übrigens auch von            doch nie das Anliegen, berühmt zu werden.
                                   der Stadt freundlich aufgenommen wur-             Wir brauchten Platz, ja, so einfach war das.
                                   den. Für diese freundliche und vorurteils-        Und dass sich dann alles so schön fügte, ist
                                   freie Aufnahme der Flüchtlinge aus Bosnien        für uns Muslime in Penzberg, bestimmt
                                   wollten wir uns 1996 mit einem großen             aber auch für die meisten Menschen in der
                                   orientalischen Buffet in der Stadthalle bei       Stadt und im Umland, ein großes Glück.
                                   der Bevölkerung bedanken. Aber es kamen
                                   nur ca. 30 Gäste; das meiste mussten wir
                                   selbst essen … Damals war die Islamische                     U N T ER V ERDAC H T –
                                   Gemeinde Penzberg noch bei weitem nicht                 D I E S C HW ERS T EN JA H RE
                                   so fest verankert im Stadtleben, wie das gut
                                   20 Jahre später der Fall ist. Doch der Flücht-   Bei allem Glück darf aber nicht verges-
                                   lingszustrom und das Heranwachsen der            sen werden, dass die Islamische Gemein-
                                   dritten Generation brachten natürlich mit        de Penzberg auch eine sehr schwere Zeit
                                   sich, dass die Islamische Gemeinde Penz-         durchgemacht hat. Die Jahre 2007 bis 2011
                                   berg wuchs. Und das wiederum hatte zur           liegen noch nicht allzu weit zurück, die Er-
                                   Folge, dass der Gebetsraum in der Zweig-         innerung ist noch sehr lebendig: Das Bay-
                                   straße (nach dem ersten Gebetsraum in der        erische Innenministerium und der Ver-
                                   Karlstraße war dort das zweite Provisorium       fassungsschutz rückten unsere Gemeinde
                                   entstanden) einfach zu klein wurde.              in die extremistische Ecke, führten uns

DD_978-3-579-05484-1_INHALT_GVH.indd 14                                                                                                      02.07.2021 07:40:21
DA S G U T E M I T E I N A N D E R                                                                  15

                   haltlos im Verfassungsschutzbericht auf,        Als Vorsitzender der Islamischen Gemeinde
                   diskreditierten die gute Arbeit, die geleis-    Penzberg kann ich nur dazu einladen, uns
                   tet wurde, und das freundschaftliche Mit-       zu besuchen. So, wie man das vorliegende
                   einander, das in Penzberg selbstverständ-       Buch aufschlagen und darin „herumflanie-
                   lich war. Wir danken Gott, dass dies alles      ren“ kann, lassen sich auch Forum und Mo-
                   vorüber und ausgestanden ist.                   schee besuchen, besichtigen, erkunden.
                   Wie schwierig diese Jahre waren, zeigt          Nehmen Sie dieses Buch bitte auch als Aus-
                   das Kapitel „Unter Verdacht“ (Seite 122 ff.).   druck unseres Anliegens, eine Stätte des
                   Ich bin jedenfalls sehr froh, dass sich         Islam im Hier und Heute in Deutschland
                   Rechtsanwalt Hildebrecht Braun (heute           und eine Stätte des interreligiösen Dialogs
                   unser Freund) und mit ihm die ehemalige         zu sein.
                   Bundesjustizministerin Frau Leutheusser-        Und betrachten Sie es als Einladung, wie
                   Schnarrenberger auf unsere Seite gestellt       Sie auch im Treppenhaus des Islamischen
                   hat, dass uns der frühere Präsident des         Forums mit dem Koranzitat 15:46 be-
                   Bayerischen Landtages, Alois Glück, mit         grüßt werden: „Tretet hinein in Frieden
                   Respekt und Achtung begegnete, dass der         und Sicherheit“.
                   Erste Bürgermeister Hans Mummert ge-
                   nauso hinter uns stand wie die Geistlichen
                   der benachbarten katholischen und evan-
                   gelischen Kirchen. Es ist eine Freude und
                   eine Ehre, dass von ihnen allen auch im
                   vorliegenden Buch zu lesen ist.

                                                                   Bayram Yerli, geboren 1971 in Sivas/Türkei.
                                  S I E S I N D H ER ZL I C H      Er ist in Deutschland ab der dritten Klasse
                                       EI N G EL A D EN!           zur Schule gegangen und hat Blechschlos-
                                                                   ser gelernt. Von 2006 an bis zur Schließung
                   Ich sitze im Büro im ersten Stock des Isla-     des Werks war er Betriebsrat bei Hörmann
                   mischen Forums, lasse die Vergangenheit         Automotive Penzberg (HAP). Daneben ist
                   Revue passieren und komme aus dem Stau-         er ehrenamtlicher 2. Bevollmächtigter der
                   nen nicht heraus. Trotz der oben genannten      IG-Metall, Geschäftsstelle Weilheim.
                  „Steine“, die man uns in den Weg legen woll-
                   te, ist in den zurückliegenden Jahren Be-       Sein soziales und politisches Engagement
                   achtliches erreicht worden.                     findet u.a. Ausdruck in seiner Mitglied-
                   Irgendwie ist für mich diese Entwicklung        schaft in der SPD; 2020 wurde er in den
                   von der Karlstraße zur Zweigstraße und          Penzberger Stadtrat gewählt.
                   weiter zu unserem heutigen Islamischen Fo-
                   rum, das größte Anerkennung genießt, un-         Was seine wenige Freizeit betrifft, sagt er:
                   fassbar. Wer hätte auch ahnen können, dass      „Nach meinen Ehrenämtern ist meine liebs-
                   Penzberg zu so etwas wie „dem islamischen        te Freizeitbeschäftigung in der Natur drau-
                   Zentrum in Bayern“ werden konnte, wie es         ßen zu sein, in welcher Form auch immer.“
                   Imam Idriz im Porträt trefflich beschreibt?

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          DER ISL A M GEHÖRT ZU PENZBERG

          Mit einem überaus aktiven Gemeindeleben hat man
          sich in der Stadtgesellschaft fest verankert

                                          Wer in Penzberg an der schmucken Moschee mit
                                          ihrem eleganten Minarett vorbeifährt, ahnt als
                                          Nichtmuslim nicht, dass sich hinter dem stets für
                                          alle Besucher offenen Portal noch weit mehr ereig-
                                          net als regelmäßiges Gebet und Kontemplation. Die-
                                          ser Ort ist der Mittelpunkt des islamischen Lebens
                                          in Penzberg, das Zentrum für Muslime in der Stadt
                                          und im weiten Umland. Dementsprechend vielsei-
                                          tig und enorm aktiv gestaltet sich das Wirken der
                                          islamischen Gemeinde. Darin unterscheidet sie sich
                                          nicht von der katholischen und der evangelischen
                                          Kirchengemeinde, die sich ebenfalls vielfältig enga-
                                          gieren – sozial, caritativ, kulturell. Und doch stellt
                                          sich das islamische Gemeindeleben ein wenig an-
                                          ders dar: Die Mitglieder entstammen letztlich alle
                                          ethnischen und/oder religiösen Minderheiten, die
                                          meisten von ihnen haben ihre „Wurzeln“ nicht in
                                          Deutschland, nicht in Bayern, nicht in Penzberg.
                                          Zwar funktioniert hier in der Stadt das Miteinander
                                          verschiedenster nationaler Herkünfte und unter-
                                          schiedlicher Glaubensrichtungen geradezu optimal.
                                          Dennoch ist es für die Muslime ganz besonders
                                          wichtig, mit ihrer Gemeinde, dem Forum und vor
                                          allem der Moschee ein Stück Identität gewonnen
                                          zu haben, eine Brücke vielleicht auch zwischen
                                          alter und neuer Heimat. Und weil eben diese Brücke
                                          nichts Selbstverständliches ist, nehmen die Musli-
                                          me hier ihre Gemeinschaft so stark an. Das diffuse

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WA S W I R T U N                                                                                   19

                   Gefühl, einer Minderheit anzugehören,           die ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder
                   schafft starke Verbindungen. Bemerkens-         haben, auch das wieder ziemlich salopp
                   wert ist, dass in der Islamischen Gemeinde      gesprochen, alle Hände voll zu tun. Man
                   Penzberg in diesem Fall ein weiterer Brü-       denke nur einmal an die Dialogarbeit
                   ckenschlag gemacht wird: Statt dieses Min-      oder auch an die zahllosen Führungen
                   derheitsgefühl zu bestärken, schaffen die       großer und kleiner Besuchergruppen, un-
                  Verantwortlichen die Verbindung zur nicht-       zählige Menschen, die auf diese islami-
                   muslimischen Mitwelt.                           sche Vorzeigegemeinde in Oberbayern
                   Langer Vorrede kurzer Sinn: Was hier ge-        neugierig geworden sind. Übrigens: Bei
                   leistet wird, in praktischer Arbeit genauso     dem Begriff „Vorzeigegemeinde“ handelt
                   wie in religions-philosophischer Hinsicht,      es sich nicht um eitle Selbstdarstellung –
                   ist ganz enorm. Es lohnt sich, einen Schritt    vielmehr stammt er aus einer im Jahr 2016
                   durchs große Portal zu tun, das gerahmt ist     ausgestrahlten Sendung des Bayerischen
                   von einem Vers der Sure 49 in arabisch und      Rundfunks ...
                   deutsch:
                  „Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des
                   Barmherzigen. Ihr Menschen! Wir haben                 W ERT E V ER M I T T LU N G VO N
                   euch aus Mann und Frau erschaffen und                        K I N D H EI T A N
                   haben euch zu Völkern und Stämmen wer-
                   den lassen, damit ihr euch kennenlernt. Der     Eine der Kernaufgaben ist der Religions-
                   Edelste vor Gott ist der Gerechteste unter      unterricht. Da der für Muslime an den
                   euch. Gott hat das wahre Wort gesprochen.“      städtischen und staatlichen Schulen (bis-
                                                                   lang) nicht geleistet werden kann, hat sich
                                                                   die Islamische Gemeinde Penzberg diesem
                                 VO R ZEI G EG E M EI N D E?       wichtigen Thema mit Nachdruck verschrie-
                                                                   ben. In sechs verschiedenen Altersgruppen
                   Die Liste des Angebots ist lang. Sie reicht     werden etwa 120 Schüler unterrichtet. Sie
                   vom Religionsunterricht und der Unterstüt-      sind zwischen sechs und sechzehn Jahren
                   zung im schulischen Bereich über die Arbeit     alt, und sie kommen samstags oder sonn-
                   mit den Heranwachsenden zu den Sprach-          tags in die Moschee. Lange Zeit war es ein
                   und Integrationskursen und weiter zu den        Problem, Unterrichtsmaterialien in deut-
                   verschiedensten Aufgaben der Seelsorge. Um      scher Sprache zu bekommen. Doch seit
                   es salopp auszudrücken: Der Imam weiß           den späten 2010er Jahren hat sich das ge-
                   manchmal vor lauter Aufgaben nicht, „wo         ändert, sehr zur Freude des Imam, der es
                   ihm der Kopf steht“ (bei ihm hat das freilich   als unerlässlich erachtet, die Kinder und
                   auch damit zu tun, dass er sich als wichtiger   Jugendlichen in jener Sprache zu unter-
                   Autor, gefragter Gesprächspartner und Gast      richten, in der sie auch ihren Alltag leben.
                   in Talkrunden noch zusätzlich jede Men-         Sehr wichtig ist für Benjamin Idriz dabei,
                   ge aufgebürdet hat – wie im Porträt „Wenn       dass die Lehrmittel auch die Eltern über-
                   der Tag 25 Stunden haben müsste ...“ noch       zeugen. „Mir ist die Gemeinschaft sehr
                   zu lesen sein wird). Doch auch die anderen      wichtig. Die Eltern müssen Vertrauen ha-
                   im Team der Islamischen Gemeinde sowie          ben können in das, was ihren Kindern ver-

DD_978-3-579-05484-1_INHALT_GVH.indd 19                                                                           02.07.2021 07:40:24
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                                mittelt wird. Diese Kinder sind die nächste          vor Ort und in der Region. Sie bedauert
                                Generation, ihnen gehört die Zukunft.“               es sehr, dass es dort noch keinen Islam-
                                Für ihn, der viele der Unterrichtsstunden            unterricht gibt, ist zugleich aber froh, dass
                                selbst leitet, ist es ganz entscheidend, dass die    Schulleiter und Lehrkräfte in gutem Aus-
                                Kinder zusammen aufwachsen, gemeinsam                tausch mit ihrer Gemeinde stehen. „Nicht
                                den Koran lernen und von früh auf erfahren,          selten werden wir hinzugezogen, wenn es
                                dass ihnen der Koran Kraft und Halt in ih-           in Schulen um Rat und Hilfe bei Fragen
                                rem Leben gibt. „Ich möchte, dass die Kinder         der Integration geht“, sagt sie. „Oder wenn
                                den Islam nicht nur verstehen, sondern ein           Probleme mit einem Kind mit dem soge-
                                bisschen auch daraus erzählen können. Mei-           nannten Migrationshintergrund entstehen.
                                ne Schüler sollen den Islam bewusst leben            So ungewöhnlich ist das nun freilich auch
                                und weitererzählen können.“                          wieder nicht: Weder die Herkunft noch der
                                Dass Koranschule nicht gleich Koranschule            Glaube noch das Alter eines Kindes haben
                                ist, dürfte hinlänglich bekannt sein. Dass an        etwas damit zu tun, ob es in der Schule
                                manch anderem Ort auch erzkonservative bis           einmal Schwierigkeiten gibt. Das ist doch
                                extremistische Weltbilder vermittelt worden          etwas völlig Normales. Und ich bin froh,
                                sind, ist zum Leidwesen vieler Muslime im-           wenn wir dann helfen können.“
                                mer wieder auch zum Medienthema gemacht              Ganz konkrete Hilfe wird auch bei ande-
                                worden. Dass in Penzberg aber ein von den            ren schulischen Problemen geleistet, dann
                                Werten der Barmherzigkeit und des Huma-              nämlich, wenn eine Schülerin oder ein
                                nismus geprägter Islam vermittelt wird, hat          Schüler den Anforderungen nicht gewach-
                                die Gemeinde bundesweit berühmt gemacht.             sen scheint und schlechte Noten bekommt.
                                Zwei Unterrichtsräume befinden sich im              Auch in einem solchen Fall nehmen Eltern
                                Untergeschoss der Islamischen Gemeinde               und Heranwachsende die Islamische Ge-
                                Penzberg. Der eine scheint eher auf die Be-          meinde als Anlaufstelle wahr. Kinder und
                                dürfnisse von Kleinschülern ausgerichtet,            Jugendliche finden Unterstützung in jenen
                                beim anderen ist die Ausstattung auf äl-             Fächern, die sie vor Probleme stellen – das
                                tere Schüler und Erwachsene zugeschnitten.           ist das eine. Das viel Wichtigere aber ist
                                Doch egal, ob Spielsachen in den Regalen             die Grundhaltung, die sie hier vermittelt
                                liegen oder Lehrbücher für Fortgeschrittene,         bekommen: „Mir ist es wichtig“, sagt der
                                der jeweilige Unterricht ist orientiert an ganz      Imam, „die Kinder zu motivieren, sie zu
                                wesentlichen Werten: Toleranz, Respekt               fördern, ihnen klar zu machen, wie freud-
                                gegenüber Mitmenschen und Respekt auch               voll und wie bedeutungsvoll es ist, gute
                                gegenüber anderen Religionen und Weltan-             Noten zu bekommen.“ Er sagt das nicht
                                schauungen, soziales Verhalten und Integra-          nur im Religionsunterricht zu den Kin-
                                tion in die deutsche Gesellschaft, um nur die        dern, sondern er predigt das auch den
                                wichtigsten Eckpunkte zu nennen. Auch dies           Erwachsenen: „Stimmt“, sagt er lächelnd.
                                allesamt Anliegen, mit deren Umsetzung gar          „Immer wieder weise ich in meinen Pre-
                                nicht früh genug, sprich: im frühen Kindes-          digten auf die Notwendigkeit schulischer
                                alter begonnen werden muss.                          Bildung hin“.
                                Nermina Idriz, die Frau des Imam, ist zu-            Und so versteht sich die Islamische Ge-
                                ständig für den Kontakt mit den Schulen              meinde Penzberg – um im bereits verwen-

DD_978-3-579-05484-1_INHALT_GVH.indd 24                                                                                               02.07.2021 07:40:38
WA S W I R T U N                                                                                    25

                   deten Bild zu bleiben – als guter Brücken- allem, wenn Fußball gespielt wird. Er ge-
                   bauer zwischen Eltern, Kindern und Schulen. hört zu jenen Männern, die auch im fort-
                                                                    schreitenden Alter angesichts eines Balles,
                                                                    klein oder groß, nicht mehr ruhig sitzen
                           G U T E A N G EBOT E FÜ R D I E          können ...
                                  J U G EN D L I C H EN            „Unser Ort soll attraktiv für die Jugendli-
                                                                    chen sein“, sagt Nihad Djulić, der stellver-
                   Eng verknüpft mit schulischen Belangen, ist tretende Vorsitzende der Islamischen Ge-
                   die freie Jugendarbeit. Auch hier setzt die meinde Penzberg.
                   Islamische Gemeinde Zeichen, schafft Ange- 15 bis 30 junge Leute kommen dann auch
                   bote und für viele junge Menschen beinahe in schöner Regelmäßigkeit an jedem ers-
                   so etwas wie ein zweites Daheim. Was nicht ten Freitag im Monat zusammen. Sie ge-
                   gleichzeitig bedeutet, dass sich junge Musli- nießen das Freizeitangebot, die Gespräche
                   me nur mit anderen jungen Muslimen tref- untereinander und die Gespräche mit dem
                   fen sollen. Im Gegenteil. Die Möglichkeiten, Imam, der selbst zwei große Söhne hat und
                   die von der hiesigen Islamischen Gemeinde dabei herrlich jung geblieben ist. Das Pro-
                   geboten werden, sind eine Ergänzung in der gramm, so eines vonnöten ist, planen die
                   Jugendarbeit der Stadt Penzberg. Und zwar jungen Leute selbst. Ausflüge zum Beispiel.
                   eine wichtige Ergänzung!                         Städtefahrten beispielsweise. Köln steht auf
                   Doch der Anfang war nicht einfach. „Zu- der Wunschliste. Was natürlich nicht ver-
                   nächst war es manchen Eltern unverständ- wundern kann: Ist die Zentralmoschee in
                   lich, dass Jungs und Mädchen ein gemeinsa- der deutschen Domstadt doch in der Tat
                   mes Freizeitangebot in der Moschee haben ein Paradebeispiel für gelungene Archi-
                   sollten“, erinnert sich der Imam an die frühen tektur, gleichsam die XXL-Version des
                   Jahre. „Ich habe dann das Gespräch mit den modernen Penzberger Gebäudes. Die be-
                   Eltern gesucht. Es müsste so um 2003 oder rühmten Architekten Paul und Gottfried
                   2004 gewesen sein. Heute ist dieses ‚Problem‘ Böhm zeichneten für das Kölner Bauwerk
                   kein Thema mehr, aber damals habe ich die mit den zwei 55 Meter hohen Minaretten
                   Eltern, die oft aus sehr traditionellen Kultur- verantwortlich.
                   kreisen gekommen waren, erst überzeugen Seit nunmehr sieben Jahren feiern die
                   und ihnen versichern müssen, dass unser Jugendlichen auch ihr eigenes Iftarfest,
                   Vorhaben eine wirklich gute Sache sei.“          das Fastenbrechen am Ende des Fasten-
                   Ernstes und Spielerisches gehen bei diesen monats Ramadan. Bis zu 250 junge Leu-
                   Jugend-Gruppenstunden Hand in Hand. te versammeln sich dann im Islamischen
                   Auch hier geht es wieder um Wertevermitt- Forum Penzberg, Jungen und Mädchen,
                   lung, um Bildung und Soziales – einerseits. es wird diskutiert, gespielt, Workshops
                   Andererseits aber auch um entspannende entstehen – und natürlich wird miteinan-
                   und entspannte Freizeitgestaltung. „Spaß der gegessen. Die Jugendlichen organisie-
                   haben, spielen, grillen, Ausflüge machen“, be- ren alles selbst, drucken Flyer, sorgen für
                   nennt ein Youngster, dessen Eltern aus Bos- die Verteilung und haben alles bestens
                   nien stammen, seine Highlights. Was alle toll im Griff. Das sind solche Ereignisse, bei
                   finden: Der Imam ist immer mittendrin. Vor denen man den ohnehin oft lächelnden

DD_978-3-579-05484-1_INHALT_GVH.indd 25                                                                            02.07.2021 07:40:38
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                                   Imam Benjamin Idriz strahlen sieht übers       Gemeinde, wo beispielsweise Gönül Yer-
                                   ganze Gesicht.                                 li als Vizedirektorin aufgeführt ist. Noch
                                   Was ihn übrigens genauso freut, ist, dass es   besser erleben lässt sich das bei einem
                                   gelungen ist, einen Mädchenchor ins Le-        Besuch in der Moschee, wo das gute Mit-
                                   ben zu rufen. Bei den verschiedensten fest-    einander von Frauen und Männern offen-
                                   lichen Anlässen singen die Mädchen von         sichtlich wird. Ganz wesentlich für diese
                                  „Sayha“ (heißt: Starke Stimmen) Lieder in       Entwicklung ist auch Nermina Idriz, die
                                   sechs Sprachen. Und sie scheinen glücklich     Ehefrau des Imam. Sie war sozusagen die
                                   und stolz, diesem Chor anzugehören.            Türöffnerin zu einem neuen Verhältnis
                                                                                  zwischen Männern und Frauen in der ört-
                                                                                  lichen islamischen Gemeinde.
                                          D I E FR AU EN S I N D G EN AUSO        Um das besser verstehen zu können, muss
                                          PR ÄS EN T WI E D I E M Ä N N ER –      man ein gutes Stück weit in der Geschichte
                                                    M I N D ES T EN S             zurück. Die Älteren wissen noch gut, wie
                                                                                  eng es im Gebetsraum in der Zweigstraße
                                   Mit den selbstbewusst singenden Mädchen        gewesen ist. Dass vorwiegend die Männer
                                   ist der ideale Übergang hergestellt zum        kamen, viele Frauen jedoch den Veran-
                                   Frauenbild in der Islamischen Gemeinde.        staltungen fernblieben. Das wurde anders
                                   Wie steht es um das Selbstverständnis der      unter der jungen Führung, allen voran
                                   Frauen in Penzberg? Das ist die Frage, die     Bayram Yerli und der junge Imam. Der Ge-
                                   sich unweigerlich stellt – und die sich bei-   betsraum war durch einen Vorhang zwei-
                                   nahe von selbst beantwortet. Und zwar am       geteilt, so dass es eine Trennung zwischen
                                   besten mit einem Zitat aus Benjamin Idriz’     Männern und Frauen gab. Das änderte
                                   2019 erschienenen Buches „Der Koran und        sich, als der Imam einen Islam-Vortrag nur
                                   die Frauen“ (Gütersloher Verlagshaus):         für Frauen anbot.
                                  „Was ich angestoßen und verändert habe,         Dabei hätte er ohne Nermina keinen Zu-
                                   geschah Schritt für Schritt. Heute nehmen      gang zu den Frauen gefunden; sie überre-
                                   Frauen in meiner Gemeinde an den Frei-         dete und überzeugte wenigstens einige, zu
                                   tagsgebeten wie an Festgebeten selbstver-      diesem Kurs zu kommen. Die Skepsis war
                                   ständlich teil … Frauen sind ebenso selbst-    groß, kulturell bedingte Vorbehalte bilde-
                                   verständlich im Vorstand wie Männer, sie       ten eine gehörige Hemmschwelle. Auch
                                   entscheiden, prägen und gestalten das Le-      die Männer hatten Zweifel. Doch Nermi-
                                   ben der Gemeinde mit. Die Frau wendet          na schaffte Vertrauen. Allerdings erbaten
                                   sich im Gebetsraum ganz vorne an die Ge-       sich die Frauen, dass der besagte Vorhang
                                   meindemitglieder, sie rezitiert den Koran,     geschlossen bliebe, Idriz die Frauen wäh-
                                   sie unterrichtet Islam. Das Verhältnis zwi-    rend seiner Ausführungen also nicht sehen
                                   schen Männern und Frauen ist heute pro-        konnte. Für ein unsichtbares Gegenüber zu
                                   blemlos, die Kommunikation unter ihnen         referieren, war alles andere als eine leichte
                                   funktioniert reibungslos – vollkommen          Aufgabe für den Imam.
                                   anders als früher!“                            Als die Frauen dann zum zweiten Mal zum
                                   Die Bestätigung erhält man schon beim          Islamunterricht kamen – nun schon einige
                                   Blick auf die Homepage der Islamischen         mehr, da sich das Gute der Veranstaltung

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