Living Planet Report 2012 - Biodiversität, Biokapazität und neue Wege - WWF Deutschland

Die Seite wird erstellt Sam Krause
 
WEITER LESEN
Living Planet Report 2012 - Biodiversität, Biokapazität und neue Wege - WWF Deutschland
DIESER REPORT
          WURDE ERSTELLT
          IN ZUSAMMEN-
          ARBEIT MIT:

 REPORT

2012

Living Planet
Report 2012
Biodiversität, Biokapazität
und neue Wege
Living Planet Report 2012 - Biodiversität, Biokapazität und neue Wege - WWF Deutschland
WWF
Der World Wide Fund For Nature ist eine der größten und erfahrensten unabhängigen
Naturschutzorganisationen der Welt. Er wird von fast 5 Millionen Förderern unter-
                                                                                        Inhalt
stützt und verfügt über ein weltweites Netzwerk in mehr als 100 Ländern. Der WWF
hat es sich zum Ziel gesetzt, der Umweltzerstörung auf der Erde Einhalt zu gebieten
und an einer Zukunft zu arbeiten, in der die Menschen im Einklang mit der Natur         Einleitung
leben. Das kann erreicht werden, wenn die biologische Vielfalt der Erde bewahrt
wird und die Nutzung natürlicher Ressourcen auf nachhaltige Weise erfolgt, während      Europäische Weltraumorganisation: Beobachtung der Erde aus dem Weltraum                                            4
gleichzeitig Verschmutzung und Verschwendung verringert werden.                         Mehr Raum für die Erde! (Vorwort von André Kuipers – Europäische Weltraumorganisation)                             5
                                                                                        Die Bewahrung unseres lebendigen Planeten (von Jim Leape)                                                          6
Zoological Society of London                                                            7 Milliarden Erwartungen und nur eine Erde                                                                         8
Die 1826 gegründete Zoological Society of London (ZSL) ist eine internationale Orga-    Auf einen Blick                                                                                                   12
nisation mit wissenschaftlichen und pädagogischen Naturschutzzielen. Sie setzt sich
für die weltweite Bewahrung von Tierarten und ihren Lebensräumen ein. Die ZSL
betreibt den ZSL London Zoo und den ZSL Whipsnade Zoo, führt wissenschaftliche          Kapitel 1: Der Zustand der Erde                                                                                   14
Forschungen am Zoologischen Institut durch und engagiert sich aktiv für den Schutz
von natürlichen Lebensräumen in aller Welt.                                             Der Living Planet Index                                                                                          16
                                                                                        Der Ökologische Fußabdruck                                                                                       36
Global Footprint Network                                                                Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und Entwicklung                                                              52
Das Global Footprint Network fördert durch die Bekanntmachung des „Ökologischen         Der Wasser-Fußabdruck                                                                                            62
Fußabdrucks“ eine nachhaltige Wirtschaftsweise. Der Ökologische Fußabdruck stellt
die Nachhaltigkeit menschlicher Aktivitäten dar. Um die wissenschaftliche Grundlage
dieser Messmethode zu stärken und auszubauen, koordiniert das Netzwerk gemeinsam        Kapitel 2: Es geht uns alle an                                                                                   68
mit seinen Partnern Forschungsaktivitäten und entwickelt methodische Standards.
Mit dem Ziel, der Menschheit eine Entwicklung innerhalb der ökologischen Grenzen zu     Zusammenhänge zwischen Biodiversität, Ökosystemdienstleistungen und dem Menschen 70
ermöglichen, stellt es Entscheidungsträgern fundierte Informationen zu den verfügba-    Wälder74
ren Ressourcen bereit.                                                                  Gewässer82
                                                                                        Ozeane84
European Space Agency                                                                   Der Kampf um Land                                                                88
Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) ist Europas Tor zum All. Ihre Aufgabe ist
es, die europäischen Weltraumaktivitäten zu gestalten und dabei sicherzustellen, dass
die Investitionen in die Weltraumforschung den Einwohnern Europas und der ganzen        Kapitel 3: Was wird die Zukunft bringen?                                                                         90
Welt weiterhin Nutzen bringen. Die ESA ist eine internationale Organisation mit 19
Mitgliedstaaten. Mithilfe der Koordinierung von Finanz- und Wissensressourcen ihrer     Auswirkungen erhöhter Treibhausgasemissionen                                                                      92
Mitglieder kann sie Programme und Aktivitäten durchführen, die kein europäisches        Was hält die Zukunft bereit? Einsatz von Szenarien                                                                98
Land allein bewältigen könnte. Die verschiedenen ESA-Programme sollen Erkennt-          Prognosen zum Ökologischen Fußabdruck bis zum Jahr 2050                                                         100
nisse über die Erde, ihre unmittelbare Weltraumumgebung sowie über das Sonnensys-       Modellierung von Naturkapital am Beispiel von Sumatra                                                            101
tem und das Universum liefern.                                                          Das Modell „Lebendige Wälder“                                                                                   102

WWF International                                                                       Kapitel 4: Neue Wege für einen lebendigen Planeten                                                              104
Avenue du Mont-Blanc
1196 Gland, Schweiz                                                                     Abschließende Worte                                                                                             124
www.panda.org

Institute of Zoology                                                                    Anhänge                                                                                                         126
Zoological Society of London
Regent’s Park, London NW1 4RY, UK                                                       Anhang 1: Der Living Planet Index                                                                               128
www.zsl.org/indicators | www.livingplanetindex.org                                      Anhang 2: Ökologischer Fußabdruck – Häufig gestellte Fragen                                                     135
                                                                                        Anhang 3: Glossar mit Begriffen und Abkürzungen                                                                 148
Global Footprint Network
312 Clay Street, Suite 300                                                              Literaturnachweise                                                                                              156
Oakland, California 94607, USA
www.footprintnetwork.org

Gestaltung: millerdesign.co.uk
ISBN 978-2-940443-47-5                                                                                                               Living Planet Report 2012 | Biodiversität, Biokapazität und neue Wege | 3
Living Planet Report 2012 - Biodiversität, Biokapazität und neue Wege - WWF Deutschland
Europäische Weltraumorganisation:
    Beobachtung der Erde aus dem Weltraum
                                                                                                         Mehr Raum für die Erde!
                                                                                                         Aus der Raumstation vom All auf die Erde zu schauen,
    Die Europäische Weltraumorganisation (ESA), unsere neue Partnerorgani-                               gehört zu meiner Arbeit als Astronaut und ist ein riesiges
    sation, die uns bei der Erstellung des diesjährigen Umweltberichts Living
    Planet Report zur Seite stand, engagiert sich dafür, mehr über unsere Erde,                          Privileg.
    ihre unmittelbare Weltraumumgebung, über das Sonnensystem und das
    Universum herauszufinden.                                                                            PromISSe ist meine zweite Weltraummission. Diesmal werde ich fünf Monate
                                                                                                         in der Internationalen Raumstation (ISS) verbringen. Die erste Mission im
    Eine wachsende, vom Direktorat für Erdbeobachtungsprogramme koordi-                                  Jahr 2004 dauerte nur elf Tage. Doch diese elf Tage haben mein Leben zu
    nierte Satellitenflotte versorgt uns fortwährend mit wichtigen Informatio-                           einem anderen gemacht. Der Blick aus dem Weltraum auf die Erde verändert
    nen. Diese helfen uns dabei, den Zustand der Erde besser zu verstehen und                            die Perspektive: Unser wunderschöner, zerbrechlich anmutender Planet ist
    Veränderungen zu registrieren.                                                                       nur durch eine hauchdünne Atmosphäre vom Weltraum abgeschirmt, ohne
                                                                                                         die kein Leben auf ihm möglich wäre. Die nach irdischen Maßstäben groß
    Seit der Entsendung ihres ersten Wettersatelliten im Jahr 1977 beobachtet                            erscheinenden Wälder sind aus dem Raumschiff betrachtet winzig klein und
    die ESA die Erde aus dem Weltraum. Zwar entwickelt sie auch heute noch                               ziehen rasch an einem vorbei. Diese bewusstseinsverändernde Perspektive
    Satelliten für meteorologische Zwecke, aber ihr Augenmerk gilt zunehmend                             hat mich dazu motiviert, WWF-Botschafter zu werden.
    den Fragen, wie die Erde als System funktioniert und wie sich menschli-
    ches Handeln auf natürliche Prozesse auswirkt.                                       André Kuipers   Mit Forschungsprojekten will die Europäische Weltraumorganisation (ESA)
                                                                                            Astronaut,   Informationen über den Gesundheitszustand unseres Planeten erhalten.
    Die Satellitentechnik ist von unvergleichlichem Nutzen bei der Beobach-               Europäische    Einige Bedrohungen sind mit bloßem Auge zu erkennen, für andere sind
    tung der Erde als Gesamtsystem. Präzise sammeln ihre hochempfindlichen        Weltraumorganisation   konkrete Zahlen nötig, die uns helfen zu verstehen, wie, wo und warum sich
    Instrumente die kosmischen Daten, die uns komplexe Vorgänge auf unse-                                die Erde verändert. Beides – persönliche Eindrücke und wissenschaftliche
    rem Planeten verständlich machen und Veränderungen festhalten – insbe-                               Erkenntnisse – spiegelt sich im vorliegenden Bericht wider.
    sondere solche, die wir als Folgen des Klimawandels verstehen müssen.
                                                                                                         Auch in dieser neunten Ausgabe des Umweltberichts Living Planet Report
    Abgesehen davon, dass die Erdbeobachtung der europäischen Forschung                                  deuten die wichtigsten Indikatoren darauf hin, dass die Erde untragbaren
    dient, stellen die Satellitenmissionen sicher, dass Entscheidungsträger mit                          Belastungen ausgesetzt ist. Wir wissen, dass der Bedarf an natürlichen
    den notwendigen Informationen versorgt werden, um dem Klimawandel                                    Ressourcen wie Fisch, Holz und Nahrungsmittel so sehr in die Höhe schießt,
    entgegenzuwirken, eine nachhaltige Zukunft zu gestalten und auf Naturka-                             dass die Bestände nicht mehr nachhaltig aufgestockt werden können.
    tastrophen und vom Menschen verursachte Krisen angemessen reagieren
    zu können.                                                                                           Alles, was mir lieb und teuer ist, befindet sich auf diesem einen Planeten. Er
                                                                                                         ist mein Zuhause, das Zuhause meiner Familie, meiner Freunde und weiterer
    Zwei Zugpferde unter den ESA-Projekten – die Satellitenmissionen ERS                                 7 Milliarden Menschen. Er beherbergt Wälder, Berge, Savannen, Meere, Seen
    und Envisat – haben uns zu einer Vielzahl neuer Erkenntnisse über                                    und Flüsse und ist Heimat aller darin lebenden Tier- und Pflanzenarten. Die
    zahlreiche Aspekte der Erde verholfen: über die Luftverschmutzung, das                               Erdkugel ist wunderschön, aber auch empfindlich und schutzbedürftig.
    Ozonloch, die Veränderungen des Polareises. Außerdem ermöglichen sie
    die Kartierung von Größe und Temperatur der Meeresoberfläche sowie der                               Wir haben es in der Hand, unser Zuhause zu retten – und zwar nicht nur für
    Landnutzungen.                                                                                       uns, sondern auch für zukünftige Generationen. Die Lösungen sind bekannt.
                                                                                                         Jeder von uns kann einen Beitrag leisten: in der Art und Weise, wie wir re-
    Die Earth-Explorer-Missionen sollen dringende wissenschaftliche Fragen                               gieren, verwalten, produzieren und konsumieren. Wir haben es in der Hand.
    beantworten, etwa zur Erdanziehungskraft, zu den Veränderungen der Eis-                              Lasst uns liebevoller mit unserer Erde umgehen!
    dicke, des Wasserkreislaufs, des Magnetfelds, des Windes, zur Bedeutung
    von Wolken in der Energiebilanz der Erde sowie zum Kohlenstoffkreislauf.

    Parallel dazu entwickelt die ESA die sogenannten „Sentinel“-Satelliten,
    die im Dienst von Europas globaler Umwelt- und Sicherheitsüberwachung
    stehen. Die mit diesen Satelliten gewonnenen Daten kommen in verschie-
    denen Bereichen zur Anwendung und dienen dem Umweltmanagement                                        André Kuipers
    – etwa der Überwachung der Biodiversität, der natürlichen Ressourcen, der                            Astronaut, Europäische Weltraumorganisation
    Luftqualität, von Ölteppichen und Vulkanasche – sowie der Bereitstellung
    humanitärer Hilfe und Nothilfe in Krisenzeiten.

4                                                                                                                            Living Planet Report 2012 | Biodiversität, Biokapazität und neue Wege | 5
Living Planet Report 2012 - Biodiversität, Biokapazität und neue Wege - WWF Deutschland
Die Bewahrung                                                                                       Wir können unseren gesamten Energiebedarf aus Quellen wie Wind und

                        unseres lebendigen Planeten
                                                                                                                            Sonnenlicht decken. Diese Ressourcen sind sauber und im Übermaß verfüg-
                                                                                                                            bar. Besonders notwendig ist es, die genutzte Energie stärker auszuschöpfen.
                                                                                                                            Mit effizienteren Gebäuden, Autos und Fabriken können wir den Gesamt­
                                                                                                                            energieverbrauch halbieren. In Kombination mit diesen Einsparungen ist es
                                                                                                                            uns möglich, unseren Gesamtenergiebedarf mit Energie aus erneuerbaren
                        Wir kennen sie alle – die nüchternen Diagramme über CO2-                                            Quellen abzudecken – unter der Voraussetzung, dass wir uns darauf konzen­
                        Emissionen, Abholzung, Wasserverknappung und Überfi-                                                trieren, diese Technologien wirtschaftlich zu betreiben und wir uns verab-

                        schung. Sie illustrieren, wie wir die irdischen Ressourcen                       20 Jahre nach      schieden von den 700 Mrd. US-Dollar Subventionen, die uns von Öl und

                                                                                                       dem wegweisen­
                                                                                                                            Kohle abhängig halten.
                        aufbrauchen und die Erde auf eine Belastungs­probe stellen.
                                                                                                        den „Erdgipfel“
                        In der aktuellen Ausgabe des Umweltberichts Living Planet                                           Im Juni 2012 – 20 Jahre nach dem ersten wegweisenden „Erdgipfel“ in
                                                                                                                            Brasilien – treffen* sich die Nationen der Welt sowie Unternehmen und
                        Report von 2012 wird aufgezeigt, wie alle Faktoren zu-
                        sammenspielen und wie sich der Gesundheitszustand der
                                                                                                         bietet sich nun    Vertreter der Zivilgesellschaft erneut in Rio de Janeiro zur UN-Konferenz

                                                                                                           die einmalige
                                                                                                                            über nachhaltige Entwicklung. Dies ist eine große Chance, die eingeschlagene
                        Wälder, Flüsse und Meere durch den fortwährenden Druck,                                             Richtung zu bilanzieren und uns darüber klar zu werden, wie wir die Zukunft

                                                                                                            Chance, den
                                                                                                                            gestalten möchten.
                        den wir auf unsere Erde ausüben, verschlechtert.
                                                                                                           bisher einge­    Das kann und muss der Moment sein, in dem die Staaten einen neuen Kurs

                                                                                                       schlagenen Weg
                        Die Menschheit lebt heute so, als ob ihr ein Ersatzplanet zur Verfügung                             in Richtung Nachhaltigkeit einschlagen. Außerdem bietet die Konferenz
           Jim Leape    stünde. Wir verbrauchen 50 Prozent mehr Ressourcen, als die Erde bereithält.                        eine einmalige Gelegenheit zur Schaffung von „Koalitionen der Willigen“ –

                                                                                                          zu überprüfen
      Generaldirektor   Wenn wir den Kurs nicht ändern, wird der Naturverbrauch weiter steigen, bis                         etwa aus Staaten des Kongobeckens oder der Arktis, die sich zusammentun
    WWF International   im Jahr 2030 auch zwei Erden nicht mehr ausreichen werden, um unseren                               können bei der Bewirtschaftung ihrer Ressourcen; Koalitionen aus Städten,
                        Ressourcen­hunger zu stillen.
                                                                                                        und die Zukunft     die sich gegenseitig dazu anregen, ihre CO2 -Emissionen zu reduzieren und

                                                                                                         der Erde nach­
                                                                                                                            lebenswertere Stadtquartiere zu schaffen; Koalitionen von Unternehmen, die
                        Doch es liegt an uns: Tatsächlich können wir eine bessere Zukunft auf­bauen,                        zwar miteinander in Konkurrenz stehen, aber dennoch ihre Kräfte bündeln,
                        die Nahrung, Wasser und Energie für jene 9, vielleicht sogar 10 Milliarden
                        Menschen bereithält, die sich im Jahr 2050 die Erde teilen werden.                    haltiger zu   um ihre Lieferketten nachhaltiger zu gestalten und Produkte anzubieten,
                                                                                                                            die den Kunden helfen, weniger Ressourcen zu verbrauchen; und schließlich

                        Wir sind in der Lage, die von uns benötigte Nahrung zu produzieren, ohne
                                                                                                              gestalten.    Koalitionen aus Pensionskassen und Staatsfonds, die in grüne Arbeitsplätze
                                                                                                                            investieren.
                        den Ökologischen Fußabdruck der Landwirtschaft weiter zu vergrößern –
                        ohne noch mehr Wälder zu zerstören, ohne den Einsatz noch größerer Mengen                           Diese und andere Lösungen, die in der vorliegenden Ausgabe des Living
                        Wasser und Chemikalien. Vielversprechend sind beispielsweise Lösungen zur                           Planet Reports zur Sprache kommen, zeigen: Wir alle müssen dazu beitragen,
                        Reduzierung von Lebensmittelverschwendungen und Nachernteverlusten (ein                             dass unsere Erde lebendig bleibt, eine Erde mit genügend Nahrung, Wasser
                        großer Teil der angebauten Nahrungsmittel wird heutzutage weggeworfen),                             und Energie für alle, eine Erde mit dynamischen Ökosystemen, die die
                        der Einsatz von besserem Saatgut und besseren Anbautechniken, die Um-                               Grundlage allen Lebens bilden.
                        wandlung von degradiertem Land in Anbauflächen sowie die Veränderung
                        unserer Ernährungsgewohnheiten, insbesondere indem wir in den einkom-
                        mensstarken Ländern weniger Fleisch konsumieren.

                        Wir können sicherstellen, dass genügend Wasser vorhanden ist, um unseren                            Jim Leape
                        Bedarf zu decken. Und wir können gleichzeitig die Flüsse, Seen und Sumpf­                           Generaldirektor
                        gebiete gesund erhalten, denen wir unser Wasserangebot zu verdanken haben.                          WWF International
                        So machen es intelligentere Bewässerungstechniken und Ressourcenplanungen
                        möglich, Wasser effizienter zu nutzen. Von entscheidender Bedeutung ist
                        dabei die Entwicklung von Wassermanagementplänen, die die Interessen­
                        gruppen in größerer Zahl einbeziehen und die die Flussgebiete als das
                        behandeln, was sie sind: komplexe Systeme voller Vielfalt und Leben.                                * Vorwort vom April 2012

6                                                                                                                                                      Living Planet Report 2012 | Biodiversität, Biokapazität und neue Wege | 7
Living Planet Report 2012 - Biodiversität, Biokapazität und neue Wege - WWF Deutschland
7 Milliarden Erwartungen                                                                     Abbildung 1:
                                                                                                                                                         2
                                                                                                          Living Planet Index

                    und nur eine Erde
                                                                                                            (WWF/ZSL 2012)

                                                                                                                                Index Value (1970 = 1)
                                                                                                               Globaler
                                                                                                     Living Planet Index
                    In unserem unvorstellbar großen Universum gibt es einen
                    Planeten mit einer dünnen Zone voller Leben. Unter einer                                                                             1

                    Luftschicht zwischen Erdgestein und Weltall gedeihen Mil-
                    lionen verschiedener Tier- und Pflanzenarten. Zusammen
                    bilden sie die Ökosysteme und Lebensräume, die wir als
                    „Planet Erde“ bezeichnen und die ihrerseits eine Vielzahl
                    von Ökosystemdienstleistungen erbringen, von denen die                                                                               0

                    Menschen und alle Lebensformen abhängig sind.                                                                Jahr                        1970   1975        1980        1985        1990       1995        2000        2005 2008

                    Der ständig steigende menschliche Ressourcenbedarf setzt die Biodiversität                 Abbildung 2:                              2
                    unter gewaltigen Druck. Er bedroht all das, was die Ökosysteme bereitstellen      Globaler Ökologischer
                                                                                                                Fußabdruck
                    und leisten. Auf dem Spiel stehen somit nicht nur die Biodiversität, sondern
                    auch die Sicherheit, die Gesundheit und das Wohlergehen unserer eigenen Art.

                    Diese neunte Ausgabe des Living Planet Report dokumentiert Veränderungen

                                                                                                                                  Anzahl Erden
                    in der biologischen Vielfalt sowie die Nachfrage nach natürlichen Ressourcen.
                                                                                                                                                         1
                    Dabei werden die Auswirkungen dieser Veränderungen auf Biodiversität und
                    Gesellschaft erwähnt. Festzuhalten bleibt vorab, dass wir die aktuellen Trends
                    mit klugen Entscheidungen zugunsten neuer Wege, bei denen die Natur ins
                    Zentrum unserer Wirtschaftssysteme, Unternehmensmodelle und Lebenswei-
                    sen rückt, immer noch umkehren können.

                    In Kapitel 1 wird der Zustand des Planeten anhand von drei komplementären                                                            0
                    Indikatoren dargestellt. Der Living Planet Index (LPI) enthält Populations­
                                                                                                                                    Jahr 1961                          1970                 1980               1990               2000          2008
                    daten zu weit mehr Arten als in der Vergangenheit und er zeigt einen etwa

Der Living Planet
                    30-prozentigen Rückgang der Biodiversität seit 1970 an (Abbildung 1). Dieser
                    Trend zeichnet sich bei Ökosystemen an Land, in Flüssen und im Meer ab, ist                                  Eine neue Untersuchung von Konsumtrends in den BRIICS-Ländern (Brasili-

Index zeigt welt­
                    aber bei den Fließgewässerarten mit einem durchschnittlichen Rückgang von                                    en, Russland, Indien, Indonesien, China und Südafrika) und in verschiedenen
                    37 Prozent am stärksten. Der Index für tropische Süßwasserarten zeigt mit 70                                 nach Einkommen und Entwicklungsstand eingeteilten Bevölkerungsgruppen

  weit einen rund   Prozent sogar einen noch stärkeren Rückgang. Der Index für Arten der Tropen                                  verdeutlicht zusammen mit der Bevölkerungsentwicklung und den Urbanisie-

  30-prozentigen
                    verdeutlicht eine Abnahme seit 1970 um 60 Prozent. Im Vergleich dazu stellt                                  rungstendenzen das besorgniserregende Wachstumspotenzial des menschli-
                    man für Arten in den gemäßigten Breiten im gleichen Zeitraum eine Zunahme                                    chen Fußabdrucks.

   Rückgang seit
                    um 30 Prozent fest. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Biodiversität
                    in den gemäßigten Breiten in einem besseren Zustand befindet als in den                                      Der Wasser-Fußabdruck ist ein weiterer Indikator für den menschlichen

           1970.    Tropen, da im Index für die gemäßigten Breiten die immensen Biodiversitäts-
                    verluste vor 1970 nicht enthalten sind.
                                                                                                                                 Bedarf nach erneuerbaren Ressourcen. Dieser Bericht enthält erstmals eine
                                                                                                                                 Analyse der Wasserverfügbarkeit in den weltweit wichtigsten Flussgebieten im
                                                                                                                                 Jahresverlauf. In der Analyse wird deutlich, dass 2,7 Milliarden Menschen auf
                    Der Ökologische Fußabdruck zeigt einen anhaltenden Trend übermäßigen                                         der Welt bereits heute in Einzugsgebieten leben, die mindestens einen Monat
                    Verbrauchs (Abbildung 2). Im Jahr 2008, dem aktuellsten Jahr, für das Daten                                  im Jahr von schwerer Wasserknappheit betroffen sind.
                    ausgewertet wurden, übersteigt der Ökologische Fußabdruck die Biokapazität
                    der Erde – also die Landfläche, die für die Erzeugung von erneuerbaren                                       Kapitel 2 zeigt die Zusammenhänge zwischen Biodiversität, Ökosystem-
                    Ressourcen und den Abbau von CO2 -Emissionen tatsächlich bereitsteht – um                                    dienstleistungen und menschlicher Nutzung. Dabei werden die Auswirkungen
                    mehr als 50 Prozent. Der Kohlenstoff-Fußabdruck stellt einen beträchtlichen                                  menschlicher Aktivitäten auf drei Ökosysteme – Wälder, Süßwasser und
                    Einflussfaktor dieses „ökologischen Overshoots“ dar (dieser Begriff wird                                     Meere – sowie die von diesen Systemen erbrachten Ökosystemdienstleistun-
                    verwendet, wenn der globale Ökologische Fußabdruck die Biokapazität der                                      gen genauer untersucht. Überdies stehen die konkurrierenden Ansprüche auf
                    Erde übersteigt).                                                                                            natürliche Ressourcen zur Diskussion, etwa die von wirtschaftlichem Kalkül
                                                                                                                                 motivierten Interessen an den Agrarflächen in den Entwicklungsländern.

8                                                                                                                                                                          Living Planet Report 2012 | Biodiversität, Biokapazität und neue Wege | 9
Living Planet Report 2012 - Biodiversität, Biokapazität und neue Wege - WWF Deutschland
Der Living Planet Report bietet eine Übersicht zum Gesundheitszustand                                Kapitel 3 zeigt Lösungen auf, die uns bereits heute zur Verfügung stehen:
                     unserer Erde. Der WWF will aber auch hinter die Daten schauen, um besser                             Auf der Grundlage veränderter Ernährungsmuster sowie eines Stopps von
                     zu verstehen, welche Erwartungen, Anstrengungen und Bedürfnisse die Men-                             Entwaldung, Waldschädigung und Waldzerstörung werden dort alternative
                     schen veranlassen, die Erde zu verändern. Dabei hilft uns in der vorliegenden                        Zukunftsszenarien dargestellt, von denen einige bereits heute als Optionen
                     Ausgabe des Living Planet Report die kenianische Bäuerin Margaret Wanjiru                            zur Verringerung des ökologischen Overshoots und zur Milderung eines
                     Mundia, die wir in Kapitel 2 vorstellen. Als Kontrast zu dieser persönlichen                         gefährlichen Klimawandels zur Verfügung stehen. Diese Optionen werden in
                     Sicht werfen wir dank einmaliger Aufnahmen der Europäischen Weltraum­                                Kapitel 4 ausführlicher betrachtet. Im gleichen Kapitel wird auch die WWF-
                     organisation (ESA) einen fotografischen Blick auf die gesamte Erde.                                  Initiative „One Planet“ für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Natur­­-
                                                                                                                          kapi­tals – der Biodiversität, der Ökosysteme und Ökosystemdienstleistungen –
                     Kapitel 3 schaut in die Zukunft. Es werden mögliche Auswirkungen des                                 innerhalb der ökologischen Grenzen unserer Erde vorgestellt.
                     Klima­wandels untersucht und verschiedene Szenarien vorgestellt, darunter
                     auch Szenarien für den Ökologischen Fußabdruck. Diese Analysen zeigen,                               Zusätzlich zu den groß angelegten Schutz- und Wiederherstellungsmaß-
                     dass wir mit schwerwiegenden, möglicherweise gar katastrophalen Folgen                               nahmen soll diese Initiative zu klugen Entscheidungen zugunsten neuer
                     rechnen müssen, wenn wir mit der Erde weiterhin umgehen wie bisher. Insbe-                           Wege entlang des gesamten Produktions- und Verbrauchssystems verhelfen.
                     sondere ein weiterer Anstieg der Treibhausgasemissionen wird endgültig zur                           Dazu gehört die Bewahrung des Naturkapitals, u. a. durch die Umverteilung
                     Erderwärmung von durchschnittlich weit über 2 °C führen, was viele Ökosys-                           von Finanzmitteln, sowie eine gerechte Ressourcenbewirtschaftung. Die
                     teme der Erde aus dem Gleichgewicht bringen wird und die Entwicklung und                             Verwirklichung eines derartigen Paradigmenwechsels stellt eine immense
                     das Wohlergehen der Menschen drastisch beeinträchtigt.                                               Herausforderung dar, die auch unangenehme Entscheidungen und Kompro-
                                                                                                                          misse erfordert. Unsere Szenarien zeigen jedoch, dass wir beim Ökologischen
                     Fest steht, dass der Fortschrittsglaube, dem wir verhaftet sind und der auf                          Fußabdruck und bei der Klimaerwärmung eine Wende bewirken können,
                     einem immer stärkeren Konsum und der Abhängigkeit von fossilen Brenn-                                indem wir unser heutiges Wissen und moderne Technologien einsetzen und
                     stoffen beruht, zusammen mit wachsender Erdbevölkerung und ineffizientem                             den Weg hin zu einer nachhaltig wirtschaftenden und gerechten menschlichen
                     Management natürlicher Ressourcen, dem Nachhaltigkeitsgedanken wider-                                Gesellschaft einschlagen.

                                                                                                        Sämtliche 193
                     spricht. Bereits heute sehen sich viele Länder und Völker mit einer ganzen
                     Reihe von Risiken konfrontiert: Klimawandel, Biodiversitätsverlust, schwin-
                     dende Ökosystemdienstleistungen, verbunden etwa mit Nahrungs-, Wasser-
                     und Energieknappheit oder einem erhöhten Risiko von Naturkatastrophen,           Mitgliedstaaten      Der Living Planet Report und Rio +20
                                                                                                                           20 Jahre sind vergangen, seit die Staatsoberhäupter der Welt in Rio de
                     Gesundheitsproblemen, Ressourcenkonflikten und Landflucht. Von diesen
                                                                                                         der Vereinten     Janeiro zusammentrafen, um einige der bedeutendsten internationalen

                                                                                                      Nationen haben
                     Risiken sind unverhältnismäßig viele arme Menschen betroffen, obwohl diese                            Vereinbarungen zu den Herausforderungen auszuhandeln, denen wir auf
                     relativ wenig zum Ökologischen Fußabdruck der Menschheit beitragen.                                   der Erde gegenüberstehen.

                     Auch wenn es mancherorts gelingen sollte, verlorengegangene Ökosystem­            sich im Rahmen      Neben anderen Initiativen wurden damals das Übereinkommen über

Vorausschauende
                     dienstleistungen durch entsprechende Technik zu ersetzen und die Aus-
                                                                                                     der Millenniums-      die biologische Vielfalt sowie das Rahmenübereinkommen der Vereinten

                                                                                                     entwicklungsziele
                     wirkungen des Klimawandels abzuschwächen, werden die Risiken – wenn                                   Nationen zum Klimawandel unterzeichnet. Überdies wurde ein Prozess

     Staaten und     wir weitermachen wie bisher – wachsen und sich weiter ausdehnen. Die                                  in Gang gesetzt, der ein Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbil-

    Unternehmen
                     Schwellenländer laufen Gefahr, dass ihr Streben nach einem besseren Le-
                     bensstandard erfolglos bleibt. Und die einkommensstarken Länder riskieren            verpflichtet,    dung zum Ziel hatte. Die dem Gipfel zugrunde liegende Botschaft erhielt
                                                                                                                           zusätzliches Gewicht dadurch, dass sich im Rahmen der Millenniumsent-

     haben damit
                     den Verlust ihres heutigen Wohlstandes. Vorausdenkende Regierungen und
                                                                                                         der Armut ein     wicklungsziele alle 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dazu

                                                                                                      Ende zu setzen,
                     Unternehmen engagieren sich bereits heute für eine Verringerung dieser                                verpflichteten, die Armut zu beenden, die biologische Vielfalt zu erhalten

   begonnen, auf     Risiken, beispielsweise durch die Förderung von erneuerbaren Energien, Res-                           und die Treibhausgasemissionen zu verringern. Im Juni 2012 trafen sich

     erneuerbare
                     sourceneffizienz, umweltfreundlichere Herstellungsprozesse und einer sozial
                     ausgewogeneren Entwicklung. Die in diesem Bericht dargelegten Entwick-          die Biodiversität     erneut Vertreter der UN-Staaten in Rio, um sich den dringlichen Problemen
                                                                                                                           nachhaltiger Entwicklung im globalen Maßstab zu stellen. Den Delegierten

    Energien und
                     lungen und Herausforderungen zeigen jedoch, dass die meisten gegenwärtig
                                                                                                      zu schützen und      stand eine spezielle Konferenzzusammenfassung des Living Planet Report

                                                                                                        die Treibhaus-
                     unternommenen Anstrengungen nicht genügen.                                                            zur Verfügung (www.panda.org/lpr), die auf die Anforderungen des Gipfels

     Ressourcen­                                                                                                           zugeschnitten war und die ihnen dabei helfen sollte, die Informationen des

 effizienz zu set­
                     Wie aber können wir den Biodiversitätsverlust stoppen, den Ökologischen
                     Fußabdruck auf ein für die Erde erträgliches Maß begrenzen, den vom Men-           gasemissionen      Reports in ihre Überlegungen und Beiträge einzubeziehen. In vielen Ver-
                                                                                                                           handlungsdiskussionen und Foren war in Rio zu beobachten, dass bereits

 zen, um Risiken
                     schen verursachten Klimawandel wirksam bremsen und dessen katastrophale
                     Folgen abwenden? Und wie können wir gleichzeitig für immer mehr Menschen
                                                                                                        zu reduzieren.     viele Teilnehmer den Übernutzungskoeffizienten zu Hilfe nahmen, um die
                                                                                                                           Probleme auf der Erde angemessen darzustellen.

      zu mindern.    einen gleichberechtigten Zugang zu natürlichen Ressourcen, zu Nahrung,
                     Wasser und Energie gewährleisten?

10                                                                                                                                           Living Planet Report 2012 | Biodiversität, Biokapazität und neue Wege | 11
Living Planet Report 2012 - Biodiversität, Biokapazität und neue Wege - WWF Deutschland
Auf einen Blick                                                                »»Die Häufigkeit von Landnutzungskonflikten wächst mit dem Landhunger.
                                                                                      Wie nie zuvor drängen ausländische Investoren in die Entwicklungsländer,
                                                                                      um sich für die zukünftige Produktion von Nahrungsmitteln und Brennstoff

     Kapitel 1                                                                        den Zugang zu Nutzflächen zu sichern.
                                                                                    »»Der Verlust von Biodiversität und von damit verbundenen Ökosystem-
                                                                                      dienstleistungen betrifft insbesondere arme Menschen, deren Überleben
     Weltweiter Verlust der Biodiversität                                             unmittelbar von diesen Leistungen abhängt.
     »»Der globale Living Planet Index (LPI) ging zwischen 1970 und 2008 um fast
       30 Prozent zurück.
     »»Der Index für tropische Regionen ging in der gleichen Zeit insgesamt um 60   Kapitel 3
       Prozent zurück.
     »»Der Index für gemäßigte Zonen stieg insgesamt um 31 Prozent an, wobei        Szenarien zeigen realistische Alternativen für die Zukunft
       jedoch starke Verluste an Biodiversität vor 1970 nicht im Index enthalten    »»Die letzten Jahrzehnte waren wärmer als alle anderen vergleichbaren
       sind.                                                                          Perioden in den vergangenen 400 Jahren.
     »»Die globalen Land-, Süßwasser- und Meeres-Indizes verringerten sich alle-    »»Eine Begrenzung der durchschnittlichen Erderwärmung auf 2 °C gegenüber
       samt, wobei der Süßwasser-Index mit 37 Prozent am stärksten schrumpfte.        dem vorindustriellen Stand erfordert höchstwahrscheinlich die Verringe-
     »»Der Süßwasser-Index für tropische Gebiete fiel noch stärker: um 70             rung der Treibhausgasemissionen um über 80 Prozent bis zum Jahr 2050
       Prozent.                                                                       gegenüber den Werten des Jahres 1990.
                                                                                    »»Der Rückgang des Living Planet Index (LPI) und der sich vergrößernde
     Die menschliche Nachfrage übersteigt das Angebot unserer Erde                    Ökologische Fußabdruck machen den Bedarf an Strategien zur nachhaltigen
     »»Der Ökologische Fußabdruck der Menschheit überstieg im Jahr 2008 die           Nutzung deutlich. Szenarien können uns dabei helfen, besser durchdachte
       Biokapazität der Erde um über 50 Prozent.                                      Zukunftsentscheidungen zu treffen.
     »»Der Kohlenstoff-Fußabdruck erwies sich in den letzten Jahrzehnten als        »»Die Szenarien zeigen uns, wie wichtig die Erhaltung der Biodiversität für
       bedeutende Komponente des ökologischen Overshoots.                             die Bewahrung der Ökosystemdienstleistungen ist.
     »»Die Biokapazität pro Person verringerte sich von 3,2 globalen Hektar (gha)
       im Jahr 1961 auf 1,8 gha im Jahr 2008.
     »»Die steigenden Konsumtrends in einkommensstarken Bevölkerungsgrup-           Kapitel 4
       pen weltweit und in den BRIICS-Ländern sind in Verbindung mit den
       wachsenden Bevölkerungszahlen ein Warnsignal für einen wahrscheinlich        Lösungen für ein Leben innerhalb der ökologischen Grenzen der
       weiter steigenden Ökologischen Fußabdruck in der Zukunft.                    Erde
                                                                                    »»Es gilt, das Naturkapital – Biodiversität, Ökosysteme und Ökosystemdienst-
     Wassermangel in zahlreichen Flüssen                                              leistungen – zu bewahren und ins Zentrum von Wirtschaft und Gesell-
     »»Eine Überprüfung des Wassermangels auf monatlicher Basis zeigt, dass           schaften zu rücken.
       viele Flüsse, die im Jahresdurchschnitt genügend Wasser führen, übernutzt    »»Die WWF-Initiative „One Planet“ hält Vorschläge bereit, wie das Naturkapi-
       sind. Das führt zur Beeinträchtigung wichtiger Ökosystemfunktionen.            tal innerhalb der ökologischen Grenzen der Erde verwaltet, bewirtschaftet
     »»Weltweit leben 2,7 Milliarden Menschen in Einzugsgebieten, die mindestens      und gemeinsam genutzt werden kann.
       einen Monat pro Jahr von schwerer Wasserknappheit betroffen sind.            »»Aus der globalen Perspektive unserer „One Planet“-Initiative werden die „16
                                                                                      neuen Wege“ dargestellt sowie die vordringlichsten Maßnahmen, die zum

     Kapitel 2                                                                        Erreichen der Ziele notwendig sind.

     Der Wohlstand, die Gesundheit und das Wohlergehen der Mensch-
     heit sind von Ökosystemdienstleistungen abhängig
     »»Viele Gebiete mit ökologisch wichtiger Biodiversität erbringen zentrale
       Ökosystemdienstleistungen wie Kohlenstoffspeicherung, Produktion von
       Brennholz, Bereitstellung von Süßwasser und Fischbeständen. Menschliche
       Eingriffe beinträchtigen die künftige Bereitstellung dieser Leistungen.
     »»Abholzung und Waldzerstörung sind momentan für bis zu 20 Prozent der
       weltweiten menschenverursachten CO2 -Emissionen verantwortlich.
     »»Weltweit kann nur ein Drittel der Flüsse mit einer Länge von über 1.000 km
       frei fließen und ist am Hauptlauf nicht mit Dämmen verbaut.
     »»Als Folge eines fast fünffachen Anstiegs des weltweiten Meeresfischfangs
       – von 19 Millionen Tonnen im Jahr 1950 auf 87 Millionen Tonnen im Jahr
       2005 – kommt es zu einer Überfischung in vielen Fischereigebieten.

12                                                                                                     Living Planet Report 2012 | Biodiversität, Biokapazität und neue Wege | 13
Living Planet Report 2012 - Biodiversität, Biokapazität und neue Wege - WWF Deutschland
Kapitel 1: Der Zustand der Erde
Dieses Bild zeigt die akkurat angelegten Anbauflächen der autonomen
Gemeinschaft Aragón im Westen und Katalonien im Nordosten Spani-
ens. Hier wachsen zahlreiche Nutzpflanzen, etwa Weizen, Gerste, Obst
und Gemüse. Die runde Form vieler Felder ist auf die Kreisberegnung
zurückzuführen, bei der ein Brunnen in der Mitte des Kreises ein rotie-
rendes Sprühsystem mit Wasser versorgt.
Living Planet Report 2012 - Biodiversität, Biokapazität und neue Wege - WWF Deutschland
Der Living Planet Index
Der Living Planet Index (LPI) ist ein kombinierter Indikator, der Verän-
derungen der Populationsgröße wild lebender Tiere misst, um auf diese
Weise globale Entwicklungstrends des Gesamtzustands der Biodiversität
aufzuzeigen.

                                                                           Großes Bild: Forscher und Eisbär in Svalbard, Norwegen
                                                                           Links: Förster beringen einen jungen Weißbauchtölpel
                                                                           Foto eines Sumatra-Nashorns auf Borneo, aufgenommen von einer Kamerafalle
                                                                           Kennzeichnung von Walhaien, Donsol, Sorsogon, Philippinen
Living Planet Report 2012 - Biodiversität, Biokapazität und neue Wege - WWF Deutschland
LPI
                               Beobachtung                                                                                                                                       GLOBAL
                               globaler Biodiversität                                                                                                                  LPI                             Land-
                                                                                                                                                                    gemäßigte                           LPI
                                                                                                                                                    LPI               Zonen
                               Die Komplexität globaler Biodiversität macht es so schwer, sich ein umfassen-                                      Tropen

  Die Wirbeltier­
                                                                                                                                                                                                                      Meeres
                               des Bild ihres Gesundheitszustands zu machen. Doch so wie der Aktienindex                                                                             gemäßigt                          LPI

    populationen
                               anhand von Veränderungen des Börsenwerts ausgewählter Unternehmen                                                                                    landlebend
                               den Marktzustand bemisst, können die bei bestimmten biologischen Arten                                                                                                                              Süßwasser
                                                                                                                                                                                                                                      LPI

des globalen LPI
                               beobachteten Veränderungen der Abundanz als aussagekräftiger Indikator für                                                              tropisch                       gemäßigt
                                                                                                                                                                     landlebend                        marin
                               den ökologischen Zustand des Planeten herangezogen werden.

  waren 2008 im                                                                                                                                                                       tropisch
                                                                                                                                                                                       marin
                                                                                                                                                                                                                     gemäßigt
                                                                                                                                                                                                                    Süßwasser

    Durchschnitt
                               Laut LPI waren die Wirbeltierpopulationen im weltweiten Jahresdurchschnitt                                                   Art
                               2008 um ein Drittel kleiner als im Jahr 1970 (Abbildung 3). Diese Beob-                                                       1

   um ein Drittel
                                                                                                                                                                                                      tropisch
                               achtung stützt sich auf die Entwicklung von 9.014 Populationen aus 2.688                                                                  Art                         Süßwasser
                               Säugetier-, Vogel-, Reptilien-, Amphibien- und Fischarten. Damit wurden                                    Population                      2

kleiner als 1970.
                                                                                                                                              1
                               mehr Populationen und Arten in die Ermittlung des Living Planet Report
                               einbezogen als in früheren Ausgaben (WWF 2006b; 2008b; 2010a).                                                                                            Art
                                                                                                                                                       Population                         3
                                                                                                                                                           2
                                                     2,0
                                                                                                                                                                     Population
                                                                                                                                                                         3
                              Indexwert (1970 = 1)

                                                                                                             –28 %
                                                     1,0

                                                                                                                        Abbildung 4: Von Popu­     Jede vom LPI erfasste Population wird einer Gruppe zugeteilt – je nachdem,
                                                                                                                         lationstendenzen zum
                                                                                                                                                   ob sie in einer gemäßigten oder in einer tropischen Klimazone vorkommt, und
                                                                                                                            Living Planet Index
                                                                                                                                                   je nachdem, ob sie an Land, im Süßwasser oder im Meer lebt. Diese Einteilung
                                                                                                                                                   bezieht sich ganz spezifisch auf die jeweilige Population und nicht auf die
           Globaler                                                                                                                                Tierart an sich, so dass einige Tierarten in mehreren Gruppen vorkommen.
 Living Planet Index                                 0                                                                                             Die Populationen von Tierarten wie dem Lachs beispielsweise, die sowohl im
     Konfidenzgrenzen          Jahr                        1970   1975   1980   1985   1990   1995   2000   2005 2008                              Süßwasser als auch im Meer leben, oder die Populationen von wandernden
                                                                                                                                                   Tierarten, die sowohl in tropischen als auch in gemäßigten Klimazonen vor-
                                                                                                                                                   kommen, werden separat erfasst. Keine Population wird doppelt gezählt. Die
              Abbildung 3:
         Der globale Living                                                                                                                        Gruppen bilden die Grundlage der Indizes für gemäßigte und für tropische
               Planet Index                                                                                                                        Klimazonen sowie der Indizes für Land-, Süßwasser- und Meeresgebiete, die
                                                                                                                                                   zusammen den globalen LPI bilden (Abbildung 4). Der Index für die gemäßig-
                                                                                                                                                   te Zone umfasst mehr Populationen als der tropische Index. Um zu verhin-
                                                                                                                                                   dern, dass die Populationsentwicklungen der gemäßigten Zone im globalen
                                                                                                                                                   Index zu stark ins Gewicht fallen, werden der tropische und der gemäßigte
                                                                                                                                                   Index zur Berechnung des globalen Index gleich gewichtet (Einzelheiten dazu
                                                                                                                                                   befinden sich im Anhang 1).

                                                                                                                                                   Zusätzlich wird jede Land- und Süßwasserpopulation gemäß ihrem geo-
                                                                                                                                                   grafischen Vorkommen einer Ökozone zugeteilt. Bei der Berechnung der
                                                                                                                                                   Indizes für diese Ökozonen wird jede Tierart gleich stark gewichtet. Die
                                                                                                                                                   einzige Ausnahme ist die paläarktische Ökozone, in der zum ersten Mal bei
                                                                                                                                                   dieser Analyse jede Art gleich gewichtet wird. Dadurch wird verhindert, dass
                                                                                                                                                   Vogelarten, für die im Vergleich zu anderen Tierarten dieser Zone viel mehr
                                                                                                                                                   Bestandsdaten vorliegen, zu stark ins Gewicht fallen.

18                                                                                                                                                                     Living Planet Report 2012 | Biodiversität, Biokapazität und neue Wege | 19
WWW                        wwf.de/lpr-interaktiv
                               Interaktive Grafik zum Living Planet Index auf Englisch.

Mehr zum LPI
Der LPI ist ein kombinierter Indikator, der Veränderungen der Populationsgröße wild lebender Tiere
misst, um auf diese Weise globale Entwicklungstrends des Gesamtzustands der Biodiversität aufzu-
zeigen. Tendenzen innerhalb einer bestimmten Population geben lediglich über die Entwicklung einer
Tierart innerhalb eines bestimmten Gebietes Aufschluss. Zur Berechnung eines verlässlichen Index
werden umfassende Populationsdaten für möglichst viele Arten und Populationen aus der ganzen Welt
gesammelt. Während einige Populationen im Laufe des Beobachtungszeitraums gewachsen sind, sind
andere geschrumpft. Im Durchschnitt jedoch ist der Populationsrückgang größer als der Populationszu-
wachs, so dass der Index insgesamt einen Rückgang anzeigt.

60.000
                                                                         Abbildung 5: Roter Thun
 Laicherbiomasse

                                                                         (Thunnus thynnus), Westatlantik
                                                                         Überfischung führte zu einem katastrophalen
(in Tonnen)

                                                                         Rückgang dieser Populationen seit den 1970er
                                                                         Jahren. Wegen des sehr hohen Marktwerts von
                                                                         Rotem Thun ließ der Nutzungsdruck durch die
                                                                         Fischerei nicht nach, so dass die Fischart heute
                   0                                                     vom Aussterben bedroht ist.
                        1971                                   2004

        450
                                                                         Abbildung 6: Europäischer Fischotter
                                                                         (Lutra lutra), Dänemark
                                                                         Nachdem diese Tierart in den 1960er und 1970er
                                                                         Jahren einen starken Populationsrückgang erlitten
                                                                         hatte, trugen eine Verbesserung der Wasserqua-
                                                                         lität sowie Otterschutzmaßnahmen von 1984 bis
                                                                         2004 zur Erholung bei, u. a. in Dänemark und in
                   0                                                     verschiedenen anderen Ländern.
                        1984                                    2004

 1.800                                                                   Abbildung 7: Wanderalbatros
                                                                         (Diomedea exulans), Vogelinsel,
     Populationsgröße

                                                                         Südgeorgien, Südatlantik
                                                                         Die Population des Wanderalbatros ist seit 1972
     (Brutpaare)

                                                                         stetig zurückgegangen. Es wird vermutet, dass
                                                                         u. a. die Langleinen-Fischerei dafür verantwortlich
                                                                         ist. Eine der geplanten Maßnahmen zum Schutz
                                                                         dieser Art besteht darin, Langleinen zu entwickeln
              0                                                          und einzusetzen, die den Beifang von Albatrossen
                        1972                                    2010
                                                                         und anderen Arten vermindern.

                                                                                                                               Silhouette eines Tauchers und eines Atlantischen Fächerfischs (Istiophorus albicans). Der Fisch
                                                                                                                               schwimmt vor der Yucatán-Halbinsel (Mexiko, Karibik) auf einen Köderball aus Sardinellen/
                                                                                                                               Sardinen (Sardinella aurita) zu.

20
Der LPI für die tropischen und gemäßigten Regionen                                                                   ziellen Walfangs auf 1.000 bis 3.000 Tiere geschätzt wurde, die sich seither
                                                                                                                                                      aber erholt hat und im Jahr 2001 wieder schätzungsweise 10.545 Tiere zählte
                                                                                                                                                      (Angliss und Outlaw 2006).
         Abbildung 8: Der LPI    Der Living Planet Index (LPI) für tropische Arten ging zwischen 1970 und
       für die tropischen und    2008 um gut 60 Prozent zurück, während der LPI für die gemäßigten Zonen
        gemäßigten Regionen

                                                                                                                                                       Der Living Planet Index für Landlebewesen
                                 im gleichen Zeitraum um 31 Prozent anstieg (Abbildung 8). Dieser Unter-
                                 schied zeigt sich bei Säugetieren, Vögeln, Amphibien und Fischen in gleicher
                                 Weise wie beim Vergleich von Land-, Meeres- und Süßwasserlebewesen
                                 (Abbildungen 9 bis 11) und in allen tropischen und gemäßigten Ökozonen
                                 (Abbildungen 16 bis 20).                                                              Abbildung 9: Der Living         Der globale LPI für Landlebewesen ging zwischen 1970 und 2008 um 25 Prozent
                                                                                                                        Planet Index für Land­
                                                                                                                                       lebewesen
                                                                                                                                                       zurück (Abbildung 9a). Der Living Planet Index für Landlebewesen enthält 3.770
                                 Da für die Zeit vor 1970 keine veröffentlichten Daten vorliegen, können his-             (a) Der globale Index für    Populationen von 1.432 Vogel-, Säugetier-, Amphibien- und Reptilienarten, die
                                 torische Veränderungen der Biodiversität nicht im LPI festgehalten werden.             Landlebewesen zeigt einen      in einem weiten Spektrum gemäßigter und tropischer Lebensräume anzutref-
                                                                                                                      Rückgang von etwa 25 Proz-
                                 Sämtliche Indexwerte für 1970 wurden deshalb auf 1 gesetzt. Wie auf den             ent zwischen 1970 und 2008;
                                                                                                                                                       fen sind, wie zum Beispiel Wälder, Grasland und Trockengebiete. Der LPI für
                                 folgenden Seiten detaillierter dargestellt, kam es sowohl zwischen den einzel-      (b) der Index für Landlebew-      tro­pische Landlebewesen ging um fast 45 Prozent zurück, während der LPI für
                                 nen Tierarten als auch zwischen Tierarten, die sich den gleichen Lebensraum           esen der gemäßigten Zonen       Landlebewesen der gemäßigten Zonen um etwa 5 Prozent anstieg (Abbildung
                                                                                                                    weist eine Zunahme von etwa
                                 teilen, zu beträchtlichen Unterschieden bei den Populationstrends.                    5 Prozent auf, während der
                                                                                                                                                       9b).
                                                                                                                     Index für Landlebewesen der
                                                       2,0                                                                                                                   2.0
                                                                                                                                                                             2,0
                                                                                                                    tropischen Zonen um rund 44
                                                                                                                    Prozent fiel (WWF/ZSL 2012).

                                                                                                                                                      Indexwert (1970 = 1)
                                Indexwert (1970 = 1)

                                                       1,0                                                                                                                   1.0
                                                                                                                                                                             1,0

Index gemäßigter Zonen
       Konfidenzgrenzen                                                                                                   Index für land-
                                                        0                                                           lebende Populationen                                       0
Index tropischer Zonen
       Konfidenzgrenzen                                                                                                Konfidenzgrenzen                                 Jahr 1970   1975      1980       1985        1990       1995       2000       2005 2008
                                                Jahr 1970    1975   1980   1985   1990   1995   2000    2005 2008

                                 Der in jüngster Zeit festgestellte durchschnittliche Populationszuwachs in
                                                                                                                                                                             2,0
                                 den gemäßigten Breiten bedeutet nicht unbedingt, dass sich die Ökosysteme
                                 dort in einem besseren Zustand befinden als die der Tropen. Vier miteinan-
                                 der zusammenhängende Phänomene sind für den beobachteten LPI-Trend

                                                                                                                                                      Indexwert (1970 = 1)
                                 verantwortlich: ein Ausgangswert, der nicht weit genug in der Vergangenheit
                                 liegt; unterschiedlich verlaufende Populationskurven der verschiedenen ta-
                                 xonomischen Gruppen; beachtliche Erfolge im Arten- und Naturschutz sowie
                                 die relative Stabilität von Tierpopulationen in jüngerer Zeit. Würde der Index                                                              1,0
                                 für die gemäßigten Breiten Jahrhunderte und nicht nur Jahrzehnte zurückrei-
                                 chen, würde er einen Rückgang verzeichnen, der mindestens so ausgeprägt ist              Index für land-
                                                                                                                    lebende Populationen
                                 wie jener des tropischen Indix der letzten Jahre. Im Gegensatz dazu wäre beim         gemäßigter Zonen
                                 tropischen Index vor 1970 eine viel langsamere Veränderung wahrscheinlich.
                                                                                                                       Konfidenzgrenzen
                                                                                                                          Index für land-
                                 Die Populationen einiger Tierarten in den gemäßigten Breiten haben sich in         lebende Populationen
                                 den letzten Jahren dank Arterhaltungsbemühungen vergrößert. Zu diesen                  tropischer Zonen                                      0
                                 Tierarten gehören Wasservögel in den Vereinigten Staaten (BirdLife Interna-           Konfidenzgrenzen                             Jahr 1970       1975      1980       1985        1990       1995        2000       2005 2008
                                 tional 2008), Brutvögel und überwinternde Vögel im Vereinigten Königreich
                                 (Defra 2010) sowie gewisse Walpopulationen, etwa die westarktische Grön-
                                 landwalpopulation (Balaena mysticetus), deren Zahl bei Ende des kommer-

  22                                                                                                                                                                                   Living Planet Report 2012 | Biodiversität, Biokapazität und neue Wege | 23
Der Living Planet Index für marine Arten                                                                            Der Living Planet Index für Süßwasserarten
                                  Der LPI für marine Arten ging zwischen 1970 und 2008 um über 20 Prozent            Abbildung 11: Der Living         Der LPI für Süßwasserarten ging stärker zurück als der LPI in anderen Öko-
                                                                                                                         Planet Index für Süß­
                                  zurück (Abbildung 10a). Er bildet Veränderungen bei 2.395 Populationen aus                                          systemen. Er verfolgt Veränderungen bei 2.849 Populationen aus 737 Fisch-,
                                                                                                                                   wasserarten
                                  657 Fisch-, Seevogel-, Meeresschildkröten- und Meeressäugetierarten ab,                (a) Der globale Index für    Vogel-, Reptilien-, Amphibien- und Säugetierarten, die in gemäßigten und
                                  die in gemäßigten und tropischen Meeresökosystemen (Pelagial, Küste und             Süßwasserarten zeigt einen      tropischen Süßwasserökosystemen (Seen, Flüssen und Feuchtgebieten) an-
                                                                                                                        Rückgang von 37 Prozent
                                  Riffe) anzutreffen sind. Ungefähr die Hälfte der Arten in diesem Index wird                                         zutreffen sind. Insgesamt ging der globale LPI für Süßwasserarten zwischen
                                                                                                                        zwischen 1970 und 2008;
                                  kommerziell genutzt.                                                              (b) der Index für Süßwasser-      1970 und 2008 um 37 Prozent zurück (Abbildung 11a). Der LPI für tropische
                                                                                                                     arten der gemäßigten Zonen       Süßwasserarten war wesentlich stärker (nämlich um fast 70 Prozent) rück-
Abbildung 10: Der Living                                                                                            weist eine Zunahme von etwa
                                  Bei den marinen Arten zeigte sich die größte Diskrepanz zwischen Arten der                                          läufig, was den größten Rückgang aller ökosystembezogener Indizes darstellt,
 Planet Index für marine                                                                                             36 Prozent auf, während der
                       Arten      gemäßigten und tropischen Breiten: Der LPI für tropische Meeresarten ging            Index für Süßwasserarten       während der LPI für Süßwasserarten der gemäßigten Zonen um etwa 35
     (a) Der globale Index für    zwischen 1970 und 2008 um etwa 60 Prozent zurück, während der LPI für                 der tropischen Zonen um       Prozent anstieg (Abbildung 11b).
      Meeresarten zeigt einen                                                                                         rund 70 Prozent fiel (WWF/
                                  Meeresarten der gemäßigten Zonen um etwa 50 Prozent anstieg (Abbildung
  Rückgang von etwa 22 Pro-                                                                                                            ZSL 2012).
      zent zwischen 1970 und      10b). Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass in den vergangenen Jahrhunderten
                        2008;     massive langfristige Rückgänge bei den Meeres- und Küstenspezies der gemä-
  (b) der Index für Meeresar-     ßigten Regionen stattgefunden haben (Lotze et al. 2006; Thurstan et al. 2010).
   ten der gemäßigten Zonen
weist eine Zunahme von etwa       Somit beginnt der Index für Meeresarten der gemäßigten Zonen im Jahr 1970
     53 Prozent auf, während      auf einer wesentlich niedrigeren Ausgangsbasis als der Index für tropische
   der Index für Meeresarten      Meeresarten. Der seither gemessene relative Anstieg bei Meeresarten der
   der tropischen Breiten um
 rund 62 Prozent zurückging       gemäßigten Zonen ist wahrscheinlich Anzeichen einer leichten Erholung nach
            (WWF/ZSL 2012).       einem historischen Tiefststand.

                                                        2,0                                                                                                                 2,0

                                                                                                                                                     Indexwert (1970 = 1)
                                 Indexwert (1970 = 1)

                                                                                                         -22 %
                                                        1,0                                                                                                                 1,0

                                                                                                                                                                                                                                                           –37 %
      Index für marine                                                                                              Index für Süßwasser-
         Populationen                                    0                                                                  populationen                                     0

      Konfidenzgrenze                                                                                                   Konfidenzgrenze                        Jahr 1970          1975          1980        1985       1990       1995        2000       2005 2008
                                               Jahr 1970      1975   1980   1985   1990   1995   2000   2005 2008

                                                        2,0
                                                                                                         +53 %                                                              2,0

                                                                                                                                                                                                                                                          +36 %
                                 Indexwert (1970 = 1)

                                                                                                                                                     Indexwert (1970 = 1)
                                                        1,0                                                                                                                 1,0
      Index für marine
         Populationen                                                                                    -62 %      Index für Süßwasser-
                                                                                                                            populationen

                                                                                                                                                                                                                                                           -70 %
     gemäßigter Zonen                                                                                                  gemäßigter Zonen
      Konfidenzgrenze                                                                                                   Konfidenzgrenze

      Index für marine                                                                                              Index für Süßwasser-
          Populationen                                                                                                      populationen
      tropischer Zonen                                   0                                                              tropischer Zonen                                     0
      Konfidenzgrenze                          Jahr 1970      1975   1980   1985   1990   1995   2000   2005 2008       Konfidenzgrenze                            Jahr 1970      1975         1980        1985        1990       1995        2000        2005 2008

24                                                                                                                                                                                       Living Planet Report 2012 | Biodiversität, Biokapazität und neue Wege | 25
Beispiel für Populationstendenzen
                        2
                            Living Planet Index für Tiger
                            (1980–2010)
 Indexwert (1980 = 1)

                                                                                                                                                                            • • •                             Fallstudie: Tiger
                        1

                                                                                                   -70 %
                                                                                                                                                                             •
                                                                                                                                                                          • ••••
                                                                                                                                                                           •
                                                                                                                                                                                                              Der Tigerbestand (Panthera tigris) hat einen

                                                                                                                                                                       • •••
                                                                                                                                                                        •
                                                                                                                                                                                                         historischen Tiefstwert erreicht. Der LPI für den
                        0                                                                                                                                                                            Tiger deutet auf eine drastische Dezimierung der
 Jahr 1980                         1985      1990           1995      2000                2005             2010                                                                                        Tigerpopulationen mit einem durchschnittlichen
                                                                                                                                                                                                            Rückgang von 70 Prozent in den letzten 30
                                                                                                                                                                                                               Jahren hin. Das Verbreitungsgebiet des Tigers
                                             5.000                                                                                                                                                              ist auf 7 Prozent des ehemaligen Gebiets
                                                                                                                                                      120
                                                                                                                                                                                                                 geschrumpft, da die Populationen in einigen
                                                                                                                                                                   Amur-Tiger                                    der am dichtesten bevölkerten Regionen
                                                                 Indischer Tiger
                                                               (Indischer Bestand)                                                                                                                               der Erde um Lebensraum kämpfen müssen
                                                                                                                                                                                          Russland               (Sanderson et al. 2006). Der Tiger wird auf
                                                                                                                                                       60
                                                                                                                                                                                            (16*)                der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN
                                                0
                                                                                                                                                                   China                                         (IUCN 2011) als „stark gefährdet“ eingestuft.
                                                     1970              1990                           2010                                                          (1*)
                                                                                                                                                                                                                 Gemäß Schätzungen des sogenannten
                                                                                                                                                        0
                                                                                                                                                                                                                 „Global Tiger Recovery Programme“ leben

                                                 •• ••
                                                                                                                                                            1970                1990                2010
                                                                                                                                                                                                                 nur noch zwischen 3.200 und 3.500 erwach-
                                                                                                                                                                                       *Beobachtungsstellen      sene Tiger in freier Wildbahn (Global Tiger

                                                       • •
                                                                                                                                                                                                               Initiative 2011).

                                              •                                                                              •                    •                    Der Tiger ist durch Wilderei, Racheakte für verursachte Schäden, Lebens-

                                                    •
                                                                                                                                                                       raumverluste und Bestandsrückgänge seiner Beutetiere im Verbreitungsgebiet

                                                                                                                            •
                                                                                                                                                                       bedroht. Der stärkste Populationsrückgang der letzten Jahre wurde außerhalb

                                                    •••
                                                                                                                                                                       der Schutzgebiete festgestellt (Walston et al. 2010). In den Gebieten, in denen
                                                                                                                                                                       die größten Bemühungen zur Arterhaltung unternommen werden, sind die

                                                   • •
                                                                                                                                                                       Populationen stabiler oder wachsen sogar wieder. Viele Umweltschutzorgani-
                                                                                                                                                                       sationen, darunter der WWF und ZSL, konzentrieren sich bei ihren Vorhaben
                                                                                                                                                                       auf die größten verbleibenden Lebensräume, da dort kurzfristig die besten
                                                                                                                                                                       Chancen bestehen, den dramatischen Rückgang der Tigerpopulationen um-
                                                                                                                                                                       zukehren. Weltweite Anstrengungen zielen darauf ab, bis zum Jahr 2022 die

                                                  •
                                                                                                                                                                       Anzahl der Tiger in freier Wildbahn auf mindestens 6.000 Tiere zu erhöhen.

                                                                                                                                          •
                                             ••
                                                                                                                                                                       Abbildung 12: Tiger – Populationsentwicklung, Verbreitungsgebiet und Erhal­
                                                                                                                                                                       tungsprioritäten
                                                                                                                                                                       (a) Aktuelle Verbreitung und jüngste Populationsentwicklungen des Tigers: Hellgrüne Bereiche

                                              ••
                                                                                                                                                                       zeigen das aktuelle Verbreitungsgebiet (IUCN 2011), dunkelgrüne jene Gebiete, auf die sich die
                                                                                                                                                                       Anstrengungen zur Arterhaltung konzentrieren. Die roten Punkte geben den Mittelwert für
                                                                                                                                                                       jede beobachtete Population an (Zeiträume und Beobachtungsgebiete der Studien variieren; die
                                                                             625                                  Malaysia-Tiger
                                                                                                                                                                       Mittelwerte in Sumatra, Malaysia und Südchina repräsentieren die an mehreren Standorten
                                                                                                                   (1997–98)
                                                                                                                                                                       beobachtete gesamte Unterart) und die Graphen stellen Populationsveränderungen bei fünf
                                                                             500

                                                                                                                                              •
                                                                                                                                                                       Tiger-Unterarten dar. Die zwei Linien in der Grafik für die Schätzung des Bengaltigers in Indien
                                                                                                                                                                       zeigen die sich aus zwei unterschiedlichen Analysemethoden ergebenden Tendenzen; (b) ein LPI
                                                                                                                                                                       für den Tiger: Der Index zeigt die durchschnittliche Bestandsänderung von 43 Populationen
                                                                             300                                                                                       zwischen 1980 und 2010, wobei alle sechs Unterarten gleich gewichtet wurden. Da für die 1970er
                                                                                   1996             1997             1998          1999
                                                                                                                                                                       Jahre nicht genügend Daten vorliegen, wurde der Ausgangswert mit dem Indexwert 1 auf das
                                                                                                                                                                       Jahr 1980 festgelegt (WWF/ZSL 2012).

                                                                        1.200

                                                                                                      Sumatra-Tiger
                                                                                                                                              •                                 Beobachtungsstellen
                                                                                                                                                                                Vorrangige Schutzgebiete
                                                                                                                                                                                Gegenwärtiger Umfang

                                                                              0
26                                                                                 1970     1978                             2007 2010                                                          Living Planet Report 2012 | Biodiversität, Biokapazität und neue Wege | 27
Beispiel für Populationstendenzen
                                 Fallstudie: Flussdelfine                                                                                                                                                                        500
                                                                                                                                                                                                                                          Chinesischer Flussdelfin
                                                                                                                  500

                 Ganges
                                                                                                                           Indus-Delfin
                                 Die Bestände von Süßwasserdelfinen gehen drastisch zurück. Diese Delfine
                                                                                                                                                                                                                                 250
                                 und Tümmler kommen in einigen der größten Flüsse der Erde vor: im Ganges,
                   Indus         im Indus, im Jangtse, im Mekong und im Amazonas. An diesen Flüssen leben
                                                                                                                  250

                                 auch geschätzte 15 Prozent der Menschheit.
            Jangtsekiang                                                                                           0
                                                                                                                        1970      1980        1990         2000
                                                                                                                                                                                                                                   0
                                                                                                                                                                                                                                       1970    1980      1990          2000   2010

                 Mekong
                                 Der Bau von Infrastrukturen wie Dämmen, Deichen und Talsperren, der
                                 Einsatz von Fischernetzen, in denen sich die Tiere verfangen, Zusammenstöße
               Amazonas          mit Schiffen, Überfischung sowie Verschmutzung haben in den letzten 30
                                 Jahren zu einem raschen Rückgang vieler Populationen von Süßwasserdel-
                                                                                                                                                                                                               3000
                                 finen beigetragen, die ausschließlich in Flüssen und Seen leben. Eine Süß-
                                 wasserdelfinart, der Jangtse-Delfin oder Baiji (Lipotes vexillifer), ist wahr-
                                 scheinlich bereits ausgestorben (Turvey et al. 2007; Abbildung 13). Auch die                                                                                                  1500
                                                                                                                                                                                                                             Jangtse-Glattschweinswal
              Abbildung 13:      Populationen des Irawadidelfins (Orcaella brevirostris), die sowohl im Meer                      30                                     6000

  Populationstrends und                                                                                                                                Ganges-Delfin
                                 als auch im Süßwasser leben, sind geschrumpft. Die Zunahme beim Indus-
  Verbreitungsgebiet der                                                                                                          20

         Süßwasserdelfine        Delfin (Platanista minor) ist möglicherweise einer Erholung der Bestände                                                                3000
                                                                                                                                                                                                                  0
                                                                                                                                                                                                                      1980         1990           2000          2010

Aktuelles Verbreitungsgebiet     nach Einführung eines Jagdverbots oder der Zuwanderung von Delfinen aus                          10
 von Süßwasserdelfinen und       umliegenden Gebieten zu verdanken (Braulik 2006), doch für ein besseres
 Populationstrends für sechs
   Arten. Der schattierte Be-    Verständnis des Gesamtzustands der Populationen sind weitere Informa-                             0
                                                                                                                                       1980     1990         2000      2010

reich bezeichnet das aktuelle    tionen über diese Entwicklung sowie über die Süßwasserdelfine insgesamt
   Verbreitungsgebiet (IUCN      erforderlich. Nach dem heutigen Wissensstand deutet vieles darauf hin, dass
2011) und die Graphen zeigen
Beispiele der Populationsent-    dringend Schritte unternommen werden müssen, um das Aussterben dieser
       wicklung bei jeder Art.   faszinierenden und noch wenig erforschten Tiere zu verhindern.                                                                                 300
                                                                                                                                                                                                    Irawadi-Delfin

                                                                                                                                                                                 50

                                                                                                                                                                                  0
                                                                                                                                                                                      1992   1998       2004           2010     2016

                                                           8
                                                                                                                        SOFORTIGE MASSNAHMEN
                                                                                                                        SIND ERFORDERLICH, UM DAS
                                                                      Amazonas-Flussdelfin

                                                           4

                                                                                                                        AUSSTERBEN DIESER
                                                                                                                        FASZINIERENDEN, NOCH WENIG
                                                           0
                                                               1998              2000        2002

                                                                                                                        ERFORSCHTEN TIERE ZU VERHINDERN.

28                                                                                                                                                                                Living Planet Report 2012 | Biodiversität, Biokapazität und neue Wege | 29
Sie können auch lesen