Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung - Bertelsmann ...

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Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung - Bertelsmann ...
Zukünftige Entwicklung
 der GKV-Finanzierung
Zukünftige Entwicklung
             der GKV-Finanzierung

                                          Autoren
                             Dr. Richard Ochmann, IGES Institut
                              Dr. Martin Albrecht, IGES Institut

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Bericht auf die weibliche Sprachform verzichtet.
         Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beide Geschlechter.
Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung

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Vorwort

Nach fast einem Jahrzehnt mit Überschüssen bei der              Strukturen der Versorgung, vor allem im stationären Bereich,
Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zeichnet sich            zu erschließen. Auf der Einnahmeseite lässt sich der An­-
bereits heute ab, dass spätestens ab Mitte der zwanziger        stieg der Beitragssätze nicht ohne den systematischen Aus­
Jahre die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben sich           bau des Steuerzuschusses zu einem Bundesbeitrag analog
wieder in Richtung Defizit öffnen wird. Ein wesentlicher        zur Rentenversicherung begrenzen. Die möglichen fiska­
Treiber dieser Entwicklung ist die Demographie: Zum einen       lischen Instrumente liegen auf dem Tisch – es kommt jetzt
steigt der Anteil älterer Menschen, die eher Gesundheits­       darauf an, die politische Debatte zu beginnen, wie sie ein­
leistungen in Anspruch nehmen – vor allem aber sinkt mit        zusetzen sind.
dem Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge in das Renten­
alter deren Beitrag zu den Einnahmen der GKV. Während           Denn eines ist klar: Die Zeiten, in denen Strukturdefizite
die Entwicklung der Ausgaben hinsichtlich der Kosten und        durch Mehrausgaben abgefedert wurden, sind vorbei. Die
des Umfangs medizinischer Leistungen nur unter gewissen         Debattenlage wird sich im neuen Jahrzehnt grundlegend
Grundannahmen prognostiziert werden kann, ist die Alters-       verändern. Versicherten wie Patienten, Kostenträgern wie
­struktur der Bevölkerung bis 2040 vergleichsweise gut          Leistungserbringern wird dabei einiges abverlangt werden.
vorherzusagen. Dieser zeitliche Horizont eröffnet der Poli­     Auch die Solidarprinzipien der Krankenversicherung –
tik den Handlungsspielraum, die Weichen bei der Finanzie­       Gesunde für Kranke, Alleinstehende für Familien, Reiche
rung der Krankenversicherung rechtzeitig so auszurichten,       für Arme – werden durch diese Herausforderungen auf
dass eine ausgewogene Lastenverteilung zwischen Gesun­          die Probe gestellt. Daher bleibt neben den systemeigenen
den und Kranken, aber auch den gegenwärtigen und künf­          Reformhebeln der GKV die Frage virulent, ob wir es uns als
tigen Generationen gewahrt bleibt.                              Gesamtgesellschaft leisten können bzw. wollen, dass gerade
                                                                die Gutverdiener und tendenziell gesünderen Teile der
Die vorliegende Studie soll zum einen die Perspektive der       Bevölkerung aus diesem Solidarausgleich austreten können.
GKV-Finanzierung bis 2040 aufzeigen. Zum anderen sol­           Es geht nämlich bei der Bewältigung der systemimmanen­
len die Faktoren, die die Entwicklung beeinflussen, benannt     ten Herausforderungen der GKV nicht nur um die Technik
und in ihrer Bedeutung gewichtet werden. Dabei zeigt sich,      der Lastenverteilung, sondern es wird immer auch die
dass die wichtigsten Einflussfaktoren für die GKV-Finan­        Frage des sozialen Zusammenhalts mitverhandelt.
zen jenseits des Gestaltungsbereichs der Gesundheitspolitik
liegen: etwa die Entwicklung der Beschäftigung und daran
anschließend die der Löhne und Gehälter. Auch wenn dem­
gegenüber der gesundheitspolitische Instrumentenkasten
in seinem Einfluss sehr begrenzt ist, wäre es fahrlässig, die
gesundheitspolitische Debatte um die systemeigenen Stell­
schrauben nicht jetzt, rechtzeitig bevor die Schere ausein­                              Uwe Schwenk
andergeht, zu beginnen.                                                                  Programmdirektor „Versorgung
                                                                                         verbessern – Patienten informieren“
Dabei geht es auf der Ausgabenseite um Maßnahmen der                                     Bertelsmann Stiftung
Kostendämpfung. Anders als zu Zeiten der Agenda 2010
sollten diese nicht primär bei den Leistungsansprüchen
der Versicherten oder der Eigenbeteiligung der Patienten
ansetzen. Stattdessen gilt es die Effizienzreserven in den

                                                                                                                               5
Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung

Inhalt

1       Hintergrund: Finanzentwicklung der GKV   7    3       Ergebnisse der Fortschreibung für die
                                                              Szenarien                                    20
2       Methodisches Vorgehen und Daten          8
                                                      3.1     Basisszenario                                20
2.1     Aufbau des Simulationsmodells             8
                                                      3.2     Maßnahmen zur Schließung
2.2     Demographische Entwicklung                9           der Finanzierungslücke                       20
                                                      3.2.1   Beitragssatzanpassung                        22
2.3     Entwicklung der Einnahmen                 9   3.2.2   Erhöhung des Bundeszuschusses                22
2.3.1   Erwerbspersonenpotenzial                 9    3.2.3   Ausgabendämpfung                             23
2.3.2   Rentnerpopulation                        9
2.3.3   Anzahl der GKV-Mitglieder                10   3.3     Schließung der Finanzierungslücke
2.3.4   Lohnentwicklung und Entwicklung                       durch alternative Entwicklungen              23
        weiterer Einkommensarten                 10   3.3.1   Stärkere Lohnsteigerungen                    25
2.3.5   Weitere Einnahmen der Krankenkassen      10   3.3.2   Ausgabendämpfende Morbiditätsentwicklung     25
2.3.6   Bundeszuschuss                           10
                                                      3.4     Risikofaktoren einer Vergrößerung
2.4     Entwicklung der Ausgaben                 10           der Finanzierungslücke                       25
2.4.1   Komponentenzerlegung der                      3.4.1   Allgemeine Preisinflation im Gesundheitswesen 26
        Ausgabenentwicklung                      10   3.4.2   Ausgabentreibende Morbiditätsentwicklung     26
2.4.2   Fortschreibung der Ausgabenentwicklung   12
2.4.3   Weitere Ausgaben                         13   4       Zusammenfassung und Fazit                    27

2.5     Gesamteinnahmen, Gesamtausgaben,              5       Literatur                                    29
        Saldo und Finanzreserven                 13
                                                              Anhang                                       30
2.6     Szenarien zur zukünftigen Entwicklung
        der GKV-Finanzierung                     13           Über die Autoren                             33
2.6.1   Basisszenario                            14           Impressum                                    33
2.6.2   Maßnahmen zur Schließung der
        Finanzierungslücke („im System“)         15
2.6.3   Alternative Entwicklungen der
        ausgaben­beein­flussenden Faktoren
        („außerhalb des Systems“)                16
2.6.4   Risikofaktoren einer Vergrößerung
        der Finanzierungslücke                   17
2.6.5   Übersicht der Szenarien                  18

6
Hintergrund: Finanzentwicklung der GKV

1 Hintergrund: Finanzentwicklung der GKV

Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) erzielte in          haben sich die GKV-Leistungsausgaben im Zeitraum 2000
den letzten Jahren Finanzierungsüberschüsse. Ein anhal­        bis 2013 um durchschnittlich 2,7 Prozent pro Jahr erhöht,
tender Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäf­     seit dem Jahr 2013 sind es 4,5 Prozent p. a. Da aktuell keine
tigung und kräftige Lohnzuwächse ließen die Einnahmen          Kostendämpfungsgesetze geplant sind, ist eine baldige
der GKV kontinuierlich zunehmen. Aufgrund der demogra­         Abschwächung der Ausgabenzuwächse nicht zu erwar­
phischen Entwicklung bestehen aber begründbare Zwei­           ten. Der GKV-Spitzen­verband geht – im Gegenteil – von
fel, dass diese Überschüsse langfristig Bestand haben wer­     zusätzlichen Ausgabenrisiken infolge neuer Gesetze aus.
den, die GKV-Finanzierung also nachhaltig gesichert ist.       Noch verfügen die Kassen zwar über im historischen
Es zeichnet sich nämlich ab, dass einer steigenden Zahl an     Vergleich hohe Finanzreserven (etwa 20 Milliarden Euro),
Leistungs­empfängern im Rentenbezug eine abnehmende            hinzu kommt der Vermögensbestand des Gesundheits­
Zahl an Beitrags­zahlern im Erwerbsalter gegenüberstehen       fonds (knapp 10 Milliarden Euro), aufgebaut jeweils aus
wird. Daher ist davon auszugehen, dass diese strukturellen     den hohen Überschüssen der letzten Jahre. Seit Längerem
Herausforderungen für die GKV-Finanzierung in absehba­         bereits wird aber in der gesundheitspolitischen Diskussion
rer Zeit deutlich stärker spürbar werden.                      ein Abschmelzen dieser Reserven gefordert, und die Liste
                                                               vorgeschlagener Verwendungszwecke wird umfangreicher.
Die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre
(„Baby-Boomer“) werden in den kommenden Jahren in den          Vor diesem Hintergrund hat die Bertelsmann Stiftung das
Ruhestand gehen. 13,4 Millionen Personen (16 Prozent der       IGES Institut mit einer Studie zur zukünftigen Entwicklung
Bevölkerung) waren im Jahr 2017 in einem Alter zwischen        der GKV-Finanzierung beauftragt. Die Studie soll die Wir­
50 und 59 Jahren – vor zehn Jahren waren es noch 11,1 Mil­     kungen der sich gegenwärtig abzeichnenden demo­graphi­
lionen (13 Prozent). Sie werden im Zuge des Eintritts in den   schen und sozioökonomischen Trends auf die Nachhaltig­
Ruhestand im Durchschnitt sowohl geringere Krankenver­         keit der Finanzsituation der GKV in den nächsten Jahren
sicherungsbeiträge zahlen als auch höhere Leistungsaus­        aufzeigen. Darüber hinaus beschreibt die Studie, welche
gaben verursachen.                                             grundsätzlichen Maßnahmen zur Verfügung stehen, um
                                                               diesen Entwicklungen entgegenzuwirken.
Einnahmeseitig könnte darüber hinaus in absehbarer Zeit
die derzeitige konjunkturelle Eintrübung in Deutschland        Dazu wurde untersucht, wie sich die Finanzierungssitua­
durchschlagen. Während sich in den Jahren 2014 bis 2018        tion der GKV zukünftig entwickeln wird, wenn sich die
noch Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (jeweils         bereits gegenwärtig beobachteten Trends der relevanten
preisbereinigt) zwischen 1,4 und 2,2 Prozent pro Jahr posi­    Einflussfaktoren (Demographie, Erwerbstätigkeit, Einkom­
tiv auf die GKV-Einnahmen auswirkten, geht die Bundes­         men, Morbidität und medizinisch-technischer Fortschritt)
regierung gegenwärtig nur noch von einem Wirtschafts­          zukünftig fortsetzen werden. Dazu wurden auf Basis von
wachstum von 0,5 Prozent im laufenden Jahr 2019 und            Simulationen verschiedene Szenarien betrachtet, in denen
zwischen 1,2 und 1,5 Prozent pro Jahr für die kommenden        die Sensitivität der Ergebnisse bezüglich unterschiedlicher
vier Jahre aus (BMWi und BMF 2019).                            Annahmen zur Entwicklung der einzelnen Einflussfaktoren
                                                               aufgezeigt wurde.
Auch ausgabenseitig dürfte der Finanzierungsdruck auf
die GKV zukünftig zunehmen. Umfangreiche gesundheits­
politische Reformen der vergangenen Jahre schlagen sich
bereits gegenwärtig in Ausgabensteigerungen nieder. So

                                                                                                                             7
Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung

2 Methodisches Vorgehen und Daten

2.1       Aufbau des Simulationsmodells                                                   Auf der Ausgabenseite wurde die Entwicklung der Leis­tungs­-
                                                                                          ausgaben (exklusive Krankengeld), der Krankengeldaus­
Für die vorliegende Studie wurde ein Simulationsmodell                                    gaben sowie der Nettoverwaltungskosten und der sonstigen
entwickelt, mit dem die zukünftige Entwicklung der Ein­                                   Ausgaben der Krankenkassen modelliert (Abschnitt 2.4).
nahmen und Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversiche­                                     Für die Fortschreibung der Entwicklung der Leistungsaus­
rung (GKV) in unterschiedlichen Szenarien analysiert wer­                                 gaben wurde eine Komponentenzerlegung in eine Mengen-
den kann (Abbildung 1).                                                                   (struktur)komponente (zur Abbildung der demographischen
                                                                                          Entwicklung) und eine Preiskomponente (Entwicklung der
Auf der Einnahmeseite berücksichtigt das Modell die Bei­                                  Morbidität und des medizinisch-technischen Fortschritts,
tragseinnahmen, weitere Einnahmen der Krankenkassen                                       MTF) vorgenommen.
und den Bundeszuschuss (Abschnitt 2.3). Die Entwicklung
der Beitragseinnahmen wurde über eine differenzierte                                      Als exogener, übergeordneter Faktor der Entwicklung der
Abbildung der Veränderungen der Anzahl der Mitglieder,                                    Einnahmen und Ausgaben der GKV wurde darüber hinaus
der beitragspflichtigen Einnahmen je Mitglied (beides exo­                                die demographische Entwicklung abgebildet (Abschnitt 2.2).
gene Faktoren, also nicht unmittelbar steuerbar) sowie des
Beitragssatzes (endogen und damit Steuerungsparameter)                                    Der Finanzierungssaldo der GKV ergibt sich aus der Gegen­
bestimmt.                                                                                 überstellung der Gesamteinnahmen und der Gesamtaus­

    ABBILDUNG 1: Aufbau des Simulationsmodells

            Gesamteinnahmen der GKV                                                                            Gesamtausgaben der GKV
                                                                           Finanzierungssaldo
            Beitragseinnahmen                                                                                  Leistungsausgaben
                                                                           •   Gesamteinnahmen                 (exklusive Krankengeld)
            •   Anzahl der Mitglieder                                      •   Gesamtausgaben
                –– Demographie                                                                                 •   Komponentenzerlegung
                –– Erwerbspersonenpotenzial                                                                        –– Mengenstruktur (Demographie)
                –– Rentnerpopulation                                                                               –– Preis (Morbidität, medizinisch-
            •   beitragspflichtige Einkommen (bpE)                                                                    technischer Fortschritt (MTF))
                je Mitglied (Einkommens­entwicklung)                       Finanzreserven                      Krankengeldausgaben
            •   Beitragssatz
                                                                           Krankenkassen (KK) und              Nettoverwaltungskosten und
            Weitere Einnahmen                                              Gesundheitsfonds (GF)               sonstige Ausgaben
            (Beiträge für geringfügig Beschäftigte,                        • Betriebsmittel und
            sonstige Einnahmen der Kranken­                                  Rücklagen (KK)
            kassen und Zusatzbeiträge)                                     • Nettoreinvermögen (GF)

            Bundeszuschuss

    Anmerkung: MTF = medizinisch-technischer Fortschritt | KK = Krankenkassen | GF = Gesundheitsfonds
    Quelle: IGES

8
Methodisches Vorgehen und Daten

gaben (Abschnitt 2.5). Darüber hinaus wurde der Mittel­                  2.3 Entwicklung der Einnahmen
bestand des Systems der GKV berücksichtigt. Dieser besteht
zum einen aus den Finanzreserven der Krankenkassen                       Für die Fortschreibung der Entwicklung der Beitrags­
(Betriebsmittel und Rücklagen) und zum anderen aus dem                   einnahmen wurden folgende Einflussfaktoren modelliert,
Nettoreinvermögen des Gesundheitsfonds.                                  wobei stets die prognostizierte demographische Entwick­
                                                                         lung gemäß der 14. koordinierten Bevölkerungsvoraus­
Einbezogen wurden Einnahmen und Ausgaben aller gesetz­                   berechnung (Abschnitt 2.2) zugrunde lag:
lichen Krankenkassen (Bund) mit Ausnahme der Landwirt­
schaftlichen Krankenkassen (LKK) bzw. der Sozialversiche­                • Erwerbspersonenpotenzial
rung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG).                  • Rentnerpopulation
                                                                         • Anzahl der GKV-Mitglieder
Als Basisjahr wurde entsprechend der Datenverfügbarkeit                  • Lohnentwicklung und Entwicklung weiterer
für die zentralen Modellvariablen (vgl. die Ausführungen                     Einkommensarten
in den folgenden Abschnitten) das Jahr 2017 gewählt. Sofern
für die einzelnen Positionen der Einnahme- und Ausgaben­                 Die Entwicklungen der einzelnen Einflussfaktoren wer­
seite bereits Daten des Jahres 2018 vorlagen, wurden diese               den im Rahmen der Darstellung der Simulationsszenarien
berücksichtigt. Das Zieljahr der Fortschreibungen ist das                beschrieben (Abschnitt 2.6).
Jahr 2040.
                                                                         2.3.1 Erwerbspersonenpotenzial

                                                                         Die Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials wurde
2.2 Demographische Entwicklung
                                                                         auf Grundlage der Projektionen des Instituts für Arbeits­
                                                                         markt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für
Die demographische Entwicklung wurde unmittelbar auf                     Arbeit (BA) modelliert (IAB 2017). Zugrunde gelegt wurde
Grundlage der amtlichen Bevölkerungsvorausberechnung                     das IAB-Szenario 3 mit steigender Frauenerwerbsquote
bestimmt. Dafür wurden die Ergebnisse der 14. koordinier­                und einem Wanderungssaldo von + 200.000 Personen pro
ten Bevölkerungsvorausberechnung (Basis: 31.12.2018) der                 Jahr.2
Statistischen Ämter des Bundes und der Länder in der Vari­
ante G2L2W2: „Geburten, Lebenserwartung und Wande­                       2.3.2 Rentnerpopulation
rungssaldo moderat“ zugrunde gelegt, die im Juni 2019
veröffentlicht wurden (Destatis 2019).1                                  Die Entwicklung der Rentnerpopulation wurde auf Grund­
                                                                         lage des Rentenversicherungsberichts des Bundesministe­
Demnach wird sich die Einwohnerzahl in Deutschland bis                   riums für Arbeit und Soziales (BMAS 2018) abgebildet. Dort
zum Jahr 2040 um insgesamt 0,9 Prozent, von 82,8 Mil­                    sind Projektionen zur Anzahl der sogenannten „Äquiva­
lionen im Jahr 2017 auf 82,1 Millionen im Jahr 2040, ver­                lenzrentner“ bis zum Jahr 2032 enthalten.3 Für die Jahre
ringern. Dabei wird die Alterung der Bevölkerung weiter                  2033 bis 2040 wurde eine eigene lineare Trendfortschrei­
zunehmen. Der Anteil der Einwohner im Alter von 65 Jah­                  bung dieser Rentnerzahl vorgenommen.
ren oder älter wird von 22 Prozent im Jahr 2017 auf 28 Pro­
zent im Jahr 2040 ansteigen. Im Jahr 1996 lag er noch bei
17 Prozent. Entsprechend wird der Anteil der Einwohner
im Alter von 15 bis 64 Jahren von 65 Prozent im Jahr 2017
auf 59 Prozent abnehmen, während der Anteil der unter                    2   Der Wanderungssaldo bezieht sich auf die Gesamtbevölkerung, ent­
15-Jährigen im Jahr 2040 mit 13 Prozent in etwa auf dem­                     hält also auch Nichterwerbstätige und beruht noch auf der 13. Koordi­
                                                                             nierten Bevölkerungsvorausberechnung. Nach aktueller Prognose wird
selben Niveau liegen wird wie im Jahr 2017.                                  von einem etwas höheren Wanderungssaldo ausgegangen (+ 221.000;
                                                                             vgl. Fußnote 1). Aktualisierte Prognosen zur Entwicklung des Erwerb­
                                                                             spersonenpotenzials lagen zum Zeitpunkt der Studienerstellung aller­
                                                                             dings noch nicht vor.
                                                                         3   Um Verzerrungen aufgrund geringfügiger Beitragszahlungen bzw.
1   Der Vorausberechnungsvariante G2L2W2 liegen folgende Annahme             Rentenleistungen zu vermeiden, wird die Anzahl der Rentner in soge­
    zugrunde: eine Geburtenrate von 1,55 Kindern je Frau, eine Lebens­       nannte „Äquivalenzrentner“ umgerechnet. Die Anzahl der „Äquiva­
    erwartung bei Geburt im Jahr 2060 für Jungen von 84,4 Jahren und         lenzrentner“ ergibt sich aus der Division des Gesamtrentenvolumens
    für Mädchen von 88,1 Jahren und ein durchschnittlicher Wanderungs­       der Renten durch die Standardrente (Rente nach 45 Jahren Verdienst
    saldo von + 221.000 pro Jahr.                                            in Höhe des Durchschnittsentgelts).

                                                                                                                                                9
Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung

2.3.3 Anzahl der GKV-Mitglieder                                are Trendfortschreibung der Renteneinkommen zugrunde
                                                               gelegt.
Die Entwicklung der Anzahl der GKV-Mitglieder wurde – auf
Basis der Prognose des Erwerbspersonenpotenzials und der       Die Annahmen zur Entwicklung des Beitragssatzes werden
Rentnerpopulation – differenziert fortgeschrieben für          in den einzelnen Szenarien dargestellt (vgl. Abschnitt 2.6).

• pflichtversicherte Mitglieder in der Allgemeinen             2.3.5 Weitere Einnahmen der Krankenkassen
     Krankenversicherung (AKV),
• freiwillig versicherte Mitglieder in der AKV und             Als weitere Einnahmen der Krankenkassen wurden
• Mitglieder der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).       berücksichtigt:

Es wurde davon ausgegangen, dass der Anteil der Einwoh­        • Beiträge für geringfügig Beschäftigte (brutto)
ner, der bei einem Unternehmen der Privaten Krankenver­            (KJ 1-Konto 02700),
sicherung (PKV) versichert ist, über den Fortschreibungs­      • weitere Beitragseinnahmen der Krankenkassen5
zeitraum bei etwa 11 Prozent konstant bleiben wird.                (KJ 1-Konten 02800 und 02810),
                                                               • Zusatzbeiträge (KJ 1-Konten 02900 bis 02907) und
2.3.4 Lohnentwicklung und Entwicklung weiterer                 • sonstige Einnahmen der Krankenkassen6 (KJ 1-Konto
      Einkommensarten                                              03999, exklusive 03700 bis 03798).

Die Fortschreibung der beitragspflichtigen Einnahmen           Die weiteren Einnahmen der Krankenkassen wurden
(bpE) je Mitglied wurde differenziert für die drei oben        proportional zur Entwicklung der Beitragseinnahmen
genannten Mitgliedergruppen vorgenommen. Die Grund­            fortgeschrieben, d. h., sie weisen die gleiche jährliche
lage hierfür bildet eine Fortschreibung der Änderungsrate      Änderungsrate auf wie die Beitragseinnahmen.
der Bruttolöhne und -gehälter (je Arbeitnehmer). Im Basis­
szenario wurde dabei bis zum Jahr 2023 von der Lohnent­        2.3.6 Bundeszuschuss
wicklung gemäß der Frühjahrsprojektion 2019 der Bundes­
regierung (BMWi und BMF 2019) ausgegangen. Für die             Bei den Gesamteinnahmen wurde des Weiteren der Bun­
Jahre 2024 bis 2040 wurde unterstellt, dass die Löhne pro      des­­zuschuss (§ 221 SGB V) berücksichtigt. Er hatte im Jahr
Jahr mit der gleichen Rate zunehmen, wie dies im lang­         2017 einen Umfang von 14,5 Milliarden Euro, dies entspricht
fristigen Trend (Durchschnitt der Jahre 1992 bis 2018) der     etwa 7 Prozent der Beitragseinnahmen des Gesundheits­
Fall war. Diese Lohn­entwicklung wurde zur Bestimmung          fonds (inklusive Zusatzbeiträgen). Im Basisszenario sowie
der bpE der Pflichtversicherten verwendet.                     weiteren Szenarien (vgl. Abschnitt 2.6) wurde davon aus­
                                                               gegangen, dass die Höhe des Bundeszuschusses in der
Die Änderungsrate der Einkommen der freiwilligen               Größenordnung von 7 Prozent der Beitragseinnahmen bis
Mitglieder (je Mitglied) wurde als gewichtetes Mittel der      zum Jahr 2040 beibehalten wird.
durchschnittlichen Veränderung der Selbstständigenein­
kommen je Selbstständigen über den Zeitraum 1992 und
2018 (+ 1,1 Prozent) und der unterstellten Änderungs­
                                                               2.4 Entwicklung der Ausgaben
rate der Löhne bestimmt. Als Gewichte wurde die Struk­
tur der freiwillig versicherten Mitglieder nach Selbststän­
digen (22 Prozent) und sonstigen Mitgliedern (78 Prozent,      2.4.1 Komponentenzerlegung der Ausgabenentwicklung
überwiegend Arbeitnehmer) verwendet, wobei unterstellt
wurde, dass für die Entwicklung der bpE der sonstigen          Für die Fortschreibung der Entwicklung der Leistungsaus­
freiwilligen Mitglieder die Lohnentwicklung relevant ist.      gaben (exklusive Krankengeld, vgl. Abschnitt 2.4.3) wurde
                                                               eine Zerlegung der Ausgabenentwicklung in zwei Teile vor­
Die Änderungsrate der Renteneinkommen je Rentner
wurde bis zum Jahr 2032 auf Grundlage der BMAS-Prog­           5   Die weiteren Beitragseinnahmen umfassen Säumnis- und Verspätungs­
nose im Rentenversicherungsbericht 2018 bestimmt                   zuschläge auf Beiträge der KV sowie Verspätungszuschläge auf Zusatz­
(BMAS 2018).4 Ab dem Jahr 2033 wurde eine eigene line­             beiträge nach § 242 Abs. 6 SGB V in der bis 31.12.2014 geltenden Fassung.
                                                               6   Die sonstigen Einnahmen der Krankenkassen nach Konto 03999
4    Dafür wurde die BMAS-Prognose des aktuellen Rentenwerts       umfassen u. a. Erstattungen, Prämienzahlungen, Ersatzansprüche und
     in jeweiligen Preisen zugrunde gelegt.                        Zuschüsse für Leistungsaufwendungen.

10
Methodisches Vorgehen und Daten

genommen: einen Teil, der ausschließlich auf die Verän­                                                                                            Die Mengenentwicklung (Mengenstrukturkomponente)
derung des Umfangs („Menge“) und der Altersstruktur                                                                                                lässt sich graphisch anhand der (horizontalen) Verschie­
der Versichertenpopulation zurückzuführen ist („Mengen­                                                                                            bung der Besetzungen der Altersklassen der Versicherten
strukturkomponente“), und den verbleibenden Teil, der                                                                                              („Anteil an Versichertentagen“) darstellen (Abbildung 2,
die darüber hinausgehende, vom ersten Teil unabhängige                                                                                             hier exemplarisch für männliche Versicherte). Dabei zeigt
Ausgabenentwicklung in Form der Veränderung der Pro-                                                                                               sich die Alterung der Versichertenpopulation zwischen den
Kopf-Ausgaben je Alters- und Geschlechtsgruppe darstellt                                                                                           Jahren 1996 (blaue Säulen) und 2017 (grüne Säulen) anhand
(„Preiskomponente“). Die Mengenstrukturkomponente                                                                                                  der Verschiebung der Besetzungen in höhere Alter.
bezeichnet damit die demographisch bedingte Ausgaben­
entwicklung, wohingegen die Preiskomponente Ausgaben­                                                                                              Der Teil der Ausgabenentwicklung, der auf den medizinisch-
veränderungen beinhaltet, die im Zusammenhang mit einer                                                                                            technischen Fortschritt, die Veränderung der Morbidität
veränderten Morbidität der Versicherten, dem medizinisch-                                                                                          der Versicherten und die allgemeine Preisentwicklung
technischen Fortschritt (MTF) sowie der allgemeinen Preis­                                                                                         zurückzuführen ist (Preiskomponente), wird durch die
entwicklung stehen.                                                                                                                                (vertikale) Kurvenverschiebung der Ausgaben je Versicher­
                                                                                                                                                   tentag („Pro-Tag-Werte“ bzw. „Pro-Kopf-Ausgaben“)
Die Komponentenzerlegung wurde auf Grundlage von                                                                                                   beschrieben. Dabei wird deutlich, dass die Pro-Kopf-Aus­
Daten des Bundesversicherungsamts (BVA) zu den GKV-                                                                                                gaben zwischen den Jahren 1996 und 2017 bei den älteren
Ausgabenprofilen nach Einzelalter und Geschlecht der Ver­                                                                                          Versicherten absolut und (für die meisten Altersgruppen)
sicherten sowie Hauptleistungsbereichen (BVA 2018a) für                                                                                            auch prozentual stärker gestiegen sind als bei den jünge­
verschiedene Zeiträume zwischen den Jahren 1996 und                                                                                                ren Versicherten (dieser Zusammenhang wurde im Rahmen
2017 durchgeführt.7                                                                                                                                eines Szenarios zur sogenannten „Medikalisierungsthese“
                                                                                                                                                   berücksichtigt, vgl. Abschnitt 2.6.3). Darüber hinaus waren
7   Die Hauptleistungsbereiche wurden dabei stets in der Summe                                                                                     die Pro-Kopf-Ausgaben der älteren Versicherten gene­
    betrachtet, mit Ausnahme der Krankengeldausgaben, die in der
    Summe der Leistungsausgaben nicht enthalten sind und separat
                                                                                                                                                   rell höher als die der jüngeren Versicherten, sowohl im Jahr
    fortgeschrieben wurden.                                                                                                                        1996 als auch im Jahr 2017, da in höherem Alter tendenziell

    ABBILDUNG 2: Komponentenzerlegung der Leistungsausgaben je Versicherten (Männer, 1996 – 2017)

                                                                 25 €                                                                                                                                                2,0 %
    Leistungsausgaben je Versichtentag (Pro-Tag-Werte in Euro)

                                                                                                                                     Mengen(struktur)-
                                                                                                                                       komponente
                                                                 20 €                                                                                                                                                1,6 %
                                                                                                                                                                                                                             Anteil der Versichertentage in Prozent

                                                                                                                                                                                                        Preis-
                                                                                                                                                                                                        komponente
                                                                 15 €                                                                                                                                                1,2 %

                                                                 10 €                                                                                                                                                0,8 %

                                                                  5€                                                                                                                                                 0,4 %

                                                                  0€                                                                                                                                                    0%
                                                                        0   2   4   6   8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90+
                                                                                                                                 Alter der männlichen Versicherten

    Rechte Skala: n Anteil an Versichertentagen (1996)       n Anteil an Versichertentagen (2017)
    Linke Skala:       Pro-Tag-Werte (1996)                    Pro-Tag-Werte (2017)
    Quelle: IGES auf Basis von Daten des Bundesversicherungsamts (GKV-Ausgabenprofile nach RSA)

                                                                                                                                                                                                                                                                      11
Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung

     TABELLE 1: Entwicklung der Mengen(struktur)komponente und der Preiskomponente sowie Gesamtentwicklung der
     Leistungsausgaben (1996 – 2017)
                                                                                                       Veränderung kumuliert              Ø Zuwachsrate pro Jahr

     Gesamtentwicklung der Leistungsausgaben (je Versicherten)                                                 + 87 %                             + 3,0 %
     Mengen(struktur)komponente                                                                                + 20 %                             + 0,9 %
     Preiskomponente                                                                                           + 67 %                             + 2,5 %
     Quelle: IGES auf Basis von Daten des Bundesversicherungsamts (GKV-Ausgabenprofile nach RSA)

häufiger bzw. mehrfach Erkrankungen auftreten und / oder                                    gleichsweise gering aus, wenn die Preiskomponente kräftig
diese oft schwerer bzw. chronisch ausfallen. Die hier betrach-                              ansteigt, und umgekehrt.
tete „Preiskomponente“ bezeichnet allerdings nicht die
generellen Niveauunterschiede zwischen den Ausgaben der                                     Auch die Zuwachsrate des preisbedingten Ausgabenan­
älteren und der jüngeren Versicherten, sondern lediglich                                    stiegs (Preiskomponente) fiel je nach betrachtetem Zeit­
die Veränderung ihrer Pro-Kopf-Ausgaben über die Zeit,                                      raum unterschiedlich aus. Sie variierte zwischen + 0,9 Pro­
die auf den medizinisch-technischen Fortschritt, die Ent­                                   zent pro Jahr im Zeitraum der Jahre 2002 bis 2006 und
wicklung der Morbidität und die allgemeine Preisentwick­                                    + 4,4 Prozent pro Jahr im Zeitraum der Jahre 2007 bis 2010
lung zurückzuführen ist.                                                                    (Gesamtzeitraum 1996 bis 2017: + 2,5 Prozent). Diese Band­
                                                                                            breite wurde als Orientierung bei der Ausgestaltung unter­
Über den gesamten Zeitraum der Jahre 1996 bis 2017 sind                                     schiedlicher Szenarien zur Preisentwicklung zugrunde
die Leistungsausgaben je Versicherten um insgesamt                                          gelegt (vgl. Abschnitt 2.6). Im Basisszenario wurde für
87 Prozent gestiegen (Tabelle 1) – dies entspricht einem                                    die Fortschreibung der Preiskomponente die Entwicklung
durchschnittlichen jährlichen Zuwachs von 3,0 Prozent.                                      über den Gesamtzeitraum der Jahre 1996 bis 2017 zugrunde
Von dem 87-Prozent-Zuwachs im Gesamtzeitraum entfie­                                        gelegt, da dieser hinsichtlich der Länge (21 Jahre) dem
len 20 Prozentpunkte auf die Mengen(struktur)komponente                                     Prognosezeitraum (23 Jahre) am nächsten kommt.
und 67 Prozentpunkte auf die Preiskomponente. Aufgrund
der demographischen Entwicklung sind die Leistungsaus­                                      2.4.2 Fortschreibung der Ausgabenentwicklung
gaben je Versicherten zwischen den Jahren 1996 und 2017
um 0,9 Prozent pro Jahr gestiegen und aufgrund weiterer                                     Die Fortschreibung der Entwicklung der Mengen(struktur-)
Entwicklungen (Morbidität, MTF) zusätzlich um 2,5 Pro­                                      komponente für die Jahre 2018 bis 2040 ergibt sich aus der
zent pro Jahr.8 Auf den Einfluss der Demographie i. e. S.                                   demographischen Entwicklung gemäß der Bevölkerungs­
(d. h. demographischer Mengenstruktureffekt) sind damit                                     vorausberechnung (vgl. Abschnitt 2.2) und der Übertragung
nur 23 Prozent des Gesamtzuwachses (= 20/87 Prozent)                                        von der Einwohnerzahl auf die Anzahl der Versicherten
zurückzuführen.                                                                             nach Alter und Geschlecht.9 Damit ist der Teil der Ausga­
                                                                                            benentwicklung, der auf die Demograpfie i. e. S. zurück­
Die Höhe des Anteils der demographieabhängigen Mengen-                                      zuführen ist, determiniert und wurde in dieser Studie als
(struktur)komponente ist dabei allerdings abhängig vom                                      „unveränderlich“ betrachtet.
gewählten Betrachtungszeitraum. Ihr Anteil lag beispiels­
weise in den Jahren 2000 bis 2004 mit 45 Prozent deut­                                      Für die Fortschreibung der Entwicklung der Preiskompo­
lich höher und in den Jahren 2004 bis 2008 mit 18 Pro­                                      nente wurden in den Szenarien unterschiedliche Annah­
zent niedriger als im Durchschnitt über den Zeitraum                                        men getroffen. Im Basisszenario wurde unterstellt, dass
1996 bis 2017 (23 Prozent). Die relative Bedeutung der                                      der preisbedingte Ausgabenanstieg, der sich zusätzlich zum
Mengen(struktur)komponente fällt dabei stets dann ver­                                      demographiebedingten ergibt, bis zum Jahr 2040 die glei­
                                                                                            che Zuwachsrate aufweisen wird wie im Durchschnitt der
8    Aufgrund der Berechnung der durchschnittlichen Zuwachsrate der
     Ausgaben als sogenannte „jährliche Wachstumsrate“ („Compound
     Annual Growth Rate“) ergibt sich mathematisch aus der Summe                            9      Übertragen wurden die demographischen Entwicklungen als prozen­
     der Zuwachsraten der beiden Komponenten (0,9 + 2,5 Prozent) nicht                             tuale Veränderung der Besetzung der Alters- und Geschlechtsklassen
     die Zuwachsrate der Gesamtausgaben (+ 3,0 Prozent). Beim kumu­                                auf die Versichertenpopulation. Es wurde also davon ausgegangen,
     lierten Zuwachs hingegen kann die Veränderung der Gesamtausga­                                dass sich die Versichertenpopulation der GKV hinsichtlich der Alters-
     ben (+ 87 Prozent) über die Summierung der Komponenten (+ 20 und                              und Geschlechtsstruktur genauso verändert wie die Gesamtbevölke­
     + 67 Prozent) berechnet werden.                                                               rung.

12
Methodisches Vorgehen und Daten

Jahre 1996 bis 2017 (+ 2,5 Prozent pro Jahr, vgl. Tabelle 1).           • Nettoverwaltungskosten (KJ 1-Konto 07999)11
Die Annahmen zur Preisentwicklung in den weiteren Sze­                  • sonstige Ausgaben der Krankenkassen (KJ 1-Konto 06999)
narien werden in Abschnitt 2.6 dargestellt.
                                                                        Der Saldo aus Gesamteinnahmen und Gesamtausgaben
Die Ergebnisse zur zukünftigen, prognostizierten Entwick­               stellt den Überschuss bzw. das Defizit der GKV über ein Jahr
lung der Mengen(struktur)komponente und der Preiskom­                   dar.
ponente werden für das Basisszenario in Abschnitt 3.1 dar­
gestellt.                                                               In Bezug auf den Mittelbestand des Systems der GKV
                                                                        wurde berücksichtigt, dass der Gesundheitsfonds im Start­
2.4.3 Weitere Ausgaben                                                  jahr 2009 ein einmaliges Defizit in Höhe von 2,4 Milliar­
                                                                        den Euro verzeichnete. Dieses wurde in den Folgejahren als
Eine pauschale Fortschreibung wurde in dem Simulations­                 Sondervermögen verbucht. Bei dem hier betrachteten Net­
modell bei den Ausgaben für Krankengeld gewählt. Die                    toreinvermögen des Gesundheitsfonds muss es allerdings
Krankengeldausgaben wurden mit derselben jährlichen                     einmalig in Abzug gebracht werden (BVA 2018b).
Zuwachsrate fortgeschrieben wie die Leistungsausgaben.
                                                                        Die Einnahmen- bzw. Ausgabenüberschüsse, die sich als
Darüber hinaus wurden weitere Ausgaben der Kranken­                     Fortschreibungen bis zum Jahr 2040 ergeben, wurden für
kassen berücksichtigt: Nettoverwaltungskosten nach                      die Berechnung eines Gegenwartswertes auf das Ausgangs­
KJ 1-Konto 07999 und sonstige Ausgaben nach KJ 1-Konto                  jahr diskontiert. Dabei wurde ein Diskontsatz von 1,68 Pro­
                                             10
06999 (Ausgaben der Kontenklasse 6).              Die weiteren Aus­     zent pro Jahr verwendet. Dieser wurde als Durchschnitt der
gaben der Krankenkassen wurden ebenfalls proportional                   Abzinsungszinssätze der Deutschen Bundesbank gemäß
zur Entwicklung der Leistungsausgaben fortgeschrieben,                  § 253 Abs. 2 HGB für Rückstellungen mit einer Restlaufzeit
d. h., sie weisen auch die gleiche jährliche Änderungsrate              von zwischen einem und 20 Jahren (jeweils 7-Jahresdurch­
auf wie die Leistungsausgaben.                                          schnitt) ermittelt (Deutsche Bundesbank 2019).

2.5 Gesamteinnahmen, Gesamtausgaben,                                    2.6 Szenarien zur zukünftigen Entwicklung
        Saldo und Finanzreserven                                                der GKV-Finanzierung

Die Gesamteinnahmen der GKV ergeben sich als Summe                      Für die mögliche zukünftige Entwicklung der GKV-Finan­
der folgenden Posten:                                                   zierung wurden acht Szenarien betrachtet (Abbildung 3).
                                                                        Im Basisszenario wird der Umfang der Finanzierungslü­
• Beitragseinnahmen                                                     cke bestimmt, die sich bei Fortschreibung der trendmäßi­
• Beiträge für geringfügig Beschäftigte (KJ 1-Konto 02700)              gen Entwicklungen der zugrunde liegenden Einflussfakto­
• weitere Beitragseinnahmen der Krankenkassen                           ren ergibt. Maßnahmen zur Schließung bzw. Verringerung
   (KJ 1-Konten 02800 und 02810)                                        der Finanzierungslücke (im System bzw. endogen) wurden
• Zusatzbeiträge (KJ 1-Konten 02900 bis 02907)                          in drei Szenarien betrachtet (Anhebung des Beitragssatzes,
• sonstige Einnahmen der Krankenkassen (KJ 1-Konto                      des Bundeszuschusses und Ausgabendämpfung). Zwei wei­
   03999)                                                               tere Szenarien basieren auf alternativen Entwicklungen,
• Bundeszuschuss                                                        die durch überwiegend systemexogene Faktoren bestimmt
                                                                        werden (ausgabendämpfende Morbiditätsentwicklung und
Die Gesamtausgaben der GKV ergeben sich als Summe                       stärkere Lohnsteigerungen). Schließlich wurden zwei Risi­
folgender Positionen:                                                   koszenarien einer Vergrößerung der Finanzierungslücke
                                                                        betrachtet, die an der Preiskomponente der Ausgabenent­
• Leistungsausgaben (exkl. Krankengeld)                                 wicklung ansetzen und im ersten Fall einen Struktureffekt
• Ausgaben für Krankengeld                                              (ausgabentreibende Morbiditätsentwicklung) und im zwei­

10 Unter die Ausgaben der Kontenklasse 6 fallen zum Beispiel Auf­       11 Unberücksichtigt blieben die Nettoverwaltungskosten des Gesund­
   wendungen aus Satzungsleistungen, Ausgaben für die elektronische        heitsfonds (Konto 07999 des Gesundheitsfonds). Ihre Größenordnung
   Gesundheitskarte bzw. die Telematikinfrastruktur und der Finanzie­      ist allerdings vergleichsweise gering (rund 57 Millionen im Jahr 2018,
   rungsanteil der Krankenkassen am Innovationsfonds.                      0,02 Prozent der Gesamtausgaben der GKV).

                                                                                                                                              13
Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung

     ABBILDUNG 3: Übersicht über Simulationsszenarien

           Preis ➔ Struktureffekt                        Preis ➔ Niveaueffekt                                  Demographie
           (Versteilerung Ausgabenprofil)                (Verschiebung Ausgabenprofil)

           Morbidität: Medikalisierung                   allgemeine Preisinflation im Gesundheitswesen         (kein Szenario)

                                                              Vergrößerung der Finanzierungslücke

                                                                        Basisszenario
                                                                       ➔ Finanzierungslücke

                                                       Schließung / Verringerung der Finanzierungslücke

                                 im System (endogen)                                außerhalb des Systems (überwiegend exogen)

              Anhebung des Beitragssatzes      Ausgaben­dämpfung                    Morbidität: Kompression             stärkere Lohnsteigerungen
              oder des Steuerzuschusses        (Preisniveau)                        (Preisstruktur)

     Quelle: IGES

ten Fall einen Niveaueffekt (allgemeine Preisinflation im                       liegenden Zeitraum (vgl. Abschnitte 2.3 und 2.4). Hieraus
Gesundheitswesen) abbilden.                                                     ergeben sich folgende Entwicklungen der Einflussfaktoren
                                                                                über den Fortschreibungszeitraum.
Von einem weiteren Risikoszenario mit Abweichungen der
demographischen Entwicklung, die eine Vergrößerung der                          Für die demographische Entwicklung werden in allen Sze­
Finanzierungslücke verursachen könnten, wird abgesehen.                         narien die Daten der Bevölkerungsvorausberechnung des
Im Vergleich zu den anderen Einflussfaktoren, die hier zur                      Statistischen Bundesamts verwendet. Demnach ist bis zum
Szenarienabgrenzung verwendet werden, gestaltet sich die                        Jahr 2040 von einem Bevölkerungsrückgang um 0,9 Pro­
demographische Entwicklung kontinuierlicher und weniger                         zent gegenüber dem Jahr 2017 bei zunehmender Alterung
                                                         12
schwankungsanfällig über längere Zeiträume.                                     auszugehen (vgl. Abschnitt 2.2).

2.6.1 Basisszenario                                                             Das Erwerbspersonenpotenzial nimmt insgesamt von
                                                                                46,0 Millionen Erwerbspersonen im Jahr 2017 auf 42,1 Mil­
Die Leitfrage des Basisszenarios war: Inwieweit ist die                         lionen im Jahr 2040 ab (–8 Prozent insgesamt), da die
Nachhaltigkeit der GKV-Finanzierung bis zum Jahr 2040                           Zuwanderung den demographischen Effekt langfristig nicht
gesichert bzw. zu welchem Zeitpunkt ist die Nachhaltigkeit                      kompensieren kann. Es zeigt sich allerdings eine leichte
voraussichtlich gefährdet, wenn sich die bisherigen Ent­                        Zunahme der Erwerbsquote – bezogen auf die Bevölkerung
wicklungstrends unverändert fortsetzen?                                         im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren gemäß
                                                                                Bevölkerungsvorausberechnung – von 82,6 Prozent im
Das Basisszenario ergibt sich generell aus der Fortschrei­                      Jahr 2017 auf 83,3 Prozent im Jahr 2040. Bezogen auf die
bung der trendmäßigen Entwicklung der Einflussfaktoren                          Gruppe der 50- bis 64-Jährigen steigt die Erwerbsquote
der Einnahmen und Ausgaben der GKV über einen zurück­                           von etwa 81,4 auf 86,5 Prozent und bezogen auf die Gruppe
                                                                                der 65- bis 74-Jährigen von 18,9 auf 20,2 Prozent.13 Auch
12 Die Bevölkerungsvorausberechnung unterliegt naturgemäß auch
   einer Schwankungsanfälligkeit, daher wird sie in mehreren Varian­
                                                                                die Erwerbsquote der Frauen wird weiter zunehmen (vgl.
   ten mit unterschiedlichen Annahmen bezüglich Fertilität, Leben­              Abschnitt 2.3.1). Darüber hinaus werden weitere zugewan­
   serwartung und Wanderung durchgeführt. In einer Sensitivi­täts­-             derte Erwerbspersonen aufgrund eines positiven Wande­
   analyse, in der beispielhaft eine Alternativvariante der Bevölkerungs­
   vorausberechnung zugrunde gelegt wurde, die von einem geringe­
                                                                                rungssaldos zur Verfügung stehen.
   ren Wanderungssaldo ausgeht (Variante G2L2W1, mit einem Wande­
   rungssaldo vom + 147.000 anstatt + 221.000), ergaben sich in Bezug           13 Die jeweiligen Werte für das Basisjahr 2017 (82,6, 81,4 und 18,9 Pr0zent)
   auf die Nachhaltigkeit der GKV-Finanzierung keine wesentlich ande­              wurden auf Grundlage der Prognosewerte des Instituts für Arbeits-
   ren Ergebnisse. Der Zeitpunkt, zu dem die Ausgaben die Einnahmen                markt- und Berufsforschung (IAB) bestimmt und weichen damit von
   übersteigen, bleibt unverändert.                                                den tatsächlichen Erwerbsquoten dieser Altersgruppen im Jahr 2017 ab.

14
Methodisches Vorgehen und Daten

                                                                          Der allgemeine Beitragssatz der GKV (exklusive Zusatzbei­
  TABELLE 2: Einflussfaktoren und Annahmen im
                                                                          trag) wird – entsprechend der Zielsetzung des Basisszena­
  Basisszenario
                                                                          rios – bis zum Jahr 2040 konstant bei 14,6 Prozent gehal­
  Einflussfaktor         Annahmen                                         ten und der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz (§ 242a
  Demographie            Einwohnerzahl: – 0,9 % kumuliert (2017–2040):    SGB V) im Jahr 2018 bei 1,0 Prozent sowie in den Jahren ab
                         von 82,8 Mio. (2017) auf 82,1 Mio. (2040)        2019 bei konstant 0,9 Prozent festgelegt.

  Erwerbspersonen­       steigende Erwerbsquote im Alter 65+:
  potenzial              von 18 % (2017) auf 20 % (2040)                  Das Basisszenario stellt das Referenzszenario dar, mit

  Rentnerpopulation      Zunahme um kumuliert 34 % (2017–2040)
                                                                          dem die weiteren Szenarien verglichen werden. Das Basis­
                                                                          szenario bildet zudem die Grundlage aller weiteren Sze­
  Anzahl der             + 4 % kumuliert (2017–2040) aufgrund
                                                                          narien, von der ausgehend jeweils eine oder mehrere der
  GKV-Mitglieder         zunehmender Erwerbsbeteiligung
                                                                          getroffenen Annahmen variiert werden (siehe die folgen­
  Anzahl der
                                                                          den Abschnitte).
  GKV-Versicherten       –0,8 % kumuliert (2017–2040)

  Lohnentwicklung        + 3,2 % (2019), + 2,9 % (2020), + 3,1 % (2021)
                                                                          Die dem Basisszenario zugrunde liegenden Annahmen
                         + 3,0 % (2022), +3,1 % (2023), + 1,9 % p. a.
                         (2024–2040)                                      werden in Tabelle 2 zusammenfassend dargestellt.

  GKV-Beitragssatz       allgemeiner Beitragssatz konstant bei
                         14,6 % (2017–2040), durchschnittlicher           2.6.2 Maßnahmen zur Schließung der
                         Zusatzbeitragssatz bei 1,0 % (2018) und 0,9 %          Finanzierungslücke („im System“)
                         (2019–2040)

  Quelle: IGES auf Grundlage verwendeter Daten,                           Prinzipielle Ansätze zur Reduzierung bzw. Schließung
  vgl. Abschnitte 2.2, 2.3 und 2.4
                                                                          der Finanzierungslücke sind Beitragssatzerhöhungen,
                                                                          Erhöhun­gen des Bundeszuschusses und eine stärkere Aus­
                                                                          gabenbegrenzung. Dazu wurden drei Szenarien betrachtet.
Die Rentnerpopulation wird im Zuge der Alterung der
Bevölkerung weiter zunehmen. Kumuliert über den gesam­                    Die Leitfrage der ersten beiden Szenarien ist: In welchem
ten Zeitraum bis zum Jahr 2040 wird die Anzahl der Rent­                  Umfang müssen der Beitragssatz bzw. der Bundeszuschuss
ner um insgesamt 34 Prozent steigen.                                      erhöht werden, damit die Finanzierungslücke geschlossen
                                                                          und die Nachhaltigkeit der GKV-Finanzierung gesichert
Die Anzahl der GKV-Mitglieder erhöht sich im Basisszena­                  wird (Szenarien „Beitragssatzanpassung“ und „Erhöhung
rio um insgesamt 4 Prozent von 55,5 Millionen Mitglieder                  des Bundeszuschusses“)? Im Szenario „Erhöhung des Bun­
im Jahr 2017 auf 57,8 Millionen im Jahr 2040. Die Zunahme                 deszuschusses“ wird der zusätzliche Finanzierungs­bedarf
der Mitgliederzahl ist darauf zurückzuführen, dass die                    auf eine Erhöhung des Bundeszuschusses und auf eine –
Erwerbsquoten in der Altersgruppe von 65 Jahren und mehr                  entsprechend geringere – Anhebung des Beitragssatzes
sowie bei den Frauen insgesamt steigen. Der Anstieg dieser                aufgeteilt.
Erwerbsquoten gleicht mit Blick auf die Mitgliederentwick­
lung aus, dass die Zahl der Einwohner in den Altersgruppen                Die Leitfrage des Szenarios „Ausgabendämpfung“ ist: Wel­
ab 15 Jahre insgesamt leicht abnehmen wird (von 71,6 auf                  che Entlastung kann durch eine (vorübergehende) Ausga­
71,2 Millionen). Die Gruppe der Nichterwerbstätigen (in der               bendämpfung erzielt werden? Dafür wurde ein begrenzter
GKV Mitversicherten) nimmt also anteilig und absolut ab.                  Zeitraum von fünf Jahren betrachtet, für den eine geringere
Entsprechend wird die GKV-Versichertenpopulation auf­                     preisbedingte Ausgabenentwicklung unterstellt wurde als in
grund des demographischen Rückgangs der Einwohnerzahl                     den übrigen Jahren. Als Referenz wurde der Fünfjahreszeit­
bis zum Jahr 2040 um insgesamt 0,8 Prozent abnehmen.                      raum der Jahre 2002 bis 2006 zugrunde gelegt, in dem der
                                                                          jährliche Ausgabenanstieg der geringste seit dem Jahr 1996
Die Lohnentwicklung wird im Basisszenario in den ersten                   war (+ 0,9 Prozent pro Jahr). Diese Zuwachsrate wurde ent­
Jahren noch ähnlich kräftig ausfallen wie in den vergange­                sprechend in dem Szenario über einen begrenzten Zeitraum
nen Jahren: Die Zuwachsraten bewegen sich bis zum Jahr                    von fünf Jahren der zukünftigen Entwicklung angesetzt.
2023 zwischen + 2,9 und + 3,1 Prozent pro Jahr. In den Jah­
ren ab 2024 hingegen wird im Basisszenario von einem                      Hingegen wurde der Teil des Ausgabenanstiegs, der auf
deutlich geringeren Lohnwachstum in Höhe von + 1,9 Pro­                   eine demographiebedingte Mengen(struktur)änderung bei
zent pro Jahr konstant bis zum Jahr 2040 ausgegangen.                     der Anzahl und Altersverteilung der Versicherten zurückzu­

                                                                                                                                      15
Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung

führen ist, als weitestgehend determiniert unterstellt                steigen wie in den vergangenen zehn Jahren (+ 2,7 Prozent
und damit gegenüber dem Basisszenario unverändert                     pro Jahr).14
gelassen.
                                                                      Für das Szenario „Ausgabendämpfende Morbiditätsent­
2.6.3 Alternative Entwicklungen der ausgaben­beein­                   wicklung“ wurden die Auswirkungen eines geringeren
      flussenden Faktoren („außerhalb des Systems“)                   Anstiegs der Ausgaben im Alter auf die Nachhaltigkeit der
                                                                      GKV-Finanzierung betrachtet. Der Anstieg der Leistungs­
Zu alternativen Entwicklungen der Einflussfaktoren der                ausgaben je Versicherten in höheren Altern könnte zwi­
GKV-Finanzierung wurden zwei Szenarien betrachtet.                    schen den Jahren 2017 und 2040 gegenüber dem Basis­
Die Leitfrage dieser Szenarien ist: Welche Entlastung kann            szenario geringer ausfallen, da die Lebenserwartung
durch stärkere Lohnsteigerungen bzw. durch geringere                  zunimmt. Gemäß der sogenannten „Kompressionsthese“
Ausgabenanstiege im Alter erzielt werden (Szenarien                   fallen die Ausgabenanstiege bei Versicherten in höheren
„stärkere Lohnsteigerungen“ und „Ausgabendämpfende                    Altern mit zunehmender Lebenserwartung geringer aus
Morbi­ditätsentwicklung“)?                                            (vergleiche den Kasten „Kompressionsthese versus Medi­
                                                                      kalisierungsthese“).
Stärkere Lohnsteigerungen gab es in Deutschland in den
                                                                      14 Stärkere Lohnsteigerungen können zum einen Beschäftigungseffekte
vergangenen Jahren seit der Finanzkrise im Jahr 2008/2009                nach sich ziehen, zum anderen können sie auch höhere Leistungs­
(durchschnittlich + 2,7 Prozent pro Jahr zwischen den Jah­               ausgaben in der GKV zur Folge haben, insofern wesentliche Kosten­
                                                                         faktoren der GKV ebenfalls von Lohnsteigerungen betroffen sind.
ren 2009 und 2018). Im Szenario „stärkere Lohnsteigerun­
                                                                         Gesamtwirtschaftliche Effekte von stärkeren Lohnsteigerungen wur­
gen“ wurde unterstellt, dass die Löhne und Gehälter bis                  den in diesem Szenario ebensowenig berücksichtigt wie indirekte
zum Jahr 2040 im Durchschnitt pro Jahr genauso kräftig                   Auswirkungen auf die Kostenfaktoren der GKV.

     Kompressionsthese versus Medikalisierungsthese
     Mit zunehmender Lebenserwartung der Bevölkerung ist zu           immer wieder angeführt wird, ist der medizinisch-technische
     beobachten, dass sich die Altersprofile der Pro-Kopf-Aus         Fortschritt, der – so die Vertreter der Medikalisierungsthese
     gaben der Versicherten verschieben. Dabei zeigen sich gemäß      – im direkten Zusammenhang zur längeren Lebenserwartung
     der wissenschaftlichen Literatur unterschiedliche Muster,        stehe, da er dazu beitrage, dass die Behandlungsmöglichkei-
     Ausgabenanstiege im Alter fallen bei zunehmender Lebens­         ten und damit auch die Behandlungszeiträume ausgeweitet
     erwartung in einem Teil der Studien geringer und in einem Teil   werden und die Menschen dadurch „länger am Leben gehalten
     höher aus. In der wissenschaftlichen Diskussion der vergange-    werden“ können. Das Altersprofil der Pro-Kopf-Ausgaben im
     nen Jahrzehnte haben sich dazu zwei Thesen herausgebildet.       höheren Alter verläuft entsprechend steiler (Abbildung 5).

     Nach der Kompressionsthese fallen die Pro-Kopf-Ausgaben          Die kontroverse Diskussion, welche der beiden Thesen rele-
     im Alter geringer aus, wenn die Menschen länger leben, denn      vanter ist, wurde auch in jüngerer Zeit fortgesetzt. Eine ein-
     entscheidend ist der Zeitraum der letzten Jahre vor dem Tod,     deutige Tendenz zugunsten einer der beiden Thesen zeigt sich
     in denen die Ausgaben besonders hoch ausfallen. Bei zuneh-       dabei weiterhin nicht. Vielmehr werden zusätzliche Aspekte in
     mender Lebenserwartung verschiebt sich dieser Zeitraum ent-      den Fokus genommen, die im Zusammenhang mit der Entwick-
     sprechend der längeren Lebenszeit und die Zeit, die die Men-     lung der Gesundheitsausgaben im Alter stehen, wie zum Bei-
     schen in schwerer Krankheit verbringen, nimmt bezogen auf        spiel das konkrete Erkrankungsbild (Geyer 2015), der sozio-
     die gesamte Lebenszeit ab („relative Kompressionsthese“). Das    ökonomische Status der betroffenen Menschen (Ulrich 2016)
     Altersprofil der Pro-Kopf-Ausgaben flacht im höheren Alter       oder das Auftreten von chronischen Erkrankungen bzw. die
     entsprechend ab (Abbildung 4).                                   Multimorbidität, also das gleichzeitige Auftreten mehrerer
                                                                      Erkrankungen (Geyer 2015). Das Ziel dabei ist die Identifika-
     Nach der Medikalisierungsthese hingegen fallen die Pro-Kopf-     tion von Merkmalen, anhand derer erklärt werden kann, in
     Ausgaben im Alter bei längerer Lebenszeit höher aus, denn        welchen Fällen die Kompressionsthese gilt und in welchen die
     die Annahme ist, dass die Menschen die Zeit, die sie länger      Medikalisierungsthese.
     leben, überwiegend in Krankheit verbringen. Ein Faktor, der
     beim Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben bei längerer Lebenszeit

16
Methodisches Vorgehen und Daten

   ABBILDUNG 4: Entwicklung der Leistungsausgaben je Versichertentag gemäß Kompressionsthese (2017 und 2040)

                                                25 €
   Leistungsausgaben je Versichtentag in Euro

                                                20 €

                                                15 €

                                                10 €

                                                 5€

                                                 0€
                                                       0   2   4   6   8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90+
                                                                                                                    Alter der Versicherten

        Pro-Tag-Werte Männer (2017)          Pro-Tag-Werte Männer (2040)           Pro-Tag-Werte Frauen (2017)         Pro-Tag-Werte Frauen (2040)
   Anmerkung: Die Darstellung dient der Veranschaulichung des Effekts der Kompressionsthese.
   In den Profilen der Pro-Tag-Werte (2040) ist die generelle Preisentwicklung in Bezug auf die Leistungsausgaben noch nicht berücksichtigt.
   Quelle: IGES auf Basis von Daten des Bundesversicherungsamts (GKV-Ausgabenprofile nach RSA) und Fetzer (2005)

Für dieses Szenario orientiert sich das Ausmaß, in dem die                                                                   Der Effekt der geringeren Pro-Kopf-Ausgaben in höheren
Ausgabenanstiege im Alter gedämpft werden, an Ergebnis­                                                                      Altern wurde in der Simulation dieses Szenarios zusätz­
sen der Literatur zur Kompressionsthese. Demnach betru­                                                                      lich zur generellen Preisentwicklung berücksichtigt. Die
gen die Pro-Kopf-Ausgaben im Sterbejahr der Versicherten                                                                     generelle Preisentwicklung ist bei den Profilen der Pro-
im Vergleich über mehrere Studien zwischen dem 5,6-Fachen                                                                    Tag-Werte für das Jahr 2040 in Abbildung 4 noch nicht
und 7-Fachen der Pro-Kopf-Ausgaben von gleichaltri­                                                                          ent­halten, sie würde die Profile zusätzlich nach oben ver­
gen überlebenden Versicherten (Fetzer 2005)15. Unter­                                                                        schieben.
stellt wurde hier diese Bandbreite des Kostenverhält­nisses
mit verschiedenen Werten für unterschiedliche Altersgrup­                                                                    2.6.4 Risikofaktoren einer Vergrößerung der
pen, insgesamt wurde ein Mittelwert von 6,3 des Kosten­                                                                            Finanzierungslücke
verhältnisses über alle relevanten Altersgruppen angenom­
men. Zusammen mit der Veränderung der Lebenserwartung                                                                        Zwei weitere Szenarien veranschaulichen Risiken einer
zwischen den Jahren 2017 und 2040 wurde geschätzt, wie                                                                       Vergrößerung der Finanzierungslücke. Die Leitfrage ist
sich die Pro-Kopf-Ausgaben ab einem Alter von 53 Jahren                                                                      dabei: Welches Ausgabenrisiko geht von einem (vorüber­
bei dem unterstellten Kostenverhältnis für jedes Einzelalter                                                                 gehend) kräftigeren Preisanstieg (Szenario „Allgemeine
und Geschlecht verringern. Dazu wurde in beiden Jahren für                                                                   Preisinflation im Gesundheitswesen“) bzw. einem höheren
jedes Einzelalter bzw. Geschlecht eine Sterbewahrschein­                                                                     Ausgabenanstieg im Alter (Szenario „Ausgabentreibende
lichkeit geschätzt. Im Ergebnis verschiebt sich graphisch                                                                    Morbiditätsentwicklung“) aus?
die Kurve der Pro-Kopf-Ausgaben seitwärts (Abbildung 4).
                                                                                                                             Ein (vorübergehend) kräftigerer Preisanstieg wurde für

15 Die Daten, auf die sich diese Studien beziehen, sind vergleichsweise
                                                                                                                             einen begrenzten Zeitraum von fünf Jahren unterstellt.
   alt (Ende der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre). Neuere Studien,                                                        Als Referenz wurde der Fünfjahreszeitraum der Jahre 2006
   die den Effekt der Kompressionsthese auf die Pro-Kopf-Ausgaben                                                            bis 2010 zugrunde gelegt, über den der höchste jährliche
   für Deutschland quantifizieren, liegen nicht vor. Die Aussagekraft der
   hier im Weiteren dargestellten Ergebnisse zur Kompressionsthese ist
                                                                                                                             Ausgabenanstieg seit dem Jahr 1996 beobachtet wurde
   daher eingeschränkt.                                                                                                      (+ 4,4 Prozent pro Jahr). Diese durchschnittliche jährliche

                                                                                                                                                                                                       17
Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung

       ABBILDUNG 5: Entwicklung der Leistungsausgaben je Versichertentag gemäß Medikalisierungsthese
       (2017 und 2040)

                                                  40

                                                  35
     Leistungsausgaben je Versichtentag in Euro

                                                  30

                                                  25

                                                  20

                                                  15

                                                  10

                                                   5

                                                   0
                                                       0   2   4   6   8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90+
                                                                                                                    Alter der Versicherten

            Pro-Tag-Werte Männer (2017)          Pro-Tag-Werte Männer (2040)           Pro-Tag-Werte Frauen (2017)         Pro-Tag-Werte Frauen (2040)
       Anmerkung: Die Darstellung dient der Veranschaulichung des Effekts der Medikalisierungsthese.
       In den Profilen der Pro-Tag-Werte (2040) ist die generelle Preisentwicklung in Bezug auf die Leistungsausgaben noch nicht berücksichtigt.
       Quelle: IGES auf Basis von Daten des Bundesversicherungsamts (GKV-Ausgabenprofile nach RSA)

Zuwachsrate wurde entsprechend für dieses Szenario über                                                                       breiten Korridors der festgestellten Ausgabenverhältnisse
einen begrenzten Zeitraum von fünf Jahren der zukünftigen                                                                     „65+ / u65“ in Höhe von 44 Prozent für den Zeitraum 2017
Entwicklung angesetzt.                                                                                                        bis 2040 unterstellt.17

Kennzeichen des Szenarios „Ausgabentreibende Morbiditäts-                                                                     Die Pro-Kopf-Ausgaben der Versicherten im Alter von
entwicklung“ sind höhere Ausgabensteigerungen im Alter                                                                        65 Jahren oder älter im Jahr 2040 wurden gegenüber dem
über den Zeitraum der Jahre 2017 bis 2040 infolge steigen­                                                                    Jahr 2017 derart angehoben, dass sich ein steilerer Anstieg
der Lebenserwartung und gemäß der Medikalisierungs­                                                                           des Altersprofils der Ausgaben ergibt und gleichzeitig das
these (vergleiche den Kasten „Kompressionsthese versus                                                                        Ausgabenverhältnis „65+ / u65“ im Durchschnitt über alle
Medikalisierungsthese“). Das Ausmaß des stärkeren Aus­                                                                        Altersgruppen um 44 Prozent zunimmt (Abbildung 5).
gabenanstiegs im Alter orientiert sich an den Ergebnissen
der wissenschaftlichen Literatur zur Medikalisierungsthese.                                                                   2.6.5 Übersicht der Szenarien
Demnach hat sich das Verhältnis der Ausgaben bei Versi­
cherten im Alter von 65 Jahren oder älter zu den Ausgaben                                                                     Die Leitfragen der Szenarien werden in Tabelle 3 dargestellt.
bei Versicherten im Alter von bis zu 64 Jahren („65+ / u65“)                                                                  In Tabelle 4 werden die Szenarien zusammenfassend
über einen Zeitraum von 17 Jahren – je nach Leistungs­                                                                        beschrieben und die Annahmen dargestellt.
bereich und Modellvariante – zwischen 6 und 73 Prozent
erhöht (Buchner und Wasem 2004)16. In der vorliegenden                                                                        17 Dabei wurde davon ausgegangen, dass über einen Zeitraum von
                                                                                                                                 23 Jahren (2017 bis 2040) ein Anstieg des Ausgabenverhältnisses
Studie wurde für das Szenario „Ausgabentreibende Morbi­                                                                          „65+ / u65“ von in etwa gleichem Umfang zu erwarten ist wie über
ditätsentwicklung“ beispielhaft der Mittelwert dieses sehr                                                                       einen Zeitraum von 17 Jahren. Dies dürfte sicherlich nur approxima­
                                                                                                                                 tiv gelten. Darüber hinaus ist der sehr breite Korridor des Ausgaben­
                                                                                                                                 verhältnisses auf Basis der Befunde aus der Literatur mit Unsicherheit
16 Auch zur Medikalisierungsthese finden sich keine aktuelleren Studien,                                                         behaftet. Die Betrachtung in diesem Szenario ist daher lediglich bei­
   die den Effekt auf die Pro-Kopf-Ausgaben für Deutschland bemessen.                                                            spielhaft.

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