MASTERARBEIT Löschblatt für die Sorgenflecken des Alltags? - Universität ...
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Löschblatt für die Sorgenflecken des Alltags? Eine Tagebuchstudie zur Analyse der Rolle von Humor bei der Bewältigung alltäglicher Belastungen. MASTERARBEIT Zur Erlangung des Mastergrades an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg Eingereicht von Simon Lößl, BSc 01522118 Gutachter: Ao. Univ.-Prof. Dr. Anton-Rupert Laireiter Fachbereich: Psychologie Salzburg, Februar 2021
Persönliches Vorwort „In jede hohe Freude mischt sich eine Empfindung der Dankbarkeit“. Freifrau Marie von Ebner-Eschenbach An dieser Stelle möchte ich mich recht herzlich bei all den lieben Menschen bedanken, die mich während des Schreibens dieser Masterarbeit unterstützt haben. Zuerst gebührt mein Dank Herrn Prof. Dr. Anton-Rupert Laireiter, der meine Arbeit betreut und mich während des gesamten Prozesses stets mit hilfreichen Anregungen und konstruktiver Kritik unterstützt hat. Des Weiteren möchte ich mich bei der Wissenschaftlichen Leiterin des Deutschen Institutes für Humor, Frau Dr. Kareen Seidler, für das Bewerben meiner Studie und damit einhergehend die Mithilfe bei der Rekrutierung der Stichprobe bedanken. Ein besonderer Dank gilt zudem allen TeilnehmerInnen der Studie, ohne die diese Arbeit nicht hätte entstehen können. Abschließend möchte ich mich auch bei meinen Eltern für die bedingungslose, fortlaufende Unterstützung während meines gesamten Studiums bedanken. Danke, dass ihr immer für mich da seid und mir all das ermöglicht habt.
Humorvolles Coping im Alltag Zusammenfassung In vorliegender Studie wird humorvolle Stressbewältigung im Kontext alltäglicher Belastungen anhand eines Triangulationsdesigns untersucht. Hierzu werden Qualitäten von Alltagsbelastungen sowie Merkmale und Effekte humorvollen Copings evaluiert. Die StudienteilnehmerInnen (N = 59, davon 38 weiblich) sind deutschsprachig, zwischen 18 und 70 Jahre (M = 34.3, SD = 14.9) alt und geben den Grad, indem sie Humor einsetzten, um mit Stress in ihrem Leben umzugehen, als Mittel an. Mittels Tagebuchmethode werden ereigniskontingente Daten erhoben, die inhaltlich und statistisch analysiert werden. Die Auswertung zeigt, dass bei etwa der Hälfte aller berichteten Alltagsbelastungen versucht wurde, diese humorvoll zu bewältigen. Das Geschlecht und die Art der Belastung hatten dabei keinen Einfluss auf die Verwendungshäufigkeit humorvoller Bewältigungsversuche. Die Stärke der Belastungsintensität stand in entgegengerichtetem Zusammenhang mit dem Ausmaß humorvoller Bewältigung. In Bezug auf verwendete Humorstrategien wurde überwiegend auf selbstaufwertenden oder sozialen Humor zurückgegriffen. Hinsichtlich der Effekte humorvollen Copings zeigte sich, dass Bewältigungsprozesse, die förderlichen Humor beinhalteten, als erfolgreicher und zufriedenstellender bewertet wurden. Zusammengefasst liefert die Studie neben Erkenntnissen zu bisher wenig untersuchten Aspekten humorvollen Copings, Hinweise auf eine größere Bedeutung von Humor für die Bewältigung alltäglicher Belastungen als bisher angenommen. Schlüsselbegriffe: Alltagsstress, Coping, Humor als Copingmechanismus, Tagebuchstudie 2
Humorvolles Coping im Alltag Abstract Humorous coping with stress in the context of everyday life is examined using a triangulation design. For this purpose, the qualities of daily hassles as well as characteristics and effects of humorous coping are evaluated. The participants (N = 59, 38 female) are German-Speaking, between 18 and 70 years old (M = 34.3, SD = 14.9) and indicate the degree of using humor to deal with stress in their life as medium. Using a diary approach, event-contingent data is collected, which is analyzed in terms of content and statistics. The evaluation shows that around half of all reported hassles are attempted to overcome with humor. Gender and the type of burden have no influence on the frequency of humorous coping attempts. Intensity of burden is in opposite relation to the extent of humorous coping being applied. Regarding the humor strategies used, self-enhancing or social humor is predominant. It became apparent, that a coping process that includes beneficial humor is rated as more successful and satisfactory. In addition to findings on aspects of humorous coping that have not been investigated so far, the study provides indications that humor is more important for coping with everyday stress than previously assumed. Key words: daily hassles, coping, humorous coping, diary study 3
Humorvolles Coping im Alltag Inhaltsverzeichnis Theoretischer Hintergrund ..................................................................................................... 6 Humor trotz(t) Krise? ............................................................................................................. 6 Humor ..................................................................................................................................... 8 Eigenschaften des Humorprozesses .................................................................................... 8 Humorstile und Funktionen ................................................................................................ 9 Alltagsbelastungen................................................................................................................ 12 Konzept der daily hassles.................................................................................................. 12 Belastungsdimensionen im Alltag .................................................................................... 13 Coping .................................................................................................................................. 14 Multiaxialität und Dimensionen ....................................................................................... 14 Humor als Copingmechanismus ........................................................................................... 15 Coping-Funktion von Humor bei Belastungen ................................................................. 16 Determinanten humorvollen Copings ............................................................................... 17 Fragestellungen und Hypothesen .......................................................................................... 19 Zur Qualität alltäglicher Belastungen ................................................................................... 19 Zu Qualität und Determinanten humorvollen Copings im Alltag ........................................ 20 Zu Effekten humorvoller Bewältigung ................................................................................. 22 Methode ................................................................................................................................... 23 Versuchsdesign ..................................................................................................................... 23 Stichprobenselektion und Probandenrekrutierung ................................................................ 23 Aufbau und Inhalt der Instrumente ....................................................................................... 24 Instrumente zur Erfassung der Konstrukte ........................................................................... 25 Kurzfragebogen ................................................................................................................. 26 Tagebuch ........................................................................................................................... 27 Statistische Auswertung ....................................................................................................... 29 Ergebnisse ............................................................................................................................... 31 Stichprobenbeschreibung...................................................................................................... 31 Demographie ..................................................................................................................... 31 Erleben von Alltagsbelastungen........................................................................................ 32 Gebrauch von Humor als Bewältigungsstrategie .............................................................. 33 Zur Qualität alltäglicher Belastungen ................................................................................... 34 Häufigkeit und Eintrittswahrscheinlichkeit ...................................................................... 34 Belastungsintensität .......................................................................................................... 35 4
Humorvolles Coping im Alltag Emotionales Erleben ......................................................................................................... 35 Kategorisierung ................................................................................................................. 36 Zu Qualität und Determinanten humorvollen Copings im Alltag ........................................ 37 Häufigkeit und Ausmaß .................................................................................................... 37 Arten und Humorstile ....................................................................................................... 39 Geschlechterunterschiede.................................................................................................. 42 Zusammenhänge mit Belastungsintensität ........................................................................ 43 Zu den Effekten humorvoller Bewältigung .......................................................................... 44 Auf negatives emotionales Erleben................................................................................... 45 Auf Zufriedenheit mit dem Bewältigungsprozess ............................................................ 45 Auf subjektiven Bewältigungserfolg ................................................................................ 46 Weitere Berechnungen ......................................................................................................... 46 Zusammenhänge mit anderen Copingdimensionen .......................................................... 46 Zusammenhänge mit Selbstwert, Verhaltensänderung und Akzeptanz ............................ 48 Diskussion ............................................................................................................................... 49 Zusammenfassung ................................................................................................................ 49 Ergebnisse ............................................................................................................................. 49 Limitationen.......................................................................................................................... 53 Fazit und Ausblick ................................................................................................................ 54 Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 56 Anhang .................................................................................................................................... 67 5
Humorvolles Coping im Alltag Theoretischer Hintergrund Humor trotz(t) Krise? Die Menschheit steht aktuell vor einer ihrer größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Das Coronavirus und die im Rahmen des Infektionsschutzes getroffenen Maßnahmen haben nicht nur unseren Alltag nachhaltig verändert, sondern gehen auch neben einem breiten Spektrum ungünstiger sozialer Folgen mit großer psychischer Belastung einher. So fanden etwa Röhr et al. (2020) im Rahmen eines Rapid Reviews von 13 Studien Zusammenhänge mit einem erhöhten Stresslevel sowie gesteigerter, negativer emotionaler Befindlichkeit. Angesichts des Potentials von Humor, Stress zu reduzieren und damit zu einer Verbesserung der Gesundheit sowie des psychischen Wohlbefindens beizutragen (Martin, Puhlik-Doris, Larsen, Gray, & Weir, 2003) und vor dem Hintergrund, dass humorvolle Bewältigungsversuche bereits in anderen Krisensituationen, wie den Terroranschlägen vom 11. September, zu verschiedenen positiven psychosozialen Effekten geführt haben (Kuipers, 2005), drängt sich förmlich die moralphilosophische Frage auf, ob wir, trotz der vielen Kranken und Toten, auch der Coronakrise mit Humor trotzen dürfen. Chiodo, Broughton, und Michalski (2020) greifen diesen Gedanken auf und schlagen, um beide Positionen in Einklang zu bringen, sieben Prinzipien vor, wie Humor während der Pandemie aussehen sollte, damit er den emotionalen Bewältigungsprozess fördert, ohne dass dabei anderen Menschen durch einen unreflektierten Einsatz von Humor geschadet wird. Auch wenn die Pandemie momentan zu unserem Alltag gehört, ist sie bei Weitem nicht alltäglich. Deutlich häufiger werden wir in unserem Alltag mit kleineren Ereignissen und Situationen, wie etwa Ärgernisse oder Sorgen, konfrontiert, die uns allerdings ebenfalls belasten können und daher auch zur Erhaltung unserer Gesundheit sowie des Wohlbefindens bewältigt werden müssen (Kaluza, 2012; Katz, Schmidt, & Jäger, 1991). Erstaunlicherweise zeigten hierzu verschiedene Studien, dass das Wahrnehmen und Erleben dieser alltäglichen Belastungen stärker mit Kriterien körperlicher und seelischer Gesundheit verbunden sind als das von großen, krisenhaften Lebensereignissen (DeLongis, Folkman, & Lazarus, 1988; Lu, 1991; Zarski, 1984). So können Alltagsbelastungen etwa eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von psychischen und somatischen Störungen spielen (Perrez, Laireiter, & Baumann, 2005), weshalb es, besonders unter dem Gesichtspunkt ihrer hohen Auftretenswahrscheinlichkeit, sinnvoll ist, Prozesse und Strategien zu identifizieren, wie mit diesen adaptiv umgegangen werden kann. 6
Humorvolles Coping im Alltag Wie Menschen versuchen, schwierige und herausfordernde Ereignisse und Situationen in ihrem Alltag zu bewältigen, wurde bereits in zahlreichen Studien erforscht. Dabei konnte ein breites Spektrum verschiedener Techniken identifiziert werden, wozu unter anderem Entspannung (Goldfried & Trier, 1974) oder das Suchen nach sozialer Unterstützung gehören (Dirkzwager, Bramsen, & Van Der Ploeg, 2003). Auch die Bedeutung von Humor als Copingstrategie wurde dabei bereits beleuchtet (Martin & Lefcourt, 1983; Rosenberg, 1991). Allerdings beschränkte sich ein Großteil bisheriger Analysen auf einen bestimmten Belastungskontext oder ein klar definiertes belastendes Ereignis, in dem Humor als Bewältigungsstrategie untersucht wurde, was vor dem Hintergrund der Multidimensionalität von Alltagsbelastungen im Rahmen aller alltäglichen Interaktionen mit der Umwelt (Holm & Holroyd, 1992) unzureichend erscheint. Da humorvolles Coping bis dato kaum auf der Metaebene des Alltags betrachtet wurde, setzt vorliegende Arbeit hier an und befasst sich mit der Frage, welche Rolle Humor bei der Bewältigung alltäglicher Belastungen spielt. Anhand von Berichten über Alltagsbelastungen und den damit einhergehenden abgelaufenen Bewältigungsprozessen sollen die Auftretens- häufigkeit, Determinanten, Formen und Effekte von humorvollen Copings im Alltag untersucht und in Relation zu anderen Copingstrategien gesetzt werden. In Anbetracht dessen, dass Menschen sich stark darin unterscheiden, wie sie Belastungen und Stress wahrnehmen, bewerten und begegnen (Krohne, 1996), werden, um bei der Analyse auf realitätsnahe Daten aus einem längeren Zeitraum zurückgreifen zu können, diese ereigniskontingent mittels Selbstbericht anhand einer zweiwöchigen Tagebuchstudie erhoben. Für eine erweiterte Stichprobenbeschreibung werden zudem neben demographischen Daten auch die subjektive Einschätzung der Teilnehmenden hinsichtlich des Grades, in dem sie Humor in ihrem Leben einsetzen, um Stress zu begegnen sowie eine retrospektive Taxierung des Ausmaßes von Belastungen in den vergangenen 12 Monaten in Form eines dem Tagebuch vorangestellten Kurzfragebogens erfasst. Der theoretische Hintergrund der untersuchten Konzepte und ihre Beziehungen, aus denen die Fragestellungen der Arbeit abgeleitet sind, werden im Folgenden erörtert. Hierzu wird im Einzelnen besonders auf Humor, Alltagsbelastungen, Coping und Humor als Copingmechanismus eingegangen. 7
Humorvolles Coping im Alltag Humor Humor ist ein universelles Phänomen (Kruger, 1996). Allerdings existieren Unterschiede in Bezug auf die Wahrnehmung und die Verwendung von Humor, aufgrund von Personenspezifika sowie gesellschaftlicher Normen, Einstellungen und Werten (Martin et al., 2003; Yue, Jiang, Lu, & Hiranandani, 2016). In der aktuellen Forschung wird Humor meist als Sammelbegriff für unterschiedliche, humorbezogene Phänomene verwendet, wozu Humor als Weltanschauung, Persönlichkeitseigenschaft, Einstellung, Verhaltensmuster, Fähigkeit und Bewältigungsstrategie zählt (Martin, 2003). In der Strömung der Positiven Psychologie, die ihren Fokus auf das Potential und Wachstum des Menschen legt, gehört Humor außerdem zu den sogenannten Charakterstärken eines Menschen, also wichtige positive Eigenschaften, die diesen ausmachen (Peterson & Seligman, 2004). Martin und Ford (2018) definieren Humor als einen Prozess, welcher sich aus den vier Komponenten sozialer Kontext, kognitiv-perzeptueller Prozess, emotionale Reaktion und verhaltensbestimmter Ausdruck von Lachen zusammensetzt. Dieser soll im Folgenden genauer beschrieben werden. Eigenschaften des Humorprozesses. Sozialer Kontext von Humor bedeutet, dass dieser meistens im Kontakt mit anderen Menschen entsteht, wobei er oft als soziales „Schmiermittel“ fungiert (Zimmer, 2013). Humor kann in diesem Rahmen nicht nur zur Lösung sozialer Konflikte beitragen, sondern erzeugt auch Gruppenkohäsion, weil durch ihn das Zusammengehörigkeitsgefühl erhöht sowie Außenseiter definiert und ausgegrenzt werden können (Berger, 2014). Ebenso ist er auf der Ebene der Konstruktion und Präsentation einer individuellen Identität von Bedeutung (Crawford, 2003). Damit Humor überhaupt entstehen kann, ist nach Martin und Ford (2018) ein kognitiv- perzeptueller Prozess nötig, bei dem Informationen aus der Umwelt oder dem Gedächtnis wahrgenommen und verarbeitet werden. Dabei ist es egal, ob diese aus visuellen, auditiven oder andersartigen Informationsquellen hervorgehen. Entscheidend ist, dass die Informationen inkongruent, überraschend oder gegensätzlich erscheinen und dennoch in Bezug zueinander gesetzt werden (Walters, Apter, & Svebak, 1982). Dass an diesem Prozess ein ganzes Netzwerk an Hirnarealen beteiligt ist (Wild, 2010), verdeutlicht die Komplexität von Humorperzeption und -produktion. 8
Humorvolles Coping im Alltag Auf die kognitive Verarbeitung von Humor folgt eine emotionale Reaktion. In den allermeisten Fällen löst Humor positive Emotionen aus und führt insgesamt zu einer Verbesserung des Affekts und der Stimmung (Szabo, 2003). Dies ist laut Mobbs, Greicius, Abdel-Azim, Menon, und Reiss (2003) auf die durch Humor bedingte Aktivierung des Nucleus accumbens im dopaminergen Belohnungssystem des Gehirns zurückzuführen, mit der eine vermehrte Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin einhergeht, dessen stimmungs- steigernde Wirkung bereits in mehreren Studien nachgewiesen werden konnte. Am Ende des von Martin und Ford (2018) beschriebenen Humorprozesses steht der verhaltensbestimmte Ausdruck von Lachen. Dieser dient dazu, der erlebten emotionalen Reaktion behavioral Ausdruck zu verleihen. Durch das Lachen wird mit dem Gegenüber kommuniziert. Forscher untersuchten die Bedeutung von Lachen im Rahmen zwischenmenschlicher Kommunikation und fanden heraus, dass Lachen dabei helfen kann, den Kommunikationsfluss aufrecht zu erhalten sowie zu regulieren und das Gegenüber darin unterstützt, Gesagtes richtig zu interpretieren (Gilmartin, Bonin, Vogel, & Campbell, 2013). Humorstile und Funktionen. Martin et al. (2003) beschäftigten sich mit der Fragestellung, inwieweit individuelle Unterschiede hinsichtlich der Art und Weise bestehen, wie Menschen Humor verwenden und welche Ziele damit verfolgt werden. Hierfür haben die Forscher ein Selbstbeurteilungsinstrument, den Humor Styles Questionnaire entwickelt, welcher verschiedene Facetten der Persönlichkeitseigenschaft Humor als auch Arten von Humor als State und Trait erfasst (Martin et al., 2003). Es zeigte sich, dass, obwohl Humor in der Regel mit positiven Aspekten wie beispielsweise unschuldiger Belustigung (Ridanpaa, 2019) assoziiert ist, auch negative und feindselige Dimensionen von Humor existieren. Die Autoren identifizierten insgesamt vier Humorstile, die in Bezug auf zwei Dimensionen (1) förderlich versus schädlich und (2) Selbst versus Beziehung zu anderen Menschen kategorisiert werden können. Das bedeutet, jeder Humorstil unterscheidet sich dahingehend, ob er auf einen selbst oder andere Menschen gerichtet ist und ob die damit einhergehenden Auswirkungen auf das psychosoziale Wohlbefinden von überwiegend positiver oder negativer Art sind. Die vier von Martin et al. (2003) beschriebenen Humorstile sind selbstaufwertender Humor, sozialer Humor, selbstabwertender Humor und aggressiver Humor. Abbildung 1 liefert eine Übersicht, wie diese dimensional kategorisiert werden. 9
Humorvolles Coping im Alltag Abbildung 1. Kategorisierung der Humorstile nach Martin et al. (2003). Sozialer Humor wird der förderlichen Dimension zugeordnet und hat das Ziel, die Beziehung zu anderen Menschen zu verbessern und positiv zu gestalten. Humor wird dabei in toleranter und wohlwollender Art und Weise als soziales „Schmiermittel“ verwendet, um sich selbst und andere zu bestärken und Kohäsion zu erzeugen (Berger, 2014; Martin et al., 2003; Zimmer, 2013). Dies geschieht vor allem durch Scherze und das Erzählen von Witzen oder anderen lustigen Geschichten (Lefcourt, 2001). Mit dieser Humorform geht eine Vielzahl individueller und zwischenmenschlicher Vorteile einher. So fällt es beispielsweise leichter Freundschaften zu knüpfen, was in weniger Einsamkeit resultiert (Wanzer, Booth‐Butterfield, & Booth‐Butterfield, 1996). Sozialer Humor steht außerdem in Beziehung mit einer extravertierten Persönlichkeit sowie positiven Emotionen und Gefühlen (Mendiburo‐Seguel, Páez, & Martínez‐Sánchez, 2015). Auch selbstaufwertender Humor gehört der förderlichen Dimension an. Er unterscheidet sich aber von sozialem Humor dadurch, dass dabei nicht zwischenmenschliche Beziehungen im Fokus stehen, sondern intrapersonelle Aspekte einer Person selbst. Kuiper, Martin, und Olinger (1993) beschreiben diesen Humorstil als eine allgemein humorvolle Einstellung gegenüber dem Leben und auch den damit einhergehenden Inkongruenzen und Widrigkeiten. Selbstaufwertender Humor wird vor allem zur Emotionsregulation und als Bewältigungsstrategie verwendet (Martin, Kuiper, Olinger, & Dance, 1993), weshalb dieser häufig auch gemeint ist, wenn von coping humor berichtet wird (Sliter, Kale, & Yuan, 2014). Er steht in Beziehung mit der Persönlichkeitseigenschaft Offenheit für neue Erfahrungen, Selbstwertgefühl und Wohlbefinden (Martin & Ford, 2018). 10
Humorvolles Coping im Alltag Der erste Humorstil, der in die schädliche Dimension verortet wird, ist aggressiver Humor. Er bezieht sich wie sozialer Humor auf die Beziehungen zu anderen Menschen, wobei er in einer feindseligen Art und Weise und ohne Rücksicht auf Andere eingesetzt wird, um das Gegenüber herabzusetzen, zu bedrohen oder zu manipulieren (Janes & Olson, 2000). Dies geschieht durch Spott, Sarkasmus oder Ironie und abfälligen Humor (Martin & Ford, 2018), wozu beispielsweise auch sexistischer und rassistischer Humor gehören. Obwohl dieser Humorstil als sozial unerwünscht gilt und mit vermehrt negativen sozialen Folgen einhergeht, ist er dennoch weit verbreitet (Gruner, 2017). Daher ist es wahrscheinlich, dass mögliche soziale Nachteile aufgrund aggressiven Humors durch anderweitige Vorteile ausgeglichen werden. Cann und Matson (2014) vermuten, dass aggressiver Humor dabei helfen kann, den eigenen Status in einer Gruppe zu festigen oder zu verteidigen, indem andere Gruppenmitglieder gezielt geschwächt werden. Aggressiver Humor ist mit Aggression, Neurotizismus und Feindseligkeit assoziiert (Mendiburo‐Seguel et al., 2015). Das Pendant zum selbstaufwertenden Humor ist der selbstabwertende Humor. Dieser zählt dementsprechend auch zu den schädlichen Humorstilen. Er funktioniert wie aggressiver Humor nur in umgekehrter Richtung, da dabei das gezielte Abwerten der eigenen Person zur Belustigung Anderer im Zentrum steht, wodurch laut Mendiburo‐Seguel et al. (2015) eine Aufmerksamkeitszuwendung des Gegenübers erreicht werden soll. Die Person erscheint durch das eigene Herabsetzen menschlicher und weniger gefährlich (Greengross & Miller, 2008). Kubie (1971) erläutert, dass dieser Humorstil außerdem dazu genutzt wird, um eigene negative Gefühle zu verbergen oder zu vermeiden. Fabrizi und Pollio (1987) führen diesen Humorstil auf emotionale Bedürftigkeit und ein geringes Selbstwertgefühl zurück. Er steht zudem in Beziehung zu Ängstlichkeit, Depressivität und Neurotizismus (Martin & Ford, 2018). 11
Humorvolles Coping im Alltag Alltagsbelastungen Alltag bedeutet Normalität. Filipp und Aymanns (2018) beschreiben Alltag als Passgefüge einer Person mit ihrer Umwelt, das durch Vertrautheit und Vorhersagbarkeit gekennzeichnet ist und mit dem Erleben von Kontrollierbarkeit und Sicherheit einhergeht. Auch wenn viele Situationen und Aspekte des Alltags in Beziehung mit positiven Gefühlen wie Sicherheit, Zuversicht und Wohlbefinden stehen (Avni-Babad, 2011), ist auch das Auftreten von Belastungen und ein damit verbundenes Stresserleben charakteristisch für den Alltagsbegriff (Kanner, Coyne, Schaefer, & Lazarus, 1981). Erlebte Belastungen unterscheiden sich dabei vor allem in ihrer Auftretens- wahrscheinlichkeit, Belastungsintensität und dem Ausmaß der notwendigen Anpassungsleistung, das zur ihrer Bewältigung nötig ist (Salewski, Vollmann, & Albers, 2018). In der Stressforschung wird daher zwischen meist selten auftretenden, großen Belastungen, den sogenannten critical life events wie beispielsweise dem Tod einer nahestehenden Person, Scheidung oder Arbeitsplatzverlust (Hobson et al., 1998) und kleineren alltäglichen Belastungen, den daily hassles, zu denen unter anderen Bedenken bezüglich des eigenen Gewichts, Verkehrsstaus oder das Verlieren von Gegenständen gehören, differenziert (Kanner et al., 1981). Zweitgenannte sind aufgrund ihres häufigen Auftretens im Alltag für diese Arbeit von besonderem Interesse und werden deswegen genauer erläutert. Konzept der daily hassles. Daily hassles bezeichnen Mikrostressoren, also kleinere, als störend, frustrierend und belastend erlebte Ereignisse oder Situationen, welche im Rahmen der alltäglichen Interaktion mit der Umwelt entstehen (Holm & Holroyd, 1992). Manche dieser Alltagsbelastungen sind situationsbezogen determiniert, wohingegen andere immer wieder in einem bestimmten Kontext auftreten können. Daily hassles zeichnen sich durch eine hohe Auftretenswahrscheinlichkeit aus (Johnson & Sherman, 1997) und sind meist nicht vorhersagbar (Wheaton, 1999). Sie gehen mit negativen, belastungsbezogenen Emotionen wie Frustration, Niedergeschlagenheit, Angst oder Ärger einher (D'Angelo & Wierzbicki, 2003; Kohn & Macdonald, 1992; Whiting & Bryant, 2007), erhöhen nachhaltig das Stresslevel einer Person und tragen damit zu einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens sowie der Gesundheit bei (Serido, Almeida, & Wethington, 2004). In Bezug auf die zeitliche Dauer sind Alltagsbelastungen und die damit verbundenen emotionalen Folgen typischerweise nur ein bis zwei Tage lang persistent (Bolger, DeLongis, Kessler, & Wethington, 1989). 12
Humorvolles Coping im Alltag Belastungsdimensionen im Alltag. Wissenschaftliche Forschung beschäftigte sich immer wieder mit der Fragestellung, welche Belastungen in bestimmten Lebenskontexten auftreten können. Glass und Singer (1972) sowie Evans, Jacobs, und Frager (1982) untersuchten Belastungen auf Ebene physikalischer Umweltfaktoren und konnten dabei Lärm und Verschmutzung als Stressoren identifizieren. Auch das soziale Umfeld, wie die eigene Familie und damit einhergehende Anforderungen können belasten (Croog, 1970). Ebenso stellt berufliche Über- oder Unterforderung eine potentielle Belastung im Arbeitskontext dar (Frankenhaeuser & Gardell, 1976). Dies Erkenntnisse verdeutlichen, dass der Mensch in seinem Alltag einer Reihe von potenziellen Belastungsquellen ausgesetzt ist. Um diese Diversität aus einer Metaperspektive heraus erfassen zu können, entwickelten Kanner et al. (1981) die Daily Hassles and Uplifts Scale. Hierbei handelt es sich um Selbstbeurteilungsverfahren zur Erfassung von Alltagsbelastungen und -freuden. Anhand eines Itempools bestehend aus täglichen Ereignissen, Situationen, gedanklichen Beschäftigungen, etc. sollen diese Events in Bezug auf ihre Rolle als Belastung oder Freude eingeordnet werden. Insgesamt konnten sieben Dimensionen von Alltagbelastungen identifiziert werden. Diese sind innere Konflikte, finanzielle Sorgen, Zeitdruck, arbeitsbezogene Probleme, umweltbezogene Probleme, familiäre Probleme und Gesundheitsprobleme (Holm & Holroyd, 1992). Tabelle 1 liefert eine Übersicht über die zehn am häufigsten berichteten stressauslösenden Alltagsbelastungen in der Studie von Kanner et al. (1981). Tabelle 1 Häufige Alltagsbelastungen nach Kanner et al. (1981) Art der Belastung In Prozent (%) der Fälle angekreuzt 1. Bedenken bezüglich des eigenen Körpergewichts 52 2. Gesundheit eines Familienmitglieds 48 3. Steigende Preise von Waren 44 4. Instandhaltung des Wohnraums 43 5. Zu viele Dinge zu erledigen 39 6. Dinge verlegen oder verlieren 38 7. Gartenarbeit und äußere Instandhaltungsmaßnahmen 38 8. Eigentum, Investitionen und Steuern 38 9. Kriminalität 37 10. Bedenken bezüglich des eigenen Aussehens 36 Anmerkung. Die „In Prozent (%) der Fälle angekreuzt“ Zahlen geben den Prozentsatz der TeilnehmerInnen an, die die das Item als zutreffend bewertet haben. 13
Humorvolles Coping im Alltag Coping Alltagsbelastungen sind Ereignisse, die das Person-Umweltgefüge erschüttern und dahingehend verschieben, dass eine nicht routinemäßige Anpassungsleistung erforderlich wird, um das Gleichgewicht wieder herzustellen (Reicherts, 1988). Dieser Umgang mit belastenden oder schwierigen Situationen und Ereignissen kann auf verschiedene Weise erfolgen und wird unter dem Begriff coping subsumiert (Carver & Connor-Smith, 2010). Coping ist dabei als ein Bewältigungsprozess definiert, bei dem kognitive, emotionale oder behaviorale Bemühungen unternommen werden, um mit internalen oder externalen Anforderungen, die als belastend oder die Ressourcen einer Person überschreitend, bewertet werden, zurecht zu kommen (Folkman & Lazarus, 1984). Carver, Scheier, und Weintraub (1989) entwickelten mit dem COPE einen Fragebogen, mit dem eine Vielzahl verschiedener Copingreaktionen erfasst werden können. Diese Strategien können anhand ihrer expliziten theoretischen Grundlage bestimmten Copingdimensionen zugeordnet (Hobfoll & Buchwald, 2004) und dadurch differenzielle Effekte des Bewältigungsverhaltens, zum Beispiel auf die psychische Gesundheit (Perrez & Matathia, 1993), untersucht werden. Multiaxialität und Dimensionen. Coping stellt ein komplexes Konzept dar, welches verschiedene Theorien und Unterscheidungen umfasst (Folkman & Moskowitz, 2004). Eines der wichtigsten Modelle hierzu ist transaktionale Stressmodell (Folkman & Lazarus, 1984), welches in Abbildung 2 dargestellt ist. Abbildung 2. Vereinfachte Darstellung des transaktionalen Stressmodells nach Folkman und Lazarus (1984). 14
Humorvolles Coping im Alltag Im Zentrum dieses Modells steht ein Bewertungsprozess, bei dem evaluiert wird, ob ein Reiz als bedrohlich eingeschätzt wird und ob die vorhandenen Ressourcen einer Person zu seiner Bewältigung ausreichen (Zureck, Altstötter-Gleich, Gerstenberg, & Schmitt, 2015). Wird ein Reiz als bedrohlich und die Ressourcen einer Person überschreitend bewertet, kommt es zum Stresserleben. Bei dem anschließenden Stressbewältigungsversuch, wird im Modell zwischen problemorientiertem und emotionsorientiertem Coping unterschieden (Folkman, Lazarus, Gruen, & DeLongis, 1986). Problemorientiertes Coping setzt direkt auf der Ebene der belastenden Situation an und hat zum Ziel, das Problem an sich zu verändern, wohingegen emotionsorientiertes Coping versucht, den Bezug zur belastenden Situation mittels Emotionsregulation zu verändern (Herman & Tetrick, 2009). Abseits dieser Klassifikation ergänzen Hobfoll und Buchwald (2004) in ihrem multiaxialen Copingmodell um eine Dimension über das Ausmaß sozialer Unterstützung sowie passiver Bewältigung. Zudem wird allgemein zwischen langfristig erfolgreichen und nachhaltigen Strategien, die als funktional bezeichnet werden und dysfunktionalem Coping, bei dem Ablenkung von der Belastung im Vordergrund steht und das zudem mit negativen Konsequenzen einhergehen kann, differenziert (Frost & Mierke, 2013). Auf Basis all dieser existierenden Dimensionen von Coping wird in vorliegender Arbeit für die spätere Analyse zwischen kognitiv-aktivem Coping (problemorientiert), palliativem Coping (emotionsorientiert), defensivem Coping (passiv) und dysfunktionalem Coping (schädlich) unterschieden. Vor diesem Hintergrund soll im nächsten Abschnitt Humor als Copingmechanismus beleuchtet und diskutiert werden, welche Berührungspunkte mit den oben genannten Dimensionen bestehen. Dies dient als Grundlage für die spätere statistische Analyse, um humorvolles Coping hinsichtlich Häufigkeit und Effekten mit anderen Dimensionen vergleichen zu können. Humor als Copingmechanismus Neben der sozialen Funktion von Humor (Berger, 2014; Martin et al., 2003; Zimmer, 2013) und seiner Bedeutung als Persönlichkeitseigenschaft und Charakterstärke (Peterson & Seligman, 2004) rückte in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend die Rolle von Humor bei der Bewältigung von Belastungen in den Fokus der wissenschaftlichen Untersuchung (Abel, 2002). Ruch und Köhler (1998) entwickelten hierzu den Begriff des coping humors, um eine bessere Unterscheidung von bisherigen Ansätzen sowie eine differenziertere Auseinandersetzung mit Humor als Bewältigungsstrategie zu ermöglichen. 15
Humorvolles Coping im Alltag Coping humor wird als humorvolle Einstellung gegenüber dem Leben und auch den damit einhergehenden Inkongruenzen und Widrigkeiten definiert (Kuiper et al., 1993) und weist somit vor allem Überschneidungen mit dem selbstaufwertenden Humorstil im Modell von Martin (2003) auf (Sliter et al., 2014). Humor wird dabei genutzt, um den Bezug zu sich und der Umwelt sowie zur stressauslösenden Situation perspektivisch zu verändern (Erickson & Feldstein, 2007; Jovanovic, 2011) und dadurch Emotionen reflektierend transformieren zu können (Artemyeva, 2013). Dies führt dazu, dass stressauslösende Situationen als weniger bedrohlich eingeschätzt werden und der positive Affekt des Wohlbefindens ansteigt, ohne dass die Situation selbst verändert werden muss (Geisler & Weber, 2010). Vor dem Hintergrund des transaktionalen Stressmodells stellt humorvolles Coping also eine Form des emotionsorientierten Copings dar (Martin & Lefcourt, 1983; Rosenberg, 1991). Coping-Funktion von Humor bei Belastungen. Aus der Definition von Kuiper et al. (1993) abgeleitet, hilf Humor als Bewältigungsstrategie vor allem bei der Neubewertung stressauslösender Ereignisse und Belastungen sowie bei der Annullierung negativer Emotionen. Abseits dieser Funktionen führt Jovanovic (2011) aus, dass im Kontext von Humor der Zugang zu sozialer Unterstützung erleichtert werden kann. Im Sinne des von Martin et al. (2003) etablierten sozialen Humorstils kann die Beziehung zu anderen Menschen verbessert und so das soziale Netz vergrößert werden, welches wiederum als Anlaufpunkt für die soziale Unterstützung genutzt werden kann. Aber auch Humorstile der schädlichen Dimension können in bestimmten Situation genutzt werden, um mit einem stressauslösenden Reiz umzugehen, da dadurch eine Distanzierung von negativen Situationen oder Umlenkung des Stresses auf andere Personen möglich ist (Cann & Matson, 2014; Erickson & Feldstein, 2007). Humor als Copingstrategie wurde bereits in unterschiedlichen Stresskontexten untersucht und verschiedene Studien konnten zeigen, dass Humor als Strategie zur Bewältigung von herausfordernden und schwierigen Situationen identifiziert wird (Brcic, Suedfeld, Johnson, Huynh, & Gushin, 2018; Tan & Schneider, 2009). Tan und Schneider (2009) interviewten Personen, die Familienangehörige mit Morbus Alzheimer betreuten, um herauszufinden, ob Humor eine Strategie darstellt, die die Pflegekräfte nutzen, um sich vor Burnout zu schützen. Die StudienteilnehmerInnen berichteten, dass sie Humor allgemein als einen wirksamen Copingmechanismus wahrnahmen, wenn dieser in einer positiven Art und Weise eingesetzt wurde. Anhand der Antworten konnten drei konkrete wahrgenommene Vorteile von humorvollem Coping gesammelt werden: Neben einer im 16
Humorvolles Coping im Alltag Allgemeinen erlebten Stressreduktion, ermöglichte der Einsatz von Humor, dass die betreuenden Personen Abstand zu der belastenden Gesamtsituation gewinnen und ihre Stimmung und Befindlichkeit verbessern konnten (Tan & Schneider, 2009). Wanzer, Booth-Butterfield, und Booth-Butterfield (2005) untersuchten Humor als Bewältigungsstrategie im Rahmen zwischenmenschlicher Kommunikation und stellten fest, dass Humor ein proaktives Prozess ist, der die Kontaktaufnahme und Interaktion mit anderen Menschen erleichtert, die Zufriedenheit erhöht und bei der Erreichung von Kommunikationszielen hilfreich ist. In Anbetracht feindseligen Humors eignet sich dieser vor allem dazu den eigenen Status gegenüber anderen zu verteidigen (Cann & Matson, 2014) oder von Problemen und Fehlleistungen abzulenken sowie Zuneigung zu erhalten (Erickson & Feldstein, 2007). Hinsichtlich der Effekte humorvollen Copings konnten Booth-Butterfield, Booth- Butterfield, und Wanzer (2007) zeigen, dass die Verwendung von Humor zur Stressbewältigung in Beziehung mit subjektiv erlebter Bewältigungseffektivität und Zufriedenheit mit dem Bewältigungsprozess stand. Außerdem führten humorvolle Bewältigungsstrategien zu einer Verringerung von negativen Gefühlen wie Angst, Niedergeschlagenheit oder Ärger (Martin & Ford, 2018). Determinanten humorvollen Copings. Bestimmte personenspezifische Faktoren scheinen den Einsatz humorvollen Copings zu beeinflussen. Chen und Martin (2007) fanden heraus, dass Studierende aus einem kollektivistisch geprägten Kulturkreis seltener Humor als Bewältigungsstrategie bei Stress nutzten als Personen, die aus einem Land mit individualistischer Kultur stammten. Außerdem scheinen Geschlechterunterschiede hinsichtlich der Verwendung humorvollen Copings zu existieren. Über mehrere Analysen hinweg nutzten Männer häufiger als Frauen Humor als Bewältigungsstrategie (Camacho et al., 2012; Martin et al., 2003). Camacho et al. (2012) untersuchten Humor in Bezug auf geschlechterspezifische Unterschiede und fanden heraus, dass Männer ein höheres Level an selbstaufwertendem Humor und auch coping humor berichten. Dies konnte im Rahmen einer Metaanalyse, bei der ein signifikanter Zusammenhang zwischen Geschlecht und Humor festgestellt werden konnte, welcher darauf hindeutete, dass Männer höhere Humorwerte erreichen als Frauen (Coner, 2016), erneut gezeigt werden. 17
Humorvolles Coping im Alltag Im Gegensatz zur Universalität von Humor (Kruger, 1996) scheint die Auftretenshäufigkeit humorvollen Copings über mehrere Studien hinweg insgesamt als gering. Mache (2012) analysierte arbeitsbezogenes Coping deutscher und australischer Ärzte und stellte fest, dass Humor unter den 14 betrachteten Copingstrategien zu den drei am wenigsten genutzten gehört. Frydenberg et al. (2003) verglichen junge Erwachsene aus verschiedenen Kulturkreisen hinsichtlich ihres Umgangs mit Sorgen und Problemen und konnten 18 verschiedene Bewältigungsstrategien identifizieren, wobei Humor keine Berücksichtigung fand. Bisher konnten also verschiedene Funktionen humorvoller Bewältigungsversuche identifiziert werden, welche mit dem Einsatz unterschiedlicher Humorstile einhergehen. Dennoch wurde Coping Humor in vielen Studien lediglich in Form des selbstaufwertenden Humorstils erfasst (Sliter et al., 2014), was dahingehend problematisch erscheint, dass Forschungsarbeiten existieren, die Hinweise liefern, dass auch andere Humorstile beim Umgang mit Belastungen Anwendung finden (Cann & Matson, 2014; Erickson & Feldstein, 2007; Jovanovic, 2011; Wanzer et al., 2005). Hinzu kommt, dass humorvolles Coping bis dato kaum im Meta-Kontext des Alltags und seinen Herausforderungen untersucht wurde (Schulz, 2013). An diesem Forschungsrand setzt vorliegende Arbeit an, indem sie differenziert die Rolle von Humor bei der Bewältigung alltäglicher Belastungen analysiert, wobei neben der Untersuchung von Fragestellungen und Hypothesen, die sich vor dem bisherigen theoretischen Hintergrund von Alltagsbelastungen und Humor als Copingstrategie ergeben, auch einen explorativ-qualitativen Ansatz verfolgt wird. Dabei soll humorvolles Coping vor allem hinsichtlich der Häufigkeit und Effekte mit den anderen Copingdimensionen in Verbindung gebracht werden. Die hierzu formulierten Fragestellungen und Hypothesen werden im Folgenden ausgeführt. 18
Humorvolles Coping im Alltag Fragestellungen und Hypothesen Zur Qualität alltäglicher Belastungen Wie häufig treten alltägliche Belastungen auf? Welche Arten von Alltagsbelastungen werden berichtet? Als wie belastungsintensiv werden diese erlebt? Welche Emotionen lösen diese aus? Daily hassles wurden bereits in unterschiedlichen Kontexten mittels Tagebuchverfahren untersucht. Die Auftretenshäufigkeiten von Alltagsbelastungen unterschied sich dabei von Studie zu Studie. Louch, O’Hara, Gardner, und O’Connor (2017), die mittels Tagebuchmethode Alltagsbelastungen ebenfalls ereigniskontingent anhand einer Stichprobe von Pflegefach- kräften in einem Zeitraum von zwei Wochen untersucht haben, erhielten pro Teilnehmer im Durchschnitt etwas weniger als vier Berichte. In anderen Studien wurde über den gleichen Zeitraum hinweg täglich mindestens eine Belastung berichtet (Schmidt, Klusmann, Ludtke, Moller, & Kunter, 2017). Es wird daher davon ausgegangen, dass die Anzahl berichteter, alltäglicher Belastungen in vorliegender Studie im Mittel ebenfalls in diesem Rahmen (n > 3) liegen wird. Hinsichtlich der Arten von Belastungen im Alltag besteht eine große Vielfalt (Holm & Holroyd, 1992; Kanner et al., 1981). Um diese übersichtlich darzustellen und besser untersuchen zu können, werden diese in Kategorien zusammengefasst und codiert. Die Belastungsintensität von daily hassles wird über verschiedene Untersuchungen hinweg im Durchschnitt als mittel beurteilt (Crowther, Sanftner, Bonifazi, & Shepherd, 2001; DeLongis, Coyne, Dakof, Folkman, & Lazarus, 1982), weshalb angenommen wird, dass dies auch auf die hier untersuchte Stichprobe zutreffen wird. Bezüglich des emotionalen Erlebens bei Alltagsbelastungen konnten bereits spezifische belastungsbezogene Emotionen, wie Frustration, Ärger, Niedergeschlagenheit oder Angst identifiziert werden (D'Angelo & Wierzbicki, 2003; Kohn & Macdonald, 1992; Whiting & Bryant, 2007). Neben den genannten wird ein breites Spektrum anderer Emotionen erfasst, wobei aufgrund bisheriger Erkenntnisse vermutet wird, dass das Erleben negativer Emotionen im Zentrum alltäglicher Belastungen steht. Zur Beantwortung dieses ersten Fragenkomplexes werden zusätzlich zu einer qualitativen Analyse der Daten daher folgende Hypothesen überprüft: 19
Humorvolles Coping im Alltag Hypothese 1a H0: Pro Teilnehmer werden im Zeitraum von 14 Tagen weniger als drei Alltagsbelastungen berichtet. H1: Pro Teilnehmer werden im Zeitraum von 14 Tagen mindestens drei Alltagsbelastungen berichtet. Hypothese 1b H0: Die Belastungsintensität der berichteten Ereignisse wird im Durchschnitt höher als mittel bewertet. H1: Die Belastungsintensität der berichteten Ereignisse wird im Durchschnitt höchstens als mittel bewertet. Zu Qualität und Determinanten humorvollen Copings im Alltag Wie häufig wird versucht, alltägliche Belastungen mit Humor zu bewältigen? Existieren dabei Geschlechterunterschiede? Existieren dabei Unterschiede aufgrund des Belastungskontexts? In welchen Situationen wird Humor als Copingstrategie genutzt? Auf welche Art und Weise wird dabei Humor zur Bewältigung eingesetzt? Verschiedene Studien konnten zeigen, dass Humor als Strategie zur Bewältigung von herausfordernden und schwierigen Situationen verwendet wird (Brcic et al., 2018; Tan & Schneider, 2009). Die Auftretenshäufigkeit humorvollen Copings scheint dabei aber über mehrere Untersuchungen hinweg als gering (Frydenberg et al., 2003; Gurnakova, 2000; Mache, 2012). Allerdings muss hierbei berücksichtigt werden, dass coping humor oft nur anhand weniger Items und sehr eindimensional erhoben wurde (Sliter et al., 2014), weshalb vermutet wird, dass die tatsächliche Häufigkeit, alltägliche Belastungen mit Humor zu bewältigen, höher liegt als in bisherigen Studien. Coping Humor wurde bisher hauptsächlich im Zusammenhang mit selbstaufwertendem Humor erfasst. Auf Basis der Erkenntnisse von Jovanovic (2011) und Erickson und Feldstein (2007) werden in dieser Arbeit daher auch andere Humorstile abgefragt, um ein größeres Spektrum an humorvoller Bewältigung abzudecken. Aufgrund der allgemein geringeren Ausprägung schädlicher Humorstile (Martin et al., 2003) wird davon ausgegangen, dass förderliche Humorstile insgesamt häufiger angewendet werden. 20
Humorvolles Coping im Alltag Es existieren Hinweise darauf, dass Männer und Frauen sich in Wahrnehmung und Produktion von Humor unterscheiden (Camacho et al., 2012; Martin et al., 2003). Auf Basis der angeführten Studien wird davon ausgegangen, dass Männer bei der Bewältigung alltäglicher Belastungen häufiger auf humorvolle Strategien zurückgreifen als Frauen. Anhand der zuvor beschriebenen Kategorisierung von Alltagsbelastungen soll explorativ untersucht werden, ob Unterschiede hinsichtlich des Auftretens humorvollen Copings aufgrund des Belastungskontextes bestehen. Außerdem wird getestet, ob die empfundene Belastungsintensität Einfluss auf das Ausmaß humorvollen Copings hat. Zur Beantwortung dieses zweiten Fragenkomplexes werden zusätzlich zu einer qualitativen Analyse der Daten daher folgende Hypothesen überprüft: Hypothese 2a H0: Humorvolles Coping gehört nicht zu den 75 % der am häufigsten von den Teilnehmern eingesetzten Bewältigungsstrategien. H1: Humorvolles Coping gehört zu den 75 % der am häufigsten von den Teilnehmern eingesetzten Bewältigungsstrategien. Hypothese 2b H0: Bei der Bewältigung alltäglicher Belastungen unterscheiden sich Männer und Frauen nicht in Bezug auf die Häufigkeit der Nutzung humorvoller Strategien. H1: Bei der Bewältigung alltäglicher Belastungen nutzen Männer humorvolle Strategien öfter als Frauen. Hypothese 2c H0: Im Zuge einer humorvollen Bewältigung werden förderliche Humorstile nicht häufiger als schädliche angewendet. H1: Im Zuge einer humorvollen Bewältigung werden förderliche Humorstile häufiger angewendet als schädliche. 21
Humorvolles Coping im Alltag Zu Effekten humorvoller Bewältigung Existieren Unterschiede zwischen der Gruppe der Personen, die Humor als Copingstrategie bei der Bewältigung alltäglicher Belastungen verwenden und der Gruppe, die dies nicht tut hinsichtlich der Reduzierung negativer Emotionen, Bewältigungserfolg und Zufriedenheit mit der Bewältigung? Was gilt für andere Dimensionen der Bewältigung? Die Eignung und Effektivität verschiedener Copingstrategien scheint sich je nach Belastung und Kontext zu unterscheiden (Jeter & Brannon, 2016; Koeske, Kirk, & Koeske, 1993). In Anlehnung an den Aphorismus des österreichischen Dichters Ernst Ferstl „Humor, das mit Abstand beste [Hervorhebung des Autors] Löschblatt für die Sorgenflecken des Alltags“ (Wowro, 2018), soll untersucht werden, ob humorvolles Coping zu Unterschieden beim Bewältigungserfolg und der Zufriedenheit mit der Bewältigung führt. Humor an sich ist mit einem positiven Selbstwertgefühl assoziiert (Astedt & Liukkonen, 1994; Thorson, Powell, Sarmany Schuller, & Hampes, 1997). Da es sich bei humorvoller Bewältigung um eine hauptsächlich emotionsorientierte Copingstrategie handelt, mit dem Ziel erlebte Emotionen zu transformieren (Artemyeva, 2013; Folkman et al., 1986) und Humor zu einer Verringerung von negativen Gefühlen wie Angst, Niedergeschlagenheit oder Ärger führt (Martin & Ford, 2018), wird vermutet, dass sich humorvolle Bewältigungsprozesse in der Reduzierung negativer Befindlichkeit von anderweitigen Strategien unterscheiden. Zur Beantwortung dieser dritten Fragestellung werden folgende Hypothesen überprüft: Hypothesen 3 Ha0: Die Gruppen unterscheiden sich nicht hinsichtlich des Veränderung negativen Erlebens. Ha1: Die Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich der Veränderung negativen Erlebens. Hb0: Die Gruppen unterscheiden sich nicht hinsichtlich der Zufriedenheit mit der Bewältigung. Hb1: Die Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich der Zufriedenheit mit der Bewältigung. Hc0: Die Gruppen unterscheiden sich nicht hinsichtlich des Bewältigungserfolgs. Hc1: Die Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich des Bewältigungserfolgs. 22
Humorvolles Coping im Alltag Methode Versuchsdesign Bei vorliegender Arbeit handelt es sich um eine Tagebuchstudie mit Triangulationsdesign im Sinne eines Mixed-Methods-Ansatzes (Mertens & Hesse-Biber, 2012). Es werden qualitative und quantitative Datenerhebungs- und Auswertungsverfahren kombiniert, um das Forschungsthema aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten zu können (Hussy, Schreier, & Echterhoff, 2010). Dem untersuchten Forschungsgegenstand entsprechend wird die Studie im Kontext alltäglicher Erfahrungen und Erlebnisse durchgeführt, wozu eine ereigniskontingente Datenerhebung im Onlineformat erfolgt. Die Untersuchung setzt sich aus einem einmal auszufüllenden, standardisierten Kurzfragebogen und dem eigentlichen, standardisierten Tagebuch zusammen. Durch das Ausfüllen des Kurzfragebogens (t0) erhalten Teilnehmende Zugang zum Tagebuch, das ab diesem Moment in einem Zeitraum von 14 Tagen immer dann bearbeitet werden soll, wenn eine Belastung erlebt wurde. Im Rahmen des Tagebuches erfolgt neben einer differenzierten Qualitätsbeschreibung des erlebten belastenden Ereignisses sowie des damit einhergehenden Bewältigungsprozesses, ein pseudo-prä-post- Vergleich zwischen dem Zeitpunkt direkt nach dem Auftreten des belastenden Ereignisses (t1) und dem Ausfüllen des Tagebuchs (t2) hinsichtlich des emotionalen Befindens. Außerdem werden Bewältigungserfolg und Zufriedenheit mit dem Bewältigungsprozess erhoben. Der Kurzfragebogen dient zur Stichprobenbeschreibung. Die gesamte Studiendurchführung dauerte von März bis Mai 2020. Stichprobenselektion und Probandenrekrutierung Da keine einheitlichen Vorgaben bezüglich Stichprobenumfang einer Tagebuchstudie existieren, wurde der von Nezlek, Schröder-Abé, und Schütz (2006) und Teddlie und Yu (2007) vorgeschlagene Richtbereich von mindestens 30-50 Teilnehmenden angepeilt. Teilnehmen durften alle Personen, die zu Studienbeginn das 18. Lebensjahr vollendet hatten und über gute Deutschkenntnisse verfügten. Von technischer Seite war für die Teilnahme an der Studie das Vorhandensein eines Internetzugangs über Computer oder Smartphone nötig. Um eine möglichst hohe Teilnehmerzahl zu erreichen, erfolgte die Akquisition über unterschiedliche Kanäle. Zunächst wurde Frau Dr. Kareen Seidler, die Wissenschaftliche Leiterin des Deutschen Institutes für Humor, kontaktiert. Diese zeigte sich nach Erörterung des Studienkonzepts aufgeschlossen, die Forschungsarbeit durch das Zurverfügungstellen der Reichweite des Institutes mittels Teilen der Studie auf den Social-Media-Kanälen des 23
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