Therapeutischer Humor auf einer Demenzstation. Ergebnisse einer ethnografischen Fallstudie

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HBScience
https://doi.org/10.1007/s16024-021-00357-9

Therapeutischer Humor auf einer Demenzstation. Ergebnisse einer
ethnografischen Fallstudie
Martin Herberg1,2

Eingegangen: 21. Dezember 2020 / Angenommen: 27. September 2021
© Springer-Verlag GmbH Austria, ein Teil von Springer Nature 2021

Zusammenfassung
Hintergrund Humor ist aus dem heutigen Gesundheitssystem nicht wegzudenken. Auch in der Betreuung demenziell
erkrankter Menschen stellt Humor eine wichtige therapeutische Ressource dar.
Ziel Untersucht wird, wie erfahrene Demenzbegleiter*innen in ihrer täglichen Arbeit Humor einsetzen, worauf sie dabei
achten, und welche Funktionen Humor in verschiedenen Situationen erfüllt.
Methode Im Rahmen einer 12-monatigen teilnehmenden Beobachtung auf einer Demenzstation wurden real auftretende
Situationen beobachtet, protokolliert und mit der Methode der ethnografischen Interaktionsanalyse ausgewertet.
Ergebnisse In der Demenzbetreuung erfüllt Humor viele Funktionen. Er ist ein Mittel, um die Aktivierungen attraktiv
zu gestalten. Ferner hilft Humor, schambesetzte Situationen zu entschärfen. Zudem ist er eine wichtige Bewältigungsstra-
tegie im Umgang mit herausforderndem Verhalten. Damit dies gelingt, ist es erforderlich, dass die Betreuungskräfte ihr
Humorverhalten auf die Humorfähigkeiten und -vorlieben der Bewohner*innen abstimmen.
Diskussion In der Arbeit der Betreuungskräfte, so das Ergebnis, hat Humor seinen festen Platz. Angesichts seiner Be-
deutung für die Praxis sollte das Thema stärker in der Ausbildung berücksichtigt werden. Eine wichtige Errungenschaft in
institutioneller Hinsicht wäre die Formulierung von Handlungsempfehlungen für den demenzgerechten Einsatz von Humor.
Zu wünschen wäre ferner, dass Pflegeeinrichtungen ein internes Humor-Management einführen.

Schlüsselwörter Demenzbegleitung · Humorinterventionen · Qualitative Pflegeforschung · Herausforderndes Verhalten ·
Humor-Management

Therapeutic humour inside a dementia care ward. Results of an ethnographic case study

Abstract
Background Humour has become indispensable in our modern healthcare system. It also represents an important thera-
peutic resource in the context of dementia care.
Aim The following questions are explored. How do skilled caregivers apply humour in their work? What are the things
they pay attention to? Which functions does humour serve in different care situations?
Method The study is based on 12 months of ethnographic research inside a dementia care ward. Real-life interactions
were observed and documented. Data were analyzed using micro-ethnographic methodology.
Results In the context of dementia care, humour fulfils manifold functions. Through humour, activations can be made more
attractive. Embarrassing situations can be made less face threatening. Furthermore, humour also serves as an important
tool for coping with challenging behavior. In order to achieve this, it is important that caregivers adjust their humour to
their clients’ cognitive skills and humour preferences.

 Martin Herberg
    martin_herberg@t-online.de
                                                                    2
                                                                        Bildungscampus Lauenburg, Arbeiterwohlfahrt
1
    Fakultät für Gesundheit, Department für Pflegewissenschaft,         Landesverband Schleswig-Holstein e. V.,
    Universität Witten/Herdecke, 58455 Witten, Deutschland              Reeperbahn 35, 21481 Lauenburg, Deutschland

                                                                                                                      K
M. Herberg

Conclusion As a result, humour can be said to be an intrinsic part of caregivers’ daily work. Due to its practical relevance,
the issue should be given greater attention in the training of those working in this field. Institutionally, it would be an
important step forward to define a set of guiding recommendations for the use of humour in dementia care. Furthermore,
it would be desirable for nursing facilities to improve their organizational management of humour.

Keywords Dementia care · Humor-related interventions · Qualitative research in nursing · Challenging behavior ·
Management of humour

Hintergrund                                                     Einführung eines speziellen Humor-Managements in den
                                                                Einrichtungen.
Humor hat viele gesundheitsfördernde Aspekte (Hirsch               Die Forschung ist selbstfinanziert. Sie ist Teil einer
2019; Titze 1995). Nach einer Zeit der Humor-Skepsis            pflegewissenschaftlichen Zweitpromotion an der Univer-
haben die Institutionen des Gesundheitswesens sich dem          sität Witten-Herdecke, Fachbereich Gesundheit (Prof. Dr.
Thema Humor nach und nach geöffnet – mit vielen positi-         Werner Vogd). Kooperationen bestehen mit dem AWO Bil-
ven Resultaten (Bischofberger 2008). Auch Menschen mit          dungscampus Lauenburg und mit der Privaten Universität
Demenz sprechen gut auf Humor an. Bei klinischen Humor-         im Fürstentum Liechtenstein (Prof. Dr. Iren Bischofberger).
Tests schneiden sie zwar schlechter ab als Gesunde (Clark
et al. 2016). Wortspiele, Ironie und intellektueller Humor
werden nicht mehr so gut verstanden. Dies heißt aber nicht,     Zielsetzung und Fragestellung
dass demenzbetroffene Personen den Humor verlieren.
Auch für sie ist Humor eine wichtige salutogenetische Res-      Wie nutzen erfahrene Betreuungskräfte Humor? Wie gestal-
source. Durch Ergebnisse der Wirkungsforschung wird dies        ten sie die Aktivierungen humorvoll und unterhaltsam? Mit
bestätigt (Baumgartner 2016; Low et al. 2014). Regelmä-         welcher Art von Humor sind demenziell veränderte Men-
ßige Humor-Stimuli, etwa in Form von Clownsbesuchen,            schen gut zu erreichen? Welche therapeutischen Funktionen
steigern das Wohlbefinden der Betroffenen. Agitiertheit,        erfüllt Humor? Dies sind die Forschungsfragen, an denen
Angst und Unruhe nehmen ab. Humor reduziert Stress und          die Studie sich orientiert. Die zugrunde gelegte Definition
verbessert die Lebensqualität.                                  von Humor ist relativ weit. Humor ist (a) die Fähigkeit eines
   So eindrucksvoll die Resultate der Wirkungsforschung         Menschen, etwas als komisch wahrzunehmen, und (b) die
sind – über den Humor, so wie er in den Einrichtungen           Erzeugung komischer Effekte durch eigenes Tun (Berger
der Demenzversorgung praktiziert und gelebt wird, ist we-       1998, S. 4; zu verschiedenen Humor-Theorien und -defini-
nig bekannt. Die vorliegende Studie hat das Ziel, die Hu-       tionen: Morreall 1996).
mor-Strategien erfahrener Betreuungskräfte anhand realer           Was Komik betrifft, so kann diese viele Quellen haben.
Situationen zu analysieren, implizites Wissen und Können        Oft sind es komische Kontraste und komische Inkongru-
explizit zu machen und hierdurch einen Beitrag zu leisten,      enzen, die zum Lachen anregen. Lustig sind Situationen,
das Thema Humor der Reflexion zugänglich zu machen.             in denen Unvereinbares zusammengebracht wird (Bachtin
Es geht darum, Humor „in Aktion“ zu studieren. Im Fokus         1990). Auch Travestie, Rollentausch und Rollenumkehr,
stehen die Praktiken, die die Betreuungskräfte anwenden,        Verwechslungen und Übertreibungen wirken komisch. Eine
um die Gruppenangebote lustig zu gestalten und schwierige       weitere Quelle des Komischen sind Formen des Foppens,
Situationen humorvoll aufzulösen.                               des Frotzelns und Neckens (Kotthoff 1998).
   Wie der Autor aus seiner Tätigkeit als Dozent für Betreu-       Von zentraler Bedeutung für die vorgestellte Studie ist
ungskräfte weiß, besteht seitens der Praxis großes Interesse    das Konzept des therapeutischen Humors (Robinson 2002).
an dem Thema. Humor ist nicht nur eine Domäne der Ge-           Von therapeutischem Humor spricht man, wenn Humor da-
riclowns. Wohl fast alle Demenzbegleiter*innen setzen in        zu eingesetzt wird, Menschen zu aktivieren, ihnen Kompe-
ihrer Arbeit Humor ein. Vieles machen sie intuitiv (van der     tenzerlebnisse zu verschaffen, ihnen aus negativen Gefühls-
Kooij 2017). Ziel der Studie ist es, die Einsatzmöglichkeiten   zuständen herauszuhelfen oder, ganz generell, ihr Wohlbe-
und Funktionen von Humor zu analysieren und in Erfah-           finden zu steigern.
rung zu bringen, worauf erfahrene Praktiker*innen bei ihren        Therapeutischer Humor kann geplant oder spontan er-
Humor-Interventionen achten. Im Schlussteil werden mög-         folgen (Vergeer und McRae 1993). Bei geplanten Humor-
liche organisatorische Maßnahmen diskutiert, die den pro-       Interventionen wird etwas zur Anwendung gebracht, das
fessionellen Einsatz von Humor begünstigen; darunter die        man zuvor vorbereitet hat. Spontane Humor-Interventio-
Erarbeitung praktischer Handlungsempfehlungen sowie die         nen erfolgen demgegenüber aus dem Augenblick heraus,
                                                                etwa wenn die Betreuungskräfte spontan lustige Impulse

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Therapeutischer Humor auf einer Demenzstation. Ergebnisse einer ethnografischen Fallstudie

aufgreifen, die von den Bewohner*innen kommen. Thera-                   nach § 43 b) SGB XI. Dies geschah zu Forschungszwecken,
peutischer Humor erfordert Intuition und Improvisations-                aber auch aus persönlichen und beruflichen Interessen. Der
talent (Kast 2016). Vor allem bedarf es der Fähigkeit, den              Beruf der Betreuungskraft ist durch die deutsche Pflegere-
Humor adäquat auf die Empfänger*innen abzustimmen.                      form von 2008 ins Leben gerufen worden. Die § 43 b)-
                                                                        Kräfte werden auch als Alltagsbegleiter, Demenzbegleiter
                                                                        oder „zusätzliche Betreuungskräfte“ bezeichnet (Schmidt
Methode                                                                 und Döbele 2019). Im Anschluss an die Ausbildung wurde
                                                                        der Autor reguläres Mitglied im Betreuerteam des Hau-
Feldzugang                                                              ses. Im Team befanden sich noch 4 weitere Personen (Eri-
                                                                        ka, Hans, Inka und Manuela). Sie alle waren ausgebilde-
Die Studie orientiert sich an der Methode der ethnogra-                 te § 43 b)-Kräfte mit vielen Jahren Berufserfahrung. Die
fischen Interaktionsanalyse (Schütze 1994). Dieser Ansatz               dienstälteste Kollegin war Manuela mit 12 Jahren Praxis.
vereint Konzepte aus dem symbolischen Interaktionismus,                 Am kürzesten dabei war Inka, die ihren Kurs zur § 43 b)-
der Konversationsanalyse, der Soziologie Erving Goffmans                Kraft 7 Jahre zuvor gemacht hatte. Ab und zu bekam das
(Goffman 1983) und der Professions- und Praxisforschung.                Team Verstärkung durch Praktikant*innen. Hierzu zählte
Ziel ist es, institutionelle Prozesse von innen her zu be-              Maria, die 3 Wochen lang blieb.
schreiben. Hierzu müssen die Forschenden sich durch einen                  Die Rolle des Autors in der untersuchten Institution ent-
längeren Aufenthalt mit den Vorgängen im Feld vertraut                  sprach dem Modell einer „vollständigen Teilnahme“ (Brei-
machen. Sie müssen Teil des untersuchten Praxisfeldes wer-              denstein et al. 2015, S. 66). Um die für ein ethnografisches
den und die nötigen „Mitspielkompetenzen“ (Hirschauer                   „Befremden“ notwendige analytische Distanz zu gewinnen,
2001, S. 444) erwerben.                                                 erschien es nötig, auch außerhalb der eigenen Arbeitszeiten
   Aus Platzgründen kann die Methode hier nicht in allen                ins Haus kommen zu können, um in einer handlungsent-
Einzelheiten dargestellt werden. Daher nur so viel: Als Da-             lasteten Weise Beobachtungen machen zu können. Die Er-
ten werden natürlich auftretende Interaktionen verwendet,               laubnis hierzu wurde auch erteilt. In der Einrichtung war es
die während des Feldaufenthalts beobachtet und protokol-                ohnehin üblich, dass die Betreuer*innen, wann immer sich
liert worden sind. Bei der Auswertung ist wichtig, die für              Gelegenheit dazu bot, sich gegenseitig bei den Gruppenak-
eine Analyse notwendige „Fremdheitshaltung“ einzuneh-                   tivitäten zusahen, um voneinander zu lernen. Den Beteilig-
men (Schütze 1994, S. 189). Die Interaktionsszenen wer-                 ten wurde nicht mitgeteilt, dass es um das Thema „Humor“
den sequenziell interpretiert, d. h., man folgt dem Verlauf             gehen solle (dies hätte einen verzerrenden Einfluss auf ihr
der Ereignisse und fragt für jede einzelne Handlung, was                Verhalten haben können). Als Ziel der Studie wurde ange-
durch sie bewirkt wird. Auf diese Weise erhält man Einblick             geben, Beispiele gelungener Aktivierungen beobachten zu
in die von den Beteiligten eingesetzten Gesprächsstrategien             wollen.
und -techniken. Diese Techniken herauszuarbeiten, sie zu                   Die Ethikkommission der Deutschen Gesellschaft für
typisieren und sie in ihrem Problembezug und ihrer Funk-                Pflegewissenschaft hat das Forschungsvorhaben bewilligt
tionalität zu beschreiben, ist Ziel der Methode.                        (Antrag Nr. 20-026). Von allen Akteuren und den recht-
   Auch die vorliegende Untersuchung fragt nach den Tech-               lichen Vertreter*innen wurden schriftliche Einwilligungs-
niken und Praktiken, die von den Akteuren zur Bewältigung               erklärungen eingeholt. Im Sinne eines „ongoing consent“
ihrer Aufgaben eingesetzt werden, wobei – entsprechend                  wurde Sorge getragen, dass die Beobachtung den Bewoh-
der Fragestellung der Studie – Praktiken des Humor-Ein-                 ner*innen nicht unangenehm war.
satzes im Vordergrund stehen. Ort des Geschehens ist eine
Pflegeeinrichtung in einer norddeutschen Großstadt mit ei-              Datenmaterial
ner eigenen Demenzstation (im folgenden „Haus Erlenhof“
genannt). Auf der Demenzstation leben 26 Bewohner*innen                 Über einen Zeitraum von 12 Monaten wurde Datenmaterial
im mittleren und im schweren Stadium der Krankheit. Die                 in Form von Beobachtungsprotokollen gesammelt (Dezem-
Einrichtung verfügt über ein Team von Betreuungskräften                 ber 2019 bis November 2020). Hierbei wurden alle Arten
nach § 43 b) SGB XI, die mit den Bewohner *innen Grup-                  von Gruppenaktivitäten, die im Haus Erlenhof stattfanden,
penaktivitäten durchführen und sie durch den Tag begleiten.             einbezogen, nämlich das gemeinsame Basteln, das Singen,
   Aus Datenschutzgründen wurden alle Eigennamen, auch                  die Gymnastik und das Gedächtnistraining. Über den Be-
der Name der Einrichtung, durch Pseudonyme ersetzt. Fer-                obachtungszeitraum verteilt wurden 16 Aktivierungen von
ner wurden alle Informationen getilgt, die Rückschlüsse auf             jeweils 2 h Dauer protokolliert. Alle Mitglieder des Teams
konkrete Personen hätten ermöglichen können.                            wurden bei den von ihnen durchgeführten Aktivierungen
   Worin bestand nun der Feldzugang? Zunächst absolvierte               beobachtet (pro Person 4 Aktivierungen). Auch Interaktio-
der Autor die 3-monatige Ausbildung zur Betreuungskraft

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M. Herberg

nen, die außerhalb der Aktivierungen stattfanden (etwa bei     Menschen einige Besonderheiten auf (Clark et al. 2016).
den Mahlzeiten), wurden einbezogen.                            Die Betreuungskräfte müssen sich darauf einstellen, soll
   Eine darüber hinausgehende Festlegung, welche Situa-        humorvoller Austausch gelingen.
tionen zu beobachten seien, wurde nicht getroffen. Der             Als weitere Kontrastfolie wurde das Verhalten der Prak-
Grund: Neben geplanten Formen von Humor fasst die vor-         tikant*innen herangezogen. Bei den Aktivierungen unter
liegenden Studie auch spontan auftretenden Humor in den        ihrer Regie kam es teilweise zu Interaktionsproblemen. Die
Blick. Ob in einer Situation Humor auftritt oder nicht, ist    betreffenden Szenen wurden als „deviant cases“ (Depper-
von vornherein nicht absehbar. Aus diesem Grunde wurde         mann 2000, S. 106), als abweichende Fälle, in die Untersu-
ein breites Spektrum unterschiedlicher Aktivitäten in die      chung miteinbezogen. Einige Male trat der Fall auf, dass bei
Beobachtung einbezogen; darunter auch solche, die man          den Aktivierungen unter der Leitung der Praktikant*innen
ex ante vielleicht nicht mit Humor in Verbindung bringen       eine angespannte, humorlose Atmosphäre herrschte. Me-
würde.                                                         thodisch sind diese Szenen ein wichtiger Vergleichshori-
   Neben den Aktivitäten der festen Teammitglieder Erika,      zont, der hilft, die Gelingensbedingungen demenztherapeu-
Hans, Inka und Manuela wurden auch Aktivierungen einbe-        tischer Aktivitäten kontrastiv herauszuarbeiten.
zogen, die unter der Regie der Praktikant*innen stattfanden.       Für den Ergebnisbericht auf den folgenden Seiten wur-
Der Schwerpunkt der Studie liegt zwar auf den Humor-Ak-        de eine eher überblicksartige Art der Darstellung gewählt.
tivitäten der erfahrenen Betreuungskräfte. Methodisch sind     Der Text bemüht sich um eine relativ kompakte Beschrei-
die Praktikant*innen aber insofern von Interesse, als sie      bung der Ergebnisse, die auch für Praktiker*innen attraktiv
einen relevanten Kontrasthorizont dazu darstellen. An ih-      ist und die sich eignet, das Phänomen des therapeutischen
rem Verhalten ist ablesbar, welche Probleme bei den Akti-      Humors in seiner Formenvielfalt sichtbar zu machen. Le-
vierungen auftreten können; d. h., welche „Störpotenziale“     sende, die an den Sequenzanalysen zu den einzelnen Situa-
(Schütze 1994, S. 204) in der Situation enthalten sind.        tionen interessiert sind, seien auf die geplante Buchveröf-
   Das Anfertigen der Beobachtungsprotokolle ging so vor       fentlichung verwiesen (Herberg 2022). Ein exemplarisches
sich, dass in der konkreten Situation Notizen gemacht wur-     Interpretationsbeispiel findet sich am Ende des Textes als
den, die später am Schreibtisch zu detaillierten Beobach-      Anhang.
tungsprotokollen ausformuliert wurden (Hirschauer 2001).           Als Gliederungsprinzip der folgenden Ausführungen die-
Auf diese Weise sind mehr als 250 Seiten Text entstanden.      nen 5 Humor-Funktionen, die sich als besonders relevant
   Aus diesem Material wurden alle Szenen ausgewählt, bei      erwiesen haben, nämlich (1) Humor als Motivationsmittel,
denen gelacht und gescherzt wurde. Diese Szenen sind die       (2) Humor als Puffer gegen Scham, (3) Humor als Kreati-
Fälle der Untersuchung. Der Datenkorpus umfasst eine An-       vitätsförderer, (4) Humor als Ventil für Aggressionen und
zahl von 60 solcher Fälle. Angemerkt sei noch, dass mit der    (5) Humor als Mittel, um aufgeladene Situationen zu ent-
Auswahl der Fälle noch keine Aussage darüber getroffen ist,    spannen.
ob es sich um angemessenen oder unangemessenen Humor
handelt. Die auftretende Art von Humor für jede einzelne
Situation zu analysieren ist Gegenstand der Auswertung.        Ergebnisse

Auswertung                                                     Humor als heiterer Motivationsförderer

Die Auswertung der Beobachtungsprotokolle erfolgte se-         Eine erste Funktion von Humor besteht darin, die Beschäf-
quenzanalytisch. An jeder Stelle der Texte wurde gefragt:      tigungsangebote attraktiv zu gestalten. Oft ist es gar nicht so
Warum geschieht dies, warum geschieht es jetzt, und warum      einfach, die Bewohner*innen zur Teilnahme zu motivieren.
genau in dieser Weise? Weitere Fragen, die an die Inter-       Gerade Berufsanfänger*innen macht dies sehr zu schaffen.
aktionssequenzen gestellt wurden, lauten: Warum ist das,       Humor kann helfen, das Problem zu lösen.
was hier passiert, lustig? Erscheint der Humor-Einsatz der         Der Betreuer Hans trug die Aufforderung zum Mitma-
Betreuungskräfte professionell, und was macht ihn profes-      chen oft singend vor. Er erfand kleine Reime, etwa: „Wir
sionell? Welche Funktion erfüllt Humor in der jeweiligen       geh’n zum Sport, alle Probleme sind dann fort“. Er unter-
Situation?                                                     strich seine Gesangseinlagen mit schwungvollen Armbe-
   Ferner wurden Fallvergleiche durchgeführt. Zu klären        wegungen und allerlei komischen Gesten. Schnell entstand
war zum einen, ob vergleichbare Scherzaktivitäten auch         eine heitere Stimmung, und alle bekamen Lust teilzuneh-
„draußen“, zwischen gesunden Menschen denkbar wären.           men. Der Humor, um den es sich dabei handelt, lässt sich
Hierbei wurde gefragt: Wie sähe die betreffende Interakti-     als kindlich und heiter beschreiben. Hans’ Professionalität
on aus, wenn sie im normalen Alltag aufträte? Gegenüber        zeigt sich hier in der Fähigkeit, spontan aus der Rolle als
„normalem“ Humor weist der Humor demenzbetroffener             Leiter der Gruppe herauszutreten und den Clown zu spielen

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Therapeutischer Humor auf einer Demenzstation. Ergebnisse einer ethnografischen Fallstudie

(zum Einbau humorvoller Elemente in den professionellen                 es die lustigen Dialoge, die er mit den Bewohner*innen im-
Habitus: Kast 2016).                                                    provisierte? Die Daten der vorliegenden Studie legen eine
   Auch die anderen Betreuungskräfte setzten Humor ein.                 andere, eher „ganzheitliche“ Betrachtungsweise nahe: Ein
Eine der Bewohner*innen, die 95-jährige Frau Mazurek,                   wichtiger Erfolgsfaktor humorvoller Aktivierungen besteht
stand der Gymnastik meist skeptisch gegenüber. Sie berief               darin, dass die Ausführenden – in diesem Falle Hans – ganz
sich dabei auf ihr hohes Alter. Die Betreuungskraft Inka lä-            unterschiedliche Humor-Elemente miteinander zu kombi-
chelte schelmisch und sagte: „Kommen Sie mit, mit meinen                nieren in der Lage sind. Auf diese Weise wird dafür ge-
Übungen werden Sie 100 Jahre alt!“ Über die Dreistigkeit                sorgt, dass die Situation nicht monoton wird. Vor allem
der Zusicherung musste Frau Mazurek lachen. Sie sagte:                  aber ist es die Einbettung der Interaktion in eine positive
„So, meinen Sie?“ und ließ sich von Inka zur Gymnastik                  persönliche Beziehung zwischen den Bewohner*innen und
bringen. Was den Betreuungskräften hier zu Hilfe kommt,                 den Betreuenden, die diese Art des lebendigen humorvollen
ist die Empfänglichkeit demenziell erkrankter Menschen                  Austauschs möglich macht.
für alles Emotionale (Baer und Schotte-Lange 2019). Von                    Fazit: Durch den Einsatz von Humor gelingt es, die
einer heiteren, beschwingten Atmosphäre lassen sie sich                 Aktivierungen attraktiv zu gestalten. Humor hilft, die Be-
leicht anstecken.                                                       wohner*innen zur Teilnahme zu motivieren. Hierbei kön-
   Auch bei der Durchführung der Aktivitäten ist Humor                  nen viele unterschiedliche Humor-Techniken zum Einsatz
wichtig. Er verhindert die Entstehung einer angespannten,               kommen, darunter (a) die Verwendung lustiger Requisiten,
von Leistungsdruck geprägten Atmosphäre. Um die Akti-                   (b) Verballhornungen, (c) neckische Anspielungen auf per-
vitäten aufzulockern, nutzten die § 43 b)-Kräfte ein breites            sönliche Eigenschaften, (d) humorvolle Komplimente und
Spektrum von Strategien. Sie verwendeten lustige Requisi-               (e) das amüsierte Vorlesen von Horoskopen aus Frauenzeit-
ten (etwa eine Glückwunschkarte, aus der Jodelmusik er-                 schriften.
klang). Lieder, Gedichte und Sprichwörter wurden verball-                  Dass der Humor demenzbetroffener Menschen sich
hornt. Eine häufig benutzte Strategie bestand darin, char-              durch die Krankheit verändert, ist in der Forschungslitera-
mante Anspielungen auf die Eigenschaften einzelner Teil-                tur gut dokumentiert (Clark et al. 2016; Herberg 2021a).
nehmer*innen in die Aktivierungen einzubauen. Beispiel:                 Eine wichtige Herausforderung für die Praxis besteht daher
Von der Bewohnerin Frau Kranz wussten alle, dass sie einen              darin, die Humor-Stimuli adäquat auf die Betroffenen zuzu-
Garten besessen hatte, da sie oft davon erzählte. Also ersann           schneiden. Im Haus Erlenhof schien dies zu gelingen. Der
die Betreuungskraft Erika für eine ihrer Gymnastikstunden               beobachtete Humor ist nicht zu intellektuell und auch nicht
eine Bewegungsgeschichte mit dem Titel „Wir gehen zu                    zu sprachlastig. Er ist albern, neckisch und unkompliziert.
Frau Kranz’ Garten und helfen ihr beim Apfelpflücken“.
Dies bereitete Frau Kranz, aber auch den anderen Teilneh-               Humor als Mittel gegen Scham
mer*innen großes Vergnügen.
   Der Betreuer Hans begab sich zur Auflockerung sei-                   Im mittleren und späten Stadium der Demenz sind die Be-
ner Bastelstunde auf das Gebiet der Astrologie. Er fragte               troffenen nicht mehr in der Lage, kognitiv anspruchsvolle
die Anwesenden nach ihrem Sternzeichen. Alle bekamen                    Aufgaben zu lösen. Aus diesem Grunde dürfen die Aufga-
Sternzeichen-Bilder zum Ausmalen und zum Ausschnei-                     ben nicht zu schwierig sind. „Mit Fortschreiten der Krank-
den. Hans verwickelte die Anwesenden in kleine Gespräche                heit“, schreiben Regier et al. (2017), „benötigen Personen
über ihre persönlichen Eigenschaften, und er las allen – in             mit Demenz eine Vereinfachung der Aktivitäten“ (S. 994,
einem amüsierten Tonfall – ihr persönliches Horoskop aus                Übersetzung M.H.). Auch in Lehrbüchern für therapeutisch
einer Frauenzeitschrift vor. Er machte den Frauen kleine                Tätige wird darauf hingewiesen, dass Übungen, die mit de-
Komplimente. Er sagte Dinge wie: „Leute mit dem Stern-                  menzbetroffenen Personen durchgeführt werden, umso ein-
zeichen Schütze sollen ja so optimistisch sein – ja, das                facher gestaltet sein müssen, je weiter die Krankheit fortge-
passt zu Ihnen“. Er tat überrascht, als er erfuhr, dass die             schritten ist (Eichenseer und Gräßel 2015). Hierbei besteht
eher nachgiebige, geduldige Bewohnerin Frau Roth vom                    allerdings die Gefahr, dass die Betroffenen die Übungen
Sternzeichen Stier sei. Er rief: „Was, Stier?“ und erhielt              als primitiv und dümmlich empfinden und sich gedemütigt
die Antwort: „Was dachten denn Sie, was ich bin, etwa                   fühlen.
ein Lamm?“. In der heiteren Atmosphäre, die so entstand,                   Das folgende Beispiel illustriert dies. In forschungsprak-
wirkten alle motiviert und munter.                                      tischer Hinsicht handelt es sich bei dem Beispiel um einen
   Lesende, die die Szene durch die Brille der klassischen              „deviant case“ (Deppermann 2000, S. 106); einen Fall also,
medizinwissenschaftlichen Wirkungsforschung betrachten,                 der vom normalen Lauf der Dinge abweicht, und bei dem es
werden vielleicht fragen: Was genau war es, das den posi-               zu Störungen kommt. Das Beispiel zeichnet sich durch das
tiven Effekt hatte? War es Hans’ Charme? War es der amü-                Fehlen von Humor aus. Die Praktikantin Maria führte eine
sierte Tonfall, in welchem er die Horoskope vorlas? Waren               kognitive Aktivierung durch. Sie hatte Wollknäuel mitge-

                                                                                                                          K
M. Herberg

bracht. Diese sollten von den Bewohner*innen nach Farbe         stimmt doch was nicht?“. Durch die humorvolle Interakti-
und Größe geordnet werden. Es herrschte eine trockene, von      onsrahmung konnte unangenehmen Situationen vorgebeugt
Leistungsdruck geprägte Atmosphäre. Obwohl die Übung            werden. Humor dient hier als Puffer gegen Scham, als Mit-
einfach war, bereitete sie den Leuten Probleme. Herr Abels,     tel der „Gesichtswahrung“ (Goffman 1955).
einer der Anwesenden, sprang auf und rief: „Idioten! Sind          Hinzugefügt sei, dass Menschen mit Demenz vieles
wir denn Idioten!“. Die Übung wurde abgebrochen; Maria          durcheinanderbringen und dadurch leicht zur Quelle unfrei-
las stattdessen eine Geschichte vor.                            williger Komik werden (Wojnar 2007). Im Haus Erlenhof
   Was auf demenzbetroffene Personen in Situationen wie         geschah es nie, dass die Betreuungskräfte über die Fehlleis-
diesen verstörend wirkt, ist dies: Sie werden mit ihren kog-    tungen der Bewohner*innen gelacht oder diese spöttisch
nitiven Defiziten konfrontiert. Gleichzeitig sind sie aber      kommentiert hätten. Auch dies ist ein Merkmal des pro-
doch in der Lage zu erkennen, dass es sich bei der Übung        fessionellen Umgangs mit Humor. Als eine Praktikantin
um eine ganz banale Sache handelt, die eigentlich problem-      einmal über eine Bewohnerin lachte (diese hatte bei der
los zu lösen sein sollte (Taylor 2007).                         Gymnastik eine Anweisung falsch verstanden und machte
   Wie gelingt es, solche Situationen zu vermeiden? Eine        allerlei Verrenkungen), wurde sie von den Kolleg*innen
wichtige Bewältigungsstrategie besteht im Einsatz von Hu-       beiseite genommen und dezent zurechtgewiesen.
mor. So verwendete die Betreuungskraft Manuela für ihre
kognitiven Aktivierungen Lebensmittelattrappen. In ihrem        Humor als Kreativitätsförderer
Fundus gab es Plastik-Früchte und Plastik-Gemüse, eine
Torte aus Pappmaché, ein Hühnchen aus Gummi und viele           In Studien, die mit standardisierten Humor-Tests arbeiten,
andere Objekte, die als solche schon großes Komikpotenzi-       werden demenzbetroffenen Personen zwar nur geringe Hu-
al hatten. Das appetitliche Äußere solcher Artefakte steht in   mor-Fähigkeiten bescheinigt (Clark et al. 2016). In natür-
komischem Kontrast zu ihrer Ungenießbarkeit. Die Objekte        lich auftretenden Situationen entfalten sie jedoch viel Hu-
wurden von den Gruppenmitgliedern bestaunt und humor-           mor (Dunn et al. 2013; Moos 2011). Erfahrene Betreuungs-
voll kommentiert (vgl. die Analyse der Szene im Anhang).        kräfte geben den Bewohner*innen Gelegenheit, eigene lus-
   Zusätzlich hatte Manuela echte Lebensmittel mitge-           tige Ideen zu entwickeln. Auf diese Weise ermöglichen sie
bracht. Die Übung bestand nun darin, Echtes von Unechtem        ihnen wertvolle Kompetenzerlebnisse, denn auch demenzi-
zu unterscheiden. Hierbei unterliefen den Teilnehmenden         ell erkrankte Menschen genießen es, andere zum Lachen
zwar Fehler. Dies war aber niemand peinlich; zeigten die        bringen.
Verwechslungen im Grunde ja nur, mit wie viel Geschick              Eine relativ anspruchsvolle Ausdrucksform von Humor
die Attrappen gefertigt waren. Humor wird hier von der          ist das Erzählen lustiger Anekdoten. Die Betreuungskräfte
Betreuungskraft präventiv eingesetzt, um beschämenden           im Haus Erlenhof versuchten oft, die Bewohner*innen da-
Situationen vorzubeugen. Wie das Beispiel zeigt, hilft Hu-      zu zu animieren. Bewährt haben sich Themen wie „Als mir
mor beim Aufbau dessen, was in der Demenzforschung              einmal ein Missgeschick passierte“ und „drollige Erlebnis-
als „therapeutische Atmosphäre“ bezeichnet wird (Sonntag        se mit Haustieren“. Einige der Bewohner*innen steuerten
2016). Eine therapeutische Atmosphäre „wirkt inklusiv,          tatsächlich lustige Erzählungen bei. Viele waren aufgrund
vermag Menschen unterschiedlicher kognitiver Leistungs-         ihrer sprachlichen Probleme allerdings nicht mehr dazu fä-
niveaus einzubeziehen und Unterschiede zu integrieren“          hig. Entsprechend vorsichtig formulierten die Betreuungs-
(Sonntag 2016, S. 193). Sie ist von Toleranz geprägt und        kräfte ihre Erzählaufforderung; sie richteten diese entweder
schützt vor Gefühlen der Peinlichkeit und Scham.                an die Gruppe als Ganze oder an Personen, von denen sie
   „Man muss unbedingt vermeiden, dass die Leute sich wie       wussten, dass diese gut erzählen konnten.
in der Schule vorkommen“, wurde von den Kolleg*innen                Wozu die meisten Bewohner*innen trotz ihrer sprach-
oft gesagt. Zur Professionalität der § 43 b)-Kräfte gehört      lichen Beeinträchtigungen in der Lage waren, waren kur-
die Fähigkeit, eine heitere und beschwingte Atmosphäre zu       ze lustige Antworten auf Fragen. Die Betreuerin Inka ver-
erzeugen. Um dies an einem weiteren Beispiel zu verdeut-        stand es virtuos, diese Ressource zu nutzen. Sie verwendete
lichen: Beim kognitiven Training mit demenziell erkrank-        für ihre Aktivierungen Fragen aus dem Kinderspiel „Haste
ten Menschen ist es eine beliebte Übung, Sprichwörter er-       Worte“. Sie fragte – mit erwartungsvollem Lächeln: „Was
gänzen zu lassen, da diese im Langzeitgedächtnis gespei-        kann schmelzen?“ und erhielt die Antwort: „Ich, als ich
chert sind. Man kann beispielsweise fragen: „Der Apfel          meinen Mann kennengelernt habe“. Oder sie fragte: „Ein
fällt nicht weit vom ..., wie geht es weiter?“ Hierbei kann     anderes Wort für Streit?“ Prompt kam die Antwort: „Ehe“.
es jedoch passieren, dass die Anwesenden sich wie Sonder-       In der heiteren Atmosphäre, die Inka schuf, hatten viele
schüler behandelt fühlen. Im Haus Erlenhof verwendeten          der Leute solche Einfälle, über die alle sehr lachten. Es ist
die Betreuer*innen meist verballhornte Versionen. Sie sag-      bezeichnend, dass die Betreuungskräfte es in Situationen
ten lachend: „Morgenstund’ ist ungesund – Moment mal, da        wie diesen nicht darauf anlegten, selbst besonders lustig

K
Therapeutischer Humor auf einer Demenzstation. Ergebnisse einer ethnografischen Fallstudie

zu sein. Ihre Professionalität dokumentiert sich in dem Be-             Tag tatsächlich nicht sehr gut gewesen war. Sie versuchte
mühen, den Bewohner*innen Vorlagen für eigene Humor-                    nicht, Frau Mazurek zu widersprechen. Durch ihr Lachen
Ideen zu liefern.                                                       validierte sie Frau Mazureks Kritik als berechtigt.
   Eine Situation, in der die Bewohner*innen besonders                      Nicht alle demenziell veränderten Menschen sind in der
ausgelassen miteinander scherzten, war das gemeinsame                   Lage, so schlagfertige Antworten zu geben. Dennoch finden
Ballspielen. Die Betreuungskräfte mussten gar nicht viel                sie Wege – oft mit den einfachsten Mitteln – ihren Gefühlen
tun, damit eine lustige Stimmung entstand. Alle lachten,                Ausdruck zu verleihen. Beispiel: Die Betreuungskraft Inka
wenn der Ball aus Versehen im Abfalleimer landete, oder                 bemühte sich, den unterernährten Herrn Mack zum Essen
wenn jemand das Ölbild an der Wand traf. Jemand über-                   zu motivieren. Sie sagte: „Herr Mack, bitte essen Sie den
reichte den Ball seinem Nachbarn. Eine der Frauen kom-                  Quark“. Plötzlich begann dieser, Inkas Stimme zu imitie-
mentierte dies mit den Worten: „Hier wird der Ball ge-                  ren. Er rief immer wieder: „Herr Mack, Quark!“. Er tat dies
bracht, nicht geworfen. Beim nächsten Mal schicken wir                  mit einem höhnischen Tonfall. Inka lachte und fragte: „Bin
ihn mit der Post“. Schnell schaukelten die lustigen Ereig-              ich wirklich so schlimm?“ Herr Mack hatte, indem er Inkas
nisse sich zu einer Atmosphäre ausgelassener Heiterkeit                 Stimme imitiert hatte, gegen ein als bevormundend empfun-
hoch. In Momenten wie diesen wirkten die Beteiligten gar                denes Verhalten protestiert. Inka besaß ihrerseits genügend
nicht dement.                                                           Humor, dies nicht persönlich zu nehmen. Sie lachte über
   „Wichtig ist, dass die Leute in einen flow kommen“,                  sich selbst.
wurde von den Betreuungskräften oft gesagt. Aufgrund ih-                    Eine weitere Form des humorvollen Spannungsabbaus
rer Erfahrung und ihres täglichen persönlichen Umgangs                  ist es, wenn die Bewohner*innen sich Frotzeleien mit dem
mit den Bewohner*innen können die Betreuungskräfte ein-                 Personal liefern. Eine besonders scharfzüngige Bewohnerin
schätzen, welche Stimuli sich eignen, um humorvolle Pro-                war Frau Kahn. Vor allem der Betreuer Hans wurde zu ihrer
zesse in Gang zu bringen. Zudem verfügen sie über die                   Zielscheibe. Bei der Küchenarbeit bekam er Bemerkungen
Fähigkeit, sich selbst im richtigen Moment zurückzuneh-                 zu hören wie „Ganz toll machen Sie das“ und „Überan-
men. Dadurch entsteht Raum für die Bewohner*innen, ei-                  strengen Sie sich nicht“. Oft kam es vor, dass Hans sich dies
gene lustige Ideen zu entwickeln. Therapeutisch ist dies von            eine Weile anhörte und dann zu einem drastischen Mittel
großer Bedeutung; denn andere zum Lachen zu bringen ist                 griff: Er warf den Küchenlappen in Frau Kahns Richtung.
immer ein kleines Erfolgserlebnis.                                      Frau Kahn lachte und quietschte laut. Oder sie sah es schon
                                                                        kommen und rief mit gespielter Empörung: „Unterstehen
Humor als Ventil                                                        Sie sich!“
                                                                            Der Humor, der hier sichtbar wird, speist sich aus klei-
Humor erfüllt wichtige Funktionen der Psychohygiene (Tit-               nen Respektlosigkeiten. Es ist klar, dass eine Humor-Inter-
ze 1995). Oft lacht man über Dinge, die als belastend emp-              vention wie diese nur innerhalb einer gut etablierten, ver-
funden werden. Auch bei Menschen mit Demenz ist dies                    trauensvollen Beziehung möglich ist. Hans und Frau Kahn
so. Ihre gesundheitlichen Einschränkungen, der als fremd-               hatten eine spezielle Beziehung zueinander. Hans’ Profes-
bestimmt erlebte Alltag – dies alles ist schwer zu ver-                 sionalität dokumentiert sich darin, dass er sich zwar einer-
kraften und verlangt nach Möglichkeiten des Spannungsab-                seits mit Frau Kahn auf diese etwas „handfestere“ Ebene
baus (Bartholomeyczik et al. 2006, S. 14). Sarkastische und             begab, dass er ihr gegenüber aber doch eine beschützende
aggressive Humor-Äußerungen der Bewohner*innen sind                     Haltung aufrechterhielt. Dies zeigt sich daran, dass Hans
keine Seltenheit (Moos 2011). Erfahrene Betreuungskräf-                 den Lappen stets so warf, dass Frau Kahn ihn fangen und
te reagieren hierauf mit einer Haltung der Milde. Sie be-               zurückwerfen konnte. Hans achtete darauf, dass die spiele-
trachten aggressiven und/oder trotzigen Humor als Zeichen               rischen Grobheiten nie ein gewisses Maß überschritten.
des Selbstbehauptungswillens der Bewohner*innen, und sie                    Wenn Hans im Dienst war, waren solche scherzhaften
verfügen über die Fähigkeit, auch über Witze zu lachen, die             Balgereien mit Frau Kahn schon vorprogrammiert. Die Sze-
auf ihre eigenen Kosten gehen.                                          ne mit dem Lappen war beinahe so etwas wie ein festes
   Das folgende Beispiel veranschaulicht dies. Manuela                  Ritual. Sie brachte alle zum Lachen. Zum Thema der hu-
hatte das Mittagessen serviert. „Möchte noch jemand einen               morvollen Rituale gäbe es so manches zu sagen. Hier nur
Nachschlag?“ fragte sie. „Ich möchte gern zurückschlagen“,              so viel: Nicht jedes komische Ereignis wird zum Ritual.
sagte die sonst eher introvertierte Frau Mazurek. Sie lach-             Zum Gegenstand humorvoller Rituale werden in der Regel
te höhnisch, und auch die Anwesenden lachten über das                   diejenigen Humor-Elemente, denen für das soziale Mitein-
Wortspiel. Was die Äußerung so komisch machte, war die                  ander der beteiligten Akteure eine besondere Bedeutung
Pointiertheit, mit der es Frau Mazurek gelungen war, ihrer              zukommt (Radcliffe-Brown 1940). Was das Ritual mit dem
Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Manuela lachte                   Lappen betrifft, so war dieses untrennbar mit der speziellen
mit, allerdings etwas verlegen, da das Essen an diesem                  Beziehung zwischen Hans und Frau Kahn verbunden; einer

                                                                                                                          K
M. Herberg

Beziehung, die von ständigen Frotzeleien und Reibereien          die Bewohnerin, die die Bemerkung gemacht hatte, lachte
geprägt war.                                                     mit. Durch ihre Antwort war es Erika gelungen, eine freund-
   Humor, so das Fazit, ist nicht immer „lieb“. Die Be-          schaftliche, familiäre und versöhnliche Atmosphäre zu er-
treuungskräfte müssen sich viele sarkastische Bemerkungen        zeugen. Die Bewohnerin, die die Bemerkung über Erikas
anhören. Erfahrene Praktiker*innen nehmen diese Bemer-           Hintern gemacht hatte, wurde nicht ausgegrenzt, sondern
kungen mit Humor. Sie betrachten sie als das, was sie im         einbezogen.
Grunde sind: ein von den Bewohner*innen dringend benö-              Unerfahrene Betreuungskräfte geben in solchen Situa-
tigtes Ventil, um „Dampf abzulassen“.                            tionen manchmal schnippische Antworten („Schauen Sie
                                                                 sich mal selber im Spiegel an“, erwiderte eine Praktikantin,
Humor als Mittel, Situationen zu entschärfen                     als ihr von einer Bewohnerin gesagt wurde, sie sei „fett“).
                                                                 Der Impuls, in solchen Situationen verbal zurückzuschla-
Zur Arbeit der Betreuungskräfte zählt auch der Umgang mit        gen, rührt wohl auch daher, dass man dies aus dem norma-
herausforderndem Verhalten (Bartholomeyczik et al. 2006).        len Alltag so gewohnt ist (Kotthoff 1998). Erikas Profes-
In diese Kategorie fallen u. a. Aggressivität, enthemmtes        sionalität in dem geschilderten Fall zeigt sich darin, dass
Verhalten und Agitiertheit. Menschen im mittleren und im         ihre Antwort versöhnlich war, inkludierend und frei von
fortgeschrittenen Stadium der Demenz besitzen nicht die          Aggressionen.
Fähigkeit zum Emotionsmanagement, über die ein gesunder             Ein Dauerbrenner in der Diskussion über herausfordern-
Mensch verfügt. Nur all zu leicht steigern sie sich in negati-   des Verhalten ist das Problem der Agitiertheit, etwa in Form
ve Zustände hinein. Humor erweist sich hierbei als wichtige      von Rufen, Schreien oder perseverierenden Fragen. Auch
Bewältigungsstrategie. Er macht es möglich, schwierige Si-       hier kann der Einsatz von Humor helfen. Beispiel: Hans
tuationen spielerisch aufzulösen (Bischofberger 2008).           räumte den Tisch ab. Frau Mazurek fragte, wo denn ihr
   Während des Beobachtungszeitraums im Haus Erlen-              Ehering sei (dieser wurde, da er ihr zu weit geworden war,
hof geschah es mehrere Male, dass zwischen den Bewoh-            in einer Schatulle in ihrem Zimmer aufbewahrt). Hans er-
ner*innen Streit ausbrach. Der Auslöser war oft gering-          klärte also, der Ring sei in Frau Mazureks Zimmer. Frau
fügig. Die Betreuungskräfte hatten verschiedene Strategi-        Mazurek nahm dies zur Kenntnis, fragte aber wenige Mi-
en, mit solchen Situationen umzugehen. Oft waren ihre            nuten später wieder nach dem Ring. Um sie abzulenken,
Interventionen clownesk und heiter. So griff Inka, als sie       improvisierte Hans einen kleinen, scherzhaften Dialog. Er
die Gruppe eines Tages im schlimmsten Streit antraf, zu          bat Frau Mazurek, ihm ein paar Sätze in ihrer polnischen
folgendem Mittel: Sie breitete die Arme aus und sang –           Muttersprache beizubringen. Vor allem wollte er wissen,
mit heiterer Miene, großen Gesten und mit einer Stimme           wie man auf Polnisch Liebeserklärungen macht. Frau Ma-
wie eine Opernsängerin: „Schenkt Euch immer nur Lie-             zurek ließ sich darauf ein. Das Problem mit dem Ring war
be, schenkt Euch immer Vertrauen“. Das Lied, aus dem die         schnell vergessen. Hans’ Aussprache wurde von ihr liebe-
Stelle stammt, hatte sie mit der Gruppe schon oft gesungen.      voll-spöttisch korrigiert. Beim Üben das Satzes „kocham
Schnell hatte sie die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Al-         ҫie“ („ich liebe Dich“), sagte sie lachend: „Wenn Sie das
le lachten.                                                      so aussprechen, denkt die Frau, Sie wollen ihr was kochen“.
   Inkas Humor-Intervention zeugt von großer Geistesge-          Über diese Szene amüsierte sich die ganze Gruppe.
genwart und einem gewissen schauspielerischen Talent. Das           Humor hilft, so das Fazit, auch und gerade in problema-
gewählte Lied lässt sich als ironischer Kommentar zum Ver-       tischen Situationen. Menschen mit Demenz haben wenig
halten der Leute in der aktuellen Situation interpretieren.      Einsichtsvermögen. Mit energischem Zureden oder Appel-
Komisch wurde die kleine Gesangseinlage aber erst durch          len an ihre Vernunft kommt man nicht weiter (Sachweh
die Weise, in der sie von Inka präsentiert wurde; nämlich        2019). Durch humorvolle Interventionen schaffen es er-
mit großen Gesten und übertriebenem Pathos.                      fahrene Betreuungskräfte, den erwünschten Stimmungsum-
   In der Arbeit mit demenziell veränderten Menschen kann        schwung herbeizuführen und die Situation zu entschärfen.
es passieren, dass man sich allerlei beleidigende Äußerun-
gen anhören muss. Teilweise ist der Humor der Betroffenen
grob und verletzend (Clark et al. 2016). Die Betreuungs-         Diskussion
kraft Erika bekam einmal von einer der Bewohner*innen
gesagt: „Du hast einen breiten Hintern“. Die Bewohnerin          Das Leben auf einer Demenzstation muss keineswegs, wie
grinste dabei höhnisch. Erika schenkte dem beleidigenden         man als Außenstehender vielleicht meinen könnte, traurig
Gehalt der Äußerung keine Beachtung. Sie sagte: „Ja gut,         und deprimierend sein. Wie die Ergebnisse zeigen, wird in
in meiner Familie war es so, meine Kinder sind in die Höhe       der Betreuung von demenziell veränderten Menschen viel
geschossen, und ich bin immer mehr in die Breite gegan-          gelacht. Humor fällt nicht nur in die Domäne der viel beach-
gen“. Alle Anwesenden mussten darüber sehr lachen. Auch          teten Gericlowns. Auch die Betreuungskräfte nach § 43 b)

K
Therapeutischer Humor auf einer Demenzstation. Ergebnisse einer ethnografischen Fallstudie

setzen in ihrer Arbeit Humor ein, und sie entwickeln hierbei            ckener Humor, bei dem man etwas lustig meint, es aber
viel Kreativität und große Spontaneität.                                ernst vorträgt, sind im Kontext der Demenzbegleitung un-
   An den Ergebnissen der Studie überrascht v. a. das, was              angemessen. Die Betreuungskräfte setzten ihre Humor-Bei-
man als den „Vielzweckcharakter“ von Humor bezeichnen                   träge wirkungsvoll in Szene. Sie trugen Dinge singend vor.
könnte. Humor erfüllt viele Funktionen. Er dient als Moti-              Sie machten allerlei Faxen und lustige Gebärden. Sie ver-
vationsquelle und als Bewältigungsstrategie in problemati-              wendeten komische Requisiten, sie verwickelten die Be-
schen Situationen. Humor fungiert als Puffer gegen Pein-                wohner*innen in lustige Spiele, und sie legten hierbei auch
lichkeit und Scham. Teilweise dient Humor den Bewoh-                    selbst große Spielfreude an den Tag. Ferner nutzten sie For-
ner*innen als Ventil, ihre Aggressionen auszuagieren. Er-               men eines „flirtatious humour“ (Attardo 2020, S. 279), also
fahrene Betreuungskräfte wissen dies und reagieren hierauf              eines flirtartigen Humors.
mit der nötigen Milde.                                                     Bemerkenswert ist ferner, dass die Betreuungskräfte
   Wie bei jedem Therapeutikum, so kommt es auch beim                   – anders als dies im normalen Alltag üblich ist – auf
Humor darauf an, ihn zum richtigen Zeitpunkt und in der                 Schlagfertigkeit weitgehend verzichteten. Auf verbale An-
richtigen Dosis einzusetzen (Hirsch 2019, S. 140). Zum                  griffe der Bewohner*innen gaben sie in vielen Fällen zwar
therapeutischen Einsatz von Humor gehört auch, dass die                 humorvolle Erwiderungen. Ein „Zurückzahlen mit gleicher
Betreuungskräfte sich im richtigen Moment mit eigenen                   Münze“ wurde hierbei aber vermieden. Teilweise lieferten
Humor-Beiträgen zurückhalten und stattdessen den Bewoh-                 die Betreuungskräfte sich mit einzelnen Bewohner*innen
ner*innen Gelegenheit geben, selbst lustige Ideen zu ent-               Frotzeleien und lustige Rangeleien. Hierbei wurde aber
wickeln. Humor wird so zum heiteren Kreativitätsförde-                  darauf geachtet, dass dies in einer vorsichtigen und rück-
rer. Das Spektrum dessen, was mit Humor bewirkt werden                  sichtsvollen Weise geschah.
kann, ist weit gefächert.
   In vorliegenden medizinwissenschaftlichen Studien wer-
den die Humor-Fähigkeiten demenziell erkrankter Men-                    Limitationen
schen eher gering eingestuft (Clark et al. 2016). Vor al-
lem bei Humor-Tests unter Laborbedingungen schneiden                    Ethnografische Forschung zählt zum festen Methodenar-
die Betroffenen schlecht ab. Sie haben Mühe, die ihnen prä-             senal der Gesundheitswissenschaften (Soom-Ammann und
sentierten Witzbilder zu verstehen. Die Krankheit scheint               Holten 2017). Die klassischen Gütekriterien standardisier-
dazu zu führen, dass ihr Humor verkümmert. Die Resultate                ter Forschung lassen sich auf ethnografische Beiträge nur
dieser Untersuchungen müssen im Licht der hier skizzierten              bedingt anwenden. Der Vorzug ethnografischer Forschung
Beobachtungen kritisch gesehen werden. Beobachtet man                   liegt in ihrem hohen Entdeckungs- und Explorationspoten-
das Verhalten demenziell veränderter Menschen unter na-                 zial, ihrer Praxisnähe und in der Natürlichkeit der verwen-
türlichen Bedingungen, so stellt man fest, dass sie über er-            deten Daten.
hebliche Humor-Ressourcen verfügen. Sie lassen sich auf                    Zu Aussagen, wie sie im Rahmen standardisierter For-
vielerlei Formen des humorvollen Austauschs mit den Be-                 schung generiert werden, kann man im Rahmen ethnogra-
treuungskräften und mit anderen Bewohner*innen ein.                     fischer Studien zwar nicht gelangen. Dies betrifft insbeson-
   Der Humor demenziell veränderter Menschen sollte da-                 dere die objektive Messung von Ursache-Wirkung-Zusam-
her auf keinen Fall unterschätzt werden. Er ist eine wichti-            menhängen. Am Beispiel der Humor-Forschung: Wie stark
ge therapeutische Ressource. Gleichwohl ist unübersehbar,               durch den Einsatz von Humor Stress reduziert wird, in wie
dass der Humor, bedingt durch die Krankheit, Veränderun-                viel Prozent der Fälle durch Humor Angst, Aggression oder
gen unterliegt (Herberg 2021a). Der Humor wird einfacher,               Agitiertheit bekämpft werden kann – Antworten auf Fragen
kindlicher, teilweise auch enthemmt und sozial rücksichts-              wie diese wird man innerhalb eines qualitativen Untersu-
los. Menschen mit Demenz mögen Slapstick und clownes-                   chungsdesigns nicht erwarten dürfen. Sie sind Gegenstand
ken Humor (Sachweh 2019, S. 164). Sie besitzen die Fä-                  quantitativer Humor-Studien (Low et al. 2014).
higkeit zur Hingabe an den Augenblick und zur Hingabe an                   Dennoch leistet die vorgestellte Studie einen relevan-
das Spiel (Wojnar 2014). Die Betreuungskräfte, die im Rah-              ten Beitrag. Sie ermöglicht es, erfahrenen Betreuungskräf-
men der vorliegenden Studie beobachtet wurden, haben von                ten gewissermaßen über die „Schulter“ zu schauen und zu
dieser Ressource ausgiebig Gebrauch gemacht. Geschickt                  analysieren, wie sie ihre Aufgaben erfüllen. Was auf diese
stellten sie sich auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten ihrer             Weise rekonstruierbar wird, ist das informelle Praxiswis-
Schützlinge ein.                                                        sen, das sich im Feld der Demenzbegleitung herausgebildet
   Eine Besonderheit des beobachteten Humors besteht da-                hat, basierend auf praktischer Übung und beruflicher Er-
rin, dass die Betreuungskräfte in der Regel recht starke                fahrung (van der Kooij 2017). Man erfährt, wie Humor von
Humor-Signale einsetzten. Menschen mit Demenz benö-                     den 43 b)-Kräften in ihrer täglichen Arbeit eingesetzt wird,
tigen Eindeutigkeit (Sachweh 2019, S. 46). Ironie und tro-

                                                                                                                         K
M. Herberg

und welche Funktionen Humor im Rahmen real stattfinden-         des Themas im Rahmen der Ausbildung wichtig. Der Autor
der Interaktionen konkret erfüllt.                              macht mit seinen Humor-Kursen für Betreuungskräfte, die
   Was die Generalisierbarkeit der Ergebnisse betrifft, so      er im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent am Bildungscam-
handelt es sich um eine Einzelfallstudie. Untersucht wur-       pus der AWO in Lauenburg anbietet, insgesamt sehr gute
den die Humor-Praktiken in einer einzelnen Einrichtung.         Erfahrungen.
Die Herausforderung für weitere Studien besteht nun darin,          Der zweite Vorschlag bezieht sich auf die Erarbeitung
die Ergebnisse mit Beobachtungen aus anderen Einrichtun-        spezieller Rahmenempfehlungen zum Einsatz von Humor
gen zu kontrastieren. Hierbei müssten neben regionalen Un-      in der Demenzbetreuung. Ein solcher Text könnte dazu bei-
terschieden auch organisatorisch-institutionelle Faktoren in    tragen, für Akzeptanz zu sorgen und den Praktiker*innen
den Blick gefasst werden. Zu erforschen wäre auch, wel-         als Orientierungshilfe zu dienen. Es ist klar, dass ein Phäno-
chen Einfluss die Einführung eines speziellen Humor-Ma-         men wie der Humor, der ja sehr von Kreativität und Spon-
nagements auf die Praxis der Ausführenden hat. Was das          taneität lebt, sich nicht in derselben Weise standardisieren
Haus Erlenhof betrifft, so entsprach dieses hinsichtlich Grö-   lässt, in der andere Tätigkeiten sich standardisieren lassen.
ße und Ausstattung dem sog. Durchschnittstyp deutscher          Der anvisierte Leitlinientext hätte die Funktion, relevante
Pflegeeinrichtungen. Das Haus hatte weder ein spezielles        Erfahrungen zusammenzufassen und Prinzipien zu definie-
Humor-Management, noch hatte es sich das Thema Humor            ren, die den Einsatz von Humor am Ideal einer validieren-
offiziell auf die Fahnen geschrieben. Die Humor-Praktiken,      den und wertschätzenden Betreuung ausrichten.
die auf operativer Ebene entstanden sind, stimmen optimis-          Nun ist es so, dass es solche Leitlinien zum Humor-Ein-
tisch, dass sich Ähnliches evtl. auch in anderen Einrichtun-    satz in medizinischen Kontexten bereits gibt. Ein bekann-
gen vorfinden lässt.                                            tes Beispiel ist der Ethik-Kodex der Initiative HumorCare
                                                                (2021). Die existierenden Regelwerke sind aber sehr ab-
                                                                strakt und unspezifisch. Ein Text mit Empfehlungen speziell
Schlussfolgerungen                                              für den Humor-Einsatz in der Demenzbetreuung hätte er-
                                                                heblichen Mehrwert. Einen Entwurf für einen solchen Text
Zu den Schlüsselqualifikationen heutiger Demenzbeglei-          hat der Autor an anderer Stelle skizziert (Herberg 2021b).
ter*innen zählt neben Empathie, Geduld und Fachwissen               Es ist klar, dass ein solcher Text mit (Rahmen-)Empfeh-
auch Humor. Richtig angewendet, hat Humor großes thera-         lungen nur in einer konzertierten Aktion von Wissenschaft
peutisches Potenzial. Durch Humor kann, wenn er adäquat         und Praxis erlassen werden kann. Mögliche Plattformen da-
auf die Bedürfnisse der Bewohner*innen abgestimmt ist,          für wären: Bildungseinrichtungen; Initiativen von Gesund-
eine Atmosphäre geschaffen werden, die motivierend und          heitsbehörden oder evtl. auch eine Initiative des oben er-
mitreißend ist und in der alles Belastende leicht und hei-      wähnten Krankenkassenspitzenverbands, der ja auch schon
ter wird. Genau wie gesunde Menschen, so haben auch             die Betreuerrichtlinie verabschiedet hat.
demenziell veränderte Personen das Bedürfnis, gemeinsam             Drittens wäre über die Einführung eines speziellen Hu-
mit anderen zu lachen und zu scherzen. Humor ist daher          mor-Managements in den einzelnen Häusern nachzuden-
ein wichtiges therapeutisches Werkzeug in einem ganzheit-       ken. Humor hat auch eine organisatorische Seite. Im Rah-
lichen und personenzentrierten Betreuungsansatz (Kitwood        men der Pflegedokumentation sollte stärker als bisher be-
2019).                                                          rücksichtigt werden, welche Arten von Humor sich im Um-
   Um dem Humor auch institutionell einen angemesse-            gang mit einzelnen Bewohner*innen bewährt haben. Sinn-
nen Stellenwert einzuräumen, sollen zum Abschluss drei          voll erscheint es auch, die Humor-Präferenzen der Bewoh-
Vorschläge gemacht werden. Der erste Vorschlag bezieht          ner*innen im Rahmen der Anamnese und der Biografiear-
sich auf die Ausbildung. Die Schulung der § 43 b)-Kräf-         beit zu berücksichtigen (Hirsch 2019, S. 236). Wichtig wäre
te orientiert sich an der vom Spitzenverband der gesetzli-      ferner die Durchführung regelmäßiger Humor-Fortbildun-
chen Krankenkassen verabschiedeten „Richtlinie zur Quali-       gen für die Betreuungskräfte, bei denen unterschiedliche
fikation von zusätzlichen Betreuungskräften“ (Schmidt und       Einsatzmöglichkeiten von Humor vorgestellt und diskutiert
Döbele 2019). Die Betreuungskräfte lernen verschiedene          werden. Zu einem funktionierenden Humor-Management
Aktivierungsmöglichkeiten kennen. Sie haben die Fächer          gehört auch, last but not least, dass den Ausführenden die
Krankheitslehre, Ernährungslehre und Kommunikation. Ein         nötigen Requisiten zur Verfügung stehen.
Fach „humororientierte Betreuung“ fehlt bislang.                    In der Vergangenheit, so das Fazit, stand man in den In-
   Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es so, dass die Betreu-      stitutionen des Gesundheitswesens dem Humor eher skep-
ungskräfte die einschlägigen Humor-Kompetenzen in eher          tisch gegenüber. Heute hat sich dies geändert. Gerade in
informeller Weise erwerben, durch praktische Übung und          der Begleitung von Menschen mit Demenz erfüllt Humor
durch Sozialisationsprozesse im Feld. Um diesen Prozess         wichtige Funktionen. Die Frage lautet daher nicht mehr:
reflexiv zu begleiten, wäre eine stärkere Berücksichtigung      Humor ja oder nein? Vielmehr kommt es darauf an, Humor

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