Therapeutischer Humor auf einer Demenzstation. Ergebnisse einer ethnografischen Fallstudie
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HBScience https://doi.org/10.1007/s16024-021-00357-9 Therapeutischer Humor auf einer Demenzstation. Ergebnisse einer ethnografischen Fallstudie Martin Herberg1,2 Eingegangen: 21. Dezember 2020 / Angenommen: 27. September 2021 © Springer-Verlag GmbH Austria, ein Teil von Springer Nature 2021 Zusammenfassung Hintergrund Humor ist aus dem heutigen Gesundheitssystem nicht wegzudenken. Auch in der Betreuung demenziell erkrankter Menschen stellt Humor eine wichtige therapeutische Ressource dar. Ziel Untersucht wird, wie erfahrene Demenzbegleiter*innen in ihrer täglichen Arbeit Humor einsetzen, worauf sie dabei achten, und welche Funktionen Humor in verschiedenen Situationen erfüllt. Methode Im Rahmen einer 12-monatigen teilnehmenden Beobachtung auf einer Demenzstation wurden real auftretende Situationen beobachtet, protokolliert und mit der Methode der ethnografischen Interaktionsanalyse ausgewertet. Ergebnisse In der Demenzbetreuung erfüllt Humor viele Funktionen. Er ist ein Mittel, um die Aktivierungen attraktiv zu gestalten. Ferner hilft Humor, schambesetzte Situationen zu entschärfen. Zudem ist er eine wichtige Bewältigungsstra- tegie im Umgang mit herausforderndem Verhalten. Damit dies gelingt, ist es erforderlich, dass die Betreuungskräfte ihr Humorverhalten auf die Humorfähigkeiten und -vorlieben der Bewohner*innen abstimmen. Diskussion In der Arbeit der Betreuungskräfte, so das Ergebnis, hat Humor seinen festen Platz. Angesichts seiner Be- deutung für die Praxis sollte das Thema stärker in der Ausbildung berücksichtigt werden. Eine wichtige Errungenschaft in institutioneller Hinsicht wäre die Formulierung von Handlungsempfehlungen für den demenzgerechten Einsatz von Humor. Zu wünschen wäre ferner, dass Pflegeeinrichtungen ein internes Humor-Management einführen. Schlüsselwörter Demenzbegleitung · Humorinterventionen · Qualitative Pflegeforschung · Herausforderndes Verhalten · Humor-Management Therapeutic humour inside a dementia care ward. Results of an ethnographic case study Abstract Background Humour has become indispensable in our modern healthcare system. It also represents an important thera- peutic resource in the context of dementia care. Aim The following questions are explored. How do skilled caregivers apply humour in their work? What are the things they pay attention to? Which functions does humour serve in different care situations? Method The study is based on 12 months of ethnographic research inside a dementia care ward. Real-life interactions were observed and documented. Data were analyzed using micro-ethnographic methodology. Results In the context of dementia care, humour fulfils manifold functions. Through humour, activations can be made more attractive. Embarrassing situations can be made less face threatening. Furthermore, humour also serves as an important tool for coping with challenging behavior. In order to achieve this, it is important that caregivers adjust their humour to their clients’ cognitive skills and humour preferences. Martin Herberg martin_herberg@t-online.de 2 Bildungscampus Lauenburg, Arbeiterwohlfahrt 1 Fakultät für Gesundheit, Department für Pflegewissenschaft, Landesverband Schleswig-Holstein e. V., Universität Witten/Herdecke, 58455 Witten, Deutschland Reeperbahn 35, 21481 Lauenburg, Deutschland K
M. Herberg Conclusion As a result, humour can be said to be an intrinsic part of caregivers’ daily work. Due to its practical relevance, the issue should be given greater attention in the training of those working in this field. Institutionally, it would be an important step forward to define a set of guiding recommendations for the use of humour in dementia care. Furthermore, it would be desirable for nursing facilities to improve their organizational management of humour. Keywords Dementia care · Humor-related interventions · Qualitative research in nursing · Challenging behavior · Management of humour Hintergrund Einführung eines speziellen Humor-Managements in den Einrichtungen. Humor hat viele gesundheitsfördernde Aspekte (Hirsch Die Forschung ist selbstfinanziert. Sie ist Teil einer 2019; Titze 1995). Nach einer Zeit der Humor-Skepsis pflegewissenschaftlichen Zweitpromotion an der Univer- haben die Institutionen des Gesundheitswesens sich dem sität Witten-Herdecke, Fachbereich Gesundheit (Prof. Dr. Thema Humor nach und nach geöffnet – mit vielen positi- Werner Vogd). Kooperationen bestehen mit dem AWO Bil- ven Resultaten (Bischofberger 2008). Auch Menschen mit dungscampus Lauenburg und mit der Privaten Universität Demenz sprechen gut auf Humor an. Bei klinischen Humor- im Fürstentum Liechtenstein (Prof. Dr. Iren Bischofberger). Tests schneiden sie zwar schlechter ab als Gesunde (Clark et al. 2016). Wortspiele, Ironie und intellektueller Humor werden nicht mehr so gut verstanden. Dies heißt aber nicht, Zielsetzung und Fragestellung dass demenzbetroffene Personen den Humor verlieren. Auch für sie ist Humor eine wichtige salutogenetische Res- Wie nutzen erfahrene Betreuungskräfte Humor? Wie gestal- source. Durch Ergebnisse der Wirkungsforschung wird dies ten sie die Aktivierungen humorvoll und unterhaltsam? Mit bestätigt (Baumgartner 2016; Low et al. 2014). Regelmä- welcher Art von Humor sind demenziell veränderte Men- ßige Humor-Stimuli, etwa in Form von Clownsbesuchen, schen gut zu erreichen? Welche therapeutischen Funktionen steigern das Wohlbefinden der Betroffenen. Agitiertheit, erfüllt Humor? Dies sind die Forschungsfragen, an denen Angst und Unruhe nehmen ab. Humor reduziert Stress und die Studie sich orientiert. Die zugrunde gelegte Definition verbessert die Lebensqualität. von Humor ist relativ weit. Humor ist (a) die Fähigkeit eines So eindrucksvoll die Resultate der Wirkungsforschung Menschen, etwas als komisch wahrzunehmen, und (b) die sind – über den Humor, so wie er in den Einrichtungen Erzeugung komischer Effekte durch eigenes Tun (Berger der Demenzversorgung praktiziert und gelebt wird, ist we- 1998, S. 4; zu verschiedenen Humor-Theorien und -defini- nig bekannt. Die vorliegende Studie hat das Ziel, die Hu- tionen: Morreall 1996). mor-Strategien erfahrener Betreuungskräfte anhand realer Was Komik betrifft, so kann diese viele Quellen haben. Situationen zu analysieren, implizites Wissen und Können Oft sind es komische Kontraste und komische Inkongru- explizit zu machen und hierdurch einen Beitrag zu leisten, enzen, die zum Lachen anregen. Lustig sind Situationen, das Thema Humor der Reflexion zugänglich zu machen. in denen Unvereinbares zusammengebracht wird (Bachtin Es geht darum, Humor „in Aktion“ zu studieren. Im Fokus 1990). Auch Travestie, Rollentausch und Rollenumkehr, stehen die Praktiken, die die Betreuungskräfte anwenden, Verwechslungen und Übertreibungen wirken komisch. Eine um die Gruppenangebote lustig zu gestalten und schwierige weitere Quelle des Komischen sind Formen des Foppens, Situationen humorvoll aufzulösen. des Frotzelns und Neckens (Kotthoff 1998). Wie der Autor aus seiner Tätigkeit als Dozent für Betreu- Von zentraler Bedeutung für die vorgestellte Studie ist ungskräfte weiß, besteht seitens der Praxis großes Interesse das Konzept des therapeutischen Humors (Robinson 2002). an dem Thema. Humor ist nicht nur eine Domäne der Ge- Von therapeutischem Humor spricht man, wenn Humor da- riclowns. Wohl fast alle Demenzbegleiter*innen setzen in zu eingesetzt wird, Menschen zu aktivieren, ihnen Kompe- ihrer Arbeit Humor ein. Vieles machen sie intuitiv (van der tenzerlebnisse zu verschaffen, ihnen aus negativen Gefühls- Kooij 2017). Ziel der Studie ist es, die Einsatzmöglichkeiten zuständen herauszuhelfen oder, ganz generell, ihr Wohlbe- und Funktionen von Humor zu analysieren und in Erfah- finden zu steigern. rung zu bringen, worauf erfahrene Praktiker*innen bei ihren Therapeutischer Humor kann geplant oder spontan er- Humor-Interventionen achten. Im Schlussteil werden mög- folgen (Vergeer und McRae 1993). Bei geplanten Humor- liche organisatorische Maßnahmen diskutiert, die den pro- Interventionen wird etwas zur Anwendung gebracht, das fessionellen Einsatz von Humor begünstigen; darunter die man zuvor vorbereitet hat. Spontane Humor-Interventio- Erarbeitung praktischer Handlungsempfehlungen sowie die nen erfolgen demgegenüber aus dem Augenblick heraus, etwa wenn die Betreuungskräfte spontan lustige Impulse K
Therapeutischer Humor auf einer Demenzstation. Ergebnisse einer ethnografischen Fallstudie aufgreifen, die von den Bewohner*innen kommen. Thera- nach § 43 b) SGB XI. Dies geschah zu Forschungszwecken, peutischer Humor erfordert Intuition und Improvisations- aber auch aus persönlichen und beruflichen Interessen. Der talent (Kast 2016). Vor allem bedarf es der Fähigkeit, den Beruf der Betreuungskraft ist durch die deutsche Pflegere- Humor adäquat auf die Empfänger*innen abzustimmen. form von 2008 ins Leben gerufen worden. Die § 43 b)- Kräfte werden auch als Alltagsbegleiter, Demenzbegleiter oder „zusätzliche Betreuungskräfte“ bezeichnet (Schmidt Methode und Döbele 2019). Im Anschluss an die Ausbildung wurde der Autor reguläres Mitglied im Betreuerteam des Hau- Feldzugang ses. Im Team befanden sich noch 4 weitere Personen (Eri- ka, Hans, Inka und Manuela). Sie alle waren ausgebilde- Die Studie orientiert sich an der Methode der ethnogra- te § 43 b)-Kräfte mit vielen Jahren Berufserfahrung. Die fischen Interaktionsanalyse (Schütze 1994). Dieser Ansatz dienstälteste Kollegin war Manuela mit 12 Jahren Praxis. vereint Konzepte aus dem symbolischen Interaktionismus, Am kürzesten dabei war Inka, die ihren Kurs zur § 43 b)- der Konversationsanalyse, der Soziologie Erving Goffmans Kraft 7 Jahre zuvor gemacht hatte. Ab und zu bekam das (Goffman 1983) und der Professions- und Praxisforschung. Team Verstärkung durch Praktikant*innen. Hierzu zählte Ziel ist es, institutionelle Prozesse von innen her zu be- Maria, die 3 Wochen lang blieb. schreiben. Hierzu müssen die Forschenden sich durch einen Die Rolle des Autors in der untersuchten Institution ent- längeren Aufenthalt mit den Vorgängen im Feld vertraut sprach dem Modell einer „vollständigen Teilnahme“ (Brei- machen. Sie müssen Teil des untersuchten Praxisfeldes wer- denstein et al. 2015, S. 66). Um die für ein ethnografisches den und die nötigen „Mitspielkompetenzen“ (Hirschauer „Befremden“ notwendige analytische Distanz zu gewinnen, 2001, S. 444) erwerben. erschien es nötig, auch außerhalb der eigenen Arbeitszeiten Aus Platzgründen kann die Methode hier nicht in allen ins Haus kommen zu können, um in einer handlungsent- Einzelheiten dargestellt werden. Daher nur so viel: Als Da- lasteten Weise Beobachtungen machen zu können. Die Er- ten werden natürlich auftretende Interaktionen verwendet, laubnis hierzu wurde auch erteilt. In der Einrichtung war es die während des Feldaufenthalts beobachtet und protokol- ohnehin üblich, dass die Betreuer*innen, wann immer sich liert worden sind. Bei der Auswertung ist wichtig, die für Gelegenheit dazu bot, sich gegenseitig bei den Gruppenak- eine Analyse notwendige „Fremdheitshaltung“ einzuneh- tivitäten zusahen, um voneinander zu lernen. Den Beteilig- men (Schütze 1994, S. 189). Die Interaktionsszenen wer- ten wurde nicht mitgeteilt, dass es um das Thema „Humor“ den sequenziell interpretiert, d. h., man folgt dem Verlauf gehen solle (dies hätte einen verzerrenden Einfluss auf ihr der Ereignisse und fragt für jede einzelne Handlung, was Verhalten haben können). Als Ziel der Studie wurde ange- durch sie bewirkt wird. Auf diese Weise erhält man Einblick geben, Beispiele gelungener Aktivierungen beobachten zu in die von den Beteiligten eingesetzten Gesprächsstrategien wollen. und -techniken. Diese Techniken herauszuarbeiten, sie zu Die Ethikkommission der Deutschen Gesellschaft für typisieren und sie in ihrem Problembezug und ihrer Funk- Pflegewissenschaft hat das Forschungsvorhaben bewilligt tionalität zu beschreiben, ist Ziel der Methode. (Antrag Nr. 20-026). Von allen Akteuren und den recht- Auch die vorliegende Untersuchung fragt nach den Tech- lichen Vertreter*innen wurden schriftliche Einwilligungs- niken und Praktiken, die von den Akteuren zur Bewältigung erklärungen eingeholt. Im Sinne eines „ongoing consent“ ihrer Aufgaben eingesetzt werden, wobei – entsprechend wurde Sorge getragen, dass die Beobachtung den Bewoh- der Fragestellung der Studie – Praktiken des Humor-Ein- ner*innen nicht unangenehm war. satzes im Vordergrund stehen. Ort des Geschehens ist eine Pflegeeinrichtung in einer norddeutschen Großstadt mit ei- Datenmaterial ner eigenen Demenzstation (im folgenden „Haus Erlenhof“ genannt). Auf der Demenzstation leben 26 Bewohner*innen Über einen Zeitraum von 12 Monaten wurde Datenmaterial im mittleren und im schweren Stadium der Krankheit. Die in Form von Beobachtungsprotokollen gesammelt (Dezem- Einrichtung verfügt über ein Team von Betreuungskräften ber 2019 bis November 2020). Hierbei wurden alle Arten nach § 43 b) SGB XI, die mit den Bewohner *innen Grup- von Gruppenaktivitäten, die im Haus Erlenhof stattfanden, penaktivitäten durchführen und sie durch den Tag begleiten. einbezogen, nämlich das gemeinsame Basteln, das Singen, Aus Datenschutzgründen wurden alle Eigennamen, auch die Gymnastik und das Gedächtnistraining. Über den Be- der Name der Einrichtung, durch Pseudonyme ersetzt. Fer- obachtungszeitraum verteilt wurden 16 Aktivierungen von ner wurden alle Informationen getilgt, die Rückschlüsse auf jeweils 2 h Dauer protokolliert. Alle Mitglieder des Teams konkrete Personen hätten ermöglichen können. wurden bei den von ihnen durchgeführten Aktivierungen Worin bestand nun der Feldzugang? Zunächst absolvierte beobachtet (pro Person 4 Aktivierungen). Auch Interaktio- der Autor die 3-monatige Ausbildung zur Betreuungskraft K
M. Herberg nen, die außerhalb der Aktivierungen stattfanden (etwa bei Menschen einige Besonderheiten auf (Clark et al. 2016). den Mahlzeiten), wurden einbezogen. Die Betreuungskräfte müssen sich darauf einstellen, soll Eine darüber hinausgehende Festlegung, welche Situa- humorvoller Austausch gelingen. tionen zu beobachten seien, wurde nicht getroffen. Der Als weitere Kontrastfolie wurde das Verhalten der Prak- Grund: Neben geplanten Formen von Humor fasst die vor- tikant*innen herangezogen. Bei den Aktivierungen unter liegenden Studie auch spontan auftretenden Humor in den ihrer Regie kam es teilweise zu Interaktionsproblemen. Die Blick. Ob in einer Situation Humor auftritt oder nicht, ist betreffenden Szenen wurden als „deviant cases“ (Depper- von vornherein nicht absehbar. Aus diesem Grunde wurde mann 2000, S. 106), als abweichende Fälle, in die Untersu- ein breites Spektrum unterschiedlicher Aktivitäten in die chung miteinbezogen. Einige Male trat der Fall auf, dass bei Beobachtung einbezogen; darunter auch solche, die man den Aktivierungen unter der Leitung der Praktikant*innen ex ante vielleicht nicht mit Humor in Verbindung bringen eine angespannte, humorlose Atmosphäre herrschte. Me- würde. thodisch sind diese Szenen ein wichtiger Vergleichshori- Neben den Aktivitäten der festen Teammitglieder Erika, zont, der hilft, die Gelingensbedingungen demenztherapeu- Hans, Inka und Manuela wurden auch Aktivierungen einbe- tischer Aktivitäten kontrastiv herauszuarbeiten. zogen, die unter der Regie der Praktikant*innen stattfanden. Für den Ergebnisbericht auf den folgenden Seiten wur- Der Schwerpunkt der Studie liegt zwar auf den Humor-Ak- de eine eher überblicksartige Art der Darstellung gewählt. tivitäten der erfahrenen Betreuungskräfte. Methodisch sind Der Text bemüht sich um eine relativ kompakte Beschrei- die Praktikant*innen aber insofern von Interesse, als sie bung der Ergebnisse, die auch für Praktiker*innen attraktiv einen relevanten Kontrasthorizont dazu darstellen. An ih- ist und die sich eignet, das Phänomen des therapeutischen rem Verhalten ist ablesbar, welche Probleme bei den Akti- Humors in seiner Formenvielfalt sichtbar zu machen. Le- vierungen auftreten können; d. h., welche „Störpotenziale“ sende, die an den Sequenzanalysen zu den einzelnen Situa- (Schütze 1994, S. 204) in der Situation enthalten sind. tionen interessiert sind, seien auf die geplante Buchveröf- Das Anfertigen der Beobachtungsprotokolle ging so vor fentlichung verwiesen (Herberg 2022). Ein exemplarisches sich, dass in der konkreten Situation Notizen gemacht wur- Interpretationsbeispiel findet sich am Ende des Textes als den, die später am Schreibtisch zu detaillierten Beobach- Anhang. tungsprotokollen ausformuliert wurden (Hirschauer 2001). Als Gliederungsprinzip der folgenden Ausführungen die- Auf diese Weise sind mehr als 250 Seiten Text entstanden. nen 5 Humor-Funktionen, die sich als besonders relevant Aus diesem Material wurden alle Szenen ausgewählt, bei erwiesen haben, nämlich (1) Humor als Motivationsmittel, denen gelacht und gescherzt wurde. Diese Szenen sind die (2) Humor als Puffer gegen Scham, (3) Humor als Kreati- Fälle der Untersuchung. Der Datenkorpus umfasst eine An- vitätsförderer, (4) Humor als Ventil für Aggressionen und zahl von 60 solcher Fälle. Angemerkt sei noch, dass mit der (5) Humor als Mittel, um aufgeladene Situationen zu ent- Auswahl der Fälle noch keine Aussage darüber getroffen ist, spannen. ob es sich um angemessenen oder unangemessenen Humor handelt. Die auftretende Art von Humor für jede einzelne Situation zu analysieren ist Gegenstand der Auswertung. Ergebnisse Auswertung Humor als heiterer Motivationsförderer Die Auswertung der Beobachtungsprotokolle erfolgte se- Eine erste Funktion von Humor besteht darin, die Beschäf- quenzanalytisch. An jeder Stelle der Texte wurde gefragt: tigungsangebote attraktiv zu gestalten. Oft ist es gar nicht so Warum geschieht dies, warum geschieht es jetzt, und warum einfach, die Bewohner*innen zur Teilnahme zu motivieren. genau in dieser Weise? Weitere Fragen, die an die Inter- Gerade Berufsanfänger*innen macht dies sehr zu schaffen. aktionssequenzen gestellt wurden, lauten: Warum ist das, Humor kann helfen, das Problem zu lösen. was hier passiert, lustig? Erscheint der Humor-Einsatz der Der Betreuer Hans trug die Aufforderung zum Mitma- Betreuungskräfte professionell, und was macht ihn profes- chen oft singend vor. Er erfand kleine Reime, etwa: „Wir sionell? Welche Funktion erfüllt Humor in der jeweiligen geh’n zum Sport, alle Probleme sind dann fort“. Er unter- Situation? strich seine Gesangseinlagen mit schwungvollen Armbe- Ferner wurden Fallvergleiche durchgeführt. Zu klären wegungen und allerlei komischen Gesten. Schnell entstand war zum einen, ob vergleichbare Scherzaktivitäten auch eine heitere Stimmung, und alle bekamen Lust teilzuneh- „draußen“, zwischen gesunden Menschen denkbar wären. men. Der Humor, um den es sich dabei handelt, lässt sich Hierbei wurde gefragt: Wie sähe die betreffende Interakti- als kindlich und heiter beschreiben. Hans’ Professionalität on aus, wenn sie im normalen Alltag aufträte? Gegenüber zeigt sich hier in der Fähigkeit, spontan aus der Rolle als „normalem“ Humor weist der Humor demenzbetroffener Leiter der Gruppe herauszutreten und den Clown zu spielen K
Therapeutischer Humor auf einer Demenzstation. Ergebnisse einer ethnografischen Fallstudie (zum Einbau humorvoller Elemente in den professionellen es die lustigen Dialoge, die er mit den Bewohner*innen im- Habitus: Kast 2016). provisierte? Die Daten der vorliegenden Studie legen eine Auch die anderen Betreuungskräfte setzten Humor ein. andere, eher „ganzheitliche“ Betrachtungsweise nahe: Ein Eine der Bewohner*innen, die 95-jährige Frau Mazurek, wichtiger Erfolgsfaktor humorvoller Aktivierungen besteht stand der Gymnastik meist skeptisch gegenüber. Sie berief darin, dass die Ausführenden – in diesem Falle Hans – ganz sich dabei auf ihr hohes Alter. Die Betreuungskraft Inka lä- unterschiedliche Humor-Elemente miteinander zu kombi- chelte schelmisch und sagte: „Kommen Sie mit, mit meinen nieren in der Lage sind. Auf diese Weise wird dafür ge- Übungen werden Sie 100 Jahre alt!“ Über die Dreistigkeit sorgt, dass die Situation nicht monoton wird. Vor allem der Zusicherung musste Frau Mazurek lachen. Sie sagte: aber ist es die Einbettung der Interaktion in eine positive „So, meinen Sie?“ und ließ sich von Inka zur Gymnastik persönliche Beziehung zwischen den Bewohner*innen und bringen. Was den Betreuungskräften hier zu Hilfe kommt, den Betreuenden, die diese Art des lebendigen humorvollen ist die Empfänglichkeit demenziell erkrankter Menschen Austauschs möglich macht. für alles Emotionale (Baer und Schotte-Lange 2019). Von Fazit: Durch den Einsatz von Humor gelingt es, die einer heiteren, beschwingten Atmosphäre lassen sie sich Aktivierungen attraktiv zu gestalten. Humor hilft, die Be- leicht anstecken. wohner*innen zur Teilnahme zu motivieren. Hierbei kön- Auch bei der Durchführung der Aktivitäten ist Humor nen viele unterschiedliche Humor-Techniken zum Einsatz wichtig. Er verhindert die Entstehung einer angespannten, kommen, darunter (a) die Verwendung lustiger Requisiten, von Leistungsdruck geprägten Atmosphäre. Um die Akti- (b) Verballhornungen, (c) neckische Anspielungen auf per- vitäten aufzulockern, nutzten die § 43 b)-Kräfte ein breites sönliche Eigenschaften, (d) humorvolle Komplimente und Spektrum von Strategien. Sie verwendeten lustige Requisi- (e) das amüsierte Vorlesen von Horoskopen aus Frauenzeit- ten (etwa eine Glückwunschkarte, aus der Jodelmusik er- schriften. klang). Lieder, Gedichte und Sprichwörter wurden verball- Dass der Humor demenzbetroffener Menschen sich hornt. Eine häufig benutzte Strategie bestand darin, char- durch die Krankheit verändert, ist in der Forschungslitera- mante Anspielungen auf die Eigenschaften einzelner Teil- tur gut dokumentiert (Clark et al. 2016; Herberg 2021a). nehmer*innen in die Aktivierungen einzubauen. Beispiel: Eine wichtige Herausforderung für die Praxis besteht daher Von der Bewohnerin Frau Kranz wussten alle, dass sie einen darin, die Humor-Stimuli adäquat auf die Betroffenen zuzu- Garten besessen hatte, da sie oft davon erzählte. Also ersann schneiden. Im Haus Erlenhof schien dies zu gelingen. Der die Betreuungskraft Erika für eine ihrer Gymnastikstunden beobachtete Humor ist nicht zu intellektuell und auch nicht eine Bewegungsgeschichte mit dem Titel „Wir gehen zu zu sprachlastig. Er ist albern, neckisch und unkompliziert. Frau Kranz’ Garten und helfen ihr beim Apfelpflücken“. Dies bereitete Frau Kranz, aber auch den anderen Teilneh- Humor als Mittel gegen Scham mer*innen großes Vergnügen. Der Betreuer Hans begab sich zur Auflockerung sei- Im mittleren und späten Stadium der Demenz sind die Be- ner Bastelstunde auf das Gebiet der Astrologie. Er fragte troffenen nicht mehr in der Lage, kognitiv anspruchsvolle die Anwesenden nach ihrem Sternzeichen. Alle bekamen Aufgaben zu lösen. Aus diesem Grunde dürfen die Aufga- Sternzeichen-Bilder zum Ausmalen und zum Ausschnei- ben nicht zu schwierig sind. „Mit Fortschreiten der Krank- den. Hans verwickelte die Anwesenden in kleine Gespräche heit“, schreiben Regier et al. (2017), „benötigen Personen über ihre persönlichen Eigenschaften, und er las allen – in mit Demenz eine Vereinfachung der Aktivitäten“ (S. 994, einem amüsierten Tonfall – ihr persönliches Horoskop aus Übersetzung M.H.). Auch in Lehrbüchern für therapeutisch einer Frauenzeitschrift vor. Er machte den Frauen kleine Tätige wird darauf hingewiesen, dass Übungen, die mit de- Komplimente. Er sagte Dinge wie: „Leute mit dem Stern- menzbetroffenen Personen durchgeführt werden, umso ein- zeichen Schütze sollen ja so optimistisch sein – ja, das facher gestaltet sein müssen, je weiter die Krankheit fortge- passt zu Ihnen“. Er tat überrascht, als er erfuhr, dass die schritten ist (Eichenseer und Gräßel 2015). Hierbei besteht eher nachgiebige, geduldige Bewohnerin Frau Roth vom allerdings die Gefahr, dass die Betroffenen die Übungen Sternzeichen Stier sei. Er rief: „Was, Stier?“ und erhielt als primitiv und dümmlich empfinden und sich gedemütigt die Antwort: „Was dachten denn Sie, was ich bin, etwa fühlen. ein Lamm?“. In der heiteren Atmosphäre, die so entstand, Das folgende Beispiel illustriert dies. In forschungsprak- wirkten alle motiviert und munter. tischer Hinsicht handelt es sich bei dem Beispiel um einen Lesende, die die Szene durch die Brille der klassischen „deviant case“ (Deppermann 2000, S. 106); einen Fall also, medizinwissenschaftlichen Wirkungsforschung betrachten, der vom normalen Lauf der Dinge abweicht, und bei dem es werden vielleicht fragen: Was genau war es, das den posi- zu Störungen kommt. Das Beispiel zeichnet sich durch das tiven Effekt hatte? War es Hans’ Charme? War es der amü- Fehlen von Humor aus. Die Praktikantin Maria führte eine sierte Tonfall, in welchem er die Horoskope vorlas? Waren kognitive Aktivierung durch. Sie hatte Wollknäuel mitge- K
M. Herberg bracht. Diese sollten von den Bewohner*innen nach Farbe stimmt doch was nicht?“. Durch die humorvolle Interakti- und Größe geordnet werden. Es herrschte eine trockene, von onsrahmung konnte unangenehmen Situationen vorgebeugt Leistungsdruck geprägte Atmosphäre. Obwohl die Übung werden. Humor dient hier als Puffer gegen Scham, als Mit- einfach war, bereitete sie den Leuten Probleme. Herr Abels, tel der „Gesichtswahrung“ (Goffman 1955). einer der Anwesenden, sprang auf und rief: „Idioten! Sind Hinzugefügt sei, dass Menschen mit Demenz vieles wir denn Idioten!“. Die Übung wurde abgebrochen; Maria durcheinanderbringen und dadurch leicht zur Quelle unfrei- las stattdessen eine Geschichte vor. williger Komik werden (Wojnar 2007). Im Haus Erlenhof Was auf demenzbetroffene Personen in Situationen wie geschah es nie, dass die Betreuungskräfte über die Fehlleis- diesen verstörend wirkt, ist dies: Sie werden mit ihren kog- tungen der Bewohner*innen gelacht oder diese spöttisch nitiven Defiziten konfrontiert. Gleichzeitig sind sie aber kommentiert hätten. Auch dies ist ein Merkmal des pro- doch in der Lage zu erkennen, dass es sich bei der Übung fessionellen Umgangs mit Humor. Als eine Praktikantin um eine ganz banale Sache handelt, die eigentlich problem- einmal über eine Bewohnerin lachte (diese hatte bei der los zu lösen sein sollte (Taylor 2007). Gymnastik eine Anweisung falsch verstanden und machte Wie gelingt es, solche Situationen zu vermeiden? Eine allerlei Verrenkungen), wurde sie von den Kolleg*innen wichtige Bewältigungsstrategie besteht im Einsatz von Hu- beiseite genommen und dezent zurechtgewiesen. mor. So verwendete die Betreuungskraft Manuela für ihre kognitiven Aktivierungen Lebensmittelattrappen. In ihrem Humor als Kreativitätsförderer Fundus gab es Plastik-Früchte und Plastik-Gemüse, eine Torte aus Pappmaché, ein Hühnchen aus Gummi und viele In Studien, die mit standardisierten Humor-Tests arbeiten, andere Objekte, die als solche schon großes Komikpotenzi- werden demenzbetroffenen Personen zwar nur geringe Hu- al hatten. Das appetitliche Äußere solcher Artefakte steht in mor-Fähigkeiten bescheinigt (Clark et al. 2016). In natür- komischem Kontrast zu ihrer Ungenießbarkeit. Die Objekte lich auftretenden Situationen entfalten sie jedoch viel Hu- wurden von den Gruppenmitgliedern bestaunt und humor- mor (Dunn et al. 2013; Moos 2011). Erfahrene Betreuungs- voll kommentiert (vgl. die Analyse der Szene im Anhang). kräfte geben den Bewohner*innen Gelegenheit, eigene lus- Zusätzlich hatte Manuela echte Lebensmittel mitge- tige Ideen zu entwickeln. Auf diese Weise ermöglichen sie bracht. Die Übung bestand nun darin, Echtes von Unechtem ihnen wertvolle Kompetenzerlebnisse, denn auch demenzi- zu unterscheiden. Hierbei unterliefen den Teilnehmenden ell erkrankte Menschen genießen es, andere zum Lachen zwar Fehler. Dies war aber niemand peinlich; zeigten die bringen. Verwechslungen im Grunde ja nur, mit wie viel Geschick Eine relativ anspruchsvolle Ausdrucksform von Humor die Attrappen gefertigt waren. Humor wird hier von der ist das Erzählen lustiger Anekdoten. Die Betreuungskräfte Betreuungskraft präventiv eingesetzt, um beschämenden im Haus Erlenhof versuchten oft, die Bewohner*innen da- Situationen vorzubeugen. Wie das Beispiel zeigt, hilft Hu- zu zu animieren. Bewährt haben sich Themen wie „Als mir mor beim Aufbau dessen, was in der Demenzforschung einmal ein Missgeschick passierte“ und „drollige Erlebnis- als „therapeutische Atmosphäre“ bezeichnet wird (Sonntag se mit Haustieren“. Einige der Bewohner*innen steuerten 2016). Eine therapeutische Atmosphäre „wirkt inklusiv, tatsächlich lustige Erzählungen bei. Viele waren aufgrund vermag Menschen unterschiedlicher kognitiver Leistungs- ihrer sprachlichen Probleme allerdings nicht mehr dazu fä- niveaus einzubeziehen und Unterschiede zu integrieren“ hig. Entsprechend vorsichtig formulierten die Betreuungs- (Sonntag 2016, S. 193). Sie ist von Toleranz geprägt und kräfte ihre Erzählaufforderung; sie richteten diese entweder schützt vor Gefühlen der Peinlichkeit und Scham. an die Gruppe als Ganze oder an Personen, von denen sie „Man muss unbedingt vermeiden, dass die Leute sich wie wussten, dass diese gut erzählen konnten. in der Schule vorkommen“, wurde von den Kolleg*innen Wozu die meisten Bewohner*innen trotz ihrer sprach- oft gesagt. Zur Professionalität der § 43 b)-Kräfte gehört lichen Beeinträchtigungen in der Lage waren, waren kur- die Fähigkeit, eine heitere und beschwingte Atmosphäre zu ze lustige Antworten auf Fragen. Die Betreuerin Inka ver- erzeugen. Um dies an einem weiteren Beispiel zu verdeut- stand es virtuos, diese Ressource zu nutzen. Sie verwendete lichen: Beim kognitiven Training mit demenziell erkrank- für ihre Aktivierungen Fragen aus dem Kinderspiel „Haste ten Menschen ist es eine beliebte Übung, Sprichwörter er- Worte“. Sie fragte – mit erwartungsvollem Lächeln: „Was gänzen zu lassen, da diese im Langzeitgedächtnis gespei- kann schmelzen?“ und erhielt die Antwort: „Ich, als ich chert sind. Man kann beispielsweise fragen: „Der Apfel meinen Mann kennengelernt habe“. Oder sie fragte: „Ein fällt nicht weit vom ..., wie geht es weiter?“ Hierbei kann anderes Wort für Streit?“ Prompt kam die Antwort: „Ehe“. es jedoch passieren, dass die Anwesenden sich wie Sonder- In der heiteren Atmosphäre, die Inka schuf, hatten viele schüler behandelt fühlen. Im Haus Erlenhof verwendeten der Leute solche Einfälle, über die alle sehr lachten. Es ist die Betreuer*innen meist verballhornte Versionen. Sie sag- bezeichnend, dass die Betreuungskräfte es in Situationen ten lachend: „Morgenstund’ ist ungesund – Moment mal, da wie diesen nicht darauf anlegten, selbst besonders lustig K
Therapeutischer Humor auf einer Demenzstation. Ergebnisse einer ethnografischen Fallstudie zu sein. Ihre Professionalität dokumentiert sich in dem Be- Tag tatsächlich nicht sehr gut gewesen war. Sie versuchte mühen, den Bewohner*innen Vorlagen für eigene Humor- nicht, Frau Mazurek zu widersprechen. Durch ihr Lachen Ideen zu liefern. validierte sie Frau Mazureks Kritik als berechtigt. Eine Situation, in der die Bewohner*innen besonders Nicht alle demenziell veränderten Menschen sind in der ausgelassen miteinander scherzten, war das gemeinsame Lage, so schlagfertige Antworten zu geben. Dennoch finden Ballspielen. Die Betreuungskräfte mussten gar nicht viel sie Wege – oft mit den einfachsten Mitteln – ihren Gefühlen tun, damit eine lustige Stimmung entstand. Alle lachten, Ausdruck zu verleihen. Beispiel: Die Betreuungskraft Inka wenn der Ball aus Versehen im Abfalleimer landete, oder bemühte sich, den unterernährten Herrn Mack zum Essen wenn jemand das Ölbild an der Wand traf. Jemand über- zu motivieren. Sie sagte: „Herr Mack, bitte essen Sie den reichte den Ball seinem Nachbarn. Eine der Frauen kom- Quark“. Plötzlich begann dieser, Inkas Stimme zu imitie- mentierte dies mit den Worten: „Hier wird der Ball ge- ren. Er rief immer wieder: „Herr Mack, Quark!“. Er tat dies bracht, nicht geworfen. Beim nächsten Mal schicken wir mit einem höhnischen Tonfall. Inka lachte und fragte: „Bin ihn mit der Post“. Schnell schaukelten die lustigen Ereig- ich wirklich so schlimm?“ Herr Mack hatte, indem er Inkas nisse sich zu einer Atmosphäre ausgelassener Heiterkeit Stimme imitiert hatte, gegen ein als bevormundend empfun- hoch. In Momenten wie diesen wirkten die Beteiligten gar denes Verhalten protestiert. Inka besaß ihrerseits genügend nicht dement. Humor, dies nicht persönlich zu nehmen. Sie lachte über „Wichtig ist, dass die Leute in einen flow kommen“, sich selbst. wurde von den Betreuungskräften oft gesagt. Aufgrund ih- Eine weitere Form des humorvollen Spannungsabbaus rer Erfahrung und ihres täglichen persönlichen Umgangs ist es, wenn die Bewohner*innen sich Frotzeleien mit dem mit den Bewohner*innen können die Betreuungskräfte ein- Personal liefern. Eine besonders scharfzüngige Bewohnerin schätzen, welche Stimuli sich eignen, um humorvolle Pro- war Frau Kahn. Vor allem der Betreuer Hans wurde zu ihrer zesse in Gang zu bringen. Zudem verfügen sie über die Zielscheibe. Bei der Küchenarbeit bekam er Bemerkungen Fähigkeit, sich selbst im richtigen Moment zurückzuneh- zu hören wie „Ganz toll machen Sie das“ und „Überan- men. Dadurch entsteht Raum für die Bewohner*innen, ei- strengen Sie sich nicht“. Oft kam es vor, dass Hans sich dies gene lustige Ideen zu entwickeln. Therapeutisch ist dies von eine Weile anhörte und dann zu einem drastischen Mittel großer Bedeutung; denn andere zum Lachen zu bringen ist griff: Er warf den Küchenlappen in Frau Kahns Richtung. immer ein kleines Erfolgserlebnis. Frau Kahn lachte und quietschte laut. Oder sie sah es schon kommen und rief mit gespielter Empörung: „Unterstehen Humor als Ventil Sie sich!“ Der Humor, der hier sichtbar wird, speist sich aus klei- Humor erfüllt wichtige Funktionen der Psychohygiene (Tit- nen Respektlosigkeiten. Es ist klar, dass eine Humor-Inter- ze 1995). Oft lacht man über Dinge, die als belastend emp- vention wie diese nur innerhalb einer gut etablierten, ver- funden werden. Auch bei Menschen mit Demenz ist dies trauensvollen Beziehung möglich ist. Hans und Frau Kahn so. Ihre gesundheitlichen Einschränkungen, der als fremd- hatten eine spezielle Beziehung zueinander. Hans’ Profes- bestimmt erlebte Alltag – dies alles ist schwer zu ver- sionalität dokumentiert sich darin, dass er sich zwar einer- kraften und verlangt nach Möglichkeiten des Spannungsab- seits mit Frau Kahn auf diese etwas „handfestere“ Ebene baus (Bartholomeyczik et al. 2006, S. 14). Sarkastische und begab, dass er ihr gegenüber aber doch eine beschützende aggressive Humor-Äußerungen der Bewohner*innen sind Haltung aufrechterhielt. Dies zeigt sich daran, dass Hans keine Seltenheit (Moos 2011). Erfahrene Betreuungskräf- den Lappen stets so warf, dass Frau Kahn ihn fangen und te reagieren hierauf mit einer Haltung der Milde. Sie be- zurückwerfen konnte. Hans achtete darauf, dass die spiele- trachten aggressiven und/oder trotzigen Humor als Zeichen rischen Grobheiten nie ein gewisses Maß überschritten. des Selbstbehauptungswillens der Bewohner*innen, und sie Wenn Hans im Dienst war, waren solche scherzhaften verfügen über die Fähigkeit, auch über Witze zu lachen, die Balgereien mit Frau Kahn schon vorprogrammiert. Die Sze- auf ihre eigenen Kosten gehen. ne mit dem Lappen war beinahe so etwas wie ein festes Das folgende Beispiel veranschaulicht dies. Manuela Ritual. Sie brachte alle zum Lachen. Zum Thema der hu- hatte das Mittagessen serviert. „Möchte noch jemand einen morvollen Rituale gäbe es so manches zu sagen. Hier nur Nachschlag?“ fragte sie. „Ich möchte gern zurückschlagen“, so viel: Nicht jedes komische Ereignis wird zum Ritual. sagte die sonst eher introvertierte Frau Mazurek. Sie lach- Zum Gegenstand humorvoller Rituale werden in der Regel te höhnisch, und auch die Anwesenden lachten über das diejenigen Humor-Elemente, denen für das soziale Mitein- Wortspiel. Was die Äußerung so komisch machte, war die ander der beteiligten Akteure eine besondere Bedeutung Pointiertheit, mit der es Frau Mazurek gelungen war, ihrer zukommt (Radcliffe-Brown 1940). Was das Ritual mit dem Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Manuela lachte Lappen betrifft, so war dieses untrennbar mit der speziellen mit, allerdings etwas verlegen, da das Essen an diesem Beziehung zwischen Hans und Frau Kahn verbunden; einer K
M. Herberg Beziehung, die von ständigen Frotzeleien und Reibereien die Bewohnerin, die die Bemerkung gemacht hatte, lachte geprägt war. mit. Durch ihre Antwort war es Erika gelungen, eine freund- Humor, so das Fazit, ist nicht immer „lieb“. Die Be- schaftliche, familiäre und versöhnliche Atmosphäre zu er- treuungskräfte müssen sich viele sarkastische Bemerkungen zeugen. Die Bewohnerin, die die Bemerkung über Erikas anhören. Erfahrene Praktiker*innen nehmen diese Bemer- Hintern gemacht hatte, wurde nicht ausgegrenzt, sondern kungen mit Humor. Sie betrachten sie als das, was sie im einbezogen. Grunde sind: ein von den Bewohner*innen dringend benö- Unerfahrene Betreuungskräfte geben in solchen Situa- tigtes Ventil, um „Dampf abzulassen“. tionen manchmal schnippische Antworten („Schauen Sie sich mal selber im Spiegel an“, erwiderte eine Praktikantin, Humor als Mittel, Situationen zu entschärfen als ihr von einer Bewohnerin gesagt wurde, sie sei „fett“). Der Impuls, in solchen Situationen verbal zurückzuschla- Zur Arbeit der Betreuungskräfte zählt auch der Umgang mit gen, rührt wohl auch daher, dass man dies aus dem norma- herausforderndem Verhalten (Bartholomeyczik et al. 2006). len Alltag so gewohnt ist (Kotthoff 1998). Erikas Profes- In diese Kategorie fallen u. a. Aggressivität, enthemmtes sionalität in dem geschilderten Fall zeigt sich darin, dass Verhalten und Agitiertheit. Menschen im mittleren und im ihre Antwort versöhnlich war, inkludierend und frei von fortgeschrittenen Stadium der Demenz besitzen nicht die Aggressionen. Fähigkeit zum Emotionsmanagement, über die ein gesunder Ein Dauerbrenner in der Diskussion über herausfordern- Mensch verfügt. Nur all zu leicht steigern sie sich in negati- des Verhalten ist das Problem der Agitiertheit, etwa in Form ve Zustände hinein. Humor erweist sich hierbei als wichtige von Rufen, Schreien oder perseverierenden Fragen. Auch Bewältigungsstrategie. Er macht es möglich, schwierige Si- hier kann der Einsatz von Humor helfen. Beispiel: Hans tuationen spielerisch aufzulösen (Bischofberger 2008). räumte den Tisch ab. Frau Mazurek fragte, wo denn ihr Während des Beobachtungszeitraums im Haus Erlen- Ehering sei (dieser wurde, da er ihr zu weit geworden war, hof geschah es mehrere Male, dass zwischen den Bewoh- in einer Schatulle in ihrem Zimmer aufbewahrt). Hans er- ner*innen Streit ausbrach. Der Auslöser war oft gering- klärte also, der Ring sei in Frau Mazureks Zimmer. Frau fügig. Die Betreuungskräfte hatten verschiedene Strategi- Mazurek nahm dies zur Kenntnis, fragte aber wenige Mi- en, mit solchen Situationen umzugehen. Oft waren ihre nuten später wieder nach dem Ring. Um sie abzulenken, Interventionen clownesk und heiter. So griff Inka, als sie improvisierte Hans einen kleinen, scherzhaften Dialog. Er die Gruppe eines Tages im schlimmsten Streit antraf, zu bat Frau Mazurek, ihm ein paar Sätze in ihrer polnischen folgendem Mittel: Sie breitete die Arme aus und sang – Muttersprache beizubringen. Vor allem wollte er wissen, mit heiterer Miene, großen Gesten und mit einer Stimme wie man auf Polnisch Liebeserklärungen macht. Frau Ma- wie eine Opernsängerin: „Schenkt Euch immer nur Lie- zurek ließ sich darauf ein. Das Problem mit dem Ring war be, schenkt Euch immer Vertrauen“. Das Lied, aus dem die schnell vergessen. Hans’ Aussprache wurde von ihr liebe- Stelle stammt, hatte sie mit der Gruppe schon oft gesungen. voll-spöttisch korrigiert. Beim Üben das Satzes „kocham Schnell hatte sie die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Al- ҫie“ („ich liebe Dich“), sagte sie lachend: „Wenn Sie das le lachten. so aussprechen, denkt die Frau, Sie wollen ihr was kochen“. Inkas Humor-Intervention zeugt von großer Geistesge- Über diese Szene amüsierte sich die ganze Gruppe. genwart und einem gewissen schauspielerischen Talent. Das Humor hilft, so das Fazit, auch und gerade in problema- gewählte Lied lässt sich als ironischer Kommentar zum Ver- tischen Situationen. Menschen mit Demenz haben wenig halten der Leute in der aktuellen Situation interpretieren. Einsichtsvermögen. Mit energischem Zureden oder Appel- Komisch wurde die kleine Gesangseinlage aber erst durch len an ihre Vernunft kommt man nicht weiter (Sachweh die Weise, in der sie von Inka präsentiert wurde; nämlich 2019). Durch humorvolle Interventionen schaffen es er- mit großen Gesten und übertriebenem Pathos. fahrene Betreuungskräfte, den erwünschten Stimmungsum- In der Arbeit mit demenziell veränderten Menschen kann schwung herbeizuführen und die Situation zu entschärfen. es passieren, dass man sich allerlei beleidigende Äußerun- gen anhören muss. Teilweise ist der Humor der Betroffenen grob und verletzend (Clark et al. 2016). Die Betreuungs- Diskussion kraft Erika bekam einmal von einer der Bewohner*innen gesagt: „Du hast einen breiten Hintern“. Die Bewohnerin Das Leben auf einer Demenzstation muss keineswegs, wie grinste dabei höhnisch. Erika schenkte dem beleidigenden man als Außenstehender vielleicht meinen könnte, traurig Gehalt der Äußerung keine Beachtung. Sie sagte: „Ja gut, und deprimierend sein. Wie die Ergebnisse zeigen, wird in in meiner Familie war es so, meine Kinder sind in die Höhe der Betreuung von demenziell veränderten Menschen viel geschossen, und ich bin immer mehr in die Breite gegan- gelacht. Humor fällt nicht nur in die Domäne der viel beach- gen“. Alle Anwesenden mussten darüber sehr lachen. Auch teten Gericlowns. Auch die Betreuungskräfte nach § 43 b) K
Therapeutischer Humor auf einer Demenzstation. Ergebnisse einer ethnografischen Fallstudie setzen in ihrer Arbeit Humor ein, und sie entwickeln hierbei ckener Humor, bei dem man etwas lustig meint, es aber viel Kreativität und große Spontaneität. ernst vorträgt, sind im Kontext der Demenzbegleitung un- An den Ergebnissen der Studie überrascht v. a. das, was angemessen. Die Betreuungskräfte setzten ihre Humor-Bei- man als den „Vielzweckcharakter“ von Humor bezeichnen träge wirkungsvoll in Szene. Sie trugen Dinge singend vor. könnte. Humor erfüllt viele Funktionen. Er dient als Moti- Sie machten allerlei Faxen und lustige Gebärden. Sie ver- vationsquelle und als Bewältigungsstrategie in problemati- wendeten komische Requisiten, sie verwickelten die Be- schen Situationen. Humor fungiert als Puffer gegen Pein- wohner*innen in lustige Spiele, und sie legten hierbei auch lichkeit und Scham. Teilweise dient Humor den Bewoh- selbst große Spielfreude an den Tag. Ferner nutzten sie For- ner*innen als Ventil, ihre Aggressionen auszuagieren. Er- men eines „flirtatious humour“ (Attardo 2020, S. 279), also fahrene Betreuungskräfte wissen dies und reagieren hierauf eines flirtartigen Humors. mit der nötigen Milde. Bemerkenswert ist ferner, dass die Betreuungskräfte Wie bei jedem Therapeutikum, so kommt es auch beim – anders als dies im normalen Alltag üblich ist – auf Humor darauf an, ihn zum richtigen Zeitpunkt und in der Schlagfertigkeit weitgehend verzichteten. Auf verbale An- richtigen Dosis einzusetzen (Hirsch 2019, S. 140). Zum griffe der Bewohner*innen gaben sie in vielen Fällen zwar therapeutischen Einsatz von Humor gehört auch, dass die humorvolle Erwiderungen. Ein „Zurückzahlen mit gleicher Betreuungskräfte sich im richtigen Moment mit eigenen Münze“ wurde hierbei aber vermieden. Teilweise lieferten Humor-Beiträgen zurückhalten und stattdessen den Bewoh- die Betreuungskräfte sich mit einzelnen Bewohner*innen ner*innen Gelegenheit geben, selbst lustige Ideen zu ent- Frotzeleien und lustige Rangeleien. Hierbei wurde aber wickeln. Humor wird so zum heiteren Kreativitätsförde- darauf geachtet, dass dies in einer vorsichtigen und rück- rer. Das Spektrum dessen, was mit Humor bewirkt werden sichtsvollen Weise geschah. kann, ist weit gefächert. In vorliegenden medizinwissenschaftlichen Studien wer- den die Humor-Fähigkeiten demenziell erkrankter Men- Limitationen schen eher gering eingestuft (Clark et al. 2016). Vor al- lem bei Humor-Tests unter Laborbedingungen schneiden Ethnografische Forschung zählt zum festen Methodenar- die Betroffenen schlecht ab. Sie haben Mühe, die ihnen prä- senal der Gesundheitswissenschaften (Soom-Ammann und sentierten Witzbilder zu verstehen. Die Krankheit scheint Holten 2017). Die klassischen Gütekriterien standardisier- dazu zu führen, dass ihr Humor verkümmert. Die Resultate ter Forschung lassen sich auf ethnografische Beiträge nur dieser Untersuchungen müssen im Licht der hier skizzierten bedingt anwenden. Der Vorzug ethnografischer Forschung Beobachtungen kritisch gesehen werden. Beobachtet man liegt in ihrem hohen Entdeckungs- und Explorationspoten- das Verhalten demenziell veränderter Menschen unter na- zial, ihrer Praxisnähe und in der Natürlichkeit der verwen- türlichen Bedingungen, so stellt man fest, dass sie über er- deten Daten. hebliche Humor-Ressourcen verfügen. Sie lassen sich auf Zu Aussagen, wie sie im Rahmen standardisierter For- vielerlei Formen des humorvollen Austauschs mit den Be- schung generiert werden, kann man im Rahmen ethnogra- treuungskräften und mit anderen Bewohner*innen ein. fischer Studien zwar nicht gelangen. Dies betrifft insbeson- Der Humor demenziell veränderter Menschen sollte da- dere die objektive Messung von Ursache-Wirkung-Zusam- her auf keinen Fall unterschätzt werden. Er ist eine wichti- menhängen. Am Beispiel der Humor-Forschung: Wie stark ge therapeutische Ressource. Gleichwohl ist unübersehbar, durch den Einsatz von Humor Stress reduziert wird, in wie dass der Humor, bedingt durch die Krankheit, Veränderun- viel Prozent der Fälle durch Humor Angst, Aggression oder gen unterliegt (Herberg 2021a). Der Humor wird einfacher, Agitiertheit bekämpft werden kann – Antworten auf Fragen kindlicher, teilweise auch enthemmt und sozial rücksichts- wie diese wird man innerhalb eines qualitativen Untersu- los. Menschen mit Demenz mögen Slapstick und clownes- chungsdesigns nicht erwarten dürfen. Sie sind Gegenstand ken Humor (Sachweh 2019, S. 164). Sie besitzen die Fä- quantitativer Humor-Studien (Low et al. 2014). higkeit zur Hingabe an den Augenblick und zur Hingabe an Dennoch leistet die vorgestellte Studie einen relevan- das Spiel (Wojnar 2014). Die Betreuungskräfte, die im Rah- ten Beitrag. Sie ermöglicht es, erfahrenen Betreuungskräf- men der vorliegenden Studie beobachtet wurden, haben von ten gewissermaßen über die „Schulter“ zu schauen und zu dieser Ressource ausgiebig Gebrauch gemacht. Geschickt analysieren, wie sie ihre Aufgaben erfüllen. Was auf diese stellten sie sich auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten ihrer Weise rekonstruierbar wird, ist das informelle Praxiswis- Schützlinge ein. sen, das sich im Feld der Demenzbegleitung herausgebildet Eine Besonderheit des beobachteten Humors besteht da- hat, basierend auf praktischer Übung und beruflicher Er- rin, dass die Betreuungskräfte in der Regel recht starke fahrung (van der Kooij 2017). Man erfährt, wie Humor von Humor-Signale einsetzten. Menschen mit Demenz benö- den 43 b)-Kräften in ihrer täglichen Arbeit eingesetzt wird, tigen Eindeutigkeit (Sachweh 2019, S. 46). Ironie und tro- K
M. Herberg und welche Funktionen Humor im Rahmen real stattfinden- des Themas im Rahmen der Ausbildung wichtig. Der Autor der Interaktionen konkret erfüllt. macht mit seinen Humor-Kursen für Betreuungskräfte, die Was die Generalisierbarkeit der Ergebnisse betrifft, so er im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent am Bildungscam- handelt es sich um eine Einzelfallstudie. Untersucht wur- pus der AWO in Lauenburg anbietet, insgesamt sehr gute den die Humor-Praktiken in einer einzelnen Einrichtung. Erfahrungen. Die Herausforderung für weitere Studien besteht nun darin, Der zweite Vorschlag bezieht sich auf die Erarbeitung die Ergebnisse mit Beobachtungen aus anderen Einrichtun- spezieller Rahmenempfehlungen zum Einsatz von Humor gen zu kontrastieren. Hierbei müssten neben regionalen Un- in der Demenzbetreuung. Ein solcher Text könnte dazu bei- terschieden auch organisatorisch-institutionelle Faktoren in tragen, für Akzeptanz zu sorgen und den Praktiker*innen den Blick gefasst werden. Zu erforschen wäre auch, wel- als Orientierungshilfe zu dienen. Es ist klar, dass ein Phäno- chen Einfluss die Einführung eines speziellen Humor-Ma- men wie der Humor, der ja sehr von Kreativität und Spon- nagements auf die Praxis der Ausführenden hat. Was das taneität lebt, sich nicht in derselben Weise standardisieren Haus Erlenhof betrifft, so entsprach dieses hinsichtlich Grö- lässt, in der andere Tätigkeiten sich standardisieren lassen. ße und Ausstattung dem sog. Durchschnittstyp deutscher Der anvisierte Leitlinientext hätte die Funktion, relevante Pflegeeinrichtungen. Das Haus hatte weder ein spezielles Erfahrungen zusammenzufassen und Prinzipien zu definie- Humor-Management, noch hatte es sich das Thema Humor ren, die den Einsatz von Humor am Ideal einer validieren- offiziell auf die Fahnen geschrieben. Die Humor-Praktiken, den und wertschätzenden Betreuung ausrichten. die auf operativer Ebene entstanden sind, stimmen optimis- Nun ist es so, dass es solche Leitlinien zum Humor-Ein- tisch, dass sich Ähnliches evtl. auch in anderen Einrichtun- satz in medizinischen Kontexten bereits gibt. Ein bekann- gen vorfinden lässt. tes Beispiel ist der Ethik-Kodex der Initiative HumorCare (2021). Die existierenden Regelwerke sind aber sehr ab- strakt und unspezifisch. Ein Text mit Empfehlungen speziell Schlussfolgerungen für den Humor-Einsatz in der Demenzbetreuung hätte er- heblichen Mehrwert. Einen Entwurf für einen solchen Text Zu den Schlüsselqualifikationen heutiger Demenzbeglei- hat der Autor an anderer Stelle skizziert (Herberg 2021b). ter*innen zählt neben Empathie, Geduld und Fachwissen Es ist klar, dass ein solcher Text mit (Rahmen-)Empfeh- auch Humor. Richtig angewendet, hat Humor großes thera- lungen nur in einer konzertierten Aktion von Wissenschaft peutisches Potenzial. Durch Humor kann, wenn er adäquat und Praxis erlassen werden kann. Mögliche Plattformen da- auf die Bedürfnisse der Bewohner*innen abgestimmt ist, für wären: Bildungseinrichtungen; Initiativen von Gesund- eine Atmosphäre geschaffen werden, die motivierend und heitsbehörden oder evtl. auch eine Initiative des oben er- mitreißend ist und in der alles Belastende leicht und hei- wähnten Krankenkassenspitzenverbands, der ja auch schon ter wird. Genau wie gesunde Menschen, so haben auch die Betreuerrichtlinie verabschiedet hat. demenziell veränderte Personen das Bedürfnis, gemeinsam Drittens wäre über die Einführung eines speziellen Hu- mit anderen zu lachen und zu scherzen. Humor ist daher mor-Managements in den einzelnen Häusern nachzuden- ein wichtiges therapeutisches Werkzeug in einem ganzheit- ken. Humor hat auch eine organisatorische Seite. Im Rah- lichen und personenzentrierten Betreuungsansatz (Kitwood men der Pflegedokumentation sollte stärker als bisher be- 2019). rücksichtigt werden, welche Arten von Humor sich im Um- Um dem Humor auch institutionell einen angemesse- gang mit einzelnen Bewohner*innen bewährt haben. Sinn- nen Stellenwert einzuräumen, sollen zum Abschluss drei voll erscheint es auch, die Humor-Präferenzen der Bewoh- Vorschläge gemacht werden. Der erste Vorschlag bezieht ner*innen im Rahmen der Anamnese und der Biografiear- sich auf die Ausbildung. Die Schulung der § 43 b)-Kräf- beit zu berücksichtigen (Hirsch 2019, S. 236). Wichtig wäre te orientiert sich an der vom Spitzenverband der gesetzli- ferner die Durchführung regelmäßiger Humor-Fortbildun- chen Krankenkassen verabschiedeten „Richtlinie zur Quali- gen für die Betreuungskräfte, bei denen unterschiedliche fikation von zusätzlichen Betreuungskräften“ (Schmidt und Einsatzmöglichkeiten von Humor vorgestellt und diskutiert Döbele 2019). Die Betreuungskräfte lernen verschiedene werden. Zu einem funktionierenden Humor-Management Aktivierungsmöglichkeiten kennen. Sie haben die Fächer gehört auch, last but not least, dass den Ausführenden die Krankheitslehre, Ernährungslehre und Kommunikation. Ein nötigen Requisiten zur Verfügung stehen. Fach „humororientierte Betreuung“ fehlt bislang. In der Vergangenheit, so das Fazit, stand man in den In- Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es so, dass die Betreu- stitutionen des Gesundheitswesens dem Humor eher skep- ungskräfte die einschlägigen Humor-Kompetenzen in eher tisch gegenüber. Heute hat sich dies geändert. Gerade in informeller Weise erwerben, durch praktische Übung und der Begleitung von Menschen mit Demenz erfüllt Humor durch Sozialisationsprozesse im Feld. Um diesen Prozess wichtige Funktionen. Die Frage lautet daher nicht mehr: reflexiv zu begleiten, wäre eine stärkere Berücksichtigung Humor ja oder nein? Vielmehr kommt es darauf an, Humor K
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