Coping und Resilienz Individuelle Handlungen und persönliche Eigenschaften zur Stressbewältigung
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Coping und Resilienz Individuelle Handlungen und persönliche Eigenschaften zur Stressbewältigung Stressbedingte Erkrankungen nehmen zu und Stressprävention wird vermehrt zu einer betrieblichen Aufgabe. Neben der Vermeidung von Stress kann ein bewussterer Umgang mit Arbeitsstress dazu beitragen, seine negativen Konsequenzen für Mitarbeiter und Unternehmen zu reduzieren. Hierbei können die Konzepte Coping und Resilienz einen Beitrag zum Verständnis der Gesunderhaltung von Mitarbeitern leisten. Dieser Beitrag stellt beide Konzepte vor und diskutiert Implikationen für Wissenschaft und Praxis. Ingo Klingenberg, M.A., Prof. Dr. Stefan Süß ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr- ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirt- stuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. schaftslehre, insb. Arbeit, Personal und Arbeit, Personal und Organisation an der Organisation an der Heinrich-Heine-Univer- Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. sität Düsseldorf. Bevorzugte Forschungsge- Bevorzugte Forschungsgebiete: Arbeits- biete: Arbeitsstress, Personalmanagement. stress, Coping, Resilienz. Summary: The number of stress-related diseases is in- Krankenkasse, 2018, S. 67). Psychisch bedingte Krank- creasing. Thus, stress prevention is becoming a more schreibungen dauern meist überdurchschnittlich lange operational task for organizations. Besides the preven- und sind einer der häufigsten Gründe für Frühverrentun- tion of stress, awareness in terms of the handling of gen (vgl. Meyer/Böttcher/Glushanok, 2015, S. 341; 370). stress can help to reduce its negative outcomes for or- Häufig sind psychische Erkrankungen auf übermäßigen ganizations. For this purpose, the concepts of coping Stress zurückzuführen (vgl. Rau/Buyken, 2015, S. 121 ff.). and resilience can help to foster health of employees. Stress kann allerdings auch der Auslöser für physische Be- This article aims to introduce these concepts and to schwerden wie Rücken- und Kopfschmerzen sein (vgl. discuss possible implications for scientists and practi- Nixon et al., 2011), die ebenfalls zu hohen Ausfallzeiten tioners. führen können (vgl. Techniker Krankenkasse, 2018, S. 67). Für Unternehmen hat insbesondere die hohe Anzahl stress- Stichwörter: Arbeitsstress, Betriebliches Gesund- bedingter Fehltage und Frühverrentungen negative Konse- heitsmanagement, Coping, Resilienz, Stressbewäl- quenzen, allerdings kann Stress auch zu einem Motivati- tigung ons- und Leistungsrückgang bei Mitarbeitern führen und somit Produktions- bzw. Vertriebseinbußen nach sich zie- hen. 1. Relevanz Um die Arbeitskraft von Mitarbeitern aufrechtzuerhalten, wird Stressprävention vermehrt (auch) zu einer betrieb- Psychische Erkrankungen sind eine der häufigsten Ursa- lichen Aufgabe und findet zunehmend u. a. im betrieb- chen für Krankschreibungen in Deutschland (vgl. Techniker lichen Gesundheitsmanagement Beachtung (vgl. Gunkel/ 18 WiSt Heft 4 · 2020
Klingenberg/Süß, Coping und Resilienz Böhm/Tannheimer, 2014, S. 258). Um betriebliche Prozesse deutet dies, dass Individuen bei Stress auf unterschied- entsprechend zu gestalten, ist es für Unternehmen wichtig, liche Copingstrategien zurückgreifen können, aber, be- die Ursachen für Stress zu kennen. Der Auslöser von Stress dingt durch den Copingstil, meist gleiche oder ähnliche Co- sind Stressoren. So werden Reize bezeichnet, die die Ge- pingstrategien bevorzugt heranziehen. fahr erhöhen, Stress zu empfinden. Im betrieblichen Kon- Coping wird in der Literatur nach verschiedenen Merkma- text gelten u. a. eine zu lange Arbeitszeit, zu hohe Anfor- len klassifiziert. Eine etablierte Unterteilung von Coping derungen, Zeitdruck, Rollenkonflikte, Lärm, Kälte sowie geht auf das Transaktionale Stressmodell nach Lazarus Probleme mit Kollegen oder Vorgesetzten als mögliche (vgl. Lazarus/Folkman, 1987) zurück. Darin wird zwischen Stressoren (vgl. z. B. Richter/Hacker, 1998, S. 127). Die Re- problemorientiertem und emotionsorientiertem Coping un- duktion von potenziellen Stressoren ist eine wirkungsvolle terschieden. Problemorientiertes Coping beschreibt eine Maßnahme, um Stress entgegenzuwirken, da die Gefahr konkrete Handlung mit dem Ziel, Stressoren entgegenzu- Stress zu empfinden bei einer Arbeitsumgebung mit weni- wirken oder diese zu eliminieren. Der Stressor ist somit das gen Stressoren geringer ist. Allerdings unterscheidet sich primäre Ziel dieser Copingstrategien. Darunter fällt z. B. die Intensität, wie Stress wahrgenommen wird, subjektiv. das Ansprechen von Problemen oder schnelleres Arbeiten, So ist es einigen Menschen möglich, Stress nach kürzester um Zeitdruck zu reduzieren. Beim emotionsorientierten Zeit zu bewältigen, während andere lange und intensiv Coping steht hingegen das Regulieren der durch Stressoren Stress verspüren. Dabei erhöht insbesondere langanhalten- ausgelösten Emotionslage im Fokus. Es wird versucht, das der und intensiver Stress die Wahrscheinlichkeit langfristi- Stressempfinden zu reduzieren oder durch andere Emotio- ger, negativer gesundheitlicher Folgen. nen zu ersetzen. Beispiele dafür sind u. a. positives Um- Insbesondere individuelle Handlungen zur Stressbewälti- denken bzw. die Neubewertung einer Situation, das Lästern gung, wie das Coping, und persönliche Eigenschaften, wie mit Kollegen oder die Einnahme von Alkohol oder Tablet- die individuelle Resilienz, haben Einfluss darauf, ob und ten. wie intensiv Stress empfunden wird. Aufgrund der Zunah- Bei einer anderen Art Coping zu klassifizieren, steht die me von empfundenem Stress wird es für Wissenschaft und Aktivität, die beim Coping gezeigt wird, im Vordergrund. Praxis zunehmend wichtiger zu verstehen, wie Coping und Dabei wird zwischen Engagement Coping und Disengage- Resilienz zur Gesunderhaltung der Mitarbeiter beitragen ment Coping unterschieden. Das Engagement Coping be- können. Vor diesem Hintergrund besteht das Ziel des Bei- schreibt die aktive Auseinandersetzung mit Stressoren und trags darin, Coping und Resilienz unter Berücksichtigung enthält dabei Elemente, die auch dem problem- und emo- von empirischen Erkenntnissen zu ihren Einflussfaktoren tionsorientiertem Coping zugerechnet werden können (vgl. und Auswirkungen systematisch darzustellen. Weiterhin Carver, 2013, S. 497 f.). Es wird versucht, durch Coping sollen die Unterschiede sowie die Gemeinsamkeiten beider Stress aktiv zu beenden. Das Disengagement Coping ent- Konstrukte herausgearbeitet und diskutiert werden. Ein hält hingegen eine Umgehung des Problems, um dem Ausblick schließt den Beitrag ab. Stress auszuweichen. Dabei kann größerer Stress meist kurzfristig vermieden werden, allerdings behebt eine sol- 2. Coping che Vermeidung langfristig in der Regel nicht die Ursachen des Problems, sodass dieses andauert (vgl. Carver, 2013, 2.1. Begriff S. 497 f.). Eine Ausnahme bilden hierbei Stressoren, die le- diglich temporär auftreten, sodass Vermeidung in diesem Unter Coping werden kognitive Prozesse und Handlungen Fall sogar der effizientere Weg sein kann Stress zu bewälti- verstanden, die das Ziel haben, Schwierigkeiten, wie z. B. gen, da keine besonderen Anstrengungen gemacht werden Stress, zu bewältigen (vgl. Dewe/O’Driscoll/Cooper, 2010, müssen und der Stress sich von alleine legt (vgl. Aldwin, S. 153 f.). Dabei bezeichnet man die tatsächliche Reaktion 2009, S. 342). in Bezug auf unterschiedliche Stressoren oder Kontexte, in In der Literatur wird auch nach dem Zeitpunkt des Copings denen Stress erlebt wird, als Copingstrategie (vgl. Dewe/ differenziert. Dabei gehen klassische Ansätze von einem O’Driscoll/Cooper, 2010, S. 153). Sie ist kurzfristig ausge- reaktiven Coping aus, d. h. Individuen wenden eine Co- richtet und kann in Hinblick auf verschiedene Stressoren pingstrategie an, nachdem oder während sie einem Stressor variieren. Beim Copingstil wird davon ausgegangen, dass ausgesetzt sind bzw. Stress empfinden (vgl. O’Driscoll, Individuen in verschiedenen Situationen immer wieder zu 2013, S. 89). Das proaktive Coping hingegen beschreibt ähnlichen Copingstrategien tendieren und der Copingstil ein präventives Vorgehen, bei dem Individuen sich auf po- eine Art Charaktereigenschaft darstellt, die mit der Zeit rei- tenzielle Stressoren vorbereiten, um das daraus resultie- fen bzw. sich weiterentwickeln kann, aber relativ konstant rende Stressempfinden abzumildern (vgl. O’Driscoll, 2013, bleibt (vgl. Aldwin, 2009, S. 129). Zusammengefasst be- S. 90). WiSt Heft 4 · 2020 19
Wissenschaftliche Beiträge 2.2. Empirische Erkenntnisse zu Einflussfaktoren und kungen (z. B. Burnout) im Fokus. Allerdings lässt sich kei- Auswirkungen ne grundsätzlich überlegene Copingstrategie identifizie- ren. Vielmehr kann die Effektivität einzelner Copingstrate- Coping findet bereits seit den 1950er Jahren als Moderator gien nur für bestimmte Kontexte angenommen werden. zwischen Stress und Krankheit Anwendung. Nach der Ent- Frühere Studien geben Grund zu der Annahme, dass insbe- wicklung des transaktionalen Stressmodells nach Lazarus sondere problemorientiertes Coping und aktives Coping ge- fand Coping insbesondere in den 1980er Jahren große Be- nerell effektiver sind, als vermeidendes oder emotionsori- achtung von Forschern aus unterschiedlichsten Diszipli- entiertes Coping. Diese Annahmen wurden in anderen Stu- nen. Dabei lässt sich die Forschung in zwei wesentliche dien allerdings widerlegt, sodass viele Wissenschaftler heu- Teilbereiche einteilen. Auf der einen Seite werden Einfluss- te von einer Goodness-of-Fit-Hypothese ausgehen. Dem- faktoren erforscht. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, nach gibt es für spezielle Situationen Copingstrategien, die was dazu führt, dass Individuen zu bestimmten Copingstra- wirkungsvoller sind, während diese in anderen Situationen tegien tendieren. Auf der anderen Seite stehen die Auswir- nicht effektiv sind (vgl. Bengel/Lyssenko, 2012, S. 81). kungen von Coping im Vordergrund. Dabei stellt sich vor allem die Frage danach, welche Copingstrategien effektiv 3. Resilienz sind. Ein wesentlicher Einflussfaktor auf der individuellen Ebe- 3.1. Begriff ne ist die Persönlichkeit. Empirische Studien zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen bestimmten Persönlichkeits- Der Begriff Resilienz hat seinen Ursprung in den Naturwis- merkmalen und dem Copingstil besteht. Beispielsweise nei- senschaften und bezeichnet die Eigenschaft von Materiali- gen Menschen mit einer sehr gewissenhaften Persönlich- en oder Gegenständen, die nach Einwirkungen von äuße- keit eher dazu, Probleme klären zu wollen und sich ge- ren Einflüssen, ihren ursprünglichen Zustand behalten danklich neu zu ordnen als neurotische Persönlichkeiten. oder wiedererlangen (vgl. Gunkel/Böhm/Tannheimer, 2014, Neurotizismus hat daher meist einen positiven Zusammen- S. 258). Analog dazu wird der Begriff in den Verhaltenswis- hang mit emotionsorientiertem Coping. Außerdem neigen senschaften als Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastun- sowohl extravertierte als auch neurotische Persönlichkei- gen, wie z. B. Stress, verstanden (vgl. Henninger, 2016, ten dazu, soziale Unterstützung zu suchen (vgl. Connor- S. 158). Smith/Flachsbart, 2007). Neben der Persönlichkeit gilt In der wissenschaftlichen Literatur existieren verschiede- auch das Alter als Einflussfaktor auf den Copingstil. So ha- ne Definitionen von Resilienz, die sich anhand mehrerer ben ältere Menschen häufig Fähigkeiten und Routinen ent- Merkmale unterscheiden. Von (1) Stressresistenz spricht wickelt, die sie Stressoren einfacher bewältigen lassen (vgl. man, wenn Menschen eine Immunität gegen Stress entwi- Aldwin, 2009, S. 292). ckelt haben, d. h. Resilienz schützt vor Stress. Dieser prallt Auch soziale Faktoren nehmen Einfluss auf den Copingstil. sozusagen an den Betroffenen ab. Bei einem Begriffsver- Empirische Studien konnten zeigen, dass zum Beispiel Ehe- ständnis als (2) Regeneration wird davon ausgegangen, paare, bei denen ein Partner eine schwere Krankheit erlitt, dass resiliente Menschen zwar Stress empfinden, dieses dyadisches Coping zeigten und die Copingstrategie des Empfinden allerdings nur kurzfristig anhält und der resili- einen zudem die des anderen beeinflusste (vgl. Aldwin, ente Mensch sich, im Gegensatz zum nicht resilienten, voll- 2009, S. 244). Zudem wurde bereits mehrfach gezeigt, dass ständig von Stress erholt. Laut der Definition von Resilienz Menschen aus einem ähnlichen räumlichen Milieu (z. B. als (3) Rekonfiguration, zeichnet sich ein resilienter Armutsviertel) oder kulturellen Umfeld auf ähnliche Co- Mensch dadurch aus, dass er nach traumatischen Erfahrun- pingstrategien zurückgreifen (vgl. Dewe/Cooper, 2017, gen sein Verhalten oder seine Kognition anpasst und sich S. 151). Auf betrieblicher Ebene kann dies z. B. bedeuten, somit zukünftig vor ähnlichen Erfahrungen schützt (vgl. dass das Organisationsklima, die Organisationskultur oder Bengel/Lyssenko, 2012, S. 25). die soziale Unterstützung von Kollegen, dazu führen, dass Es gibt unterschiedliche Auffassungen über die Stabilität ähnliche Copingstrategien auf betriebliche Stressoren an- von Resilienz. So gibt es Ansätze, die Resilienz als relativ gewandt werden. stabile Charaktereigenschaft sehen. Danach ist Resilienz Bezüglich der Auswirkungen von Coping wird häufig die schwer beeinflussbar und es gibt resiliente Personen, die moderierende Wirkung von Copingstrategien erforscht, die schwierige Situationen generell besser überstehen können dafür sorgt, das Stressempfinden zu mildern. Dabei stehen als nicht resiliente Menschen (vgl. Lee et al., 2013, S. 269). u. a. verschiedene Stressoren (z. B. Arbeitsanforderun- Demnach ist Resilienz auf genetische Faktoren oder die gen), verschiedene Copingstrategien (z. B. Suche von so- kindliche Frühentwicklung zurückzuführen und bei er- zialer Unterstützung, Vermeidung) oder bestimmte Auswir- wachsenen Menschen nur noch schwer zu beeinflussen. 20 WiSt Heft 4 · 2020
Klingenberg/Süß, Coping und Resilienz Neuere Ansätze sehen Resilienz hingegen als eine aus der Merkmale dazu führen, dass ein Mensch widrige Situatio- Interaktion zwischen Mensch und Umwelt resultierende Fä- nen besser überstehen kann. Als Schutzfaktoren gelten higkeit (vgl. Lee et al., 2013, S. 269; Gunkel/Böhm/Tann- z. B. Humor, Hoffnung, ein hohes Selbstwertgefühl und heimer, 2014, S. 258). Resilienz wird in dieser Sichtweise Religiosität. Auf betrieblicher Ebene haben insbesondere auch vom sozialen Umfeld, wie bspw. dem sozialen Milieu, Schutzfaktoren Relevanz, die im Erwachsenenalter noch Organisationen oder der Gesellschaft beeinflusst (vgl. Hoff- veränderbar und vor allem durch den Betrieb förderbar sind mann, 2016, S. 64 f.). Resilienz gilt in diesem Ansatz als (vgl. Gunkel/Böhm/Tannheimer, 2014, S. 259), z. B. sozia- erlernbar und wird z. B. durch die erfolgreiche Bewältigung le Unterstützung, Selbstwirksamkeit, Kohärenzgefühl, Op- von Krisen gestärkt (vgl. Henninger, 2016, S. 160). timismus und Achtsamkeit (vgl. Gunkel/Böhm/Tannheimer, Im Hinblick auf die Universalität gibt es auch Ansätze, die 2014, S. 259; Soucek et al., 2015, S. 14). Resilienz nicht als situationsübergreifende Eigenschaft se- Einen weiteren Forschungsschwerpunkt bildet die Resilien- hen, sondern es wird von mehreren Resilienzen ausgegan- zentstehung. Dabei zeigt sich, dass manche Schutzfaktoren gen, die immer vom Kontext abhängig sind. Resilienz ent- genetisch begünstigt oder durch das Geschlecht determiniert steht dann für bestimmte Stressoren, die in der Vergangen- und somit nicht oder kaum beeinflussbar sind (vgl. Hennin- heit bereits erfolgreich bewältigt werden konnten, oder für ger, 2016, S. 159). Weiterhin steht die Persönlichkeit im Zu- solche, die Ähnlichkeiten zu bereits überwundenen He- sammenhang mit Resilienz. Studien zeigen, dass bspw. emo- rausforderungen aufweisen. Mit Blick auf andere Stresso- tionale Stabilität, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Er- ren besteht aber wiederum keine Resilienz. Zwischen den fahrungen einen positiven Zusammenhang mit Resilienz ha- beiden extremen Ausprägungen situationsabhängiger und ben können (vgl. Henninger, 2016, S. 160). Resilienz ent- universaler Resilienz gibt es auch hybride Formen, die von steht außerdem durch die erfolgreiche Bewältigung von Kri- Resilienzpotenzialen ausgehen, die im Zuge von Entwick- sen und kann insbesondere durch Erziehung, Bildung und lungsprozessen ausgeweitet werden können (vgl. Hoff- Sozialisation erlernt werden (vgl. Henninger, 2016, S. 160). mann, 2016, S. 61–62). Dieser entwicklungspsychologische Im betrieblichen Kontext kann Resilienz bspw. durch soziale Ansatz basiert auf der Annahme, dass Individuen zwar über Unterstützung gefördert werden (vgl. Gunkel/Böhm/Tannhei- unterschiedliche Grundvoraussetzungen verfügen, um mer, 2014, S. 260). Kritisch wird angemerkt, dass sich die Stressoren zu bewältigen, allerdings auch ein Teil der Resilienzförderung im betrieblichen Kontext bisher meist auf Stressbewältigungsfähigkeit erlernt wird. Resilienztrainings konzentriert, aber Resilienz auch durch die Arbeitsgestaltung gesteigert werden kann (vgl. Gunkel/ 3.2. Empirische Erkenntnisse zu Einflussfaktoren und Böhm/Tannheimer, 2014, S. 259). Auswirkungen Bei der Forschung zu Auswirkungen von Resilienz stehen insbesondere die positiven Auswirkungen der Resilienz im Erste empirische Untersuchungen zu Resilienz gehen be- Vordergrund. Dabei konnte u. a. empirisch belegt werden, reits auf die 1950er Jahre zurück. Durch die Zunahme von dass Resilienz Stressempfinden reduzieren und zu höherer psychischen Belastungen und stressbedingten Erkrankun- Jobzufriedenheit führen kann. Resilienz vermindert psy- gen in den letzten Jahren stieg das Forschungsinteresse an chische Belastungen und daraus resultierende Krankheiten Resilienz deutlich an. Die Resilienzforschung lässt sich und kann positive Auswirkungen auf die generelle Lebens- ebenfalls in zwei große Teilbereiche, Einflussfaktoren und zufriedenheit haben (vgl. z. B. Youssef/Luthans, 2007). Auswirkungen, unterteilen. Bei der Analyse von Einflussfaktoren der Resilienz stehen 4. Diskussion und Implikationen insbesondere Kinder und Jugendliche im Fokus der For- schung, aber auch Menschen, die widrigen Umständen wie Die Konzepte Coping und Resilienz werden in der Literatur Krankheit, Krieg, Naturkatastrophen, schweren Lebensbe- teilweise synonym verwendet. Dies ist u. a. auf die begriff- dingungen oder dem Verlust von Partnern ausgesetzt sind liche Unschärfe zurückzuführen, die insbesondere hin- oder waren (vgl. Bengel/Lyssenko, 2012, S. 7). Zunehmend sichtlich des Resilienzbegriffs vorherrscht. Zweifellos ste- werden auch (stressige) Berufsfelder, betriebliche Fakto- hen Coping und Resilienz in enger Beziehung zueinander. ren, bspw. Führung, organisationale Rahmenbedingungen Sie unterscheiden sich allerdings anhand verschiedener oder Arbeitszufriedenheit im Hinblick auf Resilienz er- Merkmale, z. B. darin, dass Resilienz sich auf Eigenschaf- forscht (vgl. z. B. Youssef/Luthans, 2007). ten (Schutzfaktoren) bezieht, die dazu führen, dass eine Ein Teilgebiet der Resilienzforschung setzt sich insbeson- resiliente Person Stress besser übersteht, als eine nicht re- dere mit der Identifikation von Schutzfaktoren auseinan- siliente Person. Demgegenüber beinhaltet Coping meist der. Im Vordergrund dieser Forschung steht die Frage, was Handlungen, die positive oder negative Folgen haben kön- Resilienz auszeichnet, also welche Eigenschaften und nen. Copingstrategien können Stress verringern oder erhö- WiSt Heft 4 · 2020 21
Wissenschaftliche Beiträge hen, Resilienz kann jedoch lediglich eine positive Ausprä- Literatur gung annehmen (vgl. Rice/Liu, 2016, S. 329). Aufgrund der begrifflichen Unschärfen existieren auch ver- Aldwin, C., Stress, Coping, and Development, 2. Aufl., New York 2009. Bengel, J., L. Lyssenko, Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im schiedene Auffassungen über den Zusammenhang von Erwachsenenalter, Köln 2012. Coping und Resilienz. Eine Sichtweise sieht Resilienz als Carver, C. S., Coping, in: Gellman, M. D., R.J. Turner (Hrsg.): Encyclopedia Resultat erfolgreichen Copings (vgl. Rice/Liu, 2016, of Behavioral Medicine, New York 2013, S. 496–500. S. 329). Demnach führt erfolgreiches Coping zum Aufbau Connor-Smith, J., C. Flachsbart, Relations Between Personality and Coping: A Meta-Analysis, in: Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 93 von Resilienz gegenüber den zu bewältigenden Stressoren. (2007), S. 1080–1107. Eine andere Sichtweise sieht Coping als Bestandteil der Re- Dewe, P. J., M. P. O’Driscoll, C. L. Cooper, Coping with work stress, Chiches- silienz (vgl. Soucek et al., 2015, S. 14). Dabei kann (effek- ter 2010. tives) Coping als Schutzfaktor verstanden werden. Anderen Dewe, P. J., C.L. Cooper, Work Stress and Coping, London 2017. Fletcher, D., M. Sarkar, Psychological Resilience, in: European Psycholo- Annahmen zu Folge stellen Coping und Resilienz Substitute gist, Vol. 18 (2013), S. 12–23. dar. Dabei wird davon ausgegangen, dass im ersten Schritt Gunkel, L., S. Böhm, N. Tannheimer, Resiliente Beschäftigte – eine Aufga- Resilienz darüber entscheidet ob jemand eine Situation als be für Unternehmen, Führungskräfte und Beschäftigte, in: Badura, B. stressig bewertet oder nicht. Je höher die Resilienz ist, des- (Hrsg.): Erfolgreiche Unternehmen von morgen, Berlin 2014, S. 257–268. Henninger, M., Resilienz, in: Frey, D. (Hrsg.): Psychologie der Werte, Ber- to weniger stressige Situationen werden erlebt. Coping ist lin 2016, S. 157–165. demnach der Resilienz nachgelagert und wird nur ange- Hoffmann, G. P., Organisationale Resilienz, Wiesbaden 2016. wandt, wenn eine Situation als stressig bewertet wird (vgl. Lazarus, R. S., S. Folkman, Transactional theory and research on emotions and coping, in: European Journal of Personality, Vol. 1 (1987), S. 141– Fletcher/Sarkar, 2013, S. 16). 169. Um Mitarbeiter wirkungsvoll vor Stress und dessen Auswir- Lee, J. H., S. K. Nam, A. Kim, B. Kim, M. Y. Lee, S. M. Lee, Resilience. A Me- kungen zu schützen, verspricht ein Maßnahmenmix Erfolg. ta-Analytic Approach, in: Journal of Counseling & Development, Vol. 91 Ein erster Schritt ist eine Reduzierung von Stressoren. Eine (2013), S. 269–279. Meyer, M., M. Böttcher, I. Glushanok, Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der vollständige Vermeidung von Stressoren ist jedoch unreali- deutschen Wirtschaft im Jahr 2014, in: Badura, B., A. Ducki, H.Schröder, J. stisch. Coping und Resilienz sind daher wichtig, um Mitar- Klose, M. Meyer (Hrsg.): Neue Wege für mehr Gesundheit Berlin 2015, beiter vor Stressfolgen zu schützen bzw. diese einzudäm- S. 341–548. men. So bieten einige Unternehmen im Rahmen des be- Nixon, A. E., J. J. Mazzola, J. Bauer, J. R. Krueger, P. E. Spector, Can work make you sick? A meta-analysis of the relationships between job stressors trieblichen Gesundheitsmanagements Resilienztrainings and physical symptoms, in: Work & Stress, Vol. 25 (2011), S. 1–22. an, die Arbeitnehmer besser auf (zukünftigen) Stress vor- O’Driscoll, M. P.,Coping with stress: a challenge for theory, research and bereiten sollen. Die Praxis benötigt hier allerdings noch practice, in: Stress and health, Vol. 29 (2013), S. 89–90. fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse, beispielsweise zu Rau, R., D. Buyken, Der aktuelle Kenntnisstand über Erkrankungsrisiken durch psychische Arbeitsbelastungen, in: Zeitschrift für Arbeits- und Or- den Wirkungen dieser Maßnahmen. Theorie und Praxis ganisationspsychologie, Vol. 59 (2015), S. 113–129. würden daher gleichermaßen von einer Weiterentwicklung Rice, V., B. Liu, Personal resilience and coping with implications for work, des theoretischen und empirischen Wissens profitieren. Part I: A review, in: Work, Vol. 54 (2016), S. 325–333. Unternehmen ist es zu empfehlen, Stressbewältigung auch Richter, P., W. Hacker, Belastung und Beanspruchung, Asanger 1998. Soucek, R., N. Pauls, M. Ziegler, C. Schlett, Entwicklung eines Fragebogens außerhalb des betrieblichen Gesundheitsmanagements zu zur Erfassung resilienten Verhaltens bei der Arbeit, in: Wirtschaftspsycho- forcieren. So kann bspw. die Sensibilisierung von Füh- logie, Vol. 17 (2015), S. 13–22. rungskräften und Mitarbeitern dazu führen, dass Betroffe- Techniker Krankenkasse, Gesundheitsreport 2018 Fit oder fertig? Erwerbs- nen schneller geholfen werden kann. Ebenso kann die För- biografien in Deutschland, 2018, Online im Internet: URL https://www.tk. de/resource/blob/2035866/020269554b71a1686aefec7106ba5dc3/gesu derung eines entsprechenden Arbeitsklimas zu mehr sozia- ndheitsreport-2018-data.pdf (Abrufdatum: 10.01.2019). ler Unterstützung von Kollegen führen und somit einen Youssef, C. M., F. Luthans, Positive Organizational Behavior in the Work- Beitrag zur Stressbewältigung leisten. place, in: Journal of Management, Vol. 33 (2007), S. 774–800. 22 WiSt Heft 4 · 2020
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