Coping und Resilienz Individuelle Handlungen und persönliche Eigenschaften zur Stressbewältigung

 
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Coping und Resilienz
     Individuelle Handlungen und persönliche Eigenschaften zur
     Stressbewältigung

     Stressbedingte Erkrankungen nehmen zu und Stressprävention wird
     vermehrt zu einer betrieblichen Aufgabe. Neben der Vermeidung von Stress
     kann ein bewussterer Umgang mit Arbeitsstress dazu beitragen, seine
     negativen Konsequenzen für Mitarbeiter und Unternehmen zu reduzieren.
     Hierbei können die Konzepte Coping und Resilienz einen Beitrag zum
     Verständnis der Gesunderhaltung von Mitarbeitern leisten. Dieser Beitrag
     stellt beide Konzepte vor und diskutiert Implikationen für Wissenschaft und
     Praxis.

                            Ingo Klingenberg, M.A.,                                              Prof. Dr. Stefan Süß
                            ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr-                          ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirt-
                            stuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb.                            schaftslehre, insb. Arbeit, Personal und
                            Arbeit, Personal und Organisation an der                             Organisation an der Heinrich-Heine-Univer-
                            Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.                               sität Düsseldorf. Bevorzugte Forschungsge-
                            Bevorzugte Forschungsgebiete: Arbeits-                               biete: Arbeitsstress, Personalmanagement.
                            stress, Coping, Resilienz.

       Summary: The number of stress-related diseases is in-              Krankenkasse, 2018, S. 67). Psychisch bedingte Krank-
       creasing. Thus, stress prevention is becoming a more               schreibungen dauern meist überdurchschnittlich lange
       operational task for organizations. Besides the preven-            und sind einer der häufigsten Gründe für Frühverrentun-
       tion of stress, awareness in terms of the handling of              gen (vgl. Meyer/Böttcher/Glushanok, 2015, S. 341; 370).
       stress can help to reduce its negative outcomes for or-            Häufig sind psychische Erkrankungen auf übermäßigen
       ganizations. For this purpose, the concepts of coping              Stress zurückzuführen (vgl. Rau/Buyken, 2015, S. 121 ff.).
       and resilience can help to foster health of employees.             Stress kann allerdings auch der Auslöser für physische Be-
       This article aims to introduce these concepts and to               schwerden wie Rücken- und Kopfschmerzen sein (vgl.
       discuss possible implications for scientists and practi-           Nixon et al., 2011), die ebenfalls zu hohen Ausfallzeiten
       tioners.                                                           führen können (vgl. Techniker Krankenkasse, 2018, S. 67).
                                                                          Für Unternehmen hat insbesondere die hohe Anzahl stress-
       Stichwörter: Arbeitsstress, Betriebliches Gesund-                  bedingter Fehltage und Frühverrentungen negative Konse-
       heitsmanagement, Coping, Resilienz, Stressbewäl-                   quenzen, allerdings kann Stress auch zu einem Motivati-
       tigung                                                             ons- und Leistungsrückgang bei Mitarbeitern führen und
                                                                          somit Produktions- bzw. Vertriebseinbußen nach sich zie-
                                                                          hen.
     1. Relevanz                                                          Um die Arbeitskraft von Mitarbeitern aufrechtzuerhalten,
                                                                          wird Stressprävention vermehrt (auch) zu einer betrieb-
     Psychische Erkrankungen sind eine der häufigsten Ursa-               lichen Aufgabe und findet zunehmend u. a. im betrieb-
     chen für Krankschreibungen in Deutschland (vgl. Techniker            lichen Gesundheitsmanagement Beachtung (vgl. Gunkel/

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Klingenberg/Süß, Coping und Resilienz

Böhm/Tannheimer, 2014, S. 258). Um betriebliche Prozesse         deutet dies, dass Individuen bei Stress auf unterschied-
entsprechend zu gestalten, ist es für Unternehmen wichtig,       liche Copingstrategien zurückgreifen können, aber, be-
die Ursachen für Stress zu kennen. Der Auslöser von Stress       dingt durch den Copingstil, meist gleiche oder ähnliche Co-
sind Stressoren. So werden Reize bezeichnet, die die Ge-         pingstrategien bevorzugt heranziehen.
fahr erhöhen, Stress zu empfinden. Im betrieblichen Kon-         Coping wird in der Literatur nach verschiedenen Merkma-
text gelten u. a. eine zu lange Arbeitszeit, zu hohe Anfor-      len klassifiziert. Eine etablierte Unterteilung von Coping
derungen, Zeitdruck, Rollenkonflikte, Lärm, Kälte sowie          geht auf das Transaktionale Stressmodell nach Lazarus
Probleme mit Kollegen oder Vorgesetzten als mögliche             (vgl. Lazarus/Folkman, 1987) zurück. Darin wird zwischen
Stressoren (vgl. z. B. Richter/Hacker, 1998, S. 127). Die Re-    problemorientiertem und emotionsorientiertem Coping un-
duktion von potenziellen Stressoren ist eine wirkungsvolle       terschieden. Problemorientiertes Coping beschreibt eine
Maßnahme, um Stress entgegenzuwirken, da die Gefahr              konkrete Handlung mit dem Ziel, Stressoren entgegenzu-
Stress zu empfinden bei einer Arbeitsumgebung mit weni-          wirken oder diese zu eliminieren. Der Stressor ist somit das
gen Stressoren geringer ist. Allerdings unterscheidet sich       primäre Ziel dieser Copingstrategien. Darunter fällt z. B.
die Intensität, wie Stress wahrgenommen wird, subjektiv.         das Ansprechen von Problemen oder schnelleres Arbeiten,
So ist es einigen Menschen möglich, Stress nach kürzester        um Zeitdruck zu reduzieren. Beim emotionsorientierten
Zeit zu bewältigen, während andere lange und intensiv            Coping steht hingegen das Regulieren der durch Stressoren
Stress verspüren. Dabei erhöht insbesondere langanhalten-        ausgelösten Emotionslage im Fokus. Es wird versucht, das
der und intensiver Stress die Wahrscheinlichkeit langfristi-     Stressempfinden zu reduzieren oder durch andere Emotio-
ger, negativer gesundheitlicher Folgen.                          nen zu ersetzen. Beispiele dafür sind u. a. positives Um-
Insbesondere individuelle Handlungen zur Stressbewälti-          denken bzw. die Neubewertung einer Situation, das Lästern
gung, wie das Coping, und persönliche Eigenschaften, wie         mit Kollegen oder die Einnahme von Alkohol oder Tablet-
die individuelle Resilienz, haben Einfluss darauf, ob und        ten.
wie intensiv Stress empfunden wird. Aufgrund der Zunah-          Bei einer anderen Art Coping zu klassifizieren, steht die
me von empfundenem Stress wird es für Wissenschaft und           Aktivität, die beim Coping gezeigt wird, im Vordergrund.
Praxis zunehmend wichtiger zu verstehen, wie Coping und          Dabei wird zwischen Engagement Coping und Disengage-
Resilienz zur Gesunderhaltung der Mitarbeiter beitragen          ment Coping unterschieden. Das Engagement Coping be-
können. Vor diesem Hintergrund besteht das Ziel des Bei-         schreibt die aktive Auseinandersetzung mit Stressoren und
trags darin, Coping und Resilienz unter Berücksichtigung         enthält dabei Elemente, die auch dem problem- und emo-
von empirischen Erkenntnissen zu ihren Einflussfaktoren          tionsorientiertem Coping zugerechnet werden können (vgl.
und Auswirkungen systematisch darzustellen. Weiterhin            Carver, 2013, S. 497 f.). Es wird versucht, durch Coping
sollen die Unterschiede sowie die Gemeinsamkeiten beider         Stress aktiv zu beenden. Das Disengagement Coping ent-
Konstrukte herausgearbeitet und diskutiert werden. Ein           hält hingegen eine Umgehung des Problems, um dem
Ausblick schließt den Beitrag ab.                                Stress auszuweichen. Dabei kann größerer Stress meist
                                                                 kurzfristig vermieden werden, allerdings behebt eine sol-
2. Coping                                                        che Vermeidung langfristig in der Regel nicht die Ursachen
                                                                 des Problems, sodass dieses andauert (vgl. Carver, 2013,
2.1. Begriff                                                     S. 497 f.). Eine Ausnahme bilden hierbei Stressoren, die le-
                                                                 diglich temporär auftreten, sodass Vermeidung in diesem
Unter Coping werden kognitive Prozesse und Handlungen            Fall sogar der effizientere Weg sein kann Stress zu bewälti-
verstanden, die das Ziel haben, Schwierigkeiten, wie z. B.       gen, da keine besonderen Anstrengungen gemacht werden
Stress, zu bewältigen (vgl. Dewe/O’Driscoll/Cooper, 2010,        müssen und der Stress sich von alleine legt (vgl. Aldwin,
S. 153 f.). Dabei bezeichnet man die tatsächliche Reaktion       2009, S. 342).
in Bezug auf unterschiedliche Stressoren oder Kontexte, in       In der Literatur wird auch nach dem Zeitpunkt des Copings
denen Stress erlebt wird, als Copingstrategie (vgl. Dewe/        differenziert. Dabei gehen klassische Ansätze von einem
O’Driscoll/Cooper, 2010, S. 153). Sie ist kurzfristig ausge-     reaktiven Coping aus, d. h. Individuen wenden eine Co-
richtet und kann in Hinblick auf verschiedene Stressoren         pingstrategie an, nachdem oder während sie einem Stressor
variieren. Beim Copingstil wird davon ausgegangen, dass          ausgesetzt sind bzw. Stress empfinden (vgl. O’Driscoll,
Individuen in verschiedenen Situationen immer wieder zu          2013, S. 89). Das proaktive Coping hingegen beschreibt
ähnlichen Copingstrategien tendieren und der Copingstil          ein präventives Vorgehen, bei dem Individuen sich auf po-
eine Art Charaktereigenschaft darstellt, die mit der Zeit rei-   tenzielle Stressoren vorbereiten, um das daraus resultie-
fen bzw. sich weiterentwickeln kann, aber relativ konstant       rende Stressempfinden abzumildern (vgl. O’Driscoll, 2013,
bleibt (vgl. Aldwin, 2009, S. 129). Zusammengefasst be-          S. 90).

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Wissenschaftliche Beiträge

       2.2. Empirische Erkenntnisse zu Einflussfaktoren und            kungen (z. B. Burnout) im Fokus. Allerdings lässt sich kei-
       Auswirkungen                                                    ne grundsätzlich überlegene Copingstrategie identifizie-
                                                                       ren. Vielmehr kann die Effektivität einzelner Copingstrate-
       Coping findet bereits seit den 1950er Jahren als Moderator      gien nur für bestimmte Kontexte angenommen werden.
       zwischen Stress und Krankheit Anwendung. Nach der Ent-          Frühere Studien geben Grund zu der Annahme, dass insbe-
       wicklung des transaktionalen Stressmodells nach Lazarus         sondere problemorientiertes Coping und aktives Coping ge-
       fand Coping insbesondere in den 1980er Jahren große Be-         nerell effektiver sind, als vermeidendes oder emotionsori-
       achtung von Forschern aus unterschiedlichsten Diszipli-         entiertes Coping. Diese Annahmen wurden in anderen Stu-
       nen. Dabei lässt sich die Forschung in zwei wesentliche         dien allerdings widerlegt, sodass viele Wissenschaftler heu-
       Teilbereiche einteilen. Auf der einen Seite werden Einfluss-    te von einer Goodness-of-Fit-Hypothese ausgehen. Dem-
       faktoren erforscht. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt,       nach gibt es für spezielle Situationen Copingstrategien, die
       was dazu führt, dass Individuen zu bestimmten Copingstra-       wirkungsvoller sind, während diese in anderen Situationen
       tegien tendieren. Auf der anderen Seite stehen die Auswir-      nicht effektiv sind (vgl. Bengel/Lyssenko, 2012, S. 81).
       kungen von Coping im Vordergrund. Dabei stellt sich vor
       allem die Frage danach, welche Copingstrategien effektiv        3. Resilienz
       sind.
       Ein wesentlicher Einflussfaktor auf der individuellen Ebe-      3.1. Begriff
       ne ist die Persönlichkeit. Empirische Studien zeigen, dass
       ein Zusammenhang zwischen bestimmten Persönlichkeits-           Der Begriff Resilienz hat seinen Ursprung in den Naturwis-
       merkmalen und dem Copingstil besteht. Beispielsweise nei-       senschaften und bezeichnet die Eigenschaft von Materiali-
       gen Menschen mit einer sehr gewissenhaften Persönlich-          en oder Gegenständen, die nach Einwirkungen von äuße-
       keit eher dazu, Probleme klären zu wollen und sich ge-          ren Einflüssen, ihren ursprünglichen Zustand behalten
       danklich neu zu ordnen als neurotische Persönlichkeiten.        oder wiedererlangen (vgl. Gunkel/Böhm/Tannheimer, 2014,
       Neurotizismus hat daher meist einen positiven Zusammen-         S. 258). Analog dazu wird der Begriff in den Verhaltenswis-
       hang mit emotionsorientiertem Coping. Außerdem neigen           senschaften als Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastun-
       sowohl extravertierte als auch neurotische Persönlichkei-       gen, wie z. B. Stress, verstanden (vgl. Henninger, 2016,
       ten dazu, soziale Unterstützung zu suchen (vgl. Connor-         S. 158).
       Smith/Flachsbart, 2007). Neben der Persönlichkeit gilt          In der wissenschaftlichen Literatur existieren verschiede-
       auch das Alter als Einflussfaktor auf den Copingstil. So ha-    ne Definitionen von Resilienz, die sich anhand mehrerer
       ben ältere Menschen häufig Fähigkeiten und Routinen ent-        Merkmale unterscheiden. Von (1) Stressresistenz spricht
       wickelt, die sie Stressoren einfacher bewältigen lassen (vgl.   man, wenn Menschen eine Immunität gegen Stress entwi-
       Aldwin, 2009, S. 292).                                          ckelt haben, d. h. Resilienz schützt vor Stress. Dieser prallt
       Auch soziale Faktoren nehmen Einfluss auf den Copingstil.       sozusagen an den Betroffenen ab. Bei einem Begriffsver-
       Empirische Studien konnten zeigen, dass zum Beispiel Ehe-       ständnis als (2) Regeneration wird davon ausgegangen,
       paare, bei denen ein Partner eine schwere Krankheit erlitt,     dass resiliente Menschen zwar Stress empfinden, dieses
       dyadisches Coping zeigten und die Copingstrategie des           Empfinden allerdings nur kurzfristig anhält und der resili-
       einen zudem die des anderen beeinflusste (vgl. Aldwin,          ente Mensch sich, im Gegensatz zum nicht resilienten, voll-
       2009, S. 244). Zudem wurde bereits mehrfach gezeigt, dass       ständig von Stress erholt. Laut der Definition von Resilienz
       Menschen aus einem ähnlichen räumlichen Milieu (z. B.           als (3) Rekonfiguration, zeichnet sich ein resilienter
       Armutsviertel) oder kulturellen Umfeld auf ähnliche Co-         Mensch dadurch aus, dass er nach traumatischen Erfahrun-
       pingstrategien zurückgreifen (vgl. Dewe/Cooper, 2017,           gen sein Verhalten oder seine Kognition anpasst und sich
       S. 151). Auf betrieblicher Ebene kann dies z. B. bedeuten,      somit zukünftig vor ähnlichen Erfahrungen schützt (vgl.
       dass das Organisationsklima, die Organisationskultur oder       Bengel/Lyssenko, 2012, S. 25).
       die soziale Unterstützung von Kollegen, dazu führen, dass       Es gibt unterschiedliche Auffassungen über die Stabilität
       ähnliche Copingstrategien auf betriebliche Stressoren an-       von Resilienz. So gibt es Ansätze, die Resilienz als relativ
       gewandt werden.                                                 stabile Charaktereigenschaft sehen. Danach ist Resilienz
       Bezüglich der Auswirkungen von Coping wird häufig die           schwer beeinflussbar und es gibt resiliente Personen, die
       moderierende Wirkung von Copingstrategien erforscht, die        schwierige Situationen generell besser überstehen können
       dafür sorgt, das Stressempfinden zu mildern. Dabei stehen       als nicht resiliente Menschen (vgl. Lee et al., 2013, S. 269).
       u. a. verschiedene Stressoren (z. B. Arbeitsanforderun-         Demnach ist Resilienz auf genetische Faktoren oder die
       gen), verschiedene Copingstrategien (z. B. Suche von so-        kindliche Frühentwicklung zurückzuführen und bei er-
       zialer Unterstützung, Vermeidung) oder bestimmte Auswir-        wachsenen Menschen nur noch schwer zu beeinflussen.

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Klingenberg/Süß, Coping und Resilienz

Neuere Ansätze sehen Resilienz hingegen als eine aus der       Merkmale dazu führen, dass ein Mensch widrige Situatio-
Interaktion zwischen Mensch und Umwelt resultierende Fä-       nen besser überstehen kann. Als Schutzfaktoren gelten
higkeit (vgl. Lee et al., 2013, S. 269; Gunkel/Böhm/Tann-      z. B. Humor, Hoffnung, ein hohes Selbstwertgefühl und
heimer, 2014, S. 258). Resilienz wird in dieser Sichtweise     Religiosität. Auf betrieblicher Ebene haben insbesondere
auch vom sozialen Umfeld, wie bspw. dem sozialen Milieu,       Schutzfaktoren Relevanz, die im Erwachsenenalter noch
Organisationen oder der Gesellschaft beeinflusst (vgl. Hoff-   veränderbar und vor allem durch den Betrieb förderbar sind
mann, 2016, S. 64 f.). Resilienz gilt in diesem Ansatz als     (vgl. Gunkel/Böhm/Tannheimer, 2014, S. 259), z. B. sozia-
erlernbar und wird z. B. durch die erfolgreiche Bewältigung    le Unterstützung, Selbstwirksamkeit, Kohärenzgefühl, Op-
von Krisen gestärkt (vgl. Henninger, 2016, S. 160).            timismus und Achtsamkeit (vgl. Gunkel/Böhm/Tannheimer,
Im Hinblick auf die Universalität gibt es auch Ansätze, die    2014, S. 259; Soucek et al., 2015, S. 14).
Resilienz nicht als situationsübergreifende Eigenschaft se-    Einen weiteren Forschungsschwerpunkt bildet die Resilien-
hen, sondern es wird von mehreren Resilienzen ausgegan-        zentstehung. Dabei zeigt sich, dass manche Schutzfaktoren
gen, die immer vom Kontext abhängig sind. Resilienz ent-       genetisch begünstigt oder durch das Geschlecht determiniert
steht dann für bestimmte Stressoren, die in der Vergangen-     und somit nicht oder kaum beeinflussbar sind (vgl. Hennin-
heit bereits erfolgreich bewältigt werden konnten, oder für    ger, 2016, S. 159). Weiterhin steht die Persönlichkeit im Zu-
solche, die Ähnlichkeiten zu bereits überwundenen He-          sammenhang mit Resilienz. Studien zeigen, dass bspw. emo-
rausforderungen aufweisen. Mit Blick auf andere Stresso-       tionale Stabilität, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Er-
ren besteht aber wiederum keine Resilienz. Zwischen den        fahrungen einen positiven Zusammenhang mit Resilienz ha-
beiden extremen Ausprägungen situationsabhängiger und          ben können (vgl. Henninger, 2016, S. 160). Resilienz ent-
universaler Resilienz gibt es auch hybride Formen, die von     steht außerdem durch die erfolgreiche Bewältigung von Kri-
Resilienzpotenzialen ausgehen, die im Zuge von Entwick-        sen und kann insbesondere durch Erziehung, Bildung und
lungsprozessen ausgeweitet werden können (vgl. Hoff-           Sozialisation erlernt werden (vgl. Henninger, 2016, S. 160).
mann, 2016, S. 61–62). Dieser entwicklungspsychologische       Im betrieblichen Kontext kann Resilienz bspw. durch soziale
Ansatz basiert auf der Annahme, dass Individuen zwar über      Unterstützung gefördert werden (vgl. Gunkel/Böhm/Tannhei-
unterschiedliche Grundvoraussetzungen verfügen, um             mer, 2014, S. 260). Kritisch wird angemerkt, dass sich die
Stressoren zu bewältigen, allerdings auch ein Teil der         Resilienzförderung im betrieblichen Kontext bisher meist auf
Stressbewältigungsfähigkeit erlernt wird.                      Resilienztrainings konzentriert, aber Resilienz auch durch
                                                               die Arbeitsgestaltung gesteigert werden kann (vgl. Gunkel/
3.2. Empirische Erkenntnisse zu Einflussfaktoren und           Böhm/Tannheimer, 2014, S. 259).
Auswirkungen                                                   Bei der Forschung zu Auswirkungen von Resilienz stehen
                                                               insbesondere die positiven Auswirkungen der Resilienz im
Erste empirische Untersuchungen zu Resilienz gehen be-         Vordergrund. Dabei konnte u. a. empirisch belegt werden,
reits auf die 1950er Jahre zurück. Durch die Zunahme von       dass Resilienz Stressempfinden reduzieren und zu höherer
psychischen Belastungen und stressbedingten Erkrankun-         Jobzufriedenheit führen kann. Resilienz vermindert psy-
gen in den letzten Jahren stieg das Forschungsinteresse an     chische Belastungen und daraus resultierende Krankheiten
Resilienz deutlich an. Die Resilienzforschung lässt sich       und kann positive Auswirkungen auf die generelle Lebens-
ebenfalls in zwei große Teilbereiche, Einflussfaktoren und     zufriedenheit haben (vgl. z. B. Youssef/Luthans, 2007).
Auswirkungen, unterteilen.
Bei der Analyse von Einflussfaktoren der Resilienz stehen      4. Diskussion und Implikationen
insbesondere Kinder und Jugendliche im Fokus der For-
schung, aber auch Menschen, die widrigen Umständen wie         Die Konzepte Coping und Resilienz werden in der Literatur
Krankheit, Krieg, Naturkatastrophen, schweren Lebensbe-        teilweise synonym verwendet. Dies ist u. a. auf die begriff-
dingungen oder dem Verlust von Partnern ausgesetzt sind        liche Unschärfe zurückzuführen, die insbesondere hin-
oder waren (vgl. Bengel/Lyssenko, 2012, S. 7). Zunehmend       sichtlich des Resilienzbegriffs vorherrscht. Zweifellos ste-
werden auch (stressige) Berufsfelder, betriebliche Fakto-      hen Coping und Resilienz in enger Beziehung zueinander.
ren, bspw. Führung, organisationale Rahmenbedingungen          Sie unterscheiden sich allerdings anhand verschiedener
oder Arbeitszufriedenheit im Hinblick auf Resilienz er-        Merkmale, z. B. darin, dass Resilienz sich auf Eigenschaf-
forscht (vgl. z. B. Youssef/Luthans, 2007).                    ten (Schutzfaktoren) bezieht, die dazu führen, dass eine
Ein Teilgebiet der Resilienzforschung setzt sich insbeson-     resiliente Person Stress besser übersteht, als eine nicht re-
dere mit der Identifikation von Schutzfaktoren auseinan-       siliente Person. Demgegenüber beinhaltet Coping meist
der. Im Vordergrund dieser Forschung steht die Frage, was      Handlungen, die positive oder negative Folgen haben kön-
Resilienz auszeichnet, also welche Eigenschaften und           nen. Copingstrategien können Stress verringern oder erhö-

                                                                                                             WiSt Heft 4 · 2020   21
Wissenschaftliche Beiträge

       hen, Resilienz kann jedoch lediglich eine positive Ausprä-       Literatur
       gung annehmen (vgl. Rice/Liu, 2016, S. 329).
       Aufgrund der begrifflichen Unschärfen existieren auch ver-       Aldwin, C., Stress, Coping, and Development, 2. Aufl., New York 2009.
                                                                        Bengel, J., L. Lyssenko, Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im
       schiedene Auffassungen über den Zusammenhang von
                                                                        Erwachsenenalter, Köln 2012.
       Coping und Resilienz. Eine Sichtweise sieht Resilienz als        Carver, C. S., Coping, in: Gellman, M. D., R.J. Turner (Hrsg.): Encyclopedia
       Resultat erfolgreichen Copings (vgl. Rice/Liu, 2016,             of Behavioral Medicine, New York 2013, S. 496–500.
       S. 329). Demnach führt erfolgreiches Coping zum Aufbau           Connor-Smith, J., C. Flachsbart, Relations Between Personality and Coping:
                                                                        A Meta-Analysis, in: Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 93
       von Resilienz gegenüber den zu bewältigenden Stressoren.
                                                                        (2007), S. 1080–1107.
       Eine andere Sichtweise sieht Coping als Bestandteil der Re-      Dewe, P. J., M. P. O’Driscoll, C. L. Cooper, Coping with work stress, Chiches-
       silienz (vgl. Soucek et al., 2015, S. 14). Dabei kann (effek-    ter 2010.
       tives) Coping als Schutzfaktor verstanden werden. Anderen        Dewe, P. J., C.L. Cooper, Work Stress and Coping, London 2017.
                                                                        Fletcher, D., M. Sarkar, Psychological Resilience, in: European Psycholo-
       Annahmen zu Folge stellen Coping und Resilienz Substitute        gist, Vol. 18 (2013), S. 12–23.
       dar. Dabei wird davon ausgegangen, dass im ersten Schritt        Gunkel, L., S. Böhm, N. Tannheimer, Resiliente Beschäftigte – eine Aufga-
       Resilienz darüber entscheidet ob jemand eine Situation als       be für Unternehmen, Führungskräfte und Beschäftigte, in: Badura, B.
       stressig bewertet oder nicht. Je höher die Resilienz ist, des-   (Hrsg.): Erfolgreiche Unternehmen von morgen, Berlin 2014, S. 257–268.
                                                                        Henninger, M., Resilienz, in: Frey, D. (Hrsg.): Psychologie der Werte, Ber-
       to weniger stressige Situationen werden erlebt. Coping ist       lin 2016, S. 157–165.
       demnach der Resilienz nachgelagert und wird nur ange-            Hoffmann, G. P., Organisationale Resilienz, Wiesbaden 2016.
       wandt, wenn eine Situation als stressig bewertet wird (vgl.      Lazarus, R. S., S. Folkman, Transactional theory and research on emotions
                                                                        and coping, in: European Journal of Personality, Vol. 1 (1987), S. 141–
       Fletcher/Sarkar, 2013, S. 16).
                                                                        169.
       Um Mitarbeiter wirkungsvoll vor Stress und dessen Auswir-        Lee, J. H., S. K. Nam, A. Kim, B. Kim, M. Y. Lee, S. M. Lee, Resilience. A Me-
       kungen zu schützen, verspricht ein Maßnahmenmix Erfolg.          ta-Analytic Approach, in: Journal of Counseling & Development, Vol. 91
       Ein erster Schritt ist eine Reduzierung von Stressoren. Eine     (2013), S. 269–279.
                                                                        Meyer, M., M. Böttcher, I. Glushanok, Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der
       vollständige Vermeidung von Stressoren ist jedoch unreali-
                                                                        deutschen Wirtschaft im Jahr 2014, in: Badura, B., A. Ducki, H.Schröder, J.
       stisch. Coping und Resilienz sind daher wichtig, um Mitar-       Klose, M. Meyer (Hrsg.): Neue Wege für mehr Gesundheit Berlin 2015,
       beiter vor Stressfolgen zu schützen bzw. diese einzudäm-         S. 341–548.
       men. So bieten einige Unternehmen im Rahmen des be-              Nixon, A. E., J. J. Mazzola, J. Bauer, J. R. Krueger, P. E. Spector, Can work
                                                                        make you sick? A meta-analysis of the relationships between job stressors
       trieblichen Gesundheitsmanagements Resilienztrainings
                                                                        and physical symptoms, in: Work & Stress, Vol. 25 (2011), S. 1–22.
       an, die Arbeitnehmer besser auf (zukünftigen) Stress vor-        O’Driscoll, M. P.,Coping with stress: a challenge for theory, research and
       bereiten sollen. Die Praxis benötigt hier allerdings noch        practice, in: Stress and health, Vol. 29 (2013), S. 89–90.
       fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse, beispielsweise zu      Rau, R., D. Buyken, Der aktuelle Kenntnisstand über Erkrankungsrisiken
                                                                        durch psychische Arbeitsbelastungen, in: Zeitschrift für Arbeits- und Or-
       den Wirkungen dieser Maßnahmen. Theorie und Praxis
                                                                        ganisationspsychologie, Vol. 59 (2015), S. 113–129.
       würden daher gleichermaßen von einer Weiterentwicklung           Rice, V., B. Liu, Personal resilience and coping with implications for work,
       des theoretischen und empirischen Wissens profitieren.           Part I: A review, in: Work, Vol. 54 (2016), S. 325–333.
       Unternehmen ist es zu empfehlen, Stressbewältigung auch          Richter, P., W. Hacker, Belastung und Beanspruchung, Asanger 1998.
                                                                        Soucek, R., N. Pauls, M. Ziegler, C. Schlett, Entwicklung eines Fragebogens
       außerhalb des betrieblichen Gesundheitsmanagements zu
                                                                        zur Erfassung resilienten Verhaltens bei der Arbeit, in: Wirtschaftspsycho-
       forcieren. So kann bspw. die Sensibilisierung von Füh-           logie, Vol. 17 (2015), S. 13–22.
       rungskräften und Mitarbeitern dazu führen, dass Betroffe-        Techniker Krankenkasse, Gesundheitsreport 2018 Fit oder fertig? Erwerbs-
       nen schneller geholfen werden kann. Ebenso kann die För-         biografien in Deutschland, 2018, Online im Internet: URL https://www.tk.
                                                                        de/resource/blob/2035866/020269554b71a1686aefec7106ba5dc3/gesu
       derung eines entsprechenden Arbeitsklimas zu mehr sozia-
                                                                        ndheitsreport-2018-data.pdf (Abrufdatum: 10.01.2019).
       ler Unterstützung von Kollegen führen und somit einen            Youssef, C. M., F. Luthans, Positive Organizational Behavior in the Work-
       Beitrag zur Stressbewältigung leisten.                           place, in: Journal of Management, Vol. 33 (2007), S. 774–800.

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