Medizinische Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung (IM) in Bayern - BAG MZEB

 
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Medizinische Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung (IM) in Bayern - BAG MZEB
Varia

Medizinische Versorgung von Menschen
mit Intelligenzminderung (IM) in Bayern
Notwendigkeit einer speziellen medizinischen Versorgung
und ärztlichen Qualifikation

Die Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung (IM) stellt
die behandelnden Ärzte oft vor eine Herausforderung. Strukturen,
denen man Patienten mit IM und komplexen Problemen zuweisen
könnte, fehlten bislang. Im Juli 2015 hat der Gesetzgeber mit der
Formulierung des § 119c SGB V die Voraussetzung für die Errich-
tung von Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit
geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen
(MZEB) geschaffen. Mit diesen Zentren soll die multidisziplinä-
re und multiprofessionelle Versorgung von Menschen mit Intel-
ligenzminderung (IM) und mehrfacher Behinderung verbessert
werden. In der Zwischenzeit haben in Bayern sieben dieser Zentren
ihre Arbeit aufgenommen (Tabelle 1). Konzeptuell sind die MZEB

                                                                                                                                                        © BSIP SA/Alamy – mauritius-images.com
mit den Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) vergleichbar, wobei die
MZEB jedoch sehr viel mehr auf Menschen mit schwerer geistiger
und mehrfacher Behinderung fokussieren. Die wesentliche Last
der alltäglichen Medizinischen Versorgung der Patienten mit IM
wird aber weiterhin von engagierten Allgemein- und Fachärzten
getragen werden, mit denen die MZEB eng kooperieren sollen.
Die Autoren versuchen mit dieser Arbeit ein zukunftsweisendes
Konzept einer qualitativ hochwertigen Versorgung und ärztlichen
Qualifikation für Menschen mit IM zu entwerfen.

Hintergrund                                       entnahme oder die Gewinnung einer Urinprobe       dige Untersuchungen und Behandlungen, auch
                                                  stellen schon eine zeitaufwendige Herausforde-    kann es durch unnötige Sedierung und Fixie-
Etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung         rung dar. Apparative Untersuchungen scheitern     rung zu schweren Komplikationen kommen [3].
(in Bayern ca. 180.000 Menschen) sind von         nicht selten an der Compliance [2].
einer Intelligenzminderung (IM) betroffen
[1]. Während Menschen mit Lernbehinderung         Dank des Engagements und der Erfahrung vieler     Medizinische Besonderheiten
(IQ 70 bis 85) und leichter geistiger Behinde-    Kolleginnen und Kollegen in der hausärztlichen    bei Menschen mit IM
rung in der Regel gut vom System der kassen-      Versorgung kann eine medizinische Grundver-
ärztlichen Versorgung profitieren, gestaltet      sorgung sichergestellt werden. Eine fachärzt-     Bei vielen der oft genetisch bedingten Störungen
sich die Versorgungssituation bei Betroffenen     liche Konsultation scheitert jedoch schon oft     dieser Patientengruppe handelt es sich um Multi-
mit Verhaltensstörungen oder mittelschwe-         an räumlichen Gegebenheiten und zeitlichen        organerkrankungen [4], deren interdisziplinä-
rer (IQ 35 bis 49), schwerer (IQ 20 bis 34) und   Ressourcen. Vertrauen zu diesen Patienten auf-    re Behandlung eine große Herausforderung
schwerster IM oft schwierig, wie auch unsere      zubauen ist eine zeitraubende Angelegenheit,      darstellt. Das Sterberisiko ist im Vergleich zur
Kasuistik zeigt [2].                              die im fachärztlichen Praxisalltag nur schwer     Allgemeinbevölkerung drei- bis viermal erhöht
                                                  umzusetzen ist.                                   [5]. In einer Untersuchung in Deutschland war
Fehlende Kommunikationsfähigkeit und Ver-                                                           die Lebenserwartung von Männern (65 bis 71
haltensänderungen machen eine zügig durch-        Nicht selten erfolgen dann aus Mangel an al-      Jahre) und Frauen (70 bis 73 Jahre) mit Behin-
geführte zielgerichtete Anamnese und Unter-       ternativen Versorgungsstrukturen Zuweisungen      derung gegenüber der deutschen Gesamtbe-
suchung oft unmöglich. Der Arzt ist in erster     an Kliniken, deren ärztliche Mitarbeiter jedoch   völkerung (Männer: 77; Frauen: 82,5 Jahre) um
Linie auf fremdanamnestische Angaben und die      im Umgang mit diesen Menschen ebenso wenig        sechs bis zwölf Jahre reduziert [5, 6]. Häufigste
Deutung von Verhaltensänderungen angewiesen,      geschult sind wie pflegerisches und technisches   Todesursachen sind respiratorische Erkrankun-
eine körperliche Untersuchung, einfache Blut-     Personal. In der Folge unterbleiben oft notwen-   gen (insbesondere Pneumonien), Herz-Kreis-

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lauferkrankungen und Neoplasien [6]. Neben           Syndrom sozialmedizinische Aspekte, Atmungs-        und Abführmaßnahmen ersparen dem Patienten
unvermeidbaren Faktoren wie Multimorbidität          störungen und kardiologische Probleme [2].          unnötige Diagnostik [10].
oder neurodegenerativen Erkrankungen wer-
den Aspirationspneumonien (bei unerkannter           Die Intensität der ärztlichen Betreuung nimmt mit   Gastroösophagealer Reflux findet sich mit zu-
Dysphagie), vermeidbare Stürze und Verlet-           dem Ausmaß der IM deutlich zu, hier seien einige    nehmender Behinderung häufiger (> 50 Prozent
zungen, unvollständige Impfungen, fehlende           weitere Besonderheiten exemplarisch genannt:        bei IQ < 35), wobei Cerebralparesen, Skoliose
Vorsorgeuntersuchungen und Polypharmazie                                                                 und antikonvulsive Therapie Risikofaktoren dar-
beschrieben [2, 5 bis 9].                            Schmerzen                                           stellen. Schlafstörungen, depressives Verhalten,
                                                     Menschen mit IM leiden häufig an Schmerzzu-         Rumination, Inappetenz und Unruhe sind mög-
Während in der Kindheit der (Neuro-)Pädia-           ständen unterschiedlicher Ursache, die aufgrund     liche Symptome.
ter über eine breite Ausbildung verfügt, sind        der ungewöhnlichen Symptompräsentation oft
die erwachsenen Patienten auf eine Reihe von         nicht oder erst verzögert erkannt werden, was       Kardiovaskuläre Erkrankungen
Spezialisten angewiesen, deren Konsultation der      auch zu vitaler Gefährdung führen kann. Le-         Kardiovaskuläre Erkrankungen sind bei Menschen
Hausarzt koordinieren muss.                          bensqualität und Schlaf (auch der Betreuenden)      mit IM zwar nicht häufiger als in der Normalbe-
                                                     werden beeinträchtigt. Tabelle 2 weist hier auf     völkerung, sie werden aber seltener diagnostiziert
                                                     einige charakteristische Verhaltensweisen und       und behandelt. Mit der erhöhten Prävalenz von
Der Betreuungsbedarf ist                             deren Assoziation mit Organerkrankungen hin [2].    Adipositas und Diabetes steigt das kardiovas-
zum Teil sehr spezifisch                                                                                 kuläre Risiko [4].
                                                     Gastrointestinale Störungen
Beim Down-Syndrom stehen im Erwachsenen-             Chronische Obstipation ist bei Menschen mit IM      Epilepsie
alter neurologische Störungen im Vordergrund,        häufig und schwere Verläufe mit „Pseudodiar-        Die Prävalenz von Epilepsien steigt von 0,5
bei der tuberösen Sklerose, Neoplasien und Epi-      rhoe“ bei Überlaufkoprostase bis hin zu Todes-      Prozent in der Allgemeinbevölkerung auf 15
lepsien, beim Fragilen-X-Syndrom psychiatrische      fällen sind möglich. Eine sorgfältige abdominelle   Prozent bei leichter und 30 bis 50 Prozent bei
Besonderheiten und beim Curschmann-Steinert-         und gegebenenfalls rektal-digitale Untersuchung     schwer/schwerster IM an. Die Mortalität steigt

 Bezirk               MZEB/Ort                                   Schwerpunkt                                     Träger
 Mittelfranken        MZEB Rummelsberg                           Epilepsie, Neuroorthopädie, Bewegungs-          SANA AG
                      Schwarzenbruck bei Nürnberg                störungen, Spastische Syndrome;
                                                                 Beatmung bei neuromuskulären Erkrankun-
                                                                 gen, Wachkoma
 Niederbayern         –
 Oberbayern           1. MZEB Pfennigparade                      Beatmung, Muskelerkrankungen                    Stiftung Pfennigparade
                      2. MZEB Stiftung ICP München               Spastizität                                     Stiftung ICP
                      3. MZEB am Isar-Amper-Klinikum             Psychiatrische Störungen, Epilepsie             Bezirk Oberbayern
                      4. MZEB Ingolstadt, ProNobis               varia                                           Verein für körper- und mehrfachbe-
                                                                                                                 hinderte Menschen e. V. Ingolstadt
 Oberfranken          MZEB hohe Warte                            Querschnitt; Neuroorthopädie                    Klinikum Bayreuth
 Oberpfalz            –
 Schwaben             –
 Unterfranken         MZEB Würzburg                              Sinnesbeeinträchtigungen, Augenheilkunde;       Blindeninstitutsstiftung
                                                                 Autismusspektrumserkrankungen,
                                                                 Verhaltensstörungen, Neurologie, Spastik
Tabelle 1: MZEB in Bayern (Zulassung und Betrieb)

                                                                                                              Bayerisches Ärzteblatt 12/2020         617
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durch unmittelbar anfallsassoziierte Todesfälle     Verhalten                     Mögliche Ursache                Diagnostik oder
(SUDEP = sudden death in epilepsy) und Verlet-                                                                    probatorische Therapie
zungen infolge der Anfälle bzw. medikamentös
                                                    Wälzen und Schlagen           Koliken                         Oberbauch Sonografie
induzierter Sturzneigung [2, 6].
                                                    („anfallsartig“) am Boden                                     Internistische Diagnostik

Bewegungsstörungen                                  Schlagen ins Gesicht          Zahnschmerzen, Sinusitis,       Körperliche und Zahnärztliche
Als Folgen einer frühkindlichen Hirnschädigung      oder Spucken                  Zoster                          Untersuchung
ist das meist als „Cerebralparese“ bezeichnete      Unruhe, Autoaggression        Juckende Hauterkrankung         Inspektion des entkleideten
Syndrom am häufigsten. Daneben finden sich                                                                        Patienten, Ganzkörperstatus
dystone, athetoide und ballistische Syndrome.       Reiben am Ohr                 Otitis, Tubenbelüftungs-        Otoskopie
Die Patienten bedürfen einer lebenslangen inter-                                  störung                         Abschwellende Nasentropfen
disziplinären neuroorthopädisch-neurologischen      Nahrungsverweigerung          Hals- oder Zahnschmerzen, Orale Inspektion
Betreuung mit individuell angepassten funkti-                                     Pharyngitis, Ulcus        ggf. Gastroskopie
onsverbessernden Operationen, Hilfsmittelver-
                                                    Manipulation im               Harnwegsinfekt,                 U-Status, Inspektion und
sorgung und Medikation.                             Genitalbereich                sonstige Infektion              Untersuchung Genitalregion

Demenzen                                            Regurgitation,                Reflux, Achalasie,              Körperliche Untersuchung
                                                    Rumination                    GI-Erkrankung                   H2-Blocker, ggf. Gastroskopie
Menschen mit einer IM erkranken unabhängig
vom Schweregrad der kognitiven Beeinträch-          Motorische Unruhe,            Harnverhalt, Frakturen,         Ganzkörperstatus mit rektal-digitaler
tigung fünfmal häufiger an einer Demenz als         Fremd-/Autoaggression,        anderer akuter Schmerz          Untersuchung, ggf. CT/MRT in Narkose
                                                    Schreien                      (Cave: Hodentorsion!)
die Allgemeinbevölkerung, wobei die Prävalenz
insbesondere beim Down-Syndrom erhöht ist.          Schreien und                  Fraktur,                        Körperliche Untersuchung,
Charakteristisch sind neben dem Gedächtnis-         Schonhaltung                  sonstige Verletzung             Röntgendiagnostik, CT
verlust und dem Verlust an alltagspraktischen      Tabelle 2: Mögliche Zuordnung von Verhaltensweisen zur somatischen Ursache – bei Patienten mit IM und
Fähigkeiten das vermehrte und frühe Auftreten      fehlender Fähigkeit zu sprachlicher Kommunikation kann die Beobachtung auffälliger Verhaltensweisen zur
                                                   richtigen Diagnose führen [modifiziert nach 2].
von Verhaltensauffälligkeiten [8, 11, 12].

Daneben findet man eine Häufung psychiatri-
scher Komorbiditäten: Schizophrenien, affektive
Störungen sowie Autismus finden sich in Ab-
hängigkeit von der Grunderkrankung deutlich        den Betroffenen eine multidisziplinäre und multi-      Krankenkassen und nicht aus dem Budget der
gehäuft [8].                                       professionelle medizinische Versorgung spezia-         Kassenärztlichen Vereinigungen [14].
                                                   lisiert auf Ihre Bedürfnisse zur Verfügung. Das
                                                   Behandlungsteam muss aus Ärzten mindestens             Während in Bayern eine mit dem Kostenträger
MZEB: spezialisierte ambulante                     zweier Facharztgruppen (meist Neurologie, Or-          abgestimmte Entwicklung der MZEB stattfindet
medizinische Versorgung für                        thopädie und/oder Innere Medizin), Psycholo-           und ein weitgehender Konsens bezüglich des
Patienten mit IM                                   gie, Logopädie, Sozialdienst und Ergotherapie          Bedarfes besteht, gestaltet sich die Entwicklung
                                                   bestehen.                                              in vielen anderen Bundesländern schwierig. Die
Die Problematik einer adäquaten medizinischen                                                             Zulassung eines MZEB kann erfolgen, wenn der
Versorgung für Patienten mit IM wurde be-          Zu den Aufgaben der MZEB gehört neben einer            besondere Bedarf durch die Zulassungsausschüsse
reits seit den Achtzigerjahren diskutiert. Der     spezialisierten Behandlung (zum Beispiel schwe-        festgestellt wird.
112. Deutsche Ärztetag (2009 in Mainz) stellte     rer Epilepsien, Verhaltensstörungen, spastischer
hierzu fest, dass eine ausreichende und notwen-    Syndrome) die differenzialdiagnostische multidis-
dige Versorgung von Menschen mit geistiger         ziplinäre Abklärung (Assessment), die Erstellung       Ärztliche Weiterbildung und
und mehrfacher Behinderung in Deutschland          eines Behandlungsplanes und die Verordnung             Qualifikation „Behindertenmedizin“
nicht im bedarfsgerechten Umfang sicherge-         von komplexen Hilfsmitteln sowie Heilmitteln in
stellt sei [13].                                   Ergänzung zur kassenärztlichen Versorgung [13].        Die Anforderungen an die ärztliche Qualifikati-
                                                                                                          on und Engagement sind in der Betreuung von
Mit der Formulierung der §§ 43b und 119c SGB V     Die Behandlung ist „auf diejenigen Erwachse-           Patienten mit IM hoch: neben der Kenntnis der
schuf der Gesetzgeber 2015 die Grundlage für       nen auszurichten, die wegen der Art, Schwe-            syndromalen Erkrankungen sind Kenntnisse über
die Gründung spezieller Behandlungszentren, den    re oder Komplexität ihrer Behinderung auf die          Besonderheiten der Kommunikation und des
MZEB [14]. Konzeptuell sind die MZEB mit den       ambulante Behandlung in diesen Einrichtungen           Verhaltens der Patienten, der speziellen Thera-
SPZ vergleichbar, wobei die MZEB jedoch sehr       angewiesen sind“. Der Gesetzgeber machte den           pie spastischer Syndrome, der Hilfsmittelver-
viel mehr auf Menschen mit schwerer geistiger      MZEB zur Auflage, dass sie dabei „mit anderen          sorgung, der nicht-medikamentösen Therapien
und mehrfacher Behinderung fokussieren. Der        behandelnden Ärzten, den Einrichtungen und             und Rehabilitation, der Diätetik, des Sozial- und
Zugang zu den MZEB ist entsprechend restriktiv     Diensten der Eingliederungshilfe und mit dem           Behindertenrechts und vieles mehr erforderlich,
(Diagnosenliste, Grad der Behinderung [GdB] > 70   öffentlichen Gesundheitsdienst eng zusammen-           um den Patienten gerecht zu werden.
mit Merkzeichen) geregelt [13].                    arbeiten“ sollen.
                                                                                                          Die Besonderheiten der Kommunikation und des
In diesen Zentren (MZEB), die in Bayern in den     Die Vergütung der MZEB erfolgt in Analogie             Umgangs mit Menschen mit IM finden im Medi-
meisten Bezirken (siehe Tabelle 1) von verschie-   zu den SPZ entsprechend § 120 Abs. 2 SGB V             zinstudium keine Erwähnung. Eine Integration des
denen Trägern seit 2017 aufgebaut werden, steht    (Neufassung vom 22. Juli 2015) direkt über die         Themas in Vorlesungspläne fand bislang nur an

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 Kasuistik: Anfälle?

 Heiner H. (42) leidet seit Geburt an einer Entwicklungsstörung. Er lebt        Diagnose: Verhaltensauffälligkeit bei Gallenkolik
 in einer Einrichtung der Behindertenhilfe und geht täglich in eine
 Förderstätte. Er wird als stets freundlich beschrieben, zeigt jedoch           Nach Operation der Galle in der kooperierenden Abdominalchirurgie
 auch autistische Verhaltensweisen; eine Sprachfähigkeit besteht nicht          ist H. beschwerdefrei, die zusätzlich gegebenen Antikonvulsiva können
 (schwere IM).                                                                  abgesetzt werden.

 Die Vorstellung erfolgt wegen „neu aufgetretenden Anfällen“, wobei
 eine seit der Kindheit bestehende Epilepsie mit Carbamazepin eigentlich
 gut kontrolliert war.

 Der Hausarzt stellte H. mehrfach beim Neurologen vor, in der Zwischen-
 zeit waren zwei weitere Antikonvulsiva hinzugegeben worden, jedoch
 ohne Effekt.

 Bei der Vorstellung im Zentrum berichtet der Betreuer, dass H. bei den
 Anfällen blass sei und stark schwitze. Ein Handyvideo zeigt, dass sich
 H. beim Anfall am Boden wälzt, mit dem rechten Arm abwechselnd
 auf den Boden und auf die Brust schlägt. Eine körperliche Untersu-
 chung lässt H. erst nach etwa einer Stunde zu, nachdem er das MZEB
 und Mitarbeiter kennengelernt hat. In milder Sedierung kann später             Abbildung: H. wirft sich anfallsartig zu Boden, zuckt, wälzt sich:
 eine Abdomensonografie erfolgen, die eine ausgeprägte Cholezysto-              Verhalten bei Gallenkolik bei fehlender Sprachkompetenz.
 lithiasis aufdeckt.                                                            Fehlinterpretationen: epileptischer/psychogener Anfall.

einzelnen Universitäten statt (Freiburg, Witten-      Seit 15 Jahren finden in Würzburg unter der             Interessenskonflikt: Privatdozent Dr. Mar-
Herdecke). Hierdurch fehlt jungen Assistenten und     Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für         tin Winterholler ist seit 2015 Mitglied des
auch Fachärzten in der Regel relevante Erfahrung      Medizin für Menschen mit geistiger Behinderung          Bundesvorstandes und seit 11/2018 Vor-
im Umgang mit diesen Patienten.                       (DGMGB) Fortbildungscurricula zur „Medizin für          stand der Bundesarbeitsgemeinschaft
                                                      Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinde-          MZEB e. V.
Die Versorgung von Patienten mit Behinderung          rung“ statt, die zur Qualifikation „Behinderten-
war zwar bislang in der derzeit gültigen Weiter-      medizin“ der DGMGB berechtigen. Dieses Ange-
bildungsordnung in einigen Facharztkompetenzen        bot nutzten in der Zwischenzeit über 150 bayeri-
und Zusatzweiterbildungen partiell verankert. Um      sche Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher
die entsprechende erforderliche Kompetenz für         Fachdisziplinen.
alle Facharztkompetenzen zu definieren, ist in
der Novelle der Muster-Weiterbildungsordnung          Ein berufsbegleitendes Weiterbildungsmodell
                                                                                                               Autoren
zusätzlich in den „Allgemeinen Inhalten der Wei-      „Behindertenmedizin“ unter Federführung der              Privatdozent Dr. Martin Winterholler 1
terbildung, Abschnitt B (Gebiete)“, der Inhalt „Be-   Ärztekammer, das sich in Umfang und Gestaltung           Dr. Anja Klafke 2
sonderheiten bei der Betreuung von Menschen mit       an das der Palliativmedizin anlehnt (das heißt mit       Dr. Ute Schaaf 3
Behinderung“ als kognitive und Methodenkom-           der Möglichkeit sich durch Kurse und Kasuistiken,
petenz vorgesehen. Offen ist aber, auf welchem        aber auch durch Tätigkeit an einer Weiterbil-              
                                                                                                               1 siehe   Korrespondenzadresse
Weg diese Kompetenzen und gerade die spezi-           dungsstelle zu qualifizieren), käme dem Wunsch
fische Erfahrung im Umgang mit Menschen mit           vieler Betroffener und ihrer Betreuer entgegen,            
                                                                                                               2 MZEB Würzburg, Ohmstraße 7,
geistiger Behinderung erworben werden sollen.         an Hand einer Zusatzbezeichnung besonders                  79076 Würzburg
                                                      qualifizierte Haus- und Fachärzte zu erkennen.
Hausärzte, die Behinderteneinrichtungen be-                                                                      
                                                                                                               3 Hauptstraße     55, 91720 Absberg
treuen waren über viele Jahre gezwungen, sich         Ein derartiges Modell, das hilft behinderungsspe-
– im positiven Sinne – Erfahrungswissen an-           zifische Anforderungen an die ärztliche Qualifi-         Korrespondenzadresse:
zueigenen. Dieses „learning on the job“ nach          kation in die Breite zu tragen und hierdurch die         Privatdozent Dr. Martin Winterholler,
dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ sollte nach          Versorgung von Patienten mit IM zu verbessern,           Krankenhaus Rummelsberg,
Meinung der Autoren von einer strukturierten          wird auch von der DGMGB und anderen Fach-                Neurologische Klinik, Nordbayerisches
Aus-, Fort- und Weiterbildung abgelöst werden.        verbänden unterstützt.                                   Behandlungszentrum für Menschen mit
Sie begrüßen ausdrücklich die Bestrebungen, an                                                                 Behinderung, Rummelsberg 71, 90492
der neu entstehenden medizinischen Fakultät           Das Literaturverzeichnis kann im Internet                Schwarzenbruck bei Nürnberg,
der Universität Augsburg einen Lehrstuhl für          unter www.bayerisches-aerzteblatt.de                     E-Mail: martin.winterholler@sana.de
Behindertenmedizin zu etablieren.                     (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

                                                                                                                    Bayerisches Ärzteblatt 12/2020      619
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