Ministero dell'Istruzione, dell' Università e della Ricerca

Die Seite wird erstellt Malin Seidel
 
WEITER LESEN
Pag. 1/5                                                                Sessione ordinaria 2016
                                                                        Quarta prova scritta

      Ministero dell’Istruzione, dell’ Università e della Ricerca
     XEL3 - ESAMI DI STATO DI ISTRUZIONE SECONDARIA SUPERIORE

                       SEZIONI AD OPZIONE INTERNAZIONALE TEDESCA

                        Tema di: DEUTSCH UND DEUTSCHE LITERATUR
                                 Themenvorschlag 1: Texterörterung

     Matthias Dobrinski: Das Glücksdogma

           Man kann es auch in Tagen der Flüchtlingskrise finden, das Glück. In der Ausgabestelle
           für Kleider zum Beispiel, so chaotisch und laut es dort auch zugehen mag. Freiwillige,
           die sich nicht kennen, arbeiten zu lange mit zu wenig Schlaf; sie treffen auf erschöpfte
           Menschen, deren Sprache sie nicht sprechen. Es müssten Streit und Spannung in der
     5     Luft liegen. Doch in der Halle breitet sich Hochstimmung aus und die Ahnung, wie es
           sein könnte, wenn alle eine große Menschheitsfamilie wären. Das wird so nicht lange
           bleiben, doch Zeit für Ernüchterung bleibt noch genug. Jetzt ist das Glück da. Helfen
           macht glücklich. Es macht glücklich, ohne dass man dafür Ratgeber lesen, Blogs
           verfolgen, einen Coach aufsuchen muss. Es ist ein geradezu unheimlich
     10    anarchisches Glück.
           Die Bundesrepublik ist ein ziemlich glückliches Land, eigentlich. Es gibt seit 70 Jahren
           keinen Krieg und keine Diktatur. Land und Leute sind wohlhabend wie nie; die
           Korruption ist gering, das Bildungsniveau ordentlich, die Straßen sind geteert, die Züge
           fahren meist nach Plan. Und trotzdem scheint das halbe Land gerade das Glück zu
     15    suchen. In Yogakursen, Selbsterfahrungsgruppen, bei Individual-Coachings; auf Reisen
           ins Innere, in die Wildnis oder ins Wellnesshotel; an der Bar, beim Dating oder
           wenigstens mit dem Buch auf dem Sofa. Es suchen gerade jene, die man glücklich
           nennen könnte: die Gebildeten, die Wohlhabenden, die Avantgardisten. Weil sie
           unglücklich sind? Weil sie ihr Glück als unvollkommen empfinden? Oder weil ihnen das
     20    einer eingeredet hat? Es ist ein Boom, der von einem Missverständnis lebt: dass die
           Glückssuche glücklich macht, am besten bis ans Lebensende.
           Dass Menschen nach dem Glück suchen, ist Teil ihres Menschseins. „Alle wünschen
           sich ein glückliches Leben“, wusste schon Seneca. […] Gerade die Deutschen haben sich
           da lange wenig getraut. Sie waren ein Volk der Pflichterfüller, sie taten in Staat und
     25    Armee, Familie, Beruf und Kirche, was ihnen aufgetragen wurde; Glück bedeutete, dies
           zur Zufriedenheit der anderen zu tun. Ihre Philosophie war die der Stoiker, die danach
           strebten, Schwankungen im Seelenleben zu vermeiden. Seit einigen Jahren aber scheinen
           die Deutschen das lang verpasste Glück finden zu wollen, und zwar möglichst schnell.
           Sie hämmern und dengeln, als ihres Glückes Schmied, an ihrem Leben herum. Sie
     30    ändern ihre Schlaf- und Essgewohnheiten, quälen sich durch neue Sportarten, suchen
           neue Jobs, weil die alten sie nicht mehr erfüllen, neue Bett- und Lebenspartner. Sie tun
           das immer in der Sorge, dass es nicht reichen könnte zum vollkommenen Glück, dass sie
           schon wieder den Augenblick verpasst haben, zu dem sie hätten sagen können: verweile
           doch, du bist so schön. Für den weiten Markt der Glücksanbieter zwischen seriöser
     35    Lebensberatung und Scharlatanerie ist das eine solide Gewinngarantie. Für die Schar der
           Glückssucher birgt es die Gefahr, mit ziemlich viel Kosten und Mühe unglücklich zu
           werden.
Pag. 2/5                                                                          Sessione ordinaria 2016
                                                                                  Quarta prova scritta

      Ministero dell’Istruzione, dell’ Università e della Ricerca
           "Um nicht sehr unglücklich zu werden, ist das sicherste Mittel, dass man nicht verlange,
           sehr glücklich zu sein" - das wusste schon […] Arthur Schopenhauer. Denn der
     40    immerwährende Glückszustand ist eine Horrorvorstellung. Er wäre wie der
           immerwährende Rausch: Erst verschafft er Weite und Wonne, dann verlangt er nach
           Dosis-Steigerung, am Ende geht man daran zugrunde. Im immerwährenden Glück darf
           es keine Traurigkeit geben und keine Melancholie; Schmerz, Tränen oder Misserfolge
           werden verdrängt oder umgedeutet als Schritt auf dem Weg zum wahren Glück. Nur:
     45    Wer nie traurig oder melancholisch sein darf, kann auch kein Glück empfinden. Beide
           Seiten des Lebens gehören zusammen. […]
           Das Glück ist eben nicht herstellbar. Es entzieht sich gerade dem, der es erzwingen will.
           Es kommt, wenn man es nicht sucht und am wenigsten erwartet – zum Beispiel in der
           Kleiderkammer für Flüchtlinge, wenn man etwas Sinnvolles für andere tut. Sucht den
     50    Sinn statt das Glück! […] Sinn bedeutet, die Welt jenseits der Selbstbeschäftigung zu
           sehen, sich auf Gemeinschaft und Verantwortung einzulassen. Wer nur dem
           Wohlfühlglück nachjagt, kann andere Menschen nicht wirklich lieben, keine Kinder
           erziehen oder Alte pflegen. Er kann aber auch keine Weltliteratur schreiben oder ein
           Medikament entwickeln - der Sinnsucher kann das alles schon. Und dann ist es auf
     55    einmal da, das Glück. Es lässt sich, wie ein wildes Tier, nicht fangen, zähmen, züchten.
           Das Glück muss frei sein, sonst ist es kein Glück.
           Befreit das Glück aus der Sklaverei des Selbstoptimierungswahns! Dann kommt es von
           selbst. Ganz unverhofft.
                                                       aus: Süddeutsche Zeitung, 10./11.10.2015; gekürzte Version
                                                                                                    (695 Wörter)

     Worterläuterungen:
     unheimlich (Z. 9): hier im Sinne von „sehr“
     als ihres Glückes Schmied (Z. 29): Verweis auf das Sprichwort „Jeder ist seines Glückes Schmied.“
     Scharlatanerie (Z. 35): Schwindelei, Betrügerei
     Arthur Schopenhauer (Z.39): Deutscher Philosoph, 1788-1860
     Kleiderkammer (Z. 49): Raum, in dem gespendete Kleidung an Flüchtlinge verteilt wird
     Selbstbeschäftigung (Z. 50): Beschäftigung mit sich, mit der eigenen Person

     II. Aufgaben
     A) Analyse des Textes:
            1. Fassen Sie den Textinhalt in seinen wesentlichen Aussagen zusammen!
            2. Erläutern Sie, was der Verfasser unter „Glück“ versteht!
            3. Benennen Sie auffällige sprachliche Gestaltungsmittel (Wortwahl, Satzbau,
            rhetorische Mittel) und erläutern Sie ihre Wirkung!
     B) Texterörterung:
            Erörtern Sie die Haltung des Autors, indem Sie sich kritisch mit seiner Position
            auseinandersetzen!

     Hilfsmittel: einsprachiges Wörterbuch
Pag. 3/5                                                              Sessione ordinaria 2016
                                                                      Quarta prova scritta

      Ministero dell’Istruzione, dell’ Università e della Ricerca
     XEL3 - ESAMI DI STATO DI ISTRUZIONE SECONDARIA SUPERIORE

                        SEZIONI AD OPZIONE INTERNAZIONALE TEDESCA

                          Tema di: DEUTSCH UND DEUTSCHE LITERATUR
                Themenvorschlag 2: Analyse und Interpretation eines literarischen Textes

           I.      Textvorlagen:

     Theodor Storm: Die Stadt (1852)

            Am grauen Strand, am grauen Meer
            Und seitab liegt die Stadt;
            Der Nebel drückt die Dächer schwer,
            Und durch die Stille braust das Meer
     5      Eintönig um die Stadt.

        Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
        Kein Vogel ohn' Unterlass;
        Die Wandergans mit hartem Schrei
        Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
     10 Am Strande weht das Gras.

        Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
        Du graue Stadt am Meer;
        Der Jugend Zauber für und für
        Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
     15 Du graue Stadt am Meer.
Pag. 4/5                                                               Sessione ordinaria 2016
                                                                       Quarta prova scritta

      Ministero dell’Istruzione, dell’ Università e della Ricerca
     Georg Heym: Die Stadt (1911)

           Sehr weit ist diese Nacht. Und Wolkenschein
           Zerreißet vor des Mondes Untergang.
           Und tausend Fenster stehn die Nacht entlang
     4     Und blinzeln mit den Lidern, rot und klein.

           Wie Aderwerk gehn Straßen durch die Stadt,
           Unzählig Menschen schwemmen aus und ein.
           Und ewig stumpfer Ton von stumpfem Sein
     8     Eintönig kommt heraus in Stille matt.

           Gebären, Tod, gewirktes Einerlei,
           Lallen der Wehen, langer Sterbeschrei,
     11    Im blinden Wechsel geht es dumpf vorbei.

           Und Schein und Feuer, Fackeln rot und Brand,
           Die drohn im Weiten mit gezückter Hand
     14    Und scheinen hoch von dunkler Wolkenwand.

     Worterläuterungen:

     Zu Storm:
     ohn‘ (V. 7): ohne
     Wandergans (V. 8): gemeint ist ein Zugvogel

     Zu Heym:
     wirken (V. 9): etwas schaffen, herstellen, produzieren
     drohn (V. 13): drohen

     II. Textanalyse und -interpretation:
     A) Textanalyse:
         1. Verfassen Sie eine Inhaltsangabe beider Gedichte. Gehen Sie dabei jeweils auch auf
            die inhaltliche Struktur ein.
         2. Stellen Sie auffallende formale und sprachliche Merkmale und deren Wirkung dar.
     B) Textinterpretation:
         1. Vergleichen Sie die beiden Gedichte unter inhaltlichen, formalen und sprachlichen
            Aspekten. Erläutern Sie dabei insbesondere die Gestaltung des Stadtmotivs.
         2. Deuten Sie die Unterschiede in der Gestaltung der Gedichte, indem Sie sich auf die
            literarische Epoche bzw. auf literarische Strömungen beziehen.

     Hilfsmittel: einsprachiges Wörterbuch
Pag. 5/5                                                                                   Sessione ordinaria 2016
                                                                                           Quarta prova scritta

       Ministero dell’Istruzione, dell’ Università e della Ricerca
      XEL3 - ESAMI DI STATO DI ISTRUZIONE SECONDARIA SUPERIORE

                            SEZIONI AD OPZIONE INTERNAZIONALE TEDESCA

                              Tema di: DEUTSCH UND DEUTSCHE LITERATUR
                                   Themenvorschlag 3: Literarische Erörterung

      Wer zu handeln versäumt, ist noch keineswegs frei von Schuld. Niemand erhält seine Reinheit
      durch Teilnahmslosigkeit.
                                                                                                        (Siegfried Lenz)

      Aufgabe:
      Erörtern Sie anhand geeigneter Beispiele aus der Literatur, inwiefern menschliche Schuld auf
      versäumtem Handeln, Teilnahmslosigkeit und Passivität beruhen kann.

      Erläuterung zu Siegfried Lenz:
      Siegfried Lenz (17.03.1926 - 07.10.2014) war einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller der
      Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur.

      Hilfsmittel: einsprachiges Wörterbuch

   ____________________________
   Durata massima della prova: 6 ore.
   È consentito soltanto l’uso di dizionari monolingue.
   Non è consentito lasciare l’Istituto prima che siano trascorse 3 ore dalla dettatura del tema.
Sie können auch lesen