Angst beim Zahnarzt ist weit verbreitet Gegen das Zittern vor dem Bohrer hilft am besten kognitive Verhaltenstherapie

Die Seite wird erstellt Titus-Stefan Werner
 
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Kampf der Dentisten mit den Dental-Phobikern: Zahnärzte
behandeln die Ängste ihrer Patienten oft falsch

Angst beim Zahnarzt ist weit verbreitet
Gegen das Zittern vor dem Bohrer hilft am
besten kognitive Verhaltenstherapie
Für viele Menschen ist der Gang zur zahnärztlichen
Vorsorgeuntersuchung oder zur Parodontosebehandlung
eine unangenehme Pflicht. Einem beträchtlichen Teil
verursacht die Vorstellung an einen Zahnarztbesuch wahre
Qualen und Alpträume. Doch die "Dentalphobie" kann - wie
andere Ängste auch - sehr gut überwunden werden: Mit
Psychotherapie.

Je größer die Angst, desto größer ist der Bogen, den die
Betroffenen um die Zahnarztpraxis machen: Wenn der Bohrer
jault, der Absauger schlürft, die grelle Lampe blendet - beim
Zahnarztbesuch ergreift sie die Panik. Experten schätzen, dass
zwischen sechs und 14 Prozent der Bevölkerung sehr starke
Angst vor dem Zahnarzt hegen und deshalb nur in absoluten
Notfällen eine Praxis betreten.

Denn gelegentlich stirbt man sogar beim Zahnarzt - aus Angst. So
war ein Mann in Österreich vor Aufregung beim Zahnarzt tot
zusammengebrochen. Der 41-jährige, der sich in Freistadt
(Oberösterreich) wegen starker Zahnschmerzen behandeln lassen
wollte, habe kurz nach der Verabreichung der Narkose einen
Hirnstamminfarkt erlitten, berichtete die Tageszeitung "Kurier" am
28.04.2000.

Der Infarkt sei auf die große Aufregung des Patienten
zurückzuführen, hieß es unter Berufung auf die Ärzte, die die
Obduktion durchführten. Dieser Tod sei an sich nichts
Ungewöhnliches, sagten die Mediziner. Bei manchen Menschen
könne eine verstärkte Ausschüttung von Stresshormonen einen
tödlichen Schock verursachen.

Aber auch für die große Masse ist die Zahnarztpraxis nicht
unbedingt der liebste Aufenthaltsort: "Sechzig Prozent der
Menschen gehen lieber zu irgend einem anderen Arzt", weiß
Thomas Schneller von der Medizinischen Hochschule in
Hannover (MHH).

"Schlechte Erfahrungen bei einem Zahnarzt" ist die häufigste
Ursache für die Angst, sagt Schneller. Das können Schmerzen
gewesen sein oder auch eine "Zwangsbehandlung" als Kind, die
der kleine Patient nur mit Gewalt über sich hat ergehen lassen.

"Natürlich hat daran nicht in allen Fällen der Zahnarzt schuld",
sagt Schneller. Allerdings seien die meisten Zahnärzte nicht in der
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Lage, auf die Angst ihrer Patienten angemessen zu reagieren.
"Bis jetzt müssen Zahnärzte im Laufe des Studiums nicht eine
Stunde Psychologie absolvieren" beklagt er. Und auch nachher
sei das Interesse an psychologischem Zusatzwissen gering.

Psychologische Behandlung besser als Beruhigungsmittel

Psychologische Betreuung und Entspannungsübungen können
die Angst vor einer zahnärztlichen Behandlung sehr viel besser
lösen als Beruhigungsmittel. Das hat eine im Mai diesen Jahres
veröffentlichte Studie der Universitäten Wuppertal und
Witten/Herdecke ergeben. Wie der Informationskreis
Mundhygiene und Ernährungsverhalten (IME) in Bonn mitteilte,
wurden dazu Patienten untersucht, die im Schnitt seit 2,6 Jahren
nicht beim Zahnarzt waren und nun Behandlungen unter
Vollnarkose vornehmen lassen wollten.

Bei der einen Hälfte der Patienten wurde versucht, statt der
Narkose nur ein Beruhigungsmittel zu geben - die andere Hälfte
erhielt eine 90-minütige Kurzbehandlung mit
Entspannungsübungen. Die zweite Methode erwies sich laut IME
als erfolgreicher: Die Zahl der Abbrecher war nur halb so groß wie
nach Gabe des Beruhigungsmittels.

Auch zeigten die psychologisch betreuten Patienten selbst nach
zwei Monaten noch ein niedriges Maß an Angst vor dem Zahnarzt.
Bei den medikamentös behandelten Studienteilnehmern dagegen
setzte die Angst laut IME nach Absetzen der Medikamente
unvermindert wieder ein. Das Ergebnis spricht für die getestete
psychologische Kurzbehandlung, die Entspannungsübungen und
verhaltenstherapeutische Methoden zum Angstabbau beinhaltete.

Dietmar G. Luchmann ist Psychotherapeut und Leiter der
Angstambulanz Stuttgart des ABARIS Institutes für
Psychotherapie. Patienten mit Zahnarzt-Angst sind bei ihm keine
Seltenheit. "Wer auf den Zahnarztbesuch phobisch reagiert,
hat häufig in seiner Grundpersönlichkeit weitere phobische
Anteile." Deshalb seien Interventionen unzureichend, die allein
auf die Zahnarzt- oder Dentalphobie fokussierten. "Eine Angst-
Behandlung sollte das phobische Denken des Betroffenen
stets in seiner Gesamtheit verändern", sagt Luchmann, "nur
dann ist der übersteigerten Angst auch auf Dauer 'der Zahn'
gezogen". Sonst breite die Angst sich wie ein Geschwür wieder
aus. Psychotherapeuten seien hierfür die richtigen
Ansprechpartner.

Die kognitive Verhaltenstherapie als effektivste
psychotherapeutische Methode setzt am Denken an. Sie macht
den Betroffenen ihre Gedanken transparent und deckt die
"Denkfehler" auf, die Patienten in Bezug auf ihre phobischen
Inhalte machen. "Wir vermitteln unseren Patienten", sagt
Luchmann, "wie sie Situationen, vor denen sie sich über Jahre
fürchteten, durch bewusste Steuerung ihres Denkens
gelassen erleben können". Es sei bei seinen Zahnarztphobikern
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häufig nicht einmal erforderlich, die Umsetzung des Erlernten
durch den Patienten mit dem Zahnarzt abzustimmen. Doch falls
erforderlich, kooperiere Luchmann zur Konfrontationstherapie
auch mit psychologisch erfahrenen Zahnärzten. "Wenn der
Patient sein Denken verändert hat, kann er auch mit der
Angst umgehen, dem Zahnarzt in gewissem Sinne hilflos
ausgeliefert zu sein."

Besonders schwierig ist die Behandlung bei den sechs bis 14
Prozent der Fälle, die unter extremer Angst leiden. "Diese
Patienten haben keine 'normale' Zahnarzt-Angst sondern eine
regelrechte Phobie", sagt Michael Leu, Zahnarzt in Grünwald bei
München, der zur besseren Verwertung der Zahnarztphobiker
sogar eine Deutsche Gesellschaft für Zahnbehandlungsphobie
(DGZP) gründete. "Bei einer Phobie treten unterschiedliche
Symptome, die die 'normale' Angst kennzeichnen, in
Kombination auf", erklärt Leu. So hätten Menschen mit so
genannter Dentalphobie zum Beispiel Herzrasen, Übelkeit,
Schwindelgefühle und seien nicht mehr in der Lage, mit dem
behandelnden Arzt zu kooperieren, wie dies bei der Hypnose zum
Beispiel notwendig sei.

Vollnarkose als Konfrontationstherapie? Unfug, sagen
Experten

In diesen Fällen hält Leu eine Behandlung unter Vollnarkose für
sinnvoll: "Zum einen kann der Zahnarzt während einer
Vollnarkose viel mehr richten. Und viele kommen ja erst,
wenn eine Komplett-Sanierung notwendig ist." Außerdem
hätten viele Patienten eine gute Chance, ihre Phobie so zu
überwinden: "Die Behandlung unter Vollnarkose", so der
Zahnarzt, "ist eigentlich eine Konfrontationstherapie: Wenn
der Patient mit dem Ergebnis zufrieden ist und eben keine
Qualen durchleiden musste, dann kann er den Phobie-
Auslöser 'verharmlosen'." Deshalb hätten viele Patienten nach
einer Behandlung zwar noch "normale Zahnarztangst", aber
keine Phobie mehr.

Angstexperte und Diplom-Psychologe Luchmann widerspricht
dieser eigenwilligen Betrachtungsweise des Zahnarztes
entschieden: Eine Vollnarkose stelle ein unnötiges Risiko dar, an
ihr verdiene nur der Zahnarzt und mit Blick auf die Angst-
Bewältigung bringe sie keinen Nutzen. "Vollnarkose beim
Zahnarzt als geeignete Reizkonfrontationstherapie zu
bezeichnen, ist hanebüchener Unfug", sagt Luchmann. "Wir
haben strikt zu trennen zwischen der Narkose, die aus
medizinischer Sicht bei akuter Gesundheitsgefahr indiziert
ist, und der Narkose bei Phobikern, die damit ihre
angstbesetzte Situation vermeiden, obwohl sie über die Zeit
für ein paar psychotherapeutische Sitzungen durchaus
verfügen."

Psychotherapeut Luchmann verweist auf das Erfordernis
kognitiver (gedanklicher) Veränderungen bei den Dentalphobikern:
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"Zur erfolgreichen Überwindung von Ängsten ist es bei der
Konfrontationstherapie wichtig, die eigene Bewältigung der
gemiedenen Situation grundsätzlich bewusst zu erleben". In
drei bis fünf Sitzungen seien durch kognitive Psychotherapie
Veränderungen im Denken der Patienten zu erreichen, die einen
nachhaltigen Angstabbau bewirken. "Aus lernpsychologischer
Sicht ist eine Narkose beim Zahnarzt als
'Konfrontationstherapie' so wenig tauglich wie eine Narkose
bei einem Tunnelphobiker, den man betäubt durch den
Tunnel fährt", ergänzt Luchmann. Die Angst vor dem Bohrer sei
als Angst eine psychische Störung wie jede andere und gehöre
deshalb in die Hand des Psychotherapeuten und nicht des
Zahnarztes.

Nicht jeder, der bei dem Gedanken an den Zahnarzt Unbehagen
verspürt, braucht gleich einen Termin beim Angsttherapeuten.
Patienten mit leichterer oder mittelschwerer Angst sei in erster
Linie zu raten, einen Zahnarzt des Vertrauens zu finden, meint
deshalb Zahnarzt Schneller von der Medizinischen Hochschule
Hannover. "Es ist dabei wichtig, die Angst von Anfang an
zuzugeben, damit der Arzt darauf eingehen kann." Dann könne
ein guter Zahnarzt schon mit einfachen Maßnahmen entscheidend
helfen: Indem er zum Beispiel den Behandlungstermin an das
Ende seiner Sprechzeit legt, um Zeitdruck zu vermeiden. Auch
endloses Warten sollte dem Angstgeplagten erspart werden. Am
wichtigsten sei ein ausführliches Gespräch vor der Behandlung,
bei dem sich Arzt und Patient kennen lernen und ein
Vertrauensverhältnis aufbauen können.

Ein feinfühliger und verständnisvoller Zahnarzt könne dazu
beitragen, die Angst gar nicht erst wachsen zu lassen.
"Schließlich", so ergänzt Luchmann, "waren die meisten
Dentalängste mal klein gewesen und sind erst dadurch
gewachsen, dass der Zahnarztbesuch auf jede erdenkliche
Weise vermieden wurde." Hat man sich jedoch erst einmal
überwunden, dann rät Schneller zu regelmäßigen
Zahnarztbesuchen: "Wer jedes Vierteljahr zur
Routineuntersuchung geht, dem droht am Ende keine böse
Überraschung."

Wie jenen vielen hundert gesunden Patienten, die in der
nordfranzösischen Stadt Sarcelles Opfer eines besessenen
Zahnarztes geworden sind. Wie "Dr. Mabuse" habe der Mediziner
seinen ahnungslosen Besuchern ohne Grund teilweise alle Zähne
gezogen, berichtete die Zeitung "Le Figaro" am 07.04.2000.

"Nur der Zahnarzt gewinnt bei jeder Ziehung", weiß der
Volksmund. Aus Geldgier und mit sadistischer Freude habe dieser
Zahnarzt jahrelang Backen-, Weisheits- und Schneidezähne
entfernt und den Patienten dann teure Gebisse eingepasst. Um an
dem Betrug noch ein zweites Mal zu verdienen, habe er die
Zahnprothesen so locker angebracht, dass die Patienten zu
weiteren Behandlungen in die Praxis zurückkehren mussten - eine
besonders verwerfliche Abwandlung der Konfrontationstherapie.
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Inzwischen sitze der "verrückte" Zahnarzt hinter Gitter, berichtete
die Zeitung weiter.
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