Angst beim Zahnarzt ist weit verbreitet Gegen das Zittern vor dem Bohrer hilft am besten kognitive Verhaltenstherapie
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1 Kampf der Dentisten mit den Dental-Phobikern: Zahnärzte behandeln die Ängste ihrer Patienten oft falsch Angst beim Zahnarzt ist weit verbreitet Gegen das Zittern vor dem Bohrer hilft am besten kognitive Verhaltenstherapie Für viele Menschen ist der Gang zur zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchung oder zur Parodontosebehandlung eine unangenehme Pflicht. Einem beträchtlichen Teil verursacht die Vorstellung an einen Zahnarztbesuch wahre Qualen und Alpträume. Doch die "Dentalphobie" kann - wie andere Ängste auch - sehr gut überwunden werden: Mit Psychotherapie. Je größer die Angst, desto größer ist der Bogen, den die Betroffenen um die Zahnarztpraxis machen: Wenn der Bohrer jault, der Absauger schlürft, die grelle Lampe blendet - beim Zahnarztbesuch ergreift sie die Panik. Experten schätzen, dass zwischen sechs und 14 Prozent der Bevölkerung sehr starke Angst vor dem Zahnarzt hegen und deshalb nur in absoluten Notfällen eine Praxis betreten. Denn gelegentlich stirbt man sogar beim Zahnarzt - aus Angst. So war ein Mann in Österreich vor Aufregung beim Zahnarzt tot zusammengebrochen. Der 41-jährige, der sich in Freistadt (Oberösterreich) wegen starker Zahnschmerzen behandeln lassen wollte, habe kurz nach der Verabreichung der Narkose einen Hirnstamminfarkt erlitten, berichtete die Tageszeitung "Kurier" am 28.04.2000. Der Infarkt sei auf die große Aufregung des Patienten zurückzuführen, hieß es unter Berufung auf die Ärzte, die die Obduktion durchführten. Dieser Tod sei an sich nichts Ungewöhnliches, sagten die Mediziner. Bei manchen Menschen könne eine verstärkte Ausschüttung von Stresshormonen einen tödlichen Schock verursachen. Aber auch für die große Masse ist die Zahnarztpraxis nicht unbedingt der liebste Aufenthaltsort: "Sechzig Prozent der Menschen gehen lieber zu irgend einem anderen Arzt", weiß Thomas Schneller von der Medizinischen Hochschule in Hannover (MHH). "Schlechte Erfahrungen bei einem Zahnarzt" ist die häufigste Ursache für die Angst, sagt Schneller. Das können Schmerzen gewesen sein oder auch eine "Zwangsbehandlung" als Kind, die der kleine Patient nur mit Gewalt über sich hat ergehen lassen. "Natürlich hat daran nicht in allen Fällen der Zahnarzt schuld", sagt Schneller. Allerdings seien die meisten Zahnärzte nicht in der
2 Lage, auf die Angst ihrer Patienten angemessen zu reagieren. "Bis jetzt müssen Zahnärzte im Laufe des Studiums nicht eine Stunde Psychologie absolvieren" beklagt er. Und auch nachher sei das Interesse an psychologischem Zusatzwissen gering. Psychologische Behandlung besser als Beruhigungsmittel Psychologische Betreuung und Entspannungsübungen können die Angst vor einer zahnärztlichen Behandlung sehr viel besser lösen als Beruhigungsmittel. Das hat eine im Mai diesen Jahres veröffentlichte Studie der Universitäten Wuppertal und Witten/Herdecke ergeben. Wie der Informationskreis Mundhygiene und Ernährungsverhalten (IME) in Bonn mitteilte, wurden dazu Patienten untersucht, die im Schnitt seit 2,6 Jahren nicht beim Zahnarzt waren und nun Behandlungen unter Vollnarkose vornehmen lassen wollten. Bei der einen Hälfte der Patienten wurde versucht, statt der Narkose nur ein Beruhigungsmittel zu geben - die andere Hälfte erhielt eine 90-minütige Kurzbehandlung mit Entspannungsübungen. Die zweite Methode erwies sich laut IME als erfolgreicher: Die Zahl der Abbrecher war nur halb so groß wie nach Gabe des Beruhigungsmittels. Auch zeigten die psychologisch betreuten Patienten selbst nach zwei Monaten noch ein niedriges Maß an Angst vor dem Zahnarzt. Bei den medikamentös behandelten Studienteilnehmern dagegen setzte die Angst laut IME nach Absetzen der Medikamente unvermindert wieder ein. Das Ergebnis spricht für die getestete psychologische Kurzbehandlung, die Entspannungsübungen und verhaltenstherapeutische Methoden zum Angstabbau beinhaltete. Dietmar G. Luchmann ist Psychotherapeut und Leiter der Angstambulanz Stuttgart des ABARIS Institutes für Psychotherapie. Patienten mit Zahnarzt-Angst sind bei ihm keine Seltenheit. "Wer auf den Zahnarztbesuch phobisch reagiert, hat häufig in seiner Grundpersönlichkeit weitere phobische Anteile." Deshalb seien Interventionen unzureichend, die allein auf die Zahnarzt- oder Dentalphobie fokussierten. "Eine Angst- Behandlung sollte das phobische Denken des Betroffenen stets in seiner Gesamtheit verändern", sagt Luchmann, "nur dann ist der übersteigerten Angst auch auf Dauer 'der Zahn' gezogen". Sonst breite die Angst sich wie ein Geschwür wieder aus. Psychotherapeuten seien hierfür die richtigen Ansprechpartner. Die kognitive Verhaltenstherapie als effektivste psychotherapeutische Methode setzt am Denken an. Sie macht den Betroffenen ihre Gedanken transparent und deckt die "Denkfehler" auf, die Patienten in Bezug auf ihre phobischen Inhalte machen. "Wir vermitteln unseren Patienten", sagt Luchmann, "wie sie Situationen, vor denen sie sich über Jahre fürchteten, durch bewusste Steuerung ihres Denkens gelassen erleben können". Es sei bei seinen Zahnarztphobikern
3 häufig nicht einmal erforderlich, die Umsetzung des Erlernten durch den Patienten mit dem Zahnarzt abzustimmen. Doch falls erforderlich, kooperiere Luchmann zur Konfrontationstherapie auch mit psychologisch erfahrenen Zahnärzten. "Wenn der Patient sein Denken verändert hat, kann er auch mit der Angst umgehen, dem Zahnarzt in gewissem Sinne hilflos ausgeliefert zu sein." Besonders schwierig ist die Behandlung bei den sechs bis 14 Prozent der Fälle, die unter extremer Angst leiden. "Diese Patienten haben keine 'normale' Zahnarzt-Angst sondern eine regelrechte Phobie", sagt Michael Leu, Zahnarzt in Grünwald bei München, der zur besseren Verwertung der Zahnarztphobiker sogar eine Deutsche Gesellschaft für Zahnbehandlungsphobie (DGZP) gründete. "Bei einer Phobie treten unterschiedliche Symptome, die die 'normale' Angst kennzeichnen, in Kombination auf", erklärt Leu. So hätten Menschen mit so genannter Dentalphobie zum Beispiel Herzrasen, Übelkeit, Schwindelgefühle und seien nicht mehr in der Lage, mit dem behandelnden Arzt zu kooperieren, wie dies bei der Hypnose zum Beispiel notwendig sei. Vollnarkose als Konfrontationstherapie? Unfug, sagen Experten In diesen Fällen hält Leu eine Behandlung unter Vollnarkose für sinnvoll: "Zum einen kann der Zahnarzt während einer Vollnarkose viel mehr richten. Und viele kommen ja erst, wenn eine Komplett-Sanierung notwendig ist." Außerdem hätten viele Patienten eine gute Chance, ihre Phobie so zu überwinden: "Die Behandlung unter Vollnarkose", so der Zahnarzt, "ist eigentlich eine Konfrontationstherapie: Wenn der Patient mit dem Ergebnis zufrieden ist und eben keine Qualen durchleiden musste, dann kann er den Phobie- Auslöser 'verharmlosen'." Deshalb hätten viele Patienten nach einer Behandlung zwar noch "normale Zahnarztangst", aber keine Phobie mehr. Angstexperte und Diplom-Psychologe Luchmann widerspricht dieser eigenwilligen Betrachtungsweise des Zahnarztes entschieden: Eine Vollnarkose stelle ein unnötiges Risiko dar, an ihr verdiene nur der Zahnarzt und mit Blick auf die Angst- Bewältigung bringe sie keinen Nutzen. "Vollnarkose beim Zahnarzt als geeignete Reizkonfrontationstherapie zu bezeichnen, ist hanebüchener Unfug", sagt Luchmann. "Wir haben strikt zu trennen zwischen der Narkose, die aus medizinischer Sicht bei akuter Gesundheitsgefahr indiziert ist, und der Narkose bei Phobikern, die damit ihre angstbesetzte Situation vermeiden, obwohl sie über die Zeit für ein paar psychotherapeutische Sitzungen durchaus verfügen." Psychotherapeut Luchmann verweist auf das Erfordernis kognitiver (gedanklicher) Veränderungen bei den Dentalphobikern:
4 "Zur erfolgreichen Überwindung von Ängsten ist es bei der Konfrontationstherapie wichtig, die eigene Bewältigung der gemiedenen Situation grundsätzlich bewusst zu erleben". In drei bis fünf Sitzungen seien durch kognitive Psychotherapie Veränderungen im Denken der Patienten zu erreichen, die einen nachhaltigen Angstabbau bewirken. "Aus lernpsychologischer Sicht ist eine Narkose beim Zahnarzt als 'Konfrontationstherapie' so wenig tauglich wie eine Narkose bei einem Tunnelphobiker, den man betäubt durch den Tunnel fährt", ergänzt Luchmann. Die Angst vor dem Bohrer sei als Angst eine psychische Störung wie jede andere und gehöre deshalb in die Hand des Psychotherapeuten und nicht des Zahnarztes. Nicht jeder, der bei dem Gedanken an den Zahnarzt Unbehagen verspürt, braucht gleich einen Termin beim Angsttherapeuten. Patienten mit leichterer oder mittelschwerer Angst sei in erster Linie zu raten, einen Zahnarzt des Vertrauens zu finden, meint deshalb Zahnarzt Schneller von der Medizinischen Hochschule Hannover. "Es ist dabei wichtig, die Angst von Anfang an zuzugeben, damit der Arzt darauf eingehen kann." Dann könne ein guter Zahnarzt schon mit einfachen Maßnahmen entscheidend helfen: Indem er zum Beispiel den Behandlungstermin an das Ende seiner Sprechzeit legt, um Zeitdruck zu vermeiden. Auch endloses Warten sollte dem Angstgeplagten erspart werden. Am wichtigsten sei ein ausführliches Gespräch vor der Behandlung, bei dem sich Arzt und Patient kennen lernen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen können. Ein feinfühliger und verständnisvoller Zahnarzt könne dazu beitragen, die Angst gar nicht erst wachsen zu lassen. "Schließlich", so ergänzt Luchmann, "waren die meisten Dentalängste mal klein gewesen und sind erst dadurch gewachsen, dass der Zahnarztbesuch auf jede erdenkliche Weise vermieden wurde." Hat man sich jedoch erst einmal überwunden, dann rät Schneller zu regelmäßigen Zahnarztbesuchen: "Wer jedes Vierteljahr zur Routineuntersuchung geht, dem droht am Ende keine böse Überraschung." Wie jenen vielen hundert gesunden Patienten, die in der nordfranzösischen Stadt Sarcelles Opfer eines besessenen Zahnarztes geworden sind. Wie "Dr. Mabuse" habe der Mediziner seinen ahnungslosen Besuchern ohne Grund teilweise alle Zähne gezogen, berichtete die Zeitung "Le Figaro" am 07.04.2000. "Nur der Zahnarzt gewinnt bei jeder Ziehung", weiß der Volksmund. Aus Geldgier und mit sadistischer Freude habe dieser Zahnarzt jahrelang Backen-, Weisheits- und Schneidezähne entfernt und den Patienten dann teure Gebisse eingepasst. Um an dem Betrug noch ein zweites Mal zu verdienen, habe er die Zahnprothesen so locker angebracht, dass die Patienten zu weiteren Behandlungen in die Praxis zurückkehren mussten - eine besonders verwerfliche Abwandlung der Konfrontationstherapie.
5 Inzwischen sitze der "verrückte" Zahnarzt hinter Gitter, berichtete die Zeitung weiter.
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