Mobilität im Alter Prof. Dr.med. Dipl.-Psych. Dipl.-Ing. M. Falkenstein - Institut für Arbeiten, Lernen, Altern (ALA), Bochum - Rhein-Mosel Akademie
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Mobilität im Alter Prof. Dr.med. Dipl.-Psych. Dipl.-Ing. M. Falkenstein © Institut für Arbeiten, Lernen, Altern (ALA), Bochum falkenstein@ala-institut.de Vortrag beim Forum Geriatrie, Bad Kreuznach, 16.03.2019
Fahren im Alter Mobilität ist essenziell für die Partizipation Älterer am Leben. Immer mehr ältere Menschen führen ein Kraftfahrzeug. Die Einschränkung der Mobilität kann zu einer Verminderung sozialer Aktivitäten und zur Entwicklung einer Depression beitragen. (Fonda et al. 2001). Das Aufgeben des Fahrens führt keineswegs zu höherer Sicherheit für Ältere, da Ältere als Fußgänger und Radfahrer stärker gefährdet sind als als Autofahrer. (Hakamies-Blomqvist et al. 1996; Siren & Meng 2012) Ältere die das Fahren aufgeben, haben insgesamt eine höhere Mortalitätsrate in den darauf folgenden Jahren (Edwards et al. 2009) Ältere sollten also so lange wie möglich Autofahren!
Ältere und Risiko für Unfälle (D, B) Problem: Ältere verursachen absolut gesehen weniger Unfälle als andere, aber sie sind mit zunehmendem Alter immer häufiger Hauptversursacher von (v.a. schweren) Unfällen. Number of drivers in fatal accidents per million traveled km. Source Statistics Belgium (2007-2011); Infographics BRSI Statistisches Bundesamt 2009
Autofahren als komplexe Tätigkeit Autofahren ist eine komplexe Tätigkeit, insbesondere in bestimmten kritischen Situationen (unerwartetes oder komplexes Szenario, Kreuzungen, Linksabbiegen etc.) in denen aktives steuerndes Handeln nötig ist. Hier kann das Risiko für Unfälle dramatisch ansteigen, v.a. für Ältere. Zudem schätzen Ältere ihre Fahrleistung schlechter ein als mittelalte Fahrer (z.B. Kenntner-Mabiala et al. St.Gallen 2015) Woran liegt das? 4
Altersverlauf verschiedener Funktionen Kognitiv-kristalline Funktionen (Wissen) und soziale Funktionen bleiben im Alter erhalten und können sich sogar verbessern. Sensorische, motorische und kognitiv-fluide Funktionen lassen im Alter nach. Leistung sozial sensorisch motorisch kognitiv krist kognitiv fluid 30 60 90 5
Zentrale Frage: Inwieweit haben altersbegleitende sensorische, motorische und kognitive Defizite Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit im Alter? 6
Sehschärfe Sehschärfe im Alter verringert; oft nur unzureichend durch Sehhilfen kompensiert oder kompensierbar. Relevanz für die Mobilität: Schwierigkeiten beim Unterscheiden von Objekten im Straßenverkehr. 8
Peripheres Sehen Einschränkungen des peripheren Sehens im Alter Relevanz für die Mobilität: Schwierigkeiten beim Erkennen von relevanten seitlichen Objekten im Straßenverkehr, z.B. überholendes Fahrzeug. 9
Blendempfindlichkeit Die Blendempfindlichkeit nimmt infolge einer Trübung der optischen Medien bereits ab einem frühen Alter kontinuierlich zu Relevanz für die Mobilität: Beeinträchtigung bei Sonnenlicht und nächtlicher Beleuchtung. 10
Im Alter veränderte motorische Funktionen mit hoher Verkehrsrelevanz 11
Geschwindigkeit der Bewegung Im Laborversuch bei erwarteten Reizen steigt die Bremszeit mit dem Alter an, allerdings nur geringfügig (40-50 ms). Wenn jedoch im Realverkehr unerwartet oder unter Ablenkung gebremst werden soll, sind Ältere viel stärker beeinträchtigt. 12
Kopfdrehen und Schulterblick Die Beweglichkeit, z.B. die Kopfrotation, wird im Alter schlechter. Ältere vernachlässigen daher weitgehend den Schulterblick! 13
Im Alter beeinträchtigte kognitive Funktionen mit hoher Verkehrsrelevanz Aufmerksamkeit Visuelle Suche Inhibition Mehrfachtätigkeit Arbeitsgedächtnis Zeitwahrnehmung Diese kognitiven Beeinträchtigungen führen zu Problemen in schwierigen Situationen und zur schlechten Einschätzung der eigenen Fahrleistung. 14
Visuelle Suche Forschungsstand: Ältere haben Probleme, wenn Zielreize durch eine Kombination von Reizeigenschaften definiert sind (z.B. roter Toyota unter allen Toyotas und roten Fahrzeugen). Relevanz für die Mobilität: In Verkehrssituationen können wichtige Zielreize (z.B. Hinweise auf komplexen Schildern) nicht oder nicht schnell genug gefunden werden. Ältere werden durch den Suchvorgang stark beansprucht, so dass Kontrollkapazität von der Fahraufgabe abgezogen wird 15
Ablenkung Forschungsstand: Ältere sind wesentlich ablenkbarer als Jüngere. Relevanz für die Mobilität: Die Verkehrsumgebung ist voll von irrelevanten Reizen. Hierdurch können Ältere vom Fahren abgelenkt werden, was dieses beeinträchtigen kann. 16
Mehrfachtätigkeit Forschungsstand: Ältere haben ein deutliches Defizit bei Mehrfachtätigkeiten. Relevanz für die Mobilität: Autofahren ist per se eine Mehrfachtätigkeit. Schon eine mäßig anspruchsvolle Nebentätigkeit (z.B. CD einlegen) verdoppelt das Unfallrisiko bei jungen Leuten. Ältere haben ein noch stärker erhöhtes Risiko. 17
Experiment (Hahn et al. 2013, Springer-Buch) Tracking: Verfolgen eines Fahrzeugs bei simuliertem Seitenwind Bremsaufgabe: Bei aufleuchtendem Bremslicht des voranfahrenden Fahrzeugs muss der Proband ebenfalls bremsen. Bremslicht hat unterschiedlichen Zeitabstand zu einem Reiz im Zielfeld. Zweitaufgabe: Reagieren auf einen bestimmten Reiz im Zielfeld (am Horizont) 18
Versuchsteilnehmer: 20 junge (25-31 Jahre), 20 ältere (60-69 Jahre) Autofahrer Ergebnis: Bei gleichzeitigem Bremslicht und einem potenziell relevanten Reiz im Zielfeld (auf den aber nicht reagiert werden soll) (10 ms) reagieren Ältere deutlich langsamer als Jüngere und verpassen 11% der Bremslichter, Jüngere praktisch keines. 19
Wann beeinträchtigen kognitive Probleme das Fahren bei älteren Kraftfahrern? In Routine-Situationen haben Ältere kaum Probleme. Viele Ältere haben Strategien entwickelt, mit denen Sie Probleme z.T. kompensieren können. Schwierigkeiten können jedoch auftreten a) bei Ablenkung b) Bei Mehrfachtätigkeit c) in komplexen und unerwarteten Situationen, zB. unübersichtliche stark befahrene Kreuzungen vor allem bei deren Kombination.
Diagnostik 1 Testung fahr-relevanter Funktionen Einfache Screeningtests wie der MMSE und Tests einzelner Funktionen sind nicht geeignet um die Fahreignung gesunder Älterer zu beurteilen (Vaucher et al. 2014; Karthaus & Falkenstein 2016). Zusammenstellung valider psychometrischer Tests möglichst vieler für das Fahren relevanter sensorischer und kognitiver Funktionen, z.B. MARS (Kontrastsehen) SRT (schnelle Reaktion) d2 (selektive Aufmerksamkeit) UFOV (geteilte Aufmerksamkeit) TMT A, B (Suche, Wechsel) ALA hat eine Testbatterie entwickelt, mit der verschiedene fahr-relevante kognitive Fuktionen getestet werden können.
Diagnostik 2 Testung im Realverkehr oder im Fahrsimulator Die Fahrleistung im Realverkehr kann mit Hilfe einer strukturierten Fahrverhaltensprobe beurteilt werden. Diese ist jedoch nur sinnvoll bei hinreichend unterschiedlichen und komplexen Verkehrssituationen (Ideal:Teststrecke entlang von Unfallschwerpunkten) (Poschadel et al. 2012). Alternative: Testung im Fahrsimulator. Vorteile: Realisierung komplexer Situationen Hohe Kontrolle und Wiederholbarkeit Gefahrlosigkeit Verschiedene Studien zeigen, dass die Bewältigung komplexer Situationen im Simulator das Fahrverhalten im Realverkehr von Älteren gut vorhersagt (Szlyk et al. 1995; Casutt et al. 2014)
Maßnahmen Umweltbezogene Gestaltungsmaßnahmen Komplexität von Verkehrssituationen reduzieren; Altersfreundliche Gestaltung der Fahrumgebung und des ÖPNV Fahrerbezogene Maßnahmen Fahrtraining im Realverkehr Förderung der funktionellen Kompetenz Älterer 23
Maßnahmen 1: Umweltbezogene Maßnahmen (s. Falkenstein & Karthaus 2017) Altersfreundliche Gestaltung der Verkehrsumgebung und der Beschilderung Assistenzsysteme (IVIS), z.B. Navi, Erinnerung an Gebotsschilder. Altersfreundliche Gestaltung des ÖPNV 24
Linksabbiegerschutz (zB. Boltze 2013; Gerlach et al. 2014) Klare signaltechnische Führung, klare Markierung und Instandhaltung der Leitlinien und Wartelinien 25
Altersfreundliche Gestaltung von Schildern Reduktion der Komplexität von Schildern (weniger Inhalt); wichtige Information (farblich) hervorheben Schilder mit Text so groß wie möglich gestalten, damit Schrift aus möglichst großer Entfernung gelesen werden kann Relevante Schilder (z.B. 30er Limit) nicht direkt neben anderen Schildern platzieren Relevante Schilder wiederholen. Vorwarnschilder in angemessenem Abstand vor wichtigen Schildern platzieren. 26
ÖPNV: Fahrscheinautomaten Gestaltung: Bildschirm so einfach wie möglich, eindeutige Alternativen, wichtige Ziele vorselektiert, Undo-Taste
Maßnahmen 2: Fahrerbezogene Maßnahmen (s. Falkenstein & Karthaus 2017) Fahrsicherheitstraining Fahrtraining im Realverkehr Körperliches Training Kognitives Training 28
1. Fahrtraining im Realverkehr Vom Fahrlehrer begleitet. Schwierige Strecken, bevorzugt Unfallschwerpunkte; Konzentration auf individuelle Problembereiche (z.B. Suche, Ablenkresistenz; Spurwechsel, Schulterblick). Ein Fahrtraining kann auch dazu beitragen, neuere Verkehrsvorschriften zu vermitteln oder typische Fehler, die sich über Jahre eingeschlichen haben, zu korrigieren. Mit einem Fahrlehrer können auch schwierige Fahrsituationen geübt werden, die sonst vermieden werden. Ältere sollen und müssen fahren, sonst verlernen sie es! Radfahren, v.a. mit E-Bikes sollte unbedingt trainiert werden! 29
Beispiel: Dortmunder Fahrtrainingsstudie Poschadel et al. 2012 Verkehrssicherheits-Preis 2012 des BMVBS Teilnehmer: Ältere aktive Autofahrer (n=92 , 72.6 Jahre) Trainingsgruppe: 15 Stunden Training innerhalb von 6 Wochen mit geschulten Fahrlehrern auf komplexen Strecken (Fokus: Spurwechsel, links Abbiegen, schwierige Kreuzungen). Kontrollgruppe: kein Training (nur Feedback beim Fahrtest) Fahrtest auf Referenzstrecke mit Unfallhäufung. Erfassung des Fahrverhaltens mit TRIP-Protokoll vor dem Training und in verschiedenen Zeitabständen danach. Ergebnisse: Die Trainingsgruppe verbessert ihr Fahrverhalten, v.a. die schwächeren Fahrer profitieren stark! Die verbesserte Fahrkompetenz zeigte sich 12 Monate nach dem Training stabil. Durch das Training wird das Niveau von 40-50-jährigen Vergleichsfahrern erreicht! 30
Dortmunder Fahrtrainingsstudie Ergebnisse bei 4 sukzessiven Fahrtests (TRIP 1…TRIP4) vor nach T. 4 Monate nach T. 12 Monate nach T. 31
2. Körperliches Training Krafttraining (Sayers & Gibson 2012) erhöht bei Senioren die Bremsgeschwindigkeit Training der motorischen Reichweite (Ostrow et al 1992) erhöht die Beweglichkeit Geschwindigkeitstraining (Marmeleira et al. 2011) beschleunigt Reaktionen auf schwierige Situationen Beweglichkeits- und Koordinationstraining (Marottoli et al. 2007) verbessert Fahrleitung und reduziert kritische Fahrfehler Körperliches Training allgemein verbessert fahr-relevante kognitive Funktionen (z. B. Gajewski und Falkenstein 2015b; 2016). 32
3. Kognitives Training Training fahr-relevanter kognitiver Funktionen: Visuelle Suche Fokussierte Aufmerksamkeit Geteilte Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeitswechsel Multitasking und Aufgabenwechsel Ablenkresistenz, Hemmung falscher Reaktionen (Räumliches) Gedächtnis 33
Kognitives Training verbessert kognitive Funktionen Beispiel: Dortmunder Senioren-Trainingsstudie (Gajewski et al. GDV 2010; Küper et al. 2017) N= 150 Dortmunder (65+). Vergleich der Wirkung verschiedener Trainings auf kognitive Funktionen. Gruppe 1: Kognitives Training Gruppe 2: Körperliches Training Gruppe 3: Entspannungstraining Gruppe 4: keine Maßnahmen (Kontrolle)
Hauptergebnisse: Verhalten Verbesserungen verschiedener kognitiver Funktionen durch kognitives und sportliches Training. Beim kognitiven Training eher Reduktion der Fehlerrate, bei sportlichem Training eher Reduktion der Reaktionszeit! 13% Beispiel: Suchaufgabe 11 Fehlerrate 9 Sport Gehirnjogging 7 Entspannung Kontrolle 5 vorher nachher
Hirnstrom-Analyse Suchaufgabe Sport Gehirnjogging Entspannung Kontrolle 8 6 P2 Aktivierung [µV] 4 2 0 -2 0 100 200 0 100 200 0 100 200 0 100 200 Zeit [ms] vorher nachher Nur bei der kognitiven Trainingsgruppe verbesserte sich die Aufmerk- samkeit (erhöhte P2), was eine Ursache für die reduzierte Fehlerrate bei der Suchaufgabe ist.
Beispiel 1: Suchtraining Bildervergleich (finde Unterschiede) (Papierversionen oder Internet) 37
Beispiel 2: Suchtraining Finde Zielobjekt zwischen anderen Objekten Internet: App „Real find object“ (in 5 Sprachen; trainiert zugleich Sprachkenntnisse) 38
Beispiel 3: Training räumlich geteilter Aufmerksamkeit (UFOV-Training; Edwards et al. 2009) Kurze Präsentation von einfachen Objekten in Blickfokus und peripher. Welches Objekt war in der Mitte? Wo war das äußere Objekt? Steigende Schwierigkeit. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass regelmäßiges UFOV-Training die Fahrkompetenz Älterer verbessert und dazu führt, dass sie das Fahren länger beibehalten (Literatur in Falkenstein & Karthaus 2017). 39
Beispiel 5: Training des räumlichen Gedächtnisses (Pfadfinder, FreshMinder) Ein Feld von Steinen, durch das ein Pfad führt. Diesen sollen Sie sich merken und anschließend möglichst fehlerfrei wiederfinden. Die Anzahl der Steine und die Pfadlänge vergrößern sich mit steigendem Schwierigkeitsgrad. 40
Beispiel 6: Training verschiedener Funktionen (Suche, Hemmung, Wechsel) (Ballonjagd, FreshMinder) Lassen Sie Ballons platzen. Ein einfacher Klick mit der Maus genügt. Doch Vorsicht! Ballons einer bestimmten Farbe müssen verschont werden. Welche Farbe das ist, steht als Text unter dem Spielfeld - und wechselt während der Übung in unregelmäßigen Abständen. Gültige Treffer geben Plus-, falsch angeklickte Ballons geben Minuspunkte. Sie haben anderthalb Minuten Zeit, möglichst viele Punkte zu sammeln. 41
Fazit Altersbegleitende sensorische, motorische und v.a. kognitive Funktionsveränderungen können Älteren Probleme beim Fahren bereiten. Ältere sollen und müssen fahren, sonst verlernen sie es! Maßnahmen zum Erhalt der Fahrkompetenz Älterer: 1. Fahrtraining mit Fahrlehrer (Auffrisch-Fahrstunden). 2. Körperliches Training. 3. Kognitives Training fahr-relevanter Funktionen. 42
Danke für Ihre Aufmerksamkeit ! 43
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