Nachrichten für Filmschaffende - Crew Tech

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Nachrichten für Filmschaffende - Crew Tech
445 | 28. März 2019

 Nachrichten für Filmschaffende

herausgegeben von Peter Hartig, Oliver Zenglein und Vincent Lutz
Nachrichten für Filmschaffende - Crew Tech
445 | 28. März 2019                                                                         Crew Tech Innovationskonferenz | 2

Mit der Innovationskonferenz präsentierten Katrin Richthofer, Stefanie Gall, Nikola Knoch und Janine Golisano (auf der Bühne, von links)

Stand und Ergebnisse nach einem halben Jahr Netzwerkarbeit. Und banden die Gäste gleich mit ein.

Zum Mitmachen
Seit einem halben Jahr wird bei Crew Tech an Lösungen für mehr Nachhaltigkeit in der Filmbranche
gearbeitet. Mit einer Innovationskonferenz gab das Netzwerk vorige Woche einen ungewöhnlichen
Einblick.

Text Peter Hartig

Titel: Crew Tech | Foto: Louis Dickhaut
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445 | 28. März 2019                                               Crew Tech Innovationskonferenz | 3

Innovationskonferenz an der Hochschule für          Bals von der Entwicklungs- und Umweltorgani-
Fernsehen und Film München. Rund 80 Teilneh-        sation Germanwatch, wie Klimapolitik und
mer sind am vorigen Donnerstag erschienen. Ich      Nachhaltigkeit Deutschland verändern werden.
erinnere mich noch gut an die erste Infoveran-      Es ist Ende März, seit einem Monat streiken Frei-
staltung im September auf der cinec. Vor einem      tags in Europa Schüler gegen die Untätigkeit der
halben Jahr konnten sich dort noch alle per         Politik, die 16-jährige Greta Thunberg begeistert
Handschlag begrüßen und hätten nicht mal eine       sogar die Medien. Und in der Münchner HFF
Minute gebraucht.                                   schwärmt selbst Bals, der selbst schon seit zwei-
   Das Netzwerk Crew Tech hatte sich da vorge-      mal 16 Jahren für Umwelt und soziale Gerechtig-
stellt, in dem die unterschiedlichsten Akteure      keit kämpft, von Organisationsfähigkeit und
miteinander an Lösungen für mehr Nachhaltig-        Kompetenz der neuen Generation und warnt:
keit in der Branche arbeiten sollen. Im Vorder-     »Es könnte ein Generationenkonflikt auf uns zu-
grund steht der ökologische Aspekt, doch Fragen     kommen, der 1968 in den Schatten stellt.«
nach wirtschaftlicher und sozialer Nachhaltig-
keit tauchen auch da immer wieder auf – irgend-     Womit auch der Zustand der deutschen Film-
wie hängt wohl doch alles zusammen. Gefördert       branche recht gut in der Zeit verortet wäre: Es
wird Crew Tech von außen, vom Bundesministe-        entsteht bald der Eindruck, dass andere Bran-
rium für Bildung und Forschung in Form der In-      chen beim Thema Umwelt schon ein halbes
novationsforen Mittelstand.                         Jahrhundert weiter sind (über soziale Nachhal-
   Das Thema interessiert die Branche noch we-      tigkeit braucht man gar nicht erst zu reden).
nig. Aber es gibt Bewegung. »Green Shooting« ist    Doch die Traumfabrik bläst unterdessen weiter
Thema bei Podiumsdiskussionen und Semina-           dunkle Kohleschwaden aus ihren Schornsteinen.
ren, mehrere Regionalförderer arbeiten an ei-          Vor zwölf Jahren hatte die University of Cali-
nem gemeinsamen »Grünen Drehpass«, viele            fornia in einer Studie die Film- und Fernsehin-
Akteure kennen sich und tauschen sich aus,          dustrie mit anderen für Kalifornien »relevanten«
doch das Crew-Tech-Netzwerk soll noch weiter-       Branchen verglichen. In der Region Los Angeles
reichen und den einzelnen Initiativen die Mög-      trug sie stärker zur Luftverschmutzung bei als
lichkeit bieten, ihre Kräfte und Erfahrungen zu     die anderen fünf untersuchten Branchen, blies
bündeln. Die Konferenz soll einen Einblick ge-      fast ebenso viele Treibhausgase in den Himmel
ben, wie das gehen soll und was in dem ersten       wie Flugzeug- und Raumschiffbau, und ver-
halben Jahr bereits gewachsen ist.                  zeichnete 17 tödliche Unfälle im Jahr (der
   Die 80 Gäste hier und heute interessiert das.    Nächstplatzierte kam auf 5).
Zwar haben etliche von ihnen gar nichts mit Film       Die großen Studios in Hollywood hatten
zu tun, doch so soll es auch sein. In den meisten   schnell darauf reagiert. Eigene Websites stellen
anderen Branchen ist man beim Thema Nach-           nun vor, wie nachhaltig und umweltschonend
haltigkeit nämlich schon viel weiter, hat Erfah-    inzwischen angeblich gedreht wird – selbst der
rungen und Lösungen, die sich auch auf andere       Hulk kommt nun richtig grün auf die Leinwand.
Branchen übertragen ließen.                            Die neue Zeit kommt auch auf Deutschland
   Also halten Branchenfremde die Impulsvor-        zu. Auch darauf will Crew Tech vorbereiten. In-
träge. Zur Begrüßung schildert gleich Christoph     dem man möglichst viele Akteure aus möglichst
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Die Workshop-Gruppen gaben einen Einblick in ihre Arbeit (oben), Gäste von außerhalb der Filmwelt wie der Solar-Unternehmer Klaus-

Michael Koch (unten rechts) oder Christoph Bals von Germanwatch (unten rechts) hielten Impulsvorträge. Das war’s aber auch schon mit

der Frontalberieselung – die Konferenzgäste sollten das Netzwerk-Konzept selbst erfahren.

Fotos: Jacob Kohl [2] | Crew Tech
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unterschiedlichen Bereichen zusammenbringt,             »Es geht uns um einen Bewusstseinswandel,
und sieht, was sie gemeinsam erreichen. So stark     eine Veränderung in der Haltung, um die Über-
vereinfacht, klingt das erstmal beliebig, im be-     nahme von Verantwortung«, erklärt mir Janine
sten Fall nach einem dieser »Runden Tische«, die     Golisano, eine der vier Organisatorinnen von
üblicherweise gebildet werden, wenn ein Pro-         Crew Tech und zuständig für die Öffentlichkeits-
blem auftaucht, dass zu kompliziert erscheint,       arbeit. »Crew Tech möchte die innere Haltung
als dass es sich mit einem Federstrich lösen lie-    weg von einem ich hin zu einem wir verändern –
ße. Im besten Fall einigen sich solche Runden Ti-    wir alle tragen die Verantwortung.«
sche auf einen Kompromiss in Form von Hand-
lungsempfehlungen, die mehr oder weniger             Schnelle Entscheider mögen es weltfremd fin-
oder gar nicht umgesetzt werden. Problem ge-         den, wenn sich soviel um Gruppendynamik statt
löst.                                                um Problemlösung dreht. Doch wenn es alleine
                                                     um eine effiziente Entscheidung ginge, wäre das
Bei Crew Tech geht man das Problem anders an         Problem tatsächlich mit einem Federstrich vom
und stellt erstmal »zusammenbringen« und »ge-        Tisch. Denn die Technik, die Standards und alle
meinsam erreichen« in den Vordergrund.               weiteren Lösungen sind da.
Schließlich sollen die so unterschiedlichen Ak-         Sie werden nur nicht genutzt.
teure ein gemeinsames Ziel definieren und               Wie schwierig es ist, die Umwelt und die Bran-
schließlich auch noch Lösungen erarbeiten, die       che auf Anordnung zusammenzubringen, be-
alle mittragen, schreiben die Organisatorinnen       richten viele, die es schon versucht haben. Ein
in einem ersten Zwischenbericht. Vier Work-          Klassiker ist die Anekdote vom Veggie-Day, der
shops sind dafür vorgesehen, drei sind bereits       am Aufstand fleischsüchtiger Beleuchter schei-
geschlossen, als mit der Innovationskonferenz        terte. Auch auf der Innovationskonferenz wird
der aktuelle Ergebnisstand vorgestellt wird. Der     eine Version erzählt; diesmal ist der Bühnentrup
vierte läuft erst im Mai.                            schuld.
   Das ist ungewöhnlich. Normalerweise gibt’s           Mit einer effizienten Entscheidung allein ist es
Ergebnisse erst ganz am Schluss: Das war das         offenbar nicht getan – auch das gilt es zu berück-
Problem, hier ist unsere Lösung, fertig! Und alle    sichtigen, glaubt man im Netzwerk. Und nach-
gehen wieder heim.                                   zusehen, woran es bisher hakte. Um die Nach-
   Hier aber wirkt alles plötzlich ungewohnt         haltigkeit in die Branche zu bringen, haben die
offen. Die Arbeit ist ja noch nicht abgeschlossen,   Workshopteilnehmer vier Ansatzpunkte ausge-
es darf weiter diskutiert und beigetragen werden,    macht, die sogenannten »Hotspots«: Synergie,
das Thema bleibt in der Welt und im Bewusst-         Öffentlichkeitsarbeit, Technologie, Förderung.
sein …                                               Zwei Arbeitsgruppen befassten sich unter jedem
   Später erfahre ich, dass die Konferenz aus an-    dieser vier Aspekte mit dem Thema Nachhaltig-
deren Gründen vorgezogen wurde. Es passt             keit in der Filmbranche. Die Zustandsbeschrei-
trotzdem. Schließlich sollen mit der Konferenz       bung in Kürze: Es mangelt an Kommunikation,
weitere Interessenten eingeladen werden mitzu-       die technischen Verbrauchsdaten sind noch
machen und nach dem letzten Workshop noch            nicht genügend dokumentiert, es brauche ein-
längst nicht Schluss sein.                           deutige Regularien von Seiten der Filmförderer –
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445 | 28. März 2019                                              Crew Tech Innovationskonferenz | 6

                                         erst stellt sich jeder vor und

                                         schätztsein grünes Gewissen

                                         ein, dann geht auch schon die

                                         Arbeit los, Geführtes Denken

                                         im Minutentakt. Und tatsächlich

                                         ist nach wenigen Schritten aus

                                         der ersten Idee fast ein kleines

                                         Konzept erwachsen.

Fotos: Jacob Kohl | Louis Dickhaut [5]
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es reiche nicht, sich auf das persönliche Enga-     bleme gibt es aktuell mit der Filmförderung?«
gement einzelner Filmemacher allein zu verlas-      und »Welche Hindernisse für mehr soziale Ge-
sen.                                                rechtigkeit siehst Du in der Filmbranche?« sind
   Mögliche Lösungen wurden skizziert, aber         übrigens die Favoriten, zu denen den meisten et-
nicht allzu detailliert vorgestellt, und auch das   was einfällt.
soll so sein. Denn mit dem nachhaltigen Netz-
werk sollen ganz praktisch auch Produkte ent-       In kleinen Schritten und Aufgaben zwischen 10
stehen. »Acht konkrete Ideen haben wir jetzt        und 20 Minuten, einzeln und in Kleingruppen,
schon«, sagt Golisano.                              nähert man sich »seinem« Thema an, unterbro-
   Darum, das wird zum Abschluss der Konfe-         chen von Präsentationen und Diskussionen,
renz nochmals bekräftigt, soll das Netzwerk eine    kreist es ein, immer streng getaktet von den Mo-
dauerhafte Struktur bekommen, vielleicht als        derator*innen. Denn dies ist ja keine Talkrunde,
Verein, dem alle Interessenten der Branche und      sondern es wird tatsächlich gearbeitet. So fühlt
darüber hinaus beitreten können. Vielleicht         man sich zumindest nach zweieinhalb Stunden.
könnte man aber auch gleich über die Form ei-          Wer noch mehr wissen will, findet während-
ner Genossenschaft nachdenken, regte ein Teil-      dessen ein paar Türen weiter Antworten in den
nehmer aus dem Publikum an. Was letztlich dar-      sogenannten »Open Spaces«: kleine Fachvorträ-
aus wird, werden die heutigen und künftigen         ge und Präsentationen zur Stromversorgung am
Netzwerker selbst entscheiden.                      Set, Innovationsförderungen des Bundes, CO2-
                                                    Rechner oder die Ergebnisse einer Umfrage, wie
Die Konferenz selbst gibt einen Eindruck, wie in    grün schon in Deutschland gedreht wird.
den Workshops wohl gedacht und gearbeitet              Die gleiche Struktur am zweiten Tag. Zwei Im-
,wurde. »Keine Frontalbeschallung« hatten die       pulsvorträge von außen stimmen wieder auf den
Veranstalter ja versprochen. Und so finden sich     Tag ein. Mit einem Unterschied: Die Mikrofone
die Teilnehmer nach Bals’ Impulsvortrag und der     im Audimax bleiben aus. Und so müssen die Teil-
Präsentation der Arbeitsgruppen plötzlich selbst    nehmer alle weiter nach vorne kommen und et-
in einer wieder. »Weiterentwicklung Hotspots«       was näher zusammenrücken. Guter Trick.
heißt das im Programm.                                 Der Unternehmer Klaus-Michael Koch be-
   Den Hotspot durfte man sich noch selbst aus-     gann in der Baubranche, war Weltmarktführer
suchen, schon findet man sich mitten drin im        mit seiner Speziallösung, 2010 gründete er die
Denkprozess, wo sich die neuen Gäste mit den        Photovoltaik-Firma Koco, um die Energiewende
Veteranen aus den Workshops mischen. Kurze          mit voranzutreiben. Er erzählt in seiner Impuls-
Vorstellung und Einschätzung, wo man sich sel-      rede eine Geschichte von Erfolgen und Tiefschlä-
ber sieht in Bezug zur Nachhaltigkeit. Wenig        gen und Neubeginn, wie sie wohl auch in einem
überraschend: der und die einzelne Filmschaf-       Existenzgründer-Seminar gut ankäme.
fende zeigt ein völlig anderes Umweltbewusst-          Seine Lehre beschränkt sich aber nicht auf
sein als die Branche selbst.                        Unternehmergeist und Erfindungskraft des Mit-
   Dann geht’s ans Thema. An der Wand hängen        telstands, sondern blickt weiter. Denn die Ener-
Fragen, die es nochmals in Aspekte aufteilen. Je-   giewende packt nicht einer alleine, sondern
der heftet seine Antworten dazu. »Welche Pro-       muss sich zusammentun. Natürlich fürchte jeder
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In den Pausen und beim Get Together

werden die Fragen locker weiterbesprochen
und Fußnoten beigesteuert. Auch das gehört

zum Netzwerk.

Fotos: Jacob Kohl | Louis Dickhaut
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                                                                     F.R.
                                                                      . .C.  & 
                                                             Finanze
                                                                   en. Rechtt. Controlling
                                                                                         g.
einen Nachteil, wenn er zuviel Wissen preisgebe,
sagte Koch mit Blick auf das Netzwerk, das gera-
de entstehen will. Doch wenn man lerne, zu ver-
trauen, erkenne man gut, wem man vertrauen
                                                        S inar-R
                                                        Semin
                                                            nar RReihe
                                                                  eihe
                                                                   ihe in München
kann – das habe er von seinem Großvater ge-
lernt. Und: »Geld ist nicht das Ziel unseres [un-
                                                            Them
                                                               menschhwerppuunkte F.R.C. I
ternehmerischen] Handelns, sondern das Ergeb-                    am 3.
                                                                     3 Apri
                                                                       April
                                                                        p il 2019
nis.« Das zu beherzigen, helfe gegen die Kurzat-
                                                    Unständig und geringfügig Beschäftigte bei Film und Fernsehen
migkeit unserer Zeit.
   Der Filmbranche habe Probleme, wie andere          Haffttung von GmbH-Geschäftsführerrn und Führungskräfftten
Branchen auch, meinte Koch. Und da war er, der
unverstellte Blick von außen: »Sind denn auch            Eigenanteil, HU’’ss und Eigenleistuung bei Förderungen
Drehbuchautoren da?« fragte Koch in die Runde.
   Schweigen.                                               Themenschwerpunkkte F.R.C. II
   Komisch: Wenn sonst über Nachhaltigkeit dis-
kutiert wird, geht es um Technik und Catering und
                                                                  am 8. Mai 20019
Reisen, vielleicht noch um Produzentenwillen                     Abbildung von Personen nach DSGVO
und Fördererunterstützung; aber Drehbuchauto-
                                                                    Controlling & Bilanzkennzahlen
ren? Nochmal komisch: Am Vortag hatte schon
mal jemand danach gefragt …                          Genehmigungspflichten für Film- und Fernsehproduktionen
   Das sei in seiner Branche auch nicht anders,
meint Koch. Wenn alle Experten gemeinsam über
                                                                    Ihre Erfolgsfaktorenn:
einem Problem brüten, fehlten meist die Archi-
tekten. »Doch diejenigen Architekten, die bei uns                     Praxisnahe Inhalte
                                                                                 Inhalte, topaktuell
mitmachen, entwerfen hinterher bessere Gebäu-                         Experten aus dem jeweeiligen Fachgebiet
de«, sagte er schmunzelnd. Man müsse ja nicht
                                                                      Intensivseminar mit beegrenzter Teilnehmerzahl
mal jeden erreichen: »Mir reicht es, wenn ich 50
Architekten habe, mit denen ich bauen kann.
                                                                        Sonderkonditionen für Crew United Premium Mitglieder
Dann brauche ich die anderen 50.000 nicht.«

                                                                                   PARTNER
Derart angespornt, geht’s wieder in die Arbeits-
gruppen. Doch erstmal Kaffeepause. Kurze Ru-
hephasen sind im strengen Programmtakt einge-
plant, in denen sich um die Stehtische neue
Grüppchen bilden. Neues erfährt man hier oder                                  SOLUTION PARTNER

wird daran erinnert, was man sich hätte merken
sollen. Etwa, dass Sky schon seit Jahren nachhal-
tig arbeitet. Weil der Europa-Chef persönlich es
so wollte. Effiziente Entscheidung. Scheint aber
zu klappen. Alexandra Coffey, CSR-Beauftragte
                                                             Details zu Programm, Referenten unnd Anmeldung unter
                                                                 www.medienweiterbbildung.de
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                                                       WORLD OF ENTERTAINMENT TECHNOLOGY

bei Sky Deutschland, zeigt sich jedenfalls zufrie-
den.                                                      INTERNATIONALE
   Oder dass Sony Pictures Deutschland Nach-
haltigkeit bereits groß schreibt. Doch nicht etwa,
                                                     FACHMESSE UND KONGRESS
weil die Mutter in Hollywood es vorführt, son-        BERLIN · 18.– 20. JUNI 2019
dern aus eigenem Antrieb, erklärt Maria Spisic,
Assistentin der Herstellungsleitung bei Sony.
   Zwischen Kameramann und Kostümbildne-
rin,      Produzenten         und       mehreren
Schauspieler*innen stehen auch die Experten
aus anderen Welten. Das sind die Vorteile des
Netzwerks – leicht kann man sich die Schnipsel
des aufgeschnappten Halbwissens für einen Mo-
ment zu einem klaren Bild zusammensetzen las-
sen. Doch man behält auch die Ahnung, dass
vieles, was in der Filmbranche noch als unmög-
lich erscheint, anderswo schon beinahe Stan-
dard ist.

Und man gewinnt neue Blickwinkel. Von den Ba-
varia Studios ist irgendwann die Rede, dem »kli-
maneutralen Produktionsstandort«. Ich lobe den
Idealismus. Jaja, schmunzelt mein Gegenüber –
und erklärt mir, dass die Studios nun auch etwas
haben, das Babelsberg und Prag nicht bieten
können. Schau an: Nachhaltigkeit als Wettbe-
werbsvorteil.
   Nur einer fehlt in der Runde: Schade, dass
ausgerechnet kein Förderer dabei sei, wurde
mehrmals bemerkt, gerade deren Mitarbeit               ONLINE-TICKET JETZT KAUFEN
brauche man doch hier. Lediglich am ersten Tag          UND BIS ZU 38% SPAREN!
war ein Vertreter der Bayerischen Filmcommissi-
on anwesend. Eine Teilnehmerin findet es »selt-
sam«, wo doch gerade mehrere Förderer über ei-
nen deutschlandweiten Grünen Drehpass nach-
                                                          Messegelände Berlin
dächten. Ein anderer nickt und sagt etwas von
Entscheidungen hinter verschlossenen Türen …
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   Zurück zur Arbeit in der Gruppen. Die Zeit
läuft. Zu viert nimmt man sich zwei Ideen vom
Vortag von der Wand, heftet sie in die Mitte eines
445 | 28. März 2019                                                  Crew Tech Innovationskonferenz | 11

Blatts, daneben seinen Kommentar und reicht es         so: »Welches Problem wird dadurch gelöst?«
weiter. Das Blatt macht zweimal die Runde, um          steht als Erläuterung dahinter. Wir sollen nicht
die Idee in der Mitte sind acht weitere gespros-       bloß das Problem darstellen, sondern einen hal-
sen, und es ist sogar noch Zeit übrig. »Ideation       ben Schritt weitergehen und gleich die Lösung
Blossom« heißt das Konzept, eines von vielen           mitdenken. Clever.
»agilen« Werkzeugen, mit denen vor allem die              »Wie?« fragt das nächste Feld. Es gilt, die Idee
Softwarentwicklung arbeitet. Indem alle zu-            und wie sie funktioniert, in wenigen Worten zu
gleich eingebunden sind, werden die Entwick-           beschreiben. Kein Problem, die Ideen aus der
lungsprozesse transparent und ständig über-            Vorrunde fließen aufs Papier. Nächste Frage:
prüft, Fehler werden minimiert, und das alles             »Wie genau?« Die »Prototyp Canvas« fragt
soll sogar wesentlich schneller gehen als nach         ganz schön lästig. Und sie kann noch lästiger
den üblichen »linearen« Abläufen. Effiziente           sein: Die Antwort soll als Zeichnung auf Blatt.
Entscheidung sozusagen.                                   »Für wen?« wird nach den Nutzern gefragt,
   Die Nachhaltigkeitsberaterin und Ingenieurin        denn ohne die hätte alles keinen Sinn. Und dann
Nikola Knoch und Stefanie Rall haben dieses            folgen schon die sechs Umsetzungskriterien: Zeit,
»Design-Thinking«-Konzept für die Workshops            Geld, Arbeitskraft und die dreifache Nachhaltig-
übernommen. Man komme damit ziemlich                   keit, nämlich ökologisch, sozial und wirtschaft-
schnell ins konkrete Arbeiten, meint Katrin            lich. Für jedes soll der Aufwand eingeschätzt wer-
Richthofer, die vierte Frau hinter Crew Tech und       den – ob gering, hoch oder dazwischen.
Geschäftsführerin des Studienzentrums für
Filmtechnologie der HFF München.                       Es folgen wieder Präsentation und Feedback-
   Jede Gruppe stimmt nun ab, welche von bei-          Phase vor den anderen, doch damit hat das Den-
den Ideen ihr besser erscheint. Und bearbeitet         ken noch kein Ende. Denn nun soll all das, was
sie weiter im nächsten Schritt. Der spielt sich        zusammengetragen und diskutiert wurde, in
wieder auf einem Papier ab: »Prototyping Can-          eine fassbare Form gebracht werden, damit es
vas« ist oben zu lesen, grob gesagt, ist es ein Stu-   nicht nur ein fröhlicher Ideenaustausch gewesen
fenplan, um ein neues Produkt zu entwickeln.           sein mag. Als Drehbuch. Kein Problem. Die Zeit
Schritt für Schritt, jeder mit einem Kasten vorge-     läuft, wir sind im Thema.
geben – in unterschiedlicher Größe, auch da hält          So in der Art dürfte das Ergebnis der Work-
man’s streng. Interessant: Die rechte Hälfte des       shops aussehen – natürlich deutlich ausgereifter.
Blatts bleibt leer – sie sind schon vorab für Kom-     Das wären die »Produkte«, von den Golisano ge-
mentare reserviert.                                    sprochen hatte. Und weil zum Netzwerk mit An-
                                                       dré Klein auch ein Berater für Förderungen zum
Was eben noch Idee war, soll nun ein Produkt           Netzwerk gehört und mit den Innovationsforen
werden. Und dem soll man als erstes einen Na-          Mittelstand auch andere Branchen für die Um-
men geben. Einen interessanten noch dazu. Na           setzung zur Seite stehen, werden diese Produkte
gut: »Förderung nachhaltiger Filmproduktion«.          am Ende auf alle Möglichkeiten abgeklopft, wie
Klingt zwar nicht interessant, doch die Zeit läuft.    die Innovationsideen Gestalt annehmen kön-
   Nächster Schritt: »Warum?« Blöde Frage! da          nen. Neue Teilnehmer sind eingeladen.          c
fallen uns doch reihenweise Gründe ein … Ach           www.crewtech.media
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George Romeros Dawn of the Dead wurde Ende der 70er-Jahre zu einem überraschenden Publikumsrenner. Selbst in Deutschland

mussten die Kinos zusätzliche Klappstühle aufstellen, weil alle den Zombiefilm sehen wollten. Er hatte einen Nerv der Gesellschaft ihrer Zeit

getroffen.

Generationenkonflikte
Wenn Zombies über Bildschirme und Leinwände schlurfen, hat das tiefere Gründe. Horrorfilme
sind eine Antwort auf unsere Gegenwart, sagt der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger.

Interview Rüdiger Suchsland

Foto: United Film Distribution
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Grenzüberschreitungen. Exkursionen in den Ab-          Andererseits hat mein filmgeschichtliches
grund der Filmgeschichte ist der zweite Band       Bewusstsein schon relativ früh bis in die 30er-
deiner »Grenztrilogie«. Was war die Idee deines    und 20er-Jahre zurückgereicht. Ich habe Ge-
Buchs?                                             schichte immer wichtig gefunden und sehr früh
Die Idee war, das Populäre des Genres und          angefangen, Filmliteratur zu lesen – die Klassiker
Genrekinos zu reflektieren, aber aus einem         des Horrorfilms von William Everson im Gold-
Bewusstsein der Tradition. Das ist eine Erfah-     mann-Verlag zum Beispiel, oder die Bände der
rung, die ich gemacht habe: Dass das Bewusst-      Heyne-Filmbibliothek.
sein für Filmgeschichte verloren geht.             So etwas gab es damals!
Die Älteren beklagen immer, dass, je älter sie     Norbert Stresaus Buch über Horrorfilme war ein
werden, immer mehr des Wissens ihrer Jugend        Buch, das den Stummfilm mitbehandelte und
verlorengeht. Da sollten wir beide realistisch     die Idee vermittelte: Auch das ist wertig! Und ich
sein. Die Siebziger, die zur Zeit unser beider     bin dann auch mit zwölf Jahren als Schüler in
Kino-Sozialisation vielleicht zwei, drei oder      Matineen von Stummfilmen gegangen: Das Ca-
zehn Jahre her waren, die sind heute halt 40 bis   binet des Dr. Caligari, Der Student von Prag – das
bald 50 Jahre her. So wie damals das Kino der      gab es damals noch im Mainzer »Capitol«-Kino.
1930er- und ’40er-Jahre. Und seien wir ehrlich:    Von daher war meine Wahrnehmung des Medi-
Was wussten wir Mitte, Ende der 80er über das      ums Film immer eine Parallele aus aktuellem
Kino der 30er und der 40er? Die heute über-        Kinoprogramm, den Klassikerprogrammen der
haupt an Filmgeschichte interessiert sind, die     öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, Heimme-
kennen doch immerhin auch die 90er-Jahre           dien und den Wiederaufführungen älterer Filme
schon ganz gut, das Post-Millennium-Kino so-       im Programmkino. Ich habe einen Großteil mei-
wieso; und wenn sie noch etwas interessierter      ner Jugend und Pubertät im Kino verbracht und
sind, eignen sie sich dann Stück für Stück auch    vor dem Fernseher.
historisches Wissen an. Das ging uns genauso.      Ich vor allem vor dem Fernseher. Bis ich 15, 16
Die Referenzen in deinem Buch kommen nun           war, war Kino etwas Besonderes, eine Ausnah-
zum großen Teil vor allem aus den 1970er- und      me, wenn ich mal in der Stadt war – das geht
’80er-Jahren, also deiner Jugend und der Zeit      schon damit los, dass ich nicht in der Stadt, son-
unmittelbar davor...                               dern im S-Bahn-Bereich von Frankfurt aufge-
Ja, das stimmt. Schwerpunkt ist die Wahrneh-       wachsen bin. In dem Ort, wo ich aufwuchs, gab
mung, die man so in den 80er Jahren hatte. Die     es nur ein Kino mit einem Saal, da lief dann
Fernsehwahrnehmung vor allem und dann              zehn Wochen lang Gandhi, im Main-Taunus-Zen-
durch das Sammeln von Filmen auf Heimme-           trum gab es auch nur zwei Säle mit Mainstream.
dien, VHS-Kassetten vor allem. Die abenteuerli-    Der Ort der Cinephilie war das Fernsehen. Da
chen Besuche von Videotheken sind in unver-        liefen zum Beispiel in den frühen 80er Jahre die
gesslicher Erinnerung. Da haben wir dann           Dracula-Filme mit Christopher Lee … »Der
Schätze gesucht. Man versuchte natürlich auch      phantastische Film« …
Videotheken zu finden, deren Programm sich in      Ja, genau! Die Reihe »Der phantastische Film« war
Grenznähe befand, wo man auch die in Deutsch-      eine richtige Generationen-Erfahrung, die, glaube
land nicht zugänglichen Sachen fand.               ich, für viele, mit denen man redet, die heute zwi-
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schen 40 und 60 Jahre alt sind, prägend war – das    Absolut! Rosemarys Baby ist 1967 der Film, mit
waren die Filme, auf die man sich gefreut hat. Zu    dem der moderne Horrorfilm in Amerika ein-
denen man als Jugendlicher Bilder und Texte aus      setzt. Weil er die Alltagserfahrung zusammen-
Programmzeitschriften ausschnitt und sammelte.       bringt mit klassischen Gothic-Horror-Motiven,
Informationen waren damals ja noch kaum ver-         dem »Haunted House«, das durch den Vorbe-
fügbar. Ohne Internet, vernünftige Filmlexika und    sitzer mit einem Fluch beladen ist. Der aber
ausreichend Literatur. Von wem war nochmal Der       dann natürlich nicht als Geist auftaucht, son-
Rattengott? Man schnitt also Programmhinweise        dern dessen Geist latent präsent ist und auf die
aus der Fernsehzeitschrift aus. Es gab kein Buch     Gemeinschaft in diesem Haus einwirkt.
darüber, denn es waren ja auch mitunter richtige        Das sind Bemühungen gewesen, die aus der
Deutschland-Premieren. Die Reihe »Der phantas-       Generation von Polanski gekommen sind: Man
tische Film« hatte damals für diese Generation       wollte im Prozess der Modernisierung diese Din-
eine unglaubliche Bildungsfunktion. Weil sie die     ge – das Verdrängte, das Unbewusste, Motive der
Klassiker mit den modernen Klassikern zusam-         Romantik – ernster nehmen.
mengebracht hat.                                        Man muss verstehen lernen, dass gerade Gen-
Seit wann nimmt man eigentlich die B-Movies          rekino etwas reflektieren kann, was andere Filme
so ernst wie die Kunstfilme? Meine Filmbildung        nicht so leicht reflektieren können. Und man
begann um 1980 mit dem Abonnement der Zeit-          sich Aspekten filmisch nähern kann, die dort zu-
schrift Cinema.                                      vor keinen Platz hatten – wie in diesem Fall zum
Bei mir auch.                                        Beispiel Schwangerschaftsängste.
Um 1980 wurde die Grenze zwischen Kunstkino,            Das wäre ja zunächst vielleicht der Stoff für ei-
A-Mainstream und B-Movie endgültig sinnlos.          nen Bergman-Film gewesen. Interessanterweise
Ich denke gerade an Roman Polanski, der ja die-      gibt es meines Wissens keinen Bergman-Film
se Grenze schon in den 60er-Jahren ignoriert.        darüber. Aber das ist ein tiefenpsychologisches

Zur Person. Als Filmwissenschaftler gehört Marcus Stiglegger zu jener in Deutschland besonders selte-
nen Spezies, die jeder bei einer Partyeinladung besonders interessant findet, in öffentlichen Debatten
aber offenbar lieber nicht erleben möchte. Denn Filmtipps lässt man sich von ihnen gern geben, aber
selbst in einer Talk-Show erscheinen sie dem Mainstream risikoreich.
   Dabei hätte er, der schon von Beruf wegen nahe an Zeitgeist und Popkultur dran ist, zu vielen Debat-
tenthemen Interessantes beizutragen. Stiglegger, Jahrgang 1971, lehrt fest in Berlin und oft an anderen
Universitäten. Er wuchs in Mainz auf, promovierte dort 1999 mit einer Arbeit über Faschismus und
Sexualität im Film (in zweiter, erneuerter Auflage unter dem Titel SadicoNazista.
Geschichte, Film und Mythos; Hagen-Berchum 2015), habilitierte sich 2006 mit
einer Seduktionstherie des Films (Ritual und Verführung; Berlin 2006). Gerade
hat er den zweiten Band seiner »Grenz-Trilogie« veröffentlicht: Grenzüberschrei-
tungen unternimmt Exkursionen in den Abgrund der Filmgeschichte, vor allem
ins Horrorkino. Dies interpretiert er konsequent im Wechselverhältnis zu den
kulturellen und politischen Rahmenbedingungen seiner Entstehungszeit.           c
Fotos: privat
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Mit Rosemarys Baby (oben) setzte 1967 der moderne Horrorfilm in den USA ein. Roman Polanski verwob klassische Gothic-Horror-Motive

verdrängten Ängsten der neuen Zeit. Noch weiter trieb es Willam Friedkin in Der Exorzist (unten). Mit nahezu dokumentarischen Mitteln

machte er aus dem christlichen Horrorstoff einen der erfolgreichsten Filme jener Jahre.

Fotos: Archiv
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Phänomen, in dem die Visualisierung der Ängste         nam-Erfahrungen, die Morde an den Kennedys,
möglich ist. Das hat ein ungeheuer metaphori-          und an den Schwarzenführern Malcolm X und
sches Potenzial. Das hat Polanski recht früh be-       Martin Luther King und der Watergate-Skandal
griffen. Interessanterweise ist er am Konzept der      gaben den Anlass für hochattraktive Paranoia-
Parodie gescheitert: Tanz der Vampire war ja           filme wie 1973 The Crazies. Daraus entstand der
nicht erfolgreich.                                     moderne Zombiefilm.
Findest du ihn denn gut?                                   Nehmen wir Dawn of the Dead von 1978: Der
Nee.                                                   wurde auch in Deutschland instinktiv verstan-
Als Kind musste man den lustig finden, wenn er          den. Ich erinnere mich daran, als ich ein Kind
im Fernsehen kam, aber ich fand ihn auch nie           war, und hörte, diese Art von Horror war so
lustig.                                                erfolgreich gewesen, dass man in den Kinos
Ja, er ist sehr spröde und irgendwie funktioniert      Klappstühle dazu stellen musste, um alle Zu-
er nicht. Andererseits: Wenn Polanski das Genre        schauer unterzubringen. Das kann man sich
richtig ernstgenommen hat, ist er zu enormen           heute gar nicht mehr vorstellen, dass diese Art
Höhen aufgestiegen. Denken wir an Ekel.                von Horrorfilmen eine derartige Resonanz ha-
Der legitime Erbe dieses Ansatzes war dann Wil-        ben. Die Filme der 70er-Jahre haben einen Nerv
liam Friedkin mit Der Exorzist. Ein Modernist,         der Gesellschaft ihrer Zeit getroffen.
ein gebildeter Regisseur, der von der Literatur        Was würdest du sagen: War das Aufkommen
kommt, ein Proust-Verehrer, der dann sagt: »Ich        dieses Kinos eine Reaktion auf einen Wandel
bin kein Christ, aber ich drehe diesen jesuitisch-     des Zeitgeists, der Gesellschaft? Oder ist es
christlichen Horrorstoff, als wäre alles real.« Also   eine Reaktion auf Veränderungen der Produkti-
er dreht Horror mit nahezu dokumentarischen            onsverhältnisse? Auf den Zusammenbruch des
Mitteln im ganz großen Stil – und das Ergebnis         Hollywood-Studiosystems in den 60er Jahren?
war einer der erfolgreichsten Filme jener Jahre.       Wenn das schon so auf dem Tisch liegt, würde
Wie weit ist das neue Kino der 70er aber auch          ich natürlich sagen: Beides! Für das Horrorgenre
ein Produzentenkino? Produzenten wie Roger             ist es hier sehr wichtig, dass das Kino das klassi-
Corman und Robert Evans haben Regisseure               schen Familienpublikum ans Fernsehen verlo-
zusammengebracht, Stoffe vorgeschlagen, eine           ren hat. Daraufhin orientiert sich das Filmema-
anregende Struktur geschaffen …                        chen neu auf jüngere Zuschauer-Schichten und
… die sich dann zu New Hollywood formt. Ande-          andere Verbreitungsformen. Es gab die Drive-In-
rerseits war New Hollywood ja nur das eine: Par-       Kinos und Autokinos für ein jüngeres Publi-
allel dazu gab es den Indie-Film, vertreten durch      kum …
Regisseure wie George Romero, der in Pittburgh         Die Teenager und Twens hatten Autos, gingen
um 1968 seine eigene Produktion begonnen hat.          abends allein aus und wollten auch eigene
Kurz nach Rosemaries Baby führte Romero die            Erlebnisse, eine eigene Jugendkultur, die der
Modernisierung des Horrorgenres einen Schritt          All-American-Culture der Eltern entgegenge-
weiter, und erweiterte das Horrormodell zum            setzt war. Horror war Counter-Culture, galt nicht
Gesellschaftsmodell: Diese neuen Indie-Filme           mehr als »abstoßend« und »pervers« …
spiegeln ganz grundsätzliche Phänomene der             Genau. So entstanden auch die Wellen der »Mid-
amerikanischen Gesellschaft dieser Zeit: Viet-         night-Movies« und »Grindhouse«-Filme – das
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wurde plötzlich interessant. All das richtete sich     den Morden an Kennedy und den Schwarzen-
im Laufe der 60er, vielleicht sogar schon Ende         Führern, mit dem Vietnamkrieg und dem Fort-
der 50er an ein jüngeres Publikum. Ende der 60er       schreiten des Kalten Kriegs hatte man ein gestei-
trug das dann mit einigen Vorläufern auch              gertes Misstrauen in die Regierung. Das kulmi-
künstlerisch zunehmend Früchte. Zu diesem              nierte im Watergate-Skandal.
Kontext muss man auch I Was a Teenage Were-            Ich hätte meine eigene Frage wohl so beant-
wolf von 1957 dazurechnen (Regie: Gene Fowler          wortet, dass ich mich ganz auf Seiten der Kultur
Jr.), mit dem später vor allem aus dem Fernsehen       geschlagen hätte. Und argumentiert, dass der
(Bonanza, Unsere kleine Farm) bekannten Mi-            Zusammenbruch der Studios auch bereits eine
chael Landon in der Hauptrolle] und die Filme          Folge dessen gewesen ist, was man seit den
von Herschell Gordon Lewis. Das sind ja frühe          60er Jahren als »Krise Amerikas« und »Krise
Hybride aus verschiedenen jugendaffinen Gen-           des Westens« beschreibt: Verlust des Glaubens
res: Highschool-Filme, Sportfilme, Surf-Filme,         an die eigenen Narrative, die Erschütterung des
Horrorfilme. Die verschiedenen Dinge kommen            American Dream durch seine Ernüchterung und
dann zusammen und bilden ein neues attrak-             eine Gegenkultur, die ja nicht zuletzt durch das
tives Kino für ein neues Publikum.                     Kino erst breitenwirksam wird. Auf den Lein-
    In den 70ern steigt dann die Tendenz, dass das     wänden entdeckte die Jugend des Westens an-
Kino das metaphorische Potenzial des Horrors           dere Musik, andere Werte, andere Lebens -
entdeckt, für gesellschaftlich fundierte Ängste        formen, die eigene in Frage stellten. So wie du
einzustehen. Das findet man ganz klar bei Fried-       es jetzt beschrieben hast, könnte man glauben,
kins Exorzist. Der ist so bewusst politisch! Mit El-   dass das Kino gewissermaßen nur reaktiv ist:
len Burstyn zu drehen, die hier gewissermaßen          Es spiegelt nur immer das wieder, was in der
in einem Agit-Prop-Film spielt. Der Generatio-         Gesellschaft sowieso passiert.
nenkonflikt zwischen Mutter und Tochter ist ge-        Ja, das wäre so eine Art Siegfried-Kracauer-Idee
nauso wichtig wie das ungeborene Leben in              aus filmsoziologischer Perspektive … [lacht]
Rosemaries Baby. Gesellschaftspsychologische           Lassen wir mal den Kracauer beiseite, und ob er
Konflikte werden vom Film dann nochmal an-             das so gesagt hat – gegen Kracauer-Exegese
ders wahrgenommen und ernst genommen.                  ist ja natürlich nichts zu sagen. Aber nun hat ja
Ich bin nicht sicher, ob das jetzt schon die ganze     der Film auch eine Art Eigenpotential. Er ist um-
Antwort auf meine Frage war …                          gekehrt auch ein Medium, das die Gesellschaft
Du hast recht, vielleicht müsste man nochmal           verändert. Man könnte in mancher Hinsicht doch
auf eine Sache eingehen: Die Idee gesellschaftli-      auch sagen, dass die politischen Verände-
cher Konflikte im großen Stil. Der Generationen-       rungen der 60er-Jahre erst auf das Kino über-
konflikt der Nachkriegszeit, das zunehmende            haupt zurückzuführen sind: Auf das, was die
Empfinden, dass in den Gesellschaften des We-          Gegenkultur, auch Musik, Literatur und so wei-
stens Eltern ihre Kinder nicht mehr verstehen,         ter schon seit den 50er Jahren in die Köpfe tra-
verschärfte sich ja durch die Counter-Culture,         gen...
die eine ganze Gegenkultur präsentierte. Plötz-        Ja, aber das ist ja ein Prozess, der sich gegenseitig
lich hatten nicht nur Eltern und Kinder Konflik-       bedingt, bei dem sehr schwer der Quotient Null
te, sondern die Gesellschaft untereinander. Nach       auszumachen ist. Natürlich hat der Film Easy Ri-
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Wer in den 70er- und 80er-Jahren die Kinogeschichte entdecken wollte, fand sie in Fernsehen, Programmkinos und Videotheken.
Informationen waren spärlich. Prägend für eine ganze Generation war die Reihe »Der phantastische Film« mit ihrem unvergesslichen

Vorspann (oben). Da wartete dann regelmäßig auch Christopher Lee als Dracula (unten) den später Geborene nur noch als bösen Zauberer

im Herrn der Ringe kennen.

Fotos: ZDF, Edelmann | Archiv
Foto:
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der verdammt viel ausgelöst. Andererseits ist er    der Zombies und heutigen Obdachlosen bedeu-
umgekehrt aus sehr vielen Tendenzen entstan-        tet – das ist eine Verbindung, die heute ungern
den: Die Hells Angels wurden in der unmittel-       gesehen wird, die aber offenkundig ist – oder
baren Nachkriegszeit gegründet und beein-           andererseits die Tumore manche neuen Krank-
flussten auch die Vorläufer von Easy Rider: Den     heiten der Gegenwart vorwegnehmen.
Marlon-Brando-Film Der Wilde von 1953, Roger           Im Grunde hat die Metapher der Transforma-
Cormans Die wilden Engel mit Peter Fonda und        tion, auch der Körper-Horror-Transformation
Nancy Sinatra von 1966 – das alles spiegelt eine    aus diesen Filmen eine prophetische Qualität. c
Tendenz, die in der Gesellschaft da war, für die
auch ein Publikum da war.
   Also gebe ich dir recht, würde aber immer be-
tonen: Es ist immer ein wechselseitiger Prozess.
Der kann sich intensivieren, wenn Regisseure
wie Romero zum Beispiel ihre Metaphern
beharrlich weiterentwickeln. Ich würde bei dem
Begriff der Metapher bleiben. Horrormotive sind
metaphorisch in ihrer Reaktion, in ihrer Antwort,
die sie auf gesellschaftliche Phänomene geben.
Das ist etwas, was das Horrorgenre aus heutiger
Sicht hochinteressant macht. Damals wurde es
noch unterschätzt.
Das heißt: Du liest Horrorphänomene wie es
Kracauer auch getan hätte, als Spiegel des
kollektiven Unbewussten.
Um es zu vereinfachen: Ja.
Gibt es denn dann etwas, wo du rückblickend
feststellen kannst: Da haben Filme sehr deutlich
auf etwas voraus verwiesen, das erst später ins
allgemeine Bewusstsein trat?
Ich denke, das ist in den apokalyptischen Filmen
Mitte bis Ende der 70er-Jahre, die gerade
Cronenberg und Romero gedreht haben, schon
gegeben. Die Phänomene des gesellschaftlichen
Zusammenbruchs, die dort überspitzt werden,
auch die medizinischen und biologischen Ursa-
chen, denen wir darin begegnen, die wuchernde
technologische Weiterentwicklung, der »Creative
Cancer« bei Cronenberg, seine Idee des »New         Dieses Interview erschien zuerst auf

Flesh« sind Phänomene, die vorausweisen. Ob         www.artechock.de
das »neue Fleisch« nun das verrottende Fleisch      Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.
445 | 28. März 2019                                                  Sichtbar werden | 22

  Der erste Eindruck ist wichtig.

  Und davor kann man auch schon

  einiges tun. Beim Speaker Slam

  in München schilderte Felix

  Meinhardt seine Erfahrungen mit

  dem Eindruckmachen in der

  Filmbranche.

Sichtbar werden!
Talent ist da, Ahnung hat man auch – doch wie macht man sich in der Branche bekannt?
Der Filmemacher Felix Meinhardt teilte seine Tricks und Erfahrungen im weltgrößten Speaker
Slam und gewann auch noch den Preis. Sein Vortrag:

Text Felix Meinhardt

Foto: Christina Pörsch
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Mein Name ist Felix Meinhardt, ich bin Filme-       für eine Transafrika-Expedition, wo natürlich
macher und ich möchte euch gerne bewusst            alle jubeln und es abfeiern.
machen, wie wichtig es ist, so sichtbar zu             Das Ganze hat mich noch eine ganze Weile
werden, wie man sich gerne präsentieren             beschäftigt und letzten Endes hat es mich sogar
möchte.                                             wieder ein bisschen in meine Kindheit zurück-
    Ich hatte kürzlich wieder ein Erlebnis, bei     katapultiert. Damals hatte ich Probleme, mich
dem ich für die Boston Consulting Group – di-       richtig zu zeigen. Niemand wusste so richtig,
rekt hier ums Eck auf der Maximiliansstraße in      für was ich eigentlich stehe. Was für eine Person
München – gedreht habe. Die meisten erwarten        ich bin! Ich habe einfach das gemacht, was auch
bei so einem großen Unternehmen: Okay, da           alle anderen gemacht haben: Fußballverein für
werden sie wahrscheinlich wie bei einer großen      eine kurze Zeit (natürlich auf der Ersatzbank)
Terra-X-Produktion für das ZDF mit Licht-LKW        oder später dann beim Handball, wo mein ein-
und Kamerasprintern ankommen. Aber ich              ziger Zweck darin bestand, in der Umkleide auf
dachte mir, dass ich das dieses Mal anders ma-      den Schultern von größeren und stärkeren
che, da mein Motto ohnehin »Keep it simple«         Jungs als Zusatzgewicht herzuhalten. Auf jeden
lautet.                                             Fall zumeist eine völlige Potenzialverschwen-
    Deshalb bin ich mit meinem Team, einfach        dung.
nur mit Fahrrädern ausgestattet, direkt auf den
Empfang zugefahren, wo der Marketing-Leiter         Das ging dann eine ganze Weile so, bis ich
schon auf uns gewartet hat und bei unserem          schließlich endlich eine Liste geschrieben habe,
Anblick fast vom Glauben abgefallen ist. Der        wofür ich eigentlich mein Taschengeld (viel
verstand die Welt nicht mehr, als ich mein Fahr-    war’s eh nicht) ausgeben möchte. Und dort
rad an der Pforte abgeschlossen habe, und frag-     standen eben nicht ein neuer Fußball oder
te mich: »Wo ist denn das ganze Equipment?«         Schienbeinschoner drauf, sondern ganz oben
    Das war natürlich in meinem Rucksack und        ins Kino zu gehen oder neue Videokassetten zu
auf die Frage hin, ob das denn reichen würde,       kaufen, weil die fand ich wirklich großartig!
meinte ich nur: »Ja, muss! Meine Freundin woll-        So kam dann schnell eine Sammlung von fast
te mit unserem Auto heute Ski fahren gehen, da      200 Filmen zusammen, die dann auch schnell
ist dann Improvisieren angesagt.«                   in der Klasse die Runde gemacht haben. Auf
    Ich dachte, zum Eis brechen wäre das eine       einmal gab es ein Thema, bei dem alle wussten:
ganz gute Idee. Aber letzten Endes hat mir das      Felix, der hat die Filme! Da kamen dann regel-
wieder gezeigt, wie wichtig der erste Eindruck      mäßig am Freitag meine Mitschüler vorbei und
für den langfristigen Erfolg ist, da es viel mehr   wollten sich diese anschauen. Der Oberbrüller
Aufwand bedarf, ein negatives Bild ins Positive     bei uns pubertierenden Jungs: Kassette 51. Die
umzuwenden, als von Anfang an mit einer posi-       war immer unterwegs, denn darauf waren mei-
tiven Präsenz sichtbar zu werden.                   ne ersten Schnittübungen, mit Zusammen-
    So viel zum Thema Sichtbarkeit schon wie-       schnitten von den kurzen Pornoszenen, die
der. Wenn ich in München mit dem Fahrrad            nachts auf Sat.1 oder RTL2 liefen.
vorgefahren komme, macht das natürlich einen           Prägend war aber vor allem, als ich kurze Zeit
anderen Eindruck, als auf einem Enduro-Bike         später erstmals mit »Forrest Gump« in Berüh-
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rung kam. Und über ein Interview mit Tom            werden, wo sich für mich eine völlig neue Welt
Hanks habe ich dann erfahren, wie er sichtbar       offenbart hat. Voller Möglichkeiten, Abenteuern
geworden ist: Er hat nämlich seine Presse-          und spannenden Erlebnissen!
artikel, die es bis zu diesem Film über ihn gab,       Deswegen möchte ich euch das hier mitge-
wichtigen Personen einfach in die Hand              ben: Werdet sichtbar und alles andere ergibt
gedrückt und ganz wichtigen Personen sogar          sich dann von ganz alleine!                   c
mal eine Videokassette über sich, um somit sei-
nen Bekanntheitsgrad nach und nach aufzu-
bauen.

Da dachte ich mir, was Tom Hanks kann, kann
ich natürlich auch, sodass ich diese Strategien
schon bald auch für mich genutzt habe – und
dabei festgestellt: Okay, mit der Taktik habe ich
eine einfache Form, wie ich meine Vision und
Ideen viel besser teilen und verbreiten kann.       Meinhardts Auftritt ist am 05. April auf Hamburg Eins sehen, er

   Jetzt noch die Kurzfassung: Mein gesteigerter    selbst vom 25. bis 28. April auf seinem Heldenreisen-Filmseminar

Bekanntheitsgrad und die angesammelte Erfah-        in München. In Stuttgart wird dasselbe Seminar im Herbst statt-

rung ermöglichte es mir schließlich, an der         finden.

Filmakademie in Ludwigsburg angenommen zu           www.felixmeinhardt.com

Zur Sache. Unsere Sprache wird nicht nur im Umgangston, sondern auch in Rhetorik und Stilistik zu-
nehmend roher bis zur völligen Sprachlosigkeit. Eine Entwicklung ohne Worte. Doch Gegenbewegun-
gen haben sich vorgenommen, dem ein Ende zu setzen. »Poetry Slams«, bei denen Wortkünstler ihre äs-
thetisch angeordneten Sprachgebilde live vor Publikum vortragen, haben schon lange Kultstatus, doch
auch bei Rednern (die für sich häufig den Anglizismus »Speaker« verwenden) hat der Trend mittlerwei-
le Einzug gehalten, Konzepte wie »Ted Talks« sammeln Millionen von Klicks im Internet.
   Mit dem internationalen Speaker Slam, einem von Top-Speaker Hermann Scherer veranstalteten
Rednerwettstreit, fand eine solche Veranstaltung nach New York, Wien, Frankfurt und Hamburg nun
auch in München statt und stellte nebenbei mit 65 Teilnehmern noch einen Weltrekord auf.
   Es gilt das Publikum in fünf Minuten von einem Thema seiner Wahl zu überzeugen: keine Sekunde
mehr! Danach geht das Mikrofon aus. Die verbliebenen Worte, die den Vortrag abrunden sollten, bleiben
so womöglich für immer unausgesprochen. In so kurzer Zeit zu berühren und inspirieren – die Königs-
disziplin eines Redners.
   Gewonnen hat sie dieses Jahr Felix Meinhardt, Filmemacher aus München, der bis jetzt vor allem für
seine Arbeit an der Terra-X-Reihe sowie zahlreichen Dokumentationen, Kurzfilmen und Imagefilmen
bekannt war (cinearte 315). Dieses Mal überzeugte er hingegen mit seinem leidenschaftlichen Vortrag
zum Thema »Sichtbarkeit«                                                             Kerstin Hauke.
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Die Deutschen lieben fremde Länder. Weshalb beliebte Reihen oft auch vor fernen Originalkulissen gedreht werden. Viel Bürokratie für die

Produzenten: Denn jeder am Set braucht eine spezielle Bescheinigung über die Sozialversicherung.

Reisewarnung
Wer in anderen EU-Staaten beruflich unterwegs ist, braucht eine A1-Bescheinigung, selbst wenn
das nur wenige Stunden dauert. Mit dem bürokratischen Monster wollte Brüssel Schwarzarbeit
eindämmen. Nun soll eine einfachere Regel her. Doch noch wacht das Monster – und das kann
teuer kommen.

Text Wilm Brucker
Foto: Degeto
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Für jeden beruflichen Einsatz, den wir in einem      Ebenso Journalisten, wenn sie einen Notizblock
EU-Land wahrnehmen wollen oder sollen, brau-        mitführen. Der Irrsinn geht aber noch weiter:
chen wir vom Arbeitgeber eine »Bescheinigung        Selbst ein kurzer Tankstopp im Transitland erfor-
über die Rechtsvorschriften der sozialen Sicher-    dert die A1-Bescheinigung für dieses Land, denn
heit, die auf den/die Inhaber/in anzuwenden         auch Tanken gilt als Arbeit.
sind.« So der Originaltext der Verordnungen (EG)
Nr. 883/2004, Artikel 11 bis 16 und Nr. 987/2009    Warum wird eine A1-Bescheinigung benötigt?
Artikel 19.                                         Bei Projekten im Ausland bei denen deutsche
                                                    Mitarbeiter beteiligt sind, müssten eigentlich
Was ist das? Die verkürzt sogenannte »A1-Be-        doppelte Sozialversicherungsbeiträge gezahlt
scheinigung« ist ein Nachweis zur Abklärung,        werden – die deutschen und die des jeweiligen
welches Sozialsystem für einen Versicherten zu-     Landes. Die EU-Richtlinien legen jedoch fest,
ständig ist. Reist ein Arbeitnehmer zum Arbeiten    dass bei einer Entsendung zum Beispiel durch
ins EU-Ausland, wird so vermieden, dass Sozial-     einen deutschen Arbeitgeber nur die deutschen
versicherungsbeiträge gleichzeitig in zwei EU-      Regeln gelten. Die Regelung gilt für die EU-Staa-
Staaten fällig werden.                              ten sowie für die Schweiz und Norwegen. Außer-
                                                    dem werden auch Länder wie Israel, Korea, Ja-
Was passiert ohne A1-Bescheinigung? Selbst          pan und Kanada auf Grund von bilateralen Ab-
bei kurzen Dienstreisen oder beim Transit in ei-    kommen mit einbezogen.
nen anderen EU-Mitgliedsstaat ist das Mitführen
der A1-Bescheinigung nun Pflicht. Kann der Ar-      Wie bekommt man die A1-Bescheinigung? Für
beitnehmer bei Kontrollen an ausländischen Ar-      Angestellte, die über eine Versicherungsnummer
beitsstellen oder auch nach dem Grenzübertritt      verfügen, beantragen Arbeitgeber eine Über-
keine Bescheinigung vorweisen, kann selbst der      mittlung der A1-Bescheinigung entweder beim
Zutritt zu Firmen- oder Messegeländen (ja, auch     jeweiligen Krankenversicherer oder über eine
ein Messebesuch in einem anderen EU-Land gilt       elektronische Ausfüllhilfe. Selbständige und Pri-
als Dienstreise) verweigert oder die sofortige      vatversicherte müssen auf der Internetpräsenz
Forderung nach Sozialversicherungsbeiträgen         der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversi-
nach dem jeweiligen Recht des Aufenthaltsstaa-      cherung – Ausland (DAVK) die Fragebögen für
tes angeordnet werden.                              den Antrag einer A1-Bescheinigung herunterla-
   Kontrolliert wird an Grenzübergängen und         den und ausfüllen. Hier sind die Fragebögen für
auch auf Flughäfen. Werden man ohne diese Be-       die einzelnen Staaten abrufbar. Der ausgefüllte
scheinigung angetroffen, werden dem Arbeitge-       Fragebogen wird an den jeweiligen Rentenversi-
ber pro Arbeitnehmer 2.000 Euro Bußgeld in          cherungsträger gesendet.
Rechnung gestellt. Wenn dies öfter passiert, kön-      Damit die Dokumente im Ausland anerkannt
nen bis zu 500.000 Euro Strafzahlungen verhängt     werden, werden die maschinellen A1-Bescheini-
werden.                                             gungen als elektronische Unterlagen an das Ab-
   Ein Irrsinn, denn gerade Filmschaffende im       rechnungsprogramm des Arbeitgebers zurück-
aktuellen Einsatz sind eigentlich immer auf         geschickt. Die Bescheinigung wird dann ausge-
Dienstreisen, wenn sie eine Kamera dabeihaben.      druckt dem Arbeitnehmer übergeben. Die EU
445 | 28. März 2019

geht von einer Vorlaufzeit von drei bis vier Tagen
aus, vom Antrag bis zur Übermittlung. Kommen-
tare in Internetforen sprechen allerdings von
eher drei bis vier Wochen. Toll, wenn man Aktua-
litäten drehen will.
    Aber auch für Journalisten bedeutet diese Re-
gelung nahezu ein Arbeitsverbot im EU-Ausland.
Der Stern schrieb dazu am 7. März: »Vier? Tage?
Vorlauf? Vor einer Reise, von der manche Kolle-
gen morgens noch nichts ahnen, weil etwa Ter-
roristen nicht dazu neigen, einen Anschlag in Pa-
ris oder Nizza anzukündigen? Und was, wenn
der Papst zurücktritt?« Danke!

Das ist alles? Von wegen! Um es noch ein wenig
bürokratischer zu machen: Bei Arbeiten in Lu-
xemburg wird neben der A1-Bescheinigung eine
luxemburgische Mehrwertsteuernummer ver-
langt, die man online beantragen muss, dazu ein
Handelsregisterauszug des Arbeitgebers, Aus-
weiskopien der Firmenvertreter, eine notarielle
Beglaubigung des Personalausweises, eine lu-
xemburgische Sozialversicherungsnummer, Ar-
beitsvertrag, Nachweise der beruflichen Qualifi-
kation, Versicherungsbestätigungen und Kopien
der letzten Gehaltsabrechnung. Wo bleibt denn
da der Datenschutz?

Warum wird das erst jetzt so heftig diskutiert?
Die A1-Regelung gibt es schon seit 2010. Doch
seit diesem Jahr muss der Antrag elektronisch
übermittelt werden (mit einer Ausnahmerege-
lung auf Antrag bis Mitte 2019 auch noch in Pa-
pierform), und die Kontrollen wurden enorm
verstärkt, ganz besonders in Belgien, Frankreich
und Österreich.
   Also, Kolleginnen und Kollegen, macht euch
mit der EU-Bürokratie vertraut oder bleibt im  c
Zweifelsfall zuhause.                          c
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Was treibt die nächste Generation?
Die Umfrage von HFF München und cinearte auf dem Internationalen Festival der Filmhochschulen
München.

Paula Tschira
Kamera.
Hochschule für Fernsehen und Film München

So habe ich mich ins Kino verliebt:
Wann immer ich im Kino sitze, würde ich am
liebsten in die Leinwand springen, um ein Teil
des Ganzen zu sein.

Mein Traumprojekt in drei Sätzen:
Kamerafrau für einen Kinofilm von Sean Baker
à la The Florida Project.

Ein Monat, eine einsame Insel und nur ein
Video*. Welches?
Down by Law von Jim Jarmusch.

* Stromanschluß vorhanden | Fragebogen und Foto: Sophie Averkamp, Helena Herb, Katharina Rabl, Johanna Seggelke
445 | 28. März 2019                                                      Filmemachen | 29

Filmemachen
»Erstens würde ich für das öffentlich-rechtlichen Fernsehen die Quote beseitigen,
 die vorrangig nur ein Meßinstrument für die Werbeindustrie war und ist,
 mittlerweile aber wie ein kulturelles Herbizid wirkt.
 Zweitens würde ich Autoren in Deutschland besser bezahlen, mehr an Ver-
 wertungen teilhaben lassen, mit mehr Autorität bei der Entwicklung versehen,
 grundsätzlich also viel stärker ihre Arbeit anerkennen und belohnen.
 Drittens würde ich aus Gebühren generierte Mittel umverteilen: weg vom Sport,
 weg von der Volksmusik, weg vom Talk, weg vom Vorabend, weg vom Event, also
 weg von der Unterforderung hin zum Singulären, hin zu Filmen, Serien, Klängen,
 Dokumentationen und Informationen, die mich da hinbringen, wo ich noch nie
 war. Also hin zur Überforderung. Der Markt müsste also weg vom Markt.«

Der Schauspieler Fabian Hinrichs am 21. März 2019 auf die Frage von Blickpunkt Film: »Was würden
Sie im Kino-/Film-/TV-Markt gern ändern?«

Foto: Farbfilm
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