Nachrichten für Filmschaffende - Crew Tech
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
445 | 28. März 2019 Nachrichten für Filmschaffende herausgegeben von Peter Hartig, Oliver Zenglein und Vincent Lutz
445 | 28. März 2019 Crew Tech Innovationskonferenz | 2 Mit der Innovationskonferenz präsentierten Katrin Richthofer, Stefanie Gall, Nikola Knoch und Janine Golisano (auf der Bühne, von links) Stand und Ergebnisse nach einem halben Jahr Netzwerkarbeit. Und banden die Gäste gleich mit ein. Zum Mitmachen Seit einem halben Jahr wird bei Crew Tech an Lösungen für mehr Nachhaltigkeit in der Filmbranche gearbeitet. Mit einer Innovationskonferenz gab das Netzwerk vorige Woche einen ungewöhnlichen Einblick. Text Peter Hartig Titel: Crew Tech | Foto: Louis Dickhaut
445 | 28. März 2019 Crew Tech Innovationskonferenz | 3 Innovationskonferenz an der Hochschule für Bals von der Entwicklungs- und Umweltorgani- Fernsehen und Film München. Rund 80 Teilneh- sation Germanwatch, wie Klimapolitik und mer sind am vorigen Donnerstag erschienen. Ich Nachhaltigkeit Deutschland verändern werden. erinnere mich noch gut an die erste Infoveran- Es ist Ende März, seit einem Monat streiken Frei- staltung im September auf der cinec. Vor einem tags in Europa Schüler gegen die Untätigkeit der halben Jahr konnten sich dort noch alle per Politik, die 16-jährige Greta Thunberg begeistert Handschlag begrüßen und hätten nicht mal eine sogar die Medien. Und in der Münchner HFF Minute gebraucht. schwärmt selbst Bals, der selbst schon seit zwei- Das Netzwerk Crew Tech hatte sich da vorge- mal 16 Jahren für Umwelt und soziale Gerechtig- stellt, in dem die unterschiedlichsten Akteure keit kämpft, von Organisationsfähigkeit und miteinander an Lösungen für mehr Nachhaltig- Kompetenz der neuen Generation und warnt: keit in der Branche arbeiten sollen. Im Vorder- »Es könnte ein Generationenkonflikt auf uns zu- grund steht der ökologische Aspekt, doch Fragen kommen, der 1968 in den Schatten stellt.« nach wirtschaftlicher und sozialer Nachhaltig- keit tauchen auch da immer wieder auf – irgend- Womit auch der Zustand der deutschen Film- wie hängt wohl doch alles zusammen. Gefördert branche recht gut in der Zeit verortet wäre: Es wird Crew Tech von außen, vom Bundesministe- entsteht bald der Eindruck, dass andere Bran- rium für Bildung und Forschung in Form der In- chen beim Thema Umwelt schon ein halbes novationsforen Mittelstand. Jahrhundert weiter sind (über soziale Nachhal- Das Thema interessiert die Branche noch we- tigkeit braucht man gar nicht erst zu reden). nig. Aber es gibt Bewegung. »Green Shooting« ist Doch die Traumfabrik bläst unterdessen weiter Thema bei Podiumsdiskussionen und Semina- dunkle Kohleschwaden aus ihren Schornsteinen. ren, mehrere Regionalförderer arbeiten an ei- Vor zwölf Jahren hatte die University of Cali- nem gemeinsamen »Grünen Drehpass«, viele fornia in einer Studie die Film- und Fernsehin- Akteure kennen sich und tauschen sich aus, dustrie mit anderen für Kalifornien »relevanten« doch das Crew-Tech-Netzwerk soll noch weiter- Branchen verglichen. In der Region Los Angeles reichen und den einzelnen Initiativen die Mög- trug sie stärker zur Luftverschmutzung bei als lichkeit bieten, ihre Kräfte und Erfahrungen zu die anderen fünf untersuchten Branchen, blies bündeln. Die Konferenz soll einen Einblick ge- fast ebenso viele Treibhausgase in den Himmel ben, wie das gehen soll und was in dem ersten wie Flugzeug- und Raumschiffbau, und ver- halben Jahr bereits gewachsen ist. zeichnete 17 tödliche Unfälle im Jahr (der Die 80 Gäste hier und heute interessiert das. Nächstplatzierte kam auf 5). Zwar haben etliche von ihnen gar nichts mit Film Die großen Studios in Hollywood hatten zu tun, doch so soll es auch sein. In den meisten schnell darauf reagiert. Eigene Websites stellen anderen Branchen ist man beim Thema Nach- nun vor, wie nachhaltig und umweltschonend haltigkeit nämlich schon viel weiter, hat Erfah- inzwischen angeblich gedreht wird – selbst der rungen und Lösungen, die sich auch auf andere Hulk kommt nun richtig grün auf die Leinwand. Branchen übertragen ließen. Die neue Zeit kommt auch auf Deutschland Also halten Branchenfremde die Impulsvor- zu. Auch darauf will Crew Tech vorbereiten. In- träge. Zur Begrüßung schildert gleich Christoph dem man möglichst viele Akteure aus möglichst
445 | 28. März 2019 Crew Tech Innovationskonferenz | 4 Die Workshop-Gruppen gaben einen Einblick in ihre Arbeit (oben), Gäste von außerhalb der Filmwelt wie der Solar-Unternehmer Klaus- Michael Koch (unten rechts) oder Christoph Bals von Germanwatch (unten rechts) hielten Impulsvorträge. Das war’s aber auch schon mit der Frontalberieselung – die Konferenzgäste sollten das Netzwerk-Konzept selbst erfahren. Fotos: Jacob Kohl [2] | Crew Tech
445 | 28. März 2019 Crew Tech Innovationskonferenz | 5 unterschiedlichen Bereichen zusammenbringt, »Es geht uns um einen Bewusstseinswandel, und sieht, was sie gemeinsam erreichen. So stark eine Veränderung in der Haltung, um die Über- vereinfacht, klingt das erstmal beliebig, im be- nahme von Verantwortung«, erklärt mir Janine sten Fall nach einem dieser »Runden Tische«, die Golisano, eine der vier Organisatorinnen von üblicherweise gebildet werden, wenn ein Pro- Crew Tech und zuständig für die Öffentlichkeits- blem auftaucht, dass zu kompliziert erscheint, arbeit. »Crew Tech möchte die innere Haltung als dass es sich mit einem Federstrich lösen lie- weg von einem ich hin zu einem wir verändern – ße. Im besten Fall einigen sich solche Runden Ti- wir alle tragen die Verantwortung.« sche auf einen Kompromiss in Form von Hand- lungsempfehlungen, die mehr oder weniger Schnelle Entscheider mögen es weltfremd fin- oder gar nicht umgesetzt werden. Problem ge- den, wenn sich soviel um Gruppendynamik statt löst. um Problemlösung dreht. Doch wenn es alleine um eine effiziente Entscheidung ginge, wäre das Bei Crew Tech geht man das Problem anders an Problem tatsächlich mit einem Federstrich vom und stellt erstmal »zusammenbringen« und »ge- Tisch. Denn die Technik, die Standards und alle meinsam erreichen« in den Vordergrund. weiteren Lösungen sind da. Schließlich sollen die so unterschiedlichen Ak- Sie werden nur nicht genutzt. teure ein gemeinsames Ziel definieren und Wie schwierig es ist, die Umwelt und die Bran- schließlich auch noch Lösungen erarbeiten, die che auf Anordnung zusammenzubringen, be- alle mittragen, schreiben die Organisatorinnen richten viele, die es schon versucht haben. Ein in einem ersten Zwischenbericht. Vier Work- Klassiker ist die Anekdote vom Veggie-Day, der shops sind dafür vorgesehen, drei sind bereits am Aufstand fleischsüchtiger Beleuchter schei- geschlossen, als mit der Innovationskonferenz terte. Auch auf der Innovationskonferenz wird der aktuelle Ergebnisstand vorgestellt wird. Der eine Version erzählt; diesmal ist der Bühnentrup vierte läuft erst im Mai. schuld. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise gibt’s Mit einer effizienten Entscheidung allein ist es Ergebnisse erst ganz am Schluss: Das war das offenbar nicht getan – auch das gilt es zu berück- Problem, hier ist unsere Lösung, fertig! Und alle sichtigen, glaubt man im Netzwerk. Und nach- gehen wieder heim. zusehen, woran es bisher hakte. Um die Nach- Hier aber wirkt alles plötzlich ungewohnt haltigkeit in die Branche zu bringen, haben die offen. Die Arbeit ist ja noch nicht abgeschlossen, Workshopteilnehmer vier Ansatzpunkte ausge- es darf weiter diskutiert und beigetragen werden, macht, die sogenannten »Hotspots«: Synergie, das Thema bleibt in der Welt und im Bewusst- Öffentlichkeitsarbeit, Technologie, Förderung. sein … Zwei Arbeitsgruppen befassten sich unter jedem Später erfahre ich, dass die Konferenz aus an- dieser vier Aspekte mit dem Thema Nachhaltig- deren Gründen vorgezogen wurde. Es passt keit in der Filmbranche. Die Zustandsbeschrei- trotzdem. Schließlich sollen mit der Konferenz bung in Kürze: Es mangelt an Kommunikation, weitere Interessenten eingeladen werden mitzu- die technischen Verbrauchsdaten sind noch machen und nach dem letzten Workshop noch nicht genügend dokumentiert, es brauche ein- längst nicht Schluss sein. deutige Regularien von Seiten der Filmförderer –
445 | 28. März 2019 Crew Tech Innovationskonferenz | 6 erst stellt sich jeder vor und schätztsein grünes Gewissen ein, dann geht auch schon die Arbeit los, Geführtes Denken im Minutentakt. Und tatsächlich ist nach wenigen Schritten aus der ersten Idee fast ein kleines Konzept erwachsen. Fotos: Jacob Kohl | Louis Dickhaut [5]
445 | 28. März 2019 Crew Tech Innovationskonferenz | 7 es reiche nicht, sich auf das persönliche Enga- bleme gibt es aktuell mit der Filmförderung?« gement einzelner Filmemacher allein zu verlas- und »Welche Hindernisse für mehr soziale Ge- sen. rechtigkeit siehst Du in der Filmbranche?« sind Mögliche Lösungen wurden skizziert, aber übrigens die Favoriten, zu denen den meisten et- nicht allzu detailliert vorgestellt, und auch das was einfällt. soll so sein. Denn mit dem nachhaltigen Netz- werk sollen ganz praktisch auch Produkte ent- In kleinen Schritten und Aufgaben zwischen 10 stehen. »Acht konkrete Ideen haben wir jetzt und 20 Minuten, einzeln und in Kleingruppen, schon«, sagt Golisano. nähert man sich »seinem« Thema an, unterbro- Darum, das wird zum Abschluss der Konfe- chen von Präsentationen und Diskussionen, renz nochmals bekräftigt, soll das Netzwerk eine kreist es ein, immer streng getaktet von den Mo- dauerhafte Struktur bekommen, vielleicht als derator*innen. Denn dies ist ja keine Talkrunde, Verein, dem alle Interessenten der Branche und sondern es wird tatsächlich gearbeitet. So fühlt darüber hinaus beitreten können. Vielleicht man sich zumindest nach zweieinhalb Stunden. könnte man aber auch gleich über die Form ei- Wer noch mehr wissen will, findet während- ner Genossenschaft nachdenken, regte ein Teil- dessen ein paar Türen weiter Antworten in den nehmer aus dem Publikum an. Was letztlich dar- sogenannten »Open Spaces«: kleine Fachvorträ- aus wird, werden die heutigen und künftigen ge und Präsentationen zur Stromversorgung am Netzwerker selbst entscheiden. Set, Innovationsförderungen des Bundes, CO2- Rechner oder die Ergebnisse einer Umfrage, wie Die Konferenz selbst gibt einen Eindruck, wie in grün schon in Deutschland gedreht wird. den Workshops wohl gedacht und gearbeitet Die gleiche Struktur am zweiten Tag. Zwei Im- ,wurde. »Keine Frontalbeschallung« hatten die pulsvorträge von außen stimmen wieder auf den Veranstalter ja versprochen. Und so finden sich Tag ein. Mit einem Unterschied: Die Mikrofone die Teilnehmer nach Bals’ Impulsvortrag und der im Audimax bleiben aus. Und so müssen die Teil- Präsentation der Arbeitsgruppen plötzlich selbst nehmer alle weiter nach vorne kommen und et- in einer wieder. »Weiterentwicklung Hotspots« was näher zusammenrücken. Guter Trick. heißt das im Programm. Der Unternehmer Klaus-Michael Koch be- Den Hotspot durfte man sich noch selbst aus- gann in der Baubranche, war Weltmarktführer suchen, schon findet man sich mitten drin im mit seiner Speziallösung, 2010 gründete er die Denkprozess, wo sich die neuen Gäste mit den Photovoltaik-Firma Koco, um die Energiewende Veteranen aus den Workshops mischen. Kurze mit voranzutreiben. Er erzählt in seiner Impuls- Vorstellung und Einschätzung, wo man sich sel- rede eine Geschichte von Erfolgen und Tiefschlä- ber sieht in Bezug zur Nachhaltigkeit. Wenig gen und Neubeginn, wie sie wohl auch in einem überraschend: der und die einzelne Filmschaf- Existenzgründer-Seminar gut ankäme. fende zeigt ein völlig anderes Umweltbewusst- Seine Lehre beschränkt sich aber nicht auf sein als die Branche selbst. Unternehmergeist und Erfindungskraft des Mit- Dann geht’s ans Thema. An der Wand hängen telstands, sondern blickt weiter. Denn die Ener- Fragen, die es nochmals in Aspekte aufteilen. Je- giewende packt nicht einer alleine, sondern der heftet seine Antworten dazu. »Welche Pro- muss sich zusammentun. Natürlich fürchte jeder
445 | 28. März 2019 Crew Tech Innovationskonferenz | 8 In den Pausen und beim Get Together werden die Fragen locker weiterbesprochen und Fußnoten beigesteuert. Auch das gehört zum Netzwerk. Fotos: Jacob Kohl | Louis Dickhaut
445 | 28. März 2019 F.R. . .C. & Finanze en. Rechtt. Controlling g. einen Nachteil, wenn er zuviel Wissen preisgebe, sagte Koch mit Blick auf das Netzwerk, das gera- de entstehen will. Doch wenn man lerne, zu ver- trauen, erkenne man gut, wem man vertrauen S inar-R Semin nar RReihe eihe ihe in München kann – das habe er von seinem Großvater ge- lernt. Und: »Geld ist nicht das Ziel unseres [un- Them menschhwerppuunkte F.R.C. I ternehmerischen] Handelns, sondern das Ergeb- am 3. 3 Apri April p il 2019 nis.« Das zu beherzigen, helfe gegen die Kurzat- Unständig und geringfügig Beschäftigte bei Film und Fernsehen migkeit unserer Zeit. Der Filmbranche habe Probleme, wie andere Haffttung von GmbH-Geschäftsführerrn und Führungskräfftten Branchen auch, meinte Koch. Und da war er, der unverstellte Blick von außen: »Sind denn auch Eigenanteil, HU’’ss und Eigenleistuung bei Förderungen Drehbuchautoren da?« fragte Koch in die Runde. Schweigen. Themenschwerpunkkte F.R.C. II Komisch: Wenn sonst über Nachhaltigkeit dis- kutiert wird, geht es um Technik und Catering und am 8. Mai 20019 Reisen, vielleicht noch um Produzentenwillen Abbildung von Personen nach DSGVO und Fördererunterstützung; aber Drehbuchauto- Controlling & Bilanzkennzahlen ren? Nochmal komisch: Am Vortag hatte schon mal jemand danach gefragt … Genehmigungspflichten für Film- und Fernsehproduktionen Das sei in seiner Branche auch nicht anders, meint Koch. Wenn alle Experten gemeinsam über Ihre Erfolgsfaktorenn: einem Problem brüten, fehlten meist die Archi- tekten. »Doch diejenigen Architekten, die bei uns Praxisnahe Inhalte Inhalte, topaktuell mitmachen, entwerfen hinterher bessere Gebäu- Experten aus dem jeweeiligen Fachgebiet de«, sagte er schmunzelnd. Man müsse ja nicht Intensivseminar mit beegrenzter Teilnehmerzahl mal jeden erreichen: »Mir reicht es, wenn ich 50 Architekten habe, mit denen ich bauen kann. Sonderkonditionen für Crew United Premium Mitglieder Dann brauche ich die anderen 50.000 nicht.« PARTNER Derart angespornt, geht’s wieder in die Arbeits- gruppen. Doch erstmal Kaffeepause. Kurze Ru- hephasen sind im strengen Programmtakt einge- plant, in denen sich um die Stehtische neue Grüppchen bilden. Neues erfährt man hier oder SOLUTION PARTNER wird daran erinnert, was man sich hätte merken sollen. Etwa, dass Sky schon seit Jahren nachhal- tig arbeitet. Weil der Europa-Chef persönlich es so wollte. Effiziente Entscheidung. Scheint aber zu klappen. Alexandra Coffey, CSR-Beauftragte Details zu Programm, Referenten unnd Anmeldung unter www.medienweiterbbildung.de
445 | 28. März 2019 WORLD OF ENTERTAINMENT TECHNOLOGY bei Sky Deutschland, zeigt sich jedenfalls zufrie- den. INTERNATIONALE Oder dass Sony Pictures Deutschland Nach- haltigkeit bereits groß schreibt. Doch nicht etwa, FACHMESSE UND KONGRESS weil die Mutter in Hollywood es vorführt, son- BERLIN · 18.– 20. JUNI 2019 dern aus eigenem Antrieb, erklärt Maria Spisic, Assistentin der Herstellungsleitung bei Sony. Zwischen Kameramann und Kostümbildne- rin, Produzenten und mehreren Schauspieler*innen stehen auch die Experten aus anderen Welten. Das sind die Vorteile des Netzwerks – leicht kann man sich die Schnipsel des aufgeschnappten Halbwissens für einen Mo- ment zu einem klaren Bild zusammensetzen las- sen. Doch man behält auch die Ahnung, dass vieles, was in der Filmbranche noch als unmög- lich erscheint, anderswo schon beinahe Stan- dard ist. Und man gewinnt neue Blickwinkel. Von den Ba- varia Studios ist irgendwann die Rede, dem »kli- maneutralen Produktionsstandort«. Ich lobe den Idealismus. Jaja, schmunzelt mein Gegenüber – und erklärt mir, dass die Studios nun auch etwas haben, das Babelsberg und Prag nicht bieten können. Schau an: Nachhaltigkeit als Wettbe- werbsvorteil. Nur einer fehlt in der Runde: Schade, dass ausgerechnet kein Förderer dabei sei, wurde mehrmals bemerkt, gerade deren Mitarbeit ONLINE-TICKET JETZT KAUFEN brauche man doch hier. Lediglich am ersten Tag UND BIS ZU 38% SPAREN! war ein Vertreter der Bayerischen Filmcommissi- on anwesend. Eine Teilnehmerin findet es »selt- sam«, wo doch gerade mehrere Förderer über ei- nen deutschlandweiten Grünen Drehpass nach- Messegelände Berlin dächten. Ein anderer nickt und sagt etwas von Entscheidungen hinter verschlossenen Türen … www.stage-set-scenery.de Zurück zur Arbeit in der Gruppen. Die Zeit läuft. Zu viert nimmt man sich zwei Ideen vom Vortag von der Wand, heftet sie in die Mitte eines
445 | 28. März 2019 Crew Tech Innovationskonferenz | 11 Blatts, daneben seinen Kommentar und reicht es so: »Welches Problem wird dadurch gelöst?« weiter. Das Blatt macht zweimal die Runde, um steht als Erläuterung dahinter. Wir sollen nicht die Idee in der Mitte sind acht weitere gespros- bloß das Problem darstellen, sondern einen hal- sen, und es ist sogar noch Zeit übrig. »Ideation ben Schritt weitergehen und gleich die Lösung Blossom« heißt das Konzept, eines von vielen mitdenken. Clever. »agilen« Werkzeugen, mit denen vor allem die »Wie?« fragt das nächste Feld. Es gilt, die Idee Softwarentwicklung arbeitet. Indem alle zu- und wie sie funktioniert, in wenigen Worten zu gleich eingebunden sind, werden die Entwick- beschreiben. Kein Problem, die Ideen aus der lungsprozesse transparent und ständig über- Vorrunde fließen aufs Papier. Nächste Frage: prüft, Fehler werden minimiert, und das alles »Wie genau?« Die »Prototyp Canvas« fragt soll sogar wesentlich schneller gehen als nach ganz schön lästig. Und sie kann noch lästiger den üblichen »linearen« Abläufen. Effiziente sein: Die Antwort soll als Zeichnung auf Blatt. Entscheidung sozusagen. »Für wen?« wird nach den Nutzern gefragt, Die Nachhaltigkeitsberaterin und Ingenieurin denn ohne die hätte alles keinen Sinn. Und dann Nikola Knoch und Stefanie Rall haben dieses folgen schon die sechs Umsetzungskriterien: Zeit, »Design-Thinking«-Konzept für die Workshops Geld, Arbeitskraft und die dreifache Nachhaltig- übernommen. Man komme damit ziemlich keit, nämlich ökologisch, sozial und wirtschaft- schnell ins konkrete Arbeiten, meint Katrin lich. Für jedes soll der Aufwand eingeschätzt wer- Richthofer, die vierte Frau hinter Crew Tech und den – ob gering, hoch oder dazwischen. Geschäftsführerin des Studienzentrums für Filmtechnologie der HFF München. Es folgen wieder Präsentation und Feedback- Jede Gruppe stimmt nun ab, welche von bei- Phase vor den anderen, doch damit hat das Den- den Ideen ihr besser erscheint. Und bearbeitet ken noch kein Ende. Denn nun soll all das, was sie weiter im nächsten Schritt. Der spielt sich zusammengetragen und diskutiert wurde, in wieder auf einem Papier ab: »Prototyping Can- eine fassbare Form gebracht werden, damit es vas« ist oben zu lesen, grob gesagt, ist es ein Stu- nicht nur ein fröhlicher Ideenaustausch gewesen fenplan, um ein neues Produkt zu entwickeln. sein mag. Als Drehbuch. Kein Problem. Die Zeit Schritt für Schritt, jeder mit einem Kasten vorge- läuft, wir sind im Thema. geben – in unterschiedlicher Größe, auch da hält So in der Art dürfte das Ergebnis der Work- man’s streng. Interessant: Die rechte Hälfte des shops aussehen – natürlich deutlich ausgereifter. Blatts bleibt leer – sie sind schon vorab für Kom- Das wären die »Produkte«, von den Golisano ge- mentare reserviert. sprochen hatte. Und weil zum Netzwerk mit An- dré Klein auch ein Berater für Förderungen zum Was eben noch Idee war, soll nun ein Produkt Netzwerk gehört und mit den Innovationsforen werden. Und dem soll man als erstes einen Na- Mittelstand auch andere Branchen für die Um- men geben. Einen interessanten noch dazu. Na setzung zur Seite stehen, werden diese Produkte gut: »Förderung nachhaltiger Filmproduktion«. am Ende auf alle Möglichkeiten abgeklopft, wie Klingt zwar nicht interessant, doch die Zeit läuft. die Innovationsideen Gestalt annehmen kön- Nächster Schritt: »Warum?« Blöde Frage! da nen. Neue Teilnehmer sind eingeladen. c fallen uns doch reihenweise Gründe ein … Ach www.crewtech.media
TA AXX ACTOR Du hast hauptsächlich auf Lohnsteuerkarte gearbeiteet und zusätzlich GVL- Zahlungen/Wiederholungshonorare von max. 6.000 00 Euro o pro Jahr erhalten? Du willst kostengünstig eine Einkommensteuererkläru ung von auf den Medienbereich spezialisierten Steuerberatern erstellen lassen? Dann bist Du bei T TA AXACTOR genau richtig.. Wir erstellen Deine Einkommensteuererklärung ab 90,00 9 Euro. Einfach und schnell und von spezialisierten Steuerbeeratern bearbeitet. bearbeitet TA TAXACTOR – ein Produkt der auf Filmschaffende spezialisier s ten Steuerberatung gs- kanzlei in stereo Knauft & Schaar Steuerbe erater www w..taxactorr..d de
445 | 28. März 2019 Horrorfilm | 13 George Romeros Dawn of the Dead wurde Ende der 70er-Jahre zu einem überraschenden Publikumsrenner. Selbst in Deutschland mussten die Kinos zusätzliche Klappstühle aufstellen, weil alle den Zombiefilm sehen wollten. Er hatte einen Nerv der Gesellschaft ihrer Zeit getroffen. Generationenkonflikte Wenn Zombies über Bildschirme und Leinwände schlurfen, hat das tiefere Gründe. Horrorfilme sind eine Antwort auf unsere Gegenwart, sagt der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger. Interview Rüdiger Suchsland Foto: United Film Distribution
445 | 28. März 2019 Horrorfilm | 14 Grenzüberschreitungen. Exkursionen in den Ab- Andererseits hat mein filmgeschichtliches grund der Filmgeschichte ist der zweite Band Bewusstsein schon relativ früh bis in die 30er- deiner »Grenztrilogie«. Was war die Idee deines und 20er-Jahre zurückgereicht. Ich habe Ge- Buchs? schichte immer wichtig gefunden und sehr früh Die Idee war, das Populäre des Genres und angefangen, Filmliteratur zu lesen – die Klassiker Genrekinos zu reflektieren, aber aus einem des Horrorfilms von William Everson im Gold- Bewusstsein der Tradition. Das ist eine Erfah- mann-Verlag zum Beispiel, oder die Bände der rung, die ich gemacht habe: Dass das Bewusst- Heyne-Filmbibliothek. sein für Filmgeschichte verloren geht. So etwas gab es damals! Die Älteren beklagen immer, dass, je älter sie Norbert Stresaus Buch über Horrorfilme war ein werden, immer mehr des Wissens ihrer Jugend Buch, das den Stummfilm mitbehandelte und verlorengeht. Da sollten wir beide realistisch die Idee vermittelte: Auch das ist wertig! Und ich sein. Die Siebziger, die zur Zeit unser beider bin dann auch mit zwölf Jahren als Schüler in Kino-Sozialisation vielleicht zwei, drei oder Matineen von Stummfilmen gegangen: Das Ca- zehn Jahre her waren, die sind heute halt 40 bis binet des Dr. Caligari, Der Student von Prag – das bald 50 Jahre her. So wie damals das Kino der gab es damals noch im Mainzer »Capitol«-Kino. 1930er- und ’40er-Jahre. Und seien wir ehrlich: Von daher war meine Wahrnehmung des Medi- Was wussten wir Mitte, Ende der 80er über das ums Film immer eine Parallele aus aktuellem Kino der 30er und der 40er? Die heute über- Kinoprogramm, den Klassikerprogrammen der haupt an Filmgeschichte interessiert sind, die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, Heimme- kennen doch immerhin auch die 90er-Jahre dien und den Wiederaufführungen älterer Filme schon ganz gut, das Post-Millennium-Kino so- im Programmkino. Ich habe einen Großteil mei- wieso; und wenn sie noch etwas interessierter ner Jugend und Pubertät im Kino verbracht und sind, eignen sie sich dann Stück für Stück auch vor dem Fernseher. historisches Wissen an. Das ging uns genauso. Ich vor allem vor dem Fernseher. Bis ich 15, 16 Die Referenzen in deinem Buch kommen nun war, war Kino etwas Besonderes, eine Ausnah- zum großen Teil vor allem aus den 1970er- und me, wenn ich mal in der Stadt war – das geht ’80er-Jahren, also deiner Jugend und der Zeit schon damit los, dass ich nicht in der Stadt, son- unmittelbar davor... dern im S-Bahn-Bereich von Frankfurt aufge- Ja, das stimmt. Schwerpunkt ist die Wahrneh- wachsen bin. In dem Ort, wo ich aufwuchs, gab mung, die man so in den 80er Jahren hatte. Die es nur ein Kino mit einem Saal, da lief dann Fernsehwahrnehmung vor allem und dann zehn Wochen lang Gandhi, im Main-Taunus-Zen- durch das Sammeln von Filmen auf Heimme- trum gab es auch nur zwei Säle mit Mainstream. dien, VHS-Kassetten vor allem. Die abenteuerli- Der Ort der Cinephilie war das Fernsehen. Da chen Besuche von Videotheken sind in unver- liefen zum Beispiel in den frühen 80er Jahre die gesslicher Erinnerung. Da haben wir dann Dracula-Filme mit Christopher Lee … »Der Schätze gesucht. Man versuchte natürlich auch phantastische Film« … Videotheken zu finden, deren Programm sich in Ja, genau! Die Reihe »Der phantastische Film« war Grenznähe befand, wo man auch die in Deutsch- eine richtige Generationen-Erfahrung, die, glaube land nicht zugänglichen Sachen fand. ich, für viele, mit denen man redet, die heute zwi-
445 | 28. März 2019 Horrorfilm | 15 schen 40 und 60 Jahre alt sind, prägend war – das Absolut! Rosemarys Baby ist 1967 der Film, mit waren die Filme, auf die man sich gefreut hat. Zu dem der moderne Horrorfilm in Amerika ein- denen man als Jugendlicher Bilder und Texte aus setzt. Weil er die Alltagserfahrung zusammen- Programmzeitschriften ausschnitt und sammelte. bringt mit klassischen Gothic-Horror-Motiven, Informationen waren damals ja noch kaum ver- dem »Haunted House«, das durch den Vorbe- fügbar. Ohne Internet, vernünftige Filmlexika und sitzer mit einem Fluch beladen ist. Der aber ausreichend Literatur. Von wem war nochmal Der dann natürlich nicht als Geist auftaucht, son- Rattengott? Man schnitt also Programmhinweise dern dessen Geist latent präsent ist und auf die aus der Fernsehzeitschrift aus. Es gab kein Buch Gemeinschaft in diesem Haus einwirkt. darüber, denn es waren ja auch mitunter richtige Das sind Bemühungen gewesen, die aus der Deutschland-Premieren. Die Reihe »Der phantas- Generation von Polanski gekommen sind: Man tische Film« hatte damals für diese Generation wollte im Prozess der Modernisierung diese Din- eine unglaubliche Bildungsfunktion. Weil sie die ge – das Verdrängte, das Unbewusste, Motive der Klassiker mit den modernen Klassikern zusam- Romantik – ernster nehmen. mengebracht hat. Man muss verstehen lernen, dass gerade Gen- Seit wann nimmt man eigentlich die B-Movies rekino etwas reflektieren kann, was andere Filme so ernst wie die Kunstfilme? Meine Filmbildung nicht so leicht reflektieren können. Und man begann um 1980 mit dem Abonnement der Zeit- sich Aspekten filmisch nähern kann, die dort zu- schrift Cinema. vor keinen Platz hatten – wie in diesem Fall zum Bei mir auch. Beispiel Schwangerschaftsängste. Um 1980 wurde die Grenze zwischen Kunstkino, Das wäre ja zunächst vielleicht der Stoff für ei- A-Mainstream und B-Movie endgültig sinnlos. nen Bergman-Film gewesen. Interessanterweise Ich denke gerade an Roman Polanski, der ja die- gibt es meines Wissens keinen Bergman-Film se Grenze schon in den 60er-Jahren ignoriert. darüber. Aber das ist ein tiefenpsychologisches Zur Person. Als Filmwissenschaftler gehört Marcus Stiglegger zu jener in Deutschland besonders selte- nen Spezies, die jeder bei einer Partyeinladung besonders interessant findet, in öffentlichen Debatten aber offenbar lieber nicht erleben möchte. Denn Filmtipps lässt man sich von ihnen gern geben, aber selbst in einer Talk-Show erscheinen sie dem Mainstream risikoreich. Dabei hätte er, der schon von Beruf wegen nahe an Zeitgeist und Popkultur dran ist, zu vielen Debat- tenthemen Interessantes beizutragen. Stiglegger, Jahrgang 1971, lehrt fest in Berlin und oft an anderen Universitäten. Er wuchs in Mainz auf, promovierte dort 1999 mit einer Arbeit über Faschismus und Sexualität im Film (in zweiter, erneuerter Auflage unter dem Titel SadicoNazista. Geschichte, Film und Mythos; Hagen-Berchum 2015), habilitierte sich 2006 mit einer Seduktionstherie des Films (Ritual und Verführung; Berlin 2006). Gerade hat er den zweiten Band seiner »Grenz-Trilogie« veröffentlicht: Grenzüberschrei- tungen unternimmt Exkursionen in den Abgrund der Filmgeschichte, vor allem ins Horrorkino. Dies interpretiert er konsequent im Wechselverhältnis zu den kulturellen und politischen Rahmenbedingungen seiner Entstehungszeit. c Fotos: privat
445 | 28. März 2019 Horrorfilm | 16 Mit Rosemarys Baby (oben) setzte 1967 der moderne Horrorfilm in den USA ein. Roman Polanski verwob klassische Gothic-Horror-Motive verdrängten Ängsten der neuen Zeit. Noch weiter trieb es Willam Friedkin in Der Exorzist (unten). Mit nahezu dokumentarischen Mitteln machte er aus dem christlichen Horrorstoff einen der erfolgreichsten Filme jener Jahre. Fotos: Archiv
445 | 28. März 2019 Horrorfilm | 17 Phänomen, in dem die Visualisierung der Ängste nam-Erfahrungen, die Morde an den Kennedys, möglich ist. Das hat ein ungeheuer metaphori- und an den Schwarzenführern Malcolm X und sches Potenzial. Das hat Polanski recht früh be- Martin Luther King und der Watergate-Skandal griffen. Interessanterweise ist er am Konzept der gaben den Anlass für hochattraktive Paranoia- Parodie gescheitert: Tanz der Vampire war ja filme wie 1973 The Crazies. Daraus entstand der nicht erfolgreich. moderne Zombiefilm. Findest du ihn denn gut? Nehmen wir Dawn of the Dead von 1978: Der Nee. wurde auch in Deutschland instinktiv verstan- Als Kind musste man den lustig finden, wenn er den. Ich erinnere mich daran, als ich ein Kind im Fernsehen kam, aber ich fand ihn auch nie war, und hörte, diese Art von Horror war so lustig. erfolgreich gewesen, dass man in den Kinos Ja, er ist sehr spröde und irgendwie funktioniert Klappstühle dazu stellen musste, um alle Zu- er nicht. Andererseits: Wenn Polanski das Genre schauer unterzubringen. Das kann man sich richtig ernstgenommen hat, ist er zu enormen heute gar nicht mehr vorstellen, dass diese Art Höhen aufgestiegen. Denken wir an Ekel. von Horrorfilmen eine derartige Resonanz ha- Der legitime Erbe dieses Ansatzes war dann Wil- ben. Die Filme der 70er-Jahre haben einen Nerv liam Friedkin mit Der Exorzist. Ein Modernist, der Gesellschaft ihrer Zeit getroffen. ein gebildeter Regisseur, der von der Literatur Was würdest du sagen: War das Aufkommen kommt, ein Proust-Verehrer, der dann sagt: »Ich dieses Kinos eine Reaktion auf einen Wandel bin kein Christ, aber ich drehe diesen jesuitisch- des Zeitgeists, der Gesellschaft? Oder ist es christlichen Horrorstoff, als wäre alles real.« Also eine Reaktion auf Veränderungen der Produkti- er dreht Horror mit nahezu dokumentarischen onsverhältnisse? Auf den Zusammenbruch des Mitteln im ganz großen Stil – und das Ergebnis Hollywood-Studiosystems in den 60er Jahren? war einer der erfolgreichsten Filme jener Jahre. Wenn das schon so auf dem Tisch liegt, würde Wie weit ist das neue Kino der 70er aber auch ich natürlich sagen: Beides! Für das Horrorgenre ein Produzentenkino? Produzenten wie Roger ist es hier sehr wichtig, dass das Kino das klassi- Corman und Robert Evans haben Regisseure schen Familienpublikum ans Fernsehen verlo- zusammengebracht, Stoffe vorgeschlagen, eine ren hat. Daraufhin orientiert sich das Filmema- anregende Struktur geschaffen … chen neu auf jüngere Zuschauer-Schichten und … die sich dann zu New Hollywood formt. Ande- andere Verbreitungsformen. Es gab die Drive-In- rerseits war New Hollywood ja nur das eine: Par- Kinos und Autokinos für ein jüngeres Publi- allel dazu gab es den Indie-Film, vertreten durch kum … Regisseure wie George Romero, der in Pittburgh Die Teenager und Twens hatten Autos, gingen um 1968 seine eigene Produktion begonnen hat. abends allein aus und wollten auch eigene Kurz nach Rosemaries Baby führte Romero die Erlebnisse, eine eigene Jugendkultur, die der Modernisierung des Horrorgenres einen Schritt All-American-Culture der Eltern entgegenge- weiter, und erweiterte das Horrormodell zum setzt war. Horror war Counter-Culture, galt nicht Gesellschaftsmodell: Diese neuen Indie-Filme mehr als »abstoßend« und »pervers« … spiegeln ganz grundsätzliche Phänomene der Genau. So entstanden auch die Wellen der »Mid- amerikanischen Gesellschaft dieser Zeit: Viet- night-Movies« und »Grindhouse«-Filme – das
445 | 28. März 2019 Horrorfilm | 18 wurde plötzlich interessant. All das richtete sich den Morden an Kennedy und den Schwarzen- im Laufe der 60er, vielleicht sogar schon Ende Führern, mit dem Vietnamkrieg und dem Fort- der 50er an ein jüngeres Publikum. Ende der 60er schreiten des Kalten Kriegs hatte man ein gestei- trug das dann mit einigen Vorläufern auch gertes Misstrauen in die Regierung. Das kulmi- künstlerisch zunehmend Früchte. Zu diesem nierte im Watergate-Skandal. Kontext muss man auch I Was a Teenage Were- Ich hätte meine eigene Frage wohl so beant- wolf von 1957 dazurechnen (Regie: Gene Fowler wortet, dass ich mich ganz auf Seiten der Kultur Jr.), mit dem später vor allem aus dem Fernsehen geschlagen hätte. Und argumentiert, dass der (Bonanza, Unsere kleine Farm) bekannten Mi- Zusammenbruch der Studios auch bereits eine chael Landon in der Hauptrolle] und die Filme Folge dessen gewesen ist, was man seit den von Herschell Gordon Lewis. Das sind ja frühe 60er Jahren als »Krise Amerikas« und »Krise Hybride aus verschiedenen jugendaffinen Gen- des Westens« beschreibt: Verlust des Glaubens res: Highschool-Filme, Sportfilme, Surf-Filme, an die eigenen Narrative, die Erschütterung des Horrorfilme. Die verschiedenen Dinge kommen American Dream durch seine Ernüchterung und dann zusammen und bilden ein neues attrak- eine Gegenkultur, die ja nicht zuletzt durch das tives Kino für ein neues Publikum. Kino erst breitenwirksam wird. Auf den Lein- In den 70ern steigt dann die Tendenz, dass das wänden entdeckte die Jugend des Westens an- Kino das metaphorische Potenzial des Horrors dere Musik, andere Werte, andere Lebens - entdeckt, für gesellschaftlich fundierte Ängste formen, die eigene in Frage stellten. So wie du einzustehen. Das findet man ganz klar bei Fried- es jetzt beschrieben hast, könnte man glauben, kins Exorzist. Der ist so bewusst politisch! Mit El- dass das Kino gewissermaßen nur reaktiv ist: len Burstyn zu drehen, die hier gewissermaßen Es spiegelt nur immer das wieder, was in der in einem Agit-Prop-Film spielt. Der Generatio- Gesellschaft sowieso passiert. nenkonflikt zwischen Mutter und Tochter ist ge- Ja, das wäre so eine Art Siegfried-Kracauer-Idee nauso wichtig wie das ungeborene Leben in aus filmsoziologischer Perspektive … [lacht] Rosemaries Baby. Gesellschaftspsychologische Lassen wir mal den Kracauer beiseite, und ob er Konflikte werden vom Film dann nochmal an- das so gesagt hat – gegen Kracauer-Exegese ders wahrgenommen und ernst genommen. ist ja natürlich nichts zu sagen. Aber nun hat ja Ich bin nicht sicher, ob das jetzt schon die ganze der Film auch eine Art Eigenpotential. Er ist um- Antwort auf meine Frage war … gekehrt auch ein Medium, das die Gesellschaft Du hast recht, vielleicht müsste man nochmal verändert. Man könnte in mancher Hinsicht doch auf eine Sache eingehen: Die Idee gesellschaftli- auch sagen, dass die politischen Verände- cher Konflikte im großen Stil. Der Generationen- rungen der 60er-Jahre erst auf das Kino über- konflikt der Nachkriegszeit, das zunehmende haupt zurückzuführen sind: Auf das, was die Empfinden, dass in den Gesellschaften des We- Gegenkultur, auch Musik, Literatur und so wei- stens Eltern ihre Kinder nicht mehr verstehen, ter schon seit den 50er Jahren in die Köpfe tra- verschärfte sich ja durch die Counter-Culture, gen... die eine ganze Gegenkultur präsentierte. Plötz- Ja, aber das ist ja ein Prozess, der sich gegenseitig lich hatten nicht nur Eltern und Kinder Konflik- bedingt, bei dem sehr schwer der Quotient Null te, sondern die Gesellschaft untereinander. Nach auszumachen ist. Natürlich hat der Film Easy Ri-
445 | 28. März 2019 Horrorfilm | 19 Wer in den 70er- und 80er-Jahren die Kinogeschichte entdecken wollte, fand sie in Fernsehen, Programmkinos und Videotheken. Informationen waren spärlich. Prägend für eine ganze Generation war die Reihe »Der phantastische Film« mit ihrem unvergesslichen Vorspann (oben). Da wartete dann regelmäßig auch Christopher Lee als Dracula (unten) den später Geborene nur noch als bösen Zauberer im Herrn der Ringe kennen. Fotos: ZDF, Edelmann | Archiv Foto:
445 | 28. März 2019 Horrorfilm | 20 der verdammt viel ausgelöst. Andererseits ist er der Zombies und heutigen Obdachlosen bedeu- umgekehrt aus sehr vielen Tendenzen entstan- tet – das ist eine Verbindung, die heute ungern den: Die Hells Angels wurden in der unmittel- gesehen wird, die aber offenkundig ist – oder baren Nachkriegszeit gegründet und beein- andererseits die Tumore manche neuen Krank- flussten auch die Vorläufer von Easy Rider: Den heiten der Gegenwart vorwegnehmen. Marlon-Brando-Film Der Wilde von 1953, Roger Im Grunde hat die Metapher der Transforma- Cormans Die wilden Engel mit Peter Fonda und tion, auch der Körper-Horror-Transformation Nancy Sinatra von 1966 – das alles spiegelt eine aus diesen Filmen eine prophetische Qualität. c Tendenz, die in der Gesellschaft da war, für die auch ein Publikum da war. Also gebe ich dir recht, würde aber immer be- tonen: Es ist immer ein wechselseitiger Prozess. Der kann sich intensivieren, wenn Regisseure wie Romero zum Beispiel ihre Metaphern beharrlich weiterentwickeln. Ich würde bei dem Begriff der Metapher bleiben. Horrormotive sind metaphorisch in ihrer Reaktion, in ihrer Antwort, die sie auf gesellschaftliche Phänomene geben. Das ist etwas, was das Horrorgenre aus heutiger Sicht hochinteressant macht. Damals wurde es noch unterschätzt. Das heißt: Du liest Horrorphänomene wie es Kracauer auch getan hätte, als Spiegel des kollektiven Unbewussten. Um es zu vereinfachen: Ja. Gibt es denn dann etwas, wo du rückblickend feststellen kannst: Da haben Filme sehr deutlich auf etwas voraus verwiesen, das erst später ins allgemeine Bewusstsein trat? Ich denke, das ist in den apokalyptischen Filmen Mitte bis Ende der 70er-Jahre, die gerade Cronenberg und Romero gedreht haben, schon gegeben. Die Phänomene des gesellschaftlichen Zusammenbruchs, die dort überspitzt werden, auch die medizinischen und biologischen Ursa- chen, denen wir darin begegnen, die wuchernde technologische Weiterentwicklung, der »Creative Cancer« bei Cronenberg, seine Idee des »New Dieses Interview erschien zuerst auf Flesh« sind Phänomene, die vorausweisen. Ob www.artechock.de das »neue Fleisch« nun das verrottende Fleisch Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.
445 | 28. März 2019 Sichtbar werden | 22 Der erste Eindruck ist wichtig. Und davor kann man auch schon einiges tun. Beim Speaker Slam in München schilderte Felix Meinhardt seine Erfahrungen mit dem Eindruckmachen in der Filmbranche. Sichtbar werden! Talent ist da, Ahnung hat man auch – doch wie macht man sich in der Branche bekannt? Der Filmemacher Felix Meinhardt teilte seine Tricks und Erfahrungen im weltgrößten Speaker Slam und gewann auch noch den Preis. Sein Vortrag: Text Felix Meinhardt Foto: Christina Pörsch
445 | 28. März 2019 Sichtbar werden | 23 Mein Name ist Felix Meinhardt, ich bin Filme- für eine Transafrika-Expedition, wo natürlich macher und ich möchte euch gerne bewusst alle jubeln und es abfeiern. machen, wie wichtig es ist, so sichtbar zu Das Ganze hat mich noch eine ganze Weile werden, wie man sich gerne präsentieren beschäftigt und letzten Endes hat es mich sogar möchte. wieder ein bisschen in meine Kindheit zurück- Ich hatte kürzlich wieder ein Erlebnis, bei katapultiert. Damals hatte ich Probleme, mich dem ich für die Boston Consulting Group – di- richtig zu zeigen. Niemand wusste so richtig, rekt hier ums Eck auf der Maximiliansstraße in für was ich eigentlich stehe. Was für eine Person München – gedreht habe. Die meisten erwarten ich bin! Ich habe einfach das gemacht, was auch bei so einem großen Unternehmen: Okay, da alle anderen gemacht haben: Fußballverein für werden sie wahrscheinlich wie bei einer großen eine kurze Zeit (natürlich auf der Ersatzbank) Terra-X-Produktion für das ZDF mit Licht-LKW oder später dann beim Handball, wo mein ein- und Kamerasprintern ankommen. Aber ich ziger Zweck darin bestand, in der Umkleide auf dachte mir, dass ich das dieses Mal anders ma- den Schultern von größeren und stärkeren che, da mein Motto ohnehin »Keep it simple« Jungs als Zusatzgewicht herzuhalten. Auf jeden lautet. Fall zumeist eine völlige Potenzialverschwen- Deshalb bin ich mit meinem Team, einfach dung. nur mit Fahrrädern ausgestattet, direkt auf den Empfang zugefahren, wo der Marketing-Leiter Das ging dann eine ganze Weile so, bis ich schon auf uns gewartet hat und bei unserem schließlich endlich eine Liste geschrieben habe, Anblick fast vom Glauben abgefallen ist. Der wofür ich eigentlich mein Taschengeld (viel verstand die Welt nicht mehr, als ich mein Fahr- war’s eh nicht) ausgeben möchte. Und dort rad an der Pforte abgeschlossen habe, und frag- standen eben nicht ein neuer Fußball oder te mich: »Wo ist denn das ganze Equipment?« Schienbeinschoner drauf, sondern ganz oben Das war natürlich in meinem Rucksack und ins Kino zu gehen oder neue Videokassetten zu auf die Frage hin, ob das denn reichen würde, kaufen, weil die fand ich wirklich großartig! meinte ich nur: »Ja, muss! Meine Freundin woll- So kam dann schnell eine Sammlung von fast te mit unserem Auto heute Ski fahren gehen, da 200 Filmen zusammen, die dann auch schnell ist dann Improvisieren angesagt.« in der Klasse die Runde gemacht haben. Auf Ich dachte, zum Eis brechen wäre das eine einmal gab es ein Thema, bei dem alle wussten: ganz gute Idee. Aber letzten Endes hat mir das Felix, der hat die Filme! Da kamen dann regel- wieder gezeigt, wie wichtig der erste Eindruck mäßig am Freitag meine Mitschüler vorbei und für den langfristigen Erfolg ist, da es viel mehr wollten sich diese anschauen. Der Oberbrüller Aufwand bedarf, ein negatives Bild ins Positive bei uns pubertierenden Jungs: Kassette 51. Die umzuwenden, als von Anfang an mit einer posi- war immer unterwegs, denn darauf waren mei- tiven Präsenz sichtbar zu werden. ne ersten Schnittübungen, mit Zusammen- So viel zum Thema Sichtbarkeit schon wie- schnitten von den kurzen Pornoszenen, die der. Wenn ich in München mit dem Fahrrad nachts auf Sat.1 oder RTL2 liefen. vorgefahren komme, macht das natürlich einen Prägend war aber vor allem, als ich kurze Zeit anderen Eindruck, als auf einem Enduro-Bike später erstmals mit »Forrest Gump« in Berüh-
445 | 28. März 2019 Sichtbar werden | 24 rung kam. Und über ein Interview mit Tom werden, wo sich für mich eine völlig neue Welt Hanks habe ich dann erfahren, wie er sichtbar offenbart hat. Voller Möglichkeiten, Abenteuern geworden ist: Er hat nämlich seine Presse- und spannenden Erlebnissen! artikel, die es bis zu diesem Film über ihn gab, Deswegen möchte ich euch das hier mitge- wichtigen Personen einfach in die Hand ben: Werdet sichtbar und alles andere ergibt gedrückt und ganz wichtigen Personen sogar sich dann von ganz alleine! c mal eine Videokassette über sich, um somit sei- nen Bekanntheitsgrad nach und nach aufzu- bauen. Da dachte ich mir, was Tom Hanks kann, kann ich natürlich auch, sodass ich diese Strategien schon bald auch für mich genutzt habe – und dabei festgestellt: Okay, mit der Taktik habe ich eine einfache Form, wie ich meine Vision und Ideen viel besser teilen und verbreiten kann. Meinhardts Auftritt ist am 05. April auf Hamburg Eins sehen, er Jetzt noch die Kurzfassung: Mein gesteigerter selbst vom 25. bis 28. April auf seinem Heldenreisen-Filmseminar Bekanntheitsgrad und die angesammelte Erfah- in München. In Stuttgart wird dasselbe Seminar im Herbst statt- rung ermöglichte es mir schließlich, an der finden. Filmakademie in Ludwigsburg angenommen zu www.felixmeinhardt.com Zur Sache. Unsere Sprache wird nicht nur im Umgangston, sondern auch in Rhetorik und Stilistik zu- nehmend roher bis zur völligen Sprachlosigkeit. Eine Entwicklung ohne Worte. Doch Gegenbewegun- gen haben sich vorgenommen, dem ein Ende zu setzen. »Poetry Slams«, bei denen Wortkünstler ihre äs- thetisch angeordneten Sprachgebilde live vor Publikum vortragen, haben schon lange Kultstatus, doch auch bei Rednern (die für sich häufig den Anglizismus »Speaker« verwenden) hat der Trend mittlerwei- le Einzug gehalten, Konzepte wie »Ted Talks« sammeln Millionen von Klicks im Internet. Mit dem internationalen Speaker Slam, einem von Top-Speaker Hermann Scherer veranstalteten Rednerwettstreit, fand eine solche Veranstaltung nach New York, Wien, Frankfurt und Hamburg nun auch in München statt und stellte nebenbei mit 65 Teilnehmern noch einen Weltrekord auf. Es gilt das Publikum in fünf Minuten von einem Thema seiner Wahl zu überzeugen: keine Sekunde mehr! Danach geht das Mikrofon aus. Die verbliebenen Worte, die den Vortrag abrunden sollten, bleiben so womöglich für immer unausgesprochen. In so kurzer Zeit zu berühren und inspirieren – die Königs- disziplin eines Redners. Gewonnen hat sie dieses Jahr Felix Meinhardt, Filmemacher aus München, der bis jetzt vor allem für seine Arbeit an der Terra-X-Reihe sowie zahlreichen Dokumentationen, Kurzfilmen und Imagefilmen bekannt war (cinearte 315). Dieses Mal überzeugte er hingegen mit seinem leidenschaftlichen Vortrag zum Thema »Sichtbarkeit« Kerstin Hauke.
445 | 28. März 2019 A1-Bescheinigung | 21 Die Deutschen lieben fremde Länder. Weshalb beliebte Reihen oft auch vor fernen Originalkulissen gedreht werden. Viel Bürokratie für die Produzenten: Denn jeder am Set braucht eine spezielle Bescheinigung über die Sozialversicherung. Reisewarnung Wer in anderen EU-Staaten beruflich unterwegs ist, braucht eine A1-Bescheinigung, selbst wenn das nur wenige Stunden dauert. Mit dem bürokratischen Monster wollte Brüssel Schwarzarbeit eindämmen. Nun soll eine einfachere Regel her. Doch noch wacht das Monster – und das kann teuer kommen. Text Wilm Brucker Foto: Degeto
445 | 28. März 2019 A1-Bescheinigung | 26 Für jeden beruflichen Einsatz, den wir in einem Ebenso Journalisten, wenn sie einen Notizblock EU-Land wahrnehmen wollen oder sollen, brau- mitführen. Der Irrsinn geht aber noch weiter: chen wir vom Arbeitgeber eine »Bescheinigung Selbst ein kurzer Tankstopp im Transitland erfor- über die Rechtsvorschriften der sozialen Sicher- dert die A1-Bescheinigung für dieses Land, denn heit, die auf den/die Inhaber/in anzuwenden auch Tanken gilt als Arbeit. sind.« So der Originaltext der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004, Artikel 11 bis 16 und Nr. 987/2009 Warum wird eine A1-Bescheinigung benötigt? Artikel 19. Bei Projekten im Ausland bei denen deutsche Mitarbeiter beteiligt sind, müssten eigentlich Was ist das? Die verkürzt sogenannte »A1-Be- doppelte Sozialversicherungsbeiträge gezahlt scheinigung« ist ein Nachweis zur Abklärung, werden – die deutschen und die des jeweiligen welches Sozialsystem für einen Versicherten zu- Landes. Die EU-Richtlinien legen jedoch fest, ständig ist. Reist ein Arbeitnehmer zum Arbeiten dass bei einer Entsendung zum Beispiel durch ins EU-Ausland, wird so vermieden, dass Sozial- einen deutschen Arbeitgeber nur die deutschen versicherungsbeiträge gleichzeitig in zwei EU- Regeln gelten. Die Regelung gilt für die EU-Staa- Staaten fällig werden. ten sowie für die Schweiz und Norwegen. Außer- dem werden auch Länder wie Israel, Korea, Ja- Was passiert ohne A1-Bescheinigung? Selbst pan und Kanada auf Grund von bilateralen Ab- bei kurzen Dienstreisen oder beim Transit in ei- kommen mit einbezogen. nen anderen EU-Mitgliedsstaat ist das Mitführen der A1-Bescheinigung nun Pflicht. Kann der Ar- Wie bekommt man die A1-Bescheinigung? Für beitnehmer bei Kontrollen an ausländischen Ar- Angestellte, die über eine Versicherungsnummer beitsstellen oder auch nach dem Grenzübertritt verfügen, beantragen Arbeitgeber eine Über- keine Bescheinigung vorweisen, kann selbst der mittlung der A1-Bescheinigung entweder beim Zutritt zu Firmen- oder Messegeländen (ja, auch jeweiligen Krankenversicherer oder über eine ein Messebesuch in einem anderen EU-Land gilt elektronische Ausfüllhilfe. Selbständige und Pri- als Dienstreise) verweigert oder die sofortige vatversicherte müssen auf der Internetpräsenz Forderung nach Sozialversicherungsbeiträgen der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversi- nach dem jeweiligen Recht des Aufenthaltsstaa- cherung – Ausland (DAVK) die Fragebögen für tes angeordnet werden. den Antrag einer A1-Bescheinigung herunterla- Kontrolliert wird an Grenzübergängen und den und ausfüllen. Hier sind die Fragebögen für auch auf Flughäfen. Werden man ohne diese Be- die einzelnen Staaten abrufbar. Der ausgefüllte scheinigung angetroffen, werden dem Arbeitge- Fragebogen wird an den jeweiligen Rentenversi- ber pro Arbeitnehmer 2.000 Euro Bußgeld in cherungsträger gesendet. Rechnung gestellt. Wenn dies öfter passiert, kön- Damit die Dokumente im Ausland anerkannt nen bis zu 500.000 Euro Strafzahlungen verhängt werden, werden die maschinellen A1-Bescheini- werden. gungen als elektronische Unterlagen an das Ab- Ein Irrsinn, denn gerade Filmschaffende im rechnungsprogramm des Arbeitgebers zurück- aktuellen Einsatz sind eigentlich immer auf geschickt. Die Bescheinigung wird dann ausge- Dienstreisen, wenn sie eine Kamera dabeihaben. druckt dem Arbeitnehmer übergeben. Die EU
445 | 28. März 2019 geht von einer Vorlaufzeit von drei bis vier Tagen aus, vom Antrag bis zur Übermittlung. Kommen- tare in Internetforen sprechen allerdings von eher drei bis vier Wochen. Toll, wenn man Aktua- litäten drehen will. Aber auch für Journalisten bedeutet diese Re- gelung nahezu ein Arbeitsverbot im EU-Ausland. Der Stern schrieb dazu am 7. März: »Vier? Tage? Vorlauf? Vor einer Reise, von der manche Kolle- gen morgens noch nichts ahnen, weil etwa Ter- roristen nicht dazu neigen, einen Anschlag in Pa- ris oder Nizza anzukündigen? Und was, wenn der Papst zurücktritt?« Danke! Das ist alles? Von wegen! Um es noch ein wenig bürokratischer zu machen: Bei Arbeiten in Lu- xemburg wird neben der A1-Bescheinigung eine luxemburgische Mehrwertsteuernummer ver- langt, die man online beantragen muss, dazu ein Handelsregisterauszug des Arbeitgebers, Aus- weiskopien der Firmenvertreter, eine notarielle Beglaubigung des Personalausweises, eine lu- xemburgische Sozialversicherungsnummer, Ar- beitsvertrag, Nachweise der beruflichen Qualifi- kation, Versicherungsbestätigungen und Kopien der letzten Gehaltsabrechnung. Wo bleibt denn da der Datenschutz? Warum wird das erst jetzt so heftig diskutiert? Die A1-Regelung gibt es schon seit 2010. Doch seit diesem Jahr muss der Antrag elektronisch übermittelt werden (mit einer Ausnahmerege- lung auf Antrag bis Mitte 2019 auch noch in Pa- pierform), und die Kontrollen wurden enorm verstärkt, ganz besonders in Belgien, Frankreich und Österreich. Also, Kolleginnen und Kollegen, macht euch mit der EU-Bürokratie vertraut oder bleibt im c Zweifelsfall zuhause. c
445 | 28. März 2019 Fragebogen | 28 Was treibt die nächste Generation? Die Umfrage von HFF München und cinearte auf dem Internationalen Festival der Filmhochschulen München. Paula Tschira Kamera. Hochschule für Fernsehen und Film München So habe ich mich ins Kino verliebt: Wann immer ich im Kino sitze, würde ich am liebsten in die Leinwand springen, um ein Teil des Ganzen zu sein. Mein Traumprojekt in drei Sätzen: Kamerafrau für einen Kinofilm von Sean Baker à la The Florida Project. Ein Monat, eine einsame Insel und nur ein Video*. Welches? Down by Law von Jim Jarmusch. * Stromanschluß vorhanden | Fragebogen und Foto: Sophie Averkamp, Helena Herb, Katharina Rabl, Johanna Seggelke
445 | 28. März 2019 Filmemachen | 29 Filmemachen »Erstens würde ich für das öffentlich-rechtlichen Fernsehen die Quote beseitigen, die vorrangig nur ein Meßinstrument für die Werbeindustrie war und ist, mittlerweile aber wie ein kulturelles Herbizid wirkt. Zweitens würde ich Autoren in Deutschland besser bezahlen, mehr an Ver- wertungen teilhaben lassen, mit mehr Autorität bei der Entwicklung versehen, grundsätzlich also viel stärker ihre Arbeit anerkennen und belohnen. Drittens würde ich aus Gebühren generierte Mittel umverteilen: weg vom Sport, weg von der Volksmusik, weg vom Talk, weg vom Vorabend, weg vom Event, also weg von der Unterforderung hin zum Singulären, hin zu Filmen, Serien, Klängen, Dokumentationen und Informationen, die mich da hinbringen, wo ich noch nie war. Also hin zur Überforderung. Der Markt müsste also weg vom Markt.« Der Schauspieler Fabian Hinrichs am 21. März 2019 auf die Frage von Blickpunkt Film: »Was würden Sie im Kino-/Film-/TV-Markt gern ändern?« Foto: Farbfilm
Sie können auch lesen