Nachtschattengewächse, Kürbisgewächse und Bitterstoffe* - GTFCh

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Nachtschattengewächse, Kürbisgewächse und Bitterstoffe* - GTFCh
Toxichem Krimtech 2016;83(3):149

Nachtschattengewächse, Kürbisgewächse und Bitterstoffe *
Enno Logemann1 und Rolf Giebelmann2
1
    D-79111 Freiburg im Breisgau, Speckbacherweg 3; e.logemann@t-online.de
2
    D-17491 Greifswald, Newtonstrasse 2 B

                                     „Diese betäubte und betäubende Erde
                                     mit Nachtschattengewächsen, und Strömen von Duft –
                                     untergegangen im Meer und aufgegangen im Himmel die
                                     Erde.“    Ingeborg Bachmann (1926-1973)

                                     Nachtschattengewächse (Solanaceae) gelten seit Jahrtau-
                                     senden als mystische Hexenpflanzen und als klassische
                                     Giftpflanzen. Die Bezeichnung „Nachtschatten“ stammt
                                     wahrscheinlich vom althochdeutschen Wort „nahtscato“,
                                     mittelhochdeutsch „nahtschade“ (engl. nightmare) ab - ein
                                     Schaden, den man in der Nacht erfährt“, d. h. von einem
                                     Traum, der von Angst- und Panikattacken begleitet ist.

                                     Abb. 1. Solanum dulcamara. Aus: O.W. Thomé. Flora von
                                     Deutschland, Österreich und der Schweiz. Gera (1885). (http://
                                     biolib.mpipz.mpg.de/thome/band4/tafel_027.html)

Die Nacht wirft bekanntlich keine Schatten. „Bei dem Begriff ‚Nachtschaden’ handelt es sich
um eine Krankheit, die durch einen elbischen Dämon (nächtlichen Alpdämon) nachts im Schlaf
ausgelöst wird und mit Solanum dulcamara geheilt werden kann“ (zitiert nach [1]). Der Name
Solanaceae leitet sich von dem lateinischen Wort „solari“ (trösten, lindern) ab.
Der Bittersüße Nachtschatten, Solanum dulcamara, (engl. bittersweet nightshade) ist ein bis zu
etwa 2 Meter langer, kletternder Halbstrauch mit lang gestielten violetten Blüten und auf-
fallenden kegeligen Staubblättern, die sich in der Blütezeit Juni bis August ausbilden (Abb. 1).
Die Pflanze ist in Europa, Asien und Nordafrika weit verbreitet. Man findet sie vor allem in
feuchten Gebüschen, Auwäldern und an Flussufern. Die eiförmigen scharlachroten Früchte sind
giftig für Mensch und Vieh, besonders für Kinder wegen ihrer schönen Farbe attraktiv und
deshalb gefährlich. Die Beeren verlieren zwar während der Reife an Alkaloidgehalt. Dreißig
bis vierzig unreife Beeren können aber für Kinder bereits tödlich sein. Alle Pflanzenteile sind
giftig. Hauptwirkstoffe sind Alkaloide und Saponine mit Steroidcharakter, u. a. α-Solanin,
Solasodin. Einige Vögel sind jedoch immun gegen diese Gifte und können somit den Samen
dieser Früchte über weite Landstriche verteilen [1-6].

*
 Dem Andenken an Dr. rer. nat. Kurt Besserer (Tübingen) gewidmet. Fassung vom 12.08.2020
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Der Schwarze Nachtschatten, Solanum nigrum L., (engl. European black nightshade) ist eine
einjährige krautige Pflanze, die vorwiegend in Eurasien beheimatet ist (Abb. 2). Man findet sie
aber auch in Amerika, Australien und Südafrika. Carl von Linné beschreibt in seinem Werk
„Species Plantarum“ (1753) sechs Varietäten von Solanum nigrum. Die etwa 30 cm bis 1,2
Meter hohe Pflanze wächst bevorzugt auf Schuttplätzen, Weinbergen und Äckern, wo sie im
Allgemeinen als Unkraut betrachtet wird. Typisch sind meist gleichzeitig Blüten (weiß mit
leuchtend gelben Staubfäden) und grüne, unreife sowie schwarze, reife Beeren (Blütezeit Juni
bis Oktober) [4].

 A                                                                 B

 C
                                                                 Abb. 2. Briefmarke mit Solanum
                                                                 nigrum (Sammlung Giebelmann).
                                                                 Strukturen der Hauptalkaloide: (A)
                                                                 Solanin, (B) Solasodin, (C) Sola-
                                                                 margin
                                                                 (https://de.wikipedia.org/wiki/Solanin,
                                                                 https://en.wikipedia.org/wiki/Solasodine
                                                                 https://en.wikipedia.org/wiki/Solamargin).

Alle Pflanzenteile sind stark giftig: 6-8 unreife Beeren können bereits toxische Wirkungen
zeigen. Hauptwirkstoffe sind α-Solanin, Solasodin und Solamargin (Abb. 2.). Interessant ist die
Tatsache, dass in Mittelmeerländern, in Indien, China und Afrika einige Varietäten von
Solanum nigrum bereits seit Jahrhunderten zu Nahrungszwecken kultiviert, die reifen Beeren
und die Blätter erhitzt und gegessen wurden [1-7]. „Die reife (!) schwarze Frucht ist nach
Teuscher und Lindequist frei von toxischen Bestandteilen“ (zitiert nach [5]).

Solanaceae – Nachtschattengewächse

Die oben beschriebenen Pflanzen können in erster Näherung als typische Vertreter der Familie
der Solanaceae (Nachtschattengewächse) in der Ordnung der Solanales (Nachtschattenartige)
angesehen werden. Die Solanaceae sind eine recht große Familie der Bedecktsamigen Pflanzen
(Magnoliopsida) mit ca. 90 bis 100 Gattungen und ca. 2.700 Arten [8,9]. Im Internet werden
auch Zahlen von 9.000 bis 10.000 Arten genannt [8]. „Charakteristische (botanische) Merkmale
sind vor allem die fünfzähligen Blüten mit verwachsenen Kelchblättern, teilweise verwachse-
nen Kronblättern, fünf Staubblättern und meist zwei miteinander verwachsenen Fruchtblättern.
Die Früchte der Nachtschattengewächse sind meist Beeren oder Kapselfrüchte“ [8]. Eine aus-
führliche Beschreibung des Habitats und der Klassifikation der Solanaceae findet sich in [8,9].
Nachtschattengewächse sind – mit Ausnahme der Antarktis – auf allen Kontinenten verbreitet.
Eine besondere Mannigfaltigkeit dieser Pflanzen findet sich in Mittel- und Südamerika, insbe-
sondere in der Nähe des Äquators [9]. – Einige Nachtschattengewächse werden wegen ihres
schönen Erscheinungsbildes von Blumenliebhabern als Kübelpflanzen kultiviert. So hat z. B.
die Engelstrompete Brugmansia arborea (Linné), die ursprünglich aus Südamerika stammt,
wegen ihrer schönen trompetenartigen Blüten über die ganze Erde Verbreitung gefunden.
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Die Inhaltsstoffe der Solanaceae, Alkaloide, Bitterstoffe und Gifte, haben oft recht unter-
schiedliche chemische Strukturen, deren Beschreibung in den Lehrbüchern über Pflanzengifte
[1,2,5] große Kapitel gewidmet sind. Wichtige Inhaltsstoffe der Nachtschattengewächse, u. a.
Atropin (Hyoscyamin) und Scopolamin, haben eine lange Tradition als Wirkstoffe für Medi-
kamente; siehe die Angaben der Roten Liste [10].
Zu den Nachtschattengewächsen zählen wichtige Nutzpflanzen wie Kartoffeln, Tomaten,
Paprika, Auberginen und Tabak. Im Jahr 2005 wurden weltweit 324,5 Mio. Tonnen Kartoffeln,
124,7 Mio. Tonnen Tomaten und 24,7 Mio. Tonnen Paprika bzw. Chilis geerntet. Die Welternte
von unverarbeitetem Tabak lag bei 6,6 Mio. Tonnen [8]. Nachtschattengewächse haben
demnach eine große (volks-)wirtschaftliche Bedeutung und Forschungsprojekte bzgl. Züchtung
neuer Sorten etc. liegen nicht nur im rein wissenschaftlichen Interesse. „Die Welternährung
hängt von nur 150 Pflanzen ab – ein extrem anfälliges System“ [11]. Die Solanaceae Genomics
Community trifft sich jährlich auf internationalen Tagungen, um neueste Forschungsergebnisse
bzgl. Artenvielfalt, Genetik und Neuzüchtungen von Pflanzen auszutauschen [12,13]. Eine breit
angelegte Solanaceae-Literatur-Datenbank befindet sich an der Radboud Universität, Nijmegen,
Niederlande [14].
Die Kartoffel Solanum tuberosum L. stammt ursprünglich aus Peru. Zahlreiche Sorten sind dort
seit Jahrtausenden bekannt [1]. In Deutschland verpflichtete Friedrich der Große von Preußen
im Jahr 1756 seine Bauern zum Anbau von Kartoffeln. Zu diesem Zweck ließ er den Oderbruch
entwässern.

                                                                           Abb. 3. Briefmarken
                                                                           zum Thema Kartoffel
                                                                           aus der Sammlung
                                                                           Giebelmann.

Der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788-1860) war ein Gegner der Speisekartoffel. Er be-
hauptete, sie mache dumm. Bei dieser Bemerkung spielt wohl eine Rolle, dass in der Anfangs-
zeit wie bei der Tomate nur die oberirdischen Früchte verzehrt wurden. Eine Anekdote will
wissen: Als er zu einem Essen eingeladen wurde, fragte die Gastgeberin, ob es ihm geschmeckt
habe. Er antwortete: „Sehr gut!“ Darauf sagte sie, dass er Kartoffeln gegessen habe. Er
erwiderte: „Da sehen sie, wie dumm die Kartoffel macht; ich habe es nicht gemerkt.“
In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass in jüngster Zeit (1994) in den Kartoffelknollen
geringe (!) Spuren von Benzodiazepin-Wirkstoffen („natürliches Diazepam“) nachgewiesen
wurden, die Benzodiazepin-Rezeptoren im Rattengehirn hemmen [1]. – Aus toxikologischer
Sicht bedeutsamer sind Steroidalkaloidglycoside, die normalerweise „in unbedenklichen
Mengen“ in Kartoffelknollen vorhanden sind, beim Auskeimen bzw. Grünwerden jedoch eine
Giftwirkung entfalten können [2]. Der Wirkstoff α-Solanin ist hitzebeständig und fettunlöslich.
Er geht beim Erhitzen der Kartoffeln teilweise ins Kochwasser über [15]. Die oberirdischen
Teile der Kartoffelpflanzen, das Kartoffelkraut, sind zum Verzehr nicht geeignet.
Für die menschliche Ernährung bedeutsam ist die Tatsache, dass Kartoffel-Anbaugebiete durch
pflanzenschädigende Pilzinfektionen vom Typ Phytophthora (griech. Phyton = Pflanze;
phthorá = Vernichtung) erheblich geschädigt werden können [16]. Dies führte z. B. im Jahr
1845 in Irland zum Totalausfall der Kartoffelernte und zu einer großen Hungersnot: „anderthalb
Millionen Iren wanderten aus“ [11]. – Kartoffelpflanzen werden auch durch Kartoffelkäfer
(Leptinotarsa decemlineata) bedroht. Die gehäufte Ausbreitung in einigen Gegenden Europas,
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die seit dem ersten Weltkrieg zu Engpässen in der Lebensmittelversorgung führte, bot Anlass
für Propaganda-Kampagnen der Regierungen mit der Behauptung, dass diese „Ami-Käfer“ (in
Amerika colorado beetle genannt) von feindlichen Flugzeugen zu Sabotagezwecken abge-
worfen worden seien [17].

Cucurbitaceae - Kürbisgewächse

Nicht zu den Nachtschattengewächsen gehört die Zucchini (Plural des italienischen Wortes
zucchino) Cucurbita pepo subsp. convar. Giromontiina, in der Deutschschweiz auch Zucchetti
genannt [18]. Die Zucchini gehören zur Pflanzenfamilie der Kürbisgewächse Cucurbitaceae.
Die ursprünglichen Formen traten am Ende des 17. Jahrhunderts in Europa auf [18]. In Italien
wird am 7. Mai traditionell der Tag der Zucchini (giorno dello zucchetto) begangen. Zucchini
gelten als kalorienarmes, vitaminreiches und leicht verdauliches (mediterranes) Gemüse.

                                                                                     Erde, die uns dies gebracht.
                                                                                      Sonne, die es reif gemacht.
                                                                                        Liebe Sonne, liebe Erde,
                                                                                       euer nie vergessen werde.

                                                                                   Christian Morgenstern (1871-1914)

Abb. 4. 5α-Cucurbitan (links) und 5ß-Cucurbitan (rechts) (https://en.m.wikipedia.org/wiki/Cucurbitane).

Zucchini können roh, gekocht und gebraten gegessen werden und enthalten durch strenge
Zuchtwahl im Allgemeinen keine bzw. nur geringe Mengen an Bitterstoffen. Auch die großen
gelben Blüten können verzehrt werden und gelten als besondere Delikatesse [18]. „Besonders
durch Rückkreuzung (selbstgezogener Samen) oder durch Kreuzung mit anderen Kürbis-
pflanzen kann ein erhöhter Gehalt an Cucurbitacinen entstehen“ [18]. Es handelt sich hierbei
um Bitterstoffe, die sich vom tetracyclischen Triterpen Cucurbitan (Abb. 4) ableiten, stark
toxisch, hitzebeständig und durch ihren bitteren Geschmack noch in sehr niedriger Konzen-
tration wahrnehmbar sind. [19]. In der Literatur sind mehrere Intoxikationsfälle mit Todesfolge
beschrieben worden [20-22]. Im August 2015 (ein ungewöhnlich warmer Monat) starb ein 79-
jähriger Mann aus Heidenheim (Baden-Württemberg) an den Folgen einer Zucchini-Mahlzeit,
die auffallend bitter schmeckte.
Die Wassermelone Citrullus vulgaris (lanatus) gehört ebenso zur Familie der Kürbisgewächse
Cucurbitaceae. Wassermelonen wurden bereits im alten Ägypten um 2000 v. Chr. kultiviert.
Im Jahr 2012 betrug die Weltproduktion 105 Mio. Tonnen [23]. „Der Samen wird in Indien
gemahlen und zu Brot gebacken, im Nahen Osten geröstet gegessen.“[23]. Das Fruchtfleisch
der Wildformen ist bitter [23]. Zahlreiche Zuchtvarietäten sind bekannt, bei denen die Bitter-
stoffe unter gleichzeitiger Erhöhung des Zuckergehaltes herausgezüchtet wurden. Eine beson-
dere Rarität, die japanische Yubari-King-Wassermelone, zeichnet sich durch ein sattes, orange-
farbenes Fruchtfleisch und durch eine feine Süße aus. Ein Paar dieser Melonen wurden kürzlich
auf dem Großmarkt von Sapporo/ Japan zu einem astronomisch hohen Preis von umgerechnet
24.200 € verkauft [24].
Im Jahr 1930 wurde im Preßsaft von Wassermelonen die nicht-proteinogene α-Aminosäure L-
(+)-Citrullin nachgewiesen [25]. Bei dieser Aminosäure handelt es sich bei Mensch und Tier
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um ein Zwischenprodukt der Synthese der Aminosäure L-Arginin. Bei Leistungssportlern sind
die Aminosäuren Citrullin und Arginin als Nahrungsergänzungsmittel beliebt. In hohen Dosen
eingenommen soll L-Citrullin leistungssteigernd wirken, den Muskelkater reduzieren und für
eine schnellere Regeneration nach dem Sport sorgen [26]. Moderne Forschungsprojekte be-
schäftigen sich zurzeit mit der Rolle von Citrullierungsproteinen bei Autoimmunerkrankungen
und bei rheumatoider Arthritis [27].

Bitterstoffe

Mit Bitterstoffen wehren sich Pflanzen gegen ihre Fressfeinde. Pflanzen sind ja an ihren
Standort gebunden, können nicht weglaufen…Schon unsere Urahnen wussten, dass der bittere
Geschmack Giftstoffe in der Nahrung signalisiert. Von den fünf Geschmacksrichtungen wirkt
die Geschmacksempfindung süß besonders attraktiv, die bittere Empfindung eher unangenehm
[28]. Nicht nur Kleinkinder verziehen das Gesicht, wenn sie den bitteren Geschmack auf der
Zunge haben.
Bitterstoffe haben eine recht unterschiedliche chemische Struktur. Man kennt mehrere hundert
chemische Verbindungen u. a. anorganische Salze (Magnesiumsulfat als Bittersalz), Amino-
säuren, Alkaloide, Terpene, Flavonoide und viele synthetische Chemikalien [29,30]. Eine
Bitterstoff-Datenbank mit mehr als 550 Verbindungen ist im Internet einsehbar [31,32].
Die molekularen Mechanismen der Chemorezeption der Bitterstoffe auf der Zunge sind im
Prinzip bekannt, wenn auch viele Fragen noch ungeklärt sind. So konnte man bisher noch nicht
für jeden Bitterstoff den passenden Bitterstoffrezeptor identifizieren. Die Primärstrukturen der
Geschmacksempfindung sind auf den Geschmacksknospen lokalisiert - Ansammlungen von
etwa 100 Zellen, die sich beim Menschen und bei Säugetieren auf der Zunge, dem Gaumen, im
Rachen und am Kehlkopf befinden. Man kennt vier Typen von Geschmacksrezeptor-Zellen
(TRCs), Typ I bis IV, die sich manchmal in Unterklassen unterteilen lassen. TRCs sind keine
Neurone, sondern spezialisierte Epithel-Zellen [29].
„Understanding of the bitter (and other) taste mechanism at the molecular level is very recent
and raises many questions in this aspect of biology. In the case of alkaloids, there are several
links between taste and biological function. Indeed, these compounds have a “two-faced” be-
havior: defensive-offensive compounds that should be avoided, and compounds with important
biological activities, features that have always interested humans. This is only an apparent
contradiction, since Nature is very skilful in giving us signals that we should heed, if we are to
optimize the interactions between our organism and the surrounding world.” (wörtlich zitiert
nach [29]).
Die moderne Lebensmittelindustrie ist bestrebt, den Gehalt an Bitterstoffen in der Nahrung zu
reduzieren und die Süßkraft zu erhöhen. Andererseits sind Bitterstoffe für die menschliche
Ernährung lebensnotwendig. Sie aktivieren den Stoffwechsel und regen die Verdauung an. Die
Magensaftsekretion, die Gallenblase und die Bauchspeicheldrüse werden stimuliert, die Ent-
giftungsfunktion der Leber gefördert. Der bittere Geschmack signalisiert relativ schnell ein
Sättigungsgefühl, der Heißhunger auf Süßes wird gebremst. Bitterstoffe sind ideale Appetit-
zügler.
Schon im Mittelalter lehrte Hildegard von Bingen (1098-1179), dass Bitterkräuter eine wichtige
Funktion bei der menschlichen Verdauung ausüben [30]. In der damaligen Zeit war das Gemüse
wesentlich reicher an Bitterstoffen als heutzutage. Statistisch gesehen nehmen wir in der
heutigen Zeit mit unserer Nahrung Bitterstoffe vor allem in Form von Genussmitteln wie Bier
und Kaffee auf. Bitterliköre (Jägermeister®, Campari®, Aperol® etc.), Tonic Water, Gin Tonic
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und auch manche Medikamente (u. a. Pflanzenextrakte aus Artischocken) haben zwar höhere
Konzentrationen an Bitterstoffen, spielen aber in der Verbrauchsstatistik nur eine unter-
geordnete Rolle. – Die Bitter-Qualität des Bieres, die sich aus dem zugesetzten Hopfen ergibt,
wird durch International Bitterness Units (IBU) charakterisiert [33]. Bei der Standardisierung
anderer Bitterstoffe wird im Regelfall eine Geschmacksprüfung im Vergleich mit einer
Verdünnungsreihe von Chininhydrochlorid herangezogen [30].
Zur Abschätzung der Schärfe von Paprikafrüchten und von frischem Chili, Chilipulvern und
Chilisaucen dient die Scoville-Skala, die auf der Bestimmung des Capsaicin-Gehaltes beruht
[28,34]. Das Alkaloid Capsaicin reizt die Schmerzrezeptoren der Schleimhäute.
In der Enzianwurzel Gentiana lutea findet sich neben dem Bitter-Glycosid Gentiopicrin das
Bitter-Glycosid Amarogentin (Abb. 5). Es gilt als Naturstoff mit dem höchsten Wirkungsgrad
bzgl. Bitterkeit. Beim Menschen aktiviert Amarogentin den Bitter-Geschmacksrezeptor
hTAS2R50 [35]. Den Spitzenplatz der Bitterstoffe belegt eine synthetische Substanz: Denato-
niumbenzoat bzw. -saccharinat, ein Derivat des Lokalanästhetikums Lidocain (Abb. 5).

Abb. 5. Der bitterste Naturstoff, Amarogentin (links), aus der Enzianwurzel und der bitterste bekannte Stoff,
Denatoniumbenzoat (rechts), ein synthetisches Derivat des Lidocains (grau unterlegt). Unter Verwendung von
Strukturformeln aus https://en.wikipedia.org/wiki/Amarogentin, https://de.wikipedia.org/wiki/Lidocain und
https://de.wikipedia.org/wiki/Denatoniumbenzoat.

Denatonium wurde im Jahr 1958 von dem schottischen Chemiker J. R. Smith entdeckt. Es ruft
beim Menschen bereits in der hohen Verdünnung von 10 ppm einen unerträglich bitteren
Geschmack hervor. Unter den Handelsnamen Bitrex® bzw. Aversion® findet die Verbindung
Anwendung u. a. als Vergällungsmittel von technischem Alkohol und als Additiv von anderen
Lösungsmitteln und Reinigungsmitteln. [30,36,37].
Die bitteren Eigenschaften des Narkotikums Cyclobarbital (Phanodorm®) sind der breiten
Öffentlichkeit durch einen spektakulären Kriminalfall („Waterkantgate“) bekannt geworden.
Der ehemalige Schleswig-Holstein`sche Ministerpräsident Uwe Barschel wurde am 11. Okto-
ber 1987 in der Badewanne eines Zimmers im Genfer Hotel Beau Rivage tot aufgefunden. Die
toxikologischen Analysen ergaben hohe Konzentrationen von Cyclobarbital in den Leichen-
asservaten. Bis in die jüngste Zeit wurden Stimmen laut, die behaupteten, dass Uwe Barschel
einem Mord zum Opfer gefallen sei. Diese veranlassten den Rechtsmediziner Prof. Dr. Werner
Janssen, ehemals Direktor des Hamburger Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum
Eppendorf zu einer Stellungnahme. In seinem Institut wurde seinerzeit die Leiche des Uwe
Barschel (nach-)obduziert und es wurden toxikologische Analysen ausgeführt. Die umfangrei-
chen Untersuchungen, die Prof. Dr. W. Janssen zusammen mit seinen Mitarbeitern Prof. Dr. K.
Püschel und Prof. Dr. A. Schmoldt ausgeführt hatten, kamen zu der Schlussfolgerung: „Ich sage
es noch einmal, es war Suizid“ und „Vor allem der starke Wirkstoff Cyclobarbital war in so
hoher Konzentration vorhanden, dass Uwe Barschel davon mindestens 20 Tabletten geschluckt
haben musste … Das Zeug ist bitter“ [38,39].
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Literatur

[1]    Rätsch C. Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Botanik, Etnopharmakologie und Anwendung, AT Verlag,
       Aarau/Schweiz, 1998.
[2]    Frohne D. Pfänder HJ Giftpflanzen – ein Handbuch für Apotheker, Ärzte, Toxikologen und Biologen, 4. Aufl.,
       Wiss. Verlagsgesellschaft, Stuttgart, 1997.
[3]    Schmeil-Fitschen: Flora von Deutschland und angrenzender Länder. 94. Aufl. Seybold S. (Hrsg.), Quelle &
       Meyer Verlag, Wiebelsheim, 2009.
[4]    Spohn M. Was blüht denn da? Kosmos Naturführer. Der Fotoband. Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co KG,
       Stuttgart, 2015.
[5]    Roth L. Daunderer M. Kormann K. Giftpflanzen Pflanzengifte. 6.Aufl., Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co.
       KG, Hamburg, 2012.
[6]    Solanum dulcamara. https://en.wikipedia.org/wiki/Solanum_dulcamara
[7]    Solanum nigrum. https://en.wikipedia.org/wiki/Solanum_nigrum
[8]    Nachtschattengewächse. https://de.wikipedia.org/wiki/Nachtschattengewächse
[9]    Solanaceae. http://www.newworldencyclopedia.org/entry/Solanaceae;
       http://www.britannica.com/plant/Solanaceae
[10]   Rote Liste 2015, 55. Ausgabe, Rote Liste Service GmbH, Frankfurt/Main, 2015.
[11]   Charisius H. Die im Schatten sieht man nicht. Süddeutsche Zeitung Nr. 82, S. 33, 9./10. April 2016.
[12]   The 13th Solanaceae Conference, SolGenomics: From Advances to Applications. Sept. 12-16, 2016. Davis
       California USA. http://solgenomics2016.ucdavis.edu/
[13]   SOL 2015. The 12th Solanaceae Conference. Oct. 25-29, 2015, Bordeaux, France. https://colloque.inra.fr/sol2015
[14]   Radboud University, Faculty of Science, Experimental Garden and Genebank, Solanaceae literature database.
       http://www.ru.nl/bgard/databases/solanaceae/
[15]   Solanine https://en.wikipedia.org/wiki/Solanine
[16]   Phytophthora https://de.wikipedia.org/wiki/Phytophthora
[17]   Kartoffelkäfer https://de.wikipedia.org/wiki/Kartoffelkäfer
[18]   Zucchini https://de.wikipedia.org/wiki/Zucchini
[19]   Cucurbitacine https://de.wikipedia.org/wiki/Cucurbitacine
[20]   Ferguson JE, Fischer DC Metcalf RL, A Report of Cucurbitacin Poisonings in Humans. Cucurbit Genetics
       Cooperative Report 6:73-74 (article 37) 1983. http://cuke.hort.ncsu.edu/cgc/cgc06/cgc6-37.html
[21]   Giftnotruf Erfurt http://www.ggiz-erfurt.de/aktuelles/akt_press_15_september_zucchini.htm
[22]   Gesundheitsjournal, 20. August 2015, Ernährung: Mann stirbt durch Zucchini-Genuss.
       http://www.gesundheitsjournal.de/450/ernaehrung-mann-stirbt-durch-...
[23]   Wassermelone https://de.wikipedia.org/wiki/Wassermelone
[24]   Siebeck F. Süß, saftig, teuer. In Japan wird die teuerste Melone der Welt für Unsummen verkauft. Frankfurter
       Allgemeine Zeitung, 2. Juni 2016 Nr. 126, Seite 9.
[25]   Wada M. Über Citrullin, eine neue Aminosäure im Preßsaft der Wassermelone, Citrullus vulgaris schrad.
       Biochem. Zeit. 1930, 224, 420-429; https://de.wikipedia.org/wiki/Citrullin
[26]   L-Citrullin für schnellere Regeneration nach dem Sport. http://vitamine-ratgeber.com/l-citrullin-fue...
[27]   Brock TG. Citrullination & Autoimmunity, Cayman Chemical/Biomol GmbH (Juni 2016);
       https://www.biomol.de/citrullinierung-und-autoimmunitaet.html?id=1439&utm_source=CleverReac...
[28]   Logemann E. Geschmacksstoffe. Toxichem Krimtech 2015;82:31-39.
[29]   Bassoli A, Borgonovo G, Busnelli G. Alkaloids and the Bitter Taste. In: Fattorusso E, Taglialatela-Scafati O
       (Eds.) Modern Alkaloids, Structure, Isolation, Synthesis and Biology, p. 53-72, Wiley-VCH, Weinheim, 2008.
[30]   Bitterstoff https://de.wikipedia.org/wiki/Bitterstoff
[31]   Wiener A, Shudler M, Levit A, Niv MY et al. A database of bitter compounds. Nucleic Acids Res. 2002. Jan;
       40(Database issue):D413-D419. doi: 10.1093/nar/gkr755;
       http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3245057
[32]   http://bitterdb.agri.huji.ac.il/bitterdb/
[33]   International Bitterness Unit https://sizes.com/units/international_bitterness_unit.htm
[34]   Scoville scale. https://en.wikipedia.org/wiki/Scoville_scale
[35]   https://en.wikipedia.org/wiki/Amarogentin
[36]   https://en.wikipedia.org/wiki/Denatonium
[37]   Sibert JR, Frude N. Bittering agents in the prevention of accidental poisoning: children´s reactions to
       Denatonium Benzoate (Bitrex). Archives of Emergency Medicine 1991, 8, 1-7.
[38]   Die menschenwürdigste Art zu sterben; Die letzten Medikamente des Uwe Barschel. Der Spiegel 1/1988;
       http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13525651.html
[39]   Klingst M. Das Zeug ist bitter. Wurde Uwe Barschel ermordet? Erstmals spricht der Pathologe Werner Jansen,
       der den Leichnam damals untersuchte. Die Zeit 18. Februar 2016 Nr. 9, Seite 5.

Letzte Einsicht in die zitierten Webseiten am 14.07.2016. Die Originalfassung der Arbeit aus dem Jahr 2016 wurde am
28.07.2020 in Reaktion auf eine Leserzuschrift geringfügig betreffs der Pflanzennomenklatur geändert.
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